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RhPfalz_Mai_2023

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4 Zeitung <strong>Mai</strong> <strong>2023</strong><br />

Politik<br />

Pflege darf kein Geschäft sein<br />

Pflegeimmobilien werden als Geldanlagen unattraktiv. Bedrohen Pleiten die Versorgung?<br />

Pflegeheimpleiten von privaten<br />

Betreibern alarmieren den Finanzmarkt.<br />

Die über lange Zeit währende<br />

Goldgräberstimmung bei Pflegeimmobilien<br />

als Geldanlagen<br />

scheint vorbei zu sein. Das Problem<br />

fehlender Pflegeheimplätze wird<br />

letztlich aber wieder der Allgemeinheit<br />

aufgebürdet, kritisiert der<br />

Sozialverband VdK.<br />

Im ersten Quartal <strong>2023</strong> sind die<br />

Verkäufe von Gesundheitsimmobilien<br />

um fast 40 Prozent gegenüber<br />

dem Vorjahr eingebrochen,<br />

berichtet die auf diesen Sektor<br />

spezialisierte Immobilienberatung<br />

Cushman & Wakefield. Insbesondere<br />

Pflegeheime gelten inzwischen<br />

als Objekte, die Investoren<br />

besser abstoßen sollten. Drei große<br />

deutsche Pflegeheimbetreiber,<br />

Curata, Convivo und Novent,<br />

mussten jüngst Insolvenz anmelden.<br />

Der Bundesverband privater<br />

Anbieter sozialer Dienste (bpa)<br />

befürchtet sogar eine Pleitewelle.<br />

Eine Umfrage unter seinen Mitgliedern,<br />

die etwa die Hälfte der deutschen<br />

Pflegeheime betreiben, hat<br />

ergeben, dass 68,5 Prozent von<br />

ihnen „in naher Zukunft eine Gefährdung<br />

der wirtschaftlichen<br />

Existenz sehen“.<br />

Pflegeimmobilien wurden lange<br />

als sichere Wertanlagen angepriesen.<br />

Renditeversprechen bis zu<br />

sechs Prozent waren keine Seltenheit.<br />

Vorsichtige Anlegerinnen und<br />

Anleger konnten oft damit beruhigt<br />

werden, dass der Staat selbst<br />

mit der Sozialleistung „Hilfe zur<br />

In dieser Karikatur wird das Gewinnstreben von Pflegeunternehmen mit<br />

spitzem Stift aufgespießt.<br />

Zeichnung: Thomas Plaßmann<br />

Pflege“ für stabile Einnahmen garantiert.<br />

Schon seit etwa 2015 warnten<br />

Finanzmarktexperten, dass die<br />

Goldader versiegen könnte. Gewinne<br />

wurden schmäler, weil etwa<br />

Einzelzimmervorschriften in manchen<br />

Landespflegegesetzen hohe<br />

Investitionen notwendig machten<br />

und Pächter ihren Zahlungspflichten<br />

nicht nachkommen konnten.<br />

Die aktuell angespannte Situation<br />

führt der bpa auf Personalengpässe<br />

zurück, die zu einer Kürzung<br />

des Angebots führen. Hinzu kämen<br />

gestiegene Personalkosten<br />

durch das Tariftreuegesetz und<br />

hohe Lebensmittel- und Energiekosten,<br />

die staatlicherseits nicht<br />

genügend refinanziert würden.<br />

Kritiker wie die Evangelische<br />

Heimstiftung werfen der bpa jedoch<br />

vor, dass mit staatlichen<br />

Hilfen letztlich die schwindenden<br />

Renditen an Betreiber- und Investorenketten<br />

aufgefangen werden<br />

