SMZ Liebenau Info Nov_2011
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ene mene mu …<br />
wie gesund bist du?<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong>
in dieser ausgabe<br />
mitarbeiterinnen<br />
des <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
Dr. Rainer Possert<br />
Arzt für Allgemeinmedizin<br />
Psychotherapeut<br />
Dr. Gustav Mittelbach<br />
Arzt für Allgemeinmedizin<br />
Psychotherapeut<br />
Dipl. PT Heilwig<br />
Possert-Lachnit, MSc<br />
Physiotherapeutin<br />
editorial 01<br />
Ene mene mu...<br />
... Wie gesund bist du? 02<br />
... Wie gesund darfst du einmal werden? 08<br />
Dr. Inge Zelinka-Roitner<br />
Soziologin<br />
DSA Heike Gremsl<br />
Sozialarbeiterin<br />
DR. Florian Müller<br />
Turnusarzt<br />
Ungleichheit von Anfang an 12<br />
Was kann die schule tun?<br />
Kann die schule etwas tun? 15<br />
Gesundheitliche Benachteiligung 17<br />
im Kindheits- und Jugendalter<br />
angebote des smz liebenau 21<br />
Mag. Karin Ettl<br />
Verwaltung<br />
Karin Sittinger<br />
Arzthelferin<br />
Birgit Paller, MA<br />
Sozialarbeiterin<br />
Michaela Spari<br />
Assistentin<br />
Dr. Ulrike Körbitz<br />
Psychoanalytikerin<br />
Krista Mittelbach<br />
Psychotherapeutin<br />
DSA Theresa Augustin<br />
Psychotherapeutin<br />
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER: <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong>, <strong>Liebenau</strong>er Hauptstraße 102-104 a, 8041 Graz<br />
TEL 0699 180 84 375 F (0316) 462340-19<br />
Email smz@smz.at Homepage www.smz.at vereinsregister ZVR: 433702025<br />
REDAKTION: Dr. Rainer Possert, Mag. a Dr. in Inge Zelinka-Roitner<br />
FOTOS: S.1, S.6, S.11, S.13, S.14: Rainer Possert/<strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong>; S.16: Styria Vitalis;<br />
Cover, S.5, S.7, S.9, S.16: fotolia.com<br />
LAYOUT + SATZ CUBA, graz www.cubaliebtdich.at<br />
DRUCK Druckerei Bachernegg GmbH, Kapfenberg AUFLAGE 1.700 Stk.<br />
Dr. Wolfgang Sellitsch<br />
Jurist
Editorial<br />
Mein besonderer Dank gilt unseren GastautorInnen<br />
Sabine Haring, Christoph Pammer,<br />
Angela Kaltenböck-Luef und Doris Kuhness,<br />
die trotz ihrer vielfältigen Verpflichtungen Zeit<br />
gefunden haben, dieses <strong>SMZ</strong>-INFO wesentlich<br />
zu gestalten.<br />
Die Fakten lassen sich nicht wegdiskutieren:<br />
soziale Ungleichheit – ein vornehmer Ausdruck<br />
für Klassenunterschied – und das damit<br />
verbundene höhere Krankheitsrisiko – besteht<br />
bereits im Volksschulalter. Diese Krankheitsanfälligkeit<br />
beginnt jedoch bereits mit der<br />
Geburt und ist, bezieht man sich auf Pierre<br />
Bourdieus Habitustheorie, in den Geist und<br />
den Körper eingeschrieben und wird in<br />
Bildungseinrichtungen weiter verfestigt.<br />
Dass die Veränderung des so genannten<br />
Gesundheitsverhaltens (Ernährung, Bewegung<br />
etc.) durch Appelle an die einzelnen Personen<br />
kaum möglich ist, ist unter ExpertInnen unbestritten,<br />
bestenfalls wird damit die Mittel- und<br />
Oberschicht erreicht (Wendt/ Wolf, Soziologie<br />
der Gesundheit, Wiesbaden 2006, S.97).<br />
Schulen können jedoch eine wichtige Rolle<br />
in der Gesundheitsförderung spielen, wenn<br />
den SchülerInnen Möglichkeiten zur Partizipation<br />
und zu Empowerment im Sinne einer<br />
Hilfe zur Selbstbestimmung geboten werden,<br />
wie aus einer Studie der WHO, die in 36 Ländern<br />
– darunter auch in Österreich – durchgeführt<br />
wurde, hervorgeht („Health behaviour in<br />
school-aged children“).<br />
Die AutorInnen unsere <strong>Info</strong>s sind sich darin<br />
einig, dass die wichtigsten Maßnahmen auf<br />
gesellschaftlicher Ebene getroffen werden<br />
müssen und bringen auch eine Reihe von konkreten<br />
Vorschlägen.<br />
Dass zu deren Realisierung finanzielle Mittel<br />
notwendig sind, die jedoch angesichts der<br />
„Krisen“ der „Finanzmärkte“ mittels so genannter<br />
„Sparpakete“ verknappt werden, ist die andere<br />
Seite der Medaille.<br />
Da nützt es nichts, wenn am „Weltkindertag“<br />
am 20.11.<strong>2011</strong> in den Medien Krokodilstränen<br />
über das Schicksal von armen Kindern vergossen<br />
werden, wenn die gleichen Medien seit<br />
Wochen und Monaten unseren PolitikerInnen<br />
zu Füßen liegen, wenn diese neue „Sparpakete“<br />
verkünden, die immer die Ärmeren<br />
am meisten belasten.<br />
Rainer Possert<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
01
Wie gesund bist du...?<br />
ene mene mu –<br />
wie gesund bist du…?<br />
Sabine Haring, Inge Zelinka-Roitner<br />
02<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
Zahlreiche Studien belegen, dass Krankheiten<br />
und gesundheitliche Beeinträchtigungen im Erwachsenenalter<br />
zum Teil auf die gesundheitliche<br />
und soziale Lage im Kindesalter zurückführbar<br />
sind.<br />
Bestimmte Einstellungen, Verhaltensweisen und<br />
Gewohnheiten, aber auch die Zugehörigkeit zu<br />
Vereinen, Interessensverbänden und Bildungseinrichtungen<br />
werden von Kindheit an „gelernt“<br />
oder eben „nicht gelernt“. Damit werden auch<br />
gesundheitliche Ungleichheiten sozusagen weiter<br />
vererbt.<br />
Dies betrifft sowohl die Verhaltens- als auch<br />
die Verhältnisebene: Kinder aus Familien mit<br />
höherem Einkommen ernähren sich gesünder,<br />
bewegen sich mehr, sind häufiger Mitglieder in<br />
Sport- und Kulturvereinen, lesen mehr Bücher<br />
etc. All diese Verhaltensweisen wirken sich positiv<br />
auf den Gesundheitszustand aus, so unsere<br />
Annahme. Außerdem prägen die „äußeren“ Verhältnisse:<br />
Schlechte Wohnbedingungen, Schimmelbildung<br />
und Feuchtigkeit im Wohnraum, wenig<br />
Grün- und Bewegungsraum sowie Lärm- und<br />
Verkehrsbelastung wirken sich negativ auf den<br />
Gesundheitszustand aus.<br />
Neueste Daten<br />
15 StudentInnen des Instituts für Soziologie<br />
beschäftigten sich im vergangenen Studienjahr<br />
unter unserer Leitung eingehend damit, den<br />
Zusammenhang zwischen gesundheitlicher Ungleichheit<br />
im Volksschulalter, sozialer Lage und<br />
Segregation im Stadtgebiet für den Raum Graz<br />
zu erforschen.<br />
Nach eingehender Literaturrecherche und Erfassung<br />
der regionalen Forschungsdaten zur Kindergesundheit<br />
stellten wir fest, dass es für die<br />
Steiermark kaum Daten aus direkten Erhebungen<br />
gibt. Der Kinder- und Jugendgesundheitsbericht<br />
des Landes stützt sich auf Sekundärdaten,<br />
die zum Teil aus der HBSC-Studie (Health Behaviour<br />
in Schoolaged Children) für Österreich<br />
stammen. Dabei wurden aber eher Jugendliche<br />
als Kinder erfasst, nämlich 11,- 13- und 15-jährige<br />
SchülerInnen.<br />
Für die Stadt Graz gibt es umfassende Daten aus<br />
den schulärztlichen Untersuchungen an Volksschulen,<br />
die flächendeckend durchgeführt wurden.<br />
Einige dieser Daten wurden uns von der Leiterin<br />
des schulärztlichen Dienstes, Dr. Veronika<br />
Zobel, zur Verfügung gestellt. Da wir davon<br />
ausgingen, dass sich Unterschiede im Gesundheitszustand<br />
von Kindern bereits im Volksschulalter<br />
zeigen und sich später noch deutlicher im<br />
Übergang zu Hauptschule bzw. Gymnasium<br />
manifestieren, wollten wir die Volksschulkinder<br />
selbst sowie deren Eltern dazu befragen.<br />
Wir wählten dazu exemplarisch drei Grazer<br />
Volksschulen aus, die in unterschiedlichen Stadtgebieten<br />
liegen: die Volksschule Mariagrün, idyllisch<br />
auf einem Hügel im Bezirk Mariatrost gelegen,<br />
die Volksschule Berlinerring im Bezirk Ries<br />
am Rande einer Hochhaussiedlung im Grünen<br />
und die Volksschule Schönau im dicht bebauten<br />
Schönauviertel.<br />
Was braucht man, um gesund zu sein?<br />
Wir entwickelten Fragebögen, die von 236 Eltern<br />
und 275 Kindern beantwortet wurden. Die Verteilung<br />
nach Schulen war dabei ungefähr gleich.<br />
Außerdem wurden noch 15 Interviews mit ExpertInnen<br />
aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich<br />
geführt. Die Fragen beinhalteten verschiedene<br />
Dimensionen von Gesundheit und richteten sich<br />
nach dem von uns entwickelten Gesundheitsbegriff,<br />
der, wie in der folgenden Graphik ersichtlich<br />
ist, unterschiedliche – sowohl Widerstandsressourcen<br />
als auch Problemlagen beeinflussende<br />
– Dimensionen umfasst. Diese bestimmen mit,<br />
ob sich jemand gesund oder krank fühlt sowie<br />
als eher gesund oder krank eingestuft wird.
