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Kontroverse Diskussion um die Bürgerversicherung

Ausgabe 2/2018

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2/2018<br />

ahn<br />

ärzte<br />

blatt<br />

Baden-<br />

Württemberg<br />

Informationen<br />

» aus mit der Informationen Zahn-, Mund- aus und der<br />

Kieferheilkunde<br />

Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde<br />

9.2005<br />

Leitartikel Titelthema<br />

Hierarchie und<br />

Wählermeinung/<br />

LEITARTIKEL<br />

Beteiligung: Der TITELTHEMA Umfrageaktion zur<br />

Governance-Ansatz Bundestagswahl 2005<br />

Weder sozial<br />

noch gerecht<br />

<strong>Kontroverse</strong> <strong>Diskussion</strong><br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

Zahnärztekammer<br />

Außerordentliche VV: Eine<br />

FORTBILDUNG<br />

neue liberale Berufsordnung<br />

Mikrobiologischer Nachweis von<br />

parodontalpathogenen Keimen<br />

Fortbildung<br />

Zahnerhaltung durch<br />

Wurzelspitzenresektion<br />

INTERVIEW<br />

Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann


Freier Eintritt 2018<br />

in <strong>die</strong> Schausammlungen I Altes Schloss Stuttgart<br />

in das Muse<strong>um</strong> der Alltagskultur I Schloss Waldenbuch<br />

www.landesmuse<strong>um</strong>-stuttgart.de www.muse<strong>um</strong>-der-alltagskultur.de


Editorial 3<br />

Foto: dpa<br />

Foto: Murati/Ehrlich<br />

» <strong>Bürgerversicherung</strong>. Die turbulenten Debatten<br />

auf dem SPD-Sonderparteitag, <strong>die</strong> Demonstrationen<br />

und das knappe Vot<strong>um</strong> für <strong>die</strong> Koalitionsverhandlungen<br />

machen deutlich, dass <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

einer der großen Streitpunkte der neuen Regierungskoalition<br />

ist. Die SPD hat bereits angekündigt, dass<br />

sie nachverhandeln will – ob sie noch mehr erreichen<br />

kann, wird sich zeigen. „An bestimmten Punkten ausgereizt“<br />

schreibt Guido Reiter auf Seite 8 ff. „Es ging<br />

ka<strong>um</strong> knapper: Mit 56,4 Prozent stimmte eine hauchdünne<br />

Mehrheit der Delegierten beim SPD-Sonderparteitag<br />

für Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU. Nun<br />

gelte es ‚zu verhandeln, bis es quietscht‘. Kommt sie<br />

also doch noch, <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong>?“<br />

„Finger weg von Nachverhandlungen!“, fordert Dr.<br />

Ute Maier, Vorsitzende des Vorstandes der KZV BW,<br />

in ihrem Kommentar „Was lange währt, wird endlich<br />

gut?“. „Die SPD-Mitglieder sind zwar in einer Schlüsselposition,<br />

aber sie dürfen nicht mehr zählen als <strong>die</strong><br />

Mehrheit der Wähler, <strong>die</strong> den <strong>Bürgerversicherung</strong>sparteien<br />

bei der Bundestagswahl eine deutliche Absage<br />

erteilt hat. Das wäre ein Konjunkturprogramm für<br />

Politikverdrossenheit und das in einer Situation in der<br />

sich <strong>die</strong> Begeisterung der Menschen mit ihren gewählten<br />

Vertretern – nach den endlosen Verhandlungen<br />

seit der Wahl im September – schon bereits sehr in<br />

Grenzen hält.“ (Seite 10).<br />

Der Autor des Leitartikels, Dr. Wolfgang Bok,<br />

Freier Journalist, bringt es auf den Punkt: „Weder<br />

sozial noch gerecht“ titelt er. „Die <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

wird als Schlüssel zu mehr Gerechtigkeit im<br />

Gesundheitswesen gepriesen. Doch Ideologie leert<br />

keine Wartezimmer.“ Er zeigt <strong>die</strong> Positionen auf und<br />

macht deutlich, dass <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> kein<br />

Allheilmittel für das deutsche Gesundheitssystem ist.<br />

Stattdessen fordert er eine „mutige Entbürokratisierung“,<br />

da <strong>die</strong> Bürokratie Ärzten und Pflegepersonal<br />

viel Zeit und Nerven raube (Seite 7). Auch <strong>die</strong> Ärzteverbände<br />

warnen vor einer <strong>Bürgerversicherung</strong>. Unter<br />

dem Titel „Ärzteverbände schlagen Alarm“ lesen Sie<br />

eine Zusammenfassung der „Warnschüsse und der<br />

Arg<strong>um</strong>ente“ von Andrea Mader (Seite 11). Dorothea<br />

Kallenberg, Freie Journalistin, hat Pressestimmen<br />

z<strong>um</strong> Thema gesammelt und spricht von einem „Wechselbad<br />

der Gefühle und Meinungen“. Lesen Sie mehr<br />

auf Seite 12 f.<br />

„Wissen <strong>die</strong> politischen Akteure, wie komplex <strong>die</strong><br />

Einführung einer <strong>Bürgerversicherung</strong> wäre? Und welche<br />

tiefgreifenden Konsequenzen sie für das hervorragende<br />

deutsche Gesundheitswesen hätte?“ Im Interview<br />

mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Wolfgang<br />

Merk wird deutlich, dass ohne Not „her<strong>um</strong>gedoktert“<br />

wird. Lesen Sie das Interview „<strong>Bürgerversicherung</strong> in<br />

weiten Teilen unklar“ auf Seite 14 f.<br />

Bereits 2006 fand in den Niederlanden eine Fusionierung<br />

der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

statt. Das System ist eine Kombination<br />

aus <strong>Bürgerversicherung</strong> und Kopfpauschale und wird<br />

häufig auch für Deutschland propagiert. Erfahren Sie<br />

mehr über <strong>die</strong> Wirkung der Reform im Beitrag „Modell<br />

für staatlich regulierten Wettbewerb” von Dorothea<br />

Kallenberg auf Seite 16 ff.<br />

» Parodontitisbehandlung. Der Verlauf einer parodontalen<br />

Erkrankung wird von zahlreichen Faktoren<br />

beeinflusst. Die gleichzeitige Anwesenheit parodontalpathogener<br />

Bakterien, ein für sie günstiges Milieu<br />

und <strong>die</strong> Anfälligkeit des Wirts begünstigen das Fortschreiten<br />

der Erkrankung und führen z<strong>um</strong> Verlust von<br />

parodontalem Gewebe, erläutern Dr. Malte Michaelis,<br />

Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie,<br />

Universitätsklinik<strong>um</strong> Ulm, und Dr. Sebastian F. Zenk,<br />

Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene,<br />

Universitätsklinik<strong>um</strong> Ulm. Der molekularbiologische<br />

Nachweis des mikrobiologischen Keimspektr<strong>um</strong>s ist<br />

eine wichtige Entscheidungshilfe und eine zusätzliche<br />

antimikrobielle Therapie kann zu guten Erfolgen führen.<br />

Dadurch können parodontalchirurgische Maßnahmen<br />

verringert werden und der Behandler hat neben<br />

den herkömmlichen klinischen Parametern Bleeding<br />

on Probing und der Son<strong>die</strong>rungstiefe eine dritte Säule<br />

zur Abschätzung des Therapieerfolges. So kann ein<br />

verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika gewährleistet<br />

werden. Mehr erfahren Sie im Beitrag „Mikrobiologischer<br />

Nachweis parodontalpathogener Bakterien“<br />

auf Seite 22 ff. » gabi.billischek@izz-online.de<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


4<br />

Inhalt<br />

Leitartikel<br />

Titelthema<br />

16 Die niederländische Gesundheitsreform<br />

Modell für staatlich regulierten Wettbewerb<br />

19 Vorbild Niederlande?<br />

Tobias Kaiser, Wirtschaftsredakteur Die Welt,<br />

bezieht Stellung<br />

Dr. Wolfgang Bok<br />

Interview<br />

7<br />

Weder sozial noch gerecht<br />

Titelthema<br />

8<br />

Sonderparteitag, GroKo, <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

An bestimmten Punkten ausgereizt<br />

20 Ministerpräsident Winfried Kretschmann<br />

Innovative Ideen und beherztes Handeln<br />

zusammen mit den Berufsvertretungen<br />

Fortbildung<br />

10<br />

Was lange währt, wird endlich gut?<br />

Kommentar von Dr. Ute Maier<br />

11 <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

Ärzteverbände schlagen Alarm<br />

22 Systematische Parodontitisbehandlung<br />

Mikrobiologischer Nachweis<br />

parodontalpathogener Bakterien<br />

12<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> im Spiegel der Me<strong>die</strong>n<br />

Wechselbad der Gefühle und Meinungen<br />

14<br />

Sachverständiger Prof. Dr. Wolfgang Merk<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> „in weiten Teilen unklar“<br />

32<br />

Gemeinschaftssymposi<strong>um</strong> des TAKRegMed<br />

und der AfG in Frankfurt<br />

Grundlagenforschung, translationale<br />

Forschung und klinische Forschung<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Inhalt 5<br />

Kommunikation<br />

Leserreise<br />

34<br />

Das For<strong>um</strong> Zahngesundheit ist wichtiger<br />

Baustein der Öffentlichkeitsarbeit<br />

Wertvolle Informationen zur Mundgesundheit<br />

40<br />

LZK-Mitglieder-Fachexkursion 2017 nach Japan<br />

Eindrücke aus dem Land der<br />

aufgehenden Sonne<br />

Prophylaxe<br />

Kultur<br />

36<br />

Mitgliederversammlung der LAGZ in Stuttgart<br />

Zielgerichtet in <strong>die</strong> Zukunft<br />

44<br />

Reinhold Nägele im Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart<br />

Chronist der Moderne<br />

Praxis<br />

Rubrik<br />

3 Editorial<br />

43 Regionen<br />

45 Namen und<br />

Nachrichten<br />

46 Termine<br />

47 Amtliche Mitteilungen<br />

48 Personalia<br />

51 Zu guter Letzt/Impress<strong>um</strong><br />

Internet<br />

Besuchen Sie auch <strong>die</strong> ZBW-Website<br />

» www.zahnaerzteblatt.de<br />

38 Der GOZ-Ausschuss der LZK BW informiert<br />

Schädliche Gewohnheiten und Dysfunktionen<br />

in der Zahnheilkunde<br />

39 Neues aus dem PRAXIS-Handbuch der LZK BW<br />

Anamneseerhebung in der Zahnarztpraxis<br />

Dort finden Sie neben der Online-Ausgabe des ZBW<br />

zusätzliche Informationen, Fotos, weiterführende<br />

Links sowie ein ZBW-Archiv ab dem Jahr 2006.<br />

For<strong>um</strong> Zahngesundheit<br />

» Informationen über das For<strong>um</strong><br />

Zahngesundheit und <strong>die</strong> Termine<br />

im Jahr 2018 finden Sie hier.<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


Landeszahnärztekammer BaWü Körperschaft des Öffentlichen Rechts<br />

AKADEMIE<br />

FORTBILDUNGSANGEBOT.<br />

Lorenzstraße 7, 76135 Karlsruhe, Fon 0721 9181-200, Fax 0721 9181-222, Email: fortbildung@za-karlsruhe.de<br />

Februar 2018<br />

Kurs Nr. 8663/16 Punkte<br />

Wurzelkanalaufbereitung: Dichtung und Praxis!<br />

Referent: Dr. Carsten Appel, Bonn<br />

Dat<strong>um</strong>: 16.-17.02.2018 Kurshonorar: 650 €<br />

Kurs Nr. 8703/14 Punkte<br />

Update Kinderzahnheilkunde 2018<br />

Referentinnen: Dr. Tania Roloff, M.Sc, Hamburg<br />

ZÄ Monika Quick-Arntz, Hamburg<br />

Dr. Dr. Simone Ulbricht, M.A., Karlsruhe<br />

Dat<strong>um</strong>: 16.-17.02.2018 Kurshonorar: 750 €<br />

Der Update-Kurs richtet sich an Teilnehmer/innen, <strong>die</strong> bereits<br />

ein Curricul<strong>um</strong> für Kinderzahnheilkunde absolviert haben.<br />

Kurs Nr. 8714/ 8 Punkte<br />

Auf dem Weg z<strong>um</strong> Dr. med. dent.<br />

Einführung in <strong>die</strong> wissenschaftliche Zahnheilkunde<br />

Referenten: Prof. Dr. Matthias Hannig, Homburg<br />

Prof. Dr. Stefan Rupf, Homburg<br />

Prof. Dr. Winfried Walther, Karlsruhe<br />

Dat<strong>um</strong>: 23.02.2018 Kurshonorar: 300 €<br />

März 2018<br />

Kurs Nr. 8658/14 Punkte<br />

Vollzirkon und Co. zur Optimierung vollkeramischer<br />

Restaurationen<br />

Referenten: Prof. Dr. Marc Schmitter, Würzburg<br />

ZTM Rainer Rustemeyer, Würzburg<br />

Dat<strong>um</strong>: 02.-03.03.2018 Kurshonorar: 650 €<br />

Kurs Nr. 8679/13 Punkte<br />

Die Biologie der Pulpa und <strong>die</strong> Behandlungsprinzipien der<br />

Endodontie<br />

Referent: Prof. Dr. Edgar Schäfer, Münster<br />

Dat<strong>um</strong>: 02.-03.03.2018 Kurshonorar: 650 €<br />

Kurs Nr. 6268/16 Punkte<br />

Das 1x1 der Implantologie - Komplikations- und Weichgewebsmanagement<br />

Referent: PD Dr. Michael Korsch, M.A., Karlsruhe<br />

Dat<strong>um</strong>: 02.-03.03.2018 Kurshonorar: 650 €<br />

Save the Date:<br />

16.-17. März 2018<br />

Karlsruher Konferenz 2018<br />

Karlsruher Tag der Zahnmedizinischen<br />

Fachangestellten 2018<br />

April 2018<br />

Kurs Nr. 6269/13<br />

Integration von chirurgischen und prothetischen<br />

Maßnahmen in der Implantologie<br />

Referenten: Dr. Jochen Klemke, M.A., Speyer<br />

Dr. Florian Troeger, M.A., Überlingen<br />

Dat<strong>um</strong>: 13.-14.04.2018 Kurshonorar: 650 €<br />

Kurs Nr. 8747<br />

Die Rezeption - das Herz der Praxis!<br />

Referentin: Brigitte Kühn, ZMV, Tutzing<br />

Dat<strong>um</strong>: 13.04.2018 Kurshonorar: 180 €<br />

Kurs Nr. 8659/9 Punkte<br />

Risikoorientierte Behandlungsplanung und Patientenführung<br />

in der Parodontologie<br />

Referent: PD Dr. Dirk Ziebolz, M.Sc., Leipzig<br />

Dat<strong>um</strong>: 14.04.2018 Kurshonorar: 450 €<br />

Kurs Nr. 8748<br />

Willkommen am Telefon - der erste Eindruck<br />

Referentin: Brigitte Kühn, ZMV, Tutzing<br />

Dat<strong>um</strong>: 14.04.2018 Kurshonorar: 180 €<br />

Kurs Nr. 8666/5 Punkte<br />

Kooperation mit Pflegeeinrichtungen – mehr Chancen als<br />

Risiken<br />

Referent: Dr. Elmar Ludwig, Ulm<br />

Dat<strong>um</strong>: 20.04.2018 Kurshonorar: 250 € für ZÄ<br />

200 € für ZFA’s<br />

Kurs Nr. 8690/8 Punkte<br />

Tra<strong>um</strong>a und Zahnverlust im wachsenden Kiefer –<br />

was tun?<br />

Referent: Prof. Dr. Andreas Filippi, Basel<br />

Dat<strong>um</strong>: 20.04.2018 Kurshonorar: 420 €


Leitartikel 7<br />

Weder sozial noch gerecht<br />

Die <strong>Bürgerversicherung</strong> wird als Schlüssel zu mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen<br />

gepriesen. Doch Ideologie leert keine Wartezimmer.<br />

Vor <strong>die</strong> Wahl gestellt, zwischen Freiheit und Gleichheit<br />

wählen zu müssen, würden sich <strong>die</strong> Bundesbürger<br />

mit klarer Mehrheit für mehr Gleichmacherei entscheiden.<br />

Wird <strong>die</strong>se dann mit den zuckersüßen Adjektiven<br />

„sozial” und „gerecht” beträufelt, können Skeptiker<br />

leicht als neoliberale Lobbyisten abgetan werden. Dies<br />

erklärt, war<strong>um</strong> <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> für SPD, Grüne<br />

und Linkspartei ein Herzensanliegen ist: Mit dem<br />

Kampf gegen eine „Zwei-Klassen-Medizin” lässt sich<br />

der gute alte Klassenkampf wiederbeleben und das soziale<br />

Profil schärfen. Nach dem knappen Ja der Genossen<br />

zu Koalitionsverhandlungen wird <strong>die</strong> SPD noch erbitterter<br />

dar<strong>um</strong> kämpfen –<br />

und <strong>die</strong> Union noch geschmeidiger<br />

reagieren. Z<strong>um</strong>al<br />

sich damit elegant von<br />

den wirklichen Problemen<br />

im deutschen Gesundheitswesen<br />

ablenken lässt.<br />

Vordergründig stehen<br />

rund 70 Millionen Versicherte<br />

der gesetzlichen<br />

Krankenkassen (GKV) gegen<br />

8,8 Millionen Privatversicherte,<br />

<strong>die</strong> angeblich<br />

schneller einen Termin für<br />

eine bessere Behandlung<br />

bekommen. Damit lässt sich<br />

Neid schüren. Ausblendet<br />

wird jedoch, dass es schon<br />

heute eine mindestens<br />

Vier-Klassen-Gesellschaft<br />

gibt, an der eine <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

wenig ändern<br />

wird: Sozialhilfeempfänger<br />

erhalten eine kostenfreie<br />

Basisversorgung, freiwillig gesetzlich Versicherte<br />

müssen Beiträge auf Vermögen und sogar Betriebsrenten<br />

bezahlen. Bei den Privaten sind Beamte durch<br />

das Zuschusssystem privilegiert, Senioren hingegen<br />

<strong>die</strong> Gekniffenen, weil <strong>die</strong> Tarife dort nach den tatsächlichen<br />

Kosten bemessen werden. Sie, <strong>die</strong> sich in<br />

jungen Jahren der Solidarität entzogen und durch <strong>die</strong><br />

Lockangebote der PKV viele Geld gespart haben, wären<br />

<strong>die</strong> größten Gewinner einer <strong>Bürgerversicherung</strong>:<br />

Endlich könnten auch <strong>die</strong> über 55-Jährigen den teuer<br />

gewordenen Privaten entfliehen. AOK, Barmer & Co.<br />

fürchten daher zu Recht, dass <strong>die</strong> schlechten Risiken<br />

zu ihnen wechseln, was letztlich sogar <strong>die</strong> Beiträge für<br />

alle nach oben treibt. Ist das gerecht?<br />

Verkannt werden auch andere Nebenwirkungen einer<br />

Einheitskasse. Wenn Ärzten und Kliniken <strong>die</strong> Zusatzeinnahmen<br />

durch Privatpatienten von etwa sechs<br />

Milliarden Euro im Jahr fehlen, wird <strong>die</strong> Versorgung<br />

insgesamt bestimmt nicht besser. Denn das Buhlen<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Kundschaft, <strong>die</strong> nicht über einen gedeckelten<br />

Beitragstopf, sondern durch höhere, individuelle Abrechnung<br />

(GOÄ) behandelt werden kann, treibt <strong>die</strong><br />

Medizinbranche insgesamt zur steten Modernisierung.<br />

Davon profitieren auch <strong>die</strong> Kassenpatienten, <strong>die</strong><br />

mit dem „Kärtle” schon heute den Schlüssel zu einem<br />

der besten Gesundheitssysteme der Welt haben. In<br />

Ländern mit Einheitskassen behandeln viele Ärzte oft<br />

nur gegen Bares oder man braucht eine teure Zusatzversicherung.<br />

Sozialer ist<br />

das nicht.<br />

Lange Wartezeiten<br />

ließen sich zudem verringern,<br />

wenn mit dem<br />

„Kärtle” sorgsamer <strong>um</strong>gegangen<br />

würde: Mit<br />

durchschnittlich 18 Arztbesuchen<br />

im Jahr liegt<br />

Deutschland im Spitzenfeld.<br />

Man muss nicht<br />

bei jeder Unpässlichkeit<br />

z<strong>um</strong> Doktor laufen oder<br />

gleich den Facharzt beanspruchen<br />

– am liebsten<br />

mit Zweitmeinung.<br />

Schon gar nicht <strong>um</strong>sonst.<br />

Bei den Zahnärzten hat<br />

das System der Selbstbeteiligung<br />

das Kostenbewusstsein<br />

gestärkt.<br />

Die beste Medizin für<br />

Foto: C. Schüßler/Fotolia<br />

das Gesundheitswesen<br />

wäre indes eine mutige<br />

Entbürokratisierung. Das ist es, was Ärzten und Pflegepersonal<br />

viel Zeit und Nerven raubt. Ohne private<br />

Konkurrenz haben Gesundheits-Ideologen hingegen<br />

erst recht freie Hand, <strong>um</strong> noch selbstherrlicher zu<br />

diktieren, was medizinisch notwendig ist – und was<br />

nicht. Vor allem aber locken <strong>die</strong> 240 Milliarden Euro,<br />

welche <strong>die</strong> Privatkassen an Altersrücklagen bilden<br />

mussten. Die würde man nur zu gerne vergemeinschaften.<br />

Dr. Wolfgang Bok,<br />

früherer Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und<br />

Heilbronn. Er schreibt regelmäßig Kol<strong>um</strong>nen zu gesellschaftspolitischen<br />

Themen für verschiedene Me<strong>die</strong>n wie<br />

Cicero oder NZZ. Er ist gern gesehener Gast bei Talkrunden<br />

im TV.<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


8<br />

Titelthema<br />

Foto: dpa<br />

Sonderparteitag, GroKo, <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

An bestimmten Punkten ausgereizt<br />

Es ging ka<strong>um</strong> knapper: Mit 56,4 Prozent stimmte eine hauchdünne<br />

Mehrheit der Delegierten beim SPD-Sonderparteitag für Koalitionsverhandlungen<br />

mit CDU/CSU. Nun gelte es „zu verhandeln, bis es<br />

quietscht“. Kommt sie also doch noch, <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong>?<br />

In „Einzelbausteinen“, über <strong>die</strong> man (nach-)verhandeln will? Dass es<br />

<strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> nicht bereits in das Son<strong>die</strong>rungspapier geschafft<br />

hatte, brachte der SPD-Parteispitze harsche Kritik ein. Das<br />

zentrale Projekt wurde „sang- und klanglos preisgegeben“, urteilte<br />

der frühere Referatsleiter Grundsatzfragen im Sozialministeri<strong>um</strong> des<br />

Landes Brandenburg, Hartmut Reiners.<br />

Vor dem Sonderparteitag sagte<br />

CDU-Vize Thomas Strobl harsch:<br />

Es werde nicht nachverhandelt,<br />

und „mit uns wird es <strong>die</strong>sen Einheitskassenbrei<br />

nicht geben“. Nach<br />

dem Vot<strong>um</strong> der Delegierten steht<br />

<strong>die</strong> Ampel nun auf Grün für Koalitionsverhandlungen<br />

mit der CDU/<br />

CSU. Unmittelbar nach Abschluss<br />

der Son<strong>die</strong>rungen mehrten sich<br />

bereits <strong>die</strong> Stimmen in der SPD<br />

zu einem zentralen Punkt: „Wir<br />

werden auch über <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

noch einmal sprechen<br />

müssen“, sagte <strong>die</strong> rheinland-pfälzische<br />

Ministerpräsidentin Malu<br />

Dreyer. Und SPD-Gesundheitspolitiker<br />

Karl Lauterbach ergänzte:<br />

Wegen „massivster Widerstände“<br />

sei hier vorerst nicht der große<br />

Durchbruch zu erwarten, <strong>die</strong><br />

SPD werde dafür nun aber „<strong>um</strong>so<br />

stärker werben und kämpfen“. Indirekt<br />

sei der Einstieg in <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

bereits erfolgt,<br />

womit Lauterbach beispielsweise<br />

auf beihilfefähige GKV-Tarife für<br />

Beamte abhob (weitere Infos dazu<br />

auf der nächsten Seite).<br />

Eindeutig. „Zur Euphorie besteht<br />

bei aller grundsätzlichen<br />

Zustimmung kein Anlass“, wurde<br />

Dr. Hans-Friedrich Spies, der Präsident<br />

des Berufsverbands Deutscher<br />

Internisten (BDI) von der<br />

Ärzte Zeitung zitiert. Entscheidend<br />

sei, ob sich <strong>die</strong> Parteirepräsentanten<br />

in den Koalitionsverhandlungen<br />

einigen werden, „das<br />

duale System von PKV und GKV<br />

zu erhalten und <strong>die</strong>s auch im Koalitionsvertrag<br />

festschrieben wird“.<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Titelthema 9<br />

Ohne eindeutige Formulierung bestehe<br />

<strong>die</strong> Gefahr, dass ein potenzieller<br />

SPD-Gesundheitsminister<br />

durch viele Einzelmaßnahmen <strong>die</strong><br />

PKV unattraktiv mache und damit<br />

<strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> durch <strong>die</strong><br />

Hintertür einführe, warnte Spies.<br />

„Das Son<strong>die</strong>rungsergebnis kann<br />

nur <strong>die</strong> Basis sein für Koalitionsverhandlungen.<br />

Es wird jetzt<br />

so getan, als sei alles schon verhandelt<br />

– das ist es mitnichten“,<br />

betonte SPD-Vize Ralf Stegner<br />

vor dem Parteitag gegenüber der<br />

„Bild“-Zeitung. „Wir haben an einigen<br />

Punkten noch erheblichen<br />

Verhandlungsbedarf.“ Fraktionsvorsitzende<br />

Andrea Nahles kündigte<br />

„harte Koalitionsverhandlungen“<br />

an, warnte aber vor Illusionen,<br />

da <strong>die</strong> Verhandlungen „an<br />

bestimmten Punkten ausgereizt“<br />

seien. CDU-Vize Thomas Strobl<br />

sagte dem RedaktionsNetzwerk<br />

Deutschland, es gelte, was miteinander<br />

vereinbart worden sei.<br />

Man sei strikt dagegen, einzelne<br />

inhaltliche Punkte noch einmal<br />

aufz<strong>um</strong>achen. Das gelte besonders<br />

auch für <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong>.<br />

Die drei Parteien CDU, CSU und<br />

SPD seien in ernsthaften Gesprächen<br />

gewesen und nicht beim Ringelpiez<br />

mit Anfassen, so Strobl<br />

wörtlich.<br />

Einzelbaustein. Voraussichtlich<br />

z<strong>um</strong> 01.08.2018 können sich Beamte<br />

im Bundesland Hamburg auf<br />

Wunsch gesetzlich krankenversichern.<br />

Dazu werde <strong>die</strong> Beihilfe<br />

für Hamburger Beamte so ausgestaltet,<br />

dass <strong>die</strong>se als Pauschale<br />

ausbezahlt wird, „<strong>die</strong> der Hälfte<br />

des Beitrags zur gesetzlichen<br />

Krankenversicherung entspricht“,<br />

so <strong>die</strong> „Zeit“. Also: „<strong>Bürgerversicherung</strong><br />

light“, wie <strong>die</strong> Deutsche<br />

Presse-Agentur titelte. De facto<br />

gelte <strong>die</strong> Wahlmöglichkeit aber<br />

nur „für neue Beamte […] und<br />

für jene, <strong>die</strong> bereits jetzt zu einem<br />

höheren Beitragssatz freiwillig<br />

gesetzlich versichert sind“, so <strong>die</strong><br />

Zeitung weiter. Für langjährige<br />

Beamte sei ein Wechsel aufgrund<br />

des derzeitigen Krankenversicherungsrechts<br />

nicht mehr möglich,<br />

so <strong>die</strong> Einschränkung der<br />

Hamburger Landesregierung. Der<br />

Wechsel zwischen Beihilfe und<br />

Finanzen. Allein <strong>die</strong> Einführung einer <strong>Bürgerversicherung</strong> würde astronomische 610<br />

Milliarden Euro verschlingen, hat Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen<br />

vorgerechnet. Und auch <strong>die</strong> Rentenversprechen der Parteien würden den Steuerzahler<br />

