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BIBER 04_23

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Österreichische Post AG; PZ 18Z<strong>04</strong>1372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien<br />

www.dasbiber.at<br />

MIT SCHARF<br />

+<br />

APRIL<br />

20<strong>23</strong><br />

ARZT ODER<br />

ENTTÄUSCHUNG<br />

+<br />

SCHULDIG<br />

GESHOPPT<br />

+<br />

2 MONATE NACH<br />

DEM ERDBEBEN<br />

+<br />

„ABENDLAND IN<br />

MIGRANTENHAND?“<br />

WIE AUSLÄNDERHASS WIEDER SALONFÄHIG WIRD


PASST<br />

3<br />

minuten<br />

mit<br />

Qusai<br />

Oshan<br />

Taschen, Wallets und<br />

Schmuck von High-End-Marken<br />

– das ist Qusai Oshans<br />

Spezialgebiet. Der 20-jährige<br />

Vintage-Jäger mit libyschen<br />

Wurzeln erzählt über<br />

seinen Weg ins Modegeschäft<br />

und erklärt, warum er sich<br />

für die Sonntags öffnung<br />

stark macht.<br />

Interview: Selin Öztürk und Helin Kara<br />

Foto: Zoe Opratko<br />

job-apotheke.at<br />

Du suchst eine abwechslungsreiche und sinnvolle Ausbildung?<br />

Und später einen sicheren und spannenden Job, in dem du<br />

Menschen hilfst? Dann passt eine Lehre in der Apotheke zu dir.<br />

Mach den Online-Check!<br />

ZU MIR.<br />

<strong>BIBER</strong>: Wie kam es, dass du begonnen<br />

hast, dich mit Vintage-Mode zu<br />

beschäftigen?<br />

QUSAI OSHAN: Es hat alles 2017<br />

mit einem Surpreme-Shirt für 60 €<br />

begonnen, das habe ich damals noch<br />

mit Papas Kreditkarte gekauft. Letztendlich<br />

habe ich dieses Shirt für das<br />

Doppelte auf Willhaben weiterverkauft.<br />

Zwei Wochen später habe ich für einen<br />

limitierten Sneaker sogar auf der Straße<br />

gecampt. 2020 habe ich mit dem professionellen<br />

Online-Verkauf von Luxus<br />

Vintage angefangen, was so erfolgreich<br />

war, das ich für vier Monate einen Popup-Store<br />

eröffnen konnte. Momentan<br />

verkaufe ich online.<br />

Was hebt dich ab von anderen Vintage<br />

Stores?<br />

Was wir verkaufen, findet man nicht<br />

bei jedem 0815-Vintage-Reseller. Wir<br />

liegen mit unseren Produkten in der<br />

obersten Preisklasse und unterscheiden<br />

uns dadurch, dass wir so jung sind. Die<br />

Leute haben mehrere Tausend Euro bei<br />

einem 20-jährigen Araber dagelassen<br />

und nicht bei einer 60-jährigen Omi, die<br />

seit 30 Jahren ihren Store hat und nur<br />

Sachen auf Kommission nimmt.<br />

Woher bekommst du deine Ware?<br />

Ich kaufe die Ware sehr oft von<br />

Privatkund:innen ab, da gehört Recherche<br />

dazu. Kleinanzeigen, Willhaben, Etsy,<br />

Shpock, Vinted - all diese Onlineplattformen<br />

nutze ich, um an Waren ranzukommen.<br />

Es gibt auch internationale<br />

Großhändler:innen, bei denen man die<br />

Ware in Mengen einkaufen kann. Die<br />

Produkte werden online vermarktet -<br />

über unsere Website. All unsere Sachen<br />

sind auf Willhaben zu finden genauso<br />

wie bei Ebay Kleinanzeigen. Bald wird<br />

aber hoffentlich wieder ein Pop-up Store<br />

oder sogar ein fixer Laden kommen.<br />

Auf Instagram sprichst du dich sehr für<br />

Sonntagsöffnungen aus. Wieso bist du<br />

da so dahinter?<br />

Niemand würde einen Verlust durch<br />

Sonntagsöffnungen erleiden. Der Staat<br />

würde damit viel mehr Umsatzsteuer<br />

kassieren. Die Arbeitslosenquote würde<br />

sinken. Wahrscheinlich würde die<br />

Arbeiterkammer dann auch irgendwelche<br />

Zuschläge ausmachen. Die hohen<br />

Store-Mieten im ersten Bezirk würden<br />

leichter bezahlt werden können. Ich<br />

habe noch nie solide Argumente gegen<br />

die Sonntagsöffnung gehört – weil es<br />

keine gibt.<br />

Manche Shops verkaufen ja Counterfeits,<br />

also Fälschungen von Luxus-<br />

Items. Wie ist deine Position dazu?<br />

Moralisch finde ich es nicht okay, da<br />

Designer:innen ja eigentlich dafür<br />

bezahlt werden, ein Produkt zu kreieren.<br />

Manche Fakes sind so gut, dass<br />

man es nur schwer erkennen kann.<br />

Wenn man aber angibt, dass es Fakes<br />

sind, dann ist man wenigstens zu den<br />

Endkonsument:innen ehrlich – das<br />

Design ist dann aber trotzdem gestohlen.<br />

Wer ist er? Qusai Oshan<br />

Alter: 20<br />

Instagram: wintage.at<br />

Fun Fact: Liebt Katzen, hat aber eine<br />

Katzenallergie<br />

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT<br />

QUSAI OSHAN<br />

Der 20-jährige Vintage-Jäger<br />

im Schnellinterview.<br />

8 IVANAS WELT<br />

Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić über typische<br />

Jugo-Wertanlagen.<br />

10 KLIMA-NEWS<br />

Interessante Zahlen, Daten und Fakten rund<br />

um das Thema Umweltschutz.<br />

POLITIKA<br />

12 MEINUNGSMACHE<br />

Politische Themen kurz, komprimiert und<br />

mit scharf.<br />

13 DEAL ZWISCHEN KOSOVO<br />

UND SERBIEN?<br />

Dennis Miskić über gescheiterte<br />

Verhandlungen und bizarre Pressekonferenzen.<br />

14 RECHTSRUCK IN<br />

ÖSTERREICH<br />

Wie Ausländerhass wieder salonfähig wird.<br />

22<br />

EIN BRIEF AN HATAY<br />

Zerstörung, Schutt und<br />

Trümmer: Zwei Monate nach<br />

dem Erdbeben in der Türkei<br />

26<br />

IN HALT APRIL<br />

20<strong>23</strong><br />

„DU WIRST<br />

ARZT, ANWALT<br />

ODER EINE ENT-<br />

TÄUSCHUNG!“<br />

Für viele Migra-Eltern<br />

haben Lehrberufe<br />

keinen Wert.<br />

34 WAS IST EINE<br />

„GUTE“ TÜRKIN?<br />

Zeynep Buyraç braucht kein nationales<br />

Zugehörigkeitsgefühl, um ihre Identität zu<br />

formen.<br />

38 „ICH WILL EURE JOBS!“<br />

Özben Önal möchte sich nicht in berufliche<br />

Schubladen stecken lassen.<br />

42 HEIRATEN FÜR DIE FREIHEIT<br />

Layla Ahmed möchte selbst über ihr Leben<br />

bestimmen – ohne zu heiraten.<br />

45 MEIN RAUSGESCHMISSENES<br />

GELD<br />

Şeyda Gün erklärt wieso Finanzbildung so<br />

wichtig ist.<br />

46 DER KLARNA TEUFELSKREIS<br />

Wie „Buy now, pay later“ jungen Menschen<br />

zum Verhängnis wird.<br />

50 ANZEIGEN, ODER<br />

LIEBER DOCH NICHT?<br />

Viele Opfer von sexueller Gewalt entscheiden<br />

sich gegen den Weg zur Polizei.<br />

18 “HERR BABLER, WIE OFT<br />

WAREN SIE VERLIEBT?“<br />

Biber fragt in Worten, Bürgermeister von<br />

Traiskirchen Andreas Babler antwortet mit<br />

einer Zahl.<br />

20„WIR KÖNNEN UNSERE<br />

ARBEIT NICHT PAUSIEREN.“<br />

Asyl in Not Vorsitzende Kübra Atasoy im<br />

Interview über die Räumung ihres Büros<br />

im WUK.<br />

22 NACH DEM BEBEN<br />

Mercan Falter verfasst einen Brief an ihre<br />

zerstörte Heimat Hatay.<br />

RAMBAZAMBA<br />

26 „OHNE EIN STUDIUM<br />

BIST DU NICHTS!“<br />

Wieso Migra-Eltern ihre Kinder an die<br />

Uni drängen.<br />

14<br />

„VERLIEREN<br />

WIR NICHT<br />

UNSER WIEN!“<br />

Österreich rückt<br />

immer weiter nach<br />

rechts.<br />

46<br />

SCHULDIG GESHOPPT<br />

Wie sich junge Menschen durch<br />

Klarna verschulden.<br />

© Mercan Falter, Zoe Opratko, Cover: © Aliaa Abou Khaddour<br />

KARRIERE&KOHLE<br />

53 NEULAND FÜR<br />

ARBEITER:INNENKINDER<br />

Šemsa Salioski erklärt, warum man nicht<br />

in Normen passen muss.<br />

TECHNIK&MOBIL<br />

56 GRABENKRIEG UND<br />

HIGHTECH<br />

Adam Bezeczky sieht den Ukrainekrieg als<br />

Wettbewerb der Rüstungsfabriken.<br />

KULTURA<br />

58 KULTURA NEWS<br />

Nada El-Azar-Chekh über die<br />

ewigen Ausländer.<br />

62 QUOTEN-ALMANCI<br />

Kolumnistin Özben Önal über die Zukunft ihrer<br />

Heimatprovinz Hatay.


103x270 biber<br />

Liebe Leser:innen,<br />

der Rechtsruck in Österreich ist nicht mehr zu übersehen. Das „blaue<br />

Wahl-Wunder“ in Niederösterreich, Pläne über Deutschpflicht am<br />

Schulhof, Menschenrechte nur für Staatsbürger:innen – Rassismus und<br />

Ausländerfeindlichkeit werden in Österreich immer salonfähiger. Während<br />

Politiker:innen mit ihren Aussagen und Taten scheinbar ungeschoren<br />

davonkommen, haben Menschen mit Migrationsbackground immer<br />

mehr Angst um ihre Zukunft in diesem Land. Lest die Coverstory ab<br />

Seite 14.<br />

Doch nicht alle Politiker:innen in Österreich sind so gesinnt: So wünscht<br />

sich Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen und Kandidat für<br />

die SPÖ-Führung 70.000 Zuwander:innen pro Jahr in Österreich. Wir<br />

haben Babler außerdem gefragt, wie oft er in der HTL durchgeflogen ist<br />

und wie viele Politiker:innen in der SPÖ ihm auf die Nerven gehen. Seite<br />

18.<br />

IMPRESSUM<br />

MEDIENINHABER:<br />

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21,<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />

HERAUSGEBER:<br />

Simon Kravagna<br />

CHEFREDAKTEURIN:<br />

Aleksandra Tulej<br />

KULTUR & LEITUNG AKADEMIE:<br />

Nada El-Azar-Chekh<br />

FOTOCHEFIN:<br />

Zoe Opratko<br />

ART DIRECTOR: Dieter Auracher<br />

KOLUMNIST:INNEN:<br />

Ivana Cucujkić-Panić, Dennis Miskić, Özben Önal<br />

LEKTORAT: Florian Haderer<br />

REDAKTION, FOTOGRAFIE & ILLUSTRATION:<br />

Maria Lovrić-Anušić, Adam Bezeczky, Šemsa Salioski, Dennis<br />

Miskić, Emilija Ilić, Anna Lumaca, Selin Özürk, Helin Kara, Aliaa<br />

Abou Khaddour, Anna Lumaca, Christoph Liebentritt, Ina Aydogan,<br />

Mercan Falter<br />

VERLAGSLEITUNG :<br />

Aida Durić<br />

MARKETING & ABO:<br />

Şeyda Gün<br />

REDAKTIONSHUND:<br />

Casper<br />

BUSINESS DEVELOPMENT:<br />

Andreas Wiesmüller<br />

DIE CARD HAT’S IN SICH<br />

Freier Eintritt<br />

zu rund<br />

350 Ausflugszielen<br />

„<br />

„Das kannst du machen, wenn<br />

du verheiratet bist.“ – Diesen<br />

Satz kennen viele junge Frauen<br />

aus Migra-Familien. Die mutige<br />

Autorin Layla Ahmed schreibt<br />

ab Seite 42 darüber, wie sie<br />

„Du wirst Arzt, Anwalt, oder eine Enttäuschung!“<br />

– dieser Spruch ist längst zu<br />

einem Meme geworden. Viele Migra-<br />

Kids kennen ihn aber von ihren eigenen<br />

Eltern, die ihren Nachwuchs an die Uni<br />

drängen. Warum ein Uni-Abschluss<br />

aber nicht automatisch eine bessere<br />

Zukunft bedeutet, lest ihr ab Seite 26.<br />

GESCHÄFTSFÜHRUNG:<br />

Wilfried Wiesinger<br />

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,<br />

E-1.4, 1070 Wien<br />

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at, abo@dasbiber.at<br />

WEBSITE: www.dasbiber.at<br />

ihre Eltern umstimmen konnte,<br />

ohne dabei die Beziehung zu<br />

ihrer Familie aufs Spiel zu<br />

setzen. Klare Leseempfehlung!<br />

Aleksandra “ Tulej,<br />

Chefredakteurin<br />

Apropos Migra-Eltern: Auch wenn sie<br />

es mit uns gut meinen, haben sie nicht<br />

immer recht. Zum Beispiel, wenn es<br />

darum geht, dass Heirat ein Ticket für<br />

die eigene Freiheit wäre, meint Autorin<br />

Layla Ahmed. Neben Layla schreiben<br />

auch Özben Önal und Zeynep Buyraç<br />

im Rahmen unseres Empowerment-<br />

Specials darüber, wie sie sich ihre<br />

eigene Freiheit erkämpft haben. Ab<br />

Seite 32.<br />

Wir wünschen euch viel Spaß beim<br />

Lesen,<br />

eure biber-Redaktion<br />

BYE,BYE, LIEBE DELNA!<br />

Unsere Nr. 1 Ansprechpartnerin für<br />

Ayurveda-Tipps aka ehemalige Co-<br />

Herausgeberin und Chefredakteurin<br />

Delna Antia-Tatić hat nach 11 Jahren<br />

biber zur Süddeutschen Zeitung<br />

gewechselt! Delna hat in ihrer Zeit<br />

bei <strong>BIBER</strong> das Magazin mit neuen<br />

Ideen und Projekten immer ein<br />

Stück cooler gemacht und uns alle<br />

gut auf unsere jetzigen Rollen vorbereitet.<br />

Ab jetzt ist die langjährige<br />

und mehrfach preisgekrönte <strong>BIBER</strong>-<br />

Journalistin und unsere geschätzte<br />

Kollegica als freie Autorin für das<br />

Österreich-Ressort der SZ tätig.<br />

Liebe Delna, wir wünschen dir sve<br />

najbolje und nicht vergessen – im<br />

Herzen immer „mit scharf“ bleiben<br />

& vergiss die Sahne nicht!<br />

© Zoe Opratko<br />

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 1. HJ 2022:<br />

Druckauflage 85.000 Stück<br />

Verbreitete Auflage 80.700 Stück<br />

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter<br />

www.dasbiber.at/impressum abrufbar.<br />

DRUCK: Mediaprint<br />

Erklärung zu gendergerechter Sprache:<br />

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden die<br />

jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die Authentizität<br />

der Texte erhalten – wie immer „mit scharf“.<br />

Viele spannende Erlebnisse in und<br />

um Niederösterreich um nur € 65,–<br />

von 1.4.20<strong>23</strong> bis 31.3.2024<br />

NIEDERÖSTERREICH-CARD.AT<br />

16 neue<br />

Ausflugsziele!<br />

6 / MIT SCHARF /


BEZAHLTE ANZEIGE<br />

In „Ivanas Welt“ berichtet die biber-Kolumnistin Ivana Cucujkić-Panić<br />

über ihr Leben - Glamour zwischen Balkan und Baby<br />

IVANAS WELT<br />

STEUERERKLÄRUNG? ERKLÄRT.<br />

BETON, DUKATEN & KREDITI<br />

Meine Eltern haben früh investiert. In Immobilien. Viele<br />

Eltern investierten in den 80ern und 90ern in Immobilien.<br />

Es sind sichere Wertanlagen. Langfristig und strategisch.<br />

Eines Tages bestimmt profitabel, weil ja wertsteigernd<br />

mit den Jahren. Wenn die Lage halbwegs passt,<br />

in eine stabile Infrastruktur gebettet ist und beim Bauen<br />

auf die Energieeffizienz geachtet wurde.<br />

Oder eben nicht. Ich könnte jetzt zu den Rich Kids, die<br />

was Geiles zum Erben haben, gehören. Hätten meine<br />

Eltern vor dreißig Jahren in Wien ein, zwei kleine, feine<br />

Garconnieren gekauft – sie, ich und ihre Enkel könnten<br />

heute von den explodierenden Mieten leben. Ich könnte<br />

mich chillig auf meine Karriere als Irgendwas-Influencerin<br />

konzentrieren und den Hobbies höherer Töchter<br />

nachgehen: ETFs kaufen, Kunst und Taschen sammeln.<br />

JUGO-VILLA STATT HYGGE<br />

Meine und die vielen anderen Eltern haben darauf nicht<br />

geachtet. Statt am noblen Bauernmarkt in 1010 Wien<br />

stand die neue Wertanlage am ungepflasterten Bauernfeld<br />

im Jugodorf, so groß wie der 1. Bezirk, nur ohne<br />

Postleitzahl. Zentral gelegen waren diese Beton-Ungetüme<br />

höchstens am unmittelbaren Hühnerstall. Wohnoase<br />

oder Residenzperle hieße sie im Zentrum Wiens. Die<br />

Gastarbeiter-Villa im Osten Serbiens hatte nie etwas von<br />

Hygge. (Anm.: Dänischer Einrichtungsstil, der Gemütlichkeit,<br />

Entspannung und Heimeligkeit vermittelt.)<br />

Was sie hatte, war Fläche. Viele Zimmer. Und das Hauptzimmer<br />

mit der Ledergarnitur aus dem Lutz, mit dem<br />

langen Esstisch. Wenn alle kommen, einmal im Jahr.<br />

Manchmal sind da auch Gipslöwen und Wasserfontänen<br />

im Vorhof. Einmal im Jahr kamen wir dann alle. Der Vorhof<br />

war voll mit Gipstieren und den „majstori“. (dt. Bauarbeiter)<br />

Unsere Sommerferien verbrachten wir also mit<br />

den Großeltern und Männern, die das Haus reparierten.<br />

Es war immer was zu tun.<br />

cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt<br />

Financial Management à la Balkan<br />

NOSTALGIE AUF PUMP<br />

Das Urlaubsgeld ging für die Hochzeitsgarderobe und<br />

die Instandhaltungskosten drauf. Diese Wertanlage war<br />

nie profitabel. Wert hatte sie auch nie. Außer den emotionalen.<br />

Dieser überbot den überteuerten Konsumkredit<br />

bei Weitem. Merke dir: Für Auslands immobilien bekommst<br />

du in Österreich keine Wohnfinanzierung. Wie<br />

gut, dass die Verwandtschaft mit Nullzinskrediten einspringt<br />

und bei Rückzahlungsausfällen kein Inkasso rufen<br />

kann. Ein klassischer Impulskauf, auf den viele Eltern<br />

damals einstiegen.<br />

Einige Eltern haben den Exit geschafft, mit viel Verlust<br />

und Wehmut. Beim Betongold bewiesen sie kein „sicheres<br />

Händchen“. Das echte Edelmetall jedoch kennt<br />

jede Balkan-Familie seit Generationen als einzig wahre,<br />

sichere Kapitalanlage: Dukati. Golddukaten gehören in<br />

jedes gute Jugo-Investment-Portfolio.<br />

DUKATI VOR INKASSO<br />

Sie sind gern gesehenes Wertgeschenk bei Hochzeiten,<br />

Geburten, Taufen. Lassen sich in jeder Sockenschublade<br />

verstecken und bezahlen deine verschwitzte Klarna-<br />

Rechnung, wenn mal wirklich alle finanziellen Stricke<br />

reißen. Mit jeder Familienfeier stocken wir unsere Kapitalanlage<br />

auf und bunkern sie zwischen den Wänden der<br />

finanzierten Eigentumswohnung. Weit weg von Rich Kid,<br />

vom 1. Bezirk. Weit weg vom Jugodorf. Aber mit ganz<br />

viel Hygge. ●<br />

PODCAST-TIPP: Ivanas Gedanken<br />

gibt es jetzt auch fürs Ohr: In ihrem<br />

neuen Podcast „Mutti ist kaputti“<br />

hört ihr Survival-Tipps für erschöpfte<br />

Eltern und Allerhand über den<br />

schönen, anstrengenden, süßen<br />

und harten Alltag mit Kindern.<br />

Unbedingt reinhören!<br />

© Zoe Opratko<br />

Alle Jahre wieder kommt die Arbeitnehmerveranlagung. Egal, ob<br />

Berufseinsteiger:in, Student:in, (allein erzie hende:r) Elternteil oder<br />

Pendler:in – oft zahlen wir mehr Steuern, als es notwendig ist. Eine<br />

Steuererklärung zu machen gestaltet sich für viele jedoch schwerer, als<br />

es ist. Wie kann ich Homeoffice abschreiben? Wie gibt man den Kauf<br />

eines Laptops oder Handys in der Arbeitnehmerveranlagung richtig an?<br />

Kann man Dinge wie Spendenbeträge oder einen neuen Schreibtisch<br />

absetzen? Und welche sonstigen Werbungskosten kann man bei der<br />

Steuererklärung geltend machen? Wie schön wäre es, wenn man eine<br />

Schritt-für-Schritt-Erklärung für Finanzonline hätte.<br />

Um im Finanzdschungel den Überblick nicht zu verlieren, findet man bei<br />

der Arbeiterkammer Wien jetzt nützliche Steuertipps und Broschüren,<br />

mit denen auch der größte Finanzmuffel zum Steuerexperten wird.<br />

DIE AK ZEIGT,<br />

WIE MAN SICH<br />

STEUERGELD<br />

ZURÜCKHOLEN<br />

KANN!<br />

Hier geht’s zu den Tipps und<br />

einer Schritt-für-Schritt Anleitung<br />

www.arbeiterkammer.at/10-steuertipps<br />

?<br />

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©Drazen - Adobe Stock<br />

8 / MIT SCHARF /<br />

WIEN.ARBEITERKAMMER.AT


KLIMANEWS<br />

Von Helin Kara und Selin Öztürk<br />

Langsam reicht es doch mit dem ganzen Klimading, oder? Nein, eben leider nicht.<br />

Wir liefern dir Tipps, wie auch du deinen Alltag nachhaltiger gestalten kannst.<br />

Abgesehen davon gibt‘s auch ein paar Lichtblicke in unsere dunkle Zukunft. Denn<br />

die Klimakrise geht uns alle etwas an.<br />

BIDEN UNTERZEICH-<br />

NET UMSTRITTENES<br />

„WILLOW-PROJECT“<br />

Das so umstrittene wie riesige Ölprojekt<br />

in Alaska wurde offiziell am 13.<br />

März vom US-Amerikanischen Präsidenten<br />

Biden genehmigt. Damit<br />

öffnete er dem Ölkonzern „Conoco-<br />

Phillips“ die Tür zu drei Bohrfeldern, in<br />

denen zirka 219 Bohrungen stattfinden<br />

sollen. Anders betrachtet: Mit diesem<br />

Projekt würden insgesamt etwa 260<br />

Millionen Tonnen Treibhausgase in<br />

die Atmosphäre geblasen. Das ist das<br />

3,5-Fache von dem, was Österreich<br />

jährlich emittiert. Die Genehmigung ist<br />

aber nicht nur ein Schlag ins Gesicht<br />

für alle jungen Menschen und zukünftigen<br />

Generationen, sondern auch ein<br />

Bruch eines von Bidens Wahlversprechen.<br />

IPCC-BERICHT<br />

20<strong>23</strong><br />

Am 20. März erschien der sechste<br />

IPCC-Bericht (Intergovernmental Panel<br />

on Climate Change) des Weltklimarats.<br />

Es haben sich etwa 780 Fachleute aus<br />

90 Ländern zusammengesetzt und<br />

die Ursachen, Folgen und Risiken der<br />

Klimakrise in einem großen Bericht<br />

zusammengefasst.<br />

Ein paar Hard Facts aus dem<br />

Bericht:<br />

Die globale Temperatur war in<br />

den Jahren 2011–2020 um 1,1 0<br />

Celsius höher als in den Jahren 1850–<br />

1900.<br />

Die Natur konnte innerhalb von<br />

10 Jahren nur etwa 54 % der menschengemachten<br />

Treibhausgasemissionen<br />

aufnehmen.<br />

Das letzte Jahrzehnt ist das<br />

wärmste seit 125.000 Jahren gewesen.<br />

Bis 2030 müssen weltweit<br />

alle Emissionen um die Hälfte gesenkt<br />

werden, um die Erderwärmung auf 1,5<br />

0 Celsius im Vergleich zur vorindustriellen<br />

Zeit zu begrenzen.<br />

Schnelles Handeln ist<br />

gefragt: Sollte es keinen Wandel in<br />

der Umwelt- und Klimapolitik in naher<br />

Zukunft geben, könnte die Klimakrise<br />

eskalieren.<br />

ZAHLEN,<br />

BITTE!<br />

Die aktuellen CO2-<br />

Werte sind die<br />

höchsten seit<br />

2 Millionen<br />

Jahren.<br />

In 70 Jahren wird die<br />

Heimat von<br />

200<br />

Millionen<br />

Menschen im Meer<br />

versunken sein.<br />

In Somalia sind im<br />

Jahr 2022 mutmaßlich<br />

43.000<br />

Menschen<br />

an Dürre gestorben.<br />

SCHON GEWUSST?<br />

Wenn der Rest der<br />

Menschheit so leben<br />

würde wie wir in<br />

Österreich, bräuchte<br />

die Menschheit<br />

fast vier Erden, um<br />

dem Ressourcenverbrauch<br />

gerecht<br />

zu werden.<br />

© Science Photo Library / picturedesk.com, Patrick Semansky / AP / picturedesk.com<br />

© Annkathrin Schön @aennislife auf Instagram, unsplash.com/Nathan Dumlao, pexels.com/Jiří Mikoláš, Science Photo Library / picturedesk.com, Screenshot @dr.vegan auf Instagram<br />

