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Seesicht - Das Vierwaldstädtersee-Magazin Nr. 2 - 2023

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TRAVEL<br />

Wecker schellen, Kaffeetassen klimpern,<br />

elektrische Zahnbürsten surren<br />

und Motorengeräusche erklingen – im<br />

Engadin beginnt ein neuer Tag. Nur<br />

einer bekommt davon wenig mit.<br />

Daniel Blättler ist vor zwei Stunden von Maloja bergwärts<br />

losmarschiert. Wenige Minuten vor Ankunft<br />

an seinem Ziel, dem Lägh dal Lunghin, präsentiert<br />

sich ihm ein Bild, das bereits Lohn genug für die<br />

morgendliche Aktivität wäre. Mystisch ziehen<br />

Nebelschwaden über die weit unten liegende Seenplatte,<br />

erste Sonnenstrahlen berühren die hochaufragenden<br />

Berge, und neben Blättler wedelt Hündin<br />

Nelly glücklich mit ihrem Schwanz. Vor allem aber<br />

herrscht hier oben eine wohltuende Stille.<br />

Der frühe Morgen ist Daniel Blättlers bevorzugte<br />

Zeit, seine Rute einzupacken und angeln zu gehen.<br />

Er geniesse die Ruhe, sagt er, und: «Je länger, je mehr<br />

ist mir die Welt zu laut.» Er sei gerne unter Menschen,<br />

gleichzeitig brauche er diese Alltagsfluchten.<br />

Dafür bieten sich dem Engadiner in seiner Heimat<br />

unzählige Plätze. «Es ist meine Art, die Hektik und<br />

den Alltag für kurze Zeit hinter mir zu lassen.» In<br />

diesem Moment taucht der Lägh dal Lunghin auf,<br />

eine glatte Fläche, in der sich die karge Gebirgslandschaft<br />

spiegelt. Die Welt hier oben ist nicht nur<br />

akustisch still. Doch still heisst nicht geräuschlos.<br />

Wer in die Ruhe eintaucht, dessen Sinne schärfen<br />

sich. Leise säuselt der noch sanfte Morgenwind<br />

durch die Gehörgänge, ein Rauschen des Wassers<br />

vom Seeabfluss ist zu vernehmen, und dann ertönt<br />

ein leises, rhythmisches Schwingen in der Luft. Sein<br />

Ursprung ist eine 27 Meter lange Angelschnur, die<br />

Daniel Blättler schwungvoll über dem See tanzen<br />

lässt. Spätestens seit 1992 der Film «Aus der Mitte<br />

entspringt ein Fluss» mit Brad Pitt als Paul Maclean<br />

über die Kinoleinwände flimmerte, kennt man das<br />

idyllische Bild des Fliegenfischers.<br />

FISCHE MÜSSEN ÜBERLISTET WERDEN<br />

Doch weshalb schwingt man beim Fliegenfischen<br />

eigentlich eine Schnur übers Wasser? Blättler klärt<br />

auf. Beim Fliegenfischen imitiere man Insekten, die<br />

Nahrung der Fische. Beispielsweise Trockenfliegen,<br />

die sich auf der Wasseroberfläche bewegen. Als<br />

Fliegenfischer sei es das Ziel, die imitierte Nahrung<br />

so nahe wie möglich zum Fisch hin zu werfen. Doch<br />

am Ziel dürfe die Fliege nicht untergehen, sondern<br />

sie soll für den Fisch sichtbar an der Wasseroberfläche<br />

bleiben. Daher könne man als Gewicht, um<br />

die Schnur weit raus in den See zu werfen, kein Blei<br />

verwenden. Stattdessen verwende man eine Schnur,<br />

die etwas dicker, daher schwerer sei, und befördere<br />

die Fliege mit dieser raus auf den See.<br />

Daniel Blättler ist ein stiller Jäger. Er schwingt seine<br />

Rute nicht auf gut Glück, sondern studiert die Umgebung.<br />

So sieht er anhand der Blautöne, wo sich unter<br />

der Wasseroberfläche Strukturen befinden. Denn<br />

Fische halten sich gerne an den Kanten abfallender<br />

Ränder oder hinter Steinen auf.<br />

Auch bei der Wahl der Köder gilt es, die Natur zu<br />

kennen – je nach Jahreszeit setzt man eine Larve,<br />

Nymphe oder eine Fliege ein und sollte wissen,<br />

welche Fische nach welcher Beute schnappen. «Der<br />

Jäger muss sich der Natur anpassen», sagt Blättler.<br />

Dieses Überlisten des Fisches fasziniert ihn. Eine<br />

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SEESICHT 2/23<br />

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