Mobilitätsdienstleister ohne Kunden. Kundenorientierung im ... - WZB
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sie ein bekanntes Kriterium (vgl. Abb. 10; hier wird zugleich der großen Unterschied in der<br />
Erreichbarkeit mit dem Auto und dem ÖPNV erkennbar). Andere „Wohlfühl-Kriterien“ stehen<br />
hinter der Erreichbarkeit deutlich zurück.<br />
Erreichbarkeit wird hier – anders als in der stadtplanerischen Definition, die das Vorhandensein<br />
von Wegezielen einbezieht – als die Summe aus Reisezeit zwischen dem Ausgangs-<br />
und dem Zielort (Quelle und Ziel) und der max<strong>im</strong>alen Wartezeit zwischen zwei Haltestellenabfahrten<br />
am Ausgangsort definiert. Die max<strong>im</strong>ale Wartezeit ergibt sich aus dem Fahrplanangebot<br />
oder der Taktfrequenz. Diese Verfügbarkeit und die Reisezeit (die Summe aus<br />
Fahrzeit und ggf. Umsteigezeit) wurden in zahlreichen Analysen als pr<strong>im</strong>äre Forderungen an<br />
einen attraktiven ÖPNV ermittelt. Für die Bausteine des öffentlichen Individualverkehrs –<br />
öffentliche Autos und Fahrräder – wurde analog die Verfügbarkeit der Fahrzeuge als zentrales<br />
Qualitätskriterium festgestellt.<br />
Erreichbarkeit unterscheidet sich somit von den verkehrplanerischen Begriffen „Erschließungsqualität“<br />
und „Bedienungsstandard“. Diese klammern Reisezeiten aus, indem sie lediglich<br />
das Angebot an Abfahrten pro Haltestelle in einem best<strong>im</strong>mten Gebiet und Zeitraum<br />
beziffern (teilweise auch als Abfahrten pro Einw<strong>ohne</strong>r eines best<strong>im</strong>mten Gebiets und Zeitraums).<br />
Ein ÖPNV, der sich <strong>im</strong> Wettbewerb mit dem Auto sieht, kann die Reisezeit nicht<br />
ausklammern. Der konkretisierungsbedürftige Rechtsbegriff der „ausreichenden Bedienung“<br />
charakterisiert zudem nicht die Sicht des Aufgabenträgers oder des Verkehrsunternehmens,<br />
sondern die individuelle Sichtweise des <strong>Kunden</strong> einerseits und die des „öffentlichen Interesses“<br />
andererseits (Werner/Schaaffkamp 2002: 131).<br />
Die in der Fachdiskussion und in der in Kap. 4.1 beschriebenen Norm (DIN 2002) gebräuchlichen<br />
Kriterien Pünktlichkeit/Fahrplaneinhaltung, Anschlusssicherheit u.a. beschreiben<br />
dagegen lediglich technisch-funktionale Einzelaspekte einer Reisekette. Das Ziel scheint aus<br />
den Augen verloren zu sein. Auch hieran wird die fehlende <strong>Kunden</strong>sicht deutlich. Die Angebotsdichte,<br />
der Weg zur Haltestelle oder zum Bahnhof, die Warte- und Umsteigezeit entscheiden<br />
in Summe über die Attraktivität eines Angebots, nicht die Einzelkriterien. Selbst<br />
eine – in Relation zur Realität – hohe Anschlusssicherheit von 90% bedeutet für 10% der<br />
<strong>Kunden</strong> eine erhebliche, <strong>im</strong> ungünstigen Fall mehrstündige Verlängerung ihrer Reisezeit,<br />
auch wenn die folgende Abfahrts- und Ankunftszeit exakt eingehalten wird.<br />
In der Fachdiskussion, insbesondere über die Qualitätssicherung, scheint die zentrale<br />
Bedeutung dieser Zusammenhänge vergessen worden zu sein. Vielmehr werden zahllose<br />
„Sekundärtugenden“ (Sauberkeit, Fahrkomfort, Freundlichkeit des Personals etc. pp.) mit<br />
hohem Aufwand befragt, gemessen oder auf anderem Weg justiziabel bewertet und mit ökonomischen<br />
Steuerungsinstrumenten verknüpft. Freundliche Busfahrer, verständliche Haltestellenansagen,<br />
Kl<strong>im</strong>aanlage, farbenfrohe Sitzbezüge und ein bestens gereinigter Bus <strong>ohne</strong><br />
Graffiti können die <strong>Kunden</strong> jedoch nur sehr bedingt über „fast nie erreichte“ Anschlussverbindungen<br />
hinwegtrösten. An der zentralen Bedeutung der Erreichbarkeitsqualität entsprechend<br />
der oben entwickelten Definition setzt sinnvollerweise auch das ökonomische Steuerungsinstrument<br />
mit entsprechender Gewichtung der Anreize an.<br />
Einem ähnlichen Missverständnis scheint die Branchendiskussion zu unterliegen, wenn der<br />
Fahrgastentwicklung lediglich in der politischen Auseinandersetzung eine zentrale Rolle<br />
zukommt. Verkehrsverlagerung, Entlastung der Innenstädte vom Kfz-Verkehr, Erhöhung der<br />
Verkehrssicherheit sind hier die großen Versprechen. Diese dienen stets der Legit<strong>im</strong>ation<br />
hoher Transferleistungen.