SAISONALES GEMÜSE<br />

Die Entscheidung, welche Lebensmittel ihr<br />

wann kauft, ist für die Umwelt sehr wichtig.<br />

Hier ein kleiner Überblick über das<br />

saisonale Gemüse im Monat April.<br />

Steht dieses Jahr EL NIÑO bevor?<br />

Als „El-Niño“ wird ein Klimaphänomen bezeichnet,<br />

das alle zwei bis sieben Jahre im Pazifik auftritt – mit<br />

besonders schweren Folgen: Durch Änderungen der<br />

Luft- und Meeresströmungen kommt es weltweit zu<br />

Hitzewellen, Waldbränden, Überschwemmungen und<br />

Dürren. Während eines ‚El Niño‘-Jahres kommt es zu<br />

sintflutartigen Regenfällen an den Küsten Ostafrikas<br />

und an der Westküste Südamerikas. Im Süden Afrikas<br />

muss hingegen mit Trockenheit und Hungersnöten<br />

gerechnet werden. Peru wird umgerechnet 1,06<br />

Milliarden Dollar investieren, um Schäden im Zusammenhang<br />

mit El Niño einzudämmen. Zuletzt kam es<br />

im Jahr 2017 dazu, rund 300.000 Menschen mussten<br />

aufgrund der Folgen umgesiedelt werden.<br />

MÜNCHEN WIRD<br />

COOLER<br />

Eine gesamte Stadt ohne Klimaanlage<br />

kühlen? Das ist mithilfe<br />

von „Fernkälte“ möglich.<br />

Die Stadt München arbeitet<br />

derzeit an einem innovativen<br />

System, das ab Mitte 2024 die<br />

Innenstadt mithilfe von Geothermie<br />

cool halten soll. Bei diesem<br />

Projekt wird Kälte aus dem<br />

Grundwasser und Stadtbächen<br />

genutzt und mit großen Rohren<br />

rund um die Stadt gepumpt.<br />

Dadurch sollen ganze 25.000<br />

Tonnen CO2 pro Jahr eingespart<br />

werden. Auch in Wien gibt es<br />

ein vergleichbares Projekt, das<br />

etwa 180 Gebäude mit Fernkälte<br />

versorgt.<br />

NACHGEKOCHT<br />

Veganes Lahmacun (türkische<br />

Pizza) von Ahmad Noori<br />

@dr.vegan auf Instagram<br />

WERDE PATE MIT<br />

CORALGARDENERS.ORG<br />

Wolltest du schon immer Pate<br />

einer Koralle werden? Dann ist<br />

‚Coral Gardeners‘ genau das<br />

Richtige für dich. Für zirka 27<br />

Euro kannst du hier eine Koralle<br />

adoptieren. Nach etwas mehr als<br />

einem Jahr wird deine ausgewachsene<br />

Koralle in das natürliche<br />

Riff eingepflanzt, um das<br />

Leben und die Artenvielfalt im<br />

Meer wiederherzustellen.<br />

Du hast also nicht nur dem Meer<br />

und dementsprechend dem<br />

Klima geholfen,<br />

sondern besitzt<br />

auch eine kleine<br />

Koralle draußen<br />

im Südpazifik.<br />

Zutaten:<br />

TEIG<br />

● 3 Tassen Allzweckmehl<br />

● 1 Tasse lauwarmes Wasser<br />

● 1 Esslöffel getrocknete<br />

oder 10 Gramm frische<br />

Hefe<br />

● 1 Esslöffel Salz<br />

● 1–2 Esslöffel Olivenöl<br />

TOPPING<br />

● 300 Gramm Tofu<br />

● 1 Zwiebel<br />

● 2 mittelgroße Tomaten<br />

● 2 Bibers (Peperoni)<br />

● 1 rote Paprika<br />

● 3 Knoblauchzehen<br />

● eine Handvoll Petersilie<br />

● 2 Esslöffel Tomatenpaste<br />

● 2 Esslöffel süße, rote<br />

Paprikaflocken<br />

● Salz und Pfeffer<br />

● 3 Esslöffel Olivenöl<br />

10 / MIT SCHARF /<br />

/ MIT SCHARF / 11


MEINUNGSMACHE MIT SCHARF Aktuelle politische Themen im Überblick: komprimiert, kurz und mit scharf.<br />

RUSSLAND/ÖSTERREICH<br />

ÖSTERREICH<br />

WAS GIBT’S NEUES AM BALKAN?<br />

Von Dennis Miskić<br />

ZWISCHEN<br />

KRIEG<br />

UND KITSCH<br />

In Russland wird am<br />

9. Mai zum „Tag des<br />

Sieges“ das Ende<br />

des 2. Weltkrieges gefeiert. Jahr für Jahr<br />

gehen Bilder von der großen Moskauer<br />

Militärparade über den Roten Platz um<br />

die Welt, so auch vergangenes Jahr 2022<br />

trotz tobenden Ukrainekriegs – Kritiker der<br />

Parade sehen schon lange eine sowjetkitschige<br />

Zurschaustellung militärischer<br />

Stärke. Zu Zeiten der Sowjetunion galt er<br />

eher als stiller Gedenktag, Paraden gab es<br />

nur zu Jubiläen alle fünf Jahre. Seit der<br />

Annexion der Krim 2014 und insbesondere<br />

nach Beginn der Invasion Russlands in die<br />

Ukraine muss der 9. Mai ideologisch für das<br />

aktuelle Vorgehen russischer Streitkräfte in<br />

der Ukraine herhalten, und Präsident Putin<br />

zieht bekanntlich wahnwitzige Parallelen<br />

zwischen dem einstigen Kampf gegen den<br />

Nationalsozialismus und der angeblichen<br />

„Entnazifizierung“ der Ukraine: „Wie 1945<br />

wird dieser Sieg unser sein“, so Putin bei<br />

seiner Rede 2022.<br />

Der Bürgermeister von Riga ließ direkt<br />

am 10. Mai prompt alle Blumen mit einem<br />

Bagger abräumen. Wer in der aktuellen<br />

Situation Blumen an ein Sowjetdenkmal<br />

niederlegt, befürworte den Krieg gegen die<br />

Ukraine, so die Logik. Auch in diesem Jahr<br />

gibt es hitzige Debatten um den Umgang<br />

mit diesem umstrittenen Feiertag. Auch in<br />

Wien versammeln sich jährlich beim „Heldendenkmal<br />

der Roten Armee“ Menschen<br />

am 9. Mai – viele von ihnen Nachkommen<br />

der ex-sowjetischen Diaspora – um dort Blumen<br />

niederzulegen und ihre Vorfahren zu<br />

ehren. Vergangenes Jahr sangen Gegendemonstranten<br />

am Schwarzenbergplatz ukrainische<br />

Volkslieder – einst dienten auch ihre<br />

Landsleute in der Roten Armee. Was vor<br />

lauter Geschichtsrevisionismus am meisten<br />

in den Hintergrund rückt: Das eigentliche<br />

Gedenken an die Opfer des 2. Weltkrieges.<br />

Die Sowjetunion bedauert mit knapp 27 Millionen<br />

Opfer nämlich die meisten Verluste.<br />

Nada El-Azar-Chekh,<br />

Ressortleitung Kultur<br />

el-azar@dasbiber.at<br />

SPÖ-WAHL: LIEBES PARTEIMITGLIED,<br />

RETTEN SIE ÖSTERREICH!<br />

Was mich betrifft, ich kann mit jeder Person an der Parteispitze<br />

der SPÖ leben – immerhin bin ich ja nicht Mitglied<br />

in der Partei. Allerdings kann ich eher nicht mit jeder Person<br />

im Kanzleramt leben – ich denke da zum Beispiel an Herbert Kickl. Dafür<br />

ist mir Österreich zu wichtig. Und so gesehen ist es mir doch nicht egal, wer<br />

die Sozialdemokratie anführt. Es geht jetzt darum, wer diese historisch verdienstvolle<br />

Bewegung so positioniert, dass sie eine Zukunft hat. Dabei ist nicht<br />

die „Migrationsfrage“ spielentscheidend. Entscheidend ist vielmehr, ob die<br />

SPÖ wieder Menschen überzeugt, die sich vom Establishment unverstanden<br />

und ökonomisch abgehängt fühlen. Die Kernfrage für viele ist: Wer ist einer<br />

von „uns“ und keiner von „denen da oben“? Wer kann diese Wähler:innen<br />

für die SPÖ gewinnen, liebes Parteimitglied ? Kreuzen Sie hier an A) Pamela<br />

Rendi-Wagner B) Hans-Peter Doskozil oder C) Andreas Babler. Und bitte verlassen<br />

Sie sich bei Ihrer Wahl ausschließlich auf Ihr politisches Bauchgefühl.<br />

Ihre Parteigremien und Parteigranden haben bereits zu oft geirrt.<br />

Simon Kravagna, Herausgeber kravagna@dasbiber.at<br />

Er ist zwar schon 18 Jahre<br />

tot und seine Amtszeit<br />

zwei Päpste her, für die<br />

Polen kann es nach wie vor<br />

aber nur den einen geben:<br />

Johannes Paul II, der von<br />

1978 bis zu seinem Tod<br />

2005 im Vatikan waltete. Das ehemalige<br />

kirchliche Oberhaupt wurde<br />

jahrelang von seinen Landsleuten auf<br />

ein Podest gestellt, ja ein regelrechter<br />

Kult rund um ihn wurde aufgebaut:<br />

In jeder polnischen Stadt findet<br />

man zumindest eine Johannes Paul<br />

II-Straße, Kreuzungen, Spitäler und<br />

Schulen die nach ihm benannt wurden,<br />

jede polnische Oma trägt sein<br />

Antlitz im Geldbörserl. Anfang März<br />

diesen Jahres erhob eine Investigativ-Reportage<br />

schwere Vorwürfe<br />

gegen den Geistlichen: Demnach<br />

sollte er zu seiner Zeit als Bischof<br />

Missbrauchsfälle in der katholischen<br />

Kirche vertuscht haben und pädophile<br />

Priester geschützt haben.<br />

Bei der polnischen Linken löste<br />

dies eine Reihe an Protesten aus,<br />

JP2-Denkmäler werden mit Farbe<br />

POLEN<br />

HABEMUS REDEBEDARF<br />

Aleksandra Tulej, Chefredakteurin tulej@dasbiber.at<br />

überschüttet, Kirchenaustritte<br />

häufen sich, es wird<br />

sogar gefordert, seine<br />

Heiligsprechung rückgängig<br />

zu machen. Gleichzeitig<br />

stehen die rechte<br />

Regierung und viele seiner<br />

Landsleute weiterhin geschlossen<br />

hinter Johannes Paul II. An seinem<br />

Todestag, dem 2. April fand in Warschau<br />

der „Nationale Marsch für den<br />

Papst“ statt – man las Plakate mit der<br />

Aufschrift: „Wie ein ehrlicher Mann<br />

seine Kinder, seinen Vater und seine<br />

Mutter verteidigt, so verteidigt ganz<br />

Polen Johannes Paul II.“ Eine Trennung<br />

zwischen Staat und Kirche gibt<br />

es in Polen de facto nicht, und wie<br />

so oft spaltet genau das das Land.<br />

Das Problem: Solange die katholische<br />

Kirche sich als unantastbare Institution<br />

halten kann, wird sich nicht<br />

viel ändern. Dafür sind die Polen zu<br />

stolz und zu blind am katholischen<br />

Auge. Meine Prognose: Die Zahl der<br />

Kirchenaustritte wird steigen, genau<br />

wie die Verkaufszahlen der Papst-<br />

Bildchen fürs Geldbörserl.<br />

© Zoe Opratko<br />

„Wir haben einen Deal”, hat der EU-Außenbeauftragte<br />

Joseph Borrell nach einer Verhandlung<br />

zwischen dem serbischen Präsidenten<br />

Aleksandar Vučič und dem kosovarischen Premier<br />

Albin Kurti verkündet. Zuvor war es immer<br />

wieder zu Spannungen gekommen und die<br />

Situation war zum Symbol geworden für alles,<br />

was am Balkan schief lief. Mit dieser Vereinbarung<br />

aber, dem Deal, wurde auf einmal alles<br />

besser. Beide Seiten hielten sich natürlich an<br />

das Abkommen. Serbien erkannte den Kosovo<br />

an und an guten, nachbarschaftlichen<br />

DEAL ODER KEIN DEAL<br />

Kolumnist Dennis Miskić<br />

hat seinen Auslandsdienst<br />

in Srebrenica<br />

geleistet und engagiert<br />

sich in verschiedenen<br />

NGOs zum Thema Westbalkan<br />

und Migrationspolitik.<br />

In seiner Kolumne<br />

hält er euch über Politisches<br />

& Kulturelles vom<br />

Balkan am Laufenden.<br />

Beziehungen wird weiterhin intensiv<br />

gearbeitet. Gemeinsam möchten sie<br />

die Länder auf Vordermann bringen<br />

und für den Frieden im eigenen Land,<br />

aber auch der ganzen Region sorgen.<br />

So hätte es sein können. Oder so sollte<br />

es sein. Ganz so ist es aber nicht<br />

gekommen. Zwei Verhandlungsrunden<br />

und viele bizarre Pressekonferenzen<br />

später sind wir noch immer weit<br />

von einer idyllischen Situation entfernt.<br />

Zuerst hat man sich in Brüssel getroffen. Es war<br />

in einem, wie es schien, auf einem kleinen Tisch<br />

in einem engen Raum. Anscheinend war das<br />

Ziel, die beiden durch physische Nähe zueinander<br />

zu bringen. Geklappt hat es nicht ganz. Das<br />

Bild eines kopfschüttelnden Borrell ging viral.<br />

Die Verzweiflung war ihm auf der Stirn geschrieben.<br />

Runde zwei fand diesen März in Ohrid statt. Die<br />

nordmazedonische Stadt mit einem atemberaubenden<br />

See schien wohl der perfekte Ort.<br />

Und es wurde verhandelt. Mal wieder bis spät in<br />

die Nacht. Und wie auch davor gab es Pressekonferenzen<br />

von allen Beteiligten, die für mehr<br />

Verwirrung als Aufklärung sorgten. Hier wurde<br />

dann der große Deal, der eigentlich aber kein<br />

Deal ist, verkündet.<br />

Nun ja, dass es aber wohl noch immer nicht<br />

zu dem perfekten Abkommen gekommen ist,<br />

überrascht wenige. Vučič sagte kürzlich im<br />

serbischen Staatsfernsehen, er hätte nichts<br />

unterschrieben und so würde es auch<br />

die nächsten Jahre bleiben. Seine<br />

rechte Hand tut nämlich sehr weh,<br />

sagt er. Nur mit seiner rechten Hand<br />

kann er unterschreiben. Wie er sich<br />

bei diesen Aussagen das Lachen verkneifen<br />

kann, ist mir ein Rätsel.<br />

Auch wenn es in der Kosovo-Frage<br />

noch keine klare Antwort gibt, muss<br />

darüber geredet werden. Und das<br />

passiert in Österreich leider viel zu<br />

wenig. Wenn es passiert, dann wird dabei auch<br />

oft der falsche Diskurs im falschen Kontext<br />

benutzt. Noch immer höre ich manchen Leuten<br />

zu, wie sie über die Unabhängigkeit des Landes<br />

diskutieren wollen. Da gibt es nichts zu diskutieren.<br />

Es ist ein souveränes Land mit einer<br />

eigenen Flagge, einer Staatsgrenze und allem,<br />

was noch dazu gehört. Serbien kann es noch so<br />

sehr stören, dass die Kosovar_innen seit 2008<br />

unabhängig sind. Das ändert nichts daran, dass<br />

sie es sind und bleiben werden. ●<br />

12 / MEINUNGSMACHE MIT SCHARF / / MIT SCHARF / 13


„Abendland in<br />

Migrantenhand?“<br />

WIE ÖSTERREICH IMMER WEITER NACH RECHTS RÜCKT.<br />

© Screenshot Facebook/Die Wiener Volkspartei<br />

Nach wiederholten Rassismus-Eklats von hochrangigen<br />

Politikern und Schwarz-Blau in Niederösterreich<br />

ist klar: Ausländerfeindlichkeit<br />

wird in Österreich wieder salonfähiger. Während<br />

die Politik aber scheinbar ungeschoren davonkommt,<br />

fürchten Österreicher:innen mit Migrationshintergrund<br />

um ihre Zukunft in diesem<br />

Land. Der Versuch einer Einordnung.<br />

Von Helin Kara, Mitarbeit: Nada El-Azar-Chekh und Aleksandra Tulej<br />

Illustration: Aliaa Abou Khaddour<br />

Jetzt beginnt wieder die Phase, in denen die Rechten<br />

sich nicht mehr in ihren Häusern verstecken<br />

müssen, sondern offen ihre rassistischen Gedanken<br />

kundgeben“, zeigt Hasan sich verärgert. Der<br />

heute 63-jährige ist Anfang der 1990er-Jahre aus der Türkei<br />

nach Österreich gekommen, um als Hilfsarbeiter in einer<br />

Metallfabrik zu arbeiten. Hasan lebt im Bezirk Neunkirchen in<br />

Niederösterreich. Neunkirchen ist gleichzeitig der Geburtsort<br />

des FPÖ-Politikers Udo Landbauer, der nach der berühmten<br />

Liederbuch-Affäre von 2018 ein regelrechtes politisches<br />

Comeback erlebte – aber dazu später.<br />

„Damals, in den 90er-Jahren, wurden wir von manchen<br />

Menschen wie der letzte Dreck behandelt. Wir mussten<br />

uns ausländerfeindliche Sprüche anhören und ich hatte<br />

das Gefühl, ein Alien zu sein“, erinnert sich Hasan an seine<br />

Anfangszeit in Österreich. „Dann wurde es aber besser:<br />

Wir wurden langsam als Teil der Gesellschaft akzeptiert.<br />

Ich bekam die österreichische Staatsbürgerschaft und war<br />

dann einer von ‚ihnen‘“, hebt er hervor, um dann im gleichen<br />

Atemzug einzuschränken: „Aber jetzt sind wir wieder in der<br />

Hochphase, denn jetzt entsteht durch die neue schwarzblaue<br />

Koalition eine neue Welle des Rassismus.“<br />

„VERLIEREN WIR NICHT UNSER WIEN!“<br />

„Verlieren wir nicht unser Wien!“ – Mit diesen Worten<br />

kommentierte ÖVP-Chef Karl Mahrer Mitte März in einem<br />

Wut-Video seinen Lokalaugenschein am Wiener Brunnenmarkt.<br />

„Syrer, Afghanen und Araber“ hätten die<br />

„Macht über den Brunnenmarkt übernommen.“ Die<br />

Situation lasse sich auch auf ganz Wien übertragen,<br />

so Mahrers Tenor. Die Reaktionen auf die Sager des<br />

Wiener ÖVP-Spitzenpolitikers ließen nicht lange auf<br />

sich warten – auf Social Media hagelte es Kritik, aber<br />

auch viel Zuspruch. Es blieb nicht bei einem kontroversen<br />

Video voller Hetze und Sticheleien gegenüber<br />

marginalisierten Gruppen. Mahrer nahm den „Brennpunkt“<br />

Viktor-Adler-Markt im 10. Bezirk als Nächstes<br />

ins Visier. „Eine Gegend, wo wir uns echt Sorgen<br />

machen müssen“, so Mahrer. Im Video spricht er mit<br />

drei „zufälligen“ Anwohner:innen, von denen zwei<br />

wenig später als ÖVP-Mitglieder identifiziert werden<br />

konnten. Mahrer zeigt sich darauf wenig einsichtig.<br />

WER WÄHLT WEN?<br />

Als die ÖVP im Zuge der jüngsten Landtagswahlen in Niederösterreich<br />

eine Koalition mit der FPÖ einging, hagelte es<br />

Kritik, vor allem von Links.<br />

Eine Studie der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung kam<br />

zu dem Ergebnis, dass die Volkspartei im selben ideologischen<br />

Segment wie die FPÖ verortet ist. Dabei wurden die<br />

größten wahlwerbenden Parteien vor und während der Nationalratswahlen<br />

2017 ins Visier genommen. Das Ergebnis der<br />

Studie zeigte, dass ausgerechnet die ÖVP als Partei, die sich<br />

öffentlich als die bürgerliche Mitte darstellt, gesellschaftssowie<br />

ökonomiepolitisch Extrempositionen einnimmt. Weiter<br />

geht aus der Studie hervor, dass die ÖVP und die FPÖ diejenigen<br />

Parteien sind, die die größte ideologische Überlappung<br />

aufweisen. Nach mehreren kläglich gescheiterten schwarz<br />

(türkis)-blauen Koalitionen scheint es fast, als hätte die<br />

österreichische Bevölkerung nichts daraus gelernt.<br />

THE KIDS ARE ALL RIGHT?<br />

Die FPÖ positioniert sich seit jeher als Oppositionspartei<br />

zum politischen Establishment und profitiert von einer<br />

geschwächten ÖVP, die nach der „Korruptionsaffäre“ um<br />

mit Steuergeld finanzierte, gefälschte Umfragen an Vertrauen<br />

verlor. Eine SORA-Analyse zeigt, dass der größte Wählerstrom<br />

mit 72.000 Stimmen von der ÖVP zur FPÖ ging.<br />

Auch die SPÖ, die mit internen Kämpfen um die Parteispitze<br />

beschäftigt war, verlor am stärksten an die Freiheitliche<br />

Partei. Das zeigt sich auch bei jungen Wahlberechtigten: 29<br />

Prozent der unter 29-jährigen gaben in Niederösterreich ihre<br />

Stimme der FPÖ.<br />

Man spricht von einem „blauen Wunder“ – das zudem<br />

nach Verlust der FPÖ-Regierungsbeteiligung im Zuge der<br />

Ibiza-Affäre noch viel früher eintrat, als erwartet. Dabei ist<br />

die Liste an „rechtsextremen Einzelfällen“ innerhalb und im<br />

Umfeld der FPÖ trostlos lang. Nachhaltige Konsequenzen<br />

bekommen Politiker wie Gottfried Waldhäusl aber nicht zu<br />

spüren. Im Gegenteil – so erlebte der FPÖ-Politiker Udo<br />

Landbauer ein regelrechtes Comeback nach seinem Rücktritt<br />

im Zuge der skandalträchtigen Liederbuch-Affäre von 2018.<br />

Der 1986 im niederösterreichischen Neunkirchen geborene<br />

Landbauer – Sohn einer Iranerin – war zu dieser Zeit stell-<br />

ÖVP-Chef Karl Mahrer löste mit seinem Sager am Brunnenmarkt<br />

eine hitzige Debatte aus.<br />

14 / POLITIKA | WIEN /<br />

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vertretender Vorsitzender der Burschenschaft Germania zu<br />

Wiener Neustadt. Die Wochenzeitung „Falter“ veröffentlichte<br />

2018 einen Bericht zu einem Liederbuch mit antisemitischen<br />

Texten, die mit Strophen wie „Da trat in ihre Mitte der Jude<br />

Ben Gurion: ‚Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die<br />

siebte Million!“ im Verdacht eines Bruchs des Verbotsgesetzes<br />

standen. Das Liederbuch wurde bei einer Hausdurchsuchung<br />

bei besagter Burschenschaft gefunden. Landbauer<br />

erklärte damals, nichts von dem Liederbuch mitbekommen<br />

zu haben, suspendierte seine Mitgliedschaft bei der Burschenschaft<br />

und stellte vorübergehend all seine politischen<br />

Funktionen ruhend. Aber nur vorübergehend: Heute ist<br />

Landbauer Stellvertreter von Landeshauptfrau Johanna Mikl-<br />

Leitner.<br />

SCHRÖDINGERS AUSLÄNDER<br />

„Es macht mich wütend, dass sich ein Mensch mit politischer<br />

Gestaltungsmacht wie Karl Mahrer in einer multikulturellen<br />

Millionenstadt vor eine Kamera stellt und anderen<br />

Menschen ganz offen deren Wertigkeit und ihr Menschsein<br />

absprechen möchte“, kommentiert die Tik-Tokerin Irina alias<br />

Toxische Pommes Mahrers Brunnenmarkt-Video. Die Juristin<br />

und Comedian äußert sich regelmäßig auf den Plattformen<br />

Instagram und Tik-Tok satirisch zum politischen Geschehen<br />

in Österreich.<br />

Sie zieht in Bezug auf das Brunnenmarkt-Video einen<br />

Vergleich zum altbekannten Bild von „Schrödingers Ausländer“:<br />

„Wenn du nicht arbeitest, bist du der faule Ausländer,<br />

wenn du arbeitest, bist du der Ausländer, der den<br />

Österreicher:innen die Arbeitsplätze – oder, wie in diesem<br />

Fall, die Marktplätze – wegnimmt."<br />

Aufgewachsen ist Irina als Tochter von ex-jugoslawischen<br />

Kriegsflüchtlingen im niederösterreichschen Wiener Neustadt.<br />

„Ich kenne Niederösterreich als politisch tiefschwarzes<br />

Bundesland – Erwin Prölls Porträt neben dem riesigen hölzernen<br />

Kreuz an der Wand hat mich meine gesamte Schulzeit<br />

begleitet.“ Auch erinnert sich die Juristin an Vorfälle im Klassenzimmer,<br />

bei denen des Öfteren „zum Spaß“ Hitlergrüße<br />

gemacht und „Heil Hitler“ durch den Raum gerufen wurde.<br />

Auch der 24-jährige Christoph ist in Niederösterreich<br />

aufgewachsen – genauer gesagt in Baden, ist jüdischen<br />

Glaubens und studiert Geschichte an der Uni Wien. „Die ÖVP<br />

Die Juristin und<br />

Tik-Tokerin Irina aka<br />

„Toxische Pommes”<br />

ist als Tochter von<br />

ex-jugoslawischen<br />

Kriegsflüchtlingen<br />

in Niederösterreich<br />

aufgewachsen.<br />

hatte ganz lange in Niederösterreich die Alleinherrschaft<br />

inne. Die SPÖ in Niederösterreich ist nicht wirklich eine politische<br />

Komponente“, analysiert er.<br />

„Natürlich hat die ÖVP in Niederösterreich Rassist:innen<br />

in ihren Reihen und agiert dementsprechend. Ich glaube,<br />

dass man in diesem Wahlkampf das politisch instrumentalisierte,<br />

was vorher als unsagbar galt und es explizit an<br />

die Öffentlichkeit brachte, um mit der FPÖ um Stimmen zu<br />

konkurrieren“, ordnet er ein.<br />

Irina stößt sich daran, dass die Schuldzuweisungen bei<br />

einem Gewinn der FPÖ zu einseitig gesehen werden: „In<br />

der medialen Berichterstattung wird dann oft nach Erklärungen<br />

und Entschuldigungen für das Wahlverhalten der<br />

Wähler:innen gesucht, so auf die Art, dass die FPÖ mit<br />

ihrer rassistischen Politik die große Verführung sei und ihre<br />

Wähler:innen es einfach nicht besser gewusst hätten. Das<br />

ist nicht nur infantilisierend gegenüber den Wähler:innen,<br />

sondern verharmlost auch Rassismus. Man kann der<br />

österreichischen wahlberechtigten Bevölkerung ihre Wahlentscheidungen<br />

schon zumuten“, so die Juristin. Statt der<br />

Frage, warum die Regierung Rassismus gutheiße, sollte die<br />

Frage, warum die Bevölkerung Rassismus gutheiße, öfter<br />

gestellt werden.<br />

DAS VERLORENE WIEN DER ÖVP<br />

UND FPÖ<br />

Einen Ton wie in Mahrers Videos ist man in Österreich<br />

eigentlich aus den Reihen der FPÖ gewohnt – so hat doch<br />

kürzlich Gottfried Waldhäusl in einem TV-Auftritt angedeutet,<br />

dass Wien noch „wie Wien“ wäre, gäbe es keine Menschen<br />

mit Migrationshintergrund in der Stadt. Trotz großen Aufschreis<br />

über den Sager sitzt Waldhäusl seit Beschluss der<br />

neuesten schwarz-blauen Koalition als zweiter Präsident im<br />

Landtag von Niederösterreich.<br />

Timo Steyer, Mitglied des Landesvorstands der jungen<br />

Volkspartei Wien, sieht kein Problem in Mahrers Wortwahl.<br />

Laut ihm „stehen wir vor riesigen Herausforderungen<br />

im Integrationsbereich“ und „dürfen nicht die Menschen<br />

verteufeln, die diese Probleme ansprechen.“ Missstände<br />

anzusprechen, sei die einzige Möglichkeit, eine „erfolgreiche<br />

Stadt zu bleiben.“ Was genau diese Missstände sind, ist<br />

unklar. Ebenso unklar ist, wieso keine Maßnahmen zu den<br />

„Herausforderungen im Integrationsbereich“ unternommen<br />

wurden, wenn doch die ÖVP die letzten 10 Jahre das Integrationsressort<br />

geführt hat. Statt nach einem nachhaltigen<br />

Lösungskonzept zu suchen, wird politisches Kleingeld mit<br />

Migrant:innen gemacht. So kündigte auch Bundeskanzler<br />

Karl Nehammer (ÖVP) an, Sozialleistungen für Zuwanderer<br />

kürzen zu wollen, mit der Begründung, dass man die „Fehler<br />

der 60er- und 70er- Jahre nicht wiederholen wolle“, als<br />

die Gastarbeiter:innen nach Österreich geholt wurden und<br />

„wider Erwarten blieben, Integrationsproblem inklusive.“<br />

„Es herrschen herausfordernde Zeiten“, so Steyer. „Wir<br />

als ÖVP haben die richtigen Antworten auf die Probleme.“<br />

Das sei laut Steyer „sicher ein Grund, warum wir bei jungen<br />

Menschen gut ankommen.“<br />

„Das ist ja nicht neu, dass als politische Taktik auf die<br />

© Zoe Opratko<br />

© Weingartner-Foto / picturedesk.com<br />

Seit Ende März regiert die ÖVP in Niederösterreich in Koalition mit der FPÖ.<br />

