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Mobilitätsdienstleister ohne Kunden. Kundenorientierung im ... - WZB

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Das gesamte ÖPNV-System erreicht kaum 44% (vgl. Ewers/Ilgmann 1999). Der „Rest“ wird<br />

durch Ausgleichszahlungen für die kostenlose Beförderung Schwerbehinderter und für die<br />

verbilligten Schülertickets, die von den Ländern und Kreisen gezahlt werden, Zuschüsse,<br />

Verlustübernahmen u.v.m. aufgefangen. Daneben erreichen die für die Unternehmen steuerlich<br />

vorteilhaften Transferleistungen aus dem Querverbund städtischer Unternehmen,<br />

meist durch Erträge <strong>im</strong> Strom- und Gasgeschäft erwirtschaftet, jährlich 2,3 Mrd. €.<br />

Inzwischen ist klar: Für die Branche ist diese Struktur, in der Fahrgäste keine wesentliche<br />

Rolle spielen, eine Falle. Denn sie <strong>im</strong>munisiert gegen Fahrgastwünsche. Das Desaster des<br />

<strong>im</strong> Dezember 2002 eingeführten Tarifsystems der Deutschen Bahn AG ist nur eine spektakuläre<br />

Folge dieses Konstruktionsfehlers. 9 Nach dem kleinen Einmaleins jedes Kaufmanns<br />

werden Preise am Markt gemacht und nicht am grünen Tisch von Gremien. Mit in der Falle<br />

sitzen auch die Verkehrs- und die Umweltpolitik, die große Hoffnungen in den ÖPNV setzen.<br />

Die <strong>Kunden</strong> haben auf das wenig kundenorientierte, wenig nachfragegerechte Angebot<br />

längst reagiert. Der von der Umwelt- und Verkehrspolitik seit Jahrzehnten angestrebte<br />

Umstieg der Verkehrsteilnehmer findet statt, jedoch nicht in der erwünschten Richtung. Das<br />

Auto ist seit Jahrzehnten der Gewinner am Verkehrsmarkt. Der öffentliche Verkehr bediente<br />

<strong>im</strong> Jahr 2002 nur noch 8% der Verkehrswünsche (vgl. Berndt/Blümel 2003: 5ff. und<br />

INFAS/DIW 2003: 3). Das Fahrrad wird für 9%, die eigenen Füße für 23% und das Auto als<br />

Fahrer und Mitfahrer für 61% der Wege gewählt. Selbst in den Großstädten wie Berlin und<br />

Hamburg mit einem weit überdurchschnittlichen ÖPNV-Angebot einerseits und durch Staus<br />

und Parkplatzengpässe wenig attraktiven Randbedingungen für den Autoverkehr andererseits,<br />

nutzt ein Drittel der Einw<strong>ohne</strong>r den ÖPNV selten oder nie, deutschlandweit erreicht<br />

diese Gruppe 60%. Der ÖPNV wird in seiner verkehrlichen Bedeutung somit häufig überschätzt.<br />

Ein Drittel derjenigen, die bisher nicht oder selten in Bus oder Bahn sitzen – 23% der Bundesbürger<br />

insgesamt – könnten diese Verkehrsmittel öfters nutzen. Sie könnten ihre Ziele<br />

nach eigener Einschätzung gut mit dem ÖPNV erreichen (INFAS/DIW 2003: 7). Aber sie<br />

nutzen den ÖPNV nicht – und sie werden ihre Gründe dafür haben. Dieses ernüchternde<br />

Ergebnis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Branche – in Übereinst<strong>im</strong>mung mit der<br />

Verkehrspolitik – ihr Angebot auch <strong>im</strong> internationalen Vergleich hinsichtlich Dichte und Qualität<br />

als hoch bewertet (VDV 2003: 5, BMVBW 2000: 6). Dass die Nachfrage in Nachbarländern<br />

weit höher ist und teilweise einen weitaus positiveren Trend zeigt, wird bei dieser angebotsorientierten<br />

Sichtweise gerne verschwiegen.<br />

Aufgeschreckt von Subventionskürzungen und dem von der Liberalisierungspolitik der EU-<br />

Kommission getriebenen Aufbrechen der lokalen Kartelle mutiert die Branche jetzt zum<br />

<strong>Mobilitätsdienstleister</strong>. Doch ganz in ihrer Tradition einigte sie sich auf eine Norm zur "Definition,<br />

Festlegung von Leistungszielen und Messung der Servicequalität" (DIN 2002). <strong>Kunden</strong>erwartungen<br />

legen Fachzirkel <strong>ohne</strong> <strong>Kunden</strong>kontakt fest, Ergebnisse aufwändiger Verkehrszählungen<br />

werden mit statistischen Methoden bewertet. Ein direkter Dialog wird nachhaltig<br />

vermieden, das wertvolle Alltagswissen der <strong>Kunden</strong> bleibt damit verborgen. Die Automobilindustrie<br />

macht das ganz anders, nutzt das <strong>Kunden</strong>wissen teilweise seit Jahrzehnten<br />

intensiv (vgl. Wyrwoll 2001) und systematisch von der frühesten Phase der Produktdefinition<br />

9 Im Personenfernverkehr fiel der Umsatz <strong>im</strong> ersten Quartal 2003 <strong>im</strong> Vergleich zum entsprechenden<br />

Vorjahrzeitraum um 14%. Die von der Tarifreform bedingten Nachfragerückgänge werden durch<br />

zahlreiche Probleme <strong>im</strong> Angebot der DB AG wie sinkende Pünktlichkeitsraten, zahllose Langsamfahr-<br />

und Bausstellen <strong>im</strong> Schienennetz verstärkt. Die schwache Konjunktur, der Irakkrieg und die<br />

Verunsicherung der Bevölkerung haben auch dem Flugverkehr Nachfragerückgänge beschert. Die<br />

DB AG sah sich jedoch gezwungen, ein Task Force „Sprint“ einzurichten (vgl. auch Schmid 2003).

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