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Mobilitätsdienstleister ohne Kunden. Kundenorientierung im ... - WZB

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29<br />

Mit diesem Ansatz kommt Sozialdata zum Ergebnis, dass über die Hälfte aller Autofahrten in<br />

Deutschland auf den Umweltverbund 21 (zu Fuß, Fahrrad, ÖPNV) verlagert werden können,<br />

da es „keinen Sachzwang“ für die Autonutzung gäbe. Der Umweltverbund sein hier „mindestens<br />

eine gleichwertige Alternative“ (Brög/Erl 2002: 231). Das Bundesverkehrsministerium<br />

folgt dieser Einschätzung, da „86% der privaten Haushalte eine Bushaltestelle innerhalb<br />

von 10 Minuten Fußweg erreichen können und 22% einen entsprechenden U-, S- und Straßenbahnanschluss“<br />

(Mertens 2002: 6). Die Frage, warum viele Bürger den ÖPNV auch bei<br />

günstiger Erreichbarkeit der Haltestellen meiden, wird nicht gestellt.<br />

Andere Motive für die Verkehrsmittelwahl sind nach Sozialdata „nur“ subjektive Gründe, die<br />

ausschließlich auf einem Defizit an Information, Kommunikation und Motivation beruhen<br />

können (UITP 1998: 7). Subjektive Gründe werden von Sozialdata als „falsch“ bewertet,<br />

andere Motive als die genannten rationalen sind nicht zugelassen. Dieser „Aufklärung“ liegt<br />

ein <strong>Kunden</strong>bild zu Grunde, das ausschließlich auf einer moralischen und normativen Sichtweise<br />

beruht. Der Ansatz fällt mit seinen normativen Momenten in eine Haltung zurück, die<br />

er überwinden wollte: Sozialdata stellt stets die Vorteile von individuellem Marketing <strong>im</strong> Vergleich<br />

zur traditionellen Strategie der Angebotsverbesserungen heraus. Dass beide Ansätze<br />

– der technokratisch-funktionale der Verkehrsplaner und der nicht weniger normative der<br />

Sozialdata – auf weitgehend identischen, da funktionalen Annahmen beruhen, wer den<br />

ÖPNV wozu benutzen kann und soll, bleibt dabei außen vor.<br />

Durch individuelles Marketing, 22 das nur „ÖPNV-affine“ Personengruppen direkt ansprechen<br />

soll, werden die potentiellen Fahrgäste aufgefordert, „über ihr Verhalten nachzudenken“<br />

(UITP 1998: 9, Übersetzung HBl). Hierzu müsse zunächst ein Problembewusstsein geschaffen<br />

werden, dann persönliche Betroffenheit, Verstärkung durch soziale Akzeptanz und<br />

schließlich Routinisierung (vgl. Brög/Erl 2002: 232).<br />

Die Wirkungslosigkeit derartiger rational-argumentativer Appelle an die Vernunft ist beispielsweise<br />

von den Anti-Raucher-, Anti-Aids-, Gesunde-Ernährungs-, Viel-Bewegungs- und<br />

anderen Kampagnen bekannt. Häufig wird mit sozialen Einflussversuchen und subjektiv<br />

bedrohenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit sogar das Gegenteil des eigentlichen<br />

Ziels erreicht (Mayer 1993: 14). Diese Kampagnen waren möglicherweise in den 80er<br />

Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei einem vergleichsweise ausgeprägten ökologischen<br />

Interesse in der Bevölkerung denkbar, seit den 90er Jahren können sie jedoch als<br />

nicht mehr angemessen bezeichnet werden. Die von Sozialdata mit erheblichem finanziellem<br />

Aufwand individualisierten <strong>Kunden</strong>ansprachen („he<strong>im</strong>suchendes Marketing“) werden zwar<br />

<strong>im</strong>mer wieder mit evaluierten Erfolgen kommuniziert, wenig erfolgreiche Projekte bleiben<br />

dabei jedoch außen vor. 23<br />

Wie weit dieser Umerziehungsansatz von den kundenorientierten Methoden der Automobilindustrie<br />

entfernt ist, zeigt beispielhaft deren Vorgehen bei der Positionierung eines neuen<br />

Automodells. Hier wird u.a. untersucht, mit welchen Marken außerhalb der Autowelt die<br />

<strong>Kunden</strong> die Marke des Herstellers und des Wettbewerbers assoziieren (Rentschler 2004:<br />

21). Das Design des neuen Produkts und das Marketing werden an diesen Assoziationen<br />

orientiert.<br />

21<br />

Im „Ruhrkorridor“ ermittelt Sozialdata sogar einen Anteil von 61% der Fahrten, die „grundlos“ mit<br />

dem Auto durchgeführt werden.<br />

22 ®<br />

Anfang der 90er Jahre ließ sich Sozialdata hierfür die Marke „IndiMark “ schützen.<br />

23<br />

So zeigte eine Public-Awareness-Kampagne in Pirna bei Dresden keine nachhaltige Nachfragesteigerung;<br />

pers. Mitteilung von Ingolf Rossberg, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Dresden<br />

am 5.11.2003 in Dresden.

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