Im Arbeitsprogramm steht u.a. eine Deutschpflicht am Schulhof.<br />

Schwächsten in unserer Gesellschaft getreten wird, damit<br />

man eine bestimmte Wählerschicht erreicht“, so Adis<br />

Serifović, Vorsitzender der Muslimischen Jugend Österreich.<br />

„Nur dass man jetzt sogar jene Gruppe beschmutzt, die<br />

unser Land Österreich wirtschaftlich dorthin gebracht hat,<br />

wo wir jetzt sind, ist unglaublich beschämend. Ich wünsche<br />

mir, dass man endlich aufhört, Politik auf dem Rücken von<br />

marginalisierten Gruppen zu machen.“<br />

NICHT NUR ÖSTERREICH<br />

WIRD RECHTER<br />

Im schwarz-blauen Koalitionsabkommen in Niederösterreich<br />

verspricht die FPÖ mitunter Rückzahlungen von Corona-<br />

Strafen aus einem 30 Millionen Euro schweren Fond,<br />

Deutschpflicht an den Schulen und eine Wirtshausprämie<br />

für traditionelle österreichische Speisen auf dem Menü. Udo<br />

Landbauer spricht im Zusammenhang mit Entschädigungen<br />

für Corona-Strafenzahler und Impfgeschädigte von einem<br />

„Weg der Wiedergutmachung und Gerechtigkeit“. Landbauer<br />

gab in einem Interview mit dem Standard an, dass der Begriff<br />

„Menschenrechte“ mittlerweile „zu schwammig sei“. Er<br />

unterscheide demnach zwischen Rechten für „Staatsbürger<br />

und Nichtstaatsbürger“.<br />

Einen deutlichen Rechtsruck und von offenem Rassismus<br />

enthemmte Debatten sehen wir aber nicht nur in Österreich:<br />

Im EU-Vergleich reicht ein Blick auf Italien, Schweden, Belgien,<br />

Ungarn, Finnland und andere Länder, in denen Rechtspopulisten<br />

deutlich an Zuwachs gewinnen.<br />

„DAHAM STATT ISLAM“ – WAS KOMMT<br />

JETZT?<br />

Dabei ist der heimische Rechtsruck ja nichts Neues, Österreich<br />

scheint nur nicht daraus gelernt zu haben. Seit Jahren<br />

und Jahrzehnten wird auf dem Rücken von Migrant:innen<br />

rassistische Politik betrieben: Kopftuchverbote an Schulen,<br />

Islam-Landkarte, die Balkanrouten-Diskussion, und nicht<br />

zu vergessen die Wahlplakate, die tief in unseren Köpfen<br />

bleiben.<br />

Wir erinnern uns noch alle an die FPÖ-Slogans „Daham<br />

statt Islam“, „Heimatliebe statt Marrokanerdiebe“, „Pummerin<br />

statt Muezzin“, die plakativ auf uns in der ganzen Stadt<br />

herunterblickten. Diese Sprüche kennen nicht nur Menschen,<br />

die damals alt genug waren, um sie zu verstehen – auch<br />

jene, die nach dieser Zeit geboren sind, haben diese Aussagen<br />

verinnerlicht, wie die 16-jährige Nadin. Nadin ist Wienerin<br />

mit ägyptischem Migrationshintergrund. „Mein Vater hat<br />

mir von diesen Plakaten und Sprüchen erzählt. Ich weiß, was<br />

sie bedeuten“, so die Schülerin. Manch einer mag jetzt den<br />

Kopf schütteln und behaupten, so etwas wäre heutzutage ja<br />

gar nicht mehr möglich. Fehlanzeige, wie die neuesten Entwicklungen<br />

zeigen: „Jugendbanden & Problemviertel“ titelt<br />

die Wiener ÖVP neuerdings auf ihren Wahlplakaten. „Gegenden,<br />

in denen migrantische Jugendbanden herrschen und<br />

durch Abschottung Parallelgesellschaften mit eigenen Regeln<br />

entstehen. Das ist nicht normal“, liest man auf den Plakaten,<br />

mit denen Wien gerade zugepflastert wird. Übrigens, für die<br />

Einordnung: Statistiken zu der Kriminalitätsrate „migrantischer<br />

Jugendbanden“ per se werden von der polizeilichen<br />

Kriminalstatistik nicht erfasst, da viele Migrant:innen die<br />

österreichische Staatsbürger:innenschaft besitzen. Es bleibt<br />

also bei der Polemik.<br />

„Dadurch, dass immer mehr Politiker:innen so hochproblematische<br />

Aussagen tätigen, glauben immer mehr<br />

Menschen, dass das ja eh okay sei, so zu denken. Aber ich<br />

frage mich dann: Werde ich in Zukunft auch trotz meines<br />

Kopftuchs einen Job finden? Wie lange werde ich von dieser<br />

Gesellschaft noch akzeptiert werden?“, so die Gedanken<br />

der Schülerin. „Wir akzeptieren die Falschen in der Gesellschaft<br />

und, anstatt nach vorne zu gehen, entwickeln wir uns<br />

zurück“, resümiert sie. ●<br />

16 / POLITIKA | WIEN /<br />

/ POLITIKA | WIEN / 17


Herr Babler, wie<br />

lange hackelten<br />

Sie am Fließband?<br />

Wie viel Prozent<br />

der Stimmen<br />

wollen Sie bei<br />

der Mitgliederbefragung<br />

der SPÖ<br />

bekommen?<br />

Wie oft haben<br />

Sie sich schon<br />

über SPÖ-Bundesgeschäftsführer<br />

Christian<br />

Deutsch<br />

geärgert?<br />

Wie viele<br />

Politiker:innen<br />

in der SPÖ<br />

gehen Ihnen auf<br />

die Nerven?<br />

Wie viele<br />

Parteien haben<br />

Sie bereits in<br />

Ihrem Leben<br />

gewählt?<br />

Auf einer Skala<br />

von 0 bis 100:<br />

Wie viele Meter<br />

links von der<br />

Mitte stehen<br />

Sie politisch?<br />

Wie viel Euro<br />

pro Monat sollte<br />

man mit einem<br />

40-Stunden-<br />

Job mindestens<br />

netto verdienen?<br />

Wie viel Euro<br />

verdienen Sie<br />

netto im Monat<br />

als Bürgermeister?*<br />

Wie viele Jahre<br />

haben Sie in<br />

ihrem Leben<br />

am Fließband<br />

gearbeitet?<br />

Interview in Zahlen: In der Politik<br />

wird schon genug geredet. Biber<br />

fragt in Worten. Andreas Babler,<br />

Bürgermeister von Traiskirchen<br />

und Kandidat für die SPÖ-Führung,<br />

antwortet mit einer Zahl.<br />

Von Simon Kravagna, Fotos: Zoe Opratko<br />

56<br />

200<br />

12<br />

2<br />

62<br />

2.400<br />

3.950<br />

*Die SPÖ-Parteisteuer<br />

ist bei dieser Summe<br />

bereits abgezogen<br />

3<br />

Andreas Babler hat in Summe drei Jahre am<br />

Fließband gearbeitet.<br />

Als Jugendlicher ist er einmal in der HTL durchgefallen.<br />

Zwei Parteien hat die linke SPÖ-Hoffnung in seinem Leben<br />

bisher gewählt.<br />

Fünfmal war Babler in seinem Leben verliebt. Mit seiner Frau<br />

hat der SPÖ-Politiker eine achtjährige Tochter.<br />

Wie oft sind<br />

Sie in der HTL<br />

durchgeflogen?<br />

Wie oft haben<br />

Sie in „Das<br />

Kapital“ von<br />

Karl Marx<br />

reingelesen?<br />

Wie oft im<br />

Jahr hören Sie<br />

einen Song<br />

von Falco?<br />

Wie oft waren<br />

Sie richtig<br />

verliebt?<br />

Wie oft haben<br />

Sie ein Spiel<br />

des FC St. Pauli<br />

besucht?<br />

Wie viele<br />

Zuwander:-<br />

innen braucht<br />

Österreich<br />

pro Jahr?<br />

Wann könnte<br />

die Ukraine<br />

frühestens der<br />

EU beitreten?<br />

Wie viele<br />

Einwohner:-<br />

innen hat<br />

Traiskirchen?<br />

Wie viele<br />

Geflüchtete<br />

leben derzeit in<br />

Traiskirchen?<br />

Wie viele<br />

Geflüchtete<br />

lebten 2015 an<br />

Spitzentagen in<br />

Traiskirchen?<br />

1<br />

20<br />

365<br />

5<br />

16<br />

70.000<br />

2028<br />

21.009<br />

769<br />

6.500<br />

18 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / 19


„Angriffe auf Geflüchtete<br />

sind Angriffe auf die<br />

Arbeiterklasse.“<br />

Von Nada El-Azar-Chekh, Foto: Christoph Liebentritt<br />

Wer ist sie?<br />

Kübra Atasoy ist<br />

langjährige politische<br />

Aktivistin und<br />

Linguistin. Seit 2013<br />

ist sie bei Asyl in<br />

Not, übernahm 2018<br />

die Geschäftsführung<br />

und löste 2021<br />

Michael Genner als<br />

Vorsitzenden ab.<br />

Die Organisation Asyl in Not saß<br />

seit ihrer Gründung Mitte der<br />

80er-Jahre im Wiener WUK. Nun<br />

musste sie der Generalsanierung<br />

des Hauses weichen – ohne Aussicht<br />

auf ein Ersatzquartier oder eine<br />

Rückkehr ins WUK. Im letzten<br />

Interview aus der Basis erzählt<br />

Vorsitzende Kübra Atasoy, wie in der<br />

Politik Österreichs Grenzen längst<br />

überschritten wurden.<br />

<strong>BIBER</strong>: Wie kam es zur Räumung des<br />

Büros von Asyl in Not, das seit jeher im<br />

WUK war?<br />

KÜBRA ATASOY: Der Verein WUK, der<br />

ursprünglich eine Hausbesetzung war,<br />

hat einen Mietvertrag mit der Stadt Wien<br />

unterzeichnet, um dringende Sanierungsarbeiten<br />

durchführen zu können. Deshalb<br />

müssen alle Institutionen das Haus für<br />

eine gewisse Zeit verlassen. Dagegen<br />

spricht in erster Linie gar nichts. Allerdings<br />

haben alle anderen Institutionen<br />

vom WUK ein Ersatzquartier zugewiesen<br />

bekommen – so war es anfangs auch mit<br />

Asyl in Not geplant. Ende Jänner wurden<br />

wir jedoch informiert, dass wir doch kein<br />

Ersatzquartier bekommen, und, dass wir<br />

unsere „Arbeit pausieren mögen“.<br />

Wie sollte eine Organisation wie Asyl in<br />

Not pausieren?<br />

Genau, Asyl in Not kann die Arbeit nicht<br />

pausieren – wir vertreten Menschen vor<br />

Gericht und vor Behörden, die politisch<br />

verfolgt werden, oder denen als<br />

Geflüchtete Menschenrechte verwehrt<br />

bleiben. Es laufen aktuell Hunderte<br />

aktive Verfahren mit dem Bundesamt für<br />

Fremdenwesen und Asyl, dem Bundesverwaltungsgericht<br />

oder dem Landesverwaltungsgericht.<br />

Wenn ich meine<br />

Arbeit pausieren muss, dann müssten<br />

die betreffenden Behörden und Gerichte<br />

ebenfalls ihre Arbeit niederlegen. Wir<br />

haben innerhalb von drei Wochen Tausende<br />

Gerichtsakten digitalisiert, was wir<br />

jahrelang aufgeschoben hatten – sollte<br />

auch nur einer von ihnen beim Auszug<br />

verloren gehen, kann ich für immer<br />

zusperren.<br />

Warum sollte sich die Mehrheitsgesellschaft<br />

für die Rechte von Geflüchteten<br />

interessieren?<br />

Am Status der Geflüchteten zeigt sich<br />

der Zustand des strukturellen Rassismus<br />

in Österreich deutlich. Wir haben es mit<br />

Menschen zu tun, denen grundlegende<br />

Menschenrechte verwehrt werden,<br />

wie etwa das Recht auf Arbeit oder<br />

das Recht auf ein menschenwürdiges<br />

Zuhause. Gleichzeitig ist dieser Zustand<br />

ein guter Spielball für die Politik: Themen<br />

rund um Asyl und Flucht werden<br />

nur plakativ verwendet, um allgemeine<br />

Grundrechte abzubauen. Wer wie<br />

Bundeskanzler Nehammer davon spricht,<br />

Asylberechtigten Sozialleistungen zu<br />

kürzen, spricht davon, österreichischen<br />

StaatsbürgerInnen Sozialleistungen zu<br />

kürzen – jedoch durch die Hintertür.<br />

Welche Mythen gibt es rund um AsylwerberInnen<br />

und Geflüchtete in Österreich,<br />

die endlich geklärt werden sollten?<br />

Ich sage es so: Unsere KlientInnen sind<br />

ganz normale Angehörige der österreichischen<br />

Arbeiterklasse. Es gibt de<br />

facto keine Flüchtlinge hierzulande, die<br />

es sich leisten könnten, nicht zu arbeiten.<br />

Sie sind verantwortungsbewusste<br />

Menschen, die Familien zu versorgen<br />

haben und versuchen, sich hier etwas<br />

aufzubauen. Schon aus purem Überlebensinteresse<br />

wollen viele erst gar nicht<br />

in die Kriminalität rutschen. Ich möchte<br />

gerne darüber diskutieren, warum unter<br />

dem Begriff der ArbeiterInnenschicht in<br />

Österreich nicht nur der weiße, mittelalte<br />

Metallarbeiter verstanden werden<br />

sollte, sondern auch alle Menschen, die<br />

in der Pflege arbeiten – dokumentiert<br />

oder undokumentiert – oder auch junge<br />

Menschen, die bei Lieferdiensten arbeiten.<br />

Angriffe auf Geflüchtete sind somit<br />

Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse.<br />

Diese Diskussion wird weder von links,<br />

noch von rechts geführt.<br />

Wie bewertest du die jüngsten politischen<br />

Entwicklungen in Österreich auf<br />

persönlicher Ebene?<br />

Wenn in Österreich ein Bundeskanzler<br />

öffentlich sagen kann, dass er die GastarbeiterInnen<br />

bereut, dann ist eindeutig<br />

ein Damm gebrochen. Dasselbe gilt für<br />

seine Parteikollegen, die mitten in der<br />

Stadt unverschämt gegen MigrantInnen<br />

hetzen und sich auf Social Media profilieren<br />

wollen. Auch meine Großeltern<br />

sind mit dem zweiten Zug 1964 nach<br />

Österreich gekommen und haben sich<br />

ihre Körper kaputtgeschuftet – davon<br />

profitiert Österreich bis heute. Mittlerweile<br />

berühren mich solche Aussagen aber<br />

kaum mehr, denn ich kann mir ohnehin<br />

die Namen der jeweiligen Parteichefs<br />

nicht mehr merken. Sie entfalten keinerlei<br />

politische Kraft mit dieser Stimmungsmache<br />

– für mich hat das Ganze mehr<br />

von einem Todesringen um Relevanz.<br />

Wie viele Menschen sind bei Asyl in Not<br />

tätig, und wie finanziert ihr euch?<br />

Wir sind als politische Organisation<br />

ein Rechtsberatungsbetrieb mit sechs<br />

Angestellten und einigen ehrenamtlichen<br />

JuristInnen. Außerdem bilden wir<br />

Menschen kostenlos in Sachen Asylrechtsberatung<br />

aus. Wir werden zu 95<br />

Prozent aus Spenden finanziert, vereinzelt<br />

bekommen wir projektbasierte<br />

Förderungen.<br />

Asyl in Not ist eine unabhängige<br />

Menschenrechts-NGO, die Geflüchteten<br />

in Österreich Rechtsberatung<br />

und Vertretung in Asylverfahren<br />

bietet. Mehr Infos findet ihr unter:<br />

asyl-in-not.org<br />

Professionalität<br />

liegt uns im Blut.<br />

Zusammen bedeutet<br />

Pflege einfach mehr.<br />

Für unsere Bewohner*innen,<br />

die wir kompetent betreuen<br />

und deren Lebensqualität uns<br />

am Herzen liegt.<br />

Für die Angehörigen, denen<br />

wir mit unserer Expertise zur<br />

Seite stehen.<br />

Für unsere Kolleg*innen,<br />

denen wir Arbeit mit Sinn,<br />

Zukunft und aktivem<br />

Mitgestalten ermöglichen.<br />

Jetzt bewerben auf<br />

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20 / POLITIKA | WIEN /<br />

HB_Anz_Kampagne_Herzlichk_Muttermal_Spende_207x135_RZ.indd 1 11.<strong>04</strong>.<strong>23</strong> 18:21


NACH DEM ERDBEBEN IN DER TÜRKEI:<br />

EIN BRIEF AN<br />

HATAY, MEINE<br />

HEIMATSTADT<br />

Von Mercan Falter (Text und Fotos)<br />

HATAY,<br />

Memleketim [Anm., Türkisch für „meine Heimatstadt“].<br />

Ich bin nicht auf deiner Erde geboren, aber meine Wurzeln<br />

gehen tief. Ich bin die gesamten Sommer meiner Kindheit<br />

und darüber hinaus durch deine Straßen gelaufen, habe dein<br />

Salzwasser geschmeckt, wurde in deine klimatische und<br />

menschliche Wärme gehüllt und aufgezogen. Jedes Jahr<br />

kam ich als ein anderer Mensch bei dir an, ein bisschen älter,<br />

größer und reifer. Du bist im Grunde immer gleich geblieben,<br />

eine vertraute Konstante. Letztes Jahr kam ich dann auch zu<br />

zweit, habe dir meinen Lebenspartner vorgestellt, dein Henna<br />

auf meine Hände gestrichen bekommen. Umkreist von<br />

den wärmsten, liebevollsten und aufopferndsten Menschen,<br />

die du zu bieten hast. Sie haben dich zu dem gemacht, was<br />

du für mich bist. Meine Heimat.<br />

Sechs von diesen Menschen fehlen heute. Und wie sie<br />

fehlen. Ein dunkler Schleier hat sich über die Stelle in meinem<br />

Körper gelegt, in der ich all meine leuchtenden Erinnerungen<br />

an dich gespeichert habe.<br />

Die heutige Reise zu dir ist gleich von Beginn an völlig<br />

anders. Ich fliege nicht direkt, sondern lande in der nächstgelegenen<br />

Provinz Adana und nehme den Bus zu dir. Dein<br />

Flughafen ist zerstört. Die Reise ist es aber nicht, die mich<br />

nervös macht. Zum ersten Mal in meinem Leben steige<br />

ich nicht mit Vorfreude ins Flugzeug zu dir. Ich bin traurig,<br />

nervös und habe Angst vor dem, was ich wohl sehen werde.<br />

Wochenlang habe ich Bilder und Videos von dir studiert und<br />

versucht, vertraute Gegenden zu erkennen, doch es wirkte<br />

alles wie ein surrealer Film. „Bereite dich darauf vor, was<br />

du sehen wirst“, sagt mir meine Familie. Wie bereitet man<br />

sich auf so was vor? Es wirkt doch alles immer noch wie ein<br />

Albtraum.<br />

Und so bleibt es auch, als ich das erste Mal deine zerstörten<br />

Häuser erblicke. Es sackt nicht. Ich beobachte die<br />

Zelte, die an jeder Ecke und vor jedem Haus aufgestellt sind.<br />

Ich erblicke einen Kinderspielplatz, drei Zelte sind um die<br />

bunten Klettergerüste gespannt. Jede deiner freien Flächen<br />

wird genutzt. Seit Wochen schlafen alle deine Menschen<br />

in diesen Zelten, wenn sie nicht schon in andere Provinzen<br />

geflohen sind. Die Nachbeben waren so häufig und heftig<br />

und fast alle deine noch stehenden Gebäude zu beschädigt,<br />

um in ihnen beruhigt die Augen schließen zu können. Jedes<br />

Zelt sieht anders aus: Manche sind blau mit chinesischen<br />

Schriftzeichen, auf manchen steht UK Aid, andere sind<br />

weiß mit dem AFAD-Logo. Doch viele, so viele sind selbst<br />

gemacht. Mit Planen und Paletten und Schnüren an die noch<br />

stehenden Häuser aufgebaut.<br />

Und dann stehe ich da. Dein Cay Viertel in Iskenderun,<br />

ich erkenne es nicht wieder. Kein Stein steht auf dem anderen.<br />

Was von deinen vielen Häusern hier übrig geblieben ist,<br />

ist ein einziger Haufen. Sie sind dem Boden gleich. Dazwischen<br />

ragen Kleider, Zettel, Schuhe, Spielsachen hervor.<br />

Entlang der Trümmer haben deine Menschen überall Fotos<br />

ausgebreitet, die sie aus den Trümmern gezogen haben. Ich<br />

frage mich, wie viele von all jenen, die mir aus den Familienalben<br />

herauslächeln, hier wohl ihr Leben verloren haben.<br />

Ich gehe behutsam durch die schmale Spur, die durch die<br />

Verwüstung gezogen wurde, und bin an meinem Ziel. Die<br />

Adresse, die wir hilfesuchend vier Tage lang durch alle<br />

Kanäle gejagt haben. Die Adresse des neuen Hochhauses,<br />

das meine Tante, meinen Onkel, meinen Cousin, seine Frau<br />

und ihr 10 Monate altes Baby unter sich vergraben und in<br />

den Tod gerissen hat. Statt pompöse 15 Stockwerke, finde<br />

ich vor mir einen Haufen, der keine zwei Stockwerke hoch<br />

ist. Ich verstehe jetzt, wieso wir in Wien leichter auf gute<br />

Nachrichten von dir hoffen konnten. Hier steht nichts. Die<br />

wenigen, viel zu dünnen Stahlträger leuchten wie Spaghetti<br />

ineinander geflochten rostrot aus dem Grau.<br />

Und nun kommen sie endlich, die Tränen. Ich hatte<br />

lange auf sie gewartet. Sie brechen aus mir heraus, aber der<br />

Schmerz dringt nicht durch die Taubheit. Jedes Mal, wenn<br />

ich an deinen Trümmern vorbeifahre, halte ich unbewusst<br />

den Atem an. Das Gesicht verzieht sich schmerzvoll, aber<br />

der Schmerz bleibt aus. „Wie sollst du dich nur jemals<br />

davon erholen?“, flüstere ich dir zu. Viele Wochen nach der<br />

Katastrophe hat sich eine merkwürdige Stimmung in deinen<br />

Straßen entwickelt. Eine Kombination bestehend aus akuter<br />

Krise und dem Versuch, weiterzumachen. Gegenüber eines<br />

schwer beschädigten und verlassenen Hauses suchen die<br />

Menschen Zerstreuung durch Sport und trainieren in der<br />

Auslage eines Fitnesscenters. Viele Autos fahren durch<br />

deine Straßen, es sind Menschen unterwegs, aber niemand<br />

schlendert oder spaziert gemeinsam. Deine Promenade steht<br />

unter Wasser. Die Menschen, die unterwegs sind, haben alle<br />

Gründe, warum sie da sind. Sie stehen vor ihren Trümmern,<br />

suchen nach einem funktionierenden Bankomaten, versuchen<br />

Proviant zu besorgen oder sind eine von den vielen<br />

freiwilligen Helfer:innen, die angereist sind, um in deinen<br />

Zeltstädten auszuhelfen. Ich habe innerhalb einer Woche<br />

niemanden von AFAD, Polizei oder anderen Hilfsorganisationen<br />

auf deinen Straßen gesehen. Du wurdest dir selber<br />

überlassen. Menschen stehen Schlange vor deinem ebenso<br />

schwer beschädigten Gerichtsgebäude, das im Notbetrieb zu<br />

Spielsachen, Zettel, Fotos: Viel ist nicht übrig geblieben.<br />

22 / POLITIKA /<br />

/ POLITIKA / <strong>23</strong>


funktionieren versucht. Was für ein nahezu lachhaft plakatives<br />

Symbol für den Zustand deiner Demokratie.<br />

Ich begleite jeden Tag meinen Cousin und meine Cousine<br />

bei dem Versuch, ihre Amtswege nach dem Verlust ihrer<br />

Eltern zu begehen. Bei jeder Einleitung und Erklärung, dass<br />

ihre Eltern gestorben sind und sie sich deshalb hier jetzt um<br />

die Stromrechnung / Wasserrechnung / Kredite / Auto s/<br />

Versicherungen / usw. von ihnen kümmern müssen, kommt<br />

eine höfliche Beileidsbekundung und dann gleich zur Sache.<br />

Deine Menschen erschüttert das nicht mehr, sie begegnen<br />

jeden Tag nur noch Menschen, die alles verloren haben. Sie<br />

erzählen mir, wie sie die Nacht erlebt haben, in der sich alles<br />

für immer geändert hat. Sie konnten nichts tun, außer sich<br />

festzuhalten, zu beten und auf das Ende der ersten Entladung<br />

zu warten, um im Pyjama in die Kälte hinaus zu fliehen.<br />

Sie erzählen davon, wie tagelang keine Hilfe kam. „Wir waren<br />

auf uns alleine gestellt. Wenn du selber keine Menschen<br />

unter den Trümmern hattest, bist du zu anderen Häusern hin<br />

und hast den Angehörigen beim Graben geholfen“, erzählt<br />

mir mein Onkel. Er schläft nicht, er hat zu viele Leichen<br />

geborgen. Darunter auch die Leichen unserer Familie. Doch<br />

zumindest konnten wir sie bergen, sie deiner Erde übergeben<br />

und verabschieden. In einer deiner Wohnsiedlungen in<br />

Arsuz wurde mit den Arbeiten noch nicht mal begonnen. Es<br />

riecht nach Verwesung.<br />

Zwischen all den zerstörten Gebäuden ragen immer<br />

wieder makellose Hotels, Einkaufszentren u.Ä. heraus. Sie<br />

stechen als schmerzhafte Erinnerung an dich heraus und<br />

beklagen, dass dieses Ausmaß nicht hätte sein müssen, dass<br />

deine Häuser – ordentlich gebaut – nicht so leicht in sich<br />

zusammengefallen wären und nicht diese unvorstellbar hohe<br />

Todeszahl zur Folge gehabt hätten und: Dass Korruption<br />

tötet.<br />

Deine Menschen brauchen Hoffnung, Hatay. Sie sind<br />

resilient, stark und lehnen sich, so gut sie können, gegen ihr<br />

Schicksal auf. Doch mit jedem Schlag, jedem Unwetter, jeder<br />

weiteren Präsentation des Unwillens der Regierung, zu helfen,<br />

wächst ihre Verzweiflung. Sie sind schwer traumatisiert.<br />

Niemandem geht es gut. Die Welt hat bereits nach kurzer<br />

WIE SIEHT ES AKTUELL IN HATAY AUS?<br />

Die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien am 6. Februar<br />

20<strong>23</strong> mit der Magnitude 7,8 Mw verzeichnet stand Mitte April über<br />