Wie gesund bist du...?<br />
Gesundheitliche<br />
Ungleichheit<br />
WIDERSTANDSRESSOURCEN<br />
PROBLEMLAGE<br />
Lebensumstände<br />
Räumliches<br />
Umfeld<br />
Materielles<br />
Wohlbefinden<br />
PHYSISCHES<br />
WOHLBEFINDEN<br />
KÖRPER-<br />
BEWUSSTSEIN<br />
PSYCHISCHES<br />
WOHLBEFINDEN<br />
EMOTIONEN<br />
Soziale<br />
Beziehungen<br />
Freizeitverhalten<br />
Soziale Ungleichheit<br />
Interessant war, dass auch die von uns befragten<br />
Eltern einen recht umfassenden Gesundheitsbegriff<br />
anwandten. Auf die Frage<br />
„Wann sind Kinder für Sie gesund?“ erhielten<br />
wir Antworten wie „Wenn sie fröhlich,<br />
aufgeweckt, sportlich aktiv, glücklich, zufrieden<br />
sind.<br />
Wenn sie lachen, spielen, sich im Freien<br />
aufhalten, sich gesund und ausgewogen ernähren,<br />
Spaß in der Schule haben.“<br />
Gesundheit wird also nicht nur rein körperlich<br />
gesehen, es ist den Eltern auch wichtig,<br />
dass ihre Kinder emotional gesund sind und<br />
ein positives Freizeitverhalten an den Tag<br />
legen.<br />
Soziale Ungleichheit nach<br />
Schulstandort<br />
Man weiß mittlerweile, dass ein niedriger<br />
sozioökonomischer Status mit einer höheren<br />
Wahrscheinlichkeit einhergeht, krank zu<br />
werden und früher zu sterben. Uns interessierte<br />
daher die sozioökonomische Zusammensetzung<br />
der von uns befragten Schüler-<br />
Innen je nach Schulstandort.<br />
An der Volksschule Mariagrün gehören<br />
über 80% der Kinder den beiden höchsten<br />
Statusklassen an, an der Volksschule Berlinerring<br />
über 50% und an der Volksschule<br />
Mariagrün nur knapp 1%.<br />
Man wird den beiden höchsten Statusklassen<br />
zugerechnet, wenn mindestens drei der<br />
folgenden Merkmale zutreffen: ein Haushaltseinkommen<br />
von mindestens € 2500<br />
netto monatlich, Matura bzw. Hochschule<br />
als höchster Bildungsabschluss, eine<br />
Wohnfläche von über 100m 2 , mindestens<br />
2mal pro Jahr Urlaub außer Haus.<br />
An der Volksschule Schönau können hingegen<br />
über 60% der Kinder der niedrigsten<br />
Statusklasse zugerechnet werden. Zur<br />
niedrigsten Statusklasse gehört man, wenn<br />
mindestens drei der folgenden Merkmale<br />
zutreffen: eine Einkommensgrenze von<br />
€ 1250,- monatlich, Pflicht- bzw. Hauptschulabschluss<br />
als höchster Bildungsabschluss<br />
der Eltern, eine Wohnfläche von<br />
höchstens 83m 2 und nie bzw. einmal pro<br />
Jahr Urlaub außer Haus.<br />
84,2% der Kinder an der Volksschule Berlinerring<br />
gaben an, dass sie genug Geld haben,<br />
kein Kind an dieser Schule wählte die<br />
Kategorie „uns geht es mit dem Geld nicht<br />
so gut“. An der Volksschule Schönau gaben<br />
56,6% der Kinder an, genug Geld zu haben,<br />
aber immerhin 7,2% der Kinder meinten,<br />
ihnen gehe es mit dem Geld nicht so gut.<br />
43% der Kinder an der Volksschule Schönau<br />
meinten, viele Familien könnten sich<br />
mehr leisten als sie. An den beiden anderen<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
03
»<br />
Wie gesund bist du...?<br />
»<br />
Wann sind Kinder für sie Gesund?<br />
Wenn sie fröhlich, aufgeweckt, sportlich<br />
aktiv, glücklich und zufrieden sind!<br />
Schulen waren dies nur um die 25%. Im Hinblick<br />
auf die Wohnsituation hegten die Kinder und Eltern<br />
aus den Bezirken <strong>Liebenau</strong> und Jakomini<br />
(das Einzugsgebiet der Volksschule Schönau)<br />
viel eher den Wunsch, in eine „bessere“ Wohngegend<br />
umzuziehen, als die Kinder aus Bezirken<br />
wie Ries und Mariatrost.<br />
Unterschiede zeigten sich auch massiv in der<br />
Freizeitgestaltung. So gaben an der Volksschule<br />
Schönau 66,7% der Kinder an, niemals mit ihrer<br />
Familie gemeinsam kulturelle Veranstaltungen<br />
oder Museen zu besuchen, an den beiden anderen<br />
Schulen war die Zahl nur halb so groß.<br />
Körperliche Gesundheit und<br />
Ungleichheit:<br />
Auf die Frage, wie oft sie Kopfschmerzen hätten,<br />
antworteten je 3,2% der Kinder in der Volksschule<br />
Mariagrün und Berliner Ring mit „oft“, in<br />
der Volksschule Schönau waren dies beinahe<br />
dreimal so viel, nämlich 11,6%. Aus der niedrigsten<br />
Statusklasse gaben 47,5% der Kinder an,<br />
oft Fastfood zu essen, während dies nur 15,2%<br />
der Kinder aus der höchsten Statusklasse taten.<br />
61% der Kinder aus der niedrigsten Statusklasse<br />
gaben an, sportlicher sein zu wollen, was<br />
darauf hindeutet, dass ein Problembewusstsein<br />
durchaus vorhanden ist, aber offensichtlich die<br />
Möglichkeit fehlt, dieses Problem anzugehen. In<br />
der höchsten Statusklasse wären nur 20,6% der<br />
Kinder gerne sportlicher.<br />
Ungleiche Freizeitgestaltung<br />
Auf die Frage „machst Du Sport in einem Verein“<br />
antworteten 62,8% der Kinder in Mariagrün und<br />
54,8% der Kinder an der Volksschule Berliner<br />
Ring mit „ja“, aber nur 33,7% der Kinder an der<br />
Volksschule Schönau. Die Sozialisation in sozialen<br />
und sportlichen Netzwerken beginnt also<br />
sehr früh. Bereits im Volksschulalter wird damit<br />
eine Trennlinie zwischen jenen, die gesellschaftlich<br />
organisiert sind, und jenen, die sich weniger<br />
zusammenschließen, vollzogen. Das Selbst-<br />
Aktivwerden im Vereinsleben stellt, abgesehen<br />
vom „Netzwerken“, ebenfalls einen gesundheitlichen<br />
Vorteil dar.<br />
Wunsch nach Umzug in eine bessere Wohngegend<br />
%<br />
60<br />
56,7 57,2<br />
50<br />
40<br />
34,3<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
8<br />
9,1<br />
3,6 2,3 2,4 2,9<br />
2,4<br />
Geidorf<br />
Jakomini<br />
21,4<br />
<strong>Liebenau</strong> Mariatrost Ries Waltendorf<br />
Eltern<br />
9,1<br />
Kinder<br />
04
schwerpunkt „ZU VIEL"<br />
Höchst brisant sind auch die Daten zum<br />
Fernsehkonsum: Während in der vierten<br />
Statusklasse (also niedrigstes Einkommen,<br />
niedrigster Bildungsstatus der Eltern, kleinste<br />
Wohnfläche) 61,5% der Kinder täglich<br />
mehr als eine Stunde fernsehen, sind dies<br />
