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Udo Schnelle: Der Sinn des Mythos in Theologie und Hermeneutik (Leseprobe)

In seinem neuen Buch stellt der international anerkannte Exeget Udo Schnelle das Mythos-Verständnis von den Anfängen bis zur Gegenwart dar. Er sieht im Mythos nicht eine überholte, sondern eine sachgemäße Form des Redens von Gott und dem Göttlichen. Von Gott kann man nur in Bildern, Metaphern und Symbolen, vor allem aber in der Form des Mythos als sinnstiftender Erzählung reden. Mythen sind Grundgeschichten, die das Leben ordnen und Orientierung stiften. Der wirkmächtige Mythos bewahrt ein Mehr an Erkenntnis und Emotionalität, das über seine zeitbedingten Interpretationen hinausgeht. Er nimmt die Offenheit und Unabgeschlossenheit der Wirklichkeit ernst und ist offen für Gottes Wirken in der Welt. Bultmanns Klassifizierung des Mythos als inadäquate Redeweise verfehlt dessen Wesen und Funktion; der Mythos ist als sinnbildende Erzählung sachgemäß und zugleich unverzichtbar; nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Hermeneutik. So wie Geschichte nicht entgeschichtlicht und Poesie nicht entpoetisiert werden kann, so kann auch der frühchristliche Mythos vom Leben, Sterben und der Auferstehung des Gottessohnes Jesus Christus nicht entmythologisiert werden. Er muss vielmehr unter der Voraussetzung eines positiven Mythos-Verständnisses und den Bedingungen der neuzeitlichen, selbstkritischen Vernunft interpretiert werden.

In seinem neuen Buch stellt der international anerkannte Exeget Udo Schnelle das Mythos-Verständnis von den Anfängen bis zur Gegenwart dar. Er sieht im Mythos nicht eine überholte, sondern eine sachgemäße Form des Redens von Gott und dem Göttlichen. Von Gott kann man nur in Bildern, Metaphern und Symbolen, vor allem aber in der Form des Mythos als sinnstiftender Erzählung reden. Mythen sind Grundgeschichten, die das Leben ordnen und Orientierung stiften. Der wirkmächtige Mythos bewahrt ein Mehr an Erkenntnis und Emotionalität, das über seine zeitbedingten Interpretationen hinausgeht. Er nimmt die Offenheit und Unabgeschlossenheit der Wirklichkeit ernst und ist offen für Gottes Wirken in der Welt. Bultmanns Klassifizierung des Mythos als inadäquate Redeweise verfehlt dessen Wesen und Funktion; der Mythos ist als sinnbildende Erzählung sachgemäß und zugleich unverzichtbar; nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Hermeneutik.
So wie Geschichte nicht entgeschichtlicht und Poesie nicht entpoetisiert werden kann, so kann auch der frühchristliche Mythos vom Leben, Sterben und der Auferstehung des Gottessohnes Jesus Christus nicht entmythologisiert werden. Er muss vielmehr unter der Voraussetzung eines positiven Mythos-Verständnisses und den Bedingungen der neuzeitlichen, selbstkritischen Vernunft interpretiert werden.

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UDO SCHNELLE<br />

<strong>Der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Theologie</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Hermeneutik</strong>


Inhalt<br />

1. Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>?<br />

1.1 <strong>Der</strong> griechische Gr<strong>und</strong>-<strong>Mythos</strong> .......................................................... 8<br />

1.2 Gr<strong>und</strong>legende Erklärungsversuche <strong>und</strong> Begriffsbestimmungen 9<br />

2. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff <strong>in</strong> der neueren <strong>Theologie</strong><br />

2.1 Die ‚mythische Schule‘ ......................................................................... 16<br />

2.2 David Friedrich Strauss <strong>und</strong> die Radikalkritik ................................ 22<br />

2.3 <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff <strong>in</strong> der Religionsgeschichtlichen Schule ... 29<br />

2.4 <strong>Mythos</strong> <strong>und</strong> Entmythologisierung bei Rudolf Bultmann ....... 37<br />

2.5 Stärken <strong>und</strong> Schwächen <strong>des</strong> Entmythologisierungsprogramms 50<br />

2.6 Die Debatte um die Entmythologisierung .................................. 58<br />

3. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff <strong>in</strong> der neueren Philosophie,<br />