Uns<strong>um</strong>men kosten.<br />

Pauschale solle nur einmalig möglich<br />

sein. Dem vom rot-grünen Senat<br />

beschlossenen Gesetzentwurf<br />

muss nun <strong>die</strong> Hamburgische Bürgerschaft<br />

zustimmen.<br />

Über 600 Milliarden Euro: Astronomisch<br />

teuer würde <strong>die</strong> Einführung<br />

der <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

nach Berechnungen des Freiburger<br />

Finanzwissenschaftlers Prof.<br />

Dr. Bernd Raffelhüschen werden.<br />

Zusammen mit den Rentenplänen<br />

von CDU/CSU und SPD könnte<br />

das das „größte Ausgabenpaket“<br />

werden, „das jemals von einer<br />

großen Koalition beschlossen<br />

wurde“. Dies gehe zu Lasten der<br />

jungen Generation, kritisierte<br />

Raffelhüschen. Von Solidarität<br />

keine Spur, kommentierte auch<br />

Autor Dr. Wolfgang Bok (früher<br />

Chefredakteur der „Heilbronner<br />

Stimme“; s. auch Leitartikel in<br />

<strong>die</strong>ser Ausgabe), denn mit der <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

seien Beitragserhöhungen<br />

für <strong>die</strong> Kassenversicherten<br />

„nicht unwahrscheinlich“.<br />

Beitragserhöhungen. Wenn<br />

gesetzliche Krankenkassen und<br />

private Krankenversicherungen<br />

weiterhin nebeneinander bestehen<br />

würden bei leichterer Wechselmöglichkeit<br />

von privat zu gesetzlich,<br />

wie es das SPD-Konzept<br />

vorsieht, „ist das Ergebnis an fünf<br />

Fingern abzuzählen“: Privat versicherte<br />

Bürgerinnen und Bürger<br />

mit hohem Krankheitsrisiko<br />

werden sich für <strong>die</strong> gesetzlichen<br />

Krankenkassen entscheiden und<br />

dort den Kostendruck erhöhen.<br />

Alle anderen „bleiben bei der<br />

DKV, Allianz & Co.“. Wolfgang<br />

Bok in seinem Beitrag für das<br />

Magazin „Cicero“: „Selbst Karl<br />

Lauterbach, der entschiedenste<br />

SPD-Verfechter einer <strong>Bürgerversicherung</strong>,<br />

hält Beitragserhöhungen<br />

für alle Kassenkunden für nicht<br />

unwahrscheinlich“. Ob es zur versprochenen<br />

besseren Behandlung<br />

komme, sei fraglich. Fallen <strong>die</strong><br />

höheren Privathonorare weg, fehlt<br />

Geld für neue Geräte und verbesserte<br />

Versorgungslösungen. Dies<br />

komme gerade auch den gesetzlich<br />

Versicherten zugute. Bok: „So gesehen<br />

subventionieren <strong>die</strong> Privatversicherten<br />

<strong>die</strong> Sozialversicherten<br />

– und nicht <strong>um</strong>gekehrt.“<br />

Keine Rolle. Blicken wir zurück:<br />

„Im Wahlkampf hat <strong>die</strong><br />

Gesundheitspolitik keine Rolle<br />

gespielt“, resümierte FAZ-Korre-<br />

Foto: Gena96/Sutterstock<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


10<br />

Titelthema<br />

spondent Andreas Mihm. Umso<br />

überraschender, „dass <strong>die</strong> SPD<br />

den alten Politschlager aus der Tasche<br />

gezogen“ und zur Forderung<br />

in den GroKo-Son<strong>die</strong>rungen erhoben<br />

hat. Zwischen CDU/CSU und<br />

SPD seien zwischenzeitlich allerdings<br />

Kompromisse erkennbar,<br />

etwa bei der Finanzierung, weil<br />

Einkommen aus Mieten sowie<br />

Kapitaleinnahmen nicht mehr für<br />

Beitragszahlungen herangezogen<br />

werden sollen. Auch <strong>die</strong> einheitliche<br />

Gebührenordnung stößt bei<br />

maßgeblichen Gesundheitspolitikern<br />

hier wie da auf Gegenliebe –<br />

<strong>die</strong> Umsetzung aber ist „technisch<br />

anspruchsvoll“, so Mihm. Schließlich<br />

<strong>die</strong> Beamten: Sie könnten ein<br />

Wahlrecht erhalten „und einen<br />

Zuschuss zur Versicherung […],<br />

wenn sie sich gesetzlich versichern“.<br />

Wieder eingeführt wird<br />

auf Grundlage des Son<strong>die</strong>rungspapiers<br />

der paritätische Beitragssatz<br />

für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.<br />

Abwehrhaltung. Unterdessen<br />

wehrten sich Spitzenvertreter der<br />

gesetzlichen Kassen im Januar<br />

gegen eine <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

„zu Lasten ihrer Beitragszahler“.<br />

Die offensichtlichen Probleme<br />

der privaten Krankenversicherung<br />

(PKV) dürften nicht auf dem<br />

Rücken der GKV-Beitragszahler<br />

gelöst werden, betonte Doris<br />

Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende<br />

des GKV-Spitzenverbandes, gegenüber<br />

dpa. Ein Stein des Anstoßes:<br />

<strong>die</strong> Wechselmöglichkeit für<br />

privatversicherte Beamte wie sie<br />

in Hamburg bereits als Gesetzesentwurf<br />

vorliegt. Dazu kommt <strong>die</strong><br />

Befürchtung, dass höhere Arzthonorare<br />

für privat Versicherte<br />

„möglicherweise zulasten gesetzlich<br />

Versicherter angeglichen werden,<br />

falls <strong>die</strong> PKV abgelöst wird“.<br />

Gesetzlich Versicherte könnten bei<br />

einem Übergang in eine einheitliche<br />

Krankenversicherung „besonders<br />

belastet werden, wenn teure<br />

Versicherte aus der PKV wieder in<br />

<strong>die</strong> Solidargemeinschaft integriert<br />

werden, nachdem sie sich in jungen<br />

Jahren dem System entzogen<br />

haben“, wandte TK-Vorstandsvorsitzender<br />

Jens Baas ein.<br />

„Mangels Konkurrenz und<br />

Quersubventionierung werden am<br />

Ende alle gesetzlich Versicherten<br />

schlechter versorgt sein“, stellte<br />

der Vorsitzende des Beamtenbundes<br />

Ulrich Silberbach fest. Und<br />

<strong>die</strong>, <strong>die</strong> es sich leisten könnten,<br />

würden sich schlichtweg qualitativ<br />

hochwertige ärztliche Versorgung<br />

auf dem Markt dazu kaufen.<br />

Medaillen. Die Deutungen darüber,<br />

was <strong>die</strong> SPD in den Son<strong>die</strong>rungen<br />

erreicht habe, gingen sehr<br />

weit auseinander. Wohl dem, der<br />

das Ergebnis in eine differenzierte,<br />

wohlklingende Metapher kleiden<br />

kann, wie der SPD-Landeschef<br />

in Nordrhein-Westfalen, Michael<br />

Groschek: Man habe zwar keinen<br />

Siegerpokal mit nach Hause bringen<br />

können, aber „dafür ganz viele<br />

Medaillen“. Die Medaillen gibt<br />

es, wie der „Spiegel“ schreibt, für<br />

„zahlreiche kleine Maßnahmen,<br />

<strong>die</strong> Deutschland gerechter machen<br />

und für viele Schwache eine große<br />

Hilfe seien.“<br />

» guido.reiter@kzvbw.de<br />

Sie haben gerungen, sie haben diskutiert,<br />

sie haben gestritten und<br />

am Schluss haben sie doch noch<br />

zugestimmt. Das Ringen der SPD<br />

war in den Tagen vor dem Sonderparteitag<br />

am 21. Januar 2018 ka<strong>um</strong><br />

zu ertragen. Die ganze Republik<br />

schaute gebannt, z<strong>um</strong> Teil auch<br />

entnervt, auf <strong>die</strong>se wundregierte<br />

Partei und fieberte mit, ob <strong>die</strong>se<br />

es schaffen würde, sich nochmals<br />

zusammenzureißen. Am Schluss<br />

war <strong>die</strong> Entscheidung klar, wenn<br />

auch knapp: „Erst das Land, dann<br />

<strong>die</strong> Partei.“ Der Wille, Verantwortung<br />

durch eine Teilnahme an der<br />

Regierung zu übernehmen, setzte<br />

sich durch, <strong>die</strong> Mehrheit der Delegierten<br />

stimmte gegen <strong>die</strong> Oppositionsromantik.<br />

Die Debatte der letzten Tage<br />

kann einem deshalb – neben dem<br />

Mitgefühl – auch Respekt abnötigen:<br />

Sie haben es sich wirklich<br />

nicht leichtgemacht in einer Situation,<br />

<strong>die</strong> erst durch <strong>die</strong> schnelle<br />

Absage von Martin Schulz an<br />

eine Koalition und dann durch den<br />

plötzlichen Abgang der FDP aus<br />

den Jamaika-Verhandlungen überhaupt<br />

zustande kam.<br />

Jetzt wird wieder verhandelt und<br />

das Dilemma der SPD ist jedoch<br />

noch nicht beseitigt: Der Mitgliederentscheid<br />

wartet ja bereits am<br />

Horizont.<br />

Kommentar<br />

Was lange<br />

währt, wird<br />

endlich gut?<br />

Was nicht sein darf, ist, dass<br />

sich <strong>die</strong> Union jetzt aus Rücksicht<br />

auf <strong>die</strong> hadernde und gespaltene<br />

SPD-Basis darauf einlässt, <strong>die</strong><br />

akzeptablen Ergebnisse des Son<strong>die</strong>rungspapiers<br />

im Gesundheitsbereich<br />

nochmals nachzuverhandeln.<br />

Wenn CDU/CSU sich auf<br />

das Spiel einlassen, eine weitere<br />

Kanzlerschaft von Angela Merkel<br />

mit einer <strong>Bürgerversicherung</strong> bzw.<br />

als Scheinkompromiss mit einer<br />

einheitlichen Gebührenordnung zu<br />

erkaufen, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit.<br />

Mein Rat bzw. meine Forderung<br />

lautet deshalb: Finger weg von<br />

Nachverhandlungen! Die SPD-Mitglieder<br />

sind zwar in einer Schlüsselposition,<br />

aber sie dürfen nicht<br />

mehr zählen als <strong>die</strong> Mehrheit der<br />

Wähler, <strong>die</strong> den <strong>Bürgerversicherung</strong>sparteien<br />

bei der Bundestagswahl<br />

eine deutliche Absage<br />

erteilt hat. Das wäre ein Konjunkturprogramm<br />

für Politikverdrossenheit<br />

und das in einer Situation<br />

in der sich <strong>die</strong> Begeisterung der<br />

Menschen mit ihren gewählten<br />

Vertretern – nach den endlosen<br />

Verhandlungen seit der Wahl im<br />

September – schon bereits sehr in<br />

Grenzen hält.<br />

Dr. Ute Maier<br />

Vorsitzende des Vorstandes<br />

der KZV BW<br />

ZBW 2/2018<br />

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Titelthema 11<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong><br />

Ärzteverbände schlagen Alarm<br />

Seit <strong>die</strong> Son<strong>die</strong>rungsgespräche für eine Neuauflage der Großen<br />

Koalition nach dem Scheitern von Jamaika am 7. Januar begonnen<br />

haben, vergeht kein Tag, an dem nicht ein Ärzteverband vor der<br />

Einführung der <strong>Bürgerversicherung</strong> warnt. Eine Zusammenfassung<br />

der Warnschüsse und der Arg<strong>um</strong>ente.<br />

Ablehnung. Die Ärzteverbände eint <strong>die</strong> Ablehnung der <strong>Bürgerversicherung</strong>.<br />

„Das Ende der Gesundheitsversorgung,<br />

wie wir sie kennen und schätzen“,<br />

bedeute der Systemwechsel<br />

zur <strong>Bürgerversicherung</strong>, warnte der<br />

Vorsitzende des Spitzenverbandes<br />

der Fachärzte Deutschlands (Spifa),<br />

Dr. Dirk Heinrich.<br />

Seine Kollegin aus dem Vorstand<br />

des Berufsverbandes Deutscher<br />

Nervenärzte, Dr. Sabine Köhler,<br />

ergänzt: „Das wäre der Einstieg in<br />

eine Zweiklassenmedizin, denn für<br />

unsere Fachgruppen spielt es bisher<br />

keine Rolle, ob ein Patient privat<br />

oder gesetzlich versichert ist“.<br />

Vor einer Zweiklassenmedizin,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> SPD mit der Einführung der<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> eigentlich abschaffen<br />

will, warnt auch der NAV<br />

Virchow-Bund. Der Verband hat<br />

ein Positionspapier unter dem Titel<br />

„War<strong>um</strong> eine <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

zu einer echten Zweiklassenmedizin<br />

führt“ vorgelegt. Der Autor,<br />

Dr. Dirk Heinrich, hält es für eine<br />

Legende, dass in Deutschland eine<br />

Zweiklassenmedizin besteht. Privat-<br />

und Kassenpatienten würden<br />

in allen wichtigen Punkten gleich<br />

behandelt – lediglich bei der Terminvergabe<br />

beim Facharzt hätten<br />

Privatversicherte einen Vorteil.<br />

Privatversicherte entzögen sich<br />

auch nicht der Solidarität, sie sei<br />

ihnen früher verweigert worden.<br />

„Weil es gesellschaftlicher Konsens<br />

war, dass gut ver<strong>die</strong>nende<br />

Bürger für sich selbst zu sorgen<br />

hätten und keinen Anspruch auf <strong>die</strong><br />

Solidarität von Beziehern mittlerer<br />

und kleinerer Einkommen hätten“.<br />

Erst aus <strong>die</strong>sem Grund sei <strong>die</strong> Versicherungspflichtgrenze<br />

eingeführt<br />

worden.<br />

Zuerst PKV-Erstattung. Im<br />

Falle der Einführung einer <strong>Bürgerversicherung</strong>,<br />

kündigten einige<br />

Ärzteverbände massive Proteste<br />

bis zu Praxisschließungen an. Diesen<br />

Protesten will sich auch der<br />

Berufsverband der Kinder- und<br />

Jugendärzte anschließen. „Im Bereich<br />

der Vorsorgeuntersuchungen<br />

Foto: Fotolia<br />

für Kinder und Jugendliche haben<br />

wir in den vergangenen Jahren große<br />

Fortschritte erzielt. Viele <strong>die</strong>ser<br />

neuen Vorsorgen wurden zunächst<br />

nur von den Privaten Krankenkassen<br />

erstattet – <strong>die</strong> meisten gesetzlichen<br />

Krankenkassen haben erst<br />

später nachgezogen“, betonte der<br />

Präsident des Berufsverbandes der<br />

Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas<br />

Fischbach.<br />

Von einer „Gleichmacherei“, <strong>die</strong><br />

zu einer „Verschlechterung der individuellen<br />

Patientenversorgung“<br />

führt, warnte auch der Bundesverband<br />

der Pharmazeutischen Industrie<br />

(BPI). Dessen stellvertretender<br />

Hauptgeschäftsführer, Dr. Norbert<br />

Gerbsch, sagte, „<strong>die</strong> PKV <strong>die</strong>nt bei<br />

vielen neuen Präparaten als Eisbrecher,<br />

bevor <strong>die</strong>se auch in der GKV<br />

z<strong>um</strong> Versorgungsstandard werden“.<br />

Auch Arzneimittel, <strong>die</strong> sich bereits<br />

länger am Markt befinden, aber<br />

von der GKV nicht erstattet würden,<br />

laufen nun Gefahr für <strong>die</strong> Versorgung<br />

der Patienten zu entfallen.<br />

Sowohl Patienten als auch Ärzten<br />

stünde nicht mehr der gesamte Arzneimittelschatz<br />

für <strong>die</strong> individuell<br />

beste Therapie zur Verfügung.<br />

Sozialer Sprengstoff. Der Blick<br />

auf Länder mit einer Einheitsversicherung<br />

kann für <strong>die</strong> Son<strong>die</strong>rung<br />

nach Auffassung des Präsidenten<br />

der Ärztekammer Westfalen, Dr.<br />

Theodor Windhorst, nur dazu führen,<br />

dass das Thema endgültig vom<br />

Tisch ist und nicht mehr zur Sprache<br />

kommt. In Ländern mit Einheitsversicherung<br />

stiege <strong>die</strong> Zahl<br />

der Privatkliniken und Institutionen<br />

im privaten Bereich, <strong>um</strong> wohlhabende<br />

Patienten zu behandeln.<br />

„Für Gutver<strong>die</strong>ner, <strong>die</strong> medizinische<br />

Leistungen privat zukaufen<br />

können, wäre das sicher kein Problem<br />

– <strong>die</strong> volle Wucht des gesundheitspolitischen<br />

Kurswechsels bekommen<br />

nur <strong>die</strong>jenigen zu spüren,<br />

<strong>die</strong> sich kein Versorgungs-Update<br />

leisten können“.<br />

änd-Meldungen<br />

redaktionelle Bearbeitung A. Mader<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


12<br />

Titelthema<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> im Spiegel der Me<strong>die</strong>n<br />

Wechselbad der Gefühle und Meinungen<br />

Auch wenn bei Redaktionsschluss noch Ungewissheit über das Zustandekommen<br />

einer erneuten Großen Koalition besteht: Nach dem<br />

Sonderparteitag in Bonn ist klar, dass <strong>die</strong> Angleichung der Arzthonorare<br />

für Privat- und Kassenpatienten zu den Nachbesserungswünschen<br />

der SPD gehört. Nach einem Wechselbad der Gefühle, das<br />

damit begann, dass man sich bei Jamaika weit weg von der heiß<br />

diskutierten <strong>Bürgerversicherung</strong> wähnte, wurde nach dem Scheitern<br />

der ersten Son<strong>die</strong>rung das Thema wieder akut. Die SPD hatte <strong>die</strong><br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> zu einer der zentralen Forderungen gemacht<br />

und <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n beschäftigten sich erneut mit Zwei-Klassen-Medizin<br />

und Einheitskasse.<br />

Es war nicht das erste Mal, dass das<br />

Thema <strong>Bürgerversicherung</strong> breiten<br />

Ra<strong>um</strong> in Berichterstattung und<br />

Kommentaren einnahm. Diesmal<br />

aber schien es höchst brisant zu<br />

sein. Presse, Funk und Fernsehen<br />

informierten und bezogen Stellung,<br />

ließen Politiker zu Wort kommen,<br />

fragten Kassen- und Ärztevertreter<br />

und gaben in den diversen Foren<br />

den Nutzern breiten Ra<strong>um</strong> zur <strong>Diskussion</strong>.<br />

Gleich zu Jahresbeginn, am<br />

2. Januar, konfrontierte der Mannheimer<br />

Morgen seine Leser mit den<br />

„wichtigsten Fragen und Antworten<br />

z<strong>um</strong> politisch heiß <strong>um</strong>strittenen<br />

Thema“. Dort ging es u. a. dar<strong>um</strong>,<br />

was gegen <strong>die</strong> Einführung der<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> spricht: „Wirtschaftswissenschaftler<br />

befürchten<br />

Übergangsschwierigkeiten und<br />

Mehrbelastungen im einstelligen<br />

Milliardenbereich. Eine Stu<strong>die</strong> der<br />

gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-<br />

Stiftung kam zudem jüngst zu dem<br />

Ergebnis, dass eine Umstellung<br />

Zehntausende Arbeitsplätze bei<br />

den privaten Versicherungen kosten<br />

würde. Ein weiterer Aspekt: Das<br />

deutsche Gesundheitssystem gilt als<br />

eines der besten der Welt. Neben Politikern<br />

von Union und FDP warnen<br />

auch Ärztevertreter davor, an den<br />

bestehenden Strukturen zu rütteln.“<br />

Und Redakteurin Madeleine<br />

Bierlein wusste auch <strong>die</strong> Antwort<br />

auf <strong>die</strong> Frage, ob man <strong>die</strong> private<br />

Krankenversicherung einfach abschaffen<br />

könnte: „Das ist schon<br />

aus rechtlicher Sicht nicht möglich.<br />

Es handelt sich dabei <strong>um</strong> Unternehmen,<br />

<strong>die</strong> nicht einfach enteignet<br />

werden dürfen. Außerdem<br />

haben <strong>die</strong> Versicherten verbriefte<br />

Rechte.“ Auch das Ende der Zwei-<br />

Klassen-Medizin wird in Zweifel<br />

gezogen: „Patienten wären nur<br />

in der Grundversorgung gleichgestellt.<br />

Wer es sich leisten kann,<br />

hätte – wie schon jetzt – <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

Zusatzversicherungen abzuschließen.<br />

Etwa für eine Chefarztbehandlung<br />

im Krankenhaus<br />

oder für spezielle Leistungen beim<br />

Zahnarzt.“<br />

Besonders viel Feedback von Seiten<br />

der Leser gab es auf den Beitrag<br />

der Süddeutschen Zeitung vom 29.<br />

Dezember 2017 mit der Überschrift<br />

„<strong>Bürgerversicherung</strong>: Diagnose<br />

richtig, Rezept falsch“. Im Vorspann<br />

schreibt Kristiana Ludwig: „Ja, es<br />

gibt eine Zwei-Klassen-Medizin in<br />

Deutschland – aber nicht nur in der<br />

von der SPD festgestellten Form.<br />

Und was sie nun vorschlägt und gegen<br />

<strong>die</strong> Union durchsetzen will, löst<br />

nichts von den Problemen, welche in<br />

Wahrheit <strong>die</strong> drängendsten sind.“<br />

In seinem Kommentar „Nur<br />

Verlierer durch <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong>“<br />

in der Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung (FAZ) vom<br />

4. Januar 2018 ist Wirtschaftskorrespondent<br />

Andreas Mihm der<br />

Historie <strong>die</strong>ser Forderung auf der<br />

Spur: „Vier Wahlkämpfe hat <strong>die</strong><br />

SPD mit der Forderung nach Einführung<br />

einer <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

bestritten. Zweimal hat sie danach<br />

mit der Union regiert. Der privaten<br />

Krankenvollversicherung, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Sozialdemokraten so dringend<br />

abschaffen wollen, hat das wenig<br />

Abbruch getan. War<strong>um</strong> sollte es<br />

jetzt anders sein, wenn <strong>die</strong> geschr<strong>um</strong>pfte<br />

SPD unter Parteichef<br />

Martin Schulz allen anderen Bekundungen<br />

z<strong>um</strong> Trotz jetzt lieber<br />

doch mit Angela Merkel weiterregieren<br />

will? Indes kommt <strong>die</strong> Idee<br />

der <strong>Bürgerversicherung</strong> bei den<br />

Wählern gut an. Da mag es überraschen,<br />

dass Merkel hier noch<br />

nicht zugegriffen hat. Sie lässt es<br />

hoffentlich auch bleiben.“<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

und führende Unions-Politiker<br />

waren <strong>die</strong> Adressaten eines gemeinsamen<br />

Schreibens von BÄK,<br />

BZÄK, KBV, das kurz vor Beginn<br />

der zweiten Son<strong>die</strong>rungsgespräche<br />

verfasst wurde. Die Zahnarzt Woche<br />

(dzw) zitierte am 10. Januar<br />

unter der Überschrift „Kein Systemwechsel<br />

durch <strong>die</strong> Hintertür“<br />

aus <strong>die</strong>sem Schreiben, in dem es<br />

<strong>um</strong> Einheitshonorare und <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

ging: „Anlass ist <strong>die</strong><br />

<strong>Diskussion</strong> einer ,möglichen Konvergenz<br />

der Vergütungssysteme<br />

für Leistungen der gesetzlichen<br />

und privaten Krankenversicherung‘.<br />

Eine einheitliche Gebührenordnung,<br />

so <strong>die</strong> Unterzeichner,<br />

sei wegen völlig unterschiedlicher<br />

Rahmenbedingungen privatärztlicher<br />

und vertragsärztlicher<br />

Tätigkeit unzulässig. Das Sachleistungs-<br />

und Pauschalierungsprinzip<br />

der gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

könne dem<br />

ZBW 2/2018<br />

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Titelthema 13<br />

Kostenerstattungs- und Einzelleistungsprinzip<br />

der Privatmedizin<br />

nicht angeglichen werden. Für<br />

<strong>die</strong> medizinische wie <strong>die</strong> zahnmedizinische<br />

Versorgung gelten zwischen<br />

GKV und PKV grundlegend<br />

unterschiedliche Vergütungsprinzipien.“<br />

So sieht das auch Frank Ulrich<br />

Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer,<br />

der in einem Interview<br />

mit der Rheinischen Post<br />

am 10. Januar wahrhaft prophetische<br />

Worte fand: „Die SPD wird<br />

ihre Pläne für eine <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

nicht realisieren können –<br />

und schon gar nicht in einer Legislaturperiode.“<br />

Auf <strong>die</strong> Frage,<br />

wie sich unser Gesundheitssystem<br />

durch eine <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

verändern würde, antwortete er:<br />

„Es würde sich massiv verändern.<br />

Alles, was unser Gesundheitssystem<br />

qualitativ auszeichnet,<br />

läuft Gefahr zu verschwinden.<br />

Eine Umstellung würde zudem<br />

zu immensen Kosten führen. Bei<br />

der günstigsten Lösung würde<br />

der Beitragssatz in der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung<br />

von heute durchschnittlich 15,7<br />

auf dann 16,7 Prozent steigen –<br />

nur für einen Systemwandel, der<br />

nichts in der Gesundheitsversorgung<br />

verbessert. Statt einem<br />

weißen Elefanten nachzurennen,<br />

muss eine Regierung <strong>die</strong> Probleme<br />

des Gesundheitssystems lösen, <strong>die</strong><br />

sich beispielsweise aus der demografischen<br />

Entwicklung ergeben<br />

und <strong>die</strong> im Personalmangel und<br />

der schlechten Bezahlung in der<br />

Pflege liegen.“<br />

Auch Befürwortern war schon<br />

lange klar, dass eine eventuelle<br />

Umsetzung der <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

schwierig sein würde, „selbst<br />

wenn <strong>die</strong> SPD sie von der Union<br />

als Morgengabe“ bekäme. Am 20.<br />

Dezember sagte <strong>die</strong> Ulmer Bundestagsabgeordnete<br />

und Sprecherin<br />

der Arbeitsgruppe Gesundheit<br />

der SPD-Bundestagsfraktion Hilde<br />

Mattheis in einem Interview<br />

mit der Südwest Presse, Ulm: „Ich<br />

kämpfe seit langem für eine <strong>Bürgerversicherung</strong>,<br />

aber ich kann Ihnen<br />

sagen: Das, was <strong>die</strong> Union zu<br />

geben bereit ist, wäre ein vergiftetes<br />

Geschenk. Da gäbe es wieder<br />

nur <strong>die</strong> Hälfte dessen, was wir<br />

fordern. Die Mehrheit in der Union<br />

will bei der Gesundheitsversorgung<br />

alles dem Markt überlassen<br />

und <strong>die</strong> Pflicht zur Daseinsvorsorge<br />

vergessen machen. Die <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

ist so ein komplexes<br />

Konstrukt, das nur richtig funktioniert<br />

und mehr Solidarität ins<br />

System bringt, wenn sie komplett<br />

<strong>um</strong>gesetzt wird.“<br />

„Christoph Eisenring, Berlin-<br />

Korrespondent der Neuen Zürcher<br />

Zeitung (NZZ) kommentierte unter<br />

der Überschrift „Das süsse Gift der<br />

Staatsmedizin“ am 6. Januar 2018:<br />

„Die Idee der ,<strong>Bürgerversicherung</strong>‘<br />

ist für <strong>die</strong> SPD ein Prestigeprojekt<br />

– und das seit vielen Jahren.<br />

An den derzeitigen Mängeln ändert<br />

sie jedoch nichts. […] Es ist schwer<br />

vorstellbar, dass <strong>die</strong> CDU/CSU in<br />

den Gesprächen mit der SPD eine<br />

180-Grad-Wende machen wird. Zur<br />

Disposition stehen könnte jedoch<br />

etwa der Zusatzbeitrag. Lust, <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />

für mehr Wettbewerb<br />

im Gesundheitswesen zu schaffen,<br />

ist jedoch bei keinem der möglichen<br />

Koalitionäre zu erkennen.“<br />

Nach Beendigung der Son<strong>die</strong>rungsgespräche<br />

und dem Bekanntwerden<br />

des 28-seitigen Ergebnispapiers<br />

war rasch klar, dass mehr<br />

als <strong>die</strong> Rückkehr zur Parität bei der<br />

Finanzierung der GKV mit CDU/<br />

CSU nicht erreicht werden konnte.<br />

So war in den Badischen Neuesten<br />

Nachrichten vom 15. Januar<br />

zu lesen: „Martin Schulz muss<br />

jetzt viele genervte Genossen von<br />

der Großen Koalition überzeugen.<br />

Statt einer Verschmelzung der privaten<br />

und gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

zu einer <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

ist nur <strong>die</strong> Rückkehr<br />

zur gleichteiligen Finanzierung<br />

durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />

herausgesprungen.“<br />

Das rief <strong>die</strong> Gegner der GroKo<br />

auf den Plan, aber auch Genossen,<br />

<strong>die</strong> der Koalitionsbildung durchaus<br />

zugeneigt waren, forderten<br />

Nachbesserungen. Und so schrieb<br />

der Berliner Korrespondent der<br />

Ludwigsburger Kreiszeitung, Stefan<br />

Vetter, am 15. Januar unter der<br />

Überschrift „Viel erreicht“ einen<br />

Kommentar: „SPD-Vize Malu<br />

Dreyer und Vorstandsmitglied Michael<br />

Müller z<strong>um</strong> Beispiel wollen<br />

sich nicht damit abfinden, dass <strong>die</strong><br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> nicht kommt.<br />

Ihre Partei hat sich allerdings auch<br />

nicht <strong>um</strong> ein schlüssiges Konzept<br />

dafür gekümmert. Erst nach den<br />

gescheiterten Jamaika-Verhandlungen<br />

kam das Schlagwort wieder<br />

zur Blüte, weil <strong>die</strong> SPD glaubte,<br />

damit eine plakative Forderung<br />

vergleichbar der des Mindestlohns<br />

zu landen. Doch während der<br />

Mindestlohn tatsächlich plakativ<br />

zu vermitteln war, ist <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

eher ein abstraktes<br />

Unterfangen.“<br />

Diese Ansicht teilt auch der Spiegel-Kommentator<br />

Severin Weiland<br />

in seiner Analyse nach dem Sonderparteitag<br />

der SPD, der nur mit<br />

knapper Mehrheit für einen Beginn<br />

der Koalitionsverhandlungen<br />

votierte. Bereits am Abend des<br />

21. Januar war in der Online-Ausgabe<br />

zu lesen: „Die SPD hat in der<br />

Gesundheitspolitik darauf verzichtet,<br />

sich in Bonn größer zu machen<br />

als sie es als 20,5 Prozent-Partei<br />

derzeit ist. Das Wort vom Einstieg<br />

in ein Ende der Zwei-Klassen-<br />

Medizin offenbart, wie wenig <strong>die</strong><br />

Genossen an einen grundlegenden<br />

Systemwechsel und an ein Ende<br />

der privaten Krankenversicherung<br />

glauben. Das verschafft Merkel<br />

auch auf <strong>die</strong>sem Feld Spielra<strong>um</strong><br />

für mancherlei Kompromissvarianten.“<br />

D. Kallenberg<br />

» info@zahnarzteblatt.de<br />

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ZBW 2/2018


14<br />

Titelthema<br />

Sachverständiger Prof. Dr. Wolfgang Merk<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> „in weiten Teilen unklar“<br />

Wissen <strong>die</strong> politischen Akteure, wie komplex <strong>die</strong> Einführung einer<br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> wäre? Und welche tiefgreifenden Konsequenzen<br />

sie für das hervorragende deutsche Gesundheitswesen hätte? Die<br />

SPD macht <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> gerade urplötzlich zur Bedingung<br />

für eine große Koalition, obwohl sie im Wahlkampf „de facto keine<br />

Rolle“ gespielt habe, so der Gesundheitsexperte und Sachverständige<br />

Prof. Dr. Wolfgang Merk im Interview. Nun werde ohne Not „her<strong>um</strong>gedoktert“.<br />

in ländlichen Gebieten sichergestellt<br />

werden soll, bleiben völlig<br />

außen vor. Ich wage auch zu behaupten,<br />

dass der Großteil der<br />

politischen Akteure nicht einmal<br />

ansatzweise <strong>die</strong> Komplexität erahnt,<br />

<strong>die</strong> mit der Einführung eines<br />

solchen Systems einhergehen<br />

würde.<br />

Prognose. Prof. Dr. Wolfgang Merk prognostiziert gravierende Folgen einer <strong>Bürgerversicherung</strong>,<br />

vor allem für den ländlichen Ra<strong>um</strong> in Baden-Württemberg.<br />

ZBW: Herr Prof. Dr. Merk, im<br />

Wahlkampf wurde <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

von den Parteien<br />

ka<strong>um</strong> thematisiert. Ist es für Sie<br />

als Experte erklärbar, dass <strong>die</strong><br />

<strong>Bürgerversicherung</strong> jetzt plötzlich<br />

zur roten Linie wird?<br />

Prof. Dr. Wolfgang Merk: Das<br />

überrascht mich sehr, weil das<br />

Thema <strong>Bürgerversicherung</strong> im<br />

Wahlkampf de facto keine Rolle<br />

gespielt hat und bei der Bevölkerung<br />

aktuell überhaupt nicht als<br />

Problem wahrgenommen wird.<br />

Über 80 Prozent der Deutschen<br />

schätzen <strong>die</strong> Gesundheitsversorgung<br />

als gut oder sehr gut<br />

ein. Außerdem verwundert mich,<br />

dass man eine rote Linie bei einem<br />

Konzept zieht, das in weiten<br />

Teilen in seinen Strukturen und<br />

Mechanismen – ungeachtet von<br />

erheblichen verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken – völlig unklar<br />