in der ersten Statusklass nur halb so viele,<br />
nämlich 30,3%.<br />
Hinsichtlich des Bewegungsverhaltens im<br />
Freien gilt Ähnliches: Auf die Frage, ob das<br />
Kind im Grünen spielen kann, antwortete<br />
niemand aus der VS-Mariagrün mit „nein“.<br />
An der VS-Berlinerring war das Ergebnis<br />
ähnlich, nur 1,3% der Kinder meinten, sie<br />
könnten nicht im Grünen spielen. An der<br />
VS-Schönau verneinten aber immerhin<br />
12,7% der Kinder die Frage.<br />
Auch das Lesen, eine Schlüsselfähigkeit,<br />
um später im Bildungswesen voranzukommen<br />
und gesellschaftlich anerkannte und<br />
besser bezahlte Positionen zu erlangen,<br />
ist stark abhängig vom sozioökonomischen<br />
Status: In den ersten beiden, höheren Statusklassen<br />
gaben 68,1% der Kinder an, in<br />
ihrer Freizeit gerne zu lesen. In den beiden<br />
niedrigeren Statusklassen waren dies nur<br />
halb so viele, nämlich 31,9% der Kinder.<br />
Was tun?<br />
Lösungsansätze müssten in erster Linie<br />
darauf abzielen, eine Ghettoisierung in<br />
Stadtgebieten zu vermeiden und bereits<br />
bei der Stadtplanung darauf zu achten,<br />
dass Gemeindewohnungen und leistbare<br />
Wohnungen für größere Familien nicht nur<br />
in bestimmten Stadtteilen konzentriert sind.<br />
Dies würde allerdings langfristige Planung<br />
und politischen Weitblick erfordern.<br />
Zwei eher kurz- bis mittelfristige Maßnahmen<br />
haben wir im Anschluss an unsere Studie<br />
gefordert:<br />
Die eine ist in der Gesundheitsförderungslandschaft<br />
allgemein anerkannt, nämlich<br />
Geld ganz gezielt dort zu investieren,<br />
wo es gebraucht wird: in benachteiligten<br />
Stadtteilen und in Schulen, die besonders<br />
belastet sind. Hier braucht man mehr LehrerInnen,<br />
SchulpsychologInnen, Schulsozialarbeit,<br />
eine/n fixe AnsprechpartnerIn für<br />
Gesundheit etc.<br />
Die zweite Maßnahme ist weit weniger akzeptiert<br />
und stößt sowohl bei ExpertInnen<br />
als auch Eltern auf großen Widerstand,<br />
nämlich eine andere Verteilung von SchülerInnen<br />
im Stadtgebiet. Dies würde bedeuten,<br />
dass man Quoten setzen muss und<br />
z.B. pro Klasse nicht mehr als fünf Kinder<br />
mit nicht-deutscher Muttersprache zulässt<br />
und dass man auch sozial durchmischt. In<br />
einer (relativ kleinen) Stadt wie Graz wäre<br />
das durchaus möglich.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
05
Wie gesund bist du...?<br />
»<br />
Das Selbst-Aktivwerden im Vereinsleben stellt,<br />
abgesehen vom „Netzwerken“,<br />
einen gesundheitlichen Vorteil dar<br />
Es ist natürlich politisch äußerst brisant, dies<br />
umzusetzen. Und es ist durchaus nicht so gemeint,<br />
dass „die Ausländer“ verteilt werden und<br />
„die Anderen“ die Schulen wählen können. Es<br />
würde im Gegenteil bedeuten, dass alle Kinder<br />
– wie am Land üblich - einem bestimmten Schulsprengel<br />
zugeteilt werden, der nicht zu weit entfernt<br />
von ihrem Wohnort ist. Es würde aber auch<br />
bedeuten, dass man als Elternteil flexibler sein<br />
muss und sein Kind vielleicht nicht in die nächstgelegene<br />
Volksschule schicken könnte.<br />
Im Stadtgebiet sind fast alle Schulen mit öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln gut erreichbar. Ein Argument<br />
dagegen hört man gerade von privilegierten<br />
Eltern oft: Das Kind soll die Möglichkeit haben,<br />
in der Nähe der eigenen Wohngegend mit<br />
den aus dem Kindergarten bekannten Freunden<br />
in die Schule zu gehen. Aber gerade viele privilegierte<br />
Eltern schicken ihre Kinder dann weit weg<br />
in Waldorf- oder Modellschulen, ins Sacré Coeur<br />
oder in eine andere Privatschule, weil sie dort<br />
Gleichgesinnte vermuten.<br />
Auch beim Thema Ganztagsschule gibt es gesellschaftliche<br />
Widerstände: Die Kinder würden<br />
ihren Eltern „entrissen“, die Erziehung nur mehr<br />
dem Staat übertragen, so heißt es (nicht nur) in<br />
christlich-konservativen Kreisen. Aber: gerade<br />
kirchliche Institutionen bieten seit Generationen<br />
Ganztagsschulen und Internate für ihre Sprösslinge<br />
an und gerade betuchtere Eltern, die gute<br />
Jobs haben, nehmen Nachmittagsbetreuung<br />
und Horte in Anspruch. Misst man hier nicht mit<br />
zweierlei Maß? Geht es letzten Endes nur<br />
darum, „unter sich“ zu bleiben und mit dem „Pöbel“<br />
nicht mehr als nötig in Kontakt zu kommen?<br />
Will man Probleme wirklich angehen und nicht<br />
nur Lippenbekenntnisse abgeben, muss man<br />
auch heiße Eisen anfassen und sich nicht darum<br />
kümmern, ob diese politisch eher „links“ oder<br />
„rechts“ besetzt sind.<br />
Niki Glattauer, Journalist, Autor und Lehrer, äußerst<br />
sich in diesem Zusammenhang in einem<br />
Interview in der Kleinen Zeitung: „Wir haben<br />
Ghettoschulen und Restschulen, nicht nur in<br />
Wien, auch in Graz, Salzburg, Linz, Dornbirn<br />
und Mattersburg. Dort sitzen viele Kinder mit<br />
anderen Muttersprachen, die wir in dieselben<br />
Schulen zusammenpferchen. Und dann wundern<br />
wir uns, dass wir sie nicht mehr richtig beschulen<br />
können.“ […]<br />
Der deutschtürkische Schriftsteller Zaimoglu<br />
meint dazu: „Türkische Kinder, die in Klassen<br />
sind, wo nur zwei, drei Kinder Deutsch sprechen,<br />
das sei eine Katastrophe.’ Kinder müssen<br />
aufgeteilt werden, aber man tut es nicht, weil<br />
man sich fürchtet vor den Bürgern, die dann auf<br />
die Straße gehen und dagegen protestieren, so<br />
wie gegen die Moscheen.“ 1<br />
Die Studierenden:<br />
Matthias Dohr, Guido Ebner, Karin Fließer,<br />
Annemarie Fraissler, Julia Gehrerstorfer, Tobias<br />
Jesenitschnig, Carina Körbler, Violetta Krasnici,<br />
Caroline Milinkovic, Anna-Lisa Schwarz, Margit<br />
Strobl, Sigrid Verhovsek, Hannah Volk, Cristina<br />
Volpe, Cathrin Wolff<br />
06<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
1<br />
Das Sonntags-Interview, Kleine Zeitung 11. September <strong>2011</strong>, S. 6-7.