Religions- <strong>und</strong> Geschichtswissenschaft<br />

3.1 Friedrich Wilhelm Joseph Schell<strong>in</strong>g .................................................. 73<br />

3.2 Ernst Cassirer ......................................................................................... 75<br />

3.3 <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> <strong>in</strong> den Religionswissenschaften ................................... 77<br />

3.4 Paul Ricoer .............................................................................................. 82<br />

3.5 Hans-Georg Gadamer ........................................................................... 84<br />

3.6 Hans Blumenberg ................................................................................. 87<br />

3.7 Kurt Hübner ........................................................................................... 90<br />

3.8 Volker Gerhardt ..................................................................................... 93<br />

3.9 <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> <strong>in</strong> den Geschichtswissenschaften ................................ 94<br />

3.10 <strong>Der</strong> Stand der D<strong>in</strong>ge oder: <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> als Deutungssystem ........ 97<br />

4. <strong>Mythos</strong>, Sprache <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />

4.1 Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong> oder: Wie kann der Mensch über Gott <strong>und</strong><br />

das Göttliche reden? .............................................................................. 108<br />

4.2 Bild <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong> .................................................................................... 112<br />

4.3 Metapher <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong> ......................................................................... 116


6<br />

Inhalt<br />

4.4 Symbol <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong> ............................................................................. 123<br />

4.5 Ritual <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong> ............................................................................... 129<br />

4.6 Märchen, Sage, Legende <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong> ................................................ 131<br />

4.7 <strong>Mythos</strong> <strong>und</strong> Geschichte ....................................................................... 133<br />

4.8 Formelemente, Motive <strong>und</strong> Erzählstrukturen <strong>des</strong> <strong>Mythos</strong> .......... 139<br />

5. <strong>Der</strong> frühchristliche <strong>Mythos</strong><br />

5.1 <strong>Der</strong> historische Kern <strong>des</strong> frühchristlichen <strong>Mythos</strong> ........................ 145<br />

5.2 <strong>Der</strong> Gr<strong>und</strong>-<strong>Mythos</strong>: Die Gottwerdung e<strong>in</strong>es Menschen<br />

als Menschwerdung Gottes ................................................................. 164<br />

5.3 <strong>Der</strong> Jesus-Christus-<strong>Mythos</strong> bei Paulus ............................................. 166<br />

5.4 <strong>Der</strong> Jesus-Christus-<strong>Mythos</strong> im Kolosser- <strong>und</strong> Epheserbrief ......... 172<br />

5.5 <strong>Der</strong> Jesus-Christus-<strong>Mythos</strong> bei den Synoptikern ............................ 176<br />

5.6 <strong>Der</strong> Jesus-Christus-<strong>Mythos</strong> bei Johannes ......................................... 195<br />

5.7 <strong>Der</strong> Jesus-Christus-<strong>Mythos</strong> <strong>in</strong> der Johannesoffenbarung ............. 201<br />

6. <strong>Der</strong> <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>des</strong> <strong>Mythos</strong> <strong>in</strong> <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Hermeneutik</strong><br />

6.1 <strong>Theologie</strong> ................................................................................................ 208<br />

6.2 <strong>Hermeneutik</strong> .......................................................................................... 219<br />

7. Anhang<br />

7.1 Literaturverzeichnis ............................................................................. 231<br />

7.2 Namenregister ....................................................................................... 235


1.<br />

Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>?<br />

Das griechische Wort ὁ μῦϑος me<strong>in</strong>t nichts anderes als ‚öffentliche<br />

Rede, Erzählung, mündlicher Vortrag‘; 1 das Verb μυθέομαι bedeutet<br />

‚reden, sprechen, sagen‘. 2 E<strong>in</strong>e frühe <strong>und</strong> besondere Form ist dann die<br />

Rede bzw. Erzählung von Gott bzw. den Göttern. Das Wortfeld ‚My -<br />

thos/mythisch/Mythologie‘ ersche<strong>in</strong>t aus zwei Gründen außerordentlich<br />

komplex: 3 1) Es betrifft e<strong>in</strong>e Vielzahl von Wissensgebieten <strong>und</strong> Wissenschaften:<br />

Literaturwissenschaft, klassische Philologie, Archäologie,<br />

Geschichtswissenschaft (speziell die Altertumswissenschaften), Religionswissenschaft,<br />

