RhPfalz_Mai_2023
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2 Zeitung <strong>Mai</strong> <strong>2023</strong> Politik<br />
Ältere nicht unter Generalverdacht stellen<br />
VdK lehnt Pflicht-Tests für Autofahrerinnen und -fahrer ab 70 Jahren ab<br />
Der Sozialverband VdK kritisiert den<br />
Plan der Europäischen Kommission,<br />
verpflichtende Fahrtauglichkeitstests<br />
für Seniorinnen und Senioren<br />
einzuführen. Dieses Vorhaben grenze<br />
an Altersdiskriminierung, so VdK-<br />
Präsidentin Verena Bentele.<br />
Die EU-Kommission plant die<br />
Änderung der EU-Führerscheinrichtlinie.<br />
Ziel ist, die vielen unterschiedlichen<br />
Regelungen in den<br />
EU-Ländern zu vereinheitlichen<br />
und die Zahl der Verkehrstoten in<br />
der EU bis 2050 auf null zu senken.<br />
Eine der Maßnahmen könnte eine<br />
regelmäßige Überprüfung der<br />
Fahrtauglichkeit von Seniorinnen<br />
und Senioren ab 70 Jahren sein.<br />
In einigen Nachbarländern gibt<br />
es bereits die Pflicht, ab einem<br />
bestimmten Alter die Fahreignung<br />
überprüfen zu lassen: in Tschechien<br />
ab 60 Jahren und in Dänemark<br />
ab 70 Jahren. In Deutschland wie<br />
auch in Österreich und Frankreich<br />
wird die Fahrtauglichkeit von älteren<br />
Autofahrerinnen und -fahrern<br />
nicht regelmäßig überprüft.<br />
Wer seine Führerscheinprüfung<br />
bestanden hat, erhält in der Regel<br />
eine Fahrerlaubnis auf Lebenszeit.<br />
Viele ältere Autofahrerinnen<br />
und -fahrer sind wegen der aktuellen<br />
Reformpläne der EU verunsichert.<br />
Der VdK weist darauf hin,<br />
dass es sich um Änderungspläne<br />
handelt, die auf EU-Ebene noch<br />
diskutiert werden. Erst in einem<br />
nächsten Schritt gehen sie an das<br />
EU-Parlament und an die Mitgliedsstaaten<br />
zur Beratung. Bevor<br />
Die Pläne der EU, Fahrtauglichkeitstests einzuführen, verunsichern ältere<br />
Autofahrerinnen und Autofahrer.<br />
Foto: picture alliance/dpa/Christin Klose<br />
Änderungen in Deutschland in<br />
Kraft treten, müssen sie erst in<br />
nationales Recht überführt werden.<br />
Ob in Deutschland dann<br />
Fahrtauglichkeitsprüfungen und<br />
ärztliche Untersuchungen eingeführt<br />
werden oder nicht, steht<br />
noch nicht fest.<br />
Erfahren und umsichtig<br />
„Natürlich ist das Absenken der<br />
Unfallzahlen auf deutschen Straßen<br />
ein Ziel, das der VdK teilt“, sagt<br />
Bentele. Ältere Menschen seien im<br />
Verkehr als Fußgänger und Radfahrer<br />
besonders gefährdet. „Es ist aber<br />
der falsche Weg, Menschen ab 70<br />
Jahren unter Generalverdacht zu<br />
stellen, nicht mehr ausreichend<br />
verkehrssicher Auto fahren zu können.“<br />
Pflicht-Tests ab 70 Jahren<br />
„grenzen an Altersdiskriminierung“,<br />
so Bentele. Testverfahren,<br />
die allein die Reaktionsfähigkeit<br />
erfassen und Fahrerfahrung sowie<br />
Urteilsvermögen außer Acht ließen,<br />
seien laut Bentele nur bedingt<br />
aussagekräftig. Tatsächlich zeigen<br />
Fahranfängerinnen und -anfänger<br />
bei Reaktionstests die besten Ergebnisse,<br />
sie sind aber in der Unfallstatistik<br />
auffälliger.<br />
Bentele weist darauf hin, dass<br />
ältere Autofahrerinnen und Autofahrer<br />
in der Regel erfahrener und<br />
umsichtiger im Straßenverkehr<br />
sind. „Statt den geplanten Fahrtauglichkeitstests<br />
braucht es mehr<br />
Beratung und Angebote auf freiwilliger<br />
Basis, um die Fahrtauglichkeit<br />
älterer Menschen zu überprüfen<br />
und sich hierzu informieren zu<br />
können.“ Jörg Ciszewski<br />
KOMMENTAR<br />
Vorbeugen hilft<br />
Sie kennen bestimmt den Sinnspruch:<br />
„Vorbeugen ist besser als<br />
heilen.“ Bei den Krankenkassen<br />
scheint sich das aber noch nicht<br />
herumgesprochen zu haben, wie<br />
ein Blick auf die Ausgabenliste<br />
der gesetzlichen Krankenversicherungen<br />
von 2022 zeigt. Von<br />
100 Euro Krankenversicherungsbeiträgen<br />
fließen 5,34 Euro in<br />
den Posten „Sonstiges“. Darin<br />
enthalten sind unter anderem<br />
„Leistungen für Prävention“.<br />
Ich finde es irritierend, dass Prävention<br />
ihren Platz in der Rubrik<br />
„Sonstiges“ findet. Das klingt<br />
nach: „Ist nicht so wichtig.“ Wie<br />
hoch beziehungsweise niedrig<br />
der Betrag dafür genau ausfällt,<br />
verrät die Statistik nicht. Deutlich<br />
unter fünf Euro, ist zu vermuten.<br />
Also sehr wenig.<br />
Vorsorge- und Reha-Maßnahmen<br />
werden extra ausgewiesen,<br />
mit 1,40 Euro. Auch das ist ein<br />
Mini-Betrag, gerade wenn man<br />
ihn mit den großen Ausgabeblöcken<br />
ins Verhältnis setzt. Diese<br />
sind: Krankenhausbehandlungen,<br />
Arzneimittel und ärztliche<br />
Behandlungen. Insgesamt wurden<br />
2022 dafür 66,65 von 100<br />
Euro ausgegeben.<br />
Vorbeugen ist nicht nur besser<br />
als heilen, sondern auch billiger.<br />
Gebrochene Wirbel kosten mehr<br />
als eine Osteoporoseuntersuchung,<br />
Diabetes mehr als eine<br />
Ernährungsberatung. Mit mehr<br />
Investitionen in Gesundheitsprogramme<br />
in Schulen und Betrieben,<br />
für Eltern oder pflegende<br />
Verena Bentele<br />
VdK-Präsidentin<br />
Angehörige und mehr Bewilligungen<br />
von Reha-Maßnahmen<br />
ließen sich mittel- und langfristig<br />
die weitaus höheren Ausgaben<br />
für teure Operationen und kostspielige<br />
Therapien senken.<br />
Aktuell beklagen Krankenkassen<br />
steigende Kosten und warnen<br />
ihre Versicherten schon einmal<br />
vor höheren Zusatzbeiträgen.<br />
Das wird in diesen schwierigen<br />
Zeiten in vielen Haushalten zu<br />
weiteren Engpässen führen. Die<br />
gesundheitliche Kluft wird noch<br />
größer. Die Eigenbeteiligungen<br />
sind jetzt schon viel zu hoch. Deshalb<br />
lösen viele ihre Rezepte<br />
nicht ein, gehen nicht zur Physiotherapie,<br />
meiden den Zahnarzt,<br />
verzichten auf die Brille oder das<br />
Hörgerät.<br />
Dieses Vermeidungsverhalten<br />
macht die Menschen kränker<br />
und damit das System am Ende<br />
noch teurer. Gespart wird an der<br />
Gesundheit – auf Kosten aller.<br />
Heizmittel-Hilfen<br />
kommen sehr spät<br />
Haushalte, die von starken<br />