schwerpunkt „ZU VIEL"<br />
<strong>SMZ</strong> INFO dezember 2010<br />
03
Wie gesund darfst du einmal werden<br />
ene mene mu –<br />
Wie gesund darfst Du<br />
einmal werden?<br />
Christoph Pammer<br />
08<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
Das Forschungspraktikum des Instituts für Soziologie<br />
hat Beachtliches geleistet und zu Tage<br />
gebracht. Während in der fortwährenden politischen<br />
Diskussion über die „Gesamtschule“ zu<br />
Recht argumentiert wird, dass das Bildungssystem<br />
nicht im Alter von 11 Jahren eine Trennung<br />
in Schultypen und dadurch eine soziale<br />
Trennung und eine ungleiche Ausstattung mit<br />
Zukunftschancen für die Schüler/innen mit sich<br />
bringen darf, wird die soziale Ungleichheit im<br />
Volksschulalter geflissentlich ausgespart bzw.<br />
wird die Volksschule verkürzt so dargestellt, als<br />
handle es sich um eine Gesamtschule mit geringen<br />
sozialen Unterschieden.<br />
Wie groSS sind die sozialen Unterschiede<br />
bereits in der Volksschule?<br />
Während 86 % der Eltern von Kindern in der<br />
Volksschule Mariagrün angeben, über mehr als<br />
€ 2500,- Haushaltsnettoeinkommen zu verfügen,<br />
sind dies in der Volksschule Schönau gerade<br />
einmal 12,3 %. Mehr als die Hälfte der Eltern<br />
(60 %) der Eltern in der Volksschule Schönau<br />
verfügen über weniger als € 2000 netto.<br />
So fahren 62 % der Volksschulkinder in Mariagrün<br />
drei Mal und öfter im Jahr auf Urlaub, andererseits<br />
ist dieses Vergnügen in der Volksschule<br />
Schönau der Hälfte der Kinder nur ein Mal im<br />
Jahr oder nie (12 %) gegönnt.<br />
Erwartungsgemäß sind nahezu alle erhobenen<br />
Krankheitsdaten der Volksschulkinder in Mariagrün,<br />
Schönau und am Berliner Ring sozial ungleich<br />
verteilt, was die Ergebnisse der angehenden<br />
Soziologen in den Bereichen körperliche,<br />
psychische und soziale Gesundheit belegen.<br />
Viel mehr kranke Kinder in Schönau als<br />
in Mariagrün<br />
Doppelt so viele Kinder in Schönau geben an, oft<br />
krank zu sein, hier sind beispielsweise die Daten<br />
über das psychische Wohlbefinden der Kinder<br />
Besorgnis erregend. Es gibt viel seltener familiäre<br />
Aktivitäten, auch am Wochenende.<br />
Die Mariagrüner Eltern sowie die Eltern der Kinder<br />
am Berliner Ring beurteilen den familiären<br />
Zusammenhalt zu mehr als 90 % als „stark“<br />
oder „sehr stark“, in Schönau sind dies nur etwas<br />
mehr als die Hälfte. Die Eltern benachteiligter<br />
Kinder geben weit häufiger an, depressive<br />
Verstimmungen, Angst und Wutanfälle bei ihren<br />
Kindern wahrzunehmen.<br />
Die sozialen Unterschiede zeigen sich auch im<br />
Gesundheitsverhalten. Sozial benachteiligte<br />
Volksschulkinder ernähren sich schlechter und<br />
sind weit seltener in einem Sportverein aktiv, dafür<br />
rauchen in Schönau doppelt so viele Personen<br />
im nahen Umfeld, die mit dem Kind zusammenleben<br />
wie in Mariagrün.<br />
Und auch was die Verteilung der Gesundheitsressourcen<br />
betrifft, belegt die Untersuchung klar,<br />
dass sich in den untersuchten Stadtteilen unterschiedliche<br />
Milieus ansiedelten und damit stark<br />
unterschiedliche Lebensstile vorzufinden sind,<br />
wenngleich diese mit dem Einkommen zusammenhängen.<br />
Was tun?<br />
Die Studierenden betonen in „ene mene mu –<br />
wie gesund bis du?“, dass es nicht der durchschnittliche<br />
Reichtum einer Gesellschaft ist, von<br />
dem die Gesundheit wesentlich abhängt (hier<br />
liegt Österreich sehr gut), sondern dass es das<br />
Ausmaß der sozialen Ungleichheit ist, (also der<br />
gesellschaftliche Unterschied zwischen Arm und<br />
Reich), das die Lebenserwartung in einer Gesellschaft<br />
und den Zuwachs an „Lebensjahren in<br />
guter Gesundheit“ bedingt.<br />
Chancengleichheit stärken<br />
Soziale und gesundheitliche Ungleichheit<br />
(Lebenserwartungsunterschiede von bis zu 10<br />
Jahren!) müssen in der Gesundheitsförderung<br />
mitgedacht werden, um Probleme der Kindergesundheit<br />
an ihren Wurzeln zu packen! Hier bestehen<br />
zwei politische Möglichkeiten: Man kann<br />
weiterhin soziale Ungleichheit durch Umverteilungspolitik<br />
abschwächen und sonst nicht viel tun.
schwerpunkt „ZU VIEL"<br />
Eine der Grundfragen für eine Gleichheitspolitik<br />
(die per se eine Gesundheitspolitik<br />
wäre) hat mit den Lebenschancen zu tun,<br />
die Kinder in unserer Gesellschaft vorfinden.<br />
Es liegt in der öffentlichen Verantwortung für<br />
einen Ausgleich in Bildung (an erster Stelle!),<br />
Gesundheit und im Sozialsystem für<br />
Benachteiligte zu sorgen. Österreich verharrt<br />
faktisch in einem Reformstau in allen<br />
drei Bereichen, der wohl immer noch mit der<br />
Illusion der politischen Akteure, die an einer<br />
nivellierten Mittelschichtsgesellschaft festhalten,<br />
einhergeht.<br />
Bessere soziale Durchmischung?<br />
Was das in „ene mene mu – wie gesund<br />
bist du?“ mit untersuchte Problem der sozialstrukturellen<br />
Ungleichheit betrifft, sind<br />
immer wieder sozialtechnokratische Lösungen<br />
diskutiert worden. Wie zum Beispiel,<br />
Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund<br />
(zwangsweise?) auf die bestehenden<br />
Volksschulen zu verteilen oder mit anderen<br />
Mitteln für eine „gute soziale Durchmischung“<br />
zu sorgen.<br />
Abgesehen davon, dass solche Ansätze<br />
stigmatisierend und rassistisch sein können<br />
und deshalb grundsätzlich abgelehnt werden<br />
sollten, übersehen sie, dass es um die<br />
Potenziale innerhalb der Systeme Bildung,<br />
Gesundheit und Soziales selbst geht, neue<br />
Antworten auf Probleme der steigenden sozialen<br />
Ungleichheit zu finden, die mit ihren<br />
Kernfunktionen in Verbindung stehen.<br />
In den letzten Jahren haben sich aber Problemlösungen<br />
im Bildungssystem entwickelt,<br />
die auf dem Prinzip der Auslagerung<br />
beruhten und erst dann einsetzten, wenn<br />
Probleme bereits aufgetreten waren. So<br />
werden etwa „verhaltenskreative“ Kinder an<br />
Schulsozialarbeit verwiesen und medikalisiert<br />
(ADHS).<br />
Vorschule stärken<br />
Eine weit effizientere Wissensvermittlung<br />
schafft das Bildungssystem selbst, wenn<br />
das staatliche Lese-, Rechtschreib- und<br />
Rechentraining bereits vor dem sechsten<br />
Lebensjahr einsetzt. Davon profitieren vor<br />
allem, aber nicht nur, Kinder aus sozial<br />
schwachen Familien.<br />
Vorschule in Österreich heißt, dass die Kinder<br />
freiwillig die erste Klasse der Volksschule<br />
besuchen dürfen, um sich mit dem Schulalltag<br />
vertraut zu machen. Leider wird von<br />
dieser Regelung kaum Gebrauch gemacht.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
09
Wie gesund darfst du einmal werden<br />
»<br />
Die Eltern benachteiligter Kinder geben weit häufiger an,<br />
depressive Verstimmungen, Angst und Wutanfälle<br />
bei ihren Kindern wahrzunehmen.<br />
In anderen Ländern bedeutet Vorschule, dass<br />
die Kinder ab dem Alter von drei, vier oder fünf<br />
Jahren an einem an ihre Bedürfnisse angepassten<br />
Lehrplan teilnehmen und dafür – neben der<br />
Betreuung – verschiedenste Angebote geschaffen<br />
werden.<br />
Vorschule kostet Geld, das jedoch mit dem Argument,<br />
die Kinder „doch so lange wie möglich<br />
Kinder sein zu lassen“, n i c h t ausgegeben<br />
wird, obwohl sich jeder investierte Euro elffach<br />
zurückverdienen lässt (!)<br />
Vorschulprogramme in sozialen Brennpunkten führten zu: i<br />
einer 40 %igen Bedarfsreduktion schulischer Nachhilfe,<br />
um 40 % erniedrigten Raten jener Schüler/innen, die im Alter von 15 Jahren eine<br />
Schulklasse negativ abgeschlossen hatten,<br />
einem mehr als 55 %igen Rückgang von Kindesmissbrauch bis zum Alter von 17 Jahren<br />
einer Halbierung der Fremdunterbringungen,<br />
einer um 45 % erniedrigten Kriminalitätsrate im Alter von 18 Jahren,<br />
einer allgemeinen Verbesserung des ökonomischen Wohlstandes der<br />
Programm-teilnehmer/innen und damit einhergehend<br />
einer Reduktion der Inanspruchnahme finanzieller Hilfestellungen<br />
Gemeinsam mit dem Steirischen Kindergesundheitsbericht liegen mit „ene mene mu“ nun gültige Anhaltspunkte<br />
vor, um das Thema „Kindergesundheit“ in Zukunft noch stärker ins Blickfeld zu nehmen.<br />
DSA christoph Pammer, MPH, MA<br />
Diplomsozialarbeiter, postgraduale Weiterbildung in Public Health (Interuniversitäres Studium Schweiz), Master of<br />
Arts in Social Sciences. Mitarbeiter beim Verein Zebra, im <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> sowie an der Mediznischen Universität<br />
Graz (Uni-Lehrgang Public Health) bei Prof. Horst Noack. Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen.<br />
Derzeit selbständiger Gesundheits- und Sozialwissenschaftler. Projektkonsulent in den Bereichen<br />
Evaluation und Entwicklung, Suchtberichterstattung. Besondere Interessen: Soziale Ungleichheit und Gesundheit,<br />
Migration und Gesundheit, Kindergesundheit.<br />
10<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
i<br />
Reynolds A. J., Robertson, D. L. (2003): School-based early intervention and later child maltreatment in the Chicago Longitudinal Study. Child<br />
Development, 74 (1):3-26.<br />
Reynolds A. J.; Temple, J. A.; Ou, S. R. (2003): School-based early intervention and child well-being in the Chicago Longitudinal Study. Child<br />
Welfare, 82 (5):633-656.<br />
Reynolds A. J.; Ou, S. R.; Topitzes, J. W. (2004): Paths of effects of early childhood intervention on educational attainment and delinquency: a<br />
confirmatory analysis of the Chicago Child-Parent Centers. Child Development, 75 (5):1299-1328.