Philosophie, <strong>Theologie</strong>, <strong>Hermeneutik</strong>. Entsprechend<br />

unterschiedlich fallen die Herangehensweisen aus <strong>und</strong> entsprechend<br />

groß ist die Literatur zu diesem Thema. 2) Auch die Bedeutung <strong>und</strong> der<br />

Gebrauch der Begriffe differieren sehr stark, denn sie <strong>und</strong> die mit ihnen<br />

ausgesagte Sache existiert bei sehr verschiedenen Völkern 4 seit Tausenden<br />

von Jahren <strong>und</strong> ist seit fast 3000 Jahren <strong>in</strong> der besonders wirkmäch-<br />

1 Vgl. z. B. Homer, Odyssee 3,94; 4,324.<br />

2 Vgl. Franz Passow, Handwörterbuch der Griechischen Sprache II/1, Leipzig<br />

5 1852, 290 f.<br />

3 Übersichten bieten: Axel E. A. Horstmann, Mythologie <strong>und</strong> Altertumswissenschaft.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>begriff bei Christian Gottlob Heyne, Archiv für Begriffsgeschichte 16<br />

(1972), 60–85; <strong>Der</strong>s., <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>begriff vom Frühen Christentum bis zur Gegenwart,<br />

Archiv für Begriffsgeschichte 23 (1979), 197–245; Walter Burkert/Axel Horstmann, Art.<br />

„<strong>Mythos</strong>, Mythologie“, <strong>in</strong>: Historisches Wörterbuch der Philosophie 6, Basel 1984,<br />

281–318; Kurt Hübner, Die Wahrheit <strong>des</strong> <strong>Mythos</strong>, 48–92; Fritz Graf, Griechische<br />

Mythologie, 15–57; Aleida Assmann/Jan Assmann, Art. <strong>Mythos</strong>, HRWG IV, Stuttgart<br />

1998,179–200; Fritz Graf, Art. <strong>Mythos</strong>, DNP 8, Stuttgart 2000, 633–650; Oda Wischmeyer,<br />

Probleme <strong>des</strong> gegenwärtigen <strong>Mythos</strong>begriffs, 364–381. Zentrale Forschungsbeiträge<br />

s<strong>in</strong>d leicht zugänglich <strong>in</strong>: Karl Kerényi (Hrsg.), Die Eröffnung <strong>des</strong> Zugangs<br />

zum <strong>Mythos</strong>, Darmstadt 2 1976.<br />

4 Neben der griechischen ist besonders die germanische Mythologie zu nennen; vgl.<br />

dazu Re<strong>in</strong>er Tetzner/Uwe Wittmeyer (Hrsg.), Griechische <strong>und</strong> Germanische Götter<strong>und</strong><br />

Heldensagen, Stuttgart 2021.


8<br />

1. Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>?<br />

tigen griechischen Mythologie auch fassbar. Die Griechen waren die<br />

ersten, die Erzählungen über den Anfang, Götter, Helden, Gut <strong>und</strong> Böse<br />

<strong>in</strong> stimmige, große Literatur umsetzten.<br />

1.1 <strong>Der</strong> griechische Gr<strong>und</strong>-<strong>Mythos</strong><br />

Innerhalb der griechischen Religion überlieferten Homer (8. Jh. v. Chr.)<br />

<strong>und</strong> Hesiod (ca. 740–670 v. Chr.) die (sicher ältere) Genealogie der Götter,<br />

bewahrten ihre Be<strong>in</strong>amen auf <strong>und</strong> bestimmten ihre Zuständigkeiten. 5<br />

Bedeutsamkeit erhielten die homerischen Götter, die man sich wie e<strong>in</strong>e<br />

Großfamilie auf dem Götterberg Olympos vorstellte. In den olympischen<br />

Göttern werden all die Mächte sichtbar, die das Leben bestimmen<br />

<strong>und</strong> verständlich machen. Zumeist bevölkern 12 Götter/Gött<strong>in</strong>nen den<br />

Olymp, die Anzahl variiert jedoch.<br />

1) An erster Stelle steht Zeus (Ζεύς, Gen. Διός; römisch: Jupiter), für die Griechen im<br />

Besonderen der blitzschleudernde Wettergott, der stärkste aller Götter. Bei Hesiod<br />

wird der <strong>Mythos</strong> überliefert, wie Zeus die alten Götter, vor allem se<strong>in</strong>en Vater Kronos<br />