Preissteigerungen bei Heizöl, Flüssiggas<br />
oder Holzpellets betroffen<br />
sind, können endlich mit einer Entlastung<br />
rechnen.<br />
Nach langen Verhandlungen<br />
haben sich Bund und Länder auf<br />
Härtefallhilfen geeinigt. VdK-Präsidentin<br />
Verena Bentele kritisiert<br />
die späte Einigung: „Die Hilfen<br />
hätten im Herbst fließen müssen,<br />
als die Menschen ihre Heizmittel<br />
auf Vorrat gekauft haben.“<br />
Um einen Antrag stellen zu können,<br />
müssen sich die Preise für die<br />
Endkunden mindestens verdoppelt<br />
haben. Erstattet werden die Mehrkosten,<br />
die über eine Verdoppelung<br />
hinausgehen, für 80 Prozent<br />
des Vorjahresverbrauchs. Rechnungen<br />
vom 1. Januar 2022 bis<br />
zum 1. Dezember 2022 können<br />
berücksichtigt werden. Die Referenzpreise<br />
sind: für Heizöl 71 Cent<br />
pro Liter, für Flüssiggas 57 Cent<br />
pro Liter, für Holzpellets 24 Cent<br />
pro Kilogramm. Zuschüsse von bis<br />
zu 2000 Euro sind möglich, Voraussetzung<br />
ist ein Erstattungsbetrag<br />
von mindestens 100 Euro. In<br />
den nächsten Wochen wollen die<br />
Bundesländer darüber informieren,<br />
wo Verbraucherinnen und<br />
Verbraucher jeweils Anträge stellen<br />
können.<br />
Preisbremsen für Strom und leitungsgebundenes<br />
Gas sind längst<br />
in Kraft, hier gibt es weiterhin<br />
keine Härtefallregelungen für<br />
Menschen, die unter diesen hohen<br />
Preise leiden. <br />
juf<br />
Für soziale Gerechtigkeit<br />
Bundesverbandstag des Sozialverbands VdK<br />
Vom 15. bis 17. <strong>Mai</strong> kommen rund<br />
200 Delegierte aus den 13 VdK-<br />
Landesverbänden zum 19. Ordentlichen<br />
Bundesverbandstag des<br />
Sozialverbands VdK Deutschland<br />
in Berlin zusammen. Wegen der<br />
Corona-Pandemie musste die<br />
Großveranstaltung um ein Jahr auf<br />
<strong>2023</strong> verschoben werden.<br />
Der Bundesverbandstag des VdK<br />
steht unter dem Motto „Wir für<br />
soziale Gerechtigkeit!“. In Berlin<br />
werden die Delegierten aus den<br />
Landesverbänden die sozialpolitischen<br />
Weichen für die Zukunft des<br />
Verbands stellen.<br />
Verena Bentele, die den VdK<br />
seit dem Jahr 2018 erfolgreich<br />
führt, wird sich den Delegierten<br />
Alle vier Jahre wählen die Delegierten<br />
die Vertreterinnen und Vertreter<br />
der VdK-Führungsgremien.<br />
Foto: Thomas Rosenthal<br />
erneut zur Wahl stellen. Daneben<br />
wählen diese ihre Vertreterinnen<br />
und Vertreter im Präsidium, im<br />
Bundesausschuss, im Schiedsgericht<br />
und für die Revision. Sie<br />
stimmen über die sozialpolitischen<br />
Grundpositionen ab, die für<br />
die Arbeit des VdK in den nächsten<br />
vier Jahren ausschlaggebend<br />
sein werden. Zudem befassen sie<br />
sich mit Organisations- und Satzungsfragen.<br />
Abschlussveranstaltung<br />
Auf der großen Abschlussveranstaltung<br />
am 17. <strong>Mai</strong> kann der VdK<br />
dann prominente Gäste begrüßen:<br />
Neben Bundesgesundheitsminister<br />
Karl Lauterbach werden auch Ricarda<br />
Lang, Bundesvorsitzende<br />