schwerpunkt „ZU VIEL"<br />
Fazit:<br />
Selbst wenn Bewegungsprogramme, Ernährungstraining und Stressbewältigung<br />
nachhaltig wirksam werden, erreichen sie die relativ reicheren, besser gebildeten<br />
und gesünderen Gesellschaftsgruppen.<br />
Es braucht vielmehr ein Bildungssystem, das soziale Unterschiede nicht länger<br />
reproduziert, sondern durch eine gemeinsame Mittelschule, sowie klug veränderte<br />
und neue Angebote im Vorschulbereich stärker als bisher ausgleicht, damit die<br />
Chancen der Schüler/innen auf eine aussichtsreiche und gesunde Zukunft wieder<br />
gleicher verteilt werden können.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO dezember 2010<br />
03
Ungleichheit von Anfang an<br />
Ungleichheit von Anfang an<br />
Inge Zelinka-Roitner<br />
Noch nie in der Geschichte war die Bevölkerung<br />
in Österreich – und das gleiche gilt für viele andere<br />
europäische Länder - so gesund und hatte<br />
eine so hohe Lebenserwartung wie heute. Absolut<br />
betrachtet betrifft das natürlich auch Menschen,<br />
die hinsichtlich Bildung, Beruf und Einkommen<br />
benachteiligt sind. Dennoch verbessert<br />
sich im Verhältnis die Gesundheit der eben genannten<br />
Personengruppe langsamer als die Gesundheit<br />
der restlichen Bevölkerung. Menschen<br />
mit niedrigem Einkommen sterben wesentlich<br />
häufiger früher und leiden außerdem in der ohnehin<br />
schon kürzeren Lebenszeit häufiger an<br />
gesundheitlicher Beeinträchtigung. 1 Interessant<br />
ist hierbei: Das Einkommen hat auf das Risiko<br />
vorzeitiger Sterblichkeit einen größeren Einfluss<br />
als die Ausbildung oder der Berufsstatus. 2<br />
Das größte Einzelgesundheitsrisiko in westlichen<br />
Industriestaaten stellt das Rauchen dar. Auch<br />
hier zeigt sich ein ganz deutlicher schichtspezifischer<br />
Zusammenhang: Je niedriger die Schicht,<br />
desto mehr wird geraucht: Nach einer Untersuchung<br />
des deutschen statistischen Bundesamtes<br />
rauchen z.B. 54% der Bauarbeiter, aber nur<br />
13% der Gymnasiallehrer. Geschlechtsspezifische<br />
Unterschiede werden zunehmend ausgeglichen,<br />
im Jugendalter rauchen z.B. bereits<br />
gleich viele Mädchen wie Burschen. 3<br />
Gesundheitliche Unterschiede „ganz<br />
früh“<br />
Schichtspezifische Unterschiede lassen sich bereits<br />
im Kindesalter feststellen. Kinder mit einem<br />
niedrigen Geburtsgewicht haben als Erwachsene<br />
ein höheres Sterberisiko, und das Geburtsgewicht<br />
ist nicht zufällig verteilt: Mütter mit relativ<br />
hohem sozialen Status gebären auch schwerere<br />
Kinder. Es kann also angenommen werden,<br />
dass ein beeinträchtigter Gesundheitszustand<br />
im Erwachsenenalter zum Teil auf die gesundheitliche<br />
Lage im Kindesalter zurückzuführen<br />
ist, da die meisten Krankheiten eine sehr lange<br />
Entstehungsgeschichte aufweisen. 4 Chronische<br />
Erkrankungen werden oft erst durch eine Kombination<br />
verschiedener Belastungsfaktoren ausgelöst.<br />
5 Gesundheitliche Ungleichheit entsteht<br />
demnach dadurch, dass sich bei bestimmten<br />
Bevölkerungsgruppen die belastenden Lebensbedingungen<br />
im Lauf der Lebensjahre anhäufen<br />
und so in ihrer Summe eher zu Krankheiten führen<br />
als bei Personen, die diesen Belastungen<br />
nicht ausgesetzt sind.<br />
Belastende Faktoren sind unter anderem: Verhaltensfaktoren<br />
wie Rauchen während der<br />
Schwangerschaft, daraus resultierend ein niedriges<br />
Geburtsgewicht, materielle Faktoren<br />
wie Hygiene, Feuchtigkeit im Wohnraum und<br />
psychosoziale Faktoren wie Scheidung der<br />
Eltern oder unsichere Bindungen. Im weiteren<br />
Lebensverlauf kommen dann Faktoren wie unterschiedliche<br />
Bildungswege und daraus resultierend<br />
unterschiedliche Berufslaufbahnen,<br />
Wohn- und Lebensbedingungen hinzu.<br />
Gesundheitsförderung – wann, wo wie?<br />
Die oben beschriebenen Tatsachen bedeuten,<br />
dass Interventionen im Sinne der allgemeinen<br />
Gesundheit auch sozialpolitische Interventionen<br />
sein und bereits sehr früh erfolgen müssen.<br />
Gesundheitsförderung muss also bei den<br />
Lebensumständen von Müttern, Säuglingen<br />
und Kleinkindern ansetzen und nicht in Form<br />
von Projekten, sondern in Form einer flächendeckenden<br />
psychosozialen Primärversorgung<br />
durchgeführt werden: z.B. Ausweitung der<br />
Mutter-Kind-Pass Untersuchungen, Bereitstellung<br />
von Gemeindeschwestern, psychosoziale<br />
Betreuung während der Schwangerschaft, vor<br />
und nach der Geburt etc.<br />
12<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
1<br />
Vgl. Matthias Richter/ Klaus Hurrelmann (Hrsg.), Gesundheitliche Ungleichheit. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Wiesbaden 2009, S. 13.<br />
2<br />
Hradil, Stefan, „Was prägt das Krankheitsrisiko: Schicht, Lage Lebensstil?“, in: Richter/ Hurrelmann (2009): S. 35 – 45.<br />
3<br />
Vgl. Monika Jungbauer-Gans/ Christiane Gross, „Erklärungsansätze sozial differenzierter Gesundheitschancen“ in: Richter/ Hurrelmann<br />
(2009), S. 80-81.<br />
4<br />
Richter/ Hurrelmann (2009), S. 24.<br />
5<br />
Vgl.: Nico Dragano/ Johannes Siegrist, „Die Lebenslaufperspektive gesundheitlicher Ungleichheit: Konzepte und Forschungsergebnisse“, in:<br />
Richter/ Hurrelmann (2009), S. 183ff.