<strong>und</strong> die Titanen stürzte <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Unterwelt fesselte. Zeus repräsentiert e<strong>in</strong>e<br />

sieghafte Ordnung, der sich alle zu unterwerfen haben <strong>und</strong> die denen Vorteile verschafft,<br />

die als Söhne <strong>des</strong> Zeus daran teilhaben dürfen. Zeus steht über allen Parteien,<br />

<strong>und</strong> hat niemanden über sich. Er ist auch der e<strong>in</strong>zige Gott, der zum Allgott<br />

erhoben werden konnte: der Gott der Erde, <strong>des</strong> Himmels, <strong>des</strong> Alls <strong>und</strong> auch der<br />

Unterwelt. 2) Hera (Ἕρα, römisch: Juno) ist die eifersüchtige <strong>und</strong> zänkische Gatt<strong>in</strong><br />

<strong>des</strong> Zeus; im Kult wird sie aber als große mütterliche Gött<strong>in</strong> verehrt, die über den<br />

Opferfesten thront. 3) Poseidon (Ποσειδῶν, römisch: Neptun) ist der Bruder <strong>des</strong><br />

Zeus; der Herr der Meere, Patron der Fischer <strong>und</strong> Reiter. 4) Athena (Ἀθηνᾶ, römisch:<br />

M<strong>in</strong>erva), die Burggött<strong>in</strong> von Athen; sie entsprang dem Haupt <strong>des</strong> Zeus <strong>und</strong> ist als<br />

bewaffnete Jungfrau die Beschützer<strong>in</strong> ihrer Stadt. 5) Apollon (Ἀπόλλων) verkörpert<br />

als der strahlende Sohn <strong>des</strong> Zeus die blühende Jugend. Gestützt auf die berühmten<br />

Heiligtümer von Delos <strong>und</strong> Delphi ist er der meistverehrte Gott der Griechen.<br />

6) Artemis (Ἄρτεμις, römisch: Diana), die Zwill<strong>in</strong>gsschwester <strong>des</strong> Apollon, ist die<br />

Herr<strong>in</strong> der Tiere, die jungfräuliche Jäger<strong>in</strong> <strong>und</strong> steht den Frauen bei der Geburt bei.<br />

7) Aphrodite (Ἀφροδίτη, römisch: Venus) ist die Gött<strong>in</strong> der seelischen <strong>und</strong> körper-<br />

5 Vgl. Herodot (ca. 484–425 v. Chr.): „Hesiod <strong>und</strong> Homer haben den Stammbaum der<br />

Götter <strong>in</strong> Griechenland geschaffen <strong>und</strong> ihnen ihre Be<strong>in</strong>amen gegeben, die Ämter<br />

<strong>und</strong> Ehren unter sie verteilt <strong>und</strong> ihre Gestalt geprägt.“ (Historien II 53,2) E<strong>in</strong>e nach<br />

wie vor sehr lesenswerte Gesamtdarstellung bietet Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf,<br />

<strong>Der</strong> Glaube der Hellenen I.II, Darmstadt 3 1959 (= 1931). Zum griechischen<br />

<strong>Mythos</strong> <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>en Ausprägungen vgl. umfassend <strong>Udo</strong> Re<strong>in</strong>hardt, <strong>Der</strong> antike<br />

<strong>Mythos</strong>, Freiburg 2011.


1.1 <strong>Der</strong> griechische Gr<strong>und</strong>-<strong>Mythos</strong> 9<br />

lichen Liebe, deren Sohn Eros ist. 8) Hermes (Ἑρμῆς, römisch: Merkur) ist bekannt<br />

als Götterbote, der die Opfer <strong>und</strong> die Musik erf<strong>in</strong>det <strong>und</strong> den Menschen die Kultur<br />

br<strong>in</strong>gt. 9) Hephaistos (Ἥφαιστος, römisch: Vulcanus) ist der Gott <strong>des</strong> Feuers <strong>und</strong><br />

der Schmiede, der Patron der Handwerker. 10) Ares (Ἄρης, römisch: Mars) ist der<br />

gewalttätige Gott <strong>des</strong> Krieges. 11) Demeter (Δημήτηρ, römisch: Ceres), die Mutter<br />

der Erde <strong>und</strong> <strong>des</strong> Getrei<strong>des</strong>. 12) Dionysos (Διώνυσος, römisch: Baccus), der Gott <strong>des</strong><br />