sollen, ohne an den Geschäftsmodellen<br />

etwas zu ändern.<br />

„Gerade rächt sich die in den<br />

1990er-Jahren getroffene Entscheidung,<br />

die Bereitstellung der Pflegeinfrastruktur<br />

dem freien Markt zu<br />

überlassen. Die Leidtragenden<br />

sind aktuell wieder einmal die<br />

Pflegebedürftigen, die immer weniger<br />

Angebote vorfinden. Über<br />

kurz oder lang zahlt dann die Allgemeinheit,<br />

wenn doch der Staat<br />

wieder einspringt“, sagt VdK-Präsidentin<br />

Verena Bentele. Sie fordert<br />

eine grundsätzliche Neuausrichtung<br />

des Pflegemarkts: „Pflegebedürftigkeit<br />

darf keine<br />

Grundlage mehr für Gewinnmaximierung<br />

sein. Die Bereitstellung<br />

einer guten Pflegeinfrastruktur<br />

muss Teil der Daseinsvorsorge<br />

werden, die der Staat für seine<br />

Bürgerinnen und Bürger zu treffen<br />

hat.“ Wenn dafür private Unternehmen<br />

ins Boot geholt werden,<br />

müssen deren Gewinne begrenzt<br />

werden: „Der VdK fordert, dass der<br />

Staat die Kontrolle darüber erlangt,<br />

wie Leistungen der Pflegeversicherung<br />

und Steuergelder in<br />

der stationären Pflege ausgegeben<br />

werden.“<br />

Um hohe Gewinne in Pflegeeinrichtungen<br />

zu erzielen, muss dort<br />

an vielem gespart werden: an Löhnen,<br />

Personalschlüssel, Sauberkeit,<br />

Qualität und Menge des Essens.<br />

Und das auf Kosten der oft<br />

hilflosen Menschen, die in diesen<br />

Einrichtungen leben. Für das Ansehen<br />

der Branche auf dem Finanzmarkt<br />

war das lange egal.<br />

Doch das ändert sich gerade.<br />

Nun kursiert ein Anlegertipp für<br />

eine neue Goldader: Pflege-WGs.<br />

Sichere Mieteinnahmen und Insolvenzschutz<br />

versprächen hohe Erträge<br />

mit wenig Risiko, heißt es.<br />

Die Karawane zieht also weiter.<br />

Dr. Bettina Schubarth<br />

Vertane Chancen beim<br />

49-Euro-Ticket<br />

Seit Anfang <strong>Mai</strong> gibt es das<br />

Deutschlandticket für 49 Euro. Das<br />

bundesweite Angebot für den regionalen<br />

öffentlichen Nahverkehr<br />

scheint allerdings nicht für jeden<br />

verfügbar zu sein.<br />

Das Deutschlandticket ist nur im<br />

Abo und ohne Sozialtarif erhältlich.<br />

Seit das Ticket im Vorverkauf<br />

ist, erreichen den Sozialverband<br />

VdK viele Nachrichten von Mitgliedern,<br />

die Schwierigkeiten haben,<br />

bei ihrem Verkehrverbund<br />

eine Chipkarten-Version des Tickets<br />

zu kaufen. Einige Verkehrsverbünde,<br />

aber auch die<br />

Deutsche Bahn als Großhändler<br />

bieten nur Lösungen an, für die ein<br />

Smartphone nötig ist.<br />

Die Forderung des VdK ist klar:<br />

Nutzerinnen und Nutzer sollen das<br />

deutschlandweite 49-Euro-Ticket<br />

auch ohne Smartphone kaufen<br />

können. Der VdK hatte bei den<br />

Verhandlungen zur Nachfolgelösung<br />

des 9-Euro-Tickets immer<br />

wieder gefordert, dass es Papiertickets<br />

gibt. Dazu hatte der VdK von<br />

Anfang einen günstigeren Sozialtarif<br />