Ungleichheit von Anfang an<br />
Natürlich lautet der allgemeine Tenor in der<br />
Gesundheits- und Ungleichheitsforschung<br />
auch, dass man Unterschiede in Bildung,<br />
Berufsstatus und Einkommen verringern<br />
müsse. In diesem Sinne sollten soziale,<br />
kulturelle und finanzielle Barrieren beseitigt<br />
werden, die z.B. zu unterschiedlichen<br />
Bildungsgewohnheiten führen. Viel mehr<br />
Menschen bräuchten eine höhere Qualifikation,<br />
um bessere Positionen im Berufsleben<br />
zu erreichen. Auch die Wirtschaft fordert:<br />
Das Land braucht mehr qualifizierte Facharbeiter<br />
und Lehrlinge. Hier besteht auf<br />
alle Fälle großer Nachholbedarf, vor allem<br />
das Aufbrechen eingefahrener Strukturen<br />
betreffend. Nach wie vor ist es so, dass<br />
die Kinder von Akademikereltern meist ein<br />
Gymnasium besuchen und studieren, während<br />
die Kinder von Pflichtschulabsolventen<br />
meist die Hauptschule besuchen und ihre<br />
Bildungskarriere ohne Matura abschließen.<br />
Doch provokant gefragt: wie könnte eine<br />
Gesellschaft funktionieren, in der alle Menschen<br />
einen ähnlichen Bildungsstatus, einen<br />
ähnlichen Berufsstatus und ein ähnliches<br />
Einkommen haben? Utopien dieser<br />
Art hat die Geschichte zum Scheitern verurteilt,<br />
wer übernimmt in einer solchen Gesellschaft<br />
gerne und freiwillig die „niedrigen<br />
Dienste“, das Putzen, das Verkaufen, das<br />
Fließbandarbeiten?<br />
Es ist – zynisch formuliert – der Gesellschaft<br />
ganz recht, dass nicht alle gleich sind, dass<br />
nicht alle studieren (können) und sich die<br />
Privilegierten ihre Privilegien erhalten und<br />
weitervererben können. Allerdings wäre es<br />
auch nicht realistisch, alle Arbeiten gleich<br />
gut zu bezahlen und für alle Tätigkeiten das<br />
gleiche Bildungsniveau zu fordern. Wo kann<br />
man also ansetzen?<br />
Kurz zusammengefasst:<br />
„Der Körper scheint negative wie positive<br />
Erfahrungen zu ‚erinnern’, und sie<br />
prägen seine Konstitution bis ins höhere<br />
Alter“. 6<br />
Drei Faktoren bestimmen nach Ansicht von<br />
Experten gesundheitliche Ungleichheit:<br />
materielle Faktoren, Gesundheitsverhalten<br />
und psychosoziale Belastungen. Die beiden<br />
letzteren sind gesellschaftspolitisch leichter,<br />
wenn auch nicht leicht zu manipulieren. Und<br />
hier gilt, wie oben beschrieben, die Devise:<br />
ganz frühe Interventionen, die auf einer Zusammenarbeit<br />
der medizinischen und sozialen<br />
Berufe beruhen, sind besonders sinnvoll<br />
und zielführend!<br />
6<br />
Zitiert nach: Nico Dragano/ Johannes Siegrist, „Die Lebenslaufperspektive gesundheitlicher Ungleichheit: Konzepte und Forschungsergebnisse“,<br />
in: Richter/ Hurrelmann (2009), S. 191.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
13
Ungleichheit von Anfang an<br />
14<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong>
Was kann die schule tun? Kann die schule etwas tun?<br />
Was kann die Schule tun?<br />
Kann die Schule etwas tun?<br />
Angela Kaltenböck-Luef<br />
Es ist ein Phänomen, dass auf der einen<br />
Seite die Schule immer mehr Aufgaben<br />
übernehmen soll, auf der anderen Seite das<br />
Image der Schule, der Lehrer und Lehrerinnen<br />
immer weiter sinkt. Was veranlasst<br />
eine Gesellschaft bei jedem Problem, sei<br />
es AIDS-Aufklärung oder Drogenprävention,<br />
Klimaschutz oder Gesundheitserziehung…..<br />
nach der Schule zu rufen, einer<br />
Institution, deren Image immer weiter im<br />
Sinken begriffen ist? Ich kann mir das nur so<br />
erklären, dass alle Kinder und Jugendliche<br />
im Alter von 6 bis zumindest 15 Jahren die<br />
Schule besuchen müssen und daher über<br />
den Umweg der Schüler und Schülerinnen<br />
auch die Eltern und Großeltern erreicht werden<br />
können.<br />
Da alle Kinder die Schule besuchen, kann<br />
und will sich die Schule der gesellschaftlichen<br />
Probleme nicht entziehen, denn in<br />
die Schule kommt nicht nur das Gehirn,<br />
sondern das ganze Kind, das von seiner<br />
sozialen Umgebung geprägt ist. Neuere<br />
Erkenntnisse belegen, dass Lernen nur<br />
möglich ist, wenn die Grundbedürfnisse der<br />
Kinder befriedigt sind. Dazu gehört gesunde<br />
Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung.<br />
Gesundheitserziehung muss daher<br />
auch für die Schule ein Anliegen sein. In der<br />
Volksschule hat dies zwei Aspekte: Auf der<br />
einen Seite müssen den Kindern elementare<br />
Kenntnisse der gesunden Ernährung und<br />
der Körperpflege vermittelt werden. In allen<br />
Schulen gibt es Programme, die sich mit<br />
Zahngesundheit, gesunder Ernährung und<br />
Bewegungserziehung beschäftigen. Sehr<br />
viele Schulen haben auch erkannt, dass<br />
das psychische Wohlbefinden sowohl für<br />
die Gesundheit, als auch für den Lernerfolg<br />
enorm wichtig ist. Daher beteiligen sich immer<br />
mehr Schulen am Projekt “Glück macht<br />
Schule”. In diesem Programm steht das<br />
soziale Lernen im Vordergrund. Die Kinder<br />
sollen lernen, Gefühle bei sich und anderen<br />
zu erkennen und zu benennen. Besonders<br />
wichtig ist, die Kinder bei der Verarbeitung<br />
von Wut, Ärger und Enttäuschung zu unterstützen<br />
und ihnen, sozial anerkannte Strategien<br />
zur Konfliktbewältigung zu vermitteln.<br />
Zum sozialen Lernen gehört natürlich<br />
auch der Umgang mit Kindern aus verschiedenen<br />
Herkunftsländern. In diesem Zusammenhang<br />
kann ich nur von meiner Schule,<br />
der Volksschule Schönau sprechen. In der<br />
Schule funktioniert das Miteinander von<br />
17 verschiedenen Nationen sehr gut. Dies<br />
zeigt sich besonders bei allen Festen und<br />
Feiern im Jahreskreis. Der Höhepunkt ist<br />
immer das Sommerfest am Ende des Schuljahres.<br />
Dieses Fest macht deutlich, dass ein<br />
friedliches, respektvolles Miteinander von<br />
Menschen, die aus verschiedenen Ländern<br />
stammen und unterschiedlichen Religionen<br />
angehören, durchaus möglich ist. Es gibt<br />
Lehrer/innen, die die Kinder beim Erlernen<br />
der Deutschen Sprache unterstützen. Für<br />
6 Sprachen wird muttersprachlicher Unterricht<br />
am Nachmittag angeboten. Das gute<br />
Beherrschen der Muttersprache erleichtert<br />
das Erlernen einer Fremdsprache. Es ist<br />
sehr wichtig, dass von der Politik genügend<br />
Ressourcen zur Verfügung gestellt werden,<br />
damit die Kinder eine gute Ausbildung<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
15
<strong>SMZ</strong> AKTUELL<br />
ene mene mu –<br />
wie gesund bist du…?<br />
Sabine Haring/ Inge Zelinka-Roitner<br />
machen können. Integration ist jedoch nur möglich,<br />
wenn Kinder mit und ohne Migrationshintergrund<br />
die Schule besuchen, denn nur dann<br />
können sich Freundschaften über die Nationengrenzen<br />
hinweg entwickeln.<br />
Da Kinder sich noch nicht selbst versorgen, ist<br />
