KEM Konstruktion 04.2023

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04.04.2023 Aufrufe

TRENDS » Perspektiven » Werkstoffe Trends bei Keramikwerkstoffen Ungekannte Optimierungspotentiale Für Industriekeramik wachsen die Einsatzgebiete – auch, weil immer mehr technische Probleme gelöst werden. Umso wichtiger ist es, die Materialien in der Konstruktion auf dem Schirm zu haben. Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion Häufig habe man bei Keramik das spröde Wasch - becken oder empfindliches Geschirr im Kopf, „aber wir zeigen interessierten Kunden gerne handfest mit dem Hammer, dass es sich bei unseren Keramiken um widerstandsfähiges Maschinenbaumaterial handelt“, sagt Stefan Veltum, Chief Technology Officer (CTO) der Moeschter Group, zu der unter anderem Doceram gehört. Einen großen Schritt machte man hier 2020 mit der duktilen Keramik Evocera: Sie kann einen gewissen Teil eingebrachter Verformungsenergie aufnehmen, ohne zu brechen. „Das sind nur wenige Hundertstel Millimeter, was aber in vielen Fällen ausreicht, um eine Anwendung ausfallsicher zu machen“, so Veltum. Denn bis dato sei es für Keramiken nicht möglich gewesen, die Bruchfestigkeit auf den Punkt genau zu berechnen, die statistische Unsicherheit war im Vergleich zu Stahl sehr hoch. Mit Evocera dagegen könne nun per FEM jeder Anwendungsfall sauber simuliert werden. Bei Siliziumnitrid geht man ebenfalls einen Schritt in Richtung bessere mechanische Eigenschaften: Volcera verbindet wenig Gewicht (an Aluminium reicht man nicht ganz heran, 98 KEM Konstruktion » 04 | 2023

Elektrische Isolatoren in der Hochspannungs - technik sind lange als Keramikbauteile bekannt. Inzwischen ist das Einsatzspektrum für die Werkstoffklasse aber sehr viel breiter geworden. Titan allerdings schlägt man deutlich) mit einer ge ringen Haftung sowie hohen Temperaturschock - beständigkeit und guten Gleiteigenschaften. Mehr Flexibilität bei der Herstellung Bild: ARVD73/stock.adobe.com Der fränkische Hersteller MLC hat ebenfalls einen eigenen Werkstoff entwickelt, der die Vorteile von Stahl und Keramik zusammenführt. Der Werkstoff sei im Vergleich zu Stahl robuster, gewichtsreduziert und verschleißbeständiger, lasse sich aber gleichzeitig im Rahmen der Herstellung und Formgebung leichter bearbeiten als herkömmliche Keramik. So sollen die Produktions- und Anschaffungskosten deutlich geringer ausfallen als bei klassischen Hybrid- und Vollkeramiken. „Bei der klassischen Keramikherstellung erfolgt eine aufwändige Produktion durch die eingesetzte Pulvertechnologie, die nur begrenzte Möglichkeiten in der Geometrie- und Formgebung bietet und nachfolgende Sinterprozesse erfordert. Die Grünkörperfertigung wird so zu einem relativ teuren Produktionsschritt, so dass der Einsatz vollkeramischer Bauteile wohl überlegt sein will“, erklärt Michael Schubert, Leiter Produkt- und Prozess - entwicklung bei MLC. Die fränkische Firma stellt den namensgleichen Werkstoff hingegen in einem ersten Schritt aus einem Kunststoff-Grundmaterial her, das mit aktiven und passiven Füllstoffen angereichert wird. Diese Masse kann dann durch bewährte Verfahren, wie etwa Extrusion oder Spritzguss, kostengünstig verarbeitet und in eine erste Vorform gebracht werden. Das polymere Material dient dabei als plastisches Matrixmaterial für die Füllstoffe. Mit Hilfe einer ersten Wärmebehandlung wird die Vorform in einen bearbeitbaren Grünkörper verwandelt. Dieser besitzt eine plexiglasähnliche Beschaffenheit, wodurch ein endkonturnahes Bauteil mit nur geringem maschinellen Aufwand herausgearbeitet werden kann. Durch diese leichte Bearbeitung lassen sich nahezu alle gewünschten Geometrien realisieren und der Werkzeugverschleiß ist im Vergleich zur Bearbeitung anderer Werkstoffe gering. Zum Abschluss wird das Bauteil, das aus dem Grünkörper geformt wurde, in einem Hochtemperaturschritt final gefestigt, wodurch es seine stahlähnliche Härte von 1000 HV bekommt. Dabei wird das Silikonharz vollständig umgesetzt und Rückstände bleiben aus. Für hochgenaue Bauteile kann das keramische Material deshalb ohne großen Aufwand und den Einsatz teurer Werkzeuge wie Diamantschleifer nachbearbeitet werden. Verschweißfeste Getriebeteile Auch maxon fertigt in Verfahren, die auf Spritzguss und Extrusion basieren: „Wir sehen zunehmend steigende Nachfragen nach Keramik, da wir immer mehr Anforderungen aus dem Markt erfüllen können“, sagt Stefan Zilm, Business Developer bei maxon. Der Antriebstechnikspezialist hat für eigene Bauelemente die Keramikkompetenz selbst aufgebaut. Inzwischen fertigt man auch für externe Kunden. Die Branche ist überschaubar, da es sich einerseits nachfragetechnisch um eine Nische handelt, gleichzeitig aber viel Know-how erforderlich ist. „Daher hat jeder Hersteller sein eigenes Spezialgebiet etabliert was Prozesse, Materialien, Losgrößen und Toleranzen angeht“, weiß Zilm. Neben bekannten Branchen wie der Medizintechnik beliefert man zunehmend etwa auch Hersteller von hochwertigen Uhrwerken, da Keramikbauteile deren Performance noch erhöhen und damit ein Alleinstellungsmerkmal bieten können: „Durch unsere langjährige Kompetenz in der Herstellung von Getriebe- und Verzahnungsbauteilen für unsere eigenen Produkte konnten wir hier schnell punkten.“ Bild: Moeschter Group Bei Doceram setzt man sich inzwischen nicht mehr nur mit dem reinen Material auseinander, sondern entwickelt auch darauf basierende Produkte, etwa für die Schweißtechnik in der Automotiveproduktion. KEM Konstruktion » 04 | 2023 99