ist. Die <strong>Bürgerversicherung</strong> ist<br />

eigentlich nur ein Schlagwort,<br />

hinter dem sich eine Vielzahl von<br />

unterschiedlichen Konzepten versteckt.<br />

Die Befürworter <strong>die</strong>ser<br />

Konzepte eint nur der Wunsch,<br />

dass das Gesundheitswesen<br />

zukünftig „gerechter“ finanziert<br />

werden soll. Wichtige und dringliche<br />

Fragen, etwa wie <strong>die</strong> ärztliche<br />

Versorgung der Bevölkerung<br />

Foto: Stollberg<br />

Woran liegt das und was sagt<br />

das über <strong>die</strong> politische Kultur<br />

aus?<br />

Es zeigt sich ja leider gerade,<br />

dass <strong>die</strong> parteipolitische Strategie<br />

offenbar für viele politische<br />

Entscheidungsträger wichtiger<br />

ist, als der konkrete Auftrag des<br />

Wählers. Ich fände es gut, wenn<br />

Politiker sich mehr als Problemlöser<br />

– wie Manager – für konkrete<br />

gesellschaftliche Probleme verstehen<br />

würden. Leider wird häufig<br />

durch ideologisch geprägte<br />

Konzepte <strong>die</strong> Realität ausgeblendet.<br />

Dadurch werden Sachverhalte<br />

zu Problemen gemacht, <strong>die</strong> von<br />

den meisten Menschen gar nicht<br />

als negativ empfunden werden<br />

vice versa. An Systemen, <strong>die</strong> vergleichsweise<br />

effizient funktionieren,<br />

wird so ohne Not „her<strong>um</strong>gedoktert“.<br />

Ob dann <strong>die</strong> geplanten<br />

Eingriffe tatsächlich eine Verbesserung<br />

des Systems bewirken,<br />

wird oft nur nebensächlich analysiert,<br />

Hauptsache man hat politischen<br />

Aktivismus gezeigt.<br />

Was würde es bedeuten, wenn<br />

sich <strong>die</strong> SPD bei Verhandlungen<br />

zu einer neuen Regierung mit<br />

der <strong>Bürgerversicherung</strong> durchsetzen<br />

würde?<br />

Das lässt sich schwer vorhersehen<br />

und hängt von der Ausgestaltung<br />

der <strong>Bürgerversicherung</strong> ab.<br />

Sicher würden sich <strong>die</strong> Finanzierungströme<br />

des Gesundheitswesens<br />

grundlegend ändern. Da <strong>die</strong><br />

gesetzlichen Krankenkassen sich<br />

de facto nicht unterscheiden,<br />

würde eine gesetzliche Einheits-<br />

ZBW 2/2018<br />

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Titelthema<br />

Buchtipp 15<br />

kasse entstehen. Weitergehende<br />

Leistungen müssten <strong>die</strong> darin<br />

Versicherten weiterhin selbst<br />

zahlen oder sich zusätzlich versichern.<br />

Wenn <strong>die</strong> bisher in der PKV<br />

Versicherten in <strong>die</strong> GKV müssen,<br />

zahlen sie dort einen einkommensabhängigen<br />

Beitrag. Die<br />

Leistungserbringer bekommen für<br />

<strong>die</strong> Behandlung der bisher PKV-<br />

Versicherten dann das Einheitshonorar,<br />

das sie für jeden GKV-<br />

Versicherten erhalten. Wie sich<br />

<strong>die</strong>s auf das Versorgungsgeschehen<br />

auswirkt lässt sich schwer<br />

vorhersagen. Jedenfalls würde<br />

aus Leistungserbringersicht der<br />

PKV-Mehr<strong>um</strong>satz, d. h. das Honorarplus<br />

eines Privatpatienten<br />

im Vergleich zu einem GKV-Versicherten<br />

erst einmal wegfallen.<br />

Was heißt das im Speziellen für<br />

uns hier in Baden-Württemberg?<br />

Ich kann mir beim besten Willen<br />

nicht vorstellen, dass sich durch<br />

eine Angleichung der Honorare<br />

und <strong>die</strong> Einführung einer einheitlichen<br />

Gebührenordnung junge Ärztinnen<br />

und Ärzte wieder vermehrt<br />

auf dem Land niederlassen werden.<br />

Das Gegenteil wird der Fall<br />

sein. Wenn in einer Landpraxis<br />

für <strong>die</strong> bisherigen Privatpatienten<br />

nur noch das GKV-Honorar bezahlt<br />

wird, gehen dort der Umsatz<br />

und der Gewinn deutlich nach<br />

unten. Das ohnehin imminente<br />

Problem, dass es junge Ärzte und<br />

Zahnärzte in <strong>die</strong> Stadt zieht und<br />

nicht aufs Land, wird dadurch verstärkt<br />

und nicht gelöst. Wer will<br />

schon auf dem Land eine Praxis<br />

übernehmen, wenn er dort weniger<br />

ver<strong>die</strong>nt als im Angestelltenverhältnis<br />

in der Stadt. Alles in<br />

allem sehe ich <strong>die</strong> ärztliche und<br />

zahnärztliche Versorgung im ländlichen<br />

Ra<strong>um</strong> extrem gefährdet.<br />

Und mit jeder Praxis, <strong>die</strong> nicht<br />

nachbesetzt werden kann, fallen<br />

zudem Helferinnenjobs weg.<br />

Politik lebt von Kompromissen.<br />

Stellen wir uns <strong>die</strong> Schlagzeile<br />

nach den Verhandlungen vor: „<strong>Bürgerversicherung</strong><br />

verhindert! Kompromiss<br />

einheitliche Gebührenordnung“<br />

– was wären <strong>die</strong> Folgen<br />

davon?<br />

Das kommt letztlich auf <strong>die</strong> Höhe<br />

der Honorare an. Wenn für den<br />

Leistungserbringer im Ergebnis<br />

nicht weniger Umsatz rauskommt,<br />

wäre ja alles gut. Das kann ich<br />

mir allerdings nicht vorstellen.<br />

Wahrscheinlich hätten wir wenige<br />

Gewinner und viele Verlierer. Die<br />

Behauptung, dass sich durch eine<br />

einheitliche Gebührenordnung eine<br />

bessere Versorgung ergeben würde<br />

und in Ermangelung anderer Alternativen<br />

insbesondere mehr Ärzte<br />

aufs Land streben, halte ich für<br />

Nonsens. Viel wahrscheinlicher ist<br />

doch, dass sich alle niedergelassenen<br />

Ärzte und Zahnärzte aufgrund<br />

der zu erwartenden geringeren Einnahmen<br />

mit Investitionen zunächst<br />

stark zurückhalten und dann versuchen,<br />

mit privat zu bezahlenden<br />

Zusatzleistungen ihre Umsatzrückgänge<br />

zu kompensieren.<br />

Wenn Sie jetzt tippen müssten:<br />

Wie geht das Ganze aus?<br />

Die weisesten Propheten äußern<br />

sich bekanntlich hinterher.<br />

Herr Prof. Dr. Merk, herzlichen<br />

Dank für das Gespräch.<br />

KZV BW<br />

Zur Person<br />

Prof. Dr. Wolfgang Merk ist Diplom-Betriebswirt<br />

(BA), Diplom-Ökonom,<br />

öffentlich bestellter<br />

und vereidigter Sachverständiger<br />

und Experte für <strong>die</strong><br />

Gesundheitswirtschaft und das<br />

Gesundheitswesen. In dem vom<br />

Vorstand der KZV BW zusammen<br />

mit der AG KZVen beauftragten<br />

Gutachten stellte Merk<br />

auf belastbarer Datengrundlage<br />

Prognosen zu den Auswirkungen<br />

einer <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

für <strong>die</strong> zahnmedizinische Versorgung:<br />

Im ländlichen Ra<strong>um</strong><br />

in Baden-Württemberg würden<br />

534 Zahnärzte und 2.350 Arbeitsplätze<br />

für Zahnmedizinische<br />

Fachangestellte in den<br />

nächsten zehn Jahren wegfallen.<br />

Quellen: wm-institut.de,<br />

KZV BW<br />

Wissenschaftliche Evidenz<br />

Handbuch Instr<strong>um</strong>entelle<br />

Funktionsanalyse<br />

Dieses auf wissenschaftlicher Evidenz<br />

gründende Werk behandelt<br />

<strong>um</strong>fassend und systematisch das<br />

Gebiet der zahnärztlichen instr<strong>um</strong>entellen<br />

Funktionsanalyse auf<br />

der Basis der Anwendung elektronischer<br />

Geräte. Die theoretischen<br />

Hintergründe werden ausführlich<br />

dargestellt und praxisorientierte<br />

Hinweise und Anleitung zur Anwendung<br />

der elektronischen Bewegungsanalyse,<br />

instr<strong>um</strong>entellen<br />

Okklusionsanalyse und Oberflächen-Elektromyographie<br />

der<br />

Ka<strong>um</strong>uskulatur gegeben. Durch<br />

<strong>die</strong> Präsentation vieler klinischer<br />

Fallbeispiele bleibt das im Werk<br />

Dargestellte nicht abstrakt, sondern<br />

findet <strong>die</strong> erforderliche Konkretisierung,<br />

<strong>die</strong> den Leser in <strong>die</strong><br />

Lage versetzt, das Gelesene in <strong>die</strong><br />

diagnostische und therapeutische<br />

zahnärztliche Entscheidungsfindung<br />

einzubinden. IZZ<br />

Alfons Hugger, Bernd Kordaß<br />

Handbuch Instr<strong>um</strong>entelle<br />

Funktionsanalyse und<br />

funktionelle Okklusion<br />

Wissenschaftliche Evidenz und<br />

klinisches Vorgehen<br />

1. Auflage 2017<br />

488 Seiten<br />

Quintessenz Verlags-GmbH<br />

ISBN 978-3-86867-378-4<br />

198 Euro<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


16<br />

Titelthema<br />

Die niederländische Gesundheitsreform<br />

Modell für staatlich regulierten Wettbewerb<br />

Nach 30 Jahren Planung und Vorbereitung wurde im Jahr 2006 in<br />

den Niederlanden eine grundlegende Änderung im Gesundheitssystem<br />

eingeführt: Die privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

für <strong>die</strong> rund 17 Millionen Einwohner fusionierten, es entstand<br />

ein privates System mit öffentlich-rechtlichen Merkmalen, eine Kombination<br />

aus <strong>Bürgerversicherung</strong> und Kopfpauschale. Der soziale<br />

Ausgleich erfolgt durch Steuermittel. Oft wird <strong>die</strong>ses Modell auch<br />

für Deutschland propagiert.<br />

Seit zwölf Jahren ist eine Krankenversicherung,<br />

auf Niederländisch<br />

„zorgverzekering“, Pflicht<br />

für jeden, der in den Niederlanden<br />

wohnt oder arbeitet. Die Krankenversicherung<br />

wird von privaten<br />

Gesellschaften angeboten,<br />

der Staat legt nur fest, was mindestens<br />

versichert sein muss und<br />

gibt einen Rahmen für <strong>die</strong> Höhe<br />

der Prämien vor. Dazu kommt ein<br />

nach dem Einkommen gestaffelter<br />

Betrag, der vom Arbeitgeber<br />

übernommen wird und rund 50<br />

Prozent der gesamten Beitragslast<br />

abdeckt. Selbstständige zahlen einen<br />

bestimmten Prozentsatz ihres<br />

Bruttoeinkommens; Einkommen<br />

aus Kapitalvermögen, Vermietung<br />

etc. sind, was <strong>die</strong> Basisversicherung<br />

angeht, beitragsfrei.<br />

Kollektivverträge. Wer bei einem<br />

niederländischen Unternehmen<br />

tätig ist, kann in vielen Fällen<br />

von einer „Collective Health Care<br />

Insurance“ profitieren, bei der <strong>die</strong><br />

Konditionen zwischen Arbeitgeber<br />

und Krankenversicherung<br />

individuell ausgehandelt werden.<br />

2008 kam ein Selbstbehalt dazu,<br />

der bei Inanspruchnahme von bestimmten<br />

Leistungen aus eigener<br />

Tasche bezahlt werden muss. Kinder<br />

bis 18 Jahre sind beitragsfrei<br />

versichert, für sie zahlt der Staat<br />

<strong>die</strong> Prämie aus Steuermitteln.<br />

Keine Zahnarztkosten. Das<br />

Leistungspaket der Basisversicherung<br />

ist nicht so <strong>um</strong>fangreich wie<br />

man es in Deutschland gewohnt<br />

ist. So werden z<strong>um</strong> Beispiel keinerlei<br />

Zahnarztkosten für Erwachsene<br />

(ab dem 18. Lebensjahr) übernommen.<br />

Möchte man einen weitreichenderen<br />

Versicherungsschutz<br />

für Zahnbehandlungen, bessere<br />

Leistungen in Krankenhäusern sowie<br />

Kuren mitversichern, gibt es<br />

zusätzliche Pakete. Die Versicherer<br />

können den Pauschalbeitrag<br />

für jede von ihnen angebotene Police<br />

selbst festlegen. Alter, der Gesundheitszustand<br />

oder <strong>die</strong> soziale<br />

Situation des Versicherten dürfen<br />

keine Rolle spielen. Alle, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

gleiche Police haben, zahlen auch<br />

<strong>die</strong> gleichen Beiträge.<br />

Die Versicherten können jährlich<br />

den Anbieter wechseln und <strong>die</strong><br />

Krankenkassen dürfen niemanden<br />

ablehnen. Unterschiede zwischen<br />

den einzelnen Versicherern sind<br />

dabei natürlich möglich. So soll<br />

der Wettbewerb zwischen den vier<br />

großen und einigen kleinen Versicherungsgesellschaften<br />

gefördert<br />

und das Kostenbewusstsein der<br />

Versicherten geschärft werden.<br />

LUXEMBURG<br />

NIEDERLANDE<br />

DEUTSCHLAND<br />

SCHWEDEN<br />

FRANKREICH<br />

DÄNEMARK<br />

BELGIEN<br />

IRLAND<br />

ITALIEN<br />

SPANIEN<br />

TSCHECHIEN<br />

UNGARN<br />

Sachleistung oder Erstattung.<br />

Für <strong>die</strong> Pflicht-Basisversicherung<br />

gibt es unterschiedliche Modelle:<br />

Möglich sind sowohl Sachleistungen<br />

als auch <strong>die</strong> Kostenerstattung<br />

oder eine Kombination aus beidem.<br />

Bei einer Sachleistungspolice,<br />

<strong>die</strong> in der Regel billiger ist,<br />

schreibt der Versicherer vor, welche<br />

Gesundheits<strong>die</strong>nstleister in<br />

Anspruch genommen werden können.<br />

Die Versicherungen haben<br />

mit Ärzten und Krankenhäusern<br />

entsprechende Verträge geschlossen.<br />

Bei einer Erstattungspolice<br />

kann man unter allen Anbietern<br />

frei wählen. In manchen Fällen<br />

muss man allerdings <strong>die</strong> Behandlungskosten<br />

vorschießen, ehe man<br />

<strong>die</strong> Rechnung beim Krankenversicherer<br />

zur Erstattung einreichen<br />

kann. Notfallbehandlungen werden<br />

vollständig und ohne Rücksicht<br />

auf das jeweilige Krankenhaus<br />

erstattet.<br />

Prämienhöhe. Die Prämie für<br />

<strong>die</strong> Krankenversicherung (basisverzekering)<br />

wurde 2017 etwas<br />

erhöht und liegt derzeit bei rund<br />

1300 Euro im Jahr, <strong>die</strong> Selbstbeteiligung<br />

bei 385 Euro. Sie kann<br />

jedoch freiwillig bis auf 885 Euro<br />

erhöht werden, was zu einem geringeren<br />

Beitrag führt. Hat man in<br />

einem Kalenderjahr keine oder nur<br />

wenige Leistungen in Anspruch<br />

Ausgaben für Krankheit/Gesundheitsversorgung 2014<br />

Euro je Einwohner in ausgewählten Staaten (zu konstanten Preisen von 2010)<br />

1709<br />

1383<br />

920<br />

517<br />

3717<br />

3284<br />

3013<br />

2863<br />

2832<br />

2806<br />

2678<br />

4621<br />

Quelle: Eurostat (Stand 2017)<br />

ZBW 2/2018<br />

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Titelthema 17<br />

Quelle: in Anlehnung an Ministeri<strong>um</strong> für Gesundheit und Sport 2006<br />

Finanzierung des niederländischen Gesundheitssystems<br />

Arbeitgeber<br />

Staat<br />

Versicherte<br />

einkommensabhängiger Beitrag (ca. 50%)<br />

staatliche Zuschüsse (ca. 5 %)<br />

einkommensunabhängiger Beitrag (ca. 45%)<br />

Rechnungsbegleichung bei Kostenerstattungsoption/Beitragsrückerstattung<br />

Rechnungsbegleichung<br />

genommen, hat man Anrecht auf<br />

Beitragsrückzahlung. Zahlungsrückstände<br />

können zur Prämienerhöhungen<br />

oder z<strong>um</strong> Ausschluss<br />

führen. Bei geringem Einkommen<br />

ist es möglich, einen staatlichen<br />

Zuschuss zur Krankenversicherung<br />

zu bekommen. Er kann beim<br />

Finanzamt beantragt werden, richtet<br />

sich nach dem tatsächlichen<br />

Einkommen und betrug 2017 max.<br />

1056 Euro.<br />

Gesundheitsfonds. Das Finanzamt<br />

ist auch zuständig für <strong>die</strong><br />

Einziehung der einkommensabhängigen<br />

Beiträge bei den Unternehmen<br />

und <strong>die</strong> Einzahlung in den<br />

Krankenversicherungsfonds. Bei<br />

einem Jahreseinkommen von bis<br />

zu 30.000 Euro liegt der Beitrag<br />

bei 7,2 Prozent, für selbständige<br />

Arbeit bei 5,1 Prozent. Aus dem<br />

zentralen Gesundheitsfonds werden<br />

<strong>die</strong> Mittel an <strong>die</strong> einzelnen<br />

Versicherungsträger verteilt und<br />

<strong>die</strong> Risikoausgleichszahlungen<br />

vorgenommen. Der Fonds enthält<br />

keine Finanzreserven, Defizite<br />

trägt der Staat. Verwaltet wird<br />

der Fonds durch das Zorginstituut<br />

Nederland, das eine unabhängige<br />

Position zwischen dem Ministeri<strong>um</strong><br />

für Gesundheit, Soziales und<br />

Sport, den Krankenversicherern,<br />

den Gesundheits<strong>die</strong>nstleistern und<br />

Patienten einnimmt.<br />

Hausarztmodell. Der Besuch<br />

beim Hausarzt ist vom Selbstkostenbeitrag<br />

ausgenommen. Ein<br />

Wechsel des Hausarztes kann nur<br />

Krankenversicherungsfonds<br />

einschließlich RSA<br />

Krankenkassen<br />

Leistungsanbieter<br />

mit Zustimmung der Krankenkasse<br />

erfolgen. Wer sich eine freie<br />

Arztwahl sichern möchte, benötigt<br />

eine entsprechende Zusatzversicherung.<br />

Dem Hausarzt kommt<br />

neben der medizinischen Grundversorgung<br />

eine zentrale Rolle<br />

zu, denn er entscheidet, ob weitergehende<br />

Maßnahmen und eine<br />

Überweisung an einen Spezialisten<br />

notwendig sind. Fachärzte sind<br />

in den Niederlanden fast immer in<br />

einem Krankenhaus angesiedelt<br />

oder als behandelnde Ärzte mit<br />

einem Krankenhaus verbunden.<br />

Die Trennung von ambulanter und<br />

stationärer Versorgung ist nicht so<br />

strikt wie hierzulande, ambulante<br />

Facharzt-Versorgung findet oft in<br />

Polikliniken statt. Feste Regeln<br />

gelten auch für den Bezug von<br />

Medikamenten, für <strong>die</strong> im Rahmen<br />

der Reform eine Positivliste<br />

erstellt wurde. Außerdem muss<br />

sich jeder Versicherte für eine<br />

Apotheke entscheiden und sich<br />

dort einschreiben, was zu einer<br />

Transparenz der Medikation führt<br />

und auch hilft Doppelverordnungen<br />

zu verhindern.<br />

Übertragbarkeit. Wenn es <strong>um</strong><br />

<strong>die</strong> Übertragbarkeit des 2006 eingeführten<br />

niederländischen Systems<br />

auf das deutsche Gesundheitswesen<br />

geht, kann ein Blick in<br />

<strong>die</strong> Geschichte durchaus hilfreich<br />

sein. So hat es in den Niederlanden<br />

eine lange Tradition, dass sich<br />

der Staat im Gesundheitswesen<br />

zurückhält und privaten Akteuren<br />

das Feld überlässt.<br />

Nicht erst im 17. Jahrhundert,<br />

dem Goldenen Zeitalter, in dem <strong>die</strong><br />

Niederlande als führende Großund<br />

Kolonialmacht eine globale<br />

Vormachtstellung hatten, kümmerten<br />

sich wohlhabende Bürger<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> schwächeren Glieder der<br />

Gesellschaft. Schon im Hoch- und<br />

Spätmittelalter gab es soziale Einrichtungen,<br />

in denen aus Mitteln<br />

der Bürgerschaft Kranke und Alte<br />

versorgt wurden.<br />

Historie. Der Calvinismus, der<br />

<strong>die</strong> Angehörigen der Oberschicht<br />

dazu anhielt, von ihrem Reicht<strong>um</strong><br />

Bedürftigen abzugeben, tat sein<br />

Übriges. In den Kaufmannsgilden<br />

des 17. Jahrhunderts entstanden<br />

<strong>die</strong> ersten Formen von solidarischen<br />

Krankenversicherungen, in<br />

<strong>die</strong> jedes Mitglied seinen Möglichkeiten<br />

entsprechend einzahlte.<br />

Diese Frühformen einer Versicherung<br />

erwiesen sich als sehr<br />

erfolgreich und hielten im Land<br />

der Grachten und Deiche bis in <strong>die</strong><br />

Zeit der Industrialisierung, als Gewerkschaften<br />

und karitative Organisationen<br />

sich der Werktätigen<br />

annahmen und erste Krankenkassen<br />

gründeten.<br />

Pflichtversicherung. 1940<br />

existierten 600 solcher Kassen,<br />

darunter Versicherungsvereine<br />

auf Gegenseitigkeit, Krankenversicherungen,<br />

<strong>die</strong> von Ärzten und<br />

Ärzteverbänden gegründet waren,<br />

Betriebskrankenkassen und<br />

private Krankenversicherer. Eine<br />

Pflicht zur Mitgliedschaft gab es<br />

allerdings nicht. Die wurde erst<br />

nach der Besetzung durch das<br />

nationalsozialistische Deutschland<br />

1940 eingeführt, <strong>die</strong> dem<br />

Land ein Krankenversicherungssystem<br />

Bismarckscher Prägung<br />

überstülpte. In der Nachkriegszeit<br />

wurde das System weiterentwickelt<br />

und es entstand der<br />

Ziekenfondswet (ZFW), der ambulante<br />

ärztliche Versorgung bei<br />

Haus- und Fachärzten, Arznei-,<br />

Heil- und Hilfsmittel und <strong>die</strong><br />

kurz- bzw. mittelfristige Versorgung<br />

im Krankenhaus abdeckte.<br />

Kosten für Pflege und langwierige<br />

Krankheiten waren darin nicht<br />

enthalten. Um <strong>die</strong>se „besonderen<br />

Krankheitskosten“ auf <strong>die</strong> Schul-<br />

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ZBW 2/2018


18<br />

Titelthema<br />

tern aller zu verteilen, wurde eine<br />

Pflichtversicherung, <strong>die</strong> Algemeen<br />

Wet Bijzonder Ziektekosten“<br />

(AWBZ) eingeführt, in <strong>die</strong> jeder<br />

niederländische Bürger seinem<br />

Einkommen entsprechend einzahlen<br />

musste. Doch das Nebenher<br />

von privaten und gesetzlichen<br />

Krankenkassen führte auch im<br />

Nachbarland zur Unzufriedenheit<br />

und zur Zwei-Klassen-Medizin,<br />

sodass man von Seiten der Regierung<br />

auf Abhilfe sann. Die Forderung<br />

nach mehr Wettbewerb und<br />

Effizienz im Gesundheitswesen<br />

stand im Ra<strong>um</strong>.<br />

Lange Vorbereitung. Mindestens<br />

drei Jahrzehnte an <strong>Diskussion</strong>en<br />

und Vorbereitungen gingen<br />

ins Land, in der Zeit wurden <strong>die</strong><br />

Verhältnisse angeglichen, indem<br />

man den gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Leistungskatalog auszudünnen<br />

begann. So wurden <strong>die</strong><br />

Kosten für Zahnbehandlungen<br />

und kieferorthopädische Eingriffe<br />

bei über 18-Jährigen schon weit<br />

vor dem 1. Januar 2006 nicht mehr<br />

durch <strong>die</strong> gesetzliche Krankenversicherung<br />

abgedeckt. Um <strong>die</strong> Leistungserbringer<br />

mit ins Boot zu<br />

bekommen, wurden Arzthonorare<br />

für gesetzlich Versicherte erhöht,<br />

<strong>die</strong> Behandlung von Privatpatienten<br />

geringer vergütet, sodass sich<br />

Ende der 90er-Jahre <strong>die</strong> Erstattung<br />

für beide Patientengruppen angeglichen<br />

hatte. Außerdem war eine<br />

Privatversicherung für Besserver<strong>die</strong>nende<br />

kein Privileg, sondern<br />

ein Muss. Wer mit seinem Ver<strong>die</strong>nst<br />

über der Pflichtgrenze lag,<br />

musste sich privat krankenversichern,<br />

was erhebliche Mehrkosten<br />

mit sich bringen konnte.<br />

Reformbestrebungen. Dynamik<br />

ins System brachte ein Gutachten<br />

des Sociaal-Economische<br />

Raad (SER), einem dauerhaft installierten<br />

Gremi<strong>um</strong> zur Beratung<br />

der Regierung in Wirtschafts- und<br />

Sozialfragen. Er stellte zu Beginn<br />

<strong>die</strong>ses Jahrhunderts Forderungen<br />

nach einem Systemwechsel auf,<br />

<strong>die</strong> eine Vereinheitlichung des<br />

Versicherungsmarktes, eine Versicherungspflicht<br />

für <strong>die</strong> gesamte<br />

Bevölkerung, einen steuerfinanzierten<br />

Gesundheitszuschuss für<br />

Einkommensschwache und <strong>die</strong><br />

Privatisierung der Krankenkassen<br />

forderten. Umgesetzt wurden<br />

<strong>die</strong>se Vorschläge 2005 von einer<br />

Koalition aus Christdemokraten,<br />

konservativen Liberalen und<br />

Linksliberalen, <strong>die</strong> schließlich im<br />

zweiten Kabinett Balkenende eine<br />

Gesundheitsreform über <strong>die</strong> letzte<br />

Hürde hoben.<br />

Ausblick. Die Duisburger Gesundheitsexperten<br />

Jürgen Wasem<br />

und Stefan Greß waren sich<br />

vor zehn Jahren sicher, dass sich<br />

„auf dem Hintergrund der niederländischen<br />

Erfahrungen mögliche<br />

Kompromisslinien zeichnen<br />

lassen, <strong>die</strong> gleichzeitig <strong>die</strong><br />

Nachhaltigkeit der Finanzierung<br />

in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

erhöhen, Ungleichheiten<br />

im Zugang zur gesundheitlichen<br />

Versorgung beseitigen, Effizienzreserven<br />

erschließen und darüber<br />

hinaus politisch kompromissfähig<br />

sind“. Inzwischen aber merkt Gesundheitsökonom<br />

Greß etwas ernüchtert<br />

an, dass „<strong>die</strong> Einführung<br />

einer <strong>Bürgerversicherung</strong> das niederländische<br />

Gesundheitssystem<br />

auf keinen Fall billiger gemacht<br />

hat“.<br />

D. Kallenberg<br />

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Titelthema 19<br />

Die SPD mag zwar heute den Einstieg<br />

in <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> fordern;<br />

diskutiert wird über eine Einheitsversicherung,<br />

<strong>die</strong> das bisherige<br />

System aus gesetzlicher und privater<br />

Krankenversicherung ablöst, schon<br />

seit mehr als zehn Jahren. Und <strong>die</strong><br />

<strong>Diskussion</strong>en dürften anhalten; das<br />

legen z<strong>um</strong>indest <strong>die</strong> Erfahrungen aus<br />

den Niederlanden nah. Dort wurde<br />

viele Jahrzehnte über eine einheitliche<br />

Versicherung für alle diskutiert,<br />

bis es endlich zu solch einer Reform<br />

kam. Und selbst als sich <strong>die</strong> großen<br />

Volksparteien Anfang der 90er-Jahre<br />

über den Systemwechsel einig waren,<br />

dauerte es noch mehr als 15 Jahre,<br />

bis <strong>die</strong> <strong>Bürgerversicherung</strong> 2006<br />

auch tatsächlich Realität wurde.<br />

Nicht nur was den Zeithorizont<br />

angeht, sollten <strong>die</strong> Politiker zur Orientierung<br />

einen Blick auf <strong>die</strong> Niederlande<br />

werfen. Die Erfahrungen von<br />

dort zeigen auch, dass der radikale<br />

Systemwechsel nicht gebracht hat,<br />

was seine geistigen Väter sich davon<br />

erwartet hatten. Und vor allem<br />

kommt aus dem Nachbarland im<br />

Westen auch eine Warnung: Denn<br />

der Systemwechsel hat <strong>die</strong> niederländischen<br />

Steuerzahler viel Geld<br />

gekostet.<br />

Zwar war <strong>die</strong> Situation in den Niederlanden<br />

vor der tiefgreifenden Reform<br />

eine völlig andere als hierzulande:<br />

Vor 2006 waren dort zwei Drittel<br />

der Menschen gesetzlich krankenversichert<br />

und ein Drittel privat. Anders<br />

als in Deutschland galt es dort<br />

als Privileg gesetzlich versichert zu<br />

sein: Ab einem gewissen Gehaltsniveau<br />

verloren Angestellte und<br />

Selbstständige das Recht darauf,<br />

vom staatlichen System versorgt zu<br />

werden; stattdessen mussten sie<br />

sich bei den privaten Versicherungen<br />

versichern. Tatsächlich flogen Angestellte<br />

häufig nach Gehaltserhöhung<br />

aus dem gesetzlichen System und<br />

mussten plötzlich viel höhere Prämien<br />

zahlen, <strong>die</strong> von Alter und Vorerkrankungen<br />

abhängig waren.<br />

Dieses System und sein Nebeneinander<br />

von gesetzlicher und privater<br />

Versicherung sorgte ähnlich<br />

wie hierzulande für Unverständnis.<br />

Hinzu kam ein weiteres Problem,<br />

das Privatversicherte hierzulande gut<br />

kennen: Zwischen den gesetzlichen<br />

Versicherungen in den Niederlanden<br />

herrschte zwar vor der Reform ein reger<br />

Wettbewerb <strong>um</strong> Mitglieder; unter<br />

den Privatversicherungen aber ka<strong>um</strong>.<br />

„Ein großer Teil der privat Versicherten<br />

steckte dort in einer Art Basistarif<br />

und für <strong>die</strong> gab es sogar überhaupt<br />

keinen Wettbewerb“, sagt Stefan<br />

Greß, Professor für Gesundheitsökonomie<br />

an der Hochschule Fulda. Eine<br />

Situation, <strong>die</strong> nicht ganz so extrem<br />

gewesen sei, wie <strong>die</strong> hierzulande.<br />

Von einer <strong>Bürgerversicherung</strong> versprachen<br />

sich <strong>die</strong> Volksparteien in<br />

den Niederlanden einen regen Wettbewerb<br />

<strong>um</strong> Mitglieder – nicht nur über<br />

günstigere Preise sondern auch über<br />

bessere Leistungen und innovativere<br />

Versorgungsmodelle. Schon wegen<br />

<strong>die</strong>ser Zielsetzung taugt das holländische<br />

Modell ka<strong>um</strong> als Blaupause für<br />

eine deutsche <strong>Bürgerversicherung</strong>.<br />

Trotzdem hat der Modellwechsel<br />

viele Lehren für Deutschland parat -<br />

insbesondere, wenn es dar<strong>um</strong> geht,<br />

Vorbild<br />

Niederlande?<br />

wie <strong>die</strong> Zustimmung für das neue<br />

Modell erkauft wurde: bei den privaten<br />

Versicherungen, den Ärzten –<br />

und bei den Bürgern.<br />

Der Widerstand gegen den geplanten<br />

Systemwechsel war Ende der<br />

80er-Jahre gewaltig und kam vorwiegend<br />

von den gleichen Gruppen wie<br />

hierzulande: Den privaten Krankenversicherungen,<br />

<strong>die</strong> <strong>um</strong> ihr Geschäft<br />

fürchteten und von den Ärzten. Um<br />

<strong>die</strong> Versicherungen für <strong>die</strong> Reform<br />

zu gewinnen, wählte <strong>die</strong> niederländische<br />

Politik eine pragmatische<br />

Lösung: In ihrer Variante der <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

sind alle Bürger privat<br />

versichert. Anders, sagen Experten,<br />

hätte sich das Projekt gegen den Willen<br />

der Versicherungen nicht durchsetzen<br />

lassen. Auch <strong>die</strong> Ärzte wurden<br />

mit mehr Geld überzeugt: Sie bekamen<br />

ab Anfang der 90er Jahre jedes<br />

Jahr etwas mehr Honorar für <strong>die</strong><br />

Behandlung gesetzlich Versicherter,<br />

während <strong>die</strong> Behandlung privater<br />

Patienten mit jedem Jahr ein wenig<br />

schlechter bezahlt wurde. Ende der<br />

90er-Jahre hatten sich <strong>die</strong> Erstattungen<br />

für beide Patientengruppen<br />

angeglichen.<br />

Teuer war <strong>die</strong>ser Schritt vor allem<br />

für <strong>die</strong> niederländischen Steuerzahler,<br />

denn <strong>die</strong> Politik hat <strong>die</strong> Mehrkosten<br />

für <strong>die</strong> höheren Arzthonorare vor<br />

allem über Steuerzuschüsse in der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung<br />

gedeckt. Die Krankenkassenbeiträge<br />

sollten auf keinen Fall steigen,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Wähler nicht zu vergrätzen.<br />

„Der Wechsel zur <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

führte für <strong>die</strong> niederländischen<br />

Steuerzahler zu Mehrbelastungen“,<br />

sagt Gesundheitsökonom Greß.<br />

„Die Regierung hat dabei sehr genau<br />

austariert, dass <strong>die</strong> meisten Versicherten<br />

durch <strong>die</strong> Reform finanziell<br />

sogar profitiert haben und nur ein<br />

geringer Teil Verluste erlitten hat.“<br />

Tatsächlich sind <strong>die</strong> Steuerzuschüsse<br />

in der niederländischen Krankenversicherung<br />

weit höher als etwa im<br />

deutschen System.<br />

„Die Einführung einer <strong>Bürgerversicherung</strong><br />

hat das niederländische<br />

Gesundheitssystem auf keinen Fall<br />

billiger gemacht“, sagt Gesundheitsökonom<br />

Greß. „Das war aber auch<br />

nicht das Ziel; das System sollte<br />

effizienter werden und den Versicherten<br />

durch mehr Wettbewerb<br />

zwischen den Versicherern bessere<br />

Leistungen bringen.“ In <strong>die</strong>ser Hinsicht<br />

hat <strong>die</strong> Reform allerdings bisher<br />

enttäuscht, sagt Greß.<br />

Das niederländische Gesundheitssystem<br />

ist eines der teuersten<br />

Gesundheitssysteme weltweit; in<br />

Europa geben nur noch Luxemburg,<br />

<strong>die</strong> Schweiz und Norwegen pro<br />

Kopf mehr für Gesundheit aus –<br />

und Deutschland. Dabei ist das<br />

niederländische System sehr viel<br />

kostenbewusster als das hiesige.<br />

Verantwortlich für <strong>die</strong> hohen Ausgaben<br />

pro Kopf ist dort vor allem der<br />

sehr große und teure Pflegesektor.<br />

Trotz der strengen Rationierung<br />

scheint das niederländische dem<br />

deutschen überlegen: Die Zahl der<br />

Todesfälle, <strong>die</strong> durch eine optimale<br />

Gesundheitsversorgung vermeidbar<br />

wären, ist in der EU nur noch<br />

in Luxemburg geringer – hierzulande<br />

ist sie dagegen weit höher. Die<br />

Niederländer sind zudem mit ihrem<br />

System hochzufrieden, in Bevölkerungsbefragungen<br />

gibt es ka<strong>um</strong><br />

Klagen darüber, dass es zu wenig<br />

Ärzte, Termine oder Krankenhauskapazitäten<br />

gebe.<br />

Tobias Kaiser, Wirtschaftsredakteur<br />

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Welt vom 20.12.2017<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