es auch wichtig, die Eltern zu erreichen. Die Familie,<br />
insbesondere die Eltern-Kind-Beziehung,<br />
ist ein sehr intimer und sensibler Bereich. Eltern<br />
wollen wirklich das Beste für ihr Kind. Alle Maßnahmen,<br />
die Eltern bei der Kindererziehung unterstützen<br />
wollen, müssen von dieser Prämisse<br />
ausgehen. Eine Begleitung der Eltern kann meiner<br />
Meinung nach nur im Sinne eines Coachings<br />
erfolgen. Obwohl Lehrer/innen über genügend<br />
Wissen verfügen, bin ich mir nicht sicher, ob<br />
Eltern Lehrer/innen als Expertinnen für Kindererziehung<br />
anerkennen würden, da die Schule<br />
Auslöser für sehr viele Konflikte innerhalb der<br />
Familie ist.<br />
Mag. Angela Kaltenböck-Luef<br />
Persönliches :<br />
Bildungsweg:<br />
Beruf:<br />
geboren 18.11. 1964, verheiratet, zwei Söhne (20 und 18 Jahre alt)<br />
1983 Matura<br />
1986 Lehramtsprüfung für Sonderschulen<br />
1987 Lehramtsprüfung für Volksschulen<br />
1990 Sponsion zum Mag. phil. (Erziehunswissenschaften und Philosophie)<br />
Seit dem Schuljahr 2008/09 Leitung der VS Schönau<br />
16<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong>
Gesundheitliche Benachteiligung im Kindes- und Jugendalter<br />
Gesundheitliche<br />
Benachteiligung im Kindesund<br />
Jugendalter – was tun?<br />
Doris Kuhness (Styria vitalis)<br />
Kinder aus sozial benachteiligten Familien<br />
fühlen sich subjektiv ungesünder, weisen z.<br />
B. eine höhere Beschwerdehäufigkeit und<br />
Erkrankungsrate, eine schlechtere Zahngesundheit,<br />
häufigere unfallbedingte Krankenhausaufenthalte<br />
oder auch öfter schweres<br />
Asthma auf. 1<br />
Diese und noch viele andere wissenschaftliche<br />
Befunde (wie z.B. die aktuelle soziologische<br />
Studie zur Gesundheit von Grazer<br />
Volksschulkindern „ene mene – wie gesund<br />
bist du“) weisen darauf hin, dass die Rahmenbedingungen<br />
für eine gesunde Entwicklung<br />
und das Gesundheitsempfinden<br />
von Kindern von Einkommen, Berufsstatus<br />
der Eltern und Bildungshintergrund der Eltern<br />
abhängen.<br />
Gesundheitliche Chancengleichheit kann<br />
auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden:<br />
1. Gesellschaftspolitische Ebene:<br />
AkteurInnen in der Gesundheitsförderung<br />
sollten verstärkt für folgende Themen eintreten:<br />
• Zugang zu gleichen Bildungschancen und<br />
Qualifikation für Kinder und Jugendliche<br />
aus sozial benachteiligter Schichten:<br />
kritische Hinterfragung der frühen<br />
Differenzierung des Schulsystems<br />
• Schaffen von Zukunftsperspektiven für<br />
Kinder und Jugendliche<br />
• Kleinere Klassen und Projekte in Schulen<br />
an „sozialen Brennpunkten“ fördern<br />
• Weiterentwicklung der LehrerInnen- bzw.<br />
PädagogInnen-Ausbildung in Bezug auf<br />
Gesundheit & sozialer Benachteiligung<br />
• Schaffung von institutionalisierten<br />
Netzwerken und Austauschmöglichkeiten,<br />
in denen sich Kinder bewegen (Kindergarten<br />
– Schule – Nachmittagsbetreuung)<br />
2. Schulebene:<br />
Maßnahmen, die die ganze Schule betreffen:<br />
• Gesundheitsförderungsarbeit in Schulen<br />
mit sozialen Brennpunkten und/oder mit<br />
besonderer Berücksichtigung<br />
benachteiligter Zielgruppen ausweiten<br />
• Kommunikation der Einflussmöglichkeiten<br />
von LehrerInnen auf die Gesundheit von<br />
SchülerInnen und Aufzeigen von<br />
Handlungsmöglichkeiten<br />
• Institutionalisierte Vernetzung von<br />
LehrerInnen und anderen Unterstützungseinrichtungen<br />
(z.B. Lernbetreuung, Schulpsychologie,<br />
Sozialarbeit) für Kinder<br />
mit besonderen Problemen in der Schule<br />
• Elternschulungen im Setting Schule für<br />
relevante Zielgruppen<br />
• Herstellung gesunder Rahmenbedingungen<br />
für SchülerInnen und LehrerInnen<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
17
Gesundheitliche Benachteiligung im Kindes- und Jugendalter<br />
»<br />
Hausbesuche können eine gute Strategie sein,<br />
um Verletzungen von Kindern<br />
zu reduzieren.<br />
18<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
Interventionen auf Klassenebene<br />
• Bearbeitung gesundheitsbezogener Themen<br />
im Unterricht,<br />
• Förderung von Klassengemeinschaft,<br />
Sozialem Lernen, Kommunikations-Stunden,<br />
Projektunterricht, individuellen Förderungsmöglichkeiten,<br />
sozialer Integration über<br />
spezifische Projekte und Programme<br />
Interventionen auf individueller Ebene<br />
• individuelle Bildungsberatung besonders auch<br />
für sozial benachteiligte SchülerInnen mit<br />
Einbeziehung der Eltern<br />
• Unterstützungsangebote z.B. für<br />
Opfer von Bullying<br />
• Vermittlung von der Schule zu verschiedenen<br />
(Einzel)Beratungs-Institutionen und zu<br />
medizinischen Versorgung bei Bedarf<br />
Wie kann man benachteiligte Kinder und<br />
deren Familien sonst noch unterstützen?<br />
Kinder, die in Armut geboren sind haben eine<br />
größere Wahrscheinlichkeit<br />
• eine Frühgeburt zu sein oder ein zu geringes<br />
Geburtsgewicht zu haben<br />
• nicht gestillt zu werden<br />
• Eltern zu haben, die Raucher sind und damit<br />
selbst RaucherInnen zu werden<br />
• selbst früher Kinder zu haben, als sie<br />
eigentlich möchten.<br />
Es gibt zahlreiche Ansätze die zeigen, dass Unterstützungsmaßnahmen,<br />
die bereits in der frühen<br />
Kindheit ansetzen, die Chancen auf eine<br />
gute Entwicklung und auf gute Gesundheit stark<br />
erhöhen.<br />
Auch die gesellschaftspolitische Sicherung eines<br />
Grund- oder Mindesteinkommens kann<br />
Abhilfe schaffen: Daten belegen z.B., dass ein<br />
garantiertes Mindesteinkommen bei Schwangeren<br />
zu einem höheren Geburtsgewicht führt.<br />
Eine gute Evidenz gibt es auch in Bezug auf<br />
Hausbesuche, Elterntraining, Fürsorge für sehr<br />
junge Kinder und Eltern sowie Maßnahmen,<br />
die Eltern über Unterstützungsmöglichkeiten<br />
informieren. Die Einrichtung einer „Gemeindeschwester“<br />
nach slowenischem Vorbild, welche<br />
von Geburt an in die Familien kommt, wäre<br />
wünschenswert.<br />
Reduktion von Verletzungen, Unfällen<br />
und Misshandlungen<br />
Hausbesuche können eine gute Strategie sein,<br />
um Verletzungen von Kindern zu reduzieren.<br />
Hierzu gibt es Studien mit guter Evidenz bei<br />
Erstgebärenden aus sozial benachteiligten<br />
Gruppen, sehr jungen Müttern, Alleinerzieherinnen.<br />
Auch hier bewährt sich das System der<br />
Gemeindeschwester: Eine geschulte Krankenschwester<br />
kommt, um vor und nach der Geburt<br />
nach der Mutter zu sehen, gibt soziale Unterstützung<br />
und Beratung in Bezug auf die Entwicklung<br />
des Kindes und dessen Gesundheit, unterstützt<br />
die Mutter-Kind-Interaktion und das Eltersein. In<br />
England gibt es Studien, die belegen, dass Kinder,<br />
die in einem „Child Development Program“<br />
sind, um 50% weniger oft physisch misshandelt<br />
werden.