56.000 Todesopfer, etwa 2,5 Millionen Menschen mussten aus ihrer<br />

Heimat fliehen. Die türkische Provinz Hatay im Südosten der Türkei<br />

ist mitunter am stärksten von der Katastrophe betroffen: Helfer:innen<br />

vor Ort beklagen die Knappheit von Grundnahrungsmittel und<br />

sauberem Trinkwasser und durch das Fehlen von Sanitäranlagen<br />

bestehe auch die Sorge eines folgendem Gesundheitsproblems. Ein<br />

Teil der Betroffenen hat das Gebiet bereits verlassen. Familien und<br />

ältere Menschen, die die nötigen finanziellen Mittel dazu nicht besitzen<br />

stecken allerdings fest und hoffen nach wie vor auf Hilfe. Laut<br />

Expert:innen aus Diyarbakir sei auch das Versprechen des Präsidenten<br />

Erdoğan, alle Gebäude innerhalb eines Jahres wieder aufzubauen<br />

unrealistisch. Sie sprechen von möglichen fünf Jahren.<br />

Hatay in Trümmern – kein Stein steht mehr auf dem anderen.<br />

Zeit weitergemacht, während ihre seit dem 6. Februar still<br />

steht. Ihr einziger Hoffnungsschimmer ist die Wahl im Mai.<br />

Alle wollen sie für Veränderung wählen. Bis dahin bleiben sie<br />

auf jeden Fall hier, sagen sie. „Wir sind nicht weg, wir sind<br />

da“, schreiben sie auf deine Mauern. Bis dahin machen sie<br />

weiter, existieren in den Tag und in die Nacht hinein. „Das<br />

wird sich alles an diesem Maitag weisen“, erklären sie mir.<br />

Bis dahin ist ihre Zukunft ungewiss und zu abstrakt für Pläne.<br />

„Und wenn sich nichts ändert?“, frage ich vorsichtig. Doch<br />

daran denkt niemand, sie glauben an dich, Hatay. Sie glauben<br />

daran, dass deine Identität, deine Geschichte und deine<br />

gelebten Werte der Einigkeit zu stark sind, um völlig zerstört<br />

zu sein. Inmitten des Elends kehrt der Frühling bei dir ein. Du<br />

strahlst grün und streckst dich der Sonne entgegen. Deine<br />

Zitronenbäume sind bereit für die Ernte. Der Morgen riecht<br />

nach Jasmin. Du kehrst zurück zu uns, Hatay, und wir immer<br />

wieder zu dir.<br />

In liebender Erinnerung an Cahide, Rafi, Serhan, Basak, Mahir<br />

und Nejdet. Möge euch und den vielen tausenden Opfern die<br />

Erde leicht sein. ●<br />

Mercan Falter ist Wienerin mit arabisch-alevitischen Wurzeln<br />

in der Türkei. Die 32-jährige arbeitet als Redakteurin<br />

in der Arbeiterkammer Wien und als freischaffende Fotografin.<br />

Sie studiert Digitalisierung, Politik und Kommunikation<br />

im Master und beschäftigt sich mit Themen rund um<br />

gesellschaftliche Auswirkungen von KI und Algorithmen,<br />

Antirassismus und Feminismus.<br />

BERUF(UNG)<br />

MIT ZUKUNFT<br />

Arbeitest du gerne mit Jugendlichen, bist kreativ<br />

und möchtest ein Vorbild für die Generation von<br />

morgen sein? Dann ab in die Schule mit dir!<br />

„Als Lehrer betrete ich jeden<br />

Tag Dutzende von völlig<br />

unterschiedlichen Welten –<br />

das Innenleben jeder einzelnen<br />

Schüler:in. Meine Arbeit<br />

kann nie langweilig sein, denn<br />

die Begegnung mit Kindern<br />

fordert mich ständig heraus,<br />

zu lernen, mich zu verändern<br />

und meine Meinung zu<br />

ändern. Es gibt eine Art von<br />

Geben und Nehmen beim<br />

Lehren. Letztendlich können<br />

Kinder brillant und langweilig<br />

sein. Und kreativ. Und<br />

banal, und gelangweilt und<br />

spektakulär fleißig und alles<br />

dazwischen“, so Alexander,<br />

Mittelschullehrer aus Wien.<br />

Als Pädagog:in übst du<br />

nicht nur einen abwechslungsreichen<br />

Beruf mit Sinn<br />

aus, sondern hast auch die<br />

Chance, dich aktiv im Bildungssystem<br />

einzubringen.<br />

Kein Tag ist dabei wie der<br />

andere: Als Ansprechperson<br />

für Schüler:innen machst du<br />

einen Unterschied in ihrem<br />

Leben und kannst dabei zum/<br />

zur Mentor:in oder sogar<br />

Schulleiter:in aufsteigen.<br />

Quereinstieg ins<br />

Klassenzimmer<br />

Es muss nicht immer ein<br />

Lehramtsstudium sein: Nach<br />

einem fachlich geeigneten<br />

Studium, zum Beispiel als<br />

Chemiker:in, und mit etwas<br />

Berufserfahrung und einem<br />

Eignungstest kannst du als<br />

Chemielehrer:in quer in den<br />

Lehrberuf einsteigen. Mache<br />

mehr aus deinem Know-How,<br />

indem du dein Wissen ins<br />

Klassenzimmer trägst und<br />

Jugendliche dazu motivierst,<br />

ihre Zukunft selbst in die<br />

Hand zu nehmen.<br />

Informiere dich hier über den<br />

Quereinstieg in<br />

den Lehrberuf:<br />

JETZT<br />

BEWERBEN !<br />

Vom 25. April bis<br />

05.Mai 20<strong>23</strong> kannst<br />

du dich für die Lehrtätigkeit<br />

an zB,<br />

einer Volksschule,<br />

Mittelschule,<br />

Sonderschule,<br />

Polytechnischen<br />

Schule oder<br />

privaten Pflichtschule<br />

bewerben.<br />

Dieses Special ist in Kooperation mit der Bildungsdirektion entstanden. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei biber.<br />

24 / POLITIKA /


„DU WIRST ARZT, ANWALT,<br />

ODER EINE ENTTÄUSCHUNG“<br />

WARUM MIGRA-ELTERN IHRE<br />

KINDER AN DIE UNI DRÄNGEN.<br />

Für viele Kinder aus migrantischen Familien gibt es in Sachen<br />

Ausbildung nur zwei Möglichkeiten: ein gut angesehenes Studium<br />

zu absolvieren oder zur Enttäuschung der Familie erklärt werden.<br />

Von Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko<br />

Ohne ein Studium bist du<br />

nichts“, diesen Spruch<br />

musste sich Mateo von<br />

seinen bulgarischen Eltern<br />

sein ganzes Leben lang anhören. Was<br />

genau er studieren sollte, gaben sie<br />

ihm nicht vor. Allerdings hatten sie eine<br />

Anforderung – er solle einen Studiengang<br />

mit Prestige, wie beispielsweise Medizin<br />

oder Rechtswissenschaften, wählen.<br />

Ihrer Auffassung nach würde der heute<br />

28-jährige nur so von seiner Umwelt respektiert<br />

und angesehen werden. Mateo<br />

selbst wollte nie studieren, denn Prestige<br />

und Ansehen waren für ihn immer nur<br />

nebensächlich. Die finanzielle Abhängigkeit<br />

von seinen Eltern ließ ihn allerdings<br />

einknicken. So kam es dazu, dass er vier<br />

Semester lang ohne jegliche Motivation<br />

Wirtschaftsrecht studierte. Sein Wunsch,<br />

eine Lehre zum Elektriker oder Installateur<br />

zu machen, wäre den Vorstellungen<br />

seiner Eltern sowieso nie gerecht<br />

geworden. Für sie stand immer fest, dass<br />

er auf gar keinen Fall „nur“ eine Ausbildung<br />

absolvieren dürfe. Mateo begann<br />

jedoch, sich heimlich ein eigenes Leben<br />

aufzubauen. Um auf eigenen Beinen zu<br />

stehen und sein Studium endlich abbrechen<br />

zu können, suchte er sich ohne das<br />

Wissen seiner Eltern einen Vollzeitjob in<br />

einem Büro für Projektmanagement und<br />

eine eigene Wohnung. „Natürlich war<br />

ich dann die Enttäuschung der Familie“,<br />

erzählt Mateo etwas zynisch über seinen<br />

Ausbruch aus den familiären Zwängen.<br />

Seine Eltern geben heute noch abfällige<br />

Kommentare zu seinem Abbruch<br />

ab, diese kümmern ihn allerdings nicht.<br />

„Sie sind sowieso zurück nach Bulgarien<br />

gezogen, also kann es mir eigentlich<br />

wurscht sein.“<br />

So wie Mateo ergeht es vielen Migra-<br />

Kids in Sachen Berufswahl und Ausbildung.<br />

Egal ob im engen Freundeskreis<br />

oder auf Onlineplattformen wie „Studis<br />

Online“ erzählen immer mehr junge Menschen<br />

von den strengen Forderungen<br />

ihrer Eltern. Sie berichten vom Zwang zu<br />

studieren und davon, dass Lehrberufe<br />

als absolutes No-Go angesehen werden,<br />

da man mit einem derartigen Abschluss<br />

kein vernünftiges Geld verdienen könne.<br />

Dabei haben sowohl Akademiker:innen<br />

als auch Lehrlinge im Durchschnitt die<br />

gleichen Berufschancen. Laut der Studie<br />

„Bildung auf einen Blick“ der Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung aus dem Jahr 2019 liegt<br />

die Beschäftigungsquote der 25-34-jährigen<br />

Akademiker:innen bei 85%. Dieselbe<br />

Quote gilt auch für die gleichaltrigen<br />

Absolvent:innen der Sekundarstufe,<br />

Der Druck der Familie hält viele davon ab, ihren eigenen<br />

Wünschen nachzugehen.<br />

26 / RAMBAZAMBA | WIEN / / RAMBAZAMBA | WIEN / 27


darunter fallen auch Lehrlinge. In den<br />

meisten Fällen meinen es die Eltern nur<br />

gut, da sie sich für ihre Kinder ein sorgenloses<br />

Leben wünschen. Sie merken<br />

jedoch nicht, wie stark sie ihre Kinder<br />

einschränken und unter Druck setzen.<br />

VERSTÄRKTER DRUCK AUF<br />

ZWEITE GENERATION<br />

Migrant:innen in der zweiten Generation<br />

trifft der Druck, einen akademischen<br />

Abschluss erreichen zu müssen, besonders<br />

stark, erklärt Universitätsdozent<br />

und Referent für Integrations- und<br />

Sprachenpolitik der österreichischen<br />

Arbeiterkammer Oliver Gruber. Vor allem,<br />

wenn die Eltern freiwillig ins Zielland<br />

migriert sind, spielt oft ihr Verlangen<br />

nach Verbesserung der eigenen und der<br />

Lebensbedingungen der Kinder eine Rolle.<br />

Eine Auswertung der Statistik Austria<br />

bezüglich des Bildungsstandes aus dem<br />

Jahre 2021 zeigt auf, dass 17,1% der<br />

Migrant:innen der zweiten Generation in<br />

Österreich einen Universitäts-, FH- oder<br />

Akademieabschluss besitzen. Das sind<br />

nur knappe drei Prozent weniger als bei<br />

Menschen ohne Migrationshintergrund<br />

(19,9%). Es lässt sich beobachten, dass<br />

die Ansprüche der Eltern an ihre Kinder<br />

enorm hoch sind. Die Kinder fangen oft,<br />

auch wenn ihre schulischen Leistungen<br />

es gar nicht nahelegen, ein Studium an.<br />

„In der Literatur spricht man von dem<br />

‚Aspiration – Achievement Gap‘. Vereinfacht<br />

gesagt ist dies die Kluft zwischen<br />

Für migrantische Eltern bedeutet ein<br />

Diplom ein sorgenfreies Leben.<br />

dem Anspruch und dem tatsächlich<br />

erreichten Bildungsziel“, so Gruber.<br />

SOZIALE HIERARCHIEN<br />

UND UNWISSENHEIT<br />

„Meine Eltern sahen in mir einen Ausweg<br />

aus der unteren sozialen Schicht“,<br />

erzählt Nayla. Die Eltern der 26-jährigen<br />

Kurdin wuchsen in kleinen Dörfern in der<br />

Türkei auf. Sie mussten sowohl in ihrer<br />

Heimat als auch in Österreich ständig<br />

harte Knochenjobs verrichten. Um ihrer<br />

Tochter dieses Schicksal zu ersparen,<br />

drängten sie Nayla an die Universität. So<br />

kam es dazu, dass sie ihr Lehramtstudium<br />

begann. „Dieses Phänomen nennt<br />

sich ‚Zuwanderungsoptimismus Effekt‘.<br />

Migrantische Eltern haben die Vorstellung,<br />

dass in unserer Gesellschaft der<br />

eigene Status nur durch Bildung erhöht<br />

werden kann und haben deshalb hohe<br />

idealistische Bildungsziele für ihre Kinder“,<br />

so der Universitätsdozent.<br />

Nayla hatte allerdings bereits in der<br />

Schule ständig schlechte Noten und<br />

war mit den Erwartungen ihrer Eltern<br />

überfordert. Sie sehnte sich danach,<br />

eine Lehre zu beginnen und ihr eigenes<br />

Geld zu verdienen. Für ihre Eltern<br />

ein unvorstellbares Szenario. Das sei<br />

nicht zuletzt daran gelegen, dass sie nie<br />

wirklich gewusst hätten, was Lehrberufe<br />

eigentlich waren, wie Nayla berichtet. Sie<br />

hatten das Vorurteil, dass man mit einem<br />

Lehrberuf nur körperlich stark strapazierende<br />

Berufe ausüben könne. „Es wurde<br />

schon häufig festgestellt, dass unter<br />

Migrant:innen ein Informationsdefizit darüber<br />

vorhanden ist, welche Schulwege<br />

es gibt und wie die Jobmöglichkeiten mit<br />

einer Lehre aussehen“, erklärt Gruber.<br />

Das führt dann dazu, dass der ‚Standard<br />

– Ausbildungsweg‘ - sprich Matura mit<br />

darauffolgendem Studium - angestrebt<br />

wird. Aus diesem Grund stieß Nayla<br />

auch auf taube Ohren, als sie nach vier<br />

Semestern merkte, dass ihr das Studium<br />

nicht lag. „Ist doch egal, Hauptsache du<br />

hast die Uni gemacht und dir geht es<br />

später besser“, versuchte ihr Vater sie<br />

von einem Studienabbruch abzuhalten.<br />

Sie blieb jedoch standhaft und wechselte<br />

zum Studium „Soziale Arbeit“. Das<br />

alles gegen den Willen ihrer Eltern, denn<br />

die hatten die Sorge, dass Nayla auch<br />

dieses Studium abbrechen würde. Umso<br />

glücklicher und vor allem stolz waren sie,<br />

„<br />

Manchmal frage ich<br />

mich, wie es heute<br />

wäre, wenn ich<br />

damals eine Lehre<br />

gemacht hätte.<br />

“<br />

als die 26-jährige dann ihren Abschluss<br />

in der Tasche hatte. Auch wenn dieser<br />

Moment der Bestätigung für Nayla unbeschreiblich<br />

schön war, ist ihr dennoch<br />

bewusst, wie viel sie für diesen Titel, den<br />

sie nie wirklich haben wollte, geopfert<br />

hatte. „Manchmal frage ich mich, wie es<br />

heute wäre, wenn ich damals eine Lehre<br />

gemacht hätte.“<br />

DAS GUT ANGESEHENE<br />

STUDIUM<br />

Nicht nur ob die Kinder studieren, sondern<br />

auch welches Studium sie wählen,<br />

möchten viele Eltern kontrollieren. Sara<br />

wollte zwar selbst schon immer studieren,<br />

nur eben nicht das, was sich ihre<br />

Eltern für sie vorgestellt hatten. „Was<br />

sollen wir unseren Verwandten in Ägypten<br />

erzählen, wenn sie wissen möchten,<br />

was du aus deinem Leben machst?“,<br />

fragte der Vater der 25-jährigen enttäuscht<br />

und aufgebracht. Grund für seine<br />

Aufregung war ihre Studienwahl: Soziologie.<br />

Ihre Eltern stammen aus Ägypten<br />

und zogen, was das Thema Studieren<br />

angeht, immer einen Vergleich dazu,<br />

was in ihrer Heimat als gut angesehen<br />

gilt. Sie hätten sich gewünscht, dass sie<br />

Medizin studiert, weil sie dann in ihren<br />

Augen einen guten Titel in der Tasche<br />

hätte. „Ich habe meinen Eltern zuliebe<br />

die Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium<br />

geschrieben, aber ich habe extra<br />

nichts dafür gelernt, damit ich durchfalle“,<br />

erzählt Sara. Ihr war von Anfang<br />

an bewusst, dass sie auf jeden Fall das<br />

Soziologiestudium beginnen würde. Auf<br />

diese Entscheidung folgte allerdings<br />

ein Jahr voller Schuldgefühle, denn<br />

ihre Eltern ließen sie ihre Enttäuschung<br />

spüren. Sie betonten oft, dass sie extra<br />

nach Österreich gekommen wären, nur<br />

um ihren Kindern eine bessere Zukunft<br />

bieten zu können, und nun würden sie so<br />

„Was, wenn ich gar nicht studieren will?“<br />

28 / RAMBAZAMBA | WIEN / / RAMBAZAMBA | WIEN / 29


„<br />

Du bist eine Frau,<br />

du kannst da nicht<br />

mithalten!<br />

“<br />

hintergangen werden. „In dem Moment,<br />

in dem Kinder das Gefühl haben, sie<br />

müssen jene Opfer gutmachen, die ihre<br />

Eltern erbracht haben, in dem sie nach<br />

Österreich gekommen sind, um ihnen<br />

eine bessere Zukunft zu ermöglichen,<br />

spricht man in der Literatur vom ‚Immigrant<br />

Bargain‘“, so Gruber. Es findet eine<br />

Art Handel zwischen den Kindern und<br />

der älteren Generation statt.<br />

Sara musste eine Menge Überzeugungskünste<br />

an den Tag legen, um ihre<br />

Eltern endlich zu beruhigen und auf ihre<br />

Seite zu ziehen. Als sie verstanden, dass<br />

sie nach dem Studium in die Forschung<br />

gehen oder an der Uni lehren könnte,<br />

waren sie endlich stolz. Heute kann Sara<br />

über die Geschehnisse und den Stress<br />

lachen. Damals war sie allerdings von<br />

Schuldgefühlen zerfressen und das nur,<br />

weil sie ihren eigenen Wünschen nachgegangen<br />

war.<br />

POLIZEISCHULE STATT<br />

UNIVERSITÄT<br />

„Das waren die schlimmsten Jahre für<br />

mich“, erzählt Selma über ihre Zeit in der<br />

Handelsakademie. Die Wirtschaftsfächer<br />

fielen der 22-jährigen mit bosnischen<br />

Wurzeln schwer und sie spürte bis zur<br />

Matura hin, dass die HAK eine falsche<br />

Entscheidung war. Sie hatte sowieso nie<br />

vor zu studieren und erst recht nichts im<br />

Wirtschaftsbereich. Der Besuch der Handelsakademie<br />

war allerdings auch nicht<br />

ihre eigene Entscheidung, sondern die<br />

ihrer Eltern – gepaart mit der Forderung,<br />

dass sie danach auf jeden Fall auf eine<br />

Universität gehen müsse. Sie selbst hätte<br />

eigentlich gerne eine Lehre gemacht,<br />

in der sie ihrer Kreativität freien Lauf<br />

lassen kann. Ausbildungen hätten in den<br />

Augen ihrer Eltern jedoch keinen Wert<br />

und sowieso würde man nur in Bürojobs<br />

gutes Geld verdienen. Laut Gruber<br />

ist die Frage nach dem Einkommen ein<br />

wichtiger Faktor für migrantische Eltern.<br />

Aus diesem Grund werden Berufe, bei<br />

denen Berufsbild und Gehalt klar<br />

einschätzbar sind, präferiert. Nach<br />

der Matura hatte Selma von ihren<br />

Eltern genaue Vorgaben bekommen:<br />

Kein Kunststudium, nichts im kreativen<br />

Bereich und nur eine Uni in der<br />

Nähe von ihrem Zuhause. Dass die<br />

22-jährige bereits ganz andere Pläne<br />

für ihre Zukunft geschmiedet hatte,<br />

hielt sie lange geheim. Sie wollte<br />

zur Polizeischule und was Gutes für<br />

die Gesellschaft tun. Dabei war ihr<br />

von Anfang an schon bewusst, dass<br />

dieser Wunsch bei ihren Eltern nicht<br />

gut ankommen würde. „Du bist eine<br />

Frau, du kannst da nicht mithalten!“,<br />

das wollte Selmas Vater ihr zumindest<br />

einreden. Er war selbst jahrelang im<br />

Militär und konnte den Wunsch seiner<br />

Tochter nicht nachvollziehen, denn für<br />

ihn war das ein reiner Männerberuf.<br />

Es kam zu unendlichen Diskussionen<br />

und Streitereien darüber, wieso sie<br />

nicht einfach ein vernünftiges Studium<br />

beginnen würde. Zumal sie für<br />

die Ausbildung auch alleine von ihren<br />

Eltern wegziehen müsste. „Bei Söhnen<br />

wird viel öfter eine Abgrenzung von<br />

den Vorstellungen der Eltern akzeptiert<br />

und auch vollzogen“, erklärt der Universitätsdozent.<br />

Die Erwartungen der<br />

Eltern an die Töchter sind, dass sie in<br />

der elterlichen Umgebung bleiben und<br />

sich nicht von ihnen loslösen. Selma<br />

war aber klar, dass sie endlich einen<br />

Schlussstrich ziehen musste. Auch<br />

wenn sie ihre Eltern damit verletzte,<br />

zog sie eigenständig nach Wien, um<br />

sich ihren Traum zu erfüllen. Es war für<br />

sie an der Zeit, endlich für sich selbst<br />

einzustehen und ihren Eltern zu zeigen,<br />

dass sie kein Recht hätten, sich<br />

in ihr Leben einzumischen. „Hätte ich<br />

auf meine Eltern gehört, wäre ich jetzt<br />

wahrscheinlich unglücklich.“ ●<br />

Danke an die Werkstatt Holz und Stahl sowie<br />

an die Universität Wien für das Bereitstellen<br />

der Räumlichkeiten für unser Shooting!<br />

* Alle Namen von der Redaktion geändert.<br />

Die Fotos wurden nachgestellt. Es handelt sich<br />

auf den Bildern nicht um die Personen aus<br />

dem Artikel.<br />

Kommentar von Autorin<br />

Maria Lovrić-Anušić<br />

WIR MÜSSEN UNS<br />

DURCHSETZEN<br />

„Sine, wir wollen, dass du studieren gehst<br />

und mit deinem Kopf arbeitest“, das ist der<br />

Standardspruch meiner Eltern. Geld, Ansehen<br />

und ein sicheres Leben ohne Probleme<br />

würden mich durch mein Diplom erreichen<br />

und ich müsste nicht wie sie in einem prekären Arbeitsumfeld schuften.<br />

Die Realität ist allerdings nicht so, wie sie sich meine und viele<br />

weitere Migra-Eltern vorstellen. Ein Universitätsabschluss ist kein<br />

Freifahrtschein für ein sorgenloses Leben. Abgesehen davon, dass<br />

nicht jeder Mensch für das Studieren geeignet ist, sollte man sich<br />

bei seiner Berufswahl auch an seinen eigenen individuellen Fähigkeiten<br />

orientieren. Wer aus Zwang ein Studium beginnt, wird auf Dauer<br />

nicht glücklich. Darum ist es so wichtig, dass wir Kinder lernen, uns<br />

durchzusetzen und unseren eigenen Bedürfnissen und Wünschen<br />

nachzugehen. Auch wenn das bedeutet, dass wir gegen den Willen<br />

unserer Eltern handeln müssen. Früher oder später werden sie trotzdem<br />

stolz auf uns sein.<br />

30 / RAMBAZAMBA | WIEN / / RAMBAZAMBA | WIEN / 31


Die Autorinnen<br />

Zeynep Buyraç,<br />

Özben Önal und<br />

Layla Ahmed<br />

(v.l.n.r.)<br />

DU<br />

BESTIMMST<br />

IMMER.<br />

PUNKT.<br />

Geschlechterrollen durchbrechen, eigene Träume und Leidenschaften<br />

verfolgen, ohne sich dem Druck aus der Familie<br />

oder dem Umfeld hinzugeben: Weibliche Selbstbestimmung<br />

hat viele Gesichter und kann auf unterschiedlichen Wegen<br />

passieren. Drei starke, junge Autorinnen aus verschiedenen<br />

Communitys erzählen von ihren persönlichen Revolutionen<br />

und was sie dafür in Kauf nehmen mussten. Sie kommen in<br />

diesem Empowerment-Special selbst zu Wort. Mit Beiträgen<br />

von Zeynep Buyraç, Özben Önal und Layla Ahmed.<br />

© Zoe Opratko<br />

Das Projekt „Du bestimmst IMMER. Punkt!“ findet im Rahmen des Aufrufs „Maßnahmen<br />

zur Stärkung von Frauen und Mädchen im Kontext von Integration“ des Österreichischen<br />

Integrationsfonds statt. Dieses Projekt wird durch den Österreichischen Integrationsfonds<br />

(ÖIF) finanziert. Die redaktionelle Verantwortung liegt allein bei biber.<br />

32 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 33


Jahrelang musste sie sich anhören, dass auf österreichischen Theaterbühnen<br />

kein Platz für sie als Migrantin ist. Heute ist Zeynep die erste türkischstämmige<br />

Schauspielerin im Burgtheater-Ensemble.<br />

Von Zeynep Buyraç , Fotos: Christoph Liebentritt<br />

WAS IST EINE<br />

„GUTE“ TÜRKIN?<br />

34 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

Aber warum möchten Sie<br />

gerade in Wien Schauspiel<br />

studieren? Es gibt in der<br />

Türkei ja auch Schauspielschulen,<br />

oder?”<br />

20 Jahre später kann ich mich tatsächlich<br />

nicht mehr an meine Antwort<br />

erinnern. Mit größter Wahrscheinlichkeit<br />

aber war sie so überzeugend, dass die<br />

Aufnahmekommission der Schauspielabteilung<br />

entschied, es mit mir doch zu<br />

probieren. Mit der 19-jährigen Istanbulerin,<br />

deren Vorname auch die Jahre<br />

darauf unaussprechbar blieb – geschweige<br />

denn ihr Nachname. Allerdings ist<br />

es in meinem Fall kaum notwendig, den<br />

Nachnamen zu verwenden, da es in den<br />

letzten 20 Jahren kaum eine andere<br />

Schauspielerin auf österreichischen<br />

Bühnen gegeben hat, die Zeynep hieß. In<br />

der Türkei heißt übrigens jede zweite so.<br />

VON DER MEHRHEIT ZUR<br />

MINDERHEIT GEWORDEN<br />

Ich heiße also Zeynep. Immer noch,<br />

obwohl mir während meiner gesamten<br />

Schauspiellaufbahn in den letzten 20<br />

Jahren mehr als einmal geraten wurde,<br />

den Namen zu ändern, da es sonst<br />

angeblich sehr schwierig gewesen wäre,<br />

eine Schauspielkarriere in Österreich<br />

anzugehen. Und da ich für einige viele<br />

bioösterreichische Augen gerade noch<br />

südeuropäisch genug aussah, wäre es<br />

also mit einer Namensänderung mehr als<br />

ausreichend gewesen, auch für “ganz<br />

normale” Rollen in Frage zu kommen. Ich<br />

blieb aber bei meinem Namen. Erstens<br />

war ich nicht kreativ genug, mir einen<br />

anderen auszusuchen, und zweitens<br />

hatte ich somit bei vielen Vorsprechen<br />

und Castings auch automatisch einen<br />

Grund für Small Talk. Zuerst musste<br />

ich ihn ein paar Mal wiederholen, bis er<br />

halbwegs richtig klang, danach nahm<br />

ich dankend das Lob entgegen, dass ich<br />

der deutschen Sprache so mächtig war,<br />

obwohl ich gar nicht hier geboren und<br />

aufgewachsen bin.<br />

Dieser Enthusiasmus ging manchmal<br />

so weit, dass ich als junge Schauspielerin<br />

bei sogenannten come-togethers mit<br />

Publikum sogar Applaus dafür bekam.<br />

Mit Anfang zwanzig und frisch in Österreich<br />

angekommen fand ich es sogar<br />

putzig, dass man aus mir von heute auf<br />

morgen ein Integrationswunder machen<br />

wollte, ohne dass ich nur einen einzigen<br />

Tag versucht hatte, mich zu integrieren.<br />

Im Nachhinein betrachtet war mir zu dem<br />

damaligen Zeitpunkt dieses mächtige<br />

Wort sogar fremd, da es während meiner<br />

gesamten Zeit in der renommierten<br />

Deutschen Schule in Istanbul – eines<br />

der Gymnasien in der Türkei von Eliten<br />

für Elite - kein einziges Mal beigebracht<br />

worden war. Ich kam also aus einer Metropole,<br />

aufgewachsen mit dem Gefühl,<br />

auf der sicheren Seite der Mehrheit zu<br />

liegen, mit einem gut situierten bürgerlichen<br />

Elternhaus im Hintergrund, ausgebildet<br />

in einer der teuersten Schulen<br />

des Landes, mit dem Luxuswunsch, im<br />

Ausland Schauspiel zu studieren, und<br />

plötzlich war ich da und alles, was früher<br />

als selbstverständlich erreichbar zu sein<br />

schien, galt also nun als Ausnahme. Ich<br />

war also nicht nur die Türkin in Österreich,<br />

sondern die gute Türkin, denn<br />

bis auf den Namen konnte ich ja alles,<br />

was gut integrierte nun mal so können<br />

müssen, ich trank gerne Wein und aß<br />

Schweinefleisch, trug kein Kopftuch,<br />

das wienerische Sudern hatte ich auch<br />

drauf. Damals vor 20 Jahren war Diversität<br />

zwar noch nicht en vogue, aber<br />

man konnte mit mir schon ziemlich gut<br />

angeben und ich war dankbar – dankbar<br />

für die Jobs, für den Applaus, für das<br />

Gefühl etwas geschafft zu haben, das für<br />

Menschen mit ähnlichen Einwanderungsgeschichten<br />

nicht vorgesehen war.<br />

„<br />

Die europäische<br />

Literaturgeschichte<br />

ist gepflastert<br />

mit den Leichen<br />

schöner junger<br />

Frauen.<br />

“<br />

WARUM IST MIR ETWAS<br />

GELUNGEN, WAS VIELEN<br />

VON UNS VERWEIGERT<br />

BLIEB?<br />

Nun aber kannte ich auch kaum eine<br />

andere Einwanderungsgeschichte als<br />

meine eigene, denn während meiner<br />

gesamten Schauspielausbildung<br />

und auch Jahre danach waren meine<br />

einzigen Begegnungen innerhalb eines<br />

Theaters in meiner Muttersprache jene<br />

mit den Reinigungskräften. Das waren<br />

Frauen, die doppelt so viel leisteten<br />

wie ich, aber für sie war kein Applaus<br />

drinnen, ihre Geschichten waren nicht<br />

fancy genug für Small Talks während<br />

Premierenfeiern. Natürlich gab es auch<br />

vor 20 Jahren da und dort einzelne<br />

KämpferInnen, für die die Stadt gerade<br />

noch so viele Subventionen übrig hatte,<br />

dass sie im ganz kleinen Rahmen unterschwelliges<br />

Migrantentheater machen<br />

durften – also Theater von MigrantInnen<br />

für MigrantInnen mit einem enormen<br />

sozialpolitischen Engagement, sie erledigten<br />

also die schwerste Arbeit ohne<br />

Ruhm, während die gesamte österreichische<br />

Hochkultur eine homogene Realität<br />

der Gesellschaft auf der Bühne behauptete,<br />

die es ab dem Bühnenausgang<br />

schlicht und ergreifend nicht gab. Auch<br />

nicht vor 20 Jahren. Warum ist mir etwas<br />

gelungen, was vielen von uns verweigert<br />

blieb?<br />

Ich bin hauptberuflich Schauspielerin.<br />

Und was meinen Beruf betrifft, hieß<br />

und heißt es harte Arbeit. Harte Arbeit,<br />

um sein Handwerk zu lernen. Harte<br />

Arbeit, um in einer Fremdsprache zu<br />

spielen. Harte Arbeit, nicht an Absagen,<br />

Niederlagen zu zerbrechen. Harte Arbeit,<br />

sich daran zu gewöhnen, in permanenter<br />

Unsicherheit zu leben; nicht zu wissen,<br />

wann das nächste Engagement kommt;<br />

nicht aufzugeben; Kritik ernst zu nehmen,<br />

aber sich trotzdem treu bleiben.<br />

Und in meinem Fall doppelt so harte<br />

Arbeit – weil ich eine Frau bin. Und eine,<br />

die in Österreich Zeynep heißt. Allerdings<br />

mit einem ganz großen Unterschied zu<br />

vielen anderen Zeyneps in diesem Land:<br />

Ich bin nicht hier geboren. Nicht hier aufgewachsen.<br />

Ein Leben in diesem Land ist<br />

meine Entscheidung. Weil ich das große<br />

Privileg hatte, eine gute Schulausbildung<br />

genießen zu dürfen. Weil ich das unfassbare<br />

Glück hatte, nicht mit 6 Jahren<br />

schon aussortiert worden zu sein – Schule<br />

hieß für mich nicht eine Institution der<br />

Exklusion. Ich kenne keine Mika-Tests<br />

(Anm.d.Red.: Standartisiertes Messverfahren<br />

zur Feststellung der Deutschkompetenz<br />

von Kindern und Jugendlichen<br />

mit Deutsch als Zweitsprache). Ich<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 35


musste als Kind nicht beweisen, dass<br />

ich dazugehöre. Genau so wenig musste<br />

ich mir anhören, dass ich erst dann ein<br />

Teil einer Gesellschaft auf Augenhöhe<br />

bin, wenn ich etwas geleistet habe. Ich<br />

bin aufgewachsen mit einem Gefühl der<br />

Zugehörigkeit, alleine durch mein Dasein.<br />

Sehr wohl aber kenne ich den Kampf<br />

gegen das Patriarchat von meiner Kindheit<br />

an. Denn in der Türkei muss Frau<br />

kämpfen. Genauso wie in Österreich.<br />

Mit dem einzigen Unterschied, dass<br />

die Diskriminierung der Frauen hier viel<br />

subtiler stattfindet. In Form von Kindergartenöffnungszeiten<br />

zum Beispiel. Oder<br />

Diskussionen über die Notwendigkeit des<br />

Genderns. Die europäische Literaturgeschichte<br />

ist gepflastert mit den Leichen<br />

schöner junger Frauen.<br />

Wenn wir heute von einem Problem<br />

der misslungenen Integration reden -<br />

und damit ist natürlich eine seit Jahren<br />

misslungene Bildungspolitik gemeint -,<br />

dann reden wir nicht über Glaubens- und<br />

Herkunftsunterschiede. Wir reden über<br />

persönliche Vergangenheiten, die nichts<br />

anderes sind als die Welten, in denen wir<br />

sozialisiert worden sind. Und die Suche<br />

nach der Antwort auf die Frage „Wer ist<br />

wir?“ wird sich nur an dem Tag erübrigen,<br />

an dem wir uns tatsächlich selber<br />

aussuchen können, wer wir wirklich sein<br />

möchten, ohne die von der sozialen Ordnung<br />

vorgegebene eigene Identität für<br />

sich neu formen zu müssen.<br />

ALTE MUSTER<br />

DURCHBRECHEN<br />

Und ja, ich bin Österreicherin. Und Türkin.<br />

Beides geht. Es ist nicht verwirrend.<br />

Es ist nicht beängstigend. Ich komme<br />

mit mir ziemlich gut klar. Mehr als das,<br />

ich bin sogar ziemlich glücklich darüber.<br />

Auch wenn ich keine Ahnung habe, was<br />

einen echten Österreicher ausmacht.<br />

Noch weniger weiß ich Bescheid darüber,<br />

was einen echten Türken ausmacht. Ich<br />

muss es nicht wissen. Ich brauche kein<br />

nationales Zugehörigkeitsgefühl, um<br />

meine Identität zu formen. Ich brauche<br />

keinen Nationalstolz, um meine Persönlichkeit<br />

definieren zu können. Allerdings<br />

habe ich, wie gesagt, leicht reden, denn<br />

ich hatte die Möglichkeit, mir das Land,<br />

in dem ich lebe und den Beruf, den ich<br />

ausübe, freiwillig aussuchen können.<br />

Und wenn meine achtjährige Tochter<br />

Zeynep musste doppelt so hart arbeiten, um ihren Traum zu erfüllen.<br />

nach Lust und Laune zwischen ihren beiden<br />

Vornamen Leyla und Sophia hin und<br />

her wechselt, ist dies keineswegs ein<br />

Zeichen des durch gelungene Integration<br />

errungenen Kosmopolitentums, sondern<br />

es ist der Beweis dafür.<br />

Erst durch meine Auswanderung<br />

nach Österreich vor 17 Jahren bin ich<br />

meiner türkischen Herkunft bewusst<br />

geworden. Dass ich auf meine Geburtsurkunde<br />

reduziert wurde, irritierte mich<br />

damals sehr. Heute denke ich mit einem<br />

Lächeln daran zurück. Über die Jahre<br />

habe ich mir also, vielleicht auch berufsbedingt,<br />

den Spaß erlaubt, immer die<br />

„Fremde“ sein zu können, wann immer<br />

ich Lust dazu hatte. So bin ich in Tirol die<br />

Wienerin, in Deutschland die Österreicherin<br />

und in Konya die Istanbulerin.<br />

Zuhause fühle ich mich aber in Ottakring.<br />

●<br />

Zeynep Buyraç ist 41 Jahre alt und die<br />

erste türkischstämmige Schauspielerin<br />

im Burgtheaterensemble.<br />

<strong>BIBER</strong><br />

SUCHT<br />

DICH!<br />

Du möchtest lernen, wie man richtig<br />

recherchiert und gute Geschichten<br />

schreibt? Du hast es satt, wie über<br />

Migrant:innen geschrieben wird und<br />

möchtest wissen, wie die österreichische<br />

Medienlandschaft tickt? Dann<br />

bewirb dich für ein Stipendium an der<br />

biber-Akademie. Die Stipendiat:innen<br />

erhalten eine zweimonatige journalistische<br />

Grundausbildung. Workshops mit<br />

externen Medienschaffenden, Diskussionsrunden<br />

über gesellschaftlich relevante<br />

Themen und Ausflüge in die großen<br />

Redaktionen Wiens stehen genauso<br />

auf dem Programm wie das Erarbeiten<br />

eigener Geschichten, Mobile Reporting<br />

und Beratungsstunden für den weiteren<br />

Berufsweg. Das Ziel der Akademie ist<br />

es, die kommende Mediengeneration<br />

zu rekrutieren und auszubilden. Das<br />

Stipendium ist mit 836 Euro brutto laut<br />

Kollektivvertrag monatlich dotiert. Bist<br />

du interessiert und zwischen 18 und 28<br />

Jahre alt? Schick uns deinen Lebenslauf<br />

und schreib uns in einem Motivationsschreiben,<br />

warum du das Stipendium<br />

bekommen solltest, welche drei<br />

Geschichten du gerne schreiben würdest<br />

und sende uns eine Textprobe.<br />

Alle Bewerbungsunterlagen an:<br />

redaktion@dasbiber.at<br />

AKADEMIE<br />

36 / EMPOWERMENT SPECIAL /


Ein rassistisches Schulsystem und die damit einhergehenden Unsicherheiten<br />

hielten Özben beinahe davon ab, ihren eigenen Weg zu gehen. Die<br />

25-jährige mit türkischen Wurzeln ließ sich jedoch nicht unterkriegen und<br />

verfolgt weiterhin ihren Traum Journalistin zu werden. Eins steht für sie<br />

fest: Sie will die Medienlandschaft revolutionieren und sich dafür nicht<br />

assimilieren müssen. Von Özben Önal, Fotos: Zoe Opratko<br />

ICH WILL EUCH EURE<br />

JOBS WEGNEHMEN!<br />

38 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

Ich will den Deutschen ihre Arbeit<br />

wegnehmen, ich will nicht die Jobs,<br />

die für mich vorgesehen sind, sondern<br />

die, die sie für sich reservieren<br />

wollen, mit den gleichen Konditionen,<br />

dem gleichen Gehalt und den gleichen<br />

Aufstiegschancen“, schreibt Fatma<br />

Aydemir in ihrem Essay „Arbeit“, der<br />

in dem Band „Eure Heimat ist unser<br />

Albtraum“ erschienen ist. Dieser Satz hat<br />

sofort etwas mit mir gemacht.<br />

Zum einen, weil ich mich mit Aydemirs<br />

Familiengeschichte identifizieren<br />

konnte: Mein Opa kam im Jahr 1964<br />

das erste Mal als sogenannter Gastarbeiter<br />

nach Deutschland, um für eine<br />

bessere Zukunft zu kämpfen und Geld<br />

anzusparen und um damit ein Haus in<br />

der Türkei bauen zu lassen. Weil er sich<br />

aber für seine Familie einen besseren<br />

Lebensstandard erhoffte, holte er diese<br />

einige Jahre später dazu, damit sie in<br />

Deutschland aufwachsen und zur Schule<br />

gehen. Er schuftete jahrelang in Fabriken<br />

und leidet heute an den bitteren Konsequenzen<br />

körperlicher Einschränkungen,<br />

die die harte Arbeit mit sich brachten.<br />

Ebenso wie meine Oma, die zu der Zeit<br />

in verschiedenen Häusern putze, um<br />

meinen Opa finanziell zu unterstützen.<br />

Die sprachliche Barriere, die blieb, weil<br />

neben der Arbeit die zeitlichen Ressourcen<br />

schlichtweg fehlten, um Deutsch zu<br />

lernen und auch das dauerhaft vermittelte<br />

Gefühl, nur zu Gast zu sein, führte<br />

bei ihnen zu einer passiven Haltung und<br />

Akzeptanz gegenüber Diskriminierung<br />

und Rassismus. Sie nahmen es hin, weil<br />

sie nie das Selbstbewusstsein oder den<br />

Mut hatten, sich zur Wehr zu setzen.<br />

Meinen Eltern, die mit jeweils 9 und 22<br />

Jahren nach Deutschland gekommen<br />

waren, erging es lange Zeit ähnlich.<br />

Ihnen war außerdem nichts wichtiger<br />

als die gute Bildung ihrer Kinder und der<br />

gute Eindruck, den sie als assimilierte,<br />

Entschuldigung, ich meine integrierte,<br />

Vorzeigefamilie zu hinterlassen glaubten.<br />

Aber beide mussten lernen, mit der Zeit<br />

für sich einzustehen.<br />

Zum anderen aber auch, weil Aydemirs<br />

Satz eine Reflexion dessen ist,<br />

nicht länger aus einer internalisierten<br />

Angst und Zurückhaltung heraus mit<br />

gesenktem Kopf einer gesellschaftlichen<br />

Hierarchie unter rassistischen Strukturen<br />

beizuwohnen, sondern ihnen nun in<br />

der zweiten oder dritten Generation den<br />

Kampf anzusagen - und zwar laut.<br />

FEHLENDES SELBST­<br />

BEWUSSTSEIN<br />

Ich erinnere mich noch gut daran, wie<br />

ich vor sieben Jahren am Küchentisch<br />

der Familie einer Freundin saß und<br />

hoffte, dass niemand mir eine Frage<br />

stellte. Es ging um die Politik Erdoğans<br />

in der Türkei. Zu der Zeit gab es in<br />

Deutschland kein anderes Thema, das<br />

so heiß diskutiert wurde. In eloquentem<br />

Deutsch wurde in diesem Akademiker_innenhaushalt<br />

debattiert darüber,<br />

wie die Türkei sich immer mehr zu einer<br />

Diktatur entwickelte und ich schämte<br />

mich dafür, dass ich einige verwendete<br />

Begriffe nicht kannte. Ich hatte eine<br />

solche Angst davor, für dumm gehalten<br />

zu werden, dass ich oft verstummte,<br />

obwohl ich eine Meinung hatte und den<br />

Aussagen am Tisch zustimmte und auch<br />

„<br />

Das Land braucht<br />

Menschen, die<br />

die anderen Jobs<br />

erledigen.<br />

“<br />

etwas hinzufügen hätte wollen. Aber ich<br />

hatte ständig das Gefühl, nicht intelligent<br />

genug zu sein, um etwas Relevantes<br />

beitragen zu können. Das lag daran, dass<br />

ich geprägt war durch die Erfahrungen<br />

meiner Eltern und Großeltern, aber auch<br />

durch meine eigenen. Wenn ich zum<br />

Beispiel gefragt wurde, was ich denn<br />

eigentlich von Erdoğan hielt, dann nicht,<br />

weil es um einen Diskurs auf Augenhöhe<br />

ging, sondern darum, dass ich in dem<br />

Moment als Türkin gegen meinen Willen<br />

einem stumpfen Integrationstest unterzogen<br />

wurde.<br />

Meine Klassenlehrerin sagte mir mit<br />

12, es würde keinen Sinn machen für<br />

mich, aufs Gymnasium zu gehen. Meine<br />

Lese- und Schreibfähigkeiten wären<br />

noch immer nicht gut genug, während<br />

Leonie, meine Klassenkameradin,<br />

schlechtere Deutschnoten hatte als ich<br />

und ihre Empfehlung ohne Probleme<br />

bekam. Nach ihrer Unterrichtsstunde<br />

nahm sie mich zur Seite und erklärte<br />

mir, dass es womöglich daran lag, dass<br />

bei uns zu Hause vor allem Türkisch<br />

gesprochen werde und es in Deutschland<br />

ja nicht möglich sei, dass alle<br />

Abitur machen – ich jedenfalls sei dazu<br />

nicht bestimmt. Denn das Land bräuchte<br />

ebenso Menschen, die die anderen<br />

Jobs erledigen. Ihre Bemerkung, die<br />

auf verschiedensten Ebenen abfällig<br />

war, meinte Jobs, die für uns nun seit<br />

Jahrzehnten vorgesehen wären, weil sie<br />

gesellschaftlich als Berufsklassen eingeordnet<br />

werden, denen weniger Ansehen<br />

und Geld zugesprochen wird, trotzdem<br />

harte körperliche Leistung erfordern und<br />

kaum Aufstiegschancen übrig lassen.<br />

Durch eine filmreife Aneinanderreihung<br />

von Zufällen erhielt ich am Ende<br />

doch meine Empfehlung fürs Gymnasium,<br />

die damals noch verpflichtend war.<br />

Während meine Klassenlehrerin sich<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 39


