REPORTAGE Ludwig Wicki, seines Zeichens Dirigent und Hofkappellmeister, treffen wir im altehrwürdigen Rothenburgerhaus in unmittelbarer Nähe zur Luzerner Hofkirche. Sein Büro befindet sich im ersten Stock, bietet aber kaum Platz für ein Gespräch. Überall verteilt liegen Bücher und Partituren, alles Projekte, wie Wicki betont. «Ich muss dringend mal aufräumen», sagt er und lacht. <strong>Das</strong> Gespräch findet also in einem kleinen Raum gegenüber statt, dort wo bereits Grössen wie Howard Shore sassen. Der ist notabene dreifacher Oscar- und mehrfacher Grammy- Gewinner, vor allem bekannt als Komponist der Musik zur Filmreihe Herr der Ringe. <strong>Das</strong>s dieser tatsächlich auf demselben Stuhl sass wie nun der Journalist, ist kaum zu glauben, für Ludwig Wicki aber fast schon Alltag. Als Dirigent hat der in einfachen Verhältnissen in Wolhusen aufgewachsene Musiker ein mehr als beeindruckendes Palmares zu bieten. In den Kopf gestiegen ist ihm das nicht. Wicki ist ein äusserst angenehmer und sehr interessanter Gesprächspartner. Was er aber erzählt in diesem kleinen, unscheinbaren Raum mitten in Luzern, lässt den Journalisten einfach nur noch staunen. ZU GAST IN DEN ABBEY ROAD STUDIOS Bereits als Kantischüler war für Ludwig Wicki klar, dass er dereinst Musiker werden wollte. Nichts anderes. Die Schule war nichts für ihn, der Lehrer aber nachsichtig, liess ihn immer wieder Posaune proben im Keller. Filme interessierten ihn übrigens nicht, die Filmmusik hingegen schon, was man auch später kaum zugeben durfte. Für die Professoren und Gelehrten an den hohen Schulen konnte man dieses Genre nicht ernst nehmen. Heute wird kaum jemand mehr so denken, denn Filmmusik erschafft erst Filme und Komponisten wie Shore, Zimmer, Newmann oder Morricone sind berühmt für ihr Wirken und echte Stars. Ludwig Wicki erkannte den Wert und die Bedeutung von Filmmusik, lange bevor die Werke in den grossen Konzerthallen der Welt aufgeführt wurden. <strong>Das</strong>s er aber dereinst in den legendären Abbey Road Studios in London die Aufnahmen von Michael Giacchino’s Soundtrack zu «Jupiter Ascending», «Book of Henry», «Jurassic World 2» dirigieren würde, hätte er sich aber wohl selbst als junger Posaunist nie erträumt. Dies alles hat er dem 21 st Century Orchestra zu verdanken, welches er gegründet hat und nach wie vor leitet. Die Auftritte im KKL sind mittlerweile bekannt, äusserst beliebt und sind auch den Filmstudios sowie den Komponisten aufgefallen. Wicki hat sich, von vielen unbemerkt, zu einem gefragten Dirigenten für die Liveaufführung von Kinofilmen entwickelt und hat mittlerweile engen Kontakt zu den grossen Namen der Branche. BILD UND TON ALS EINHEIT Für die musikalische Begleitung eines Kinofilms arbeitet der Dirigent mit einem grossen Monitor. Auf diesem sind die Einsätze zu sehen, das Tempo und einige Informationen mehr, was vorher alles programmiert werden muss. Wicki muss also ein sehr präzises Timing einhalten, wenn er Herr der Ringe oder andere Blockbuster mit dem Orchester begleitet und kann sich keinen Fehler leisten. Ist das nicht eine anstrengende Arbeit, Monitor, Orchester und auch die Leinwand immer im Blick zu haben? «<strong>Das</strong> ist es. Beim sechsten Teil von Star Wars zum Beispiel spielt das Orchester zum Schluss 40 Minuten ohne Unterbruch. <strong>Das</strong> geht schon an die Substanz.» Dennoch ist Wicki bekannt trotz Einsätzen und Tempovorgaben mit dem Bild zu gehen, das Orchester so zu führen, dass Bild und Ton eine Einheit bilden. <strong>Das</strong> Publikum erlebt so in feinen Nuancen immer eine Premiere, was schliesslich auch den Reiz dieser Vorstellungen ausmacht. Die Filmmusik kann aber auch für sich alleine stehen. So präsentiert das Orchester in diesem Jahr noch unter dem Titel «The Sound of» die Musik von Ennio Morricone sowie Hans Zimmer und John Williams II. So etwas wäre in der Zeit, als Ludwig Wicki seine Ausbildung als Posaunist absolviert hat, noch undenkbar gewesen. Ein Konzert mit Filmmusik, gespielt von einem Orchester im KKL? Undenkbar damals. <strong>Das</strong> hat sich mittlerweile geändert – zum Glück. IM HIER UND JETZT VERANKERT <strong>Das</strong> faszinierende an Ludwig Wicki ist, dass er, während er davon erzählt, wie er das Chicago Symphony Orchestra, das Philadelphia Symphony Orchestra oder auch das London Philharmonic Orchestra in der ehrwürdigen Royal Albert Hall dirigierte, nicht wirkt wie einer, der genau dies getan hat. Er erzählt von Weltstars, von Auftritten in den berühmtesten Hallen der Welt, wie wenn er von einem Ausflug ins Kemmeribodenbad berichten würde, als ob dies alles das Selbstverständlichste der Welt sei. Dabei leitete er Weltpre- 22 SEESICHT 2/23 www.seesichtmagazin.ch
Ludwig Wicki <strong>Das</strong> 21 st Century Orchestra sorgt mit seinem künstlerischen Leiter Ludwig Wicki für ein ganz besonderes Filmerlebnis. SEESICHT 2/23 www.seesichtmagazin.ch 23