von Bündnis 90/Die Grünen,<br />
Pascal Kober, sozialpolitischer<br />
Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion,<br />
Mario Czaja, CDU-Generalsekretär,<br />
sowie Janine Wissler,<br />
Vorsitzende der Linken, kommen.<br />
Der VdK wird auf seiner Webseite<br />
direkt vom Bundesverbandstag<br />
berichten. Dort wird auch die Abschlussveranstaltung<br />
am 17. <strong>Mai</strong><br />
live übertragen. Zudem wird er in<br />
den sozialen Medien Facebook,<br />
Twitter, YouTube und Instagram<br />
informieren.<br />
Mit seinen über 2,2 Millionen<br />
Mitgliedern ist der VdK eine starke<br />
Lobby gegenüber der Politik. Er<br />
setzt sich auch zukünftig für einen<br />
gerechten Sozialstaat in Deutschland<br />
ein.<br />
ken<br />
Inflation setzt Familien unter Druck<br />
Große Zustimmung für Kindergrundsicherung<br />
In der Bevölkerung gibt es große<br />
Zustimmung für die Einführung einer<br />
Kindergrundsicherung und eine<br />
Lohnersatzleistung für pflegende<br />
Angehörige. Das geht aus dem<br />
Familienbarometer des Bundesfamilienministeriums<br />
hervor.<br />
Eltern mit minderjährigen Kindern<br />
machen sich wegen der steigenden<br />
Preise für Lebensmittel,<br />
Energie und Miete große Sorgen.<br />
Das gaben 93 Prozent der Befragten<br />
im Rahmen einer Untersuchung<br />
für das Familienbarometer<br />
im Auftrag des Bundesfamilienministeriums<br />
an.<br />
Die Ergebnisse zeigen zudem:<br />
Die Erwartung, dass der Sozialstaat<br />
Armut bekämpft und gute<br />
Startchancen für alle Kinder fördert,<br />
ist hoch. 70 Prozent der Bevölkerung<br />
sehen die Familienpolitik<br />
in der Pflicht, gegen Kinderarmut<br />
vorzugehen. Dabei räumen<br />
75 Prozent der Eltern mit minderjährigen<br />
Kindern der Einführung<br />
der von der Ampel-Koalition geplanten<br />
Kindergrundsicherung<br />
einen hohen Stellenwert ein. Die<br />
Umfrageergebnisse des Familienbarometers<br />
zeigen, dass sich viele<br />
Befragte von der Kindergrundsicherung<br />
Sicherheit und Stabilität<br />
erhoffen. Mit ihr sollen Familien<br />
in wirtschaftlich prekären Lagen<br />
gestärkt und Kinderarmut reduziert<br />
werden.<br />
Ein weiteres Ergebnis der Studie<br />
ist, dass 49 Prozent der Gesamtbevölkerung<br />
und 56 Prozent der Eltern<br />
mit Kindern unter sechs Jahren<br />
erwarten, dass Familienpolitik<br />
Eltern bei einer gleichmäßigen<br />
Aufteilung von Kinderbetreuung<br />
und Beruf unterstützt.<br />
Längst beschränkt sich die Frage<br />
der Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie nicht mehr ausschließlich<br />
auf die Kinderbetreuung, sondern<br />
umfasst auch die Versorgung pflegebedürftiger<br />
Eltern und anderer<br />
Angehörige. Zwei Drittel der Bevölkerung<br />
können sich grundsätzlich<br />
vorstellen, Angehörige zu<br />
pflegen. Eine überwältigende<br />
Mehrheit von 75 Prozent wünscht<br />
sich eine Lohnersatzleistung für<br />
pflegende Angehörige. cis<br />
Drei Viertel der Eltern befürworten<br />
eine Kindergrundsicherung. <br />
Foto: picture alliance/dpa/Christin Klose