20<br />

Interview<br />

Ministerpräsident Winfried Kretschmann<br />

Innovative Ideen und beherztes Handeln<br />

zusammen mit den Berufsvertretungen<br />

Das deutsche Gesundheitssystem soll weltweit eines der besten<br />

bleiben – durch innovatives und beherztes Handeln der Akteure.<br />

Ministerpräsident Winfried Kretschmann betonte im Interview mit dem<br />

„Gesundheitstelegramm“: „Dies können wir nur zusammen mit den<br />

jeweiligen Berufsvertretungen schaffen.“ Im engen Schulterschluss<br />

mit den Krankenkassen, dem Landkreis- und dem Städtetag sowie<br />

mit dem Ministeri<strong>um</strong> für Soziales und Integration habe man „Maßstäbe<br />

bei der Zahngesundheitsförderung gesetzt“. Und weiter: „Aus den<br />

Selbstverwaltungen erhalten wir auch wichtige Impulse, <strong>um</strong> aus<br />

Baden-Württemberg <strong>die</strong> notwendigen Initiativen auf Bundesebene für<br />

<strong>die</strong> Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen einzubringen.“ Im<br />

Interview nimmt der Ministerpräsident Stellung zu den großen Themen<br />

in Baden-Württemberg und zu Schwerpunkten der Landesregierung<br />

für <strong>die</strong> Gesundheitspolitik.<br />

Zeiten. Viele Umbrüche fordern<br />

uns derzeit heraus: von der Globalisierung<br />

und Digitalisierung<br />

bis hin zur Flüchtlingskrise und<br />

dem Klimawandel. Sartre hat mal<br />

gesagt, vielleicht gäbe es schönere<br />

Zeiten, aber <strong>die</strong>se sei <strong>die</strong> unsere.<br />

Die gegenwärtigen Herausforderungen<br />

müssen wir annehmen,<br />

sie sind groß und machen nicht<br />

an parteipolitischen Grenzen halt.<br />

Eine Jamaika-Koalition im Bund<br />

hätte in <strong>die</strong>ser Hinsicht etwas<br />

Neues sein können – eine Koalition,<br />

in der <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />

Partner <strong>die</strong> großen Aufgaben mit<br />

Verantwortungsbewusstsein fürs<br />

Land gemeinsam angehen. Eine<br />

Einigung wäre auch möglich gewesen,<br />

wenn alle <strong>die</strong>s gewollt<br />

hätten.<br />

Impulse. Im Interview hob Ministerpräsident Winfried Kretschmann den „guten Austausch<br />

mit den Vertretungen und Gremien der Selbstverwaltungen“ hervor. Aus den<br />

Selbstverwaltungen erhalte <strong>die</strong> Landesregierung „wichtige Impulse, <strong>um</strong> aus Baden-<br />

Württemberg <strong>die</strong> notwendigen Initiativen auf Bundesebene für <strong>die</strong> Weiterentwicklung<br />

der Versorgungsstrukturen einzubringen.“<br />

Es war ein aufgewühltes Jahr<br />

2017 – von dem Amtsantritt des<br />

neuen US-Präsidenten, über <strong>die</strong><br />

neue Mehrheitsverteilung im<br />

Bundestag mit sieben Parteien<br />

nach der Wahl bis hin z<strong>um</strong><br />

überraschenden Jamaika-Aus.<br />

Können wir uns berechtigte Hoffnungen<br />

machen, dass das Jahr<br />

2018 ein etwas weniger turbulentes<br />

wird?<br />

Kretschmann: Wir leben nun einmal<br />

in bewegten und turbulenten<br />

Foto: Staatsministeri<strong>um</strong> Baden-Württemberg<br />

Was werden <strong>die</strong> großen Themen<br />

für das Land Baden-Württemberg<br />

sein?<br />

Mit einer verlässlichen, zukunftsorientierten<br />

Politik wollen wir den<br />

Zusammenhalt unserer Gesellschaft<br />

stärken, <strong>die</strong> Innovationskraft<br />

unserer Wirtschaft ausbauen<br />

und einen wirksamen Beitrag<br />

für den Klima- und Artenschutz<br />

leisten. Dieser Dreiklang ist ja<br />

das Leitbild unserer Landesregierung.<br />

Für den gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt investieren wir<br />

etwa massiv in <strong>die</strong> Bildung, damit<br />

jeder junge Mensch unabhängig<br />

von Geldbeutel und der Herkunft<br />

seiner Eltern etwas aus seinem<br />

Leben machen kann. Auch <strong>die</strong> Integration<br />

der Flüchtlinge, <strong>die</strong> bei<br />

uns bleiben, ist eine wichtige Aufgabe,<br />

der wir uns intensiv widmen.<br />

Meine Landesregierung setzt da<br />

auf Fördern und Fordern: Wir unterstützen<br />

<strong>die</strong> Neuankömmlinge<br />

nach Kräften bei der Integration,<br />

aber wir verlangen auch Anstrengung<br />

und Integrationswillen. Damit<br />

Baden-Württemberg auch<br />

ZBW 2/2018<br />

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Interview 21<br />

in Zukunft wirtschaftlich spitze<br />

bleibt, stellen wir heute <strong>die</strong> notwendigen<br />

Weichen für den Erfolg<br />

von morgen. Mit einer <strong>um</strong>fassenden<br />

Strategie investieren wir rund<br />

eine Milliarde Euro in <strong>die</strong> Digitalisierung<br />

und bringen damit unter<br />

anderem <strong>die</strong> personalisierte<br />

Medizin voran. Auch mit unserem<br />

neu angelegten Strategischen<br />

Dialog zur Automobilwirtschaft –<br />

einem bundesweit einmaligen<br />

Format – sorgen wir dafür, dass<br />

<strong>die</strong> Transformation der Automobilwirtschaft<br />

z<strong>um</strong> Erfolg wird<br />

und das Auto der Zukunft aus<br />

Untertürkheim vom Band rollt.<br />

Und auch beim Klima- und Artenschutz<br />

übernehmen wir Verantwortung.<br />

Wir haben vor kurzem<br />

ein Sonderprogramm z<strong>um</strong> Erhalt<br />

der biologischen Vielfalt verabschiedet<br />

und investieren gezielt<br />

in <strong>die</strong> Energiewende.<br />

Wie sehen <strong>die</strong> Schwerpunkte der<br />

Landesregierung für <strong>die</strong> Gesundheitspolitik<br />

im Jahr 2018 aus?<br />

Das Ziel unserer Gesundheitspolitik<br />

ist eine möglichst nahtlose,<br />

bedarfsgerechte und wirtschaftliche<br />

Versorgung. Sie soll sich am<br />

Patienten und seiner Lebenswelt<br />

orientieren und verstärkt kommunal<br />

und regional mitgestaltet<br />

werden. Auf Landesebene haben<br />

wir deshalb eine Koordinierungsstelle<br />

zur sektorenübergreifenden<br />

Versorgung eingerichtet. Die<br />

entsprechenden Modellprojekte<br />

hierzu sind auf einem guten Weg.<br />

Gemeinsam mit ausgesuchten<br />

Landkreisen untersuchen wir dabei<br />

neue Ansätze der ambulanten<br />

und sektorenübergreifenden Versorgung.<br />

Die Ergebnisse werden<br />

2018 vorliegen und in <strong>die</strong> weitere<br />

Ausgestaltung der Versorgung in<br />

Baden-Württemberg einfließen.<br />

Im Bereich der stationären<br />

Versorgung wird das Land seiner<br />

Investitionsverantwortung gerecht<br />

und begleitet Landkreise<br />

und Krankenhausträger insbesondere<br />

mit Nutzung des Krankenhausstrukturfonds.<br />

Im Präventionsbereich<br />

werden bei der<br />

Umsetzung des Präventionsgesetzes<br />

ganz neue Impulse für das<br />

Land gesetzt. Nichts verändert<br />

<strong>die</strong> Gesellschaften außerdem<br />

radikaler als der immer schneller<br />

voranschreitende technologische<br />

Wandel. Diese Entwicklung ist<br />

natürlich auch im Gesundheitsund<br />

Pflegebereich angekommen.<br />

Die Digitalisierung in Medizin und<br />

Pflege kann dazu beitragen, eine<br />

hochwertige, flächendeckende<br />

und effiziente Versorgung der<br />

Bevölkerung auch zukünftig sicherzustellen.<br />

Deshalb stellt das<br />

Ministeri<strong>um</strong> für Soziales und Integration<br />

im Rahmen der Digitalisierungsstrategie<br />

des Landes<br />

digital@bw rund vier Millionen<br />

Euro für 14 digitale Projekte im<br />

Gesundheits- und Pflegebereich<br />

zur Verfügung. Bei allen ausgewählten<br />

Projekten steht immer<br />

der spürbare, ganz konkrete Nutzen<br />

für <strong>die</strong> Patientinnen und Patienten<br />

und im Pflegebereich für<br />

<strong>die</strong> pflegenden Angehörigen im<br />

Mittelpunkt. Die Gesunderhaltung<br />

der Bevölkerung ist in Baden-Württemberg<br />

ein zentrales<br />

Anliegen der Gesundheitspolitik.<br />

Gesundheitsförderung und Prävention<br />

sowie <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der gesundheitlichen Chancengleichheit<br />

sind deshalb auch im<br />

Jahr 2018 ein Themenschwerpunkt.<br />

Welche Rolle spielt – Ihrer Ansicht<br />

nach – <strong>die</strong> Selbstverwaltung<br />

für <strong>die</strong> zukünftige Gesundheitsversorgung<br />

im Land?<br />

Ureigenste Aufgabe der Selbstverwaltung<br />

ist <strong>die</strong> organisierte<br />

Mitwirkung von Bürgerinnen und<br />

Bürgern bei Aufgaben, <strong>die</strong> gesetzlich<br />

definiert sind und <strong>die</strong> zu<br />

erfüllen im öffentlichen Interesse<br />

liegen. Unser Gesundheitssystem<br />

ist ja eines der besten weltweit.<br />

Damit <strong>die</strong>s auch so bleibt, braucht<br />

es auch innovative Ideen und beherztes<br />

Handeln. Dies können<br />

wir nur zusammen mit den jeweiligen<br />

Berufsvertretungen schaffen.<br />

Als Beispiel sei hier wieder<br />

<strong>die</strong> Zahngesundheit bei Kindern<br />

genannt. Die Landeszahnärztekammer<br />

Baden-Württemberg und<br />

<strong>die</strong> Kassenzahnärztliche Vereinigung<br />

Baden-Württemberg haben<br />

im engen Schulterschluss mit<br />

den Krankenkassen, dem Landkreis-<br />

und dem Städtetag sowie<br />

mit dem Ministeri<strong>um</strong> für Soziales<br />

und Integration ja Maßstäbe bei<br />

der Zahngesundheitsförderung<br />

gesetzt! Die Selbstverwaltungen<br />

der Zahnärztinnen und Zahnärzte<br />

wie auch der Ärztinnen und Ärzte<br />

und anderer Heilberufe sind wichtige<br />

Partner des Landes. Insofern<br />

pflegen ich und <strong>die</strong> gesamte Landesregierung<br />

einen guten Austausch<br />

mit den Vertretungen und<br />

Gremien der Selbstverwaltungen.<br />

Aus den Selbstverwaltungen erhalten<br />

wir auch wichtige Impulse,<br />

<strong>um</strong> aus Baden-Württemberg <strong>die</strong><br />

notwendigen Initiativen auf Bundesebene<br />

für <strong>die</strong> Weiterentwicklung<br />

der Versorgungsstrukturen<br />

einzubringen. Umgekehrt verstehen<br />

wir <strong>die</strong> Selbstverwaltungen<br />

im Gesundheitswesen auch als<br />

unsere Partner, <strong>um</strong> <strong>die</strong> politischen<br />

und rechtlichen Entscheidungen<br />

im Gesundheitswesen<br />

den jeweiligen Mitgliedern gut zu<br />

erklären und zu vermitteln.<br />

Herzlichen Dank für das Gespräch.<br />

<br />

KZV BW<br />

Gesundheitstelegramm<br />

Ein Start nach Maß: Anfang Januar<br />

konnten <strong>die</strong> Zahnärztinnen<br />

und Zahnärzte Baden-Württembergs<br />

topaktuell und exklusiv<br />

das Interview mit Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann im<br />

neuen Gesundheitstelegramm<br />

der KZV BW lesen. Das wöchentlich<br />

erscheinende „GT“ bringt<br />

<strong>die</strong> relevanten Nachrichten und<br />

Informationen – aktuell, schnell,<br />

analysierend, kommentierend,<br />

gründlich recherchiert. Mit direktem<br />

Zugriff auf jeden einzelnen<br />

Beitrag: Sie lesen, was Sie<br />

interessiert. Das neue „GT“ ist<br />

eingebunden in das neue News-<br />

Portal der KZV BW, in dem auch<br />

das Rundschreiben der KZV BW<br />

und <strong>die</strong> Newsletter angeboten<br />

werden: https://news-portal.<br />

kzvbw.de.<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


22<br />

Fortbildung<br />

Systematische Parodontitisbehandlung<br />

Mikrobiologischer Nachweis<br />

parodontalpathogener Bakterien<br />

Die Parodontitis ist eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparates, hervorgerufen von Bakterien,<br />

<strong>die</strong> in polymikrobiellen Biofilmen am Gingivarand bzw. in den parodontalen Taschen leben (8, 67).<br />

Charakteristisch ist der meist in Schüben verlaufende, fortschreitende Verlust von parodontalem<br />

Gewebe. Dieser ist das Resultat einer Immunantwort auf spezifische subgingivale Bakterienarten, sogenannte<br />

Parodontalpathogene (Abb. 1). Voraussetzung für den Beginn und das Fortschreiten der parodontalen<br />

Erkrankung ist das Auftreten mehrerer Faktoren zur selben Zeit: <strong>die</strong> Anwesenheit parodontalpathogener<br />

Bakterien, ein für sie günstiges lokales Milieu und <strong>die</strong> Anfälligkeit des Wirts (21).<br />

Bakterielle Dysbiose. Erkenntnisse aus den vergangenen<br />

Jahren verdeutlichen zunehmend <strong>die</strong> Rolle der Zellen<br />

des Immunsystems beim Übergang einer Gingivitis<br />

in eine Parodontitis. Dabei sind <strong>die</strong> Aufgaben von neutrophilen<br />

Granulozyten bei der Immunantwort deutlich<br />

vielfältiger als lange Zeit angenommen in Hinblick auf<br />

<strong>die</strong> Kommunikation mit anderen Zellen und ihr Zeitpunkt<br />

des Auftretens bei der Parodontitis. Man spricht<br />

heutzutage von einer Dysbiose des bakteriellen Biofilms<br />

anstelle einer Infektion (23).<br />

Die Bakterien leben in einem hoch organisierten Biofilm,<br />

wo sie von einer Matrix aus Proteinen, extrazellulären<br />

Polysacchariden und extrazellulärer DNA <strong>um</strong>hüllt<br />

und dadurch geschützt sind. Obwohl einzelne Spezies wie<br />

Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia, Treponema<br />

denticola, Prevotella intermedia oder Fusobacteri<strong>um</strong><br />

nucleat<strong>um</strong> z<strong>um</strong> Teil stark mit Auftreten, Schweregrad<br />

und Verlauf einer Parodontitis assoziiert sind (siehe<br />

unten), handelt es sich nicht <strong>um</strong> eine spezifische Infektion<br />

einzelner Erreger. Vielmehr wird <strong>die</strong> Erkrankung durch<br />

eine „pathogene mikrobielle Gemeinschaft“ als Gesamtheit<br />

(„Gemeinschaft-als-Pathogen-Modell“) ausgelöst<br />

(57). Diese entwickelt sich auf der Grundlage einer mikrobiellen<br />

Dysbiose, d. h. einer Verschiebung weg von<br />

einer symbiotischen apathogenen Mikroflora hin zu einer<br />

dysbiotischen pathogenen Mikroflora (22). Der „mikrobielle<br />

Shift“ wird hervorgerufen durch eine Zunahme potenziell<br />

pathogener Spezies (bzw. der Expression bislang<br />

nicht aktiver Virulenzgene) oder/und durch eine Reduktion<br />

apathogener, also günstiger Bakterien.<br />

Abb. 1<br />

Klinisches Bild der Parodontitis<br />

Derartige Verschiebungen im Keimspektr<strong>um</strong> können<br />

durch eine Vielzahl exogener und endogener Faktoren<br />

ausgelöst werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei das<br />

Immunsystem des Wirts. Die genetisch determinierte<br />

Intensität der Entzündungsantwort beeinflusst das lokale<br />

Milieu, beispielsweise über <strong>die</strong> Menge und Zusammensetzung<br />

der Gingivaflüssigkeit, und damit <strong>die</strong> Zusammensetzung<br />

der Mikroflora (69). Beobachtet wurde<br />

auch eine Assoziation zwischen parodontalpathogenen<br />

Bakterien und verschiedenen Herpesviren (Epstein-<br />

Barr-Virus, Cytomegalie-Virus) bei der Pathogenese der<br />

Parodontitis (54).<br />

Die lokalen Milieubedingungen in der Plaque bzw. in<br />

den parodontalen Taschen (Nährstoffangebot, Temperatur,<br />

pH, osmotischer Druck, Redoxpotenzial, Ionenkonzentration)<br />

beeinflussen <strong>die</strong> Zusammensetzung des<br />

Biofilms wie auch das pathogene Potenzial einzelner<br />

Bakterien (21, 36). Auch Lebensstil und Ernährungsverhalten<br />

können für <strong>die</strong> Entstehung einer Parodontitis eine<br />

Rolle spielen. So wurde bei Personen mit ungesunden<br />

Lebensgewohnheiten (Tabakrauchen, Alkoholkons<strong>um</strong>,<br />

geringe körperliche Aktivität, ungesunde Ernährung)<br />

signifikant häufiger eine generalisierte chronische Parodontitis<br />

festgestellt als bei Personen mit gesunden Lebensgewohnheiten<br />

(18). In einer anderen Stu<strong>die</strong> bewirkte<br />

eine vierwöchige Paleo-Diät eine Verschiebung der<br />

mikrobiellen Flora zugunsten nicht-parodontalpathogener<br />

Bakterien in der Plaque sowie der Reduktion der Besiedlung<br />

mit T. forsythia und A. actinomycetemcomitans<br />

im Bereich des Zungenrückens (3).<br />

Parodontalpathogene Markerkeime sind stets auf <strong>die</strong><br />

Anwesenheit eines bereits etablierten Biofilms angewiesen<br />

(63). Wird <strong>die</strong>ser Biofilm regelmäßig durch Mundhygiene<br />

entfernt, kann er nicht reifen und es fehlen<br />

<strong>die</strong> notwendigen Lebensbedingungen (z. B. anaerobe<br />

Atmosphäre) für das Wachst<strong>um</strong> parodontalpathogener<br />

Keime. Limitationen <strong>die</strong>ses Modells sind jedoch seltene<br />

Fälle, bei denen es trotz suffizienter Mundhygiene<br />

zu einem Fortschreiten der parodontalen Destruktion<br />

kommt. Neben dem individuellen und genetisch determinierten<br />

Immunsystem eines Patienten scheinen hierfür<br />

bestimmte Virulenzfaktoren der Parodontalpatho-<br />

ZBW 2/2018<br />

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Fortbildung 23<br />

Abb. 2<br />

Subgingivales Mikrobiom. Bakterielle Verteilung und Gruppierung des subgingivalen Mikrobioms (63). Besonders pathogene<br />

Erreger sind unterstrichen und dadurch optisch hervorgehoben: Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia, Treponema<br />

denticola, Prevotella intermedia und Aggregatibacter actinomycetemcomitans.<br />

gene verantwortlich zu sein. In <strong>die</strong>sen Fällen kann der<br />

adjuvante Einsatz von Antibiotika notwendig werden. In<br />

<strong>die</strong>sem Artikel sollen <strong>die</strong> Indikationen für eine systemische<br />

antimikrobielle Therapie beschrieben werden. Ziel<br />

ist es den rationalen Einsatz von Antibiotika auf Basis<br />

einer mikrobiologischen Diagnostik darzustellen und<br />

<strong>die</strong> Einsatzmöglichkeiten für einen Bakteriennachweis<br />

im Rahmen der Parodontitistherapie zu erläutern. (41).<br />

Mikrobielle Flora in parodontalen Taschen. Es<br />

lassen sich knapp 700 verschiedene Bakterienarten in<br />

der menschlichen Mundhöhle nachweisen, davon können<br />

schätzungsweise 200 Arten in einem Individu<strong>um</strong><br />

vorkommen (14). Davon konnte bislang nur knapp <strong>die</strong><br />

Hälfte kultiviert und näher im Zusammenhang mit der<br />

Parodontitis charakterisiert werden. Der Großteil <strong>die</strong>ser<br />

Erreger lebt symbiotisch. Sie sind daher als physiologische<br />

Kommensalen zu bezeichnen. Nach heutigem<br />

Wissensstand gibt es lediglich einige wenige sogenannte<br />

„Leit- oder Markerkeime“ (Porphyromonas gingivalis,<br />

Tannerella forsythia, Treponema denticola, Prevotella<br />

intermedia und Aggregatibacter actinomycetemcomitans),<br />

<strong>die</strong> mit der Entstehung und Progression einer Parodontitis<br />

eng assoziiert sind (74) (Abb. 2). Alle Keime<br />

des subgingivalen Mikrobioms sind in fünf phylogenetisch<br />

eng verwandte Gruppen in einer Pyramide nach<br />

ihrer Häufigkeit angeordnet (63). Dieses Modell wurde<br />

durch <strong>die</strong> heutige Idee des dysbiotischen Biofilms teilweise<br />

überholt (23). Manche Spezies profitieren von sich<br />

verändernden Umweltbedingungen, wie beispielsweise<br />

einer Immunschwäche, und werden als opportunistische<br />

Erreger angesehen. Zu <strong>die</strong>sen Keimen gehört Aggregatibacter<br />

actinomycetemcomitans (26).<br />

Nach der Komplextheorie vollzieht sich <strong>die</strong> Ansiedlung<br />

von Parodontalpathogenen nach einer bestimmten<br />

Abfolge und in Form voneinander unterscheidbarer<br />

Bakterienkomplexe. Die Basis bilden Frühkolonisierer,<br />

hauptsächlich vergrünende Streptokokken (gelber Komplex)<br />

und Actinomyces spp. (blauer Komplex). Es handelt<br />

sich <strong>um</strong> grampositive, überwiegend aerobe Erreger,<br />

welche einen Teil der physiologischen Flora darstellen<br />

(9, 33, 65).<br />

Wird das immunologische Gleichgewicht durch Zunahme<br />

des bakteriellen Biofilms oder durch Störungen<br />

des Immunsystems verändert, verschiebt sich <strong>die</strong> mikrobielle<br />

Flora zugunsten gramnegativer anaerober Erreger<br />

(35). Der erste mit pathologischen Veränderungen<br />

assoziierte Komplex ist der „orange Komplex“. Dieser<br />

enthält gramnegative anaerobe Spezies mit einer moderaten<br />

bis hohen Pathogenität, wie Prevotella intermedia<br />

und Fusobacteri<strong>um</strong> nucleat<strong>um</strong>, und grampositive anaerobe<br />

Erreger wie Parvimonas micra (Abb. 2) (11, 12).<br />

Diese sogenannten „Brückenspezies“ sind Wegbereiter<br />

für <strong>die</strong> Besiedelung mit den hochpathogenen Bakterien<br />

des „roten Komplex“. Neben Treponema denticola und<br />

Tannerella forsythia ist es vor allem Porphyromonas gingivalis,<br />

der eine sehr hohe Pathogenität besitzt und über<br />

verschiedene Immunevasionsstrategien verfügt (26). So<br />

scheint P. gingivalis in der Lage zu sein, in Epithelzellen<br />

einzudringen (32, 53). Eine besondere Relevanz bei der<br />

Parodontitis hat darüber hinaus A. actinomycetemcomitans.<br />

Auf molekularer Ebene besitzt <strong>die</strong>ser Keim neben<br />

diversen Virulenzfaktoren vor allem ein sehr potentes<br />

Toxin (Leukotoxin) zur Abwehr weißer Blutkörperchen<br />

(Leukozyten) und anderer Komponenten des Immunsystems<br />

(1, 28). Zudem besitzt der Erreger <strong>die</strong> Fähigkeit zur<br />

Epithelzellinvasion und damit z<strong>um</strong> fakultativ intrazellulären<br />

Wachst<strong>um</strong>. In Kombination mit einem hoch organisierten<br />

bakteriellen Biofilm bietet <strong>die</strong>se Eigenschaft den<br />

Parodontitiserregern daher einen weiteren in vivo Schutz<br />

gegenüber äußeren Einwirkungen wie Antiseptika und<br />

antimikrobiellen Substanzen (64).<br />

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ZBW 2/2018


24<br />

Fortbildung<br />

a<br />

Abb. 3a<br />

b<br />

Abb. 3b<br />

Materialanlage und bakterielle Anzucht im mikrobiologischen<br />

Labor: (a) Materialanlage im mikrobiologischen Labor<br />

mit einem 3-Ösen-Ausstrich auf einer Schaedler-Platte.<br />

(b) Anaerobe Bebrütung im BD GasPak System über mindestens<br />

48 Stunden.<br />

Nicht jeder Träger von vermeintlich pathogenen<br />

Bakterien erkrankt jedoch an einer Parodontitis (71,<br />

74). Determinierend für <strong>die</strong> Parodontitis ist vielmehr<br />

eine Veränderung in der Zusammensetzung wie auch<br />

der Konzentration der Keime des subgingivalen Mikromilieus.<br />

So lassen sich beispielsweise deutlich<br />

mehr Keime des roten Komplexes in erkrankten als<br />

in gesunden Taschen nachweisen (62) (Abb. 2). Eine<br />

vollständige Elimination der pathogenen Keime ist<br />

daher für den Erfolg einer antimikrobiellen Parodontitistherapie<br />

weder notwendig noch möglich. Übergeordnetes<br />

Ziel ist vielmehr <strong>die</strong> Reduktion der Markerkeime<br />

(19).<br />

Die Komplextheorie ist nicht frei von offenen Fragen<br />

und Widersprüchen. So lassen sich parodontalpathogene<br />

Spezies wie P. gingivalis und T. forsythia häufig auch<br />

bei parodontal gesunden Personen isolieren (52). Untersuchungen<br />

mit verfeinerten molekularbiologischen<br />

Analyseverfahren deuten außerdem darauf hin, dass <strong>die</strong><br />

Diversität der subgingivalen Flora deutlich größer ist, als<br />

<strong>die</strong>s bisher bekannt war (36, 67). In einer anderen Stu<strong>die</strong><br />

war <strong>die</strong> Assoziation von bislang nicht beschriebenen<br />

Phylotypen (z. B. Deferribacteres, Bacteroidetes) mit<br />

chronischer Parodontitis z<strong>um</strong> Teil stärker als <strong>die</strong> von P.<br />

gingivalis und T. forsythia (31). Allerdings sind endgültige<br />

Aussagen über <strong>die</strong> Bedeutung vermeintlich neuer Parodontalpathogene,<br />

<strong>die</strong> bislang nur anhand von Genfragmenten<br />

identifiziert worden sind, erst möglich, wenn es<br />

gelingt <strong>die</strong>se zu kultivieren. Bis dahin sollte sich <strong>die</strong> mikrobiologische<br />

Diagnostik auf den Nachweis bekannter<br />

Parodontalpathogene wie P. gingivalis, T. forsythia und<br />

A. actinomycetemcomitans mithilfe anerkannter Analyseverfahren<br />

stützen.<br />

Mechanische Therapie. Die Grundlage jeder erfolgreichen<br />

parodontalen Therapie ist eine optimale häusliche<br />

Mundhygiene des Patienten. Solange der Patient<br />

nicht über <strong>die</strong> Ursachen der Erkrankung aufgeklärt und<br />

keine Demonstration und Instruktion der Mundhygienehilfsmittel<br />

durch Fachpersonal erfolgt ist, sollte nicht<br />

mit der Parodontaltherapie begonnen werden (46). Dazu<br />

gehört es auch, eine hygienefähige Situation für den Patienten<br />

durch Füllungstherapie oder Entfernung überstehender<br />

Restaurationsränder zu schaffen.<br />

Leichte und moderate Verlaufsformen der chronischen<br />

Parodontitis lassen sich auf <strong>die</strong>ser Basis sowie<br />

einer anschließenden gründlichen mechanischen antiinfektiösen<br />

Behandlung erfolgreich therapieren (58). Mechanisches<br />

Debridement der Wurzeloberfläche zerstört<br />

den komplexen mikrobiellen Biofilm und stellt <strong>die</strong> Basis<br />

einer jeden Parodontitistherapie dar (46). Gleich effektiv<br />

ist es, Handinstr<strong>um</strong>ente sowie Schall- bzw. Ultraschallinstr<strong>um</strong>ente<br />

zu nutzen (68). Die Anwendung von<br />

maschinellen Instr<strong>um</strong>enten ist insgesamt jedoch zeitsparender<br />

(10). Zur Unterstützung können Antiseptika,<br />

a<br />

b<br />

Abb. 4a<br />

Abb. 4b<br />

Mischflora. Prinzip der Subkultivierung einer anaeroben Mischflora: (a) Angezüchtete anaerobe Mischflora nach 2-tägiger<br />

Bebrütung auf Schaedler-Agar. (b) Subkultivierung der verschiedenen Erreger und Herstellung einer Reinkultur.<br />

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Fortbildung 25<br />

wie z. B. Spülungen mit Chlorhexidindiglukonat oder<br />

ätherischen Ölen eingesetzt werden. Hierdurch werden<br />

Reinfektionen nach der Therapie vermieden. Eine<br />

detaillierte Beschreibung findet sich im „One-stagefull-mouth-disinfection“-Konzept<br />

nach Quirynen et al.<br />

(48). Dieses sieht neben einer vollständigen geschlossenen<br />

Therapie innerhalb von 24 bis 48 Stunden eine<br />

Desinfektion der Tonsillen, des Zungenrückens und<br />

wiederholte Taschenspülung durch Chlorhexidindiglukonat<br />

vor. Da Antiseptika den Biofilm im Gegensatz zur<br />

mechanischen Therapie nicht von der Zahnoberfläche<br />

ablösen bzw. dessen Integrität zerstören, können sie jedoch<br />

das Scaling und Root Planing nicht ersetzen (6,<br />

13).<br />

Abb. 5a<br />

Abb. 5b<br />

Erregeridentifizierung mittels MALDI-TOF (Matrix–Assistierte Laser–Desorption–Ionisierung (MALDI) mit Flugzeitanalyse<br />

(engl. time of flight, TOF)): Die Speziesidentifikation der Erreger erfolgt im modernen mikrobiologischen Labor durch<br />

<strong>die</strong> Massenanalyse von bakteriellen Zellwandbestandteilen. Die Bakterienkolonien werden auf einer Matrix aufgebracht.<br />

Ein gepulster Laser-Strahl verdampft <strong>die</strong> Bakterien. Die Zellwandbestandteile werden so desorbiert und ionisiert. Die so<br />

geladenen Molekülbruchstücke können in einem Massenspektrometer beschleunigt und ihre jeweilige TOF auf einem Detektor<br />

registriert werden. Es entstehen keimspezifische Spektren, <strong>die</strong> Rückschlüsse auf den jeweiligen Erreger erlauben.<br />

a<br />

b<br />

c<br />

d<br />

e<br />

f<br />

Abb. 6a-f<br />

Resistenztestung durch Bestimmung der Minimalen Hemmkonzentration (MHK): Beispielhafte Resistenztestung von<br />

Porphyromonas spp. (a-c) bzw. Aggregatibacter spp. (d-e) mittels E (Epsilometer)-Testung unter anaeroben Bedingungen.<br />

Bei Porphyromonas spp. werden nach aktuellen EUCAST (European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing)-<br />