schwerpunkt „ZU VIEL"<br />
Programme und Projekte in der<br />
Steiermark<br />
Die Förderung der Gesundheit von Kindern<br />
aus sozial benachteiligten Schichten betrifft<br />
alle Politikbereiche. Die Abschaffung des<br />
erst kürzlich eingeführten kostenlosen Kindergartens<br />
kann ebenso negative Auswirkungen<br />
auf die Chancen eben dieser Bevölkerungsgruppe<br />
haben, wie die Rücknahme<br />
von Lernbetreuung.<br />
In den vergangenen Jahren entwickelten<br />
Styria vitalis und andere Organisationen, die<br />
sich mit Gesundheitsförderung und Prävention<br />
beschäftigen wie VIVID oder das <strong>SMZ</strong><br />
<strong>Liebenau</strong> Programme, die einen Beitrag<br />
dazu leisten, die gesundheitliche Chancenungleichheit<br />
zu verringern.<br />
Das Projekt „SCHUPS“ – Schule und Psychische<br />
Gesundheit“ wird an vier Grazer<br />
Volksschulen umgesetzt und wurde vom<br />
Unterstützungsverein für Schulpsychologie<br />
in Kooperation mit Styria vitalis entwickelt.<br />
Drei der vier teilnehmenden Schulen<br />
befinden sich in einem Einzugsgebiet mit<br />
Kindern aus eher sozial benachteiligten<br />
Bevölkerungsgruppen oder mit Migrationshintergrund.<br />
Neben Konfliktmanagement für<br />
SchülerInnen, oder Ermutigungspädagogik<br />
im Schulalltag, sind auch PsychologInnen<br />
einmal in der Woche vor Ort, um direkt für<br />
die Sorgen der SchülerInnen, LehrerInnen<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
19
Was tun?<br />
»<br />
Gesundheit ist ein Menschenrecht,<br />
aber die Chancen<br />
auf eine gesunde Kindheit und eine gesunde Entwicklung<br />
sind ungleich verteilt.<br />
und Eltern da zu sein, um zu beraten oder bei<br />
Bedarf an entsprechende Unterstützungsstellen<br />
zu vermitteln.<br />
Das Projekt „Zähne zeigen“ zielt auf eine bessere<br />
Zahngesundheit bei sozial benachteiligten<br />
Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund<br />
zwischen 0 – 3 Jahren. Mit der Ausbildung von<br />
muttersprachlichen ZahngesundheitsmentorInnen<br />
und deren Einsatz für niedrigschwellige<br />
Aufklärungsarbeit sollen Sprach- und Kulturbarrieren<br />
überwunden werden. Die ersten ZahngesundheitsmentorInnen<br />
sind bereits in den Bereichen<br />
Zahngesundheit, Ernährung und Didaktik<br />
ausgebildet und kommen demnächst z.B. bei<br />
türkisch-, arabisch- oder bosnisch-stämmigen<br />
Eltern in bereits bestehenden Gruppen zum Einsatz.<br />
Das Programm Gesundheitsförderung in den<br />
Steirischen Landesberufsschulen und Lehrlingshäusern<br />
gibt ebenfalls einer Gruppe von<br />
eher bildungsfernen Jugendlichen die Möglichkeit,<br />
zu den Themenbereichen „Gesund Essen<br />
& Trinken“, „Bewegung“ und „gesundes Lernen“<br />
Inputs zu erhalten und den PädagogInnen, sich<br />
motivierende Unterrichtsmethoden anzueignen,<br />
um zu diesen Themen zu arbeiten.<br />
Die STGKK richtet sich mit ihrem Gesundheitsförderungs-Programm<br />
„Gesunde Schule bewegtes<br />
Leben“ an Hauptschulen vor allem im<br />
städtischen Raum, wo auch davon ausgegangen<br />
wird, dass diese Schulen eher Jugendliche<br />
aus Familien mit geringeren Gesundheitschancen<br />
besuchen.<br />
„ENCARE“ von VIVID, der Fachstelle für Suchtprävention,<br />
ist ein Projekt zugunsten von Kindern,<br />
deren Entwicklung durch familiäre Risikofaktoren<br />
wie elterliche Abhängigkeit von Alkohol<br />
oder illegalen Substanzen gefährdet ist.<br />
Gesundheit ist ein Menschenrecht, aber die<br />
Chancen auf eine gesunde Kindheit und eine<br />
gesunde Entwicklung sind ungleich verteilt.<br />
Das muss nicht so bleiben. Wichtig ist, dass<br />
verschiedene Professionen auf verschiedenen<br />
Ebenen ihre Kraft einsetzen, einen Beitrag zur<br />
Verringerung dieser Ungleichheit zu leisten.<br />
Mag. Doris Kuhness, MPH<br />
Psychologin, Master of Public Health leitet die Abteilung Schule von „Styria vitalis“. Erfahrung in Projektkonzeption<br />
und –durchführung von Gesundheitsförderungsprojekten in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen,<br />
Implementierung der Website www.feelok.at in Österreich, diverse Lehrtätigkeiten.<br />
20<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
1<br />
Vgl. Dür et al, 2000; Klocke/Hurrelmann, 1998, Michaelis/Bauch, 1991 und 1993, Geyer/Peter, 1998, Mielck et al, 1996 zitiert nach Pott und<br />
Lehrmann, 2003.
www.smz.at<br />
smz@smz.at<br />
ANGEBOTE<br />
DES <strong>SMZ</strong> LIEBENAU<br />
Allgemein-medizinische Praxisgemeinschaft<br />
Dr. Gustav Mittelbach, Dr. Rainer Possert (alle Kassen)<br />
Hausbesuche, Gesundenuntersuchungen, ärztliche Psychotherapie und Beratung, Behandlung<br />
von Suchterkrankungen, Akupunktur, Sozial-, Arbeits- und Umweltmedizin.<br />
Terminvereinbarung unter 46 23 40<br />
Physiotherapie<br />
Akutschmerzbehandlung, Bewegungstherapie, Entspannungstechniken, Heilgymnastik durch<br />
eine diplomierte Physiotherapeutin. Therapieschwerpunkte: Neurologie und Orthopädie. Hausbesuche<br />
im Bezirk möglich. Tel. Anmeldung unter 46 23 40-15<br />
Familienberatung & Rechtsberatung<br />
Anonyme und kostenlose Beratung durch Ärzte, PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen<br />
und JuristInnen. Donnerstag von 18.00 bis 19.00 Uhr am Grünanger (Tel.: 0699 180 84 375),<br />
von 19.00 bis 20.00 Uhr im <strong>SMZ</strong>, Tel. Anmeldung unter 46 23 40<br />
Psychotherapie<br />
Gestalt- und Familientherapie, NLP, Systemische Therapie, Einzel- und Gruppentherapie sowie<br />
Kinderpsychotherapie. Teilkostenersatz durch die Krankenkassen. Tel. Anmeldung unter 46 23 40<br />
Soziale Arbeit<br />
Beratung in sozialrechtlichen Fragen, Hilfen bei Kontakten zu Behörden, Hilfestellung bei Wohnungsproblemen,<br />
Arbeitslosigkeit,... Telefonische Kontaktaufnahme unter 42 81 61 oder<br />
0664/34 38 381 / e-mail: gremsl@smz.at / paller@smz.at<br />
Gesundheitsförderung<br />
Sozialmedizinische und gesundheitsförderliche Veranstaltungen; Durchführung von Projekten<br />
im Bereich Gesundheitsförderung. Kooperationen im Bezirk und mit anderen Organisationen.<br />
Kontakt unter 0699 180 84 375 / e-mail: smz@smz.at, zelinka@smz.at<br />
Sexualberatung<br />
<strong>Info</strong>rmation, Beratung, Psychotherapie zu folgenden Bereichen: Beziehungskonflikte, Sexualprobleme,<br />
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Homosexualität, Verhütungsfragen, Sexualaufklärung,<br />
Schwangerschaftskonflikten usw. Tel. Anmeldung (auch anonym) unter 46 23 40<br />
Walken sie mit uns<br />
WALKEN an der Mur – jeden Montag von 15.00 bis 16.00 Uhr, Treffpunkt: Andersengasse 34.<br />
WALKEN IM PARK – Nordic Walking Gruppe jeden Dienstag von 15.00 bis 16.00 Uhr, Treffpunkt<br />
im Hof des <strong>SMZ</strong>; Stöcke zum Probieren können ausgeborgt werden!<br />
<strong>Info</strong>rmationen unter 0699 180 84 375<br />
AuSSenstelle Grünanger<br />
Seit Juli 2009 sind wir auch am Grünanger, Andersengasse 34, für Sie erreichbar.<br />
<strong>Info</strong>rmationen unter 0699 180 84 375<br />
<strong>SMZ</strong> INFO november <strong>2011</strong><br />
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P.b.b. Zulassungsnummer: GZ 02Z034445M; Verlagspostamt 8041 Graz