angemahnt.<br />

Pragmatische Lösung<br />

VdK-Präsidentin Verena Bentele<br />

fordert daher: „Die Verkehrspolitiker<br />

müssen hier endlich aktiv<br />

werden. Jetzt müssen pragmatische<br />

Lösungen für alle Fahrgäste her,<br />

wie zum Beispiel Papiertickets.<br />

Menschen ohne Smartphone dürfen<br />

beim Deutschlandticket nicht<br />

ausgeschlossen werden.“ juf<br />

Inflationsausgleich für<br />

Renten gefordert<br />

Trotz Erhöhung halten die Renten<br />

mit der hohen Inflationsrate von<br />

durchschnittlich fast acht Prozent<br />

nicht Schritt.<br />

Die Renten steigen zum 1. Juli in<br />

Westdeutschland um 4,39 Prozent,<br />

in Ostdeutschland um 5,86 Prozent<br />

an. Die Anpassungen werden<br />

allerdings von den hohen Inflationsraten<br />

regelrecht aufgefressen.<br />

Der Sozialverband VdK fordert<br />

daher einen einmaligen Inflationsausgleich<br />

in Höhe von 300 Euro<br />

für alle Rentnerinnen und Rentner.<br />

Dieser Betrag sollte zum 1. Juli mit<br />

den Renten ausgezahlt werden, so<br />

der VdK.<br />

Dazu erklärt VdK-Präsidentin<br />

Verena Bentele: „Wer jeden Tag mit<br />

seiner kleinen Rente rechnen<br />

muss, um Lebensmittel, Energie<br />

und Medikamente zu zahlen, kann<br />

mit einem leeren Geldbeutel nichts<br />

mehr schönrechnen. Diese Menschen<br />

brauchen zusätzliche Unterstützung.“<br />

Einwände, dass für<br />

solche Zahlungen kein Geld da sei,<br />

lässt die VdK-Präsidentin nicht<br />

gelten: „Das Geld ist da: Statt mit<br />

zehn Milliarden aus Steuergeldern<br />

für die sogenannte Aktienrente an<br />

der Börse zu spekulieren, könnte<br />

die Koalition die Not vieler Menschen<br />

lindern.“<br />

Der VdK fordert seit langem,<br />

dass das Rentenniveau deutlich<br />

erhöht werden muss, und zwar auf<br />

mindestens 50 Prozent, idealerweise<br />

53 Prozent. Zudem müssen alle<br />

Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel<br />

gestrichen werden. juf<br />

Corona nur scheinbar vorbei<br />

Langzeiterkrankungen wie Post-Covid als schweres Erbe der Pandemie<br />

Zu den Osterfeiertagen im April<br />

sind nach drei Jahren die letzten<br />

bundesweiten Vorgaben zur Eindämmung<br />

der Corona-Pandemie<br />

ausgelaufen. Für viele Menschen<br />

bedeutet das eine Erleichterung im<br />

Alltag. Allerdings sollte nicht vergessen<br />

werden, dass die Pandemie<br />

mit Langzeiterkrankungen ein<br />

schweres Erbe hinterlässt.<br />

Die Maskenpflicht ist in öffentlichen<br />

Gebäuden, Busse und Bahnen<br />

verschwunden. In einzelnen<br />

Arztpraxen und in Krankenhäusern<br />

kann es noch Vorschriften<br />

zum Tragen von FFP2-Masken<br />

geben. Die kostenlosen Bürgertests<br />

sind weggefallen. Auch die<br />

telefonische Krankschreibung bei<br />

Atemwegserkrankungen gibt es<br />

nicht mehr. Nur die Schutzimpfung<br />

ist noch Leistung der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung.<br />