TRENDS » Perspektiven » Werkstoffe<br />

Trends bei Keramikwerkstoffen<br />

Ungekannte Optimierungspotentiale<br />

Für Industriekeramik wachsen die Einsatzgebiete – auch, weil immer mehr technische Probleme<br />

gelöst werden. Umso wichtiger ist es, die Materialien in der <strong>Konstruktion</strong> auf dem Schirm zu haben.<br />

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der <strong>KEM</strong> <strong>Konstruktion</strong><br />

Häufig habe man bei Keramik das spröde Wasch -<br />

becken oder empfindliches Geschirr im Kopf, „aber<br />

wir zeigen interessierten Kunden gerne handfest mit<br />

dem Hammer, dass es sich bei unseren Keramiken um<br />

widerstandsfähiges Maschinenbaumaterial handelt“,<br />

sagt Stefan Veltum, Chief Technology Officer (CTO)<br />

der Moeschter Group, zu der unter anderem Doceram<br />

gehört. Einen großen Schritt machte man hier 2020<br />

mit der duktilen Keramik Evocera: Sie kann einen gewissen<br />

Teil eingebrachter Verformungsenergie aufnehmen,<br />

ohne zu brechen. „Das sind nur wenige Hundertstel<br />

Millimeter, was aber in vielen Fällen ausreicht,<br />

um eine Anwendung ausfallsicher zu machen“,<br />

so Veltum. Denn bis dato sei es für Keramiken<br />

nicht möglich gewesen, die Bruchfestigkeit auf den<br />

Punkt genau zu berechnen, die statistische Unsicherheit<br />

war im Vergleich zu Stahl sehr hoch. Mit Evocera<br />

dagegen könne nun per FEM jeder Anwendungsfall<br />

sauber simuliert werden. Bei Siliziumnitrid geht man<br />

ebenfalls einen Schritt in Richtung bessere mechanische<br />

Eigenschaften: Volcera verbindet wenig Gewicht<br />

(an Aluminium reicht man nicht ganz heran,<br />

98 <strong>KEM</strong> <strong>Konstruktion</strong> » 04 | 2023

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