„Ich will laut werden können und ungemütlich, ich will Deutschland den Spiegel vorhalten ohne Angst haben zu müssen.“<br />

zu der Zeit bei einem Skiunfall das Bein<br />

brach und deshalb in der Schule fehlte<br />

und meine Direktorin, die ihre Meinung<br />

teilte, die Treppen hinunterfiel und nicht<br />

mehr arbeitsfähig war, war es meine<br />

Englischlehrerin, die zu meiner Mutter<br />

sagte: „Ich sehe keinen Grund, warum<br />

ihre Tochter nicht aufs Gymnasium<br />

gehen sollte“, und mir meine Empfehlung<br />

ausstellte. Ich hatte es also irgendwie<br />

geschafft, durch ein rassistisches<br />

Bildungssystem durchzuschlittern und<br />

danach auch zu studieren. Und das ist<br />

ein enormes Privileg. Aber was passiert,<br />

wenn ich durch verschiedene Einflüsse<br />

der ständigen Angst ausgesetzt bin,<br />

niemals klug genug zu sein? Richtig. Ich<br />

glaube es irgendwann.<br />

DIE UNSICHERHEITEN<br />

NEHMEN AB, ABER<br />

VERSCHWINDEN NIE GANZ<br />

Es gibt immer noch gewisse Kontexte, in<br />

denen ich besonders darauf achte, mich<br />

eloquent auszudrücken, in Situationen,<br />

in denen ich mich verunsichert fühle,<br />

in denen ich geringschätzige Blicke zugeworfen<br />

bekomme oder jemand herablassend<br />

mit mir spricht. Es gibt auch immer<br />

noch Momente, in denen mich meine<br />

Komplexe nicht besiegen können, in<br />

denen ich die dringende Notwendigkeit<br />

verspüre, zu zeigen: „Schaut her, ich bin<br />

klug!“. Früher habe ich mir das selber<br />

nicht abgekauft, heute weiß ich: Ja, das<br />

bin ich. Und die innere Stimme, die mir<br />

sagt, ich sei es nicht und müsse mich<br />

noch immer vor den anderen beweisen,<br />

wird zwar immer leiser, aber sie ist noch<br />

da. Und die Realität ist, dass diese Unsicherheiten<br />

wahrscheinlich nie vollends<br />

verschwinden. Aber einen Teufel werde<br />

ich tun, mir nochmal einreden zu lassen,<br />

ich sei nicht fähig, etwas zu tun, das<br />

ich kann. Mit den letzten Jahren und<br />

der Biber-Akademie, die ich vor einigen<br />

Monaten absolvierte, erkannte ich, dass<br />

das Schreiben, das bis dato nur ein<br />

privates Hobby war, und mein Interesse<br />

an gesellschaftspolitischem Geschehen<br />

tatsächlich einen Beruf(ung)sweg als<br />

Journalistin ebnen können. Dass ich das<br />

Zeug dazu habe, Texte zu schreiben,<br />

mit denen Menschen sich identifizieren<br />

können. Eine relevante Meinung<br />

zu haben und diese zu Wort bringen<br />

zu können. Mit anderen zu diskutieren,<br />

mich auszutauschen, zu mir zu stehen<br />

und mich gleichzeitig umstimmen lassen<br />

zu können. Ich erkannte, dass ich eine<br />

Stimme habe, die es genauso verdient<br />

hat, gehört zu werden wie andere, eine,<br />

die gehört werden muss. Vielleicht sogar<br />

eine Stimme, die bereichernder ist als<br />

andere.<br />

DIVERSITÄT IST NOCH<br />

IMMER EIN MYTHOS<br />

Noch immer ist der Anteil von Journalist_innen<br />

mit Migrationsgeschichte<br />

viel zu gering, als dass mit ihm die<br />

Gesellschaft Deutschlands oder auch<br />

Österreichs repräsentiert würde. Laut<br />

einer Studie von 2021 haben nur sechs<br />

Prozent der österreichischen Journalist_innen<br />

Migrationsgeschichte. Von<br />

den Chefredaktionsposten brauchen wir<br />

gar nicht erst zu sprechen. Die neuen<br />

deutschen Medienmacher_innen fanden<br />

2020 heraus, dass in Deutschland nur<br />

etwa sechs Prozent der Chefredakteur_innen<br />

der reichweitenstärksten<br />

Medien Migrationsbiografien haben,<br />

davon die Hälfte aus Nachbarstaaten<br />

oder EU-Ländern. Das führt dazu, dass<br />

die Medien nicht mehr die gesamtgesellschaftliche<br />

Realität widerspiegeln<br />

und gefährliche Narrative von marginalisierten<br />

Gruppen entwickeln, die einen<br />

riesigen Einfluss auf das Meinungsbild<br />

der Gesamtgesellschaft haben. Das ist<br />

keine neue Information, seit Jahren wird<br />

immer wieder auf die fehlende Diversität<br />

in Medien aufmerksam gemacht und<br />

auf die Gefahren, die sie mit sich bringt,<br />

doch es verändert sich nur schleppend<br />

etwas. Daher ist es auch kein Zufall,<br />

dass wir die Schlagwörter Migration oder<br />

Islam noch immer fast ausschließlich in<br />

negativem Kontext hören.<br />

Damit möchte ich keinesfalls sagen,<br />

dass die einzigen Themen, über die wir<br />

Expert_innenwissen mitbringen, Migration,<br />

Integration und Rassismus sind, ganz<br />

im Gegenteil. Es wäre ignorant anzunehmen,<br />

dass man als Expert_in für diese<br />

Themen gilt, nur weil man Eltern hat,<br />

die Migrationsgeschichte haben. Aber<br />

wir werden gebraucht, um auch unsere<br />

Realität abzubilden. Unsere Perspektiven,<br />

unsere Sicht der Dinge. So wie es meine<br />

Großeltern und Eltern nicht konnten, so<br />

wie ihre Realität nie abgebildet wurde.<br />

Und genau aus diesem Grund will ich<br />

die Jobs, die für uns lange Zeit nicht<br />

vorgesehen waren. Ich will laut werden<br />

können und ungemütlich, ich will<br />

Deutschland den Spiegel vorhalten, ohne<br />

Angst haben zu müssen, und ich will<br />

dazu beitragen, die Medienlandschaft<br />

endlich so zu revolutionieren, wie sie es<br />

seit Jahrzehnten nötig hat, ohne mich<br />

dabei vollends assimilieren zu müssen.<br />

Um es mit Fatma Aydemirs Worten abzuschließen:<br />

„Mein German Dream ist, dass<br />

wir uns endlich alle das nehmen können,<br />

was uns zusteht, und zwar ohne dass wir<br />

daran zugrunde gehen.“ ●<br />

Özben Önal ist 25 Jahre alt und hat<br />

türkische Wurzeln. Sie arbeitet als freie<br />

Journalistin und studiert Publizistik im<br />

Master. In ihrer Arbeit befasst sie sich<br />

mit Themen wie Gesellschaftskritik,<br />

Antirassismus und Türkeipolitik.<br />

Özben will dazu beitragen, die Medienlandschaft<br />

so zu revolutionieren, wie sie es<br />

seit Jahrzehnten nötig hat, ohne sich dabei<br />

vollständig assimilieren zu müssen.<br />

40 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 41


„DAS KANNST DU<br />

MACHEN, WENN DU<br />

VERHEIRATET BIST.“<br />

Heirat als Ticket für die Freiheit ? Von<br />

der väterlichen Hand in die eines Ehemanns<br />

gereicht werden, nur um nicht<br />

eingeschränkt zu leben? Um reisen zu<br />

dürfen und ihren eigenen Weg zu gehen?<br />

All das sieht Autorin Layla Ahmed nicht<br />

ein - und erkämpft sich Stück für Stück<br />

ihre Freiheit. Auch ohne Mann.<br />

Von Layla Ahmed, Fotos: Ina Aydogan<br />

Allein oder mit Freundinnen<br />

die Welt bereisen, ins<br />

Ausland ziehen oder einfach<br />

nur länger draußen bleiben?<br />

Viele Mädchen in Migra-Familien haben<br />

diese Pläne, doch was, wenn die Ehe der<br />

einzige Weg ist, um diese zu verwirklichen?<br />

„Wenn du verheiratet bist, kannst<br />

du machen, was du willst.“ Diesen Satz<br />

habe ich in meinem Leben schon das<br />

eine oder andere Mal zu hören bekommen.<br />

Ich bin 18 Jahre alt, studiere und<br />

bin anscheinend alt genug zum Heiraten,<br />

aber nicht alt genug, um meine eigenen<br />

Entscheidungen zu treffen.<br />

Wenn ich in die Vergangenheit blicke,<br />

habe ich schon immer davon geträumt,<br />

mit Freundinnen zu verreisen, und habe<br />

diese Reisen sogar schon mit ihnen<br />

geplant. Natürlich teilte ich meinen Plan<br />

sofort mit meinen Eltern, denn ich war<br />

fest davon überzeugt, dass ich, wenn<br />

ich älter bin, einen „Girls-Trip“ machen<br />

werde. Da wurde ich zum ersten Mal mit<br />

dieser Aussage konfrontiert. „Das kannst<br />

du machen, wenn du verheiratet bist.“<br />

Mit der Antwort meines Vaters ging die<br />

Diskussion auch ganz schnell wieder zu<br />

Ende. Ich konnte es nicht verstehen. Was<br />

hat die Heirat mit meinen Plänen zu tun?<br />

Und warum muss ich heiraten, damit ich<br />

mit meinen Freundinnen verreisen kann?<br />

Die Fragen stellte ich auch meinem<br />

Vater. Ich musste mich damit zufriedengeben,<br />

dass ich sowieso keine Antwort<br />

hören würde, die mir gefallen könnte,<br />

und somit hörte ich auch auf, mit ihm<br />

darüber zu diskutieren. Doch ist die Heirat<br />

wirklich die einzige Lösung, um selbst<br />

entscheiden zu dürfen, was man machen<br />

will und was nicht? Ich habe das Glück,<br />

dass meine Mutter mir immer zur Seite<br />

stand und auch meinem Vater erklärte,<br />

dass das nicht die richtige Antwort sein<br />

könne.<br />

DIE EHE – DER EINZIGE<br />

WEG IN DIE FREIHEIT?<br />

In meinem Freundeskreis kommt es häufig<br />

zu Diskussionen, wer mehr Freiheiten<br />

hat und wer weniger. Ich habe manchmal<br />

das Gefühl, dass es ein Wettbewerb<br />

geworden ist, und die Person, die am<br />

„eingeschränktesten“ ist, das totale Mitleid<br />

verdient hat. Doch eigentlich haben<br />

wir alle eines gemeinsam: Alle von uns<br />

haben mindestens einmal in ihrem Leben<br />

von ihren Eltern gehört, dass sie erst<br />

nach der Heirat machen dürfen, was sie<br />

wollen. Ich spreche nicht nur von jungen<br />

Frauen in der arabischen Community, mit<br />

der ich als Halb-Ägypterin aufgewachsen<br />

bin, sondern auch von meinen anderen<br />

Freundinnen, denen meine Kultur eigentlich<br />

absolut fremd ist. In vielen migrantischen<br />

Familien haben Eltern das Gefühl,<br />

die volle Verantwortung für ihre Töchter<br />

tragen zu müssen, und zwar so lang,<br />

bis ein anderer Mann diese übernimmt.<br />

Zumindest rede ich mir das so ein, um<br />

zu verstehen, wieso man denkt, dass ein<br />

Mann der Schlüssel in die Freiheit sein<br />

soll. Man achtet darauf, dass die Mädchen<br />

nicht zu spät draußen sind, weil es<br />

für sie „gefährlicher“ wäre. Und was hat<br />

ein Mädchen so spät abends draußen<br />

verloren?<br />

„BABA, VERTRAUST<br />

DU MIR NICHT?“<br />

Lange habe ich mich mit dem Thema<br />

befasst und versucht, eine Lösung zu<br />

finden, um meinen Vater zu beruhigen<br />

und gleichzeitig zu leben, wie ich will.<br />

Die Hilfe meiner Mutter, die in Europa<br />

geboren und aufgewachsen ist, war der<br />

Kern zum Vertrauensaufbau zwischen<br />

meinem Vater und mir. Sie hatte nie<br />

diesen Gedanken, dass ich erst so leben<br />

kann, wie ich will, wenn ich verheiratet<br />

bin, und diesen wollte sie auch meinem<br />

Vater austreiben.<br />

Ich habe mich in meinem Umfeld<br />

umgesehen und erkenne, wie Mädchen<br />

in jungen Jahren heiraten - nicht nur aus<br />

Liebe, sondern viel mehr, weil sie die<br />

Ehe als ein Ticket in ihre Freiheit sehen.<br />

Sie wollen weg von zu Hause, ein neues<br />

Leben starten, ihr Leben so gestalten,<br />

wie sie es wollen. Die einzige Möglichkeit<br />

für sie ist zu heiraten, damit sie ausziehen<br />

können. Dieses Problem hatte ich<br />

nie, weil ich mich zuhause sehr wohl<br />

fühle und eine gute Beziehung zu meinen<br />

Eltern habe. Trotzdem hat mich damals,<br />

ich war 15, die Strenge meines Vaters<br />

sehr belastet. Ich suchte ein Gespräch<br />

unter vier Augen, zwischen Vater und<br />

Tochter. In meiner Familie ist Kommunikation<br />

das A und O und obwohl mein<br />

Vater eher konservativ ist, hat er immer<br />

ein Ohr für mich offen. Ich will nicht eingeschränkt<br />

leben und ich werde früher<br />

oder später machen, was ich will. Meine<br />

Mutter hat ihm klar gemacht, dass er<br />

mich verlieren würde, wenn er weiterhin<br />

so streng bliebe. „Baba, vertraust du mir<br />

nicht?“, war meine Frage an ihn. Er hat<br />

mir klar beantwortet, dass es nicht an<br />

mir liegt und dass dieser Gedanke, dass<br />

er rund um die Uhr auf mich aufpassen<br />

muss, niemals weggehen würde. Es wäre<br />

leichter, in der Gewissheit zu leben, dass<br />

jetzt noch wer anderer auf mich aufpasst.<br />

Doch ist das das Ziel einer Ehe?<br />

Eine Ehe ist so viel mehr als ein<br />

Ticket in die Freiheit und das weiß er<br />

auch. Er sieht es nicht als eine „zweite<br />

Kontrollart“ oder „doppelte Sicherheit“,<br />

sondern es ist vielmehr der Wunsch<br />

nach einer größeren Familie, nach einer<br />

Zukunft, die er sich für sich und seine<br />

Tochter wünscht. Eine schöne Ehe –<br />

denn die Ehe kann eines der schönsten<br />

Dinge auf der Welt sein, das weiß ich.<br />

42 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 43


Ich weiß auch, dass er sich das Beste für<br />

mich wünscht und mich bei allem unterstützen<br />

wird. Ich bin noch jung, finanziell<br />

abhängig von meinen Eltern und definitiv<br />

nicht bereit für eine Ehe. Ich konnte meine<br />

Eltern von meinen Ansichten überzeugen,<br />

anders ist es jedoch bei anderen<br />

Familien, die ihren Töchtern permanent<br />

das Gefühl geben, heiraten zu müssen –<br />

so als wäre das das einzig wichtige Ziel<br />

in ihrem Leben.<br />

Heute weiß ich, dass hinter diesem<br />

Satz viel mehr steckt als nur eine<br />

Ausrede, um Auseinandersetzungen zu<br />

vermeiden. Er kann vielfältig aufgefasst<br />

werden. Ich habe es geschafft, mit der<br />

Hilfe meiner Mutter meinen Vater zu<br />

überzeugen, dass nicht ein Mann oder<br />

eine Ehe das Wichtigste ist und dass ich<br />

sehr wohl meinen „Girls-Trip“ machen<br />

kann. Auch ohne Mann. Zudem sehen<br />

Eltern nicht, dass sie ihren Töchtern so<br />

das Gefühl geben, eine Last zu sein,<br />

die an einen anderen Mann übertragen<br />

werden soll. Ich bin dann das Problem<br />

meines Mannes und nicht das meiner<br />

Familie. Doch das ist nicht richtig.<br />

Mädchen und junge Frauen in meinem<br />

Umfeld müssen daran erinnert werden,<br />

dass wir in einer anderen Generation<br />

leben und uns alle Türen offenstehen.<br />

Wir können selbstständig sein und sollen<br />

niemals von einem Mann abhängig sein.<br />

Die Grundsteine für uns wurden schon<br />

gelegt: Meine beiden Großmütter zum<br />

Beispiel waren von keinem Mann abhängig.<br />

Die Ehe ist viel mehr als eine Übergabe<br />

der Tochter an einen Mann. Man<br />

soll aus den richtigen Gründen heiraten<br />

wollen - weil man die Person liebt, sich<br />

mit ihr eine Zukunft vorstellen kann und<br />

mit ihr den Rest des Lebens verbringen<br />

möchte. Nicht, weil sie das Ticket in die<br />

Freiheit ist. ●<br />

Layla Ahmed ist 18 Jahre alt. Sie<br />

studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,<br />

hat ägyptische und<br />

slowakische Wurzeln. Layla hat ihre<br />

vorwissenschaftliche Arbeit für die Matura<br />

über die veränderten Lebenswelten<br />

ägyptischer Frauen nach dem Arabischen<br />

Frühling geschrieben.<br />

Die Welt bereisen, ins Ausland ziehen – warum sollte<br />

man das nur dürfen, wenn man geheiratet hat?<br />

© Zoe Opratko, wikimedia commons Peter Gugerell, unsplash.com/Engin Akyurt, Seven.One Entertainment Group GmbH<br />