Empfehlungen (2017) MHKs ≤ 4 µg/ml für alle drei getesteten Antibiotikagruppen als sensibel bewertet (a) Amoxicillin/Clavulansäure<br />

(AUG, MHK = 0.016 µg/ml, sensibel), (b) Metronidazol (MTZ, MHK = 0.016 µg/ml, sensibel), (c) Clindamycin (CD,<br />

MHK < 0.016 µg/ml, sensibel). Für Aggregatibacter spp. gibt es gegenwärtig keine offiziellen EUCAST-Empfehlungen. Für <strong>die</strong><br />

verwandte Spezies Kingella spp. wird eine AUG MHK ≤ 2 µg/ml als sensibel gewertet. Hieraus ergibt sich folgende Resistenzbewertung:<br />

(d) AUG MHK = 0.5 µg/ml, sensibel, (e) MTZ MHK > 256 µg/ml, resistent, (f) CD MHK > 256 µg/ml, resistent.<br />

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26<br />

Fortbildung<br />

a<br />

b<br />

c<br />

d<br />

Abb. 7a-d<br />

DNA-Extraktion aus den Taschenprobenstreifen und praktische Durchführung der real-time Polymerasekettenreaktion<br />

(PCR). (a) Mittels des Nexttec DNA Isolation Systems wird <strong>die</strong> vorhandene bakterielle DNA aus dem Probenstreifen in 50<br />

µl Elutionspuffer gelöst. (b) Zur Amplifikation der bakteriellen DNA aus den parodontalen Taschen werden neben der eluierten<br />

Patientenprobe (1), erregerspezifische Primer (hier P. intermedia (P.i.) und T. forsythia (T.f.)) (2), passende keimspezifische<br />

fluoreszierende TaqMan-Sonden (hier P.i.-Sonde gekoppelt mit Cy5 und T.f.-Sonde gekoppelt mit FAM) (3) sowie<br />

PCR-Puffer, Nukleotide und DNA-Polymerase (4) verwendet. (c) Die Amplifikation der bakteriellen DNA erfolgt im Bio-Rad<br />

iQ5 Thermocycler. (d) Zur Auswertung der real-time PCR <strong>die</strong>nt anschließend <strong>die</strong> Bio-Rad iQ5-Software.<br />

Die Grenzen der rein mechanischen Therapie liegen<br />

sowohl bei schweren chronischen und aggressiven Verlaufsformen<br />

der Parodontitis wie auch bei Parodontitis in<br />

Kombination bzw. auf dem Boden von immunsupprimierenden<br />

Systemerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus oder<br />

HIV (43)). Ursächlich hierfür sind – ähnlich wie oben<br />

dargestellt – Keime, <strong>die</strong> sich der mechanischen Therapie<br />

entziehen (16, 63, 73). Gesteigert wird der Therapieerfolg<br />

durch eine begleitende systemische Antibiotikatherapie<br />

(37, 49, 61). Jedoch ist der komplexe und hoch organisierte<br />

Biofilm gegenüber äußeren Einflüssen, wie auch<br />

Antibiotika, sehr widerstandsfähig (17). Die mechanische<br />

Desintegration des Biofilms erhöht <strong>die</strong> Wirksamkeit der<br />

antimikrobiellen Therapie (29). Daher sollten Antibiotika<br />

immer additiv und nicht alternativ zur mechanischen Therapie<br />

eingesetzt werden. Der beste Zeitpunkt für den Beginn<br />

der Einnahme ist der letzte Behandlungstag der mechanischen<br />

Therapie (30, 38), entweder am Morgen des<br />

Behandlungstages oder direkt im Anschluss an <strong>die</strong> Therapie.<br />

Eine adjuvante Antibiotikatherapie kann in schweren<br />

Fällen zudem den weiteren chirurgischen Therapiebedarf<br />

verringern oder gänzlich vermeiden (40).<br />

Bakterieller Erregernachweis. Der mikrobiologische<br />

Erregernachweis ermöglicht <strong>die</strong> Bestimmung der mikrobiellen<br />

Flora und liefert – in Abhängigkeit des Testverfahrens<br />

– eine qualitative oder quantitative Angabe der<br />

vorliegenden Erreger. Das labordiagnostische Ergebnis<br />

differenziert jedoch nicht zwischen einer chronischen<br />

und aggressiven Parodontitis (39, 55). Diagnostisch und<br />

therapeutisch entscheidend hierfür sind zunächst einmal<br />

das klinische Bild, <strong>die</strong> spezielle Anamnese und der röntgenologische<br />

Befund des Patienten. Die daraus abgeleitete<br />

Diagnose kann, je nach Art und Schweregrad der Erkrankung,<br />

eine Indikation zur Keimlastbestimmung liefern.<br />

Eine gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft<br />

für Parodontologie (DG Paro) und der Deutschen<br />

Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde<br />

(DGZMK) empfiehlt eine mikrobiologische Diagnostik<br />

bei folgenden Diagnosen (5):<br />

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Fortbildung 27<br />

• Aggressive Parodontitis<br />

• Generalisierte schwere chronische Parodontitis<br />

• Therapieresistente Parodontitiden, bei denen es trotz<br />

adäquater mechanischer Therapie zu fortschreitendem<br />

Attachmentverlust kommt<br />

• Schwere Parodontitiden in Verbindung mit systemischen<br />

Erkrankungen (z. B. Diabetes, Immunsuppression)<br />

Sollte das Testergebnis trotz offensichtlicher klinischer<br />

Befunde negativ ausfallen, könnte <strong>die</strong>s daran<br />

liegen, dass bislang nicht kultivierbare und daher nicht<br />

näher identifizierte Mikroorganismen an der Krankheitsentstehung<br />

beteiligt sind. Weitere Möglichkeiten<br />

bestehen in einer dysregulierten Immunantwort, einer<br />

genetischen Prädisposition oder Defekten im Bereich<br />

des Kollagen- oder Knochenmetabolismus.<br />

Das Ergebnis der mikrobiologischen Tests hilft bei der<br />

Entscheidung, ob und mit welchem Wirkstoff eine adjuvante<br />

antimikrobielle Therapie notwendig ist. Zudem ist<br />

es sinnvoll, nach Abschluss der antiinfektiösen Therapie<br />

erneut eine mikrobielle Diagnostik durchzuführen, <strong>um</strong><br />

den Therapieerfolg zu überprüfen (15, 60). Dafür ist, wie<br />

bereits erwähnt, nicht immer eine vollständige Elimination<br />

der Keime notwendig. In vielen Fällen ist bereits<br />

eine Reduktion der Keimlast ausreichend.<br />

Im Falle eines Therapiemisserfolgs, bei klinisch persistierender<br />

Entzündung und progre<strong>die</strong>ntem Attachmentverlust,<br />

kann unter Umständen eine weitergehende<br />

mikrobiologische Diagnostik mit Erregeranzucht und<br />

Resistenztestung versucht werden. Zuvor sollte allerdings<br />

sichergestellt werden, dass nicht eine unterbliebene<br />

oder fehlerhafte Einnahme der Antibiotika durch den<br />

Patienten für den ausbleibenden Therapieerfolg verantwortlich<br />

ist.<br />

Labordiagnostische Testverfahren. Es existieren<br />

verschiedene Testverfahren z<strong>um</strong> Nachweis der Erreger<br />

des subgingivalen Mikrobioms, <strong>die</strong> mit ihren Vorund<br />

Nachteilen im Folgenden erläutert werden sollen.<br />

Kultur. Grundsätzlich besteht <strong>die</strong> „eher theoretische“<br />

Möglichkeit, Bakterien aus parodontalen Taschen kulturell<br />

anzuzüchten. Dies gilt insbesondere für <strong>die</strong> fünf<br />

Markerkeime der Parodontitis (P. gingivalis, T. forsythia,<br />

T. denticola, P. intermedia und A. actinomycetemcomitans).<br />

Da es sich größtenteils <strong>um</strong> obligat anaerobe<br />

Keime handelt, können hierzu in der bakteriologischen<br />

Routinediagnostik Flüssignährme<strong>die</strong>n (Thioglycolat-<br />

Boullion: enthält u. a. Kasein- und Sojapeptone, Glucose,<br />

B-Vitamine, Hämin und Vitamin K1) sowie Festnährme<strong>die</strong>n<br />

(Schaedler-Agar mit Schafblut, Schaedler-<br />

Kanamycin-Vancomycin-Agar mit Schafblut) verwendet<br />

werden. Antibiotikazusätze im Agarmedi<strong>um</strong> <strong>die</strong>nen<br />

der Keimselektion durch Hemmung des Wachst<strong>um</strong>s von<br />

fakultativ anaeroben gramnegativen Stäbchen (Kanamycin)<br />

bzw. obligat anaeroben grampositiven Stäbchen<br />

(Vancomycin). Aufgrund der Probenabnahme aus den<br />

parodontalen Taschen mittels eines Papierstreifens ist<br />

eine initiale kulturelle Anzucht mittels Drei-Ösen-Ausstrich<br />

(Abb. 3a) grundsätzlich nicht möglich. Stattdessen<br />

müssen <strong>die</strong> Erreger zunächst in einem Thioglycolat-Flüssignährmedi<strong>um</strong><br />

angezüchtet werden, <strong>um</strong> sie anschließend<br />

auf Festnährme<strong>die</strong>n zu subkultivieren. Dieses<br />

Prozedere schränkt <strong>die</strong> Quantifizierbarkeit der Erreger<br />

ein. Die Kultur der Festnährme<strong>die</strong>n erfolgt zudem stets<br />

unter anoxischen Bedingungen in einem Anaerobiertopf<br />

(Abb. 3b) für mindestens weitere 48 Stunden. Mit <strong>die</strong>sen<br />

Verfahren können <strong>die</strong> verschiedenen Keime nun visuell<br />

durch ihre unterschiedlichen Wachst<strong>um</strong>scharakteristika<br />

(Kolonieform und -farbe) unterschieden werden (Abb.<br />

4a). Einzelkolonien werden dann weiter zur Herstellung<br />

einer Reinkultur auf einem frischen Festnährmedi<strong>um</strong><br />

subkultiviert (Abb. 4b). Mittels MALDI-TOF (Matrix-<br />

Assistierte Laser-Desorption-Ionisierung (MALDI) mit<br />

Flugzeitanalyse (engl. time of flight, TOF) lässt sich anschließend<br />

<strong>die</strong> Erregerspezies identifizieren (Abb. 5a, b).<br />

Zudem bietet <strong>die</strong> bakterielle Anzucht <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

der Resistenztestung mittels E-Testung (Epsilometer-<br />

Testung). Exemplarisch wurde hier eine Resistenztestung<br />

für Porphyromonas spp. (Abb. 6a, b, c) bzw.<br />

Aggregatibacter spp. (Abb. 6d, e, f) durchgeführt. Im<br />

Vergleich zu Porphyromonas spp. zeigt sich bei Aggregatibacter<br />

spp. eine Resistenz gegenüber Metronidazol<br />

(MTZ) und Clindamycin (CD) durch ein Keimwachst<strong>um</strong><br />

bis zu einer Antibiotikakonzentration von 256 µg/<br />

ml (Abb. 6e, f). Zusammenfassend ist <strong>die</strong> kulturelle<br />

Erregeranzucht jedoch sehr aufwändig, langwierig und<br />

kostenintensiv. Sie bleibt daher nur ausgewählten, speziellen<br />

Fragestellungen vorbehalten. Darüber hinaus ist<br />

präanalytisch zu berücksichtigen, dass anaerobe Keime<br />

sehr schnell in Kultur gebracht werden müssen, da sie<br />

andernfalls bereits auf dem Transport absterben. Zudem<br />

können kulturell nur etwa 50 Prozent der oralen Mikrobiota<br />

angezüchtet werden (42, 45).<br />

Molekularbiologische Verfahren. Im Gegensatz zur<br />

kulturellen Erregeranzucht, <strong>die</strong> schnelle Transportzeiten<br />

z<strong>um</strong> Nachweis viabler Erreger voraussetzt, basieren<br />

molekularbiologische Testverfahren der fünf Parodon-<br />

Abb. 8<br />

Auswertung der real-time PCR-Ergebnisse: Das Ergebnisdiagramm<br />

gibt <strong>die</strong> für jeden Keim bestimmte Erregermenge<br />

in Bezug auf <strong>die</strong> untersuchte Probe an. Keimzahlen<br />

kleiner 100 Bakterien je Probe befinden sich unterhalb der<br />

Nachweisgrenze (< 1 x 10 2 ). Keimzahlen > 1 x 10 10 liegen<br />

oberhalb des linearen Messbereichs und können daher<br />

nicht mit der nötigen Genauigkeit angegeben werden.<br />

Abkürzungen: A. a.: Aggregatibacter actinomycetemcomitans,<br />

P.g.: Porphyromonas gingivalis, T.f.: Tannerella forsythia,<br />

P.i.: Prevotella intermedia, T.d.: Tannerella denticola.<br />

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28<br />

Fortbildung<br />

Teststreifen eluiert. Vorhandene RNA wird durch Zusatz<br />

von RNase A verdaut (Abb. 7a). Die isolierte bakterielle<br />

DNA wird anschließend mit einer Multiplex<br />

Polymerasekettenreaktion (PCR) amplifiziert. Hierbei<br />

werden (wie in <strong>die</strong>sem Fall für P. intermedia und T.<br />

forsythia dargestellt) je zwei Zielsequenzen gleichzeitig<br />

mittels spezifischer Primer vervielfältigt (Abb. 7b).<br />

Die PCR-Reaktion besteht dazu aus drei Schritten: (1)<br />

Denaturierung der DNA-Doppelstränge (bei ca. 95 °C),<br />

(2) Primerhybridisierung (Annealing) an den DNA-Eina<br />

b<br />

c<br />

Polymerasekettenreaktion. Molekularbiologische Grundlagen der real-time Polymerasekettenreaktion (PCR): PCR-Amplifikate<br />

werden mittels Hybridisierungssonden nachgewiesen. (a) Im Nativzustand sind sowohl das Fluorophor (hier Cy5 (Cy5-<br />

Succinimidylester)) wie auch der Quencher (hier BHQ-2) an <strong>die</strong> DNA-Hybridisierungssonde gebunden. Hierdurch wird <strong>die</strong><br />

eine Lichtemission bei fluoreszenzoptischer Anregung des Fluorophors verhindert. (b) Während der DNA-Amplifikation bindet<br />

<strong>die</strong> Hybridisierungssonde komplementär an den entstehenden DNA-Einzelstrang. (c) Der DNA-Einzelstrang wird durch <strong>die</strong><br />

DNA-Polymerase – ausgehend von den sequenzspezifischen 16S rRNA (ribosomale RNA) Gen Primerbindungsstellen – z<strong>um</strong><br />

DNA-Doppelstrang vervollständigt. Hierzu nutzt <strong>die</strong> DNA-Polymerase <strong>die</strong> im Master Mix vorhandenen Nukleotide. Im Bereich<br />

der Hybridisierungssonde löst <strong>die</strong> DNA-Polymerase durch ihre 5‘→3‘ Exonukleaseaktivität den Quencher von der Sonde. Bei<br />

passender fluoreszenzoptischer Anregung des Fluorophors (hier 647 nm, rotes Licht) kann nun in Abwesenheit des Quenchers<br />

eine entsprechende Lichtemission (hier bei 662 nm, dunkelrotes Licht) stattfinden und vom Thermocycler detektiert werden.<br />

d<br />

e<br />

Abb. 9a-e<br />

(d) Bei der PCR erfolgt eine exponentielle Amplifikation der DNA-Zielsequenz und damit ein exponentieller Anstieg der Fluoreszenzintensität<br />

des PCR-Produktes. Je mehr bakterielle DNA in der Patientenprobe ursprünglich vorhanden war, desto schneller<br />

steigt <strong>die</strong> Fluoreszenzstärke der neu synthetisierten DNA über einen gerätespezifischen Schwellenwert (dunkelblaue bis grüne<br />

Kurven). Der sogenannte Ct-Wert (Threshold Cycle) ermittelt sich dann als Schnittpunkt der PCR-Amplifikationskurve mit dem<br />

Schwellenwert (i. d. R. Werte zwischen 10 und 35). (e) Über eine Standardkurve (bei bekannter Keimzahl (bzw. Kopienanzahl<br />

des amplifizierten Zielgens) lässt sich so <strong>die</strong> Keimzahl (Kopienzahl) jedes beliebigen Ct-Werts errechnen.<br />

titiserreger (P. gingivalis, T. forsythia, T. denticola, P.<br />

intermedia und A. actinomycetemcomitans) auf dem<br />

Nachweis polymorpher, hochspezifischer Gensequenzen<br />

(Internal Transcribed Spacer (ITS)) im Bereich der<br />

16S rDNA (ribosomale Desoxyribonukleinsäure) des<br />

bakteriellen Genoms. Da bakterielle DNA relativ stabil<br />

ist, können <strong>die</strong> Erreger auch noch nach vielen Tagen problemlos<br />

auf einem Papierteststreifen detektiert werden.<br />

Initial wird hierzu <strong>die</strong> bakterielle DNA als gepoolter<br />

Probenansatz mittels verschiedener Lysepuffer vom<br />

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Fortbildung 29<br />

Abb. 10a<br />

Abb. 10b<br />

Probenentnahme und Probentransport. Die Probenentnahme erfolgt mittels einer sterilen Papierspitze aus der entzündeten<br />

Zahntasche (a). Z<strong>um</strong> Probentransport des Papierstreifens wird <strong>die</strong>ser in ein steriles 2 ml Reagenzgefäß überführt und<br />

in einem gepolsterten Brief<strong>um</strong>schlag mit den entsprechenden Begleitscheinen zur Probenidentifikation (Patientendaten,<br />

Angaben zur Klinik) versendet (b).<br />

zelstrang (bei ca. 65 °C) sowie (3) Elongation des DNA-<br />

Einzelstrangs mittels DNA-Polymerase z<strong>um</strong> DNA-Doppelstrang<br />

(bei ca. 70 °C). Durchgeführt wird <strong>die</strong>se Reaktion<br />

in kleinen Reaktionsgefäßen in einem Thermocycler<br />

(Abb. 7c). Um das entstehende PCR-Produkt sichtbar<br />

zu machen, werden während der DNA-Neusynthese fluoreszierende<br />

Farbstoffe in das PCR-Produkt integriert.<br />

Mit zunehmender Produktmenge nimmt <strong>die</strong> – mittels<br />

einer Auswertsoftware sichtbar gemachte – Fluoreszenz<br />

exponenziell zu. Am Ende der PCR-Reaktion (nach Verbrauch<br />

der PCR-Reagenzien) flacht <strong>die</strong> Fluoreszenzintensitätskurve<br />

langsam ab (sigmoidaler Kurvenverlauf)<br />

(Abb. 7d, linke obere Grafik). Um Rückschlüsse auf <strong>die</strong><br />

in der Probe vorhandene Keimmenge (blaue Kurven)<br />

ziehen zu können, werden für jeden Erreger vordefinierte<br />

PCR-Ansätze mit Lysaten bekannter bakterieller<br />

Konzentrationen von ATCC (American Type Culture<br />

Collection)-Referenzstämmen der jeweiligen Markerkeime<br />

mitgeführt (grüne Kurven) (Abb. 7d linke obere<br />

Grafik). Durch mathematische Transformation (lineare<br />

Regression) lässt sich so anhand der Kurvenverläufe <strong>die</strong><br />

in der Probe vorhandene Erregermenge errechnen (Abb.<br />

7d rechte obere Graphik) sowie benutzer- und einsenderfreundlich<br />

als Balkendiagramm im Arztbrief grafisch<br />

darstellen (Abb. 8). Für ein besseres Verständnis sind <strong>die</strong><br />

molekularbiologischen bzw. mathematischen Grundlagen<br />

der real-time PCR sowie der linearen Regression in<br />

Abb. 9 genauer dargestellt (42).<br />

Probenentnahme und Präanalytik. Zur Bestimmung<br />

der bakteriellen Besiedlung können subgingivale<br />

Proben mithilfe dünner Papierstreifen entnommen und<br />

mittels einer sterilen Pinzette in einem Transportröhrchen<br />

für den Versand verpackt werden (Abb. 10a, b).<br />

Der bestmögliche Zeitpunkt für <strong>die</strong> Probenentnahme<br />

aus den parodontalen Taschen ist <strong>die</strong> Hygienephase. Dadurch<br />

wird gewährleistet, dass das Ergebnis des Tests<br />

z<strong>um</strong> Abschluss der Initialtherapie vorliegt. Die meisten<br />

kommerziellen Testsysteme bieten zur Gewinnung der<br />

Proben sterile Papierspitzen an (Abb. 10b). Die Probenentnahme<br />

sollte – soweit möglich – aus den am schwersten<br />

erkrankten Stellen eines jeden Quadranten erfolgen<br />

(20, 60). Da <strong>die</strong> Mundhöhle nicht primär steril ist, empfiehlt<br />

es sich, <strong>die</strong> Probenentnahmestelle zuvor supragingival<br />

zu reinigen und mit Watterollen trockenzulegen.<br />

Hierdurch werden <strong>die</strong> Kontamination mit der oberflächlichen<br />

Keimflora sowie ein unerwünschter Keimverdünnungseffekt<br />

der Erreger aus der Tasche durch Speichel<br />

minimiert. Die Papierspitze wird zügig und möglichst<br />

weit apikal in <strong>die</strong> Tasche eingebracht und dort für ca.<br />

10 bis 20 Sekunden belassen (Abb. 10a). Anschließend<br />

wird <strong>die</strong> Papierspitze wieder aus der Tasche entfernt und<br />

mit den anderen Papierspitzen in ein Transportröhrchen<br />

gegeben (Abb. 10b). Da <strong>die</strong> relative Erregerlast an pathogenen<br />

Keimen therapieentscheidend ist, erfolgt <strong>die</strong><br />

Bestimmung der Bakterienmenge gepoolt (34).*<br />

Antimikrobielle Therapieansätze. Eine effiziente<br />

antimikrobielle Therapie unterstützt das Immunsystem<br />

in der Erregerelimination. Sie reduziert nicht nur den<br />

parodontalpathogenen Anteil der subgingivalen Flora,<br />

sondern unterstützt auch <strong>die</strong> Verschiebung von einer<br />

dysbiotischen zu einer symbiotischen Mikroflora und<br />

damit <strong>die</strong> Etablierung eines „gesunden“ subgingivalen<br />

Ökosystems. Man unterscheidet zwischen bakteriziden<br />

(direkte Abtötung der Erreger) und bakteriostatischen<br />

Antibiotika (Hemmung des Keimwachst<strong>um</strong>s). Da <strong>die</strong><br />

kommensale bakterielle Normalflora vorwiegend aus<br />

grampositiven, aeroben Bakterien besteht und es sich<br />

bei den pathogenen Bakterien mehrheitlich <strong>um</strong> gramnegative<br />

Anaerobier handelt, sollte <strong>die</strong> Antibiotikatherapie<br />

nach Möglichkeit so konzipiert sein, dass <strong>die</strong><br />

*Interessenskonflikte. Das Labor für Orale Mikrobiologie der<br />

Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie und des<br />

Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinik<strong>um</strong><br />

Ulm bietet einen PCR-Erregernachweis auf<br />

parodontalpathogene Bakterien an.<br />

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30<br />

Fortbildung<br />

physiologische Standortflora nicht zerstört wird. Die<br />

unkritische Verordnung von Breitbandantibiotika birgt<br />

das Risiko der Selektion multiresistenter Erreger (z. B.<br />

MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus),<br />

MRGN (Multiresistente gramnegative Erreger)), vor<br />

allem, wenn zu kurz oder zu niedrig dosiert wird. Der<br />

Einsatz von Breitbandantibiotika ist daher auf ein Minim<strong>um</strong><br />

zu reduzieren. Zudem ist eine ausreichende Dosierung<br />

und Therapiedauer (sieben bis 18 Tage) notwendig,<br />

<strong>um</strong> mögliche Resistenzbildungen zu vermeiden. Die<br />

Compliance des Patienten wird durch eine <strong>um</strong>fassende<br />

Information über Therapiedauer und mögliche Nebenwirkungen<br />

erhöht. Eine selektive Antibiose reduziert<br />

das Risiko von Nebenwirkungen und wirkt sich damit<br />

günstig auf <strong>die</strong> Compliance und letztendlich den Therapieerfolg<br />

aus. Die bei der systemischen Parodontitistherapie<br />

eingesetzten Antibiotika sind nun im Folgenden<br />

näher charakterisiert.<br />

Wirkstoffgruppen. Metronidazol ist ein bakterizides<br />

Antibiotik<strong>um</strong> aus der Gruppe der Nitroimidazole und<br />

Antibiotik<strong>um</strong> der ersten Wahl. Mechanistisch hemmt es<br />

<strong>die</strong> Nukleinsäuresynthese anaerober Bakterien. Es hat<br />

daher eine sehr gute Wirksamkeit gegen Parodontitiserreger<br />

wie T. forsythia, P. gingivalis, P. intermedia und<br />

F. nucleat<strong>um</strong> (47). Da Anaerobier auch <strong>die</strong> überwiegende<br />

Standortflora des Magen-Darm-Traktes ausmachen,<br />

sind in drei Prozent der Fälle gastrointestinale Nebenwirkungen<br />

(Erbrechen, Durchfall, Übelkeit) möglich<br />

(7). A. actinomycetemcomitans ist gegenüber Metronidazol<br />

resistent (vgl. hierzu auch Abb. 6e).<br />

Gute Wirksamkeit gegenüber A. actinomycetemcomitans<br />

besitzen Amoxicillin bzw. Ciprofloxacin. Das Aminopenicillin<br />

Amoxicillin ist ein halbsynthetisches Penicillin-Derivat<br />

mit bakterizider Wirkung (Antibiotik<strong>um</strong><br />

der 1. Wahl). Mechanistisch inhibiert es <strong>die</strong> bakterielle<br />

Zellwandpeptidoglycansynthese. Hauptnebenwirkungen<br />

sind makulöse Exantheme sowie gastrointestinale<br />

Nebenwirkungen (jeweils 5 bis 20 Prozent der Fälle).<br />

Ciprofloxacin hemmt mechanistisch <strong>die</strong> bakterielle<br />

DNA-Topoisomerase II (bakterielle Gyrase). Der Wirkstoff<br />

aus der Gruppe der Fluorchinolone wirkt ebenfalls<br />

bakterizid. Ciprofloxacin besitzt eine breite Wirkung<br />

im grampositiven und gramnegativen Bereich, und<br />

wirkt auch gegen Mykobakterien. Es <strong>die</strong>nt jedoch nur<br />

als Antibiotik<strong>um</strong> der zweiten Wahl bei nachgewiesener<br />

Penicillinallergie. Eine Monotherapie bei Infektion mit<br />

obligaten Anaerobiern muss vermieden werden. Hauptnebenwirkungen<br />

sind ebenfalls gastrointestinale Nebenwirkungen<br />

(6 Prozent der Fälle) sowie zentralnervöse<br />

Reaktionen. Eine bestehende Schwangerschaft stellt<br />

eine absolute Kontraindikation dar (7).<br />

Doxycyclin ist ein bakteriostatisch wirksames Tetracyclin-Derivat.<br />

Mechanistisch hemmt Doxycyclin <strong>die</strong><br />

bakterielle Proteinbiosynthese. Das Breitbandantibiotik<strong>um</strong><br />

hat jedoch nur eine eingeschränkte Effektivität<br />

gegenüber den Markerkeimen der Parodontitis. Aus<br />

<strong>die</strong>sem Grund zählt Doxycyclin als Antibiotik<strong>um</strong> der<br />

dritten Wahl. Nebenwirkungen sind ggf. Übelkeit bzw.<br />

Photosensibilisierung (7). Unter dem Handelsnamen Ligosan<br />

© ist Doxycyclin seit einigen Jahren in Deutschland<br />

auch als lokales Antibiotik<strong>um</strong> erhältlich. Neue therapeutische<br />

Ansätze aus den USA nutzen <strong>die</strong> Wirkung<br />

von Doxycyclin bei niedriger Dosierung gegenüber den<br />

Matrix-Metalloproteinasen (kollagenabbauenden Enzymen).<br />

In <strong>die</strong>ser Dosierung (20 mg/Tag) ist es nicht antibiotisch<br />

wirksam und wird so in der Langzeittherapie<br />

gegen <strong>die</strong> körpereigene Immunabwehr eingesetzt. Mit<br />

guten klinischen Ergebnissen ist das Präparat in den<br />

USA unter dem Handelsnamen Periostat © erhältlich<br />

(56). In Deutschland ist <strong>die</strong>se „low-dose“ Therapie für<br />

<strong>die</strong> Parodontitistherapie jedoch noch nicht zugelassen.<br />

Clindamycin gehört zur Gruppe der Lincosamide.<br />

Mechanistisch inhibiert Clindamycin <strong>die</strong> bakterielle<br />

Proteinbiosynthese. Gefürchtetste Nebenwirkung ist <strong>die</strong><br />

pseudomembranöse Enterocolitis hervorgerufen durch<br />

Clostridi<strong>um</strong> difficile (7, 66). Aufgrund seiner guten<br />

Knochengängigkeit und seinem breiten Wirkspektr<strong>um</strong><br />

findet es in der Zahnmedizin in Deutschland sehr häufige<br />

Anwendung. In der Parodontologie ist <strong>die</strong>s jedoch<br />

nicht der Fall. Lediglich auf T. forsythia wirkt es bakteriostatisch.<br />

Daher beschränkt sich der Einsatz von Clindamycin<br />

auf Allergien gegen <strong>die</strong> Antibiotika der ersten,<br />

zweiten und dritten Wahl. Ein relativ neues Antibiotik<strong>um</strong><br />

in der Parodontitistherapie stellt Azithromycin aus<br />

der Gruppe der Makrolide dar. Die antimikrobielle Effektivität<br />

<strong>die</strong>ses Antibiotik<strong>um</strong>s bei gleichzeitiger geringer<br />

Plasmakonzentration und geringen gastrointestinalen<br />

Nebenwirkungen lässt es zu einer sehr guten Alternative<br />

werden (44). Azithromycin weist eine sehr gute<br />

Wirksamkeit gegen Actinomyces spp. sowie eine mäßige<br />

Wirksamkeit gegen Spirochäten (Campylobacter spp.,<br />

Treponema spp.), Anaerobier und Peptostreptokokken<br />

auf. Mechanistisch hemmt Azithromycin, das zur Gruppe<br />

der Makrolide gezählt wird, <strong>die</strong> bakterielle Proteinbiosynthese<br />

(Translokationsinhibitor) (7). Vergleichsstu<strong>die</strong>n<br />

zwischen Azithromycin und einer Metronidazol/Amoxicillin<br />

Kombinationstherapie zeigen ähnliche<br />

Ergebnisse hinsichtlich klinischer Parameter wie BOP,<br />

Attachmentgewinn und signifikant bessere Ergebnisse<br />

zur alleinigen geschlossenen Therapie (27, 51). Neben<br />

der antimikrobiellen Wirksamkeit wird ein immunmodulierender,<br />

antiinflammatorischer Effekt diskutiert (2,<br />

7). Hinzu kommt eine verkürzte und vereinfachte Einnahmedauer<br />

für den Patienten. Weitere Stu<strong>die</strong>n werden<br />

jedoch nötig sein, <strong>um</strong> <strong>die</strong> positiven Effekte von Azithromycin<br />

zu untermauern. Nichtsdestotrotz stellt es eine<br />

gute Alternative mit geringen Nebenwirkungen zu den<br />

„klassischen“ Antibiotikaregimen dar.<br />

Wahl des Wirkstoffes und Dosierung. Dem gezielten<br />

Einsatz von Antibiotika im Rahmen der Parodontitistherapie<br />

kommt – wie oben ausgeführt – eine große<br />

Bedeutung zu. Der Nachweis der Parodontalpathogene<br />

in der subgingivalen Mikroflora hilft bei der Auswahl<br />

geeigneter Antibiotika und der Reduktion des Einsatzes<br />

von Breitbandantibiotika. Bei Nachweis von Keimen des<br />

orangen und des roten Komplexes (Abb. 2) – ohne den<br />

gleichzeitigen Nachweis von A. actinomycetemcomitans –<br />

ist Metronidazol das Antibiotik<strong>um</strong> der ersten Wahl. Bei<br />

zusätzlichem Nachweis von A. actinomycetemcomitans<br />

sollte additiv Amoxicillin bzw. bei Vorliegen einer Peni-<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Fortbildung 31<br />

cillinallergie Ciprofloxacin verschrieben werden. Diese<br />

als „Van Winkelhoff-Cocktail“ bezeichnete Wirkstoffkombination<br />

liefert sehr gute klinische Ergebnisse (72).<br />

Allerdings besitzen beide Wirkstoffe zusammen ein<br />

deutlich breiteres Wirkspektr<strong>um</strong> als Metronidazol alleine,<br />

schädigen <strong>die</strong> physiologische Standortflora und sollten<br />

daher nur gezielt eingesetzt werden.<br />

Doxycyclin ist aufgrund möglicher Nebenwirkungen<br />

als Therapiemittel der dritten Wahl anzusehen. Der<br />

Einsatz von Clindamycin sollte in der Parodontologie<br />

vermieden werden.<br />

Eine gemeinsame wissenschaftliche Stellungnahme<br />

der DGMZK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-,<br />

Mund- und Kieferheilkunde) und DG PARO (Deutsche<br />

Gesellschaft für Parodontologie) empfiehlt zusammenfassend<br />

folgende Therapiestrategien und Antibiotikadosierungen<br />

(4):<br />

• Auftreten von Markerkeimen des orangen bzw. orange-assoziierten<br />

Komplexes und des roten Komplexes:<br />

Metronidazol 3 x 400 mg über sieben Tage<br />

• Auftreten von Markerkeimen des orangen bzw. orange-assoziierten<br />

Komplexes und des roten Komplexes<br />

+ A. actinomycetemcomitans: Metronidazol 3 x 400<br />

mg + Amoxicillin 3 x 500 mg über sieben Tage. Bei<br />

Penicillinunverträglichkeit: Metronidazol 2 x 500 mg<br />

+ Ciprofloxacin 2 x 250 mg über sieben Tage oder<br />

Azithromycin 1 x 500 mg über drei Tage<br />

• Auftreten von A. actinomycetemcomitans alleine (sehr<br />

selten): Amoxicillin 3 x 500 mg über 14 Tage. Bei Penicillinunverträglichkeit:<br />

Ciprofloxacin 2 x 250 mg<br />

über zehn Tage<br />

• Bei Unverträglichkeiten/Resistenzen als Mittel der<br />

dritten und vierten Wahl: Doxycyclin 1 x 200 mg am<br />

ersten Tag, anschließend 1 x 100 mg über 18 Tage. Alternativ:<br />

Clindamycin 4 x 300 mg über sieben Tage<br />

Fazit. Der molekularbiologische Nachweis des mikrobiologischen<br />

Keimspektr<strong>um</strong>s kann in der Parodontitistherapie<br />

eine wichtige und hilfreiche therapeutische<br />

Entscheidungshilfe darstellen. Eine antimikrobielle<br />

Therapie begleitend zu mechanischen antiinfektiösen<br />

Maßnahmen kann in schweren chronischen oder<br />

aggressiven Fällen bessere klinische Erfolge liefern<br />

(24, 61). Dadurch wird das Ausmaß ergänzender parodontalchirurgischer<br />

Maßnahmen verringert (40). Die<br />

qualitative und quantitative Bestimmung der Parodontalpathogene<br />

ermöglicht eine keimspezifische Antibiotikatherapie<br />

sowie ein Therapiemonitoring. Neben den<br />

herkömmlichen klinischen Parametern: Bleeding on<br />

Probing (BOP) und Son<strong>die</strong>rungstiefe (ST) ergibt sich für<br />

den Behandler somit eine dritte Säule zur Abschätzung<br />

des Therapieerfolges. Der weitaus wichtigste Grund für<br />

<strong>die</strong> gezielte mikrobiologische Diagnostik bleibt jedoch<br />

<strong>die</strong> Vermeidung von Über- bzw. Unterbehandlung und<br />

damit der verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika<br />

(59). Oftmals erfolgt der Einsatz einer Kombination<br />

aus Amoxicillin und Metronidazol („Van-Winkelhoff-<br />

Cocktail“) ohne mikrobiologische Diagnostik und auf<br />

Basis von klinischen Befunden. Außer Acht gelassen<br />

wird hierbei jedoch <strong>die</strong> womöglich unnötige Verschreibung<br />

von Antibiotika, resultierend in der Schädigung<br />

der intra- und extraoralen Keimflora, oder sogar einer<br />

unnötigen Resistenzentwicklung (25, 50, 70). So ist in<br />

vielen Fällen <strong>die</strong> Verschreibung von Antibiotika (meistens<br />

Metronidazol) für <strong>die</strong> adjuvante Antibiotikatherapie<br />

völlig ausreichend. Erst bei Nachweis von obligaten<br />

Anaerobiern (roter, oranger, orange-assoziierter Komplex)<br />

und der fakultativ-anaeroben Spezies A. actinomycetemcomitans<br />

ist eine Kombination mit Amoxicillin<br />

(oder Ciprofloxacin) indiziert. Eine neue Alternative<br />

mit vereinfachter Einnahme und geringen Nebenwirkungen<br />

kann das Makrolid Azithromycin darstellen.<br />

Für eine endgültige Empfehlung stehen jedoch noch<br />

weitere Stu<strong>die</strong>n aus. Aufgrund der in den letzten Jahren<br />

stetig zunehmenden Fallzahl multiresistenter Keime –<br />

ausgelöst durch einen erhöhten und z. Z. B. T. ungezielten<br />

Antibiotika-Einsatz – sollte <strong>die</strong> Gabe von Antibiotika<br />

dennoch so rational wie möglich („Antibiotic<br />

Stewardship“) entsprechend der mikrobiologischen Diagnostik<br />

erfolgen (59, 73).<br />

Das Literaturverzeichnis finden Sie unter www.zahnaerzteblatt.de<br />

oder kann beim IZZ bestellt werden unter<br />

Tel: 0711/222966-14, Fax: 0711/222966-21 oder E-Mail:<br />

info@zahnaerzteblatt.de.<br />

Dr. med. dent. Malte Michaelis 1,2<br />

Prof. Dr. med. dent. Bernd Haller 1<br />

Prof. Dr. med. Steffen Stenger 3<br />

Prof. Dr. med. dent. Axel Spahr 4<br />

Dr. med. Sebastian F. Zenk 3,5<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

1<br />

Klinik für Zahnerhaltungskunde<br />

und Parodontologie, Universitätsklinik<strong>um</strong> Ulm,<br />

2<br />

f16 - Servicegesellschaft für<br />

Zahngesundheit mbH, Neu-Ulm<br />

3<br />

Institut für Medizinische Mikrobiologie und<br />

Hygiene, Universitätsklinik<strong>um</strong> Ulm,<br />

4<br />

Sydney Dental Hospital of Sydney,<br />

Sydney, Australien<br />

5<br />

Synlab Medizinisches Versorgungszentr<strong>um</strong><br />

Augsburg GmbH, Augsburg<br />

Die Autoren bedanken sich herzlich bei ZA Adnan Murati und<br />

MTLA Marion Ehrlich für <strong>die</strong> Bereitstellung, Bearbeitung und<br />

Mithilfe bei der Gestaltung der Fotos für <strong>die</strong>sen Beitrag.<br />

Dr. Malte Michaelis<br />

Dr. Sebastian Zenk<br />

Klinik für Zahnerhaltungskunde<br />

und Parodontologie,<br />

Universitätsklinik<strong>um</strong> Ulm,<br />

f16 - Servicegesellschaft für Zahngesundheit<br />

mbH, Neu-Ulm<br />

Institut für Medizinische Mikrobiologie<br />

und Hygiene,<br />

Universitätsklinik<strong>um</strong> Ulm,<br />

Synlab Medizinisches Versorgungszentr<strong>um</strong>,<br />

Augsburg<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


32<br />

Fortbildung<br />

Gemeinschaftssymposi<strong>um</strong> des TAKRegMed und der AfG in Frankfurt<br />

Grundlagenforschung, translationale<br />

Forschung und klinische Forschung<br />

Inzwischen ist es schon fast Tradition geworden beim Zahnärztetag:<br />

das Gemeinschaftssymposi<strong>um</strong> zweier forschungsorientierter Arbeitsgemeinschaften<br />

in der DGZMK, des Transdisziplinären Arbeitskreises<br />

für Regenerative Medizin (TAKRegMed), der sich der regenerativen<br />

Forschung in der Zahnmedizin verschrieben hat, zusammen mit der<br />

Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung (AfG), <strong>die</strong> seit 50 Jahren<br />

das For<strong>um</strong> für dentale orale oder werkstoffkundliche Forschung bietet.<br />

Auch 2017 konnten <strong>die</strong> beiden<br />

Fachgruppen, renommierte Referentinnen<br />

und Referenten akquirieren,<br />

<strong>die</strong> zu Themen aus ihren jeweiligen<br />

Forschungsgebieten einen State-of-the-Art-Überblick<br />

gaben. Es<br />

gelang so, Möglichkeiten und Grenzen<br />

zwischen Grundlagenforschung<br />

und Praxisanwendungen aufzuzeigen<br />

und einen Bogen zwischen der<br />

reinen Grundlagenforschung über<br />

<strong>die</strong> sogenannte translationale Forschung,<br />

also beispielsweise vom<br />

Tissue Engineering über den Tierversuch<br />

bis hin zur klinischen Anwendung<br />

zu spannen.<br />

Pulparegeneration. Professor<br />

Dr. Kerstin Galler, Poliklinik für<br />

Zahnerhaltung und Parodontologie<br />

aus dem mit EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure)<br />

behandelten Dentin.<br />

Fernziel sei in der Endodontologie<br />

eine echte Regeneration von Pulpagewebe,<br />

was allerdings im Tierversuch<br />

bisher noch nicht erreicht<br />

werden konnte. Das nach der Regenerationsbehandlung<br />

untersuchte<br />

Gewebe ähnelt eher Narbengewebe.<br />

Neue Ansätze sieht Prof. Galler im<br />

Einsatz der „Trias“ Wachst<strong>um</strong>sfaktoren<br />

mit entsprechenden Zellen und<br />

geeigneten Trägermaterialien. Als<br />

Zellen kommen hier vor allem dentale<br />

Stammzellen in Frage, <strong>die</strong> aus<br />

unterschiedlichen Kompartimenten<br />

von Zahn und Mundhöhle isoliert<br />

werden können. Diese sind in der<br />

Lage, sich auf sogenannten Scaffolds<br />

(individualisierte, bioaktive<br />

Trägermaterialien), wie beispielsweise<br />

<strong>die</strong> von ihr untersuchten gelartigen<br />

Matrizes, zu organisieren.<br />

Schließlich liefert <strong>die</strong> Dentinmatrix<br />

selbst geeignete Wachst<strong>um</strong>sfaktoren,<br />

<strong>die</strong> sich durch EDTA ultraschallaktiviert<br />

aus dem Wurzelkanaldentin<br />

freisetzen lassen. Zellfreie<br />

Ansätze verwenden beispielsweise<br />

Dentinmatrixprotein (DMP) mit Fider<br />

Universität Regensburg, <strong>die</strong> seit<br />

vielen Jahren auf dem Gebiet der<br />

Pulparegeneration forscht, leitete in<br />

ihrem Vortrag „Regeneration, Reparatur<br />

und Tissue Engineering der<br />

Zahnpulpa“ von klinischer Seite in<br />

<strong>die</strong> Thematik ein. Sie stellte als Alternative<br />

zur Apexifikation Verfahren<br />

vor, <strong>die</strong> durch Induktion einer<br />

Einblutung in den Wurzelkanal bei<br />

Zähnen mit nicht abgeschlossenem<br />

Wurzelwachst<strong>um</strong> eine Gewebsneogenese,<br />

resultierend in vitalem Gewebe<br />

und damit Hartsubstanzapposition,<br />

am Apex erzielen können.<br />

Bei <strong>die</strong>ser Vorgehensweise interagieren<br />

wahrscheinlich periapikale<br />

Stammzellen, <strong>die</strong> in den Wurzelkanal<br />

eingeschwemmt werden, mit<br />

freigesetzten Wachst<strong>um</strong>sfaktoren<br />

Erfolgreich. Gemeinschaftssymposi<strong>um</strong> des TAKRegMed und der AfG beim Deutschen Zahnärztetag 2017 (v. l.): Dr. Christian<br />

Kirschneck, Prof. Dr. Michael Wolf, PD Dr. Christiane Kunert-Keil, PD Dr. Dr. Bernd Lethaus, PD Dr. Susanne Proksch, Dr. Katharina<br />

Reichenmiller, Prof. Dr. Werner Götz, Dr. Anna Damanaki.<br />

Foto: DGZMK/Michelle Spillner<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Fortbildung 33<br />

brin, dessen Applikation in entsprechenden<br />

Regenerationsmodellen<br />

zur Bildung eines pulpaähnlichen<br />

Gewebes führte. Als Ziel für <strong>die</strong><br />

klinische Anwendung sieht sie eine<br />

„guided endodontic repair“-Strategie,<br />

bei der nach Konditionierung<br />

und induzierter Freisetzung endogener<br />

Wachst<strong>um</strong>sfaktoren <strong>die</strong>se Faktoren<br />

auf einem Trägermaterial in<br />

den Wurzelkanal appliziert werden.<br />

Stammzellforschung. Priv.-<br />

Doz. Dr. Susanne Proksch, Klinik<br />

für Zahn erhaltungskunde und Parodontologie,<br />

Universitätsklinik<strong>um</strong><br />

Freiburg, beschäftigt sich mit dentaler<br />

Stammzellforschung. Für ihre<br />

Forschung erhielt sie kürzlich den<br />

Mathilde-Wagner-Preis und leitet<br />

momentan eine Arbeitsgruppe im<br />

interdisziplinären Forschungsverbund<br />

„G.E.R.N – Gewebeersatz,<br />

Regeneration und Neogenese“ an der<br />

Universität Freiburg. Sie gab einen<br />

fun<strong>die</strong>rten Überblick über <strong>die</strong> Interaktionen<br />

von Stammzellen, <strong>die</strong> in<br />

ihren „Nischen“ im Körper zahlreichen<br />

biochemischen und biomechanischen<br />

Einflüssen ausgesetzt sind.<br />

Diese Interaktionen modifizieren<br />

auch das Verhalten von Stammzellen<br />

im dentalen und orofazialen Bereich.<br />

Dazu gehören beispielsweise Wechselwirkungen<br />

mit Mikroorganismen,<br />

mit Zellen des Immunsystems oder<br />

Osteoblasten. Eine mechanische<br />

Beeinflussung durch Zugkräfte verändere<br />

ebenfalls das Verhalten der<br />

Zellen z. B. hinsichtlich ihres Proteinmetabolismus.<br />

Die Kenntnisse <strong>die</strong>ser<br />

gegenseitigen Einflüsse sind eine<br />

wichtige Voraussetzung für das Verhalten<br />

von Stammzellen auf Biomaterialien<br />

im Rahmen des Tissue Engineering.<br />

Dr. Proksch berichtete über<br />

eigene Untersuchungen an Scaffolds,<br />

hier porenhaltige Polymervliese,<br />

welche mit Stammzellen interagieren.<br />

Wichtig seien auch <strong>die</strong> mechanischen<br />

Eigenschaften solcher Materialien.<br />

Als eine wichtige Technologie<br />

für regenerative Verfahren betrachtet<br />

sie <strong>die</strong> Entwicklung von zellbesiedelten<br />

Membranen („cell sheets“) und<br />

spezielle biologische 3D-Druckverfahren<br />

(sog. Bioplotting), mit denen<br />

der Druck unterschiedlich kombinierter<br />

Gewebe, z. B. von Zement-<br />

Wurzelhaut-Knochen-Konstrukten,<br />

realisiert werden könnte.<br />

Translationale Forschung.<br />

Priv.-Doz. Dr. Christiane Kunert-<br />

Keil, Leiterin des Forschungslabors<br />

der Poliklinik für Kieferorthopä<strong>die</strong><br />

des Universitätsklinik<strong>um</strong>s Dresden<br />

untersucht <strong>die</strong> Einheilung von Knochenersatzmaterialien<br />

nach „socket<br />

preservation“ und berichtete über<br />

ihre Untersuchungen an verschiedenen<br />

Tiermodellen. Hierbei ging es<br />

auch <strong>um</strong> <strong>die</strong> Frage, inwieweit sich<br />

Zähne durch augmentierte Areale<br />

hindurch kieferorthopädisch bewegen<br />

lassen und durch Knochenverdichtung<br />

sowie Vaskularisierung<br />

beeinflusst werden. Sie stellte eine<br />

laufende klinische Stu<strong>die</strong> vor, in<br />

der an Patienten nach Extraktion<br />

von Prämolaren oder Molaren<br />

und socket preservation mit einem<br />

kommerziell erhältlichen, kollagenbasierten<br />

Ersatzmaterial eine Zahnbewegung<br />

in <strong>die</strong> augmentierte Region<br />

erfolgte. Schließlich präsentierte<br />

Dr. Kunert-Keil erste erfolgversprechende<br />

Ergebnisse zur Anwendung<br />

von Knochenmehl für regenerative<br />

Therapien. Knochenmehle werden<br />

in ihrem Labor im Hinblick auf ihre<br />

Zusammensetzung untersucht und<br />

ihre mögliche osteogene Kapazität<br />

getestet. Erste Versuche zur Füllung<br />

von Knochendefekten mit einem<br />

solchen Mehl im Schafmodell zeigten<br />

gute Regenerationstendenzen.<br />

Kopf-Hals-Chirurgie. Priv.-Doz.<br />

Dr. Dr. Bernd Lethaus, Klinik für<br />

Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,<br />

Uniklinik RWTH Aachen, präsentierte<br />

seine komplexen Stu<strong>die</strong>n<br />

z<strong>um</strong> Tissue Engineering in der rekonstruktiven<br />

Kopf-Hals-Chirurgie.<br />

Ausgehend von Patientenfällen, bei<br />

denen nach <strong>um</strong>fangreichen t<strong>um</strong>orbedingten<br />

Resektionen aufwändige,<br />

langwierige und belastende Rekonstruktionsverfahren<br />

notwendig<br />

sind, stellte er neue experimentelle<br />

Ansätze vor, <strong>die</strong> eine Verbesserung<br />

vor allem der knöchernen Regeneration<br />

erwarten lassen. Auch hierbei<br />

ist Grundlagenforschung <strong>die</strong><br />

Basis, <strong>um</strong> zunächst eine Auswahl<br />

alloplastischer Trägermaterialien<br />

auf Eignung für eine Besiedlung<br />

mit mesenchymalen Stammzellen<br />

in vitro zu etablieren und später am<br />

Tiermodell weiterführend zu testen.<br />

Als weiteren Ansatz berichtete er<br />

über magnesi<strong>um</strong>haltige, biokompatible<br />

Materialien, <strong>die</strong> durch Oxidationsverfahren<br />

zusätzlich beschichtet<br />

und so nicht nur belastungsstabil,<br />

sondern auch kontrolliert resorbierbar<br />

hergestellt wurden. Z<strong>um</strong> Abschluss<br />

gab er einen Überblick über<br />

ein laufendes Projekt zur ektopen<br />

Knochenpräformation, <strong>um</strong> zunächst<br />

im Tierversuch vaskularisierte und<br />

personalisierte Knochenimplantate<br />

herstellen zu können. Erste Ergebnisse<br />

werden in Kürze erwartet.<br />

Lethaus betonte abschließend, dass<br />

CAD-CAM-Verfahren helfen werden,<br />

in Kombination mit Tissue Engineering<br />

<strong>die</strong> Rekonstruktions- und<br />

Rehabilitationschirurgie im Kopf-<br />

Hals-Bereich zu verbessern.<br />

Preisträger. Ebenfalls schon<br />

Tradition haben <strong>die</strong> Vorträge der<br />

Preisträger der vorangegangenen<br />

AfG-Jahrestagungen. Dieses Mal<br />

waren es Dr. Matthias Widbiller<br />

aus der Poliklinik für Zahnerhaltung<br />

und Parodontologie der Universität<br />

Regensburg (1. Preis) und Dr.<br />

Anna Damanaki aus der Abteilung<br />

für Experimentelle Zahnheilkunde<br />

der Zahnklinik der Universität<br />

Bonn (2. Preis). Professor Galler<br />

fasste den Vortrag von Dr. Widbiller,<br />

der wegen eines Forschungsaufenthaltes<br />

im Ausland nicht persönlich<br />

vortragen konnte, zusammen,<br />

in dem es <strong>um</strong> <strong>die</strong> Gewinnung von<br />

Wachst<strong>um</strong>sfaktoren aus h<strong>um</strong>aner<br />

Dentinmatrix und deren Einsatz in<br />

der experimentellen Pulparegenerationsforschung<br />

ging. Dr. Damanaki<br />

stellte ihre Untersuchungen z<strong>um</strong><br />

Zusammenhang zwischen Parodontitis<br />

und Adipositas vor. Klinisch<br />

und histologisch konnte sie bei<br />

übergewichtigen Mäusen inflammatorische<br />

Veränderungen am Zahnhalteapparat<br />

nachweisen.<br />

Fazit. Der Erfolg des Gemeinschaftssymposi<strong>um</strong>s<br />

ist Anlass, auch<br />

am 9. November 2018 wieder eine<br />

solche Veranstaltung auf dem Deutschen<br />

Zahnärztetag zu realisieren.<br />

Eine weitere Tagung ist das Satellitensymposi<strong>um</strong><br />

des TAKRegMed<br />

am 8. Juni auf der 68. Jahrestagung<br />

der DGMKG in Dresden.<br />

Prof. Dr. Werner Götz, Bonn,<br />

Dr. Katharina Reichenmiller,<br />

Tübingen<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


34<br />

Kommunikation<br />

Das For<strong>um</strong> Zahngesundheit ist wichtiger Baustein der Öffentlichkeitsarbeit<br />

Wertvolle Informationen zur Mundgesundheit<br />

Ob Verbrauchermessen in Zusammenarbeit mit Tageszeitungen oder<br />

große Publik<strong>um</strong>smessen im Land – das For<strong>um</strong> Zahngesundheit ist<br />

vielfältig im Einsatz, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Anliegen der Zahnärzteschaft in der Bevölkerung,<br />

der Presse und der Politik präsent zu halten. Auch 2018 wird<br />

es wieder ein wichtiger Baustein der Öffentlichkeitsarbeit sein. Ein<br />

Überblick über das integrative Kommunikationskonzept des Informationszentr<strong>um</strong>s<br />

Zahngesundheit (IZZ).<br />

Kartons voller Infobroschüren,<br />

Zahnbürsten und Zahnpastatuben,<br />

meterlange Schlangen vor den Eingängen<br />

und hunderte Gespräche<br />

zwischen Vertreterinnen und Vertretern<br />

der Zahnärzteschaft – so resümierte<br />

der ZBW-Beitrag im Jahr<br />

2010 <strong>die</strong> erste Veranstaltung der<br />

Ludwigsburger Gesundheitstage.<br />

Das Motto war damals wie heute:<br />

„Gesund und Aktiv“. Klar, dass sich<br />

das For<strong>um</strong> Zahngesundheit dort<br />

präsentierte. Auch in <strong>die</strong>sem Februar<br />

findet <strong>die</strong> Messe wieder statt<br />

und lockt tausende Besucher ins<br />

For<strong>um</strong> am Schlosspark. Die Messen<br />

der Tageszeitungen sind heute<br />

ein wichtiger Baustein für das IZZ<br />

geworden, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Zahnärzteschaft<br />

mit dem For<strong>um</strong> Zahngesundheit zu<br />

präsentieren. Neben der Ludwigsburger<br />

Kreiszeitung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> „Gesund<br />

und Aktiv“ veranstaltet, arbeitete<br />

das IZZ mit der Südwestpresse<br />

Ulm (Allmendinger Gesundheitstage),<br />

der Göppinger Kreiszeitung<br />

(Vitawell Göppingen) und dem Hohenloher<br />

Tagblatt (Vitawell Crailsheim)<br />

zusammen.<br />

Vielfalt. Die Gesundheitsmessen<br />

in Zusammenarbeit mit den<br />

Tageszeitungen sind Teil des integrativen<br />

Kommunikationskonzepts<br />

des Informationszentr<strong>um</strong>s Zahngesundheit.<br />

Die Kommunikation<br />

mit Tageszeitungen endet nicht an<br />

den Ausgangstüren der Messehallen.<br />

Zu ihr gehört das Erstellen und<br />

adressatengerechte Versenden von<br />

Pressemitteilungen und flankierend<br />

das Schalten von Anzeigen für den<br />

Berufsstand.<br />

Mehrmals im Jahr organisiert das<br />

IZZ zudem Telefonaktionen, bei denen<br />

Zahnärztinnen und Zahnärzte<br />

Leserinnen und Lesern der Tageszeitungen<br />

am Telefon mit Ratschlägen<br />

neutral und unabhängig helfen<br />

können. Diese Beratung greift<br />

das Konzept der Beratung auf den<br />

Verbrauchermessen auf. Weiterhin<br />

Info<br />

Nachfolgende Präsentationen des<br />

For<strong>um</strong>s Zahngesundheit stehen<br />

2018 noch an:<br />

• Gesund und Aktiv, Ludwigsburg<br />

3./4. Februar 2018<br />

• Vitawell Göppingen<br />

24./25. Februar 2018<br />

• IBO, Friedrichshafen<br />

21. bis 25. März 2018<br />

• Maimarkt, Mannheim<br />

28. April bis 8. Mai 2018<br />

• Südwest Messe, Villingen-<br />

Schwenningen<br />

26. Mai bis 3. Juni 2018<br />

kommuniziert das IZZ mit Tageszeitungen<br />

über Pressemitteilungen<br />

wie das Thema des Monats, bei dem<br />

wichtige, <strong>die</strong> Leserschaft betreffende<br />

Themen wie Zahnarztbesuche<br />

vor dem Urlaub oder zahngesunde<br />

Schultüten zur Sprache kommen.<br />

Nicht zuletzt lädt das IZZ einmal<br />

im Jahr Journalisten aller Me<strong>die</strong>ngattungen<br />

z<strong>um</strong> IZZ-pressefor<strong>um</strong>.<br />

Zudem greift der IZZ-Onlineauftritt<br />

www.izz-on.de <strong>die</strong> Themen auf und<br />

liefert digital zusätzliche Informationen<br />

und Mehrwert. Somit ist<br />

auf vielfältige Weise sichergestellt,<br />

dass <strong>die</strong> Zahnärzteschaft Meinungsführer<br />

erreicht.<br />

Austausch. Dr. Horst Gebhardt (r.) und Dr. Andreas Klaus im<br />

Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten aus Ulm, Hilde<br />

Mattheis, bei den Allmendinger Gesundheitstagen.<br />

Foto: Fuchs/IZZ<br />

Beratung. Dr. Edith Nadj-Papp im Gespräch mit zwei interessierten<br />

Besucherinnen auf der Gesundheitsmesse „Gesund und<br />

Aktiv“, Ludwigsburg.<br />

Foto: Ignatzi/IZZ<br />

ZBW 2/2018<br />

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Kommunikation 35<br />

Weitere Messen. Doch nicht zuletzt<br />

ist <strong>die</strong> Bevölkerung ein wichtiger<br />

Adressat der zahnärztlichen Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Deshalb ist das<br />

For<strong>um</strong> Zahngesundheit regelmäßig<br />

auf weiteren Messen präsent. Z<strong>um</strong><br />

einen präsentiert sich das For<strong>um</strong><br />

Zahngesundheit in seiner klassischen<br />

Form auf Verbrauchermessen<br />

wie der IBO in Friedrichshafen,<br />

z<strong>um</strong> anderen nutzt es seit 2017 auf<br />

ausgewählten Messen das neue<br />

Konzept der begehbaren Mundhöhle,<br />

das bei den Messebesuchern sehr<br />

gut ankommt. Als weitere wichtige<br />

Plattfor<strong>um</strong> ist das For<strong>um</strong> Zahngesundheit<br />

auf den großen Publik<strong>um</strong>smessen<br />

im Land präsent, wie dem<br />

Mannheimer Maimarkt und der Offerta<br />

in Karlsruhe. Dort erreicht es<br />

hunderttausende Bürgerinnen und<br />

Bürger, <strong>die</strong> sich über zahnmedizinische<br />

Themen informieren.<br />

Service. Auf der IBO in Friedrichshafen war 2017 am Zahnputzbrunnen reger Betrieb.<br />

Die Besucher nahmen das Angebot gut an.<br />

Begehbare Mundhöhle. Das neue Modell kam auf der Südwestmesse z<strong>um</strong> Einsatz und<br />

war nicht nur Publik<strong>um</strong>smagnet, sondern auch willkommene Publicity für <strong>die</strong> Zahnärzteschaft<br />

Baden-Württemberg, durch zahlreiche Fotos, <strong>die</strong> Familien auf Facebook teilten.<br />

Glücksfall. Im besten Fall kann<br />

<strong>die</strong>ses Informationsangebot Menschen<br />

aktiv helfen. Auf den Allmendinger<br />

Gesundheitstagen 2017<br />

hatte sich eine Patientin von Dr.<br />

Andreas Klaus beraten lassen. Bei<br />

der Patientin zeigte sich eine ausgedehnte<br />

Ulzeration am Zungenrand,<br />

mit Verdacht auf ein sehr bösartiges<br />

Plattenepithelkarzinom. Die Patientin<br />

wurde angewiesen, sich sofort<br />

in der Ambulanz der ZMK-Klinik<br />

vorzustellen und auf sofortige Abklärung<br />

zu dringen. Wichtig ist<br />

dennoch, dass <strong>die</strong> Messebesucher<br />

das Angebot nicht mit einer Untersuchung<br />

verwechseln. Dr. Klaus:<br />

„Vielmehr ist es so, dass wir den<br />

Patienten beratend, auch mit einer<br />

Zweitmeinung, und motivierend<br />

zur Verfügung stehen. Durch <strong>die</strong><br />

Intra oralkamera mit Bildschirm erhält<br />

man zusätzlich auch <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

Befunde dem Patienten<br />

bildschirmhaft zu zeigen. Der Patient<br />

wird grundsätzlich – so sehe z<strong>um</strong>indest<br />

ich es – kollegial an seinen<br />

Hauszahnarzt zurückgeführt, gegebenenfalls<br />

z. B. nach Aufklärung<br />

über Therapieoptionen/-alternativen,<br />

<strong>die</strong> vorzustellen oder breit zu<br />

erörtern im Praxisalltag nicht möglich<br />

ist.“ Jegliche Anfragen im Sinne<br />

von „Wo praktizieren Sie denn,<br />

ich würde gerne zu Ihnen kommen?“<br />

blocken <strong>die</strong> Zahnärztinnen<br />

und Zahnärzte im For<strong>um</strong> Zahngesundheit<br />

ab mit dem Hinweis, dass<br />

<strong>die</strong> auf Messen tätigen Zahnärzte<br />

im Dienste der gesamten Zahnärzteschaft<br />

Beratungsfunktion haben<br />

und <strong>die</strong>s keine Werbeveranstaltung<br />

für eine einzelne Praxis darstellt.<br />

Durch ihren Einsatz in beratender<br />

Funktion leisten <strong>die</strong> Zahnärztinnen<br />

und Zahnärzte wie Dr. Klaus an den<br />

jeweiligen Messeorten einen wichtigen<br />

Beitrag dazu, <strong>die</strong> Anliegen der<br />

Zahnärzteschaft publik zu machen.<br />

Die Entdeckung des T<strong>um</strong>ors durch<br />

Dr. Klaus war im Rahmen der Beratung<br />

ein großer Erfolg, der ohne das<br />

For<strong>um</strong> Zahngesundheit wohl unentdeckt<br />

geblieben wäre. Die Südwest<br />

Presse, Ulm, berichtete im Ehinger<br />

Tagblatt über den Vorfall.<br />

Umfangreich. Das For<strong>um</strong> Zahngesundheit<br />

war im Jahr 2017 auf<br />

insgesamt elf Verbrauchermessen<br />

zu Gast. Auch im Jahr 2018 wird es<br />

wieder auf zahlreichen Messen in<br />

ganz Baden-Württemberg vertreten<br />

sein. Zusätzlich kooperiert das For<strong>um</strong><br />

Zahngesundheit mit Tageszeitungen,<br />

wie schon bei den Allmendinger<br />

Gesundheitstagen: bei der<br />

Vitawell in Crailsheim, der „Gesund<br />

und aktiv“ in Ludwigsburg sowie<br />

der Vitawell in Göppingen.<br />

» christian.ignatzi@izz-online.de<br />

Foto: Trippel/IZZ<br />

Foto: Clausen/IZZ<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


36<br />

Prophylaxe<br />

Mitgliederversammlung der LAGZ e. V. in Stuttgart<br />

Zielgerichtet in <strong>die</strong> Zukunft<br />

Die Landesarbeitsgemeinschaft für Zahngesundheit Baden-Württemberg<br />

e. V. (LAGZ) zog am 23. November 2017 im Zahnärztehaus Stuttgart<br />

bei ihrer Vorstandssitzung eine Jahresbilanz und stellte <strong>die</strong> Weichen<br />

für zukünftige Präventionsziele bei Kindern und Jugendlichen in Baden-<br />

Württemberg. Dabei waren <strong>die</strong> Ziele der Zahngesundheitsförderung in<br />

Baden-Württemberg für den Zeitra<strong>um</strong> 2018 bis 2022 ein wichtiges<br />

Thema. Erstmals wurde <strong>die</strong> Ausweitung der Gruppenprophylaxe<br />

auf <strong>die</strong> Altersgruppe der unter 3-Jährigen als Ziel definiert. Bei der<br />

anschließenden LAGZ-Mitgliederversammlung wurden <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

vorgestellt und wichtige Beschlüsse getroffen.<br />

Der Vorstand der LAGZ ist ein Gremi<strong>um</strong>,<br />

in dem der Präsident der Landeszahnärztekammer<br />

BW (LZK),<br />

der Prophylaxereferent der LZK,<br />

Vertreter des Sozialministeri<strong>um</strong>s, des<br />

Landkreis- und Städtetags BW sowie<br />

der Landesverbände der Krankenkassen<br />

und Ersatzkassen zusammentreffen,<br />

<strong>um</strong> Maßnahmen zur Erhaltung<br />

und Förderung der Zahngesundheit<br />

bei Kindern und Jugendlichen zu<br />

diskutieren und weiterzuentwickeln.<br />

Bei der Mitgliederversammlung<br />

haben zusätzlich Vertreter der Kassenzahnärztlichen<br />

Vereinigung BW,<br />

weitere Vertreter der Krankenkassen<br />

sowie <strong>die</strong> außerordentlichen Mitglieder<br />

der LAGZ und <strong>die</strong> 37 regionalen<br />

Arbeitsgemeinschaften Zahngesundheit<br />

<strong>die</strong> Gelegenheit, sich in <strong>die</strong>sen<br />

<strong>Diskussion</strong>s- und Arbeitsprozess<br />

einzuklinken und ihren ergänzenden<br />

Beitrag zur Zahngesundheitsförderung<br />

zu leisten. Wichtig ist auch <strong>die</strong><br />

Betrachtung der Gesamtjahresbilanz<br />

des Vorjahres sowie der Beschluss<br />

des Haushalts- und Stellenplans, der<br />

für 2018 einstimmig verabschiedet<br />

wurde.<br />

Zahngesundheitsförderung.<br />

Das Konzept „Planung und Ziele<br />

der Zahngesundheitsförderung in<br />

Baden-Württemberg für den Zeitra<strong>um</strong><br />

2018 bis 2022“ wurde durch<br />

Dr. Uwe Niekusch, Heidelberg, und<br />

den neuen Prophylaxereferenten der<br />

LZK, Dr. Bernd Krämer, ergänzt<br />

und überarbeitet. Zu den wichtigsten<br />

beschlossenen Planungszielen<br />

bis z<strong>um</strong> Ende des Schuljahres<br />

2021/22 zählen:<br />

• Der Kariesindex DMF-T soll bei<br />

den 12-Jährigen nicht mehr als<br />

0,4 betragen.<br />

• Der Kariesindex dmf-t soll bei<br />

den 6-Jährigen nicht mehr als<br />

1,5 betragen.<br />

• Der Anteil der naturgesunden Gebisse<br />

bei den 3-Jährigen soll mindestens<br />

70 Prozent betragen. Die<br />

Untersuchung erfolgt hier nach<br />

den Kriterien naturgesund, saniert<br />

und behandlungsbedürftig.<br />

Als neues Ziel kommt <strong>die</strong> frühkindliche<br />

Kariesprophylaxe hinzu.<br />

Sie soll bei den Arbeitsgemeinschaften<br />

für Zahngesundheit durch<br />

geeignete Strukturen und Maßnahmen<br />

gestärkt werden. Zudem soll<br />

den Planungszielen vorangestellt<br />

werden, dass sich aufgrund der<br />

Aufnahme von geflüchteten Menschen<br />

der Anteil der an Karies erkrankten<br />

Kinder und Schüler auch<br />

erhöhen kann, da <strong>die</strong> zahnmedizinische<br />

Versorgung und <strong>die</strong> Prävention<br />

in den Herkunftsländern nicht dem<br />

deutschen Versorgungsstandard<br />

entspricht. Im Verlauf der <strong>Diskussion</strong><br />

bei der Mitgliederversammlung<br />

kam außerdem zutage, dass es Tendenzen<br />

zur Verschlechterung der<br />

dmf-t/DMF-T-Werte gibt, weil bei<br />

der heutigen Elterngeneration das<br />

Problembewusstsein hinsichtlich<br />

Transparenz. Dr. Torsten Tomppert (3. v. r.), Vorsitzender der LAGZ, informierte <strong>die</strong> Mitglieder der LAGZ über <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

der Zahngesundheitsförderung in Baden-Württemberg sowie über <strong>die</strong> geplanten Projekte im Jahr 2018. Mit auf dem Podi<strong>um</strong>:<br />

(v. l. n. r.) Jörg Kriese, AOK BW, Daniel Flachs, BKK Landesverband Süd, Stephan Trabert, VdEK BW, Dr. Anke Hornstein, Städtetag<br />

BW, Dr. Bernd Krämer, LZK BW, Dr. Evelyn Bressau, Sozialministeri<strong>um</strong>, und Johannes Clausen, LAGZ.<br />

ZBW 2/2018<br />

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Prophylaxe 37<br />

Karies inzwischen fehlt oder auch<br />

<strong>die</strong> Karies bei Kindern von Alleinerziehenden<br />

zunimmt. In Kindertageseinrichtungen<br />

wird der Zahnhygiene<br />

aus Zeit- und Platzgründen<br />

oftmals kein hoher Stellenwert zugebilligt.<br />

Wenn Kinder ganztags in<br />

Kitas verweilen, sind entsprechende<br />

Hygienerä<strong>um</strong>e wichtig, <strong>um</strong> <strong>die</strong><br />

Mundhygiene <strong>um</strong>setzen zu können.<br />

Somit ist <strong>die</strong> LAGZ mehr denn je<br />

gefordert, mit Lösungsansätzen auf<br />

<strong>die</strong>se Veränderungen zu reagieren.<br />

Frühkindliche Karies. Der<br />

LAGZ-Vorstand brachte im Jahr<br />

2017 ein wichtiges Prophylaxeziel<br />

weiter voran: <strong>die</strong> flächendeckende<br />

Umsetzung einer frühkindgerechten<br />

zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe.<br />

Je früher <strong>die</strong> Prophylaxe<br />

greift, desto besser sind <strong>die</strong> Zähne<br />

der Kinder. Zudem besuchen <strong>die</strong><br />

Kinder immer früher Kindertageseinrichtungen,<br />

sodass man <strong>die</strong> bisherigen<br />

gruppenprophylaktischen<br />

Maßnahmen an das jüngere Alter<br />

der Kinder anpassen muss.<br />

Die LAGZ legte aufgrund der<br />

Planung der LAGZ-Geschäftsführung<br />

den Fokus auf <strong>die</strong>se Entwicklung<br />

schon vor vier Jahren.<br />

Im Rahmen des LAGZ-For<strong>um</strong>s<br />

im Kloster Schöntal informierten<br />

renommierte Referent/innen <strong>die</strong><br />

regionalen Arbeitsgemeinschaften<br />

Zahngesundheit über Strategien zur<br />

Vermeidung von frühkindlicher Karies.<br />

So gab Professor Dr. Christian<br />

Splieth, Abteilung für Präventive<br />

Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde<br />

an der Uni Greifswald, z. B.<br />

im Jahr 2015 seine Erfahrungen zur<br />

„Kita mit Biss: ein Weg zur Eigenverantwortung“<br />

weiter. 2016 führte<br />

Professor Dr. Christina Jasmund,<br />

Lehrstuhlinhaberin für Pädagogik<br />

der frühen Kindheit an der Hochschule<br />

Niederrhein in Mönchengladbach,<br />

mit der Vorstellung ihrer<br />

Empfehlung für <strong>die</strong> Deutsche Arbeitsgemeinschaft<br />

für Jugendzahnpflege<br />

(DAJ) z<strong>um</strong> Thema „Frühkindliche<br />

Karies: zentrale Inhalte<br />

der Gruppenprophylaxe für unter<br />

3-jährige Kinder“ <strong>die</strong>ses Thema<br />

konsequent weiter. Dabei wurden<br />

<strong>die</strong> Gestaltungsmöglichkeiten der<br />

Zahn- und Mundgesundheitsförderung<br />

für unter 3-Jährige in Kindertageseinrichtungen<br />

und Tagespflege<br />

Kariesentwicklung. Roswitha Henkel (r.) von der AG Karlsruhe und Marina Bull-Müller von<br />

der AG Lörrach schilderten ihre Erfahrungen mit den betreuten Kindertageseinrichtungen.<br />

Anregungen. Die Mitgliederversammlung der LAGZ <strong>die</strong>nt auch dem Austausch. Hier<br />

bringt sich Dr. Sabine Breitenbach (l.) von der AG Mannheim in <strong>die</strong> <strong>Diskussion</strong> ein, daneben:<br />

Dr. Miriam Wirt-Gödde von der AG Calw und Jutta Jäckels von der AGZ Rems-Murr.<br />

aus kindeswissenschaftlicher Sicht<br />

vorgestellt. Der Fachbeirat der<br />

LAGZ lieferte zudem im Jahr 2016<br />

ein Empfehlungsdok<strong>um</strong>ent für <strong>die</strong><br />

zahnmedizinische Gruppenprophylaxe<br />

bei unter 3-jährigen Kindern in<br />

Baden-Württemberg. Als im September<br />

2017 Dr. Andrea Th<strong>um</strong>eyer,<br />

Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft<br />

für Jugendzahnpflege<br />

(LAG) Hessen, auf Bitte von Dr.<br />

Torsten Tomppert dem LAGZ-Vorstand<br />

das von ihr vor 13 Jahren entwickelte<br />

und in Hessen erfolgreich<br />

durchgeführte Konzept über <strong>die</strong><br />

zahnmedizinische Gruppenprophylaxe<br />

für <strong>die</strong> 0- bis unter 3-Jährigen<br />

vorstellte, führte <strong>die</strong>s z<strong>um</strong> entscheidenden<br />

Durchbruch für eine Neukonzeption<br />

in Baden-Württemberg.<br />

Ausblick. Der LAGZ-Vorstand<br />

konnte einen Beschluss herbeiführen,<br />

der z<strong>um</strong> Jahresbeginn 2018<br />

den Anstoß für eine Konzepterstellung<br />

für <strong>die</strong> Betreuung von unter<br />

3-jährigen Kindern in der zahnmedizinischen<br />

Gruppenprophylaxe<br />

in Baden-Württemberg unter<br />

besonderer Berücksichtigung des<br />

Konzepts der DAJ/LAG Hessen<br />

gab. Dabei soll der Orientierungsplan<br />

für Bildung und Erziehung<br />

des Kultusministeri<strong>um</strong>s Baden-<br />

Württemberg berücksichtigt werden.<br />

Somit können <strong>die</strong> regionalen<br />

Arbeitsgemeinschaften für Zahngesundheit<br />

erwarten, ein qualifiziertes,<br />

spezifisch auf Baden-<br />

Württemberg zugeschnittenes, von<br />

Experten ausgearbeitetes Konzept<br />

zur frühkindgerechten zahnmedizinischen<br />

Gruppenprophylaxe als<br />

Empfehlung zur Hand zu bekommen,<br />

<strong>um</strong> ihre Arbeit in den Kindertageseinrichtungen<br />

zu optimieren.<br />

» claudia.richter@izz-online.de<br />

Fotos: Claudia Richter<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


38<br />

Praxis<br />

Der GOZ-Ausschuss der LZK BW informiert<br />

Schädliche Gewohnheiten und Dysfunktionen<br />

in der Zahnheilkunde<br />

Schädliche Gewohnheiten bedrohen <strong>die</strong> Integrität und <strong>die</strong> Funktionalität<br />

des Kauorgans in jeder Lebensphase. Die Leistung des Zahnarztes als<br />

Ratgeber wird über <strong>die</strong> GOZ-Nr. 6190 berechnet und ist bei weitem<br />

nicht auf <strong>die</strong> KFO-Behandlung begrenzt.<br />

Regelmäßiger achtloser Umgang<br />

mit den Zähnen über mehrere Minuten<br />

oder gar Stunden über den<br />

Tag verteilt, wie z. B. das Kauen<br />

auf Pfeifenmundstücken, das Mitarbeiten<br />

des Mundes als „dritte<br />

Hand“ z. B. durch Speicherung/<br />

Bereitstellung von Nähnadeln oder<br />

Tapeziernägeln, oder <strong>die</strong> Zweckentfremdung<br />

der Zähne bis hin<br />

z<strong>um</strong> Öffnen von Verschluss- oder<br />

Verpackungsmaterial sind nicht<br />

unüblich. Solche unbewussten Gewohnheiten<br />

werden als (bad) Habits<br />

bezeichnet, sie werden aber<br />

auch durch berufliche Besonderheiten<br />

(z. B. Bläser, Violinisten<br />

etc.) hervorgerufen.<br />

Nicht autonom steuerbar sind<br />

Dysfunktionen, wie heftiges Zähnepressen<br />

oder Knirschen, aber<br />

auch neurologische oder psychiatrische<br />

Krankheitsbilder, <strong>die</strong> zu<br />

einem nicht balancierten Wechselspiel<br />

zwischen den von vestibulär<br />

auf <strong>die</strong> Zahnbögen einwirkenden<br />

Kräften und der von oral entgegenwirkenden<br />

Kraft der Zunge führen<br />

können. Schließlich sind auch<br />

schlechte Pflegegewohnheiten, <strong>die</strong><br />

zu Hygienemängeln oder Putzdefekten<br />

bzw. einem erhöhten Karies-<br />

oder Parodontitisrisiko oder<br />

Risiken für <strong>die</strong> Mundschleimhaut<br />

führen, oder Lifestyle-Produkte<br />

(orale Piercings etc.) eine Quelle<br />

für den Misserfolg für jedweden<br />

Zahnersatz. Besonders beim Eingliedern<br />

von festsitzendem, ggf.<br />

implantatgetragenem Zahnersatz,<br />

ist schon bei der Planung darauf zu<br />

achten, dass Habits oder Dysfunktionen<br />

nicht zur Gefahr für sein<br />

dauerhaftes Verbleiben im Mund<br />

oder das Restgebiss werden.<br />

Bewusstsein wecken. Der<br />

Zahnarzt muss dem Patienten Habits<br />

bewusst machen und ihm ggf.<br />

anhand von Übungen dabei helfen<br />

sie beherrschen zu lernen. Vor einer<br />

Implantatversorgung, oder wird<br />

ein Vorstadi<strong>um</strong> einer lebensbedrohenden<br />

Mundschleimhauterkrankung<br />

sichtbar, ist <strong>die</strong> Raucherentwöhnungsberatung<br />

unverzichtbar.<br />

Die Leistung wird nach der GOZ-<br />

Nr. 6190 berechnet. Sie <strong>um</strong>fasst <strong>die</strong><br />

Aufklärung über den Habit oder<br />

<strong>die</strong> Dysfunktion, <strong>die</strong> Erklärung<br />

der Symptomatik und <strong>die</strong> Aufklärung<br />

über <strong>die</strong> Folgen derselben, <strong>die</strong><br />

Anleitung zu Übungen zu seiner<br />

Beseitigung und <strong>die</strong> Beratung über<br />

<strong>die</strong> bewusste Verhaltensänderung<br />

im Alltag, sowie <strong>die</strong> notwendigen<br />

Aufzeichnungen darüber und deren<br />

Archivierung.<br />

Foto: bidaya/Fotolia<br />

Kinder und Jugendliche. Bei<br />

Kindern und Heranwachsenden<br />

sind es oft Habits, <strong>die</strong> sich mit der<br />

Zeit zu Dysfunktionen verselbstständigen.<br />

Verliert das Kleinkind<br />

ab einem gewissen geistig/sozioemotionalen<br />

Entwicklungsstadi<strong>um</strong><br />

(durchschnittlich nach dem 3.<br />

Lebensjahr) nicht den physiologischen<br />

Lutschdrang, und persistiert<br />

er als Habit in Form von einer länger<br />

anhaltenden Einlagerung von<br />

Fremdkörpern in den Mund, z. B.<br />

Finger, Schnuller oder Ähnlichem,<br />

kommt es zu typischen Verformungen<br />

der Kiefer (schmaler, hoher<br />

Ga<strong>um</strong>en, frontal offener Biss, Distalbiss,<br />

Kreuzbiss u. a.). Schließlich<br />

mündet <strong>die</strong> Lutschgewohnheit<br />

in <strong>die</strong> dauerhafte Dysfunktion von<br />

Atmung, Zunge und Lippenmuskulatur.<br />

Häufige Erkältungen als Folge<br />

der Mundatmung, Verlegung der<br />

Nasengänge und des Rachens durch<br />

adenoide Wucherungen bis hin zu<br />

einer verlangsamten Entwicklung<br />

der intellektuellen Fähigkeiten<br />

durch <strong>die</strong> Minderversorgung des<br />

Gehirns mit Sauerstoff sind dann<br />

als Folgen zu beobachten. Je früher<br />

bei den jungen Patienten eingegriffen<br />

wird, desto besser <strong>die</strong> Prognose.<br />

Flankierend zur Beratung und<br />

Belehrung treten kieferorthopädische<br />

Maßnahmen im Rahmen einer<br />

interzeptiven (Früh-) Behandlung.<br />

Logopädische Übungen. Über<br />

<strong>die</strong> Anweisung zu myofunktionellen<br />

Übungen hinaus, ist <strong>die</strong> Durchführung<br />

von Therapiesitzungen in<br />

der Zahnarztpraxis nicht Inhalt der<br />

Leistung nach der GOZ-Nr. 6190.<br />

Derartige myofunktionelle Übungen<br />

bzw. angewandte Übungssitzungen,<br />

<strong>die</strong> in der eigenen Praxis<br />

durchgeführt werden, sind in der<br />

GOZ nicht beschrieben und sind<br />

daher gemäß § 6 Abs. 1 GOZ analog<br />

zu berechnen.<br />

Fazit. Dysfunktionen können<br />

sich in jedem Lebensalter und aus<br />

unterschiedlichen Gründen entwickeln.<br />

Ein essenzieller Baustein bei<br />

der Therapie ist das beratende und<br />

belehrende Gespräch.<br />

Autorenteam des<br />

GOZ-Ausschusses der LZK BW<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Praxis 39<br />

Neues aus dem PRAXIS-Handbuch der LZK BW<br />

Anamneseerhebung in der Zahnarztpraxis<br />

Foto: Radu/LZK BW<br />

Die sorgfältige und aktuelle Anamneseerhebung ist aus<br />

medizinischer und rechtlicher Sicht für eine adäquate<br />

Patientenbehandlung unerlässlich. In Zeiten medizinischen<br />

Fortschrittes, steigender Lebenserwartung, aber<br />

auch des Zuzuges von Menschen aus allen Teilen der<br />

Welt werden wir in den Praxen mit zunehmend komplexeren<br />

Behandlungssituationen wie z. B. Multimorbidität,<br />

Polypharmazie aber auch Sprachbarrieren konfrontiert.<br />

Die Muster-Patientenerhebungsbögen im PRAXIS-<br />

Handbuch der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg<br />

stellen hier eine praktische Hilfestellung für<br />

das Praxisteam dar. Es handelt sich <strong>um</strong> individualisierbare<br />

gleich strukturierte Word-Dok<strong>um</strong>ente in deutscher<br />

Sprache und weiteren 16 Sprachübersetzungen (Arabisch,<br />

Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch,<br />

Kroatisch, Mazedonisch, Montenegrinisch, Persisch,<br />

Polnisch, Portugiesisch, R<strong>um</strong>änisch, Russisch, Serbisch,<br />

Spanisch und Türkisch).<br />

Die Muster-Patientenerhebungsbögen finden Sie auf<br />

der Homepage der LZK BW in der Online-Version des<br />

PRAXIS-Handbuchs unter www.lzk-bw.de („ZAHNÄRZ-<br />

TE“ >>> unter der Rubrik „Praxisführung“ auf das „PRA-<br />

XIS-Handbuch“ >>> nochmal auf „PRAXIS-Handbuch“<br />

>>> Schaltfläche „3. Qualitätssicherung: Anhang“ >>><br />

„3.5 Formulare“ >>> „3.5.13 Praxisverwaltung“.<br />

Für den Praxisführungsausschuss<br />

Dr. Norbert Struß, Freiburg<br />

Anzeige<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


40<br />

Leserreise<br />

LZK-Mitglieder-Fachexkursion 2017 nach Japan<br />

Eindrücke aus dem Land<br />

der aufgehenden Sonne<br />

Das Reiseziel der LZK-Mitglieder-Fachexkursion 2017 nach Fernost<br />

verlangte uns schon bei der Anreise einiges ab. So erreichten wir<br />

am Nachmittag des 23. Oktober 2017 Tokio, wo wir von unserer<br />

quirligen japanischen Reiseführerin empfangen wurden. Wir mussten<br />

uns an sieben Stunden Zeitunterschied anpassen. Es stand eine<br />

„durchgetaktete“ Woche mit einem <strong>um</strong>fangreichen Besichtigungsprogramm<br />

bevor.<br />

Patientenroboter. Der Nachmittag<br />

war dem Besuch der Tokio<br />

Showa University Dental Hospital<br />

vorbehalten.<br />

Wir wurden kollegial begrüßt<br />

und durch alle klinischen Abteilungen<br />

geführt. Die neusten CAD/<br />

CAM-Geräte wurden vorgeführt<br />

und Verbesserungen erläutert. Das<br />

Highlight war ein dort entwickelter<br />

Patientenroboter für den klinischen<br />

Phantomkurs. Körperbewegungen,<br />

Mundreaktionen, Augenbewegungen,<br />

Zungenbewegungen mit Würgereiz<br />

und Zungenreflex konnten<br />

perfekt simuliert werden. Ein vollendeter<br />

Roboter unter einer künstlichen<br />

Haut.<br />

Einen schönen Tagesabschluss<br />

bildete der Besuch des Senso-ji-<br />

Tempels, im Volksmund Asakusa-<br />

Kannon-Tempel genannt, Tokios<br />

heiligster Tempelanlage.<br />

Mit gepackten Koffern bestiegen<br />

wir frühmorgens den Bus, <strong>um</strong> im<br />

Kampo-Muse<strong>um</strong> Vorträgen von<br />

mehreren Apothekern über <strong>die</strong><br />

Kampo-Heilkunde, eine an japanische<br />

Bedürfnisse angepasste Weiterentwicklung<br />

der traditionellen<br />

Chinesischen Medizin, zu folgen.<br />

Ziel ist, immer ein Gleichgewicht<br />

zwischen Yin und Yang zu finden<br />

und <strong>die</strong>ses naturheilkundlich zu<br />

unterstützen.<br />

Reisegruppe. Die Reiseteilnehmerinnen und Reiseteilnehmer in buddhistischer Gelassenheit.<br />

Mit „Konnichiwa“ wurden wir<br />

von unserer Reiseleiterin Makinosan<br />

Gings begrüßt. Die Reise ging<br />

nach Nikko. Auf dem Weg machten<br />

wir einen Abstecher zu dem<br />

bekannten Kegon Wasserfall am<br />

Chuzenji See – ein beeindruckendes<br />

Naturschauspiel. Das Tagesziel,<br />

der Tosho-gu-Schrein zu Ehren<br />

Tokugawa Ieyasus, dem Gründer<br />

Edos, des heutigen Tokio und<br />

einer Dynastie, welche 250 Jahre<br />

Japan beherrschte, sollte uns weit<br />

mehr beeindrucken.<br />

Der Kaiserpalast am nächsten<br />

Tag war hoch <strong>um</strong>mauert und<br />

strengstens abgeschottet. Er war<br />

so wie der Shinto-Schrein von dem<br />

Bombardement der Alliierten 1945<br />

schwer beschädigt.<br />

Fotos: Dr. Jooß<br />

Fuji im Schnee. Am Folgetag<br />

holte uns der Bus z<strong>um</strong> Tokioter<br />

Hauptbahnhof ab. Jeder versuchte<br />

noch schnell ein Foto vom einfahrenden<br />

Zug Shinkansen zu schießen.<br />

Gutes Wetter ermöglichte uns<br />

eine wunderbare Sicht auf den<br />

bekanntesten Vulkan Japans, den<br />

Fuji. Nächtlicher Schneefall verstärkte<br />

den Bilderbuchanblick <strong>die</strong>ses<br />

besonderen Berges.<br />

Nach zweistündiger Zugfahrt<br />

hatten wir über 350 Kilometer<br />

nach Kyoto zurückgelegt. Die alte<br />

frühere Kaiserresidenz ist <strong>die</strong> <strong>um</strong>gekehrte<br />

Schreibweise von Tokio.<br />

Dort gibt es historische Vergnügungsviertel,<br />

welche aus den Filmen<br />

wie „Die Geisha“ oder „Der<br />

letzte Samurai“ bekannt sind. Ein<br />

Ziel war der in einem wunderbaren<br />

Wandelgarten gelegene Goldene<br />

Pavillon (japanisch Kinkaku-ji).<br />

Im 14. Jahrhundert von dem Shogun<br />

Yoshimitsu erbaut, <strong>die</strong>nte er<br />

<strong>die</strong>sem als Altersruhesitz, nach<br />

dessen Tod wurde er wieder z<strong>um</strong><br />

Tempel <strong>um</strong>gewandelt.<br />

ZBW 2/2018<br />

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Leserreise 41<br />

Der Ryoan-ji-Tempel, mit seinem<br />

berühmten Steingarten ist<br />

höchster Ausdruck des Zen-Buddhismus<br />

und zählt inzwischen z<strong>um</strong><br />

UNESCO-Weltkulturerbe.<br />

Mittags kehrten wir zu einem<br />

gemeinsamen japanischen Mittagessen<br />

ein. Um <strong>die</strong> richtige Reihenfolge<br />

beim Verzehr der verschiedenen<br />

Spezialitäten einzuhalten,<br />

bedurfte es der Anleitung unserer<br />

Reiseleiterin. Das Tagesprogramm<br />

schlossen wir mit der Besichtigung<br />

des Fushimi-Inari-Schreins ab. Er<br />

ist der Reis-und-Sake-Gottheit geweiht<br />

und erkennbar an den steinernen<br />

Füchsen mit rotem Latz,<br />

welche <strong>die</strong> Eingänge bewachen.<br />

Händler, <strong>die</strong> reichlich spenden, haben<br />

hier für guten Umsatz gebetet.<br />

UNESCO-Weltkulturerbe. Am<br />

letzten Tag verließen wir Kyoto in<br />

Richtung Osaka, der Hafenstadt.<br />

Unterwegs ein Abstecher nach<br />

Nara, 710 gegründet als Endstation<br />

der Seidenstraße, ein ehemaliges<br />

Zentr<strong>um</strong> des Buddhismus. Die<br />

hier befindliche Todai-ji-Tempelanlage<br />

zählt auch z<strong>um</strong> UNESCO-<br />

Weltkulturerbe und besteht aus<br />

unterschiedlichen Untertempeln,<br />

Hallen, Pagoden und Toren, wird<br />

aber durch <strong>die</strong> Große Buddha-Halle<br />

dominiert. Diese Haupthalle ist<br />

der größte Holzbau der Welt und<br />

beherbergt <strong>die</strong> größte, 16 Meter<br />

hohe und mehrere Tonnen schwere<br />

bronzene Buddha-Statue Daibutsu,<br />

welche seit ihrer Errichtung im<br />

Jahr 751 allen Naturkatastrophen<br />

standgehalten hat. Ein Spaziergang<br />

durch den Narapark mit freilebenden,<br />

als Götterboten geltenden Hirschen,<br />

führte uns über einen mit<br />

1000 steinernen Laternen gesä<strong>um</strong>ten<br />

Weg zu dem Kasuga-Schrein.<br />

Der Schrein wurde von einer der<br />

Gründerfamilien Naras 768 errichtet<br />

und gemäß den Shinto-Regeln<br />

von Reinheit und Erneuerung alle<br />

20 Jahre zerstört und neu errichtet,<br />

über <strong>die</strong> Jahrhunderte hinweg bisher<br />

60 Mal.<br />

In Osaka hatte unsere Reiseleiterin<br />

noch einen Programmpunkt<br />

reserviert, den Besuch des Osaka<br />

Nationalmuse<strong>um</strong>s für Ethnologie.<br />

Über mehrere Etagen bot sich uns<br />

eine Zusammenfassung und Erklärung<br />

des bisher Gesehenen und<br />

Erlebten.<br />

Der Tag unserer Abreise war<br />

gekommen. Zu dem Regen vom<br />

Vortag kam inzwischen noch Wind<br />

mit erheblichen Böen hinzu. Ein<br />

Taifun hatte vor uns <strong>die</strong> Flugroute<br />

nach Shanghai gewählt und so<br />

Fachprogramm. Für <strong>die</strong> Ausbildung der<br />

Studenten wird ein Patientenroboter eingesetzt.<br />

verzögerte sich der Abflug nach<br />

Shanghai <strong>um</strong> fünf Stunden, wo unsere<br />

chinesische Reiseleiterin Lu<br />

trotz unserer Verspätung <strong>die</strong> alternative<br />

Beförderung mit dem Bus<br />

z<strong>um</strong> Hotel organisiert hatte.<br />

Dort trennten sich nun <strong>die</strong> Wege<br />

der Reisegruppe; ein Teil flog am<br />

nächsten Morgen nach Hause,<br />

während der Rest noch weitere<br />

Tage in Shanghai verbrachte.<br />

Dr. Manfred Jooß,<br />

Ute Ziegler-Cleven<br />

Anzeige<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


Kursprogramm Februar / März 2018<br />

Jetzt online<br />

anmelden unter<br />

fortbildung.kzvbw.de<br />

Das geschriebene Wort: E-Mails und Briefe mit Pfiff<br />

(Kurs-Nr.: 18FKM20104)<br />

Dr. Hans-Dieter Grospietsch, Stuttgart (für Zahnmedizinische Fachangestellte)<br />

€ 250.-<br />

Erfolgsfaktor: konstruktives Konfliktmanagement<br />

(Kurs-Nr.: 18FKM20105)<br />

Claudia Thiel-Steffen, Freiburg<br />

(für Zahnmedizinische Fachangestellte)<br />

€ 225.-<br />

Gesunde Ernährung im Focus - „Du bist was Du isst“<br />

(Kurs-Nr.: 18FKT20903)<br />

Dipl. oec. troph.<br />

(für das Praxisteam)<br />

Barbara Bjarnason-Ba<strong>um</strong>ann, Bühl<br />

4 Fortbildungspunkte € 125.- (pro Person)<br />

21.02.2018<br />

23.02.2018<br />

23.02.2018<br />

Top in der Ausbildung - Mit Stärken punkten.<br />

Kompetenzen im Ausbildungsprozess aktivieren<br />

(Kurs-Nr.: 18FKM20106) 24.02.2018<br />

Regina M. Bach, Mannheim<br />

(für Zahnmedizinische Fachangestellte)<br />

€ 150.-<br />

Erfolgsfaktor: Konstruktives Konfliktmanagement<br />

(Kurs-Nr.: 18FKZ20103)<br />

Claudia Thiel-Steffen, Freiburg<br />

(für Zahnärztinnen / Zahnärzte)<br />

€ 225.-<br />

CEREC Frontzahnrestauration - Ein praktischer Arbeitskurs am CEREC-Gerät<br />

Für das Praxisteam (ein ZA + eine ZFA)<br />

(Kurs-Nr.: 18FKT31802)<br />

Dr. Gabriel Bosch oder Dr. Andreas Ender, Zürich<br />

9 Fortbildungspunkte € 845.- (Zahnärztinnen / Zahnärzte)<br />

€ 495.- (ZFA / Mitarbeiter/-in)<br />

Das Self Adjusting File System<br />

(Kurs-Nr.: 18FKZ30704)<br />

Prof. Dr. Karl-Thomas Wrbas, Freiburg (für Zahnärztinnen / Zahnärzte)<br />

5 Fortbildungspunkte € 175.-<br />

Strukturierte Fortbildung: ZAHNÄRZTLICHE CHIRURGIE und TRAUMATOLOGIE in Theorie<br />

und Praxis, Teil 1 - 4<br />

(Kurs-Nr.: 18FKZ40501)<br />

Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Andreas Filippi, Basel<br />

(für Zahnärztinnen / Zahnärzte)<br />

71 Fortbildungspunkte € 3.100.-<br />

24.02.2018<br />

24.02.2018<br />

02.03.2018<br />

16.03.-17.03.2018<br />

04.05.-05.05.2018<br />

15.06.-16.06.2018<br />

13.07.-14.07.2018<br />

FFZ Fortbildungsfor<strong>um</strong><br />

Zahnärzte<br />

Merzhauser Straße 114-116<br />

79100 Freiburg<br />

Fon: 0761 4506-160/-161<br />

Fax: 0761 4506-460<br />

Mail: info@ffz-fortbildung.de<br />

Web: www.ffz-fortbildung.de


Regionen 43<br />

Mannheimer Vesperkirche<br />

Anlaufpunkt für <strong>die</strong> Gestrandeten<br />

Nahrung für Leib und Seele – das möchte <strong>die</strong> Mannheimer Vesperkirche<br />

leisten. Über 500 Menschen erhalten in der Citykirche Konkor<strong>die</strong>n<br />

viel mehr als eine warme Mahlzeit. Sie bekommen Zuneigung, Rat und<br />

vor allem: das Gefühl, Mensch zu sein. Und auch <strong>die</strong> medizinische<br />

Betreuung gehört seit Jahren mit z<strong>um</strong> Angebot. Sie wurde in <strong>die</strong>sem<br />

Jahr erweitert. Die Allgemeinmediziner <strong>um</strong> Dr. Johannes Hechler erhielten<br />

in <strong>die</strong>sem Jahr zahnmedizinischen Beistand durch Dr. Bernhard<br />

Jäger. „Ich kann in der Kirche natürlich keine Untersuchungen vornehmen.<br />

Dafür stellt mir ein Kollege im Quadrat Q 5 ein Behandlungszimmer<br />

seiner Praxis zur Verfügung.“ Den ersten Zahn hat er dort<br />

bereits gezogen. Das Zahnärzteblatt druckt den Beitrag aus dem<br />

Darmstädter Echo vom 12. Januar nach.<br />

nicht großartig geändert“, so seine<br />

Beobachtung. „Es geht vor allem<br />

<strong>um</strong> Verbände und <strong>die</strong> Behandlung<br />

kleinerer Wunden.“ Gerade bei<br />

den Obdachlosen kommen Hautkrankheiten<br />

und Erkrankungen an<br />

den Füßen häufiger vor. „Es wurde<br />

nicht anders, es wurde nur mehr“,<br />

so der Arzt.<br />

Armut. Als Indikator für eine<br />

steigende Armut sieht er <strong>die</strong> seit<br />

Jahren steigende Zahl in der Essensausgabe<br />

aber nicht. „Es spricht sich<br />

einfach nur stärker her<strong>um</strong>. Hierher<br />

kommen <strong>die</strong> Gestrandeten.“<br />

Denen will auch Zahnarzt Dr.<br />

Berhard Jäger helfen. Andreas Kandefer,<br />

ein alter Freund, der mittlerweile<br />

bei den Johannitern eingesetzt<br />

wird, hatte den Friedrichsfelder zur<br />

Vesperkirche gebracht. „Ich bin<br />

in erster Linie Ansprechpartner“,<br />

so seine Erfahrung aus den ersten<br />

Tagen in der Citykirche. Denn <strong>die</strong><br />

Angst vor dem Arzt sei beim Zahnmediziner<br />

noch ein wenig stärker<br />

ausgeprägt. Trotzdem hilft er gerne.<br />

Vesperkirche. Zahnarzt Dr. Bernhard Jäger ist neu im Mediziner-Team der Vesperkirche.<br />

Menschen mit Rucksäcken und abgetragener<br />

Kleidung sind auch in<br />

der Vesperkirche zu Gast. In Taschen<br />

oder Plastiktüten tragen sie<br />

ihre gesamte Habe – z<strong>um</strong>indest den<br />

Teil, den sie nicht direkt am Körper<br />

tragen. Eine Arztpraxis haben viele<br />

schon lange nicht mehr von innen<br />

gesehen. Der fehlende Versicherungsschutz<br />

spielt dabei nur eine<br />

untergeordnete Rolle. „Oft ist es<br />

auch Schamgefühl, sich in ein Wartezimmer<br />

zu anderen Menschen<br />

zu setzen“, weiß Pfarrerin Ilka Sobottke.<br />

„Die Angst vor dem Arzt<br />

ist hier schon ausgeprägt“, erklärt<br />

Allgemeinmediziner Hechler. Seit<br />

er im Jahr 2003 seine Praxis in der<br />

Innenstadt aufgegeben hat, kam er<br />

über <strong>die</strong> Obdachlosensprechstunde<br />

der Stadt Mannheim mit der Vesperkirche<br />

in Kontakt.<br />

Unterstützung. Anfangs war der<br />

heute 76-Jährige zwei Mal pro Woche<br />

als Ansprechpartner vor Ort,<br />

unterstützte den Sanitäts<strong>die</strong>nst der<br />

Johanniter. Mittlerweile teilt er sich<br />

den Dienst mit weiteren pensionierten<br />

Kollegen, ist an fünf Tagen der<br />

Woche ein Arzt in der Kirche. „Die<br />

Behandlungen haben sich seither<br />

Foto: Gerold<br />

Medizinische Betreuung. Die<br />

medizinische Betreuung gehört für<br />

Pfarrerin Sobottke z<strong>um</strong> Gesamtangebot,<br />

das in jedem Jahr noch ein<br />

wenig ausgefeilter werde. „In <strong>die</strong>sem<br />

Jahr haben wir erstmals eine<br />

Friseurin, <strong>die</strong> an ihrem eigentlich<br />

freien Montag Termine an Obdachlose<br />

vergibt.“ Und außerdem:<br />

„Unser Eingangsbereich ist neu,<br />

wir haben eine bessere Beleuchtung<br />

und mehr Platz. Mein Eindruck ist,<br />

dass <strong>die</strong> Menschen dadurch viel<br />

freundlicher und entspannter zu<br />

uns kommen.“ Das sieht auch Harald<br />

so. Der heute 62-Jährige trägt<br />

seine Habe bei sich, strahlt, als ihm<br />

eine der Helferinnen den Kuchen<br />

z<strong>um</strong> Nachtisch bringt. „Die Vesperkirche<br />

ist für mich ein Gottesgeschenk.“<br />

Volker Endres<br />

Nachdruck mit<br />

freundlicher Genehmigung<br />

des Darmstädter Echo<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


44<br />

Kultur<br />

Reinhold Nägele im Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart<br />

Chronist der Moderne<br />

Reinhold Nägele (Murrhardt 1884 – 1972 Stuttgart) erweist sich in<br />

vielen seiner Werke als präziser Beobachter historischer Ereignisse<br />

sowie des technischen Fortschritts im ersten Drittel des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts. Die Ausstellung „Reinhold Nägele. Chronist der Moderne“<br />

im Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart rückt mit einer Auswahl von rund<br />

90 Gemälden, Ra<strong>die</strong>rungen und Hinterglasmalereien besonders den<br />

städtebaulichen Wandel Stuttgarts in den Fokus.<br />

Stuttgarter Bahnhofsplatz. Ra<strong>die</strong>rung von Reinhold Nägele aus dem Jahr 1926.<br />

Der Maler und Grafiker Reinhold<br />

Nägele war zeitlebens eng mit der<br />

Region Stuttgart verbunden. Ausgangspunkt<br />

für <strong>die</strong> Ausstellung im<br />

Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart sind Nägeles<br />

Werke aus den 1910er- bis<br />

1930er-Jahren. Dies entspricht jener<br />

Zeit, in der Nägele in Stuttgart als<br />

freischaffender Künstler tätig war<br />

und sich etablieren konnte, bevor<br />

er dann 1939 mit seiner jüdischen<br />

Frau Alice Nördlinger Deutschland<br />

verlassen und mit den zuvor ins Exil<br />

geschickten drei Söhnen ein neues<br />

Leben in den USA aufbauen musste.<br />

Zeitgeschichte. Im Fokus stehen<br />

hierbei jene Werke, <strong>die</strong> Nägele<br />

als Begleiter und scharfen<br />

Beobachter der baulichen, technischen<br />

und zeitgeschichtlichen<br />

Entwicklungen in den Jahren des<br />

gesellschaftlichen und politischen<br />

Wandels nach dem Ersten Weltkrieg<br />

ausweisen. Nägele ist aber<br />

keineswegs nur ein prosaischer<br />

Chronist: Er beschränkt sich nicht<br />

auf <strong>die</strong> nüchterne Dok<strong>um</strong>entation<br />

seiner Umgebung, sondern bringt<br />

seinen scharfsinnigen Blick auf <strong>die</strong><br />

Welt z<strong>um</strong> Ausdruck, indem er mit<br />

einem feinen und tiefsinnigen H<strong>um</strong>or<br />

verschiedene Ereignisse und<br />

Situationen kommentiert. Er öffnet<br />

uns <strong>die</strong> Augen für das Menschlich-<br />

Skurrile der alltäglichen Realität.<br />

Dennoch bewahrt er als Zeitzeuge<br />

auch eine kritische Distanz zu den<br />

Dingen und Geschehnissen.<br />

So erklärt sich vielleicht der Umstand,<br />

dass er häufig <strong>die</strong> Vogelperspektive<br />

für seine Schilderungen<br />

wählt. Darüber hinaus beweisen<br />

seine detailreichen, miniaturhaften<br />

Bildkompositionen ein besonderes<br />

maltechnisches und koloristisches<br />

Geschick sowie ein hervorragendes<br />

Gespür für den Zusammenklang<br />

von Linien, Formen, Farben und<br />

rä<strong>um</strong>lichen Anordnungen.<br />

Foto: Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart © VG Bild-Kunst, Bonn 2017<br />

Aktualität. Die Ausstellung zeigt<br />

seine Bedeutung als Beobachter<br />

von zeitgeschichtlichen Ereignissen<br />

sowie den technischen und<br />

städtebaulichen. Gerade weil viele<br />

der von Nägele dargestellten Orte –<br />

Gebäude, Plätze und Straßenzüge –<br />

heute noch existieren, lädt <strong>die</strong> Ausstellung<br />

dazu ein, Stuttgart und<br />

seine Umgebung anhand der Veränderungen<br />

zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

kennenzulernen. Vor dem<br />

Hintergrund heutiger Stuttgarter<br />

Bauvorhaben sind <strong>die</strong>se Bilder aktueller<br />

denn je. Präsentiert werden<br />

in der Ausstellung außerdem Arbeiten,<br />

in denen der Maler und Grafiker<br />

einen besonderen, zuweilen<br />

ironischen und kuriosen Blick auf<br />

Episoden des kulturellen und politischen<br />

Lebens sowie verschiedene<br />

zeitgeschichtliche Ereignisse wirft.<br />

Das Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart besitzt<br />

mit 116 Werken einen der <strong>um</strong>fangreichsten<br />

öffentlichen Bestände<br />

des Künstlers, der für <strong>die</strong> Ausstellung<br />

<strong>um</strong> wichtige Leihgaben ergänzt<br />

wird. Im Zuge der Recherchen<br />

konnten Neuentdeckungen im<br />

Privatbesitz gemacht werden, <strong>die</strong><br />

bislang nicht im Werkverzeichnis<br />

zu Nägele aufgeführt und erstmals<br />

öffentlich zu sehen sind.<br />

Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart/IZZ<br />

Info<br />

Reinhold Nägele<br />

Chronist der Moderne<br />

bis 3. Juni 2018<br />

Öffnungszeiten<br />

Di bis So 10 bis18 Uhr<br />

Fr 10 bis 21 Uhr<br />

Eintritt<br />

6 Euro, ermäßigt 4 Euro<br />

Informationen<br />

Kunstmuse<strong>um</strong> Stuttgart<br />

Kleiner Schlossplatz 1<br />

70173 Stuttgart<br />

Tel.: 0711-216 196 00<br />

www.kunstmuse<strong>um</strong>-stuttgart.de<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Namen und Nachrichten 45<br />

Zahnärztliche Hilfseinsätze<br />

Unterstützung gesucht<br />

Für <strong>die</strong> Unterstützung der Projekte<br />

in Haiti, der Dominikanischen Republik,<br />

Jamaika und Kuba möchten<br />

wir uns auf <strong>die</strong>sem Weg bei<br />

allen Spendern bedanken. Dadurch<br />

konnten viele Projekte unterstützt<br />

werden. So hatten junge Kolleginnen<br />

und Kollegen <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

an einem Hilfseinsatz teilzunehmen<br />

und über vier Tonnen Material<br />

konnten in <strong>die</strong> von den Hurrikans<br />

betroffenen Gebiete verschickt<br />

werden.<br />

2017 waren sieben Gruppen und<br />

zahlreiche einzelreisende Freiwillige<br />

unterwegs, <strong>um</strong> Menschen in<br />

abgelegenen Regionen zahnärztlich<br />

zu versorgen. Viele kleine<br />

Spenden s<strong>um</strong>mierten sich zu einer<br />

beachtlichen Menge und oft war<br />

man über so manches kleine Detail<br />

froh, denn in <strong>die</strong>sen Gegenden<br />

hat man keine Möglichkeit, schnell<br />

mal was im Depot zu holen. Deshalb<br />

sind wir auch weiterhin auf<br />

Unterstützung angewiesen, sowohl<br />

in Hinblick auf nicht mehr benötigte<br />

Materialien, als auch auf Geldspenden.<br />

Wir freuen uns auch über<br />

Materialien, <strong>die</strong> nicht mehr für<br />

<strong>die</strong> Behandlung geeignet sind. Sie<br />

wurden z<strong>um</strong> Beispiel an Studentenkurse<br />

weitergegeben. Nicht überall<br />

ist <strong>die</strong> Ausstattung so mustergültig<br />

wie hierzulande – so konnten wir<br />

erleben, wie mancherorts in Studentenkursen<br />

nur Knetmassen für<br />

das Üben von Füllungen zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Dank der Firma Kulzer ist <strong>die</strong> Abwicklung<br />

von Altgoldspenden sehr<br />

einfach: Kulzer bietet über seinen<br />

Außen<strong>die</strong>nst <strong>die</strong> Möglichkeit an, das<br />

Altgold einzusammeln und übernimmt<br />

gegen Spendenbescheinigung<br />

<strong>die</strong> Scheidekosten so dass uns<br />

der gespendete Betrag zu 100 Prozent<br />

zugutekommt. Für den gespendeten<br />

Betrag gibt es selbstverständlich<br />

eine Spendenbescheinigung.<br />

Neben der Verbesserung der<br />

zahnärztlichen Versorgung in abgelegenen<br />

Regionen, der Unterstützung<br />

von Waisenhäusern und<br />

Schulen wollen wir langfristig<br />

Arbeitsplätze schaffen und zur<br />

Verbesserung der Ausbildung beitragen.<br />

Interessierte aus allen zahnmedizinischen<br />

Fachberufen sind<br />

eingeladen, an einer Gruppenreise<br />

teilzunehmen bzw. auch individuell<br />

als Freiwillige bei unseren Partnern<br />

vor Ort zu einen selbstgewählten<br />

Zeitra<strong>um</strong> tätig zu werden.<br />

DIANO – Dental International<br />

Aid Networking Organisation ist<br />

eine auf Hilfe im zahnmedizinischen<br />

Bereich spezialisierte Organisation<br />

mit Sitz in Singen, <strong>die</strong><br />

sich auf Haiti, <strong>die</strong> Dominikanische<br />

Republik, Jamaika und Kuba spezialisiert<br />

hat. Unsere Partner sind<br />

<strong>die</strong> Universitäten in Port au Prince/Haiti,<br />

Kingston/Jamaika, Manzanillo/Kuba<br />

und Santiago de los<br />

Caballeros/Dominikanische Republik.<br />

Hinzu kommen Waisenhäuser<br />

in Cap Haitien und Tiburon/Haiti,<br />

Schulen in Terrier Rouge, ebenfalls<br />

in Haiti. In der Dominikanischen<br />

Republik arbeiten wir mit der<br />

Monkey Jungle Clinic sowie der<br />

Mariposa-Schule, in Puerto Plata<br />

und vor allem dem Erzbist<strong>um</strong> in<br />

Santiago zusammen. Die Universitäten<br />

Kingston/Jamaika und Port au<br />

Prince/Haiti haben ein sogenanntes<br />

„Outreach Mission Program“, das<br />

bedeutet, überwiegend Studenten<br />

gehen mit mobilen Kliniken aufs<br />

Land, <strong>um</strong> dort zu behandeln. Gerade<br />

hier ist <strong>die</strong> Unterstützung aus<br />

Deutschland sehr willkommen, sowohl<br />

hinsichtlich Materialien als<br />

auch von Freiwilligen. Diese Missionen<br />

sind bei Studenten sehr beliebt,<br />

kehren sie doch ausnahmslos<br />

begeistert und reich an Erfahrungen<br />

von ihren Famulaturen zurück.<br />

<br />

Tobias Bauer<br />

Info<br />

Weitere Informationen erhalten<br />

Sie bei: DIANO e. V., Tobias Bauer,<br />

Hauptstr. 42, 78224 Singen,<br />

Tel. 07731/62212, E-Mail: dental.<br />

aid.project@googlemail.com.<br />

Informationen zur Edelmetallaufbereitung<br />

bei Kulzer und zur<br />

aktuellen Scheidgut-Aktion erhalten<br />

Praxen über <strong>die</strong> Hotline<br />

0800/4372-522, im Internet<br />

unter www.kulzer.de/scheidgut,<br />

sowie über <strong>die</strong> Heraeus Kulzer<br />

Fachberater im Außen<strong>die</strong>nst.<br />

Zitat<br />

„War<strong>um</strong> Menschen <strong>die</strong> AfD<br />

wählen, wird mir ewig verschlossen<br />

bleiben. Das<br />

Einzige, was ich an der AfD<br />

positiv finde, ist, dass dadurch<br />

klar ist, wie wertvoll<br />

es ist, ein liberales, weltoffenes<br />

Land zu verteidigen.“<br />

Wolfgang Kubicki MdB, stellv. FDP-<br />

Vorsitzender im FAZ-Interview<br />

Sportweltspiele der Medizin auf Malta<br />

Foto: FDP<br />

Sportevent für Mediziner<br />

Die 39. Sportweltspiele der Medizin<br />

und Gesundheit finden vom 16.<br />

bis 23. Juni 2018 auf der Insel Malta<br />

statt, <strong>die</strong> in <strong>die</strong>sem Jahr Kulturhauptstadt<br />

Europas ist. Seit 40 Jahren<br />

begeistern <strong>die</strong> Sportweltspiele<br />

jedes Jahr bis zu 2000 sportliche<br />

Mediziner, Ärzte, Apotheker und<br />

Kollegen aus den gesundheitlichen<br />

und pflegenden Berufen. Die Wettkämpfe<br />

der Sportwelt spiele werden<br />

in fairer Atmosphäre ausgetragen<br />

und bieten den Teilnehmern <strong>die</strong><br />

Möglichkeit in über 20 Sportdisziplinen<br />

an den Start zu gehen. Von<br />

Tennis und Golf über Leichtathletik<br />

und Schwimmen, Radrennen<br />

und Fußball bis hin z<strong>um</strong> Orientierungslauf<br />

und Segeln reicht <strong>die</strong><br />

Liste der Disziplinen. Neben den<br />

sportlichen Wettkämpfen bieten<br />

<strong>die</strong> Sportweltspiele einen internationalen<br />

Kongress für Sportmedizin<br />

und einen Erfahrungsaustausch<br />

mit Kollegen. Weitere Informationen<br />

finden Sie im Internet unter<br />

www.sportweltspiele.de. IZZ<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


46<br />

Termine<br />

» Kompaktseminar FVDZ Baden-Württemberg und Berger Finanz<strong>die</strong>nstleistungen GmbH<br />

Wo?<br />

Zahnärztehaus<br />

Stuttgart<br />

Albstadtweg 9<br />

70567 Stuttgart<br />

Information und<br />

Anmeldung:<br />

Samstag, 3. März 2018<br />

8.30 Uhr bis ca. 16.30 Uhr<br />

Referenten:<br />

Gebühr:<br />

FVDZ e. V. - Landesverband BW<br />

Albstadtweg 9<br />

70567 Stuttgart<br />

„Planen Sie Ihre Zukunft“/Fühlen Sie Ihrer Zukunft<br />

auf den Zahn – Ihr Weg zur erfolgreichen Praxis<br />

Referenten aus Standespolitik und Wirtschaft<br />

FVDZ-Mitglieder: kostenlos,<br />

Nichtmitglieder: 40 Euro<br />

Fortbildungspunkte: 7<br />

Tel. 0711 – 78 03 090<br />

Fax. 0711 – 78 03 092<br />

Mail: info@fvdz-bw.de<br />

Internet: www.fvdz-bw.de (Termine)<br />

Berger Finanz<strong>die</strong>nstleistungen GmbH<br />

Wettbachstr. 11<br />

71063 Sindelfingen<br />

Tel: 07031 - 79 37 15<br />

Fax: 07031 - 79 37 149<br />

Mail: berger@befin.de<br />

» Zahnärztlicher Arbeitskreis für Praxisführung und Fortbildung e. V. (Z.A.P.F. e. V.)<br />

Wo?<br />

Zahnärztehaus<br />

Stuttgart<br />

Albstadtweg 9<br />

70567 Stuttgart<br />

Information und<br />

Anmeldung:<br />

Montag, 5. März 2018<br />

19.30 Uhr bis ca. 22.00 Uhr<br />

Referent:<br />

Gebühr:<br />

Z.A.P.F. e. V.<br />

Margit Giese<br />

Großer Lückenweg 13<br />

75175 Pforzheim<br />

Die einfache und kostengünstige Gestaltung des<br />

zahnärztlichen Privatvermögens<br />

Volker Looman, Stuttgart<br />

Mitglieder: kostenlos, Nichtmitglieder: 50 Euro<br />

Fortbildungspunkte: 3<br />

Tel. 07231 – 96 56 46<br />

Fax: 07231 – 96 56 44<br />

Mail: kurse@zapf.org<br />

Internet: www.zapf.org<br />

» VA-Seminar Baden-Württembergische Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte<br />

Wo?<br />

Heilbronn<br />

Samstag, 10. März 2018<br />

9.30 Uhr bis 13.00 Uhr<br />

Die Anmeldung erbitten wir formlos<br />

schriftlich (mit Angabe der Verwaltungsn<strong>um</strong>mer)<br />

per Email oder Telefax.<br />

Die Anmeldungen werden in der<br />

Reihenfolge ihres Eingangs berücksichtigt.<br />

Mindestteilnehmerzahl: 20 Pers.<br />

Höchstteilnehmerzahl: 60 Pers.<br />

Was bedeutet berufsständische Versorgung und<br />

was bringt Ihnen <strong>die</strong> Versorgungsanstalt?<br />

Wesen und Wert der berufsständischen Versorgung,<br />

Die verschiedenen Finanzierungsverfahren, Das Finanzierungsverfahren<br />

der Versorgungsanstalt, Funktion<br />

des Deckungsstocks, Versorgungsabgaben (Pflicht<br />

und Gestaltungsmöglichkeit), Versorgungsleistungen<br />

(Anspruch, Berechnung und Höhe), Abgrenzung<br />

gegenüber anderen Vorsorgeformen, Steuerliche Behandlung<br />

von Abgaben und Versorgungsleistungen<br />

nach dem Alterseinkünftegesetz, Vermögensanlage<br />

der Versorgungsanstalt<br />

Information und<br />

Anmeldung:<br />

Gebühr:<br />

Baden-Württembergische<br />

Versorgungsanstalt für Ärzte,<br />

Zahnärzte und Tierärzte<br />

Gartenstraße 63<br />

72074 Tübingen<br />

30 Euro (Tagungskosten und Mittagessen inkl.)<br />

Mail: info@bwva.de<br />

Fax: 07071 – 26 934<br />

ZBW 2/2018<br />

www.zahnaerzteblatt.de


Termine 47<br />

» Dentimed GmbH – Qualitätsverbund in Nord-Württemberg<br />

Wo?<br />

Sportstudio in der<br />

Mercedes-Benz-Arena<br />

des VfB Stuttgart<br />

Mercedesstraße 87<br />

70372 Stuttgart<br />

Mittwoch, 25. April 2018<br />

19.30 Uhr bis ca. 22.00 Uhr<br />

Referent:<br />

Gebühr:<br />

Innovative Behandlungskonzepte unter Einsatz<br />

neuer Restaurantionsmaterialien und der CAD/<br />

CAM-Technologie - Ein Update<br />

Prof. Dr. Daniel Edelhoff, München<br />

Mitglieder: 75 Euro, Nichtmitglieder: 175 Euro<br />

Fortbildungspunkte: 3<br />

Information und<br />

Anmeldung:<br />

Dentimed GmbH<br />

Engstlatter Weg 14<br />

70567 Stuttgart<br />

Tel. 0711 – 48 99 236 Mi. 9-12 Uhr<br />

Fax: 0711 – 48 99 237<br />

Mail: info@dentimed-gmbh.de<br />

Internet: www.dentimed.org<br />

Amtliche Mitteilungen<br />

Verlust von<br />

Zahnarztausweisen<br />

Die Ausweise von<br />

Dr. Ralf Heim<br />

Auf Staufen 6<br />

72458 Albstadt<br />

Geb. 19.05.1961<br />

Horst Schmidts<br />

Am Vogelstal 2<br />

78652 Deißlingen<br />

Geb. 23.02.1924<br />

Ausweis: 1.6.2000<br />

Dr. Gunnar Vinzenz<br />

Heiligensetzer<br />

Bahnhofpl. 1<br />

88074 Meckenbeuren<br />

Geb. 01.01.1964<br />

Dr. Michael Fischer<br />

Kr<strong>um</strong>mer Weg 48/1<br />

72762 Reutlingen<br />

Geb. 19.02.1970<br />

Ausweis: 10.5.2017<br />

Dr. med. dent. / Univ. Budapest<br />

Sonja Vetterlein<br />

Mayenner Str. 29<br />

71332 Waiblingen<br />

Geb. 12.06.1969<br />

Ausweis: 27.5.2016<br />

Dr. Bernd Ganter<br />

Boch<strong>um</strong>er Str. 4<br />

76185 Karlsruhe<br />

Geb. 29.02.1960<br />

Ausweis: 15.7.1996<br />

wurden verloren, gestohlen beziehungsweise<br />

nicht zurückgegeben<br />

und werden für ungültig erklärt.<br />

Landeszahnärztekammer Baden-<br />

Württemberg mit den Bezirkszahnärztekammern<br />

BZK Freiburg<br />

Merzhauser Str. 114-116<br />

79100 Freiburg<br />

Tel.: (07 61) 45 06-0<br />

Fax: (07 61) 45 06-450<br />

BZK Karlsruhe<br />

Joseph-Meyer-Str. 8 – 10<br />

68167 Mannheim<br />

Tel.: (06 21) 3 80 00-0<br />

Fax: (06 21) 3 80 00-1 70<br />

BZK Stuttgart<br />

Albstadtweg 9<br />

70567 Stuttgart<br />

Tel.: (07 11) 78 77-0<br />

Fax: (07 11) 78 77-238<br />

BZK Tübingen<br />

Bismarckstr. 96<br />

72072 Tübingen<br />

Tel.: (0 70 71) 9 11-0<br />

Fax: (0 70 71) 9 11-209/233<br />

BZK Tübingen<br />

Bismarckstr. 96<br />

72072 Tübingen<br />

Tel.: (0 70 71) 9 11-0<br />

Fax: (0 70 71) 9 11-209/233<br />

www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


Zu guter Letzt 51<br />

Karikatur: Rürup<br />

Impress<strong>um</strong><br />

Herausgeber:<br />

Dr. Torsten Tomppert, Präsident der Landeszahnärztekammer<br />

Baden-Württemberg (LZK BW), und<br />

Dr. Ute Maier, Vorsitzende des Vorstands der<br />

Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-<br />

Württemberg (KZV BW), für das Informationszentr<strong>um</strong><br />

Zahngesundheit Baden-Württemberg – eine<br />

Einrichtung der LZK BW und KZV BW.<br />

Redaktion:<br />

Johannes Clausen, HC (ChR, verantw.)<br />

Informationszentr<strong>um</strong> Zahngesundheit<br />

Baden-Württemberg<br />

Telefon: 0711/222 966-10<br />

E-Mail: johannes.clausen@izz-online.de<br />

E-Mail: gabi.billischek@izz-online.de<br />

Andrea Mader (am),<br />

Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg<br />

Telefon: 0711/228 45-29<br />

E-Mail: mader@lzk-bw.de<br />

Guido Reiter (gr),<br />

Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg<br />

Telefon: 0711/78 77-220<br />

E-Mail: guido.reiter@kzvbw.de<br />

Redaktionsassistenz: Gabriele Billischek<br />

Layout: Gabriele Billischek, Anna Munk<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

Informationszentr<strong>um</strong> Zahngesundheit Baden-<br />

Württemberg, Königstraße 26, 70173 Stuttgart<br />

Telefon: 0711/222 966-14<br />

Telefax: 0711/222 966-21<br />

E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de<br />

Autoren <strong>die</strong>ser Ausgabe: Tobias Bauer, Gabriele<br />

Billischek, Dr. Wolfgang Bok, Johannes Clausen,<br />

Volker Endres, Prof. Dr. Werner Götz, Prof. Dr. Bernd<br />

Haller, Christian Ignatzi, Dr. Manfred Jooß, Dorothea<br />

Kallenberg, Andrea Mader, Tobias Kaiser, Dr. Ute Maier,<br />

Dr. Malte Michaelis, Dr. Katharina Reichenmiller, Guido<br />

Reiter, Claudia Richter, Prof. Dr. Axel Spahr, Prof. Dr.<br />

Steffen Stenger, Dr. Sebastian F. Zenk, Dr. Norbert Struß,<br />

Ute Ziegler-Cleven.<br />

Titelseite: Foto: Maximilian von Lachner<br />

Verantwortlich für Amtliche Mitteilungen der<br />

Kassenzahnärztlichen Vereinigung<br />

Baden-Württemberg (KZV BW):<br />

Dr. Ute Maier, Vorsitzende des Vorstands der<br />

Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg<br />

(KZV BW), KdöR<br />

Albstadtweg 9, 70567 Stuttgart<br />

Verantwortlich für Amtliche Mitteilungen der<br />

Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg<br />

(LZK BW):<br />

Dr. Torsten Tomppert, Präsident der Landeszahnärztekammer<br />

Baden-Württemberg (LZK BW), KdöR<br />

Albstadtweg 9, 70567 Stuttgart<br />

Hinweise: Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe<br />

gekürzt zu veröffentlichen. Ein Anspruch auf<br />

Veröffentlichung besteht nicht. Bei Einsendungen an<br />

<strong>die</strong> Redaktion wird der vollen oder auszugsweisen<br />

Veröffentlichung zugestimmt.Unaufgefordert eingegangene<br />

Fortbildungsmanuskripte können nicht veröffentlicht<br />

werden, da <strong>die</strong> Redaktion nur mit wissenschaftlichen<br />

Autoren vereinbarte Fortbildungsbeiträge veröffentlicht.<br />

Alle Rechte an dem Druckerzeugnis, insbesondere<br />

Titel-, Namens- und Nutzungsrechte etc., stehen<br />

ausschließlich den Herausgebern zu. Mit Annahme des<br />

Manuskripts zur Publikation erwerben <strong>die</strong> Herausgeber<br />

das ausschließliche Nutzungsrecht, das <strong>die</strong> Erstellung<br />

von Fort- und Sonderdrucken, auch für Auftraggeber<br />

aus der Industrie, das Einstellen des ZBW ins Internet,<br />

<strong>die</strong> Übersetzung in andere Sprachen, <strong>die</strong> Erteilung von<br />

Abdruckgenehmigungen für Teile, Abbildungen oder<br />

<strong>die</strong> gesamte Arbeit an andere Verlage sowie Nachdrucke<br />

in Me<strong>die</strong>n der Herausgeber, <strong>die</strong> fotomechanische sowie<br />

elektronische Vervielfältigung und <strong>die</strong> Wiederverwendung<br />

von Abbildungen <strong>um</strong>fasst. Dabei ist <strong>die</strong> Quelle anzugeben.<br />

Änderungen und Hinzufügungen zu Originalpublikationen<br />

bedürfen der Zustimmung des Autors und der Herausgeber.<br />

Bezugspreis:<br />

Jahresabonnement inkl. MwSt. € 90,-<br />

Einzelverkaufspreis inkl. MwSt. € 7,50<br />

Bestellungen werden vom Verlag entgegengenommen.<br />

Die Kündigungsfrist für Abonnements beträgt 6 Wochen<br />

z<strong>um</strong> Ende des Bezugszeitra<strong>um</strong>es. Für <strong>die</strong> Mitglieder der<br />

Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg ist der<br />

Bezugspreis mit dem Mitgliedsbeitrag abgegolten.<br />

Verlag:<br />

Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH<br />

Geschäftsführung: Dr. Karl Hans Arnold, Patrick<br />

Ludwig, Hans Peter Bork, Johannes Werle, Tom Bender<br />

Zülpicher Straße 10, 40196 Düsseldorf<br />

Sebastian Hofer | Leiter Corporate Publishing<br />

Sarina Ihme | Produktmanagerin Corporate Publishing<br />

Tel. 0211 505-2404 | Fax 0211 505-1002404<br />

sarina.ihme@rheinische-post.de<br />

www.rp-media.de<br />

Druck:<br />

L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMe<strong>die</strong>n<br />

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www.zahnaerzteblatt.de<br />

ZBW 2/2018


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