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Seesicht - Das Vierwaldstädtersee-Magazin Nr. 2 - 2023

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REPORTAGE<br />

Ludwig Wicki, seines Zeichens Dirigent und<br />

Hofkappellmeister, treffen wir im altehrwürdigen<br />

Rothenburgerhaus in unmittelbarer<br />

Nähe zur Luzerner Hofkirche. Sein<br />

Büro befindet sich im ersten Stock, bietet<br />

aber kaum Platz für ein Gespräch. Überall<br />

verteilt liegen Bücher und Partituren,<br />

alles Projekte, wie Wicki betont. «Ich muss dringend<br />

mal aufräumen», sagt er und lacht. <strong>Das</strong> Gespräch<br />

findet also in einem kleinen Raum gegenüber statt,<br />

dort wo bereits Grössen wie Howard Shore sassen.<br />

Der ist notabene dreifacher Oscar- und mehrfacher<br />

Grammy- Gewinner, vor allem bekannt als Komponist<br />

der Musik zur Filmreihe Herr der Ringe. <strong>Das</strong>s<br />

dieser tatsächlich auf demselben Stuhl sass wie nun<br />

der Journalist, ist kaum zu glauben, für Ludwig Wicki<br />

aber fast schon Alltag. Als Dirigent hat der in einfachen<br />

Verhältnissen in Wolhusen aufgewachsene<br />

Musiker ein mehr als beeindruckendes Palmares zu<br />

bieten. In den Kopf gestiegen ist ihm das nicht. Wicki<br />

ist ein äusserst angenehmer und sehr interessanter<br />

Gesprächspartner. Was er aber erzählt in diesem kleinen,<br />

unscheinbaren Raum mitten in Luzern, lässt den<br />

Journalisten einfach nur noch staunen.<br />

ZU GAST IN DEN ABBEY ROAD STUDIOS<br />

Bereits als Kantischüler war für Ludwig Wicki klar,<br />

dass er dereinst Musiker werden wollte. Nichts anderes.<br />

Die Schule war nichts für ihn, der Lehrer aber<br />

nachsichtig, liess ihn immer wieder Posaune proben<br />

im Keller. Filme interessierten ihn übrigens nicht, die<br />

Filmmusik hingegen schon, was man auch später kaum<br />

zugeben durfte. Für die Professoren und Gelehrten an<br />

den hohen Schulen konnte man dieses Genre nicht<br />

ernst nehmen. Heute wird kaum jemand mehr so denken,<br />

denn Filmmusik erschafft erst Filme und Komponisten<br />

wie Shore, Zimmer, Newmann oder Morricone<br />

sind berühmt für ihr Wirken und echte Stars. Ludwig<br />

Wicki erkannte den Wert und die Bedeutung von Filmmusik,<br />

lange bevor die Werke in den grossen Konzerthallen<br />

der Welt aufgeführt wurden. <strong>Das</strong>s er aber dereinst<br />

in den legendären Abbey Road Studios in London<br />

die Aufnahmen von Michael Giacchino’s Soundtrack<br />

zu «Jupiter Ascending», «Book of Henry», «Jurassic<br />

World 2» dirigieren würde, hätte er sich aber wohl<br />

selbst als junger Posaunist nie erträumt. Dies alles hat<br />

er dem 21 st Century Orchestra zu verdanken, welches<br />

er gegründet hat und nach wie vor leitet. Die Auftritte<br />

im KKL sind mittlerweile bekannt, äusserst beliebt<br />

und sind auch den Filmstudios sowie den Komponisten<br />

aufgefallen. Wicki hat sich, von vielen unbemerkt,<br />

zu einem gefragten Dirigenten für die Liveaufführung<br />

von Kinofilmen entwickelt und hat mittlerweile engen<br />

Kontakt zu den grossen Namen der Branche.<br />

BILD UND TON ALS EINHEIT<br />

Für die musikalische Begleitung eines Kinofilms arbeitet<br />

der Dirigent mit einem grossen Monitor. Auf diesem<br />

sind die Einsätze zu sehen, das Tempo und einige<br />

Informationen mehr, was vorher alles programmiert<br />

werden muss. Wicki muss also ein sehr präzises Timing<br />

einhalten, wenn er Herr der Ringe oder andere<br />

Blockbuster mit dem Orchester begleitet und kann sich<br />

keinen Fehler leisten. Ist das nicht eine anstrengende<br />

Arbeit, Monitor, Orchester und auch die Leinwand immer<br />

im Blick zu haben? «<strong>Das</strong> ist es. Beim sechsten Teil<br />

von Star Wars zum Beispiel spielt das Orchester zum<br />

Schluss 40 Minuten ohne Unterbruch. <strong>Das</strong> geht schon<br />

an die Substanz.» Dennoch ist Wicki bekannt trotz<br />

Einsätzen und Tempovorgaben mit dem Bild zu gehen,<br />

das Orchester so zu führen, dass Bild und Ton eine Einheit<br />

bilden. <strong>Das</strong> Publikum erlebt so in feinen Nuancen<br />

immer eine Premiere, was schliesslich auch den Reiz<br />

dieser Vorstellungen ausmacht. Die Filmmusik kann<br />

aber auch für sich alleine stehen. So präsentiert das<br />

Orchester in diesem Jahr noch unter dem Titel «The<br />

Sound of» die Musik von Ennio Morricone sowie Hans<br />

Zimmer und John Williams II. So etwas wäre in der<br />

Zeit, als Ludwig Wicki seine Ausbildung als Posaunist<br />

absolviert hat, noch undenkbar gewesen. Ein Konzert<br />

mit Filmmusik, gespielt von einem Orchester im KKL?<br />

Undenkbar damals. <strong>Das</strong> hat sich mittlerweile geändert<br />

– zum Glück.<br />

IM HIER UND JETZT VERANKERT<br />

<strong>Das</strong> faszinierende an Ludwig Wicki ist, dass er, während<br />

er davon erzählt, wie er das Chicago Symphony<br />

Orchestra, das Philadelphia Symphony Orchestra oder<br />

auch das London Philharmonic Orchestra in der ehrwürdigen<br />

Royal Albert Hall dirigierte, nicht wirkt wie<br />

einer, der genau dies getan hat. Er erzählt von Weltstars,<br />

von Auftritten in den berühmtesten Hallen der<br />

Welt, wie wenn er von einem Ausflug ins Kemmeribodenbad<br />

berichten würde, als ob dies alles das Selbstverständlichste<br />

der Welt sei. Dabei leitete er Weltpre-<br />

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SEESICHT 2/23<br />

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