Nachwirkungen<br />

Risikogruppen wie ältere Menschen sollten weiterhin vor Corona-Infektionen<br />

geschützt werden.<br />

Foto: imago/Zoonar<br />

Der Sozialverband VdK mahnt<br />

weiterhin zu einem verantwortungsbewussten<br />

Handeln zum<br />

Schutz von Risikogruppen. „Wer<br />

beispielsweise seine betagten oder<br />

kranken Eltern zu Hause oder im<br />

Pflegeheim besucht, kann selber<br />

entscheiden, ob er sich vorher testet<br />

oder eine Maske aufsetzt,“ sagt<br />

VdK-Präsidentin Verena Bentele.<br />

Dabei wirkt die Pandemie weiterhin<br />

nach: Bei über 38 Millionen<br />

gemeldeten Infektionen gehen<br />

Fachleute davon aus, dass es immer<br />

noch mindestens eine Millionen<br />

Betroffene in Deutschland<br />

gibt, die an Langzeiterkrankungen<br />

wie Post-Covid leiden. Dazu gibt<br />

es zahlreiche Fälle, bei denen Menschen<br />

an Nebenwirkungen oder<br />

Komplikationen durch die Corona-Schutzimpfungen<br />

(Post-Vac)<br />

leiden. Dem dafür zuständigen<br />

Paul-Ehrlich-Institut wurden bis<br />

zum Oktober 2022 über 333 000<br />

Verdachtsfällen und 50 800 Fälle<br />

mit schwerwiegenden Nebenwirkungen<br />

gemeldet.<br />

Eine, die noch immer an den<br />

Spätfolgen ihrer Corona-Infektion<br />

leidet, ist VdK-Mitglied Angelika<br />

G.*. Im März 2020 war die pharmazeutisch-technische<br />

Assistentin<br />

die erste Infizierte in der fränkischen<br />

Kleinstadt, in der sie wohnt.<br />

Mehrere Rehas hat sie schon<br />

durchlaufen. Die Rentenversicherung<br />

prüft seit fast einem Jahr ihren<br />

Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente.<br />

Alleine gelassen<br />

Ihr wurde von der Berufsgenossenschaft<br />

Covid-19 als Berufskrankheit<br />

anerkannt. Ihr Antrag<br />

für eine Verletztenrente wurde<br />

allerdings bisher abgelehnt. Sie<br />

fühlt sich alleine gelassen: „Ich bin<br />

nicht in der Lage, zu arbeiten.<br />

Stattdessen stehe ich wirtschaftlich<br />

vor dem Aus.“ Während dem<br />

krankheitsbedingten Ausfall wurde<br />

ihr gekündigt, ihr Arbeitslosengeld<br />

läuft im Herbst aus. *Name<br />

der Redaktion bekannt juf<br />

VdK-Podcast:<br />

„In guter Gesellschaft“<br />

Niklas Oppenrieder, Vorstand der<br />

Ärzte-Organisation „PAN International“,<br />

und Frank Bsirske, ehemaliger<br />

Vorsitzender der Gewerkschaft<br />

Verdi, sind die Gesprächspartner<br />

in den nächsten zwei<br />

Folgen des Podcasts „In guter<br />

Gesellschaft“ mit VdK-Präsidentin<br />

Verena Bentele.<br />

Wie kann Ernährung bei der<br />

Bekämpfung sogenannter Volkskrankheiten<br />

helfen – damit beschäftigt<br />

sich die Ärzte-Organisation<br />

„PAN International“. Mediziner<br />

Niklas Oppenrieder erklärt im<br />

Gespräch mit Verena Bentele,<br />

warum er eine Streichung der<br />

Mehrwertsteuer auf auf gesunde<br />

Lebensmittel wie Obst, Gemüse<br />

und Hülsenfrüchte befürwortet<br />

und welche Mythen es rund um<br />

eine gesunde Ernährung gibt.<br />

In einer weiteren Folge spricht<br />

Frank Bsirske, ehemaliger Verdi-<br />

Chef und heutiger Bundestagsabgeordneter<br />

von Bündnis 90/Die<br />

Grünen, mit Verena Bentele über<br />

mögliche Risiken bei den Plänen<br />

der Bundesregierung zur sogenannten<br />

Aktienrente.<br />

Beide Podcast-Folgen sind ab<br />

sofort online unter www.vdk.de/<br />

podcast abrufbar. <br />

juf

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