MEINUNG<br />

Mein rausgeschmissenes<br />

Geld<br />

Rückblickend würde ich mir definitiv<br />

mehr Finanzbewusstsein für mein jüngeres<br />

Ich wünschen. Heute bin ich 25<br />

und mir wird erst jetzt bewusst, wie oft<br />

ich unnötig mein Geld aus dem Fenster<br />

geworfen habe, vor allem für Kleidung.<br />

Mein Problem war, dass ich mir zu oft<br />

gezielt nur für bestehende Anlässe Teile<br />

zugelegt habe. Die einzelnen Stücke,<br />

für die ich mein ganzes Geld ausgab,<br />

landeten in meinem Schrank und wurden<br />

danach nie wieder angezogen. Mein<br />

anderes Problem war, dass ich meine<br />

Zeit auf Social Media dazu nutzte, um<br />

Modetrends zu verfolgen. Es gibt unzählige<br />

Accounts und Influencer:innen, die<br />

über die letzten Modetrends sprechen.<br />

Ich verinnerlichte diese Trends und kaufte<br />

sie nach. Heute ist mir bewusst, wie<br />

problematisch die ganze Sache eigentlich<br />

ist und wie oft ich unüberlegt gehandelt<br />

habe. Seit meiner Bewusstseinsbildung<br />

diesem Thema gegenüber gehe ich<br />

beim Shoppen vorsichtiger mit meinem<br />

Geld um und überlege es mir zwei Mal,<br />

bevor ich mir etwas Neues zulege. Mein<br />

Pro-Tipp: Stellt euch in eurem Shoppingmarathon<br />

immer die Frage: „Brauche ich<br />

das denn wirklich?“<br />

guen@dasbiber.at<br />

LIFE & STYLE<br />

Mache mir die Welt,<br />

wie sie mir gefällt<br />

Von Şeyda Gün<br />

Magischer<br />

Gesundheitstipp<br />

3 DATTELN<br />

PRO TAG<br />

Wusstet ihr, dass sich drei<br />

Datteln pro Tag positiv auf<br />

eure Gesundheit auswirken<br />

können? Warum? Darum:<br />

Vitamine in den Datteln<br />

stärken unser Immunsystem.<br />

Datteln sind gut für<br />

unsere Verdauung.<br />

Sie liefern uns viel<br />

Energie für den Alltag.<br />

Datteln sorgen für eine<br />

schöne Haut.<br />

Sie zeigen positive Wirkung<br />

bei Allergien.<br />

SPAZIERGANG<br />

IN WIEN<br />

Der Frühling ist endlich wieder<br />

da! Für mich die angenehmste<br />

Jahreszeit für Spaziergänge – es<br />

ist weder zu kalt, noch zu heiß.<br />

Ich habe für euch drei supertolle<br />

Spots in Wien ausgewählt,<br />

an denen ihr die frühlingshaften<br />

Temperaturen genießen und ein<br />

bisschen Sonne tanken könnt.<br />

Mein persönlicher Lieblingsspot<br />

zum Spazieren ist der Türkenschanzpark.<br />

→ Türkenschanzpark, 18. Bezirk<br />

→ Segataya Park, 19. Bezirk<br />

→ Lainzer Tiergarten, 13. Bezirk<br />

Podcast-Tipp:<br />

PSYCHOLOGIE<br />

TO GO!<br />

Wenn ihr eure eigene Gefühlswelt besser<br />

verstehen und dabei euch selbst<br />

reflektieren möchtet, dann solltet ihr<br />

euch unbedingt den Podcast „psychologie<br />

to go!“ auf Spotify anhören.<br />

Psychotherapeutin Franca Cerutti greift<br />

verschiedenste Themen wie stressige<br />

Gedanken, Eifersucht, Schuldgefühle<br />

oder Prüfungsangst auf. Außerdem gibt<br />

es im Podcast gute umsetzbare Tipps<br />

für schwierige Situationen.<br />

44 / EMPOWERMENT SPECIAL /<br />

/ LIFESTYLE / 45


„Buy now, pay later“ – was wie ein günstiger Deal beim<br />

Onlineshopping mit dem Bezahldienst Klarna klingt,<br />

entpuppt sich für immer mehr junge Menschen als<br />

Schuldenfalle. Offene Rechnungen, Mahnungen und<br />

Inkassoverfahren werden ihnen so zum Verhängnis.<br />

Von: Maria Lovrić-Anušić, Collagen: Zoe Opratko<br />

SCHULDIG<br />

GESHOPPT<br />

46 / RAMBAZAMBA /<br />

Es ist ein endloser Teufelskreis“,<br />

mit diesen Worten<br />

beschreibt die heute <strong>23</strong>-jährige<br />

Bahar ihr Kaufverhalten<br />

mit Klarna. Sie hat die Kontrolle über ihre<br />

Finanzen verloren. Sie bestellt immer<br />

mehr, übersieht offene Rechnungen,<br />

verschiebt Zahlungsziele nach hinten<br />

und kassiert am Ende unzählige Mahnungen.<br />

So kam es auch dazu, dass<br />

sich ein Inkassobüro bei Bahar meldete<br />

und sie für ein T-Shirt, das ursprünglich<br />

zehn Euro kostete, am Ende 200 Euro<br />

bezahlen musste. Das erste Mal nutzte<br />

sie Klarna kurz vor einem geplanten<br />

Sommerurlaub, um sich neue Klamotten<br />

zuzulegen, ohne ihr Urlaubsgeld ausgeben<br />

zu müssen. Damit kam sie schnell<br />

auf den Geschmack des „Buy now, pay<br />

later“-Prinzips. „Es kam mir so vor, als<br />

würde ich die Sachen gratis bekommen,<br />

weil sich mein Kontostand nicht veränderte“,<br />

erzählt die <strong>23</strong>-jährige. Momentan<br />

hat sie noch 800 Euro Schulden bei<br />

Klarna offen und ist für weitere Einkäufe<br />

gesperrt. Mittels Ratenzahlung versucht<br />

sie den Betrag jetzt Stück für Stück<br />

abzubezahlen. „Danach will ich die App<br />

einfach nur löschen.“<br />

Bahar ist mit diesem Problem nicht<br />

allein. Viele junge Erwachsene nutzen<br />

die Dienste des schwedischen Bezahlanbieters<br />

Klarna. Besonders beliebt ist<br />

das „Buy now, pay later“-Angebot und<br />

die Option auf Ratenzahlung. Das zeigt<br />

sich auch auf Social Media. Der Hashtag<br />

„klarnaschulden“ trendet seit Monaten<br />

auf TikTok und verzeichnet bereits 55.9<br />

Millionen Aufrufe und Hunderte Videos.<br />

Junge Menschen zeigen Screenshots<br />

von ihrer Klarna-App, in denen offene<br />

Rechnungen in Höhe von Tausenden<br />

Euros zu sehen sind. „Keiner kann meine<br />

Schulden überbieten!“, steht dann<br />

häufig in der Videobeschreibung. Die<br />

Konsequenzen von dem fatalen Umgang<br />

mit ihrem Geld werden ins Lächerliche<br />

gezogen. Klarna bedauert diesen Trend<br />

besonders. „Wir sind besorgt, wenn<br />

junge Leute ihre Klarna-Rechnungen<br />

in Videos zeigen, und wollen deutlich<br />

machen: Wir haben nicht das geringste<br />

Interesse daran, dass Menschen, egal ob<br />

jung oder alt, mit offenen Rechnungen<br />

prahlen.“ Außerdem würden 98,97 % der<br />

in Österreich verschickten Rechnungen<br />

im Rahmen des Zahlungs- und Mahnprozesses<br />

bezahlt werden, so der Bezahldienstleister.<br />

DER VERLORENE<br />

ÜBERBLICK<br />

„Es ist einfacher, auf ‚später bezahlen‘<br />

zu drücken und das Zahlungsziel zu<br />

verschieben, als das Geld aufzutreiben“,<br />

erklärt Asti. Die 25-jährige nutzt Klarna<br />

Es ist einfacher, auf<br />

‚später bezahlen‘<br />

zu drücken und das<br />

Zahlungsziel zu<br />

verschieben, als das<br />

Geld aufzutreiben.<br />

“<br />

seit fünf Jahren und kommt aus den<br />

Schulden nicht mehr heraus. Als Klarna<br />

ihren Account für eine Zeit lang sperrte,<br />

da sie mehrere Rechnungen nicht<br />

gezahlt hatte, erstellte sie sich einfach<br />

einen zweiten. Ab da versank sie immer<br />

tiefer in ihren Schulden. Sie verlor den<br />

Überblick über ihre Finanzen und wusste<br />

nicht mehr, auf welchem Account welche<br />

Rechnungen noch offen waren und<br />

verpasste Zahlungsziele. Ursprünglich<br />

wählte sie bei ihren Rechnungen den<br />

Ratenkauf, da sie von Zinsen nicht viel<br />

verstand, doch damit erhöhte sich seither<br />

der Betrag stetig. Wegen eines nicht<br />

bezahlten T-Shirts hat sie bereits ein<br />

Inkassoverfahren hinter sich. Mittlerweile<br />

hat sie auf beiden Accounts jeweils<br />

um die tausend Euro Schulden. Asti<br />

findet besonders das ´später bezahlen´-<br />

Angebot unglaublich gefährlich. Laut ihr<br />

kann es sehr verführerisch sein, sich Dinge<br />

zu bestellen, ohne das Geld dafür auf<br />

dem Konto bereit zu haben. „Ich kämpfe<br />

selbst am Monatsende immer mit dem<br />

Gedanken, mir einfach was zu bestellen“,<br />

erzählt Asti. Der Gedankengang ist<br />

immer der gleiche: Sie möchte etwas<br />

Neues und Trendiges haben, das sie auf<br />

Social Media gesehen hat, und bezahlen<br />

kann sie es dann sowieso später. Laut<br />

Gudrun Steinmann von der Schuldnerberatung<br />

des Fonds Soziales Wien ist<br />

es wichtig, genau solche Situationen zu<br />

überdenken. „Dabei entstehen ganz viele<br />

Ausgaben durch Impulskäufe oder weil<br />

es beispielsweise ein Influencer vorlebt.<br />

Da ist es wichtig, sich zu fragen, ob<br />

man diese Dinge wirklich benötigt.“ Die<br />

/ RAMBAZAMBA / 47


25-jährige Asti hat nur einen Wunsch:<br />

Sie will ihren gesamten Schuldenberg<br />

abbezahlen. Dafür reicht ihr Geld allerdings<br />

nie aus, da sich der Betrag jeden<br />

Monat durch die Zinsen, denen sie beim<br />

Ratenkauf unbewusst zugestimmt hatte,<br />

erhöht.<br />

DIE SCHULDFRAGE<br />

„Momentan habe ich noch um die 1500<br />

Euro Schulden bei Klarna“, erzählt Aynur.<br />

Es sind Schulden, die sie jetzt nur sehr<br />

mühsam mittels monatlicher Raten<br />

abbezahlen kann. Doch bis vor kurzem<br />

war die Zahl noch um ein paar Hundert<br />

Euro höher. Die 25-jährige hatte nämlich,<br />

nachdem sie letztes Jahr nach England<br />

gezogen war, zwei Klarna-Accounts<br />

– einen österreichischen und einen<br />

britischen. Die österreichischen Schulden<br />

hat sie bereits abbezahlt und hofft, bald<br />

auch den Rest begleichen zu können.<br />

Begonnen hat das Ganze vor sechs<br />

Jahren, da sie damals als Samstagskraft<br />

nur 280 Euro im Monat verdient hatte<br />

und ihr das Geld vorne und hinten nicht<br />

ausreichte. All die Dinge, die sie haben<br />

wollte, konnte sie sich nur durch den<br />

Zahlungsanbieter leisten. Anfangs ging<br />

das noch gut, doch mit der Zeit konnte<br />

sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen<br />

und die ersten Mahnungen flatterten<br />

in ihren Briefkasten. Die Schulden<br />

begannen, sich schlagartig zu erhöhen.<br />

Wenn es nach ihr geht, dann hat Klarna<br />

eine Mitschuld an ihren Schulden.<br />

Expertin Gudrun Steinmann sieht die<br />

Frage der Schuld als eine zweischneidige<br />

Sache. „Zum einen ist es wichtig,<br />

dass die Konsument:innen unter anderem<br />

durch Finanzbildung zu mündigen<br />

Konsument:innen gemacht werden, aber<br />

zum anderen gehören auch die Bezahldienstleister<br />

kritisch hinterfragt.“ Aynur<br />

ist sich allerdings sicher, dass Klarna<br />

vor allem Jugendliche süchtig machen<br />

kann, und würde jungen Menschen<br />

darum auch stark von dem Unternehmen<br />

abraten.<br />

„<br />

Es ist natürlich<br />

sehr verführerisch,<br />

wenn man auch erst<br />

in dreißig Tagen<br />

zahlen darf.<br />

“<br />

GEFÄHRLICHER TREND<br />

Expertin Steinmann sieht in dem Trend<br />

mit Klarna zu bezahlen eine ernst zu<br />

nehmende Gefahr. „Junge Menschen<br />

übernehmen für zwei Minuten Ruhm<br />

auf Social Media häufig eine Rolle, derer<br />

Konsequenzen sie sich nicht bewusst<br />

sind“, stellt sie klar. Wer ständig Schulden<br />

hat und diese nicht bezahlt, kann in<br />

seiner Kreditwürdigkeit stark sinken. Es<br />

lässt sich auch beobachten, dass jede<br />

vierte Person, die zur Schuldnerberatung<br />

in ganz Österreich kommt, unter<br />

30 Jahre alt ist. Das könnte nicht zuletzt<br />

daran liegen, dass es mittlerweile immer<br />

leichter wird, sich Schulden anzuhäufen.<br />

„Während man vor einigen Jahren<br />

nur bei drei bis vier großen Katalogen<br />

bestellen konnte, können nun 24/7<br />

online Geschäfte abgewickelt werden“,<br />

so Steinmann. Das zeigt sich auch in den<br />

Zahlen. Der Schuldenreport aus dem<br />

Jahr 2022 gab an, dass der "schlechte<br />

Umgang mit Geld" mit 21,9 einer der<br />

häufigsten Gründe für Überschuldung im<br />

Jahr 2021 war. Darunter versteht sich,<br />

dass die Ausgaben der Menschen ihre<br />

Einkommenslage überschreiten.<br />

50.000 EURO UND<br />

PRIVATINSOLVENZ<br />

Doch es gibt neben den vierstelligen<br />

Schulden auch Extremfälle. Die 25-jährige<br />

Sandra hat sich einen Schuldenberg<br />

von 50.000 Euro angehäuft. 2013 hatte<br />

sie zum ersten Mal ein Ausbildungsgehalt<br />

ausbezahlt bekommen und investierte<br />

diesen direkt online in neue Klamotten<br />

und Make-up. Das alles über Zahlungsanbieter<br />

wie Klarna oder PayPal und dem<br />

„buy now, pay later“-Angebot. „Es ist<br />

natürlich sehr verführerisch, wenn man<br />

auch erst in dreißig Tagen zahlen darf“,<br />

so Sandra. Der Grund für ihr exzessives<br />

Shoppen war auch unter anderem<br />

ihre Kaufsucht. Laut einer Studie der<br />

Arbeiterkammer aus dem Jahr 2017 ist<br />

dieses Phänomen in Österreich relativ<br />

weit verbreitet, ein Viertel der österreichischen<br />

Bevölkerung sei demnach<br />

kaufsuchtgefährdet. In solchen Fällen<br />

ist es besonders wichtig, sich Hilfe zu<br />

holen, so Steinmann. Eine lange Zeit<br />

konnte sie die Probleme, die sich wegen<br />

ihres Kaufverhaltens anhäuften, auch gut<br />

ignorieren, bis nach sechs Jahren die<br />

Gerichtsvollzieherin vor der Tür stand.<br />

Ab dem Zeitpunkt musste die 25-jährige<br />

die Notbremse ziehen: Sie ging in die<br />

Privatinsolvenz. Wenn nun alles nach<br />

Plan läuft, dann ist sie in drei Jahren<br />

schuldenfrei. Sie spricht offen über ihre<br />

Schulden und genau das rät sie auch<br />

allen anderen. „Es ist einfach wichtig,<br />

dass ihr offen darüber redet, denn ich<br />

weiß selbst, wie psychisch belastend das<br />

sein kann.“<br />

RAUS AUS DEN SCHULDEN.<br />

Das Preisvergleichsportal Check24<br />

veranstaltete auf seinem TikTok-Kanal<br />

mehrere Gewinnspiele, bei denen<br />

User:innen ausgesucht und ihre Klarna<br />

Schulden bezahlt wurden. Tausende<br />

Menschen hatten bei den Gewinnspielen<br />

in der Hoffnung teilgenommen, ihre<br />

Schulden auf einen Schlag loszuwerden.<br />

In der realen Welt benötigt das Abbezahlen<br />

von Schulden laut Steinmann jedoch<br />

etwas mehr als nur ein Video auf TikTok<br />

zu kommentieren. Es muss ein realistischer<br />

Finanzplan erstellt, ein Überblick<br />

über die gesamten Finanzen geschaffen<br />

sowie ein Kaufstopp durchgesetzt werden.<br />

Je schneller die Schulden beglichen<br />

werden, umso günstiger kommt man aus<br />

seinem persönlichen Klarna-Teufelskreis<br />

auch wieder heraus. Die beste Möglichkeit,<br />

vor allem junge Menschen vor<br />

einem Rutsch in die Schuldenfalle zu<br />

bewahren, ist umfangreiche Finanzbildung.<br />

Der richtige Umgang mit Geld<br />

muss gelernt sein – am besten gleich<br />

während der Schulzeit. ●<br />

WAS IST KLARNA?<br />

Klarna ist ein schwedischer Online-Bezahlanbieter,<br />

der 2005 gegründet wurde. Klarnas Leistung<br />

besteht darin, die Zahlungen an die Händler zu<br />

übernehmen und den Kunden einen Kleinkredit zu<br />

genehmigen, welchen sie innerhalb eines zeitlichen<br />

Rahmens bezahlen müssen. In der Klarna App<br />

können die Nutzer:innen ihre offenen Rechnung<br />

einsehen.<br />

Hierfür gibt es drei Möglichkeiten:<br />

Sofortzahlung:<br />

Der Betrag wird mittels Sofortüberweisung, Lastschrift<br />

oder Kreditkarte sofort bezahlt.<br />

Später bezahlen (Buy now, pay later):<br />

Hier erhält der Kunde seine Ware im Vorhinein und<br />

hat daraufhin 30 Tage Zeit, die Rechnung zu bezahlen.<br />

In der App kann die Zahlungsfrist gegen eine<br />

Gebühr um 10, 30 oder 60 Tage verlängert oder<br />

die Rechnung in eine Finanzierung umgewandelt<br />

werden.<br />

Ratenkauf:<br />

Der zu zahlende Betrag kann mittels eines persönlichen<br />

Zahlungsplans in festen monatlichen (maximal<br />

36 Monate) Raten beglichen werden.<br />

48 / RAMBAZAMBA /<br />

/ RAMBAZAMBA / 49


ZWISCHEN SCHWEIGEN<br />

UND OHNMACHT<br />

Warum Opfer sexualisierter Gewalt ihre Täter nicht anzeigen<br />

Anzeigen, oder nicht? Und selbst<br />

wenn doch – wird dann geholfen?<br />

Viele Opfer von sexueller Gewalt<br />

oder (Cyber-)Stalking haben große<br />

Hemmungen davor, Sexualstraftaten<br />

bei der Polizei zu melden. Woran das<br />

liegt, erzählen die Betroffenen Laura,<br />

Sara, Maria und Dilan selbst.<br />

Von Emilija Ilić, Illustrationen: Anna Lumaca<br />

Auf dem Nachhauseweg von der Schule setzte<br />

sich im Bus ein erwachsener Mann neben die<br />

damals 14-jährige Laura * , nestelte an seiner<br />

Hose herum und präsentierte ihr seinen<br />

erigierten Penis. „Ich saß ganz hinten im Bus und konnte<br />

somit nicht an ihm vorbei. Das war genau zur Rushhour – so<br />

viele Leute haben es mitbekommen und niemand hat etwas<br />

gesagt“, so die heute <strong>23</strong>-jährige. Nach großer Überwindung<br />

erzählte Laura ihrer Mutter von dem Vorfall und ging mit<br />

ihr zusammen zur nächsten Polizeistation im 19. Wiener<br />

Gemeindebezirk. Die Befragung mit der zuständigen Polizistin<br />

hat sie nachhaltig verstört. „Sie hat mir richtig unangenehme<br />

Fragen gestellt – ob sein Glied von Anfang an steif<br />

gewesen wäre, ob er masturbiert hätte, ob das wegen mir<br />

gewesen sei und ob er mich dabei angefasst hätte. Das<br />

konnte ich alles nicht klar beantworten und die Polizistin gab<br />

mir so das Gefühl, dass ich gerade aus einer Mücke einen<br />

Elefanten machte. Sie erklärte mir, dass ich zwar Anzeige<br />

erstatten könnte, diese jedoch wahrscheinlich keine Auswirkungen<br />

hätte und es für sie nur mühsam wäre, diesen<br />

Fall nun zu bearbeiten.“ Laura fühlte sich abgewiesen. „Mir<br />

wurde schon als junges Mädchen vermittelt, dass es in<br />

Ordnung ist, wenn ein erwachsener Mann neben mir seinen<br />

erregten Penis in der Öffentlichkeit zeigt.“ Die Erfahrung,<br />

im öffentlichen Raum sexuell belästigt zu werden, machte<br />

Laura nicht nur einmal – bei der Polizei angezeigt hat sie die<br />

Vorfälle zwar immer, aber „Hilfe oder Schutz erwarte ich mir<br />

nie. Nach meinen Erfahrungen habe ich nicht das Gefühl, als<br />

wäre die Bereitschaft dazu da.“<br />

Täglich melden sich Frauen bei der Frauenhelpline und<br />

berichten von Grenzüberschreitungen, die sie nicht melden<br />

möchten. Die Scham und Angst vor der Anzeige sei zu groß.<br />

Laut dem BAFÖ (Bund Autonome Frauenberatungsstellen<br />

bei sexueller Gewalt Österreich) sind es vor allem schlechte<br />

Erfahrungen anderer Opfer, der geringe Anteil an Verurteilungen<br />

sowie lange und belastende Ermittlungsverfahren,<br />

die Frauen daran hindern, Sexualstraftaten anzuzeigen. Die<br />

Zahl der angezeigten Sexualdelikte in Österreich lässt sich<br />

schwer greifen – wie internationale Studien berichten, ist<br />

die Dunkelziffer extrem hoch. Rund 15.000 Betretungs- und<br />

Annäherungsverbote wurden im letzten Jahr von der Polizei<br />

nach einem Gewaltvorfall verhängt. Im Jahr 2022 wurden<br />

78.836 Gewaltdelikte zur Anzeige gebracht. Im Vergleich zu<br />

2021 sind diese um rund 11.400 gestiegen. Darunter fallen<br />

aber nur strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen<br />

die Freiheit und gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.<br />

Weitere Sexualstraftaten wie Grooming, Cyber-<br />

Stalking oder sexuelle Belästigung werden viel seltener<br />

strafrechtlich verfolgt. BAFÖ kritisiert die fehlenden und nicht<br />

aktuellen Studien zu Sexualdelikten in Österreich stark.<br />

Sara* hat ihren Täter nie angezeigt – es war ihr eigener<br />

Freund. „Für ihn war Sex der einzige Weg, wie wir uns nach<br />

einem Streit vertragen konnten. Ihm war egal, ob ich völlig<br />

aufgelöst war oder gerade keine Lust hatte. Er meinte immer,<br />

dass ich ihn nicht lieben würde, wenn ich nicht mit ihm<br />

schlafe. Ich tat es jedes Mal, bis ich einmal klar und deutlich<br />

„Nein“ sagte. Er machte trotzdem weiter.“ Sara * war 15<br />

Jahre alt, als ihr damaliger Partner sie vergewaltigte. Diese<br />

Tat anzuzeigen, wollte sie bewusst nie. Viel zu groß war die<br />

Angst, sich vor möglicherweise sehr unsensiblen Beamten<br />

erklären und rechtfertigen zu müssen. Viel zu groß war die<br />

Angst, für immer als das „Opfer“ gesehen zu werden. „Wenn<br />

schon Fälle, bei denen es eindeutig eine Vergewaltigung war,<br />

ohne Konsequenzen für den Täter abgeschlossen wurden –<br />

wer sollte mir denn glauben, dass mich mein eigener Freund<br />

vergewaltigt hatte? Ich wusste auch nicht, wie ich das der<br />

Polizei hätte beweisen sollen“, erzählt sie heute, sechs Jahre<br />

später.<br />

DER SOZIALE DRUCK<br />

Auch die <strong>23</strong>-jährige Maria * musste schon mehrere grenzüberschreitende<br />