We<strong>in</strong>es.<br />

Das Kennzeichen der olympischen Götterfamilie ist e<strong>in</strong> anthropomorpher<br />

Polytheismus (klassisch Euripi<strong>des</strong>, Alcestis 1159: „Viele Gestalten<br />

kennt das Göttliche“). Die Götter s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e eigene, von den Menschen<br />

getrennte Kategorie, dennoch <strong>in</strong>teressieren sie sich für die Menschen<br />

<strong>und</strong> werden <strong>in</strong> ihrem Verhalten wie Menschen dargestellt. Sie suchen<br />

den Kontakt mit Menschen, belohnen <strong>und</strong> bestrafen <strong>und</strong> verwandeln<br />

sich <strong>in</strong> menschliche Gestalten. Hermes, Herakles <strong>und</strong> Apollon nehmen<br />

als Boten der Götter Menschengestalt an bzw. wirken als Götter unter<br />

den Menschen. Götter <strong>in</strong> Menschengestalt können sowohl e<strong>in</strong>en ewigen<br />

als auch e<strong>in</strong>en irdischen Ursprung haben. Unter den Heroen (Halbgöttern)<br />

6 steht an erster Stelle Herakles (römisch: Herkules), <strong>des</strong>sen Verehrung<br />

als Gottessohn von der homerischen Zeit bis <strong>in</strong> die Kaiserzeit<br />

ungebrochen war. Herakles vernichtete Unrecht <strong>und</strong> Gesetzlosigkeit<br />

auf der Erde <strong>und</strong> Zeus verlieh ihm wegen se<strong>in</strong>er Tugend die Unsterblichkeit.<br />

1.2 Gr<strong>und</strong>legende Erklärungsversuche<br />

<strong>und</strong> Begriffsbestimmungen<br />

Die offenk<strong>und</strong>igen Anthropomorphismen der homerischen Götterwelt<br />

(Streit, Verrat, Gewalt, Eifersucht, Intrigen, Liebe <strong>und</strong> Hass, Erotik,<br />

Macht- <strong>und</strong> Machtmissbrauch) riefen schon früh Kritik hervor. 7 Sollten<br />

so die Götter se<strong>in</strong>, wie e<strong>in</strong>e mehr oder weniger ‚normale‘ Familie? Bereits<br />

Xenophanes (ca. 570–475 v. Chr.) klassifiziert die Erzählungen <strong>des</strong> Homer<br />

6 Vgl. Platon, Cratylus 398c.d, wo Sokrates sagt: „Weißt du nicht, dass die Heroen<br />

Halbgötter (ἡμίθεοι) s<strong>in</strong>d? Also s<strong>in</strong>d sie alle entstanden dadurch, dass Eros entweder<br />

e<strong>in</strong>en Gott e<strong>in</strong>er Sterblichen oder e<strong>in</strong>e Gött<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sterblichen zuführte.“<br />

7 Zur Geschichte der Mythen<strong>in</strong>terpretation vgl. Fritz Graf, Griechische Mythologie,<br />

15–57; zur neueren Diskussion vgl. Paul-Gerhard Klumbies, <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> bei Markus,<br />

63–98.


10<br />

1. Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>?<br />

<strong>und</strong> Hesiod als „Erf<strong>in</strong>dungen der Früheren“ (Xenophanes Fr. 21 B 1) <strong>und</strong><br />

für ihn war klar: „E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Gott ist unter den Göttern <strong>und</strong> Menschen<br />

der Größte“ (Fr. B 23). Herodot stellt zu den Griechen fest: „Es sagen aber<br />

die Griechen auch sonst noch vieles ohne Nachprüfung. Töricht ist auch<br />

der <strong>Mythos</strong> (ὁ μῦθος), den sie von Herakles erzählen …“ (Historien 2,45).<br />

So wird das Wort ‚<strong>Mythos</strong>‘ teilweise zu e<strong>in</strong>em Synonym für e<strong>in</strong>e unwahre<br />

Erzählung. Thukydi<strong>des</strong> (ca. 460–400 v. Chr.) betont als Historiker<br />

se<strong>in</strong>e Orientierung an der Wahrheit, die Dichter h<strong>in</strong>gegen präsentierten<br />