Vorfälle erleben, von denen sie sich bis<br />

heute tiefsitzend geschädigt fühlt. Aus Angst, ausgeschlossen<br />

zu werden und als unglaubwürdig zu gelten, erzählte<br />

sie ihrem Umfeld lange nichts von ihrem Trauma. In ihrem<br />

siebzehnten Lebensjahr wurde sie, damals stark alkoholisiert,<br />

auf einer Party vergewaltigt. Kürzlich wurde sie erneut von<br />

einem Bekannten ihrer Freundesgruppe sexuell genötigt – in<br />

ihren eigenen vier Wänden. Dieser Vorfall brachte das Fass<br />

zum Überlaufen, sie befindet sich in Psychotherapie, um die<br />

Geschehnisse aufzuarbeiten. Der Weg zur Polizei war für sie<br />

trotzdem keine Option. „Einerseits habe ich, wie viele andere<br />

Frauen, den Vorfall zuerst kleingeredet. Ich habe mir selbst<br />

die Schuld dafür gegeben, dass ich es so weit kommen lassen<br />

habe. Andererseits ist in solchen Situationen der soziale<br />

Druck extrem hoch. Wird man mir glauben? Was werden<br />

die Leute über mich reden? Wie oft habe ich schon von<br />

Freund:innen gehört, wie unsensibel sie von Polizist:innen<br />

behandelt worden waren. So etwas möchte man so schnell<br />

wie möglich abschließen, ich hatte einfach keine Kraft, diese<br />

belastenden Ermittlungsverfahren durchzumachen.“ Sowohl<br />

Maria als auch Sara sehen den gesellschaftlichen Umgang<br />

mit sexuellen Übergriffen sehr problematisch. Frauen wird<br />

immer suggeriert, dass erst das Worst-Case-Szenario wie<br />

„Mann vergewaltigt Frau nachts im Park“ als Vergewaltigung<br />

und Straftat gilt. Vergewaltigung durch den Beziehungspartner<br />

oder durch eine nahestehende Person wird jedoch nicht<br />

ernst genommen, oder gar als nicht existent abgezeichnet.<br />

50 / RAMBAZAMBA | WIEN / / RAMBAZAMBA | WIEN / 51


AUSGELIEFERT UND ALLEIN GELASSEN<br />

Sexuelle Übergriffe bei der Polizei zu melden, ist zwecks<br />

Dokumentation wichtig. Aber: Eine Meldung allein führt<br />

nicht immer zu einer Verurteilung oder Strafe für den Täter.<br />

Doch so haben Behörden wenigstens eine Chance, Straftäter<br />

zu identifizieren und Straftaten aufklären zu können. Oft<br />

kann die Polizei durch die Meldung und einer erfolgreichen<br />

Identifizierung des potenziellen Wiederholungstäters, weitere<br />

Straftaten verhindern. Laut BAFÖ kommt es aber regelmäßig<br />

zu Vorfällen, in denen das Melden eines Übergriffs keine<br />

Konsequenzen für den Täter hat. Häufig kommt es zur Täter-<br />

Opfer-Umkehr, bei der Polizist:innen bisweilen den Opfern<br />

die Schuld geben. Doch es gibt auch sehr engagierte und<br />

beeindruckende Fälle von Beamt:innen, die sehr professionell<br />

und kompetent mit Opfern von Sexualdelikten umgehen.<br />

„Es kommt sehr darauf an, wer die zuständige Person ist;<br />

inwieweit sie für solche Fälle sensibilisiert und ausgebildet<br />

ist. Das gilt auch für die Staatsanwaltschaft“, bestätigt Ursula<br />

Kussyk, Obfrau des BAFÖ. Auf die Nachfrage beim Innenministerium,<br />

inwiefern Beamt:innen im Umgang mit Opfern von<br />

Sexualdelikten geschult würden, wird auf ein für Außenbedienstete<br />

verpflichtendes E-Learning-<br />

Modul, 60 aufgestockte Landestrainer<br />

im Bereich „Gewalt in der Privatsphäre“<br />

(GiP) und einem Wiener GiP-Support<br />

hingewiesen – all das sensibilisiert<br />

Beamt:innen für das Thema. Diese Tools<br />

wurden überwiegend im Rahmen der<br />

Novellierung des Gewaltschutzgesetzes<br />

2019 eingeführt. In Hinblick auf die Kritik<br />

vieler Frauen, verweist das Innenministerium<br />

auf den Dachverband der österreichischen<br />

Gewaltschutzeinrichtungen.<br />

Dieser sieht die Kooperation zwischen<br />

Polizei und Gewaltschutzzentren als recht<br />

eng und ausreichend.<br />

WELCHE MÖGLICHKEITEN<br />

GIBT ES FÜR FRAUEN?<br />

Frauenhelpline gegen Gewalt<br />

0800 222 555<br />

Unterstützung bei sexueller Gewalt:<br />

bei BAFÖ<br />

https://www.sexuellegewalt.at/<br />

Unterstützung bei jeglichen Anliegen:<br />

Rat auf Draht 147<br />

Frauenberatung<br />

http://www.frauenberatung.at/<br />

index.php/links/beratung-wien)<br />

GRAUZONEN, AUCH IM INTERNET<br />

Nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im Internet<br />

können übergriffige Situationen entstehen. Die kurdischstämmige<br />

Dilan * wurde von einem Freund der Familie, der<br />

doppelt so alt war wie sie, gestalkt. Von der Polizei fühlte<br />

sie sich zwar gut unterstützt und beraten, jedoch hatten<br />

die Behörden keinen klaren rechtlichen Anlass dafür, die<br />

Taten des Mannes zu unterbinden. „Der Stalker bewegte<br />

sich immer nur in einem Rahmen, der gesetzlich nicht<br />

problematisch war. Er bedrohte mich nie, er beleidigte mich<br />

auch nicht. Sein Ziel war es, eine Nähe zu mir zu suggerieren,<br />

sodass mein Umfeld dachte, dass ich neben meinem<br />

Ehemann eine Affäre hätte. In der kurdischen Community<br />

hätte dies meinem Image als Frau und dem meiner Familie<br />

enorm geschadet“, erzählt Dilan. Seit ihrer Kindheit kannte<br />

sie den Mann, der ihr die nächsten Monate zur Hölle machen<br />

sollte. Ihr Stalker überschüttete sie online mit Komplimenten,<br />

erstellte immer wieder neue Profile, um sie zu verfolgen,<br />

und terrorisierte sie und ihr Umfeld mit Anrufen. Im Internet<br />

gelten andere Regeln – die Polizei ist rechtlich eingeschränkt.<br />

Anonymität, Plattformen als Dritte und fehlende Gesetze<br />

erschweren die komplexen Ermittlungsarbeiten. BAFÖ hat<br />

dazu auch die Erfahrung gemacht, dass es der Polizei vor<br />

allem im Cyberraum an technischem Know-how und neuster<br />

Technik mangelt.<br />

DER HILFERUF INS LEERE<br />

Hilferufe von Frauen werden oft nicht ernst genommen.<br />

Laura, Sara, Maria und Dilan sind nur ein paar von Millionen<br />

Frauen weltweit, die tagtäglich grenzüberschreitenden<br />

Situationen ausgesetzt sind und sich nicht geschützt fühlen.<br />

Es fehlt auch um Aufklärung – selten werden Frauen über<br />

diese Themen informiert. Die Konsequenz: Sie realisieren das<br />

Vergehen erst spät, geben sich selbst die Schuld und schämen<br />

sich, darüber zu sprechen. Frauen, die Lauras schlechte<br />

Erfahrungen mit Polizist:innen teilen, muss mehr geschultes<br />

und sensibles Personal bereitgestellt werden. Junge Frauen,<br />

wie Sara damals, müssen darüber aufgeklärt werden, dass<br />

Frauen keinem Mann Sex „schulden“; dass auch, wenn man<br />

in einer Beziehung ist, Vergewaltigungen stattfinden können.<br />

Frauen wie Maria müssen darüber aufgeklärt werden, dass<br />

es Fraueneinrichtungen gibt, die Prozessbegleitung<br />

anbieten und sie auf dem<br />

Weg zur Anzeige unterstützen. Gesetzeslücken<br />

im Internet, von denen Dilan<br />

und so viele andere Frauen betroffen<br />

sind, muss die Justiz dringend schließen.<br />

In jedem Fall geht es um die Sicherheit<br />

von Frauen, die sich allein gelassen und<br />

ungeschützt fühlen. ●<br />

* Die Namen wurden geändert<br />

Das Innenministerium konnte zu den einzelnen<br />

Fällen, die in dem Text beschrieben werden,<br />

keine Stellung beziehen, da die Opfer zu ihrem<br />

eigenen Schutz anonymisiert wurden. Die<br />

Namen sind der Redaktion bekannt.<br />

© Zoe Opratko, unsplash.com/Christian Dubovan, EWSA<br />

MEINUNG<br />

Alltag für viele, Neuland<br />

für Arbeiter*innenkinder<br />

Donnerstagfrüh im März: Ich muss für<br />

Biber nach Brüssel. Papa fährt mich<br />

in seinem dunkelblauen Arbeitsoverall<br />

zum Flughafen, denn er muss danach<br />

in seine Werkstatt. Müde aber stolze<br />

Augen während ich rede. Nur eine<br />

Frage hat er: „Diese EU-Leute übernehmen<br />

ECHT deine Flug- und Hotelkosten?“<br />

Ich bejahe und erkläre ihm<br />

(und mir selbst) dass das „normal“ sei.<br />

Obwohl es nicht die erste Dienstreise<br />

ist, fühlt sich die Situation bizarr an.<br />

Ob das je vergeht? Die Antwort darauf<br />

kommt überraschend vom Vizepräsidenten<br />

des Europäischen Wirtschaftsund<br />

Sozialausschusses, der mir positiv<br />

auffällt, da er als einzige Person in<br />

einer Lederjacke zum Pressetermin<br />

spaziert. Später erfahre ich von ihm,<br />

dass er aus der ärmsten Region<br />

Irlands stammt. Im Gespräch verrät<br />

er mir: „Das alles fühlt sich für mich<br />

auch nach Jahren komisch an, aber<br />

Leute wie wir können immerhin dafür<br />

sorgen, dass Welten wie diese für alle<br />

zugänglicher werden. Man muss sich<br />

aber treu bleiben und zeigen, dass es<br />

klappen kann, auch wenn Herkunft<br />

und Kleidungsstil nicht in die Norm<br />

dieser Bubbles passen.“<br />

salioski@dasbiber.at<br />

KARRIERE & KOHLE<br />

Para gut, alles gut<br />

Von Šemsa Salioski<br />

YOUR EUROPE,<br />

YOUR SAY<br />

Du bist zwischen 16 und 18 und möchtest,<br />

dass deine Vorschläge für die Zukunft<br />

Europas Gehör finden? Dann könnte dich<br />

die Veranstaltung „Your Europe, Your<br />

Say!“ interessieren. Hier bekommen drei<br />

Schüler*innen aus allen EU-Mitglieds- und<br />

Kandidatenstaaten die Möglichkeit nach<br />

Brüssel eingeladen zu werden und sich mit<br />

anderen auszutauschen. Die gesammelten<br />

Empfehlungen der Teilnehmenden werden<br />

nach dem Event an die EU-Organe weitergegeben<br />

und müssen diskutiert werden.<br />

Mehr dazu unter: https://www.eesc.<br />

europa.eu/de/initiatives/your-europeyour-say<br />

Tiktok-Empfehlung<br />

@Foerderminister<br />

auf TikTok<br />

Wer sich in Österreich keinen Euro entgehen<br />

lassen will, sollte unbedingt Samy El Makarem<br />

auf TikTok folgen. Auf Tiktok fasst der<br />

selbst ernannte Förderminister in nur wenigen<br />

Sätzen zusammen, welche Förderungen<br />

ab wann und vor allem für wen zu holen<br />

sind - egal ob Klimabonus, Pendlerbonus,<br />

Studienbeihilfe oder Pensionsbonus. Mehr<br />

dazu unter: https://www.tiktok.com/@<br />

foerderminister<br />

Trend Watch<br />

VOLLZEIT,<br />

NA DANKE!<br />

Im EU-Schnitt gibt es immer<br />

mehr Vollzeitarbeitende.<br />

Österreich jedoch zählt bei<br />

der Teilzeitbeschäftigung<br />

europaweit zu den Spitzenreitern.<br />

Laut Statistik<br />

Austria beträgt der Anstieg<br />

von 2021 auf 2022 ganze<br />

7 Prozent. Wenig überraschend<br />

stehen vor allem<br />

Frauen an der Spitze dieses<br />

Trends. Fast jede zweite Frau<br />

in Österreich arbeitet nur<br />

Teilzeit. Die unsichtbare und<br />

unbezahlte Care-Arbeit gilt<br />

als Hauptgrund. Außerdem<br />

ist und bleibt der Anreiz<br />

mehr Stunden zu arbeiten<br />

für viele gering, denn wer<br />

zwischen 11.693 und 19.134<br />

Euro pro Jahr verdient, zahlt<br />

eine Einkommenssteuer in<br />

Höhe von 20 Prozent. Eine<br />

Abgabensenkung könnte<br />

das geradebiegen. Ob das<br />

junge Generationen und ihre<br />

immer lauter werdende Kritik<br />

gegenüber der 40-plus-<br />

Stunden-Woche beeinflussen<br />

könnte, bleibt fragwürdig.<br />

52 / RAMBAZAMBA | WIEN /<br />

/ KARRIERE / 53


Selbermacher<br />

Mehr als<br />

Brot und<br />

Spieße<br />

Klassiker der georgischen<br />

Küche wie<br />

Khinkali und Khatchapouri<br />

werden in Europa<br />

immer beliebter. Bei<br />

Modi1080 kann man den<br />

Geschmack Georgiens<br />

mitten in Wien kennen,<br />

und lieben lernen.<br />

Von Nada El-Azar-Chekh,<br />

Fotos: Zoe Opratko<br />

Giorgi „Gio“ Kerashvili und seine<br />

Frau Tamar Dzneladze haben mit<br />

ihrem Restaurant Modi1080 ein<br />

Stück ihrer Heimat Georgien in die Wiener<br />

Josefstadt gebracht: In einem ehemaligen<br />

Teppichgeschäft in der Alser Straße werden<br />

traditionelle Speisen in einem modernen<br />

Ambiente serviert.<br />

„Ich wollte kein ehemaliges Restaurant<br />

übernehmen. Man sagt doch immer so<br />

schön, dass man Tote nicht mehr wecken<br />

könne“, erzählt Inhaber Gio. „Dieses<br />

Teppichgeschäft stand über 42 Jahre hier<br />

– wenn man ein wenig abergläubisch ist,<br />

könnte man sagen, dass das doch Glück<br />

bringt. Deswegen haben wir es komplett<br />

renoviert und unser Restaurant hier<br />

aufgebaut.“ Eröffnet wurde Modi1080 im<br />

September 2021, kurz bevor ein weiterer<br />

Lockdown dem Lokal zusetzte. Für das Ehepaar,<br />

das zuvor noch nie einen Gastrobetrieb<br />

hatte, war es ein holpriger Start. „Drei<br />

Mal wollten wir es während der Renovierungsarbeiten<br />

aufgeben. Aber es hat sich<br />

am Ende gelohnt.“<br />

ANFASSEN ERLAUBT<br />

Lange war Modi1080 ein Abendrestaurant,<br />

seit kurzem werden aber auch Mittagsmenüs<br />

angeboten. Gekocht wird in der<br />

offenen Küche immer frisch. „Bei uns ist<br />

nichts im Tiefkühler, außer das Lachssteak“,<br />

so Tamar. Absolute Lieblingsspeise der<br />

Ladenbesitzer sind die klassischen Khinkali,<br />

große Teigtaschen, die man unbedingt<br />

mit der Hand essen sollte. „Man greift die<br />

Khinkali am besten oben an der Spitze,<br />

beißt ein Stückchen auf der Seite ab und<br />

© philipp nemenz/Shutterstock<br />

© Halfpoint/stock.adobe.com<br />

trinkt die Boullion gleich heraus. So machen<br />

wir es in Georgien und nicht anders. Wer<br />

sie mit Messer und Gabel aufschneidet,<br />

verpasst den besten Teil!“, erklärt Gio. Auch<br />

Khatchapouri, ein beliebtes Brot mit Käse<br />

überbacken, und eine große Auswahl an<br />

Fleischspießen vom Grill dürfen in einem<br />

georgischen Lokal nicht fehlen. Wer es<br />

lieber vegetarisch mag, sollte unbedingt<br />

die mit Walnusspaste gefüllten Melanzanirollen<br />

und den Bohneneintopf kosten. Als<br />

perfekte Begleitung empfiehlt es sich, einen<br />

Blick in die Weinkarte zu werfen: Denn bei<br />

Modi1080 bekommt man exklusive Qvevri-<br />

Weine direkt aus Georgien, die in Amphoren<br />

unter der Erde gegärt wurden. Diese Form<br />

der Weinherstellung gilt als älteste auf der<br />

ganzen Welt und ist von der UNESCO nicht<br />

umsonst zum Weltkulturerbe Georgiens<br />

erklärt worden.<br />

Gio und Tamar legen großen Wert auf<br />

gute Gastfreundlichkeit. „Für uns sind alle<br />

Restaurantbesucher wie Gäste bei uns<br />

Zuhause.“ In Georgien werden traditionell<br />

alle Speisen untereinander am Tisch geteilt.<br />

„Ich bin sehr dankbar, dass ich mit diesem<br />

Lokal auch mein Land repräsentieren kann<br />

und ich bin mir sehr bewusst über meine<br />

Rolle“, erklärt Gio. Nicht umsonst heißt das<br />

Lokal „Modi“, denn das bedeutet auf Georgisch<br />

so viel wie: Komm herein! Vom alten<br />

Wiener Grant ist bei hier also definitiv nichts<br />

zu spüren.<br />

Modi1080<br />

Alser Straße 11, 1080 Wien<br />

In Georgien werden alle Speisen geteilt.<br />

Mehr ist in diesem Fall also – mehr!<br />

VON DER IDEE<br />

BIS ZUR GRÜNDUNG<br />

» GRUENDERSERVICE.AT<br />

Basis-Informationen und Tools zur Gründung<br />

finden Sie auf unserer Webseite.<br />

WKO-WIEN HILFT<br />

Im Gründerservice der<br />

WKO-Wien kann man bei<br />

einem Beratungsgespräch<br />

alle Fragen stellen, die die<br />

Gründung eines Unternehmens<br />

betreffen. Im Vorhinein<br />

kann man sich auch<br />

schon eigenständig online<br />

informieren. Ob generelle<br />

Tipps zur Selbstständigkeit,<br />

rechtliche Voraussetzungen,<br />

Amtswege oder<br />

Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:<br />

Auf<br />

der Website kommt man<br />

mit wenigen Klicks zu allen<br />

wichtigen Informationen.<br />

wko.at/wien<br />

www.gruenderservice.at<br />

Die Selbermacher-Serie ist<br />

eine redaktionelle Kooperation<br />

von das biber mit der<br />

Wirtschaftskammer Wien.<br />

Online informieren!<br />

W www.gruenderservice.at<br />

54 / KARRIERE /


TECHNIK & MOBIL<br />

Alt+F4 und der Tag gehört dir.<br />

Von Adam Bezeczky<br />

Bezahlte Anzeige<br />

MEINUNG<br />

Grabenkrieg<br />

und High-Tech<br />

Der Krieg in der Ukraine wird<br />

zunehmend ein Wettbewerb der<br />

Rüstungsfabriken: auf der einen<br />

Seite Hyperschallraketen und<br />

Drohnen, auf der anderen Seite<br />

hochgezüchtete Panzer und<br />

Mehrfachraktenwerfer. Die Zeche<br />

blecht wieder einmal die Zivilbevölkerung.<br />

Der Abnutzungskrieg<br />

im Osten wird unerbittlich und<br />

mit allen Mitteln geführt - von der<br />

smarten Aufklärungsdrohe bis zum<br />

Feldspaten kommt dabei alles zum<br />

Einsatz, und es ist nicht ohne Ironie,<br />

dass die Landschaft genauso<br />

mit Schützengräben durchzogen<br />

ist, wie damals im ersten Weltkrieg.<br />

Danach hat man sich auch<br />

gefragt “Wozu das unermessliche<br />

Leid?” - vielleicht lernen ja zukünftige<br />

Generationen aus<br />

all den verstörenden<br />

Aufnahmen aus dem<br />

Kriegsgebiet, warum<br />

bewaffnete Konflikte<br />

keine gute Idee sind.<br />

bezeczky@dasbiber.at<br />

paprikap0w3r<br />

Pause für AI<br />

ForscherInnen und UnternehmerInnen<br />

wollen eine Pause bei der Entwicklung<br />

von KI einlegen. Was nach einer<br />

vernünftigen Forderung klingt, ist<br />

unrealistisches Wunschdenken. Kein<br />

Unternehmen der Welt kann sich eine<br />

Pause leisten, alle werden weiterentwickeln.<br />

Der Wettbewerbsdruck ist viel<br />

zu groß.<br />

DIABLO<br />

KEHRT<br />

ZURÜCK<br />

Der Urvater der Dungeon “Hack<br />

n Slay” Adventures kehrt auf die<br />

Konsolen dieser Welt zurück. Wieder<br />

einmal müssen wir als Held den<br />

Teufel nicht nur an die Wand malen,<br />

sondern aus der Welt vertreiben.<br />

Übung macht den Meister, und die<br />

Entwickler wissen seit 1997, wie<br />

man Spieler bei der Stange hält.<br />

Erhältlich im Sommer!<br />

SMARTHOME<br />

SPART ENERGIE<br />

Mit smarten Steckdosen und<br />

intelligenter Heimsteuerung lässt<br />

sich viel Energie sparen. Lampen,<br />

die ausgehen, wenn man die<br />

Wohnung verlässt oder Thermostate<br />

die die Heizung sehr genau<br />

ansteuern. Es bedarf nicht großer<br />

Investitionen um eine Wohnung<br />

“smart” werden zu lassen. Mehr<br />

dazu bald auf www.dasbiber.at<br />

© Marko Mestrovic, Activision Blizzard, unsplash.com/Andrea De Santis, kremlin.ru<br />

Ich arbeite an der Digitalisierung.<br />

Ich arbeite an Wien.<br />

Asha ist stolz auf ihren Job und ihren Beitrag zur fortschreitenden Digitalisierung.<br />

Sie sorgt für Online-Services der Stadt und dafür, dass sie rund um die Uhr<br />

funktionieren. Diese wichtige Aufgabe motiviert sie täglich aufs Neue.<br />

Die Stadt Wien bietet ihr ein faszinierendes, vielfältiges und innovatives Arbeitsumfeld<br />

und das in einem krisensicheren Job mit Verantwortung und einer guten<br />

Work-Life-Balance.<br />

Arbeite auch du an Wien und bewirb dich unter: jobs.wien.gv.at<br />

#arbeitenanwien<br />

56 / TECHNIK /<br />

jobs.wien.gv.at


MEINUNG<br />

Die ewigen<br />

Ausländer<br />

Am 24. Mai 1982, genau an ihrem 25.<br />

Geburtstag, zündete sich Semra Ertan<br />

in Hamburg öffentlich an. Die politische<br />

Aktivistin und Lyrikerin kam als Kind von<br />

Gastarbeitern aus der türkischen Hafenstadt<br />

Mersin im Alter von 14 Jahren nach<br />

Deutschland und schrieb als junge Frau<br />

gegen Rassismus und Ausgrenzung. Ihr<br />

wohl bekanntestes Gedicht „Mein Name ist<br />

Ausländer“ schrieb Ertan nicht einmal ein<br />

halbes Jahr vor ihrem Suizid nieder – und<br />

erst vor wenigen Jahren wurde überhaupt<br />

ein Gedichtband auf Deutsch und Türkisch<br />

herausgebracht, der auch mehr als 40 Jahre<br />

nach ihrem Tod noch traurige Aktualität<br />

behält. Semra Ertan schrieb über Freiheit<br />

und Unabhängigkeit, in einer Zeit, in der<br />

ihr aufgrund ihrer Herkunft und sozialen<br />

Klasse viele Türen verschlossen geblieben<br />

sind. Auch heute - sei es in Deutschland,<br />

sei es in Österreich - hat sich die Situation<br />

für viele MigrantInnen bzw. für ihre Kinder<br />

kaum verändert: Gute Karrieren und Bildung<br />

werden immer noch vererbt, die Schere<br />

zwischen arm und reich wird immer größer<br />

und auch in der Kunst sind Stimmen aus<br />

marginalisierten Gruppen oft unsichtbar.<br />

Semra Ertan wäre dieses Jahr 66 Jahre<br />

alt geworden – leider wäre auch heute<br />

womöglich ein Gedicht wie „Mein Name<br />

ist Ausländer“ mit Leichtigkeit entstanden.<br />

Denn es scheint, als hätte sich über diese<br />

Jahrzehnte nur wenig verändert.<br />

el-azar@dasbiber.at<br />

KULTURA NEWS<br />

Klappe zu und Vorhang auf!<br />

Von Nada El-Azar-Chekh<br />

58 / KULTURA /<br />

Filmtipp:<br />

Die Kairo<br />

Verschwörung<br />

Der einfache Fischersohn Adam erhält<br />

ein Stipendium an der renommierten<br />

islamischen Azhar-Universität in Kairo<br />

– doch plötzlich stirbt das Oberhaupt,<br />

der Groß-Imam. Eine politische Intrige<br />

entfaltet sich um die Neubesetzung und<br />

der unscheinbare Adam wird für den<br />

ägyptischen Geheimdienst rekrutiert,<br />

um zu spionieren. Regisseur Tarik Saleh<br />

traut sich mit diesem Politthriller über<br />

ein besonders hartes Pflaster!<br />

Filmstart: 21. April 20<strong>23</strong><br />

Festival-Tipp:<br />

SALAM<br />

ORIENT<br />

Musikalische Highlights bilden unter<br />

anderem die „Voices of Iran“ Golnar<br />

Shayar, Tara Mehrad und Aïda Nosrat,<br />

die mit ihrem Projekt „Woman,<br />

Life, Freedom“ solidarisch mit den<br />

Protesten im Iran auftreten. Auch<br />

das palästinensisch-jordanische<br />

Rock-Duo El Morabba3 dreht im Flex<br />

Café ordentlich auf. Außerdem unter<br />

anderem im Programm: Özlem Bulut<br />

Band und Yemen Blues. Begleitend<br />

gibts im philomena+ die Ausstellung<br />

„Markt-Marie“, die am 5. Mai Vernissage<br />

hat.<br />

Von 4. bis 14. Mai<br />

in Wien. Weitere<br />

Informationen<br />

zum Programm<br />

gibts hier:<br />

Buchtipp:<br />

Tränen im<br />

Asiamarkt<br />

Michelle Zauner ist als einziges Kind<br />

einer koreanischen Mutter und eines<br />

US-amerikanischen Vaters im US-<br />

Bundesstaat Oregon aufgewachsen. In<br />

ihrem berührenden Bestseller-Roman<br />

„Tränen im Asiamarkt“ spürt sie dem<br />

Verlust ihrer Mutter an Krebs nach.<br />

„Seitdem meine Mutter gestorben ist,<br />

weine ich im Asiamarkt“, lesen sich<br />

die ersten Zeilen des Buches. Zauner,<br />

die übrigens auch Sängerin der Indie-<br />

Band „Japanese Breakfast“ ist, nimmt<br />

den Leser auf eine (kulinarische)<br />

Erinnerungsreise mit und verarbeitet<br />

Identität, Trauer und ihre koreanische<br />

Erziehung.<br />

„Tränen im Asiamarkt“, Ullstein<br />

Taschenbuch, 320 Seiten, 13 Euro<br />

© Zoe Opratko, Atmo, Memento Productions, Oomerak, Ullstein<br />

© Igor Ripak<br />

3 FRAGEN AN…<br />

ELISABETH<br />

BERNROITNER<br />

& ZUZANA ERNST<br />

Seit März 20<strong>23</strong> hat die Brunnenpassage<br />

eine neue künstlerische Co-<br />

Leitung, bestehend aus Elisabeth<br />

Bernroitner und Zuzana Ernst.<br />

<strong>BIBER</strong>:Wie divers ist die Wiener Kunstszene?<br />

Grundsätzlich ist die Gruppe der an Kunst und Kultur<br />

interessierten Menschen so heterogen wie es eben auch<br />

die Wiener Stadtgesellschaft ist. Gehen wir jedoch auf<br />

die Ebene der Kunstproduktion – also jener Personen,<br />

die Kunst und Kultur schaffen – wird der Kreis schon viel<br />

enger. Denn wer kann es sich schon leisten über Jahre<br />

hinweg im Prekariat tätig zu sein? Und wer hat überhaupt<br />

Zugang zu einer professionellen künstlerischen Ausbildung<br />

und den nötigen Kontakten?<br />

Spiegelt sich das, eurer Meinung nach, im heimischen<br />

Kunstsektor wider?<br />

Blicken wir auf die institutionell organisierte Kunst- und<br />

Künstler*innen<br />

Brook Andrew • Yane Calovski & Hristina Ivanoska •<br />

Siniša Ilić • Iman Issa • Gülsün Karamustafa •<br />

Barbi Marković • Elfie Semotan<br />

Kulturlandschaft, müssen<br />

wir feststellen, dass diese<br />

von Ausschlüssen geprägt<br />

und vorwiegend weiß,<br />

mehrheitsösterreichisch,<br />

privilegiert, nicht-behindert<br />

und hetero zusammengesetzt<br />

ist.<br />

Welche partizipativen<br />

Angebote bietet die Brunnenpassage<br />

für alle Kunstinteressierten?<br />

Wir bieten regelmäßige<br />

partizipative Formate in den<br />

Bereichen Performance,<br />

Gesang, Tanz und Poetry<br />

an. Als (Quer-)Einstiegsformate<br />

gibt es niederschwellige<br />

Workshops, die gänzlich ohne Voranmeldung und zu<br />

immer wechselnden Themen stattfinden. Die einzelnen<br />

Termine bauen bewusst nicht aufeinander auf, so dass<br />

jede:r einfach mitmachen kann. Andere Workshop-Reihen<br />

hingegen sind so aufgebaut, dass ein- und dieselbe<br />

Gruppe gemeinsam über einen längeren Zeitraum auf ein<br />

Ziel, z.B. ein Showing oder eine Performance, hinarbeitet.<br />

Darüber hinaus gibt es immer wieder mehrjährige Kunstproduktionen,<br />

die intensive co-kreative Prozesse erlauben.<br />

Mit Werken aus der Sammlung des MoCA Skopje von<br />

Georg Baselitz • Maria Bonomi • Alexander Calder •<br />

Luis Camnitzer • Christo & Jeanne-Claude • Ion Grigorescu •<br />

Sheila Hicks • David Hockney • Alfred Hrdlicka • Alex Katz •<br />

Sol LeWitt • Meret Oppenheim • Pablo Picasso • Bridget Riley •<br />

Niki de Saint Phalle • Henryk Stażewski uvm.<br />

20/4 20<strong>23</strong> — 28/1 2024<br />

Elfie Semotan, o.T., Skopje, 2022/<strong>23</strong> • Courtesy Studio Semotan © Elfie Semotan


„Der Tanz und ich werden<br />

Freunde bleiben.“<br />

Omar Khir Alanam kennt man hier zulande<br />

als Buchautor und Poetry-Slammer – nun<br />

tanzt er sich bei Dancing Stars in die<br />

Herzen des Publikums. Was der 32-jährige<br />

aus dem Training gelernt hat, verrät er im<br />

Interview.<br />

„ Bis ans Ende der Welt<br />

wolltest du mit mir gehen.<br />

Und auf einmal schmeißt<br />

du alles hin und haust ab!“<br />

Von Nada El-Azar-Chekh<br />

Omar Khir Alanam (r.) mit seiner Tanzpartnerin Kati Kallus (l.)<br />

60 / KULTURA /<br />

<strong>BIBER</strong>: Omar, du bist 2015 aus Syrien nach Österreich<br />

gekommen, hast mehrere Besteller als Autor veröffentlicht<br />

und machst nun bei Dancing Stars mit. Wie kam es dazu?<br />

OMAR KHIR ALANAM: Ich wurde von der Redaktion von<br />

Dancing Stars angeschrieben und angefragt. Die Idee fand<br />

ich ansprechend und lustig. Das ist eine ganz neue Herausforderung,<br />

weil ich davor mit dem Tanz keine Erfahrung<br />

hatte, außer wenn ich feiern war und frei getanzt habe.<br />

Bist du schon immer ein guter Tänzer gewesen? Was ist<br />

der härteste Teil am Training?<br />

Ein Tänzer war ich nie, aber ich habe mich immer gerne<br />

frei bewegt. Der härteste Teil ist, die Schritte und die Technik<br />

zu lernen und das Ganze dann im Takt zu machen. Und<br />

zum Schluss den Kopf aber abzuschalten und den Tanz,<br />

die Choreografie, das Lied zu spüren und zu genießen. Es<br />

ist eine Sportart, die viel Zeit, Power, Geduld, Ausdauer<br />

und wie bei allem was man neu lernt soll es auch Spaß<br />

machen.<br />

Was hast du aus deiner Zeit bei Dancing Stars lernen<br />

können?<br />

Dass Bewegung für die mentale Gesundheit wahnsinnig<br />

wichtig ist. Der Tag der ersten Pressekonferenz, ein<br />

Montag, war zufälligerweise derselbe Tag, an dem das<br />

Erdbeben in Syrien und der Türkei passierte. Dummerweise<br />

verfolgte ich die Videos der Zerstörung ganze zwei Tage<br />

lang, was in mir wieder das Trauma des Krieges ausgelöst<br />

hat. Das Tanzen war eine perfekte Methode der Therapie,<br />

und des Zulassens, und die Trauer durch Bewegung<br />

zu verarbeiten. Ich lernte neue Schritte, neue Rhythmen,<br />

ich lerne über mich selbst in den verschiedenen Choreografien,<br />

wo ich nicht nur getanzt habe, sondern mit dem<br />

Tanz meine Gefühle verkörpert habe und dadurch auch<br />

einen neuen Teil von mir entdeckte.<br />

Möchtest du auch in Zukunft weiter tanzen?<br />

Ich glaube der Tanz und ich werden Freunde bleiben. Ich<br />

werde weiter tanzen, egal wie und von wem das bewertet<br />

wird.<br />

„Dancing Stars“ jeden Freitag um 20:15 auf ORF1<br />

© ORF/Günther Pichlkostner<br />

© 20<strong>23</strong> McDonald’s<br />

Mach<br />

keinen<br />

Mist!<br />

Wer sich richtig trennt, spart wertvolle Ressourcen.<br />

Deshalb wird in jedem österreichischen McDonald’s<br />

Restaurant der Abfall gesammelt, getrennt und<br />

anschließend zu 90 % wiederverwendet.<br />

Sei dabei beim<br />

Cleanup Day 20<strong>23</strong><br />

mcd_<strong>BIBER</strong>_20<strong>23</strong><strong>04</strong>15_Littering_ANZ_Sackerl_207x270_ISOnewspaper26v4.indd 1 05.<strong>04</strong>.<strong>23</strong> 10:35


DER QUOTEN-ALMANCI<br />

2 MONATE NACH DEM ERDBEBEN<br />

Von Özben Önal<br />

In den letzten Wochen befinde ich mich immer wieder<br />

in Gesprächen innerhalb der Community über die<br />

Zukunft unserer zerstörten Heimatprovinz Hatay.<br />

Während ich jedes Mal unkontrollierbare Wut empfinde,<br />

wenn ich an die Trümmer und Zustände vor Ort denke,<br />

stecken andere noch in einer Phase der Trauer über<br />

die Verluste. Und wieder andere sprechen davon, dass<br />

nach vorne geblickt werden muss. Das Leben vor Ort<br />

geht zwar weiter, die Zeit ist offensichtlich nicht stehen<br />

geblieben, aber von Normalität kann noch lange nicht<br />

die Rede sein. Menschen sind noch immer in Zelten<br />

untergebracht, es mangelt zum Teil noch immer an<br />

sanitären Anlagen und Waschmöglichkeiten, routinemäßig<br />

notwendige Grundbedürfnisse können nicht<br />

gedeckt werden - das Zurückkehren von<br />

Normalität bleibt so in weiter Ferne. Aber<br />

auch die emotionale Komponente spielt hier<br />

eine Rolle. Vor zwei Tagen erzählte mir meine<br />

Cousine aus Hatay bei einem Telefonat vom<br />

Besuch ihrer Freundin, die ihre Mutter und<br />

Schwester beim Erdbeben verloren hatte.<br />

Sie war mit ihrem Vater noch einmal zu den<br />

Trümmern gefahren in der Hoffnung, etwas<br />

zu finden, das sie als Erinnerung mitnehmen könnten.<br />

Es war nicht möglich gewesen, die Leichname der<br />

beiden zu finden, noch immer liegen sie irgendwo<br />

zwischen Beton und Gestein. Darüber trauern sie am<br />

meisten - keinen Ort zu haben, an den sie gehen können,<br />

um sich mit ihren Liebsten verbunden zu fühlen.<br />

Sie zeigte meiner Cousine ein zerknittertes Familienbild,<br />

das nun als einziges Andenken an die Zeit vor dem<br />

sechsten Februar dient.<br />

UNTERSCHIEDLICHE<br />

VERARBEITUNGSPROZESSE<br />

Die Menschen vor Ort sind alle in unterschiedlichen<br />

Phasen der Verarbeitung und haben demnach auch<br />

einen anderen Umgang mit der Situation. Viele haben<br />

Schwierigkeiten zu begreifen, was ihnen widerfahren<br />

Kolumnistin Özben<br />

Önal ist euer „Quoten-<br />

Almanci“ – ein bisschen<br />

deutsch, ein bisschen<br />

türkisch, mit ein bisschen<br />

Liebe zu Wien. In ihrer<br />

Kolumne berichtet sie<br />

über Schönes, Schwieriges<br />

und Alltägliches.<br />

62 / MIT SCHARF /<br />

ist und suchen verzweifelt nach einem Sinn. Darunter<br />

auch solche, die an dem Glauben festhalten, dass ihr<br />

Verlust Schicksal war. Jedes Mal, wenn ich dieses Wort<br />

im Zusammenhang mit dem Erdbeben höre, stellen sich<br />

mir die Nackenhaare auf und ich werde wütend. Denn<br />

die Verbindung erinnert an das politisierte Narrativ, das<br />

Erdogan drei Tage nach dem Beben bediente, indem<br />

er von „Schicksal“ sprach, was vor allem dazu dienen<br />

sollte, Verantwortungslosigkeit und Versagen innerhalb<br />

der Regierung zu legitimieren. Allerdings ist mir<br />

mittlerweile klar, dass der individuelle Glaube daran,<br />

der eigene Verlust sei Schicksal gewesen, für einige<br />

Menschen notwendig ist und manchmal auch getrennt<br />

vom politischen Vokabular gesehen werden sollte,<br />

dessen sich ein Staatsoberhaupt bedient, um<br />

das eigene Verschulden zu rechtfertigen. Sie<br />

kennen keinen anderen Weg des Trostes,<br />

keinen anderen Sinn. Und um ihren Verlust<br />

verarbeiten zu können, halten sie an ihrem<br />

Glauben fest, weil es für sie nichts anderes<br />

gibt. Und woher nähme ich das Recht, einer<br />

tieftrauernden Person abzusprechen, woran<br />

sie glaubt und für den Moment glauben muss,<br />

um ihre Situation ertragen zu können? Genau so gibt<br />

es Menschen, deren Trauer in Wut umgeschwungen<br />

ist, Wut darüber, nicht akzeptieren zu wollen, dass ihr<br />

Verlust als Schicksal betitelt wird. Sie brauchen die<br />

Übernahme von Verantwortung, die Gerechtigkeit und<br />

die Aufklärung, um den Heilungsprozess beginnen zu<br />

können. Die Wut ist ihr Ventil. Auch wenn es sich um<br />

ein kollektives Trauma handelt, gibt es auf der individuellen<br />

Ebene nicht den einen richtigen Umgang, dafür<br />

ist die Gesellschaft zu vielschichtig, das Erlebte zu<br />

unterschiedlich. Vielmehr ist gerade höchste Sensibilität<br />

gefragt in Gesprächen über das Erlebte. zwei Monate<br />

fühlen sich für die einen an wie zwei Tage, für die<br />

anderen wie zwei Jahre. Die einen glauben daran, dass<br />

der Verlust ihrer Liebsten unumgänglich war, während<br />

andere von Mord sprechen. ●<br />

© Zoe Opratko<br />

Blind ermielt ermielt<br />

Zwei neue Fälle für Haller & Falk<br />

Tod im Weinberg | Montag 17. April 20:15<br />

Mord an der Donau | Montag, 24. April 20:15<br />

20.03.<strong>23</strong> 12:51


JOBS MIT ZUKUNFT<br />

„Jeder fängt mal klein an.<br />

Aber hier werd’ ich groß!“<br />

Lehrlinge<br />

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/ MIT SCHARF / 65<br />

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