„unglaubwürdige Fabeln (μυθῶδες)“ (I 21). Konsequenterweise entwickelte<br />

sich ab dem 5. Jh. v. Chr. die allegorische Homer-Interpretation,<br />

die den Epen vor allem e<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>tergründigen ethischen <strong>S<strong>in</strong>n</strong> (ὑπόνοια<br />

= ‚H<strong>in</strong>tergedanke/Unters<strong>in</strong>n‘) abgew<strong>in</strong>nen wollte. Bei Platon (428/<br />

427–348 v. Chr.) zeigt sich e<strong>in</strong> sehr komplexes <strong>Mythos</strong>verständnis; 8 die<br />

Mythen „s<strong>in</strong>d im Ganzen Unwahrheit (ψεῦδος), es ist aber auch Wahres<br />

<strong>in</strong> ihnen“. 9 Auf der e<strong>in</strong>en Seite werden die Mythen als unwahre Ge -<br />

schichten klassifiziert; 10 sie können <strong>in</strong> die Nähe <strong>des</strong> Märchens rücken,<br />

denen der Philosoph den argumentierenden Logos als Wahrheit gegenüberstellt.<br />

<strong>Der</strong> λόγος repräsentiert die wahrhaftige, der μῦθος die<br />

erdichtete Sage. Platon kritisiert die homerischen Erzählungen mit<br />

ihren allzu menschlichen Göttervorstellungen 11 <strong>und</strong> bestreitet, dass<br />

ihnen e<strong>in</strong> verborgener, h<strong>in</strong>tergründiger <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>in</strong>newohnt. Auf der anderen<br />

Seite ist das gesamte Werk Platons von mythischen Motiven <strong>und</strong> Bildern<br />

durchzogen <strong>und</strong> er überliefert ‚wahrsche<strong>in</strong>liche Mythen‘, 12 wie<br />

z. B. se<strong>in</strong>e Jenseitsmythen (Phaidon, Gorgias, Politeia), den Weltschöpfungsmythos<br />

im Timaios (27c ff.), den <strong>Mythos</strong> von der Auffahrt der Seele<br />

(Phaidros 246a ff.) den <strong>Mythos</strong> von Atlantis (Timaios 20d–25d) oder die<br />

Ideen-Lehre (Politeia 476a ff.). 13 Es handelt sich dabei um reduzierte <strong>und</strong><br />

8 Vgl. dazu umfassend Thomas Alexander Szlezák, Platon, 555–609.<br />

9 Platon, Politeia 377a.<br />

10 Dies gilt vor allem für die Ha<strong>des</strong>mythen: „Nun, sprach ich, welche Hesiodos <strong>und</strong><br />

Homeros <strong>und</strong> die anderen Dichter uns erzählt haben. Denn diese haben doch für<br />

die Menschen unwahre Erzählungen zusammengesetzt <strong>und</strong> vorgetragen <strong>und</strong> tragen<br />

sie auch noch vor.“ (Platon, Politeia 377d)<br />

11 Vgl. Platon, Politeia 378b.c, wo die Nachstellungen <strong>und</strong> Kriege zwischen Göttern als<br />

absurd dargestellt werden.<br />

12 Vgl. εἰκὼς μῦϑος <strong>in</strong> Timaios 29d; 59c; 68d; εἰκὼς λόγος <strong>in</strong> Timaios 30b; 48d; 53d; 55d;<br />

56a; 57d; 90e; vgl. dazu Thomas Alexander Szlezák, Platon, 557 f.<br />

13 Vgl. dazu die Analyse aller relevanten Texte bei Thomas Alexander Szlezák, Platon,


2.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff<br />

<strong>in</strong> der neueren <strong>Theologie</strong><br />

Im ausgehenden 18. <strong>und</strong> vor allem im 19. Jh. löste sich die Debatte<br />

von der romantischen Frage der Suche nach alter Weisheit oder Wahrheit<br />

h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em wissenschaftlichen Mythologie-Diskurs. Dabei<br />

kommt der hermeneutischen Forderung Heynes, die Mythen von ihren<br />

zeitbed<strong>in</strong>gten Schalen zu befreien <strong>und</strong> auf ihren Sachgehalt <strong>und</strong> damit<br />

auch auf ihre Fakten h<strong>in</strong> zu befragen, entscheidende Bedeutung<br />

zu. Die Konsequenzen dieser Blickrichtung für die <strong>Theologie</strong> liegen auf<br />

der Hand, denn die mit e<strong>in</strong>em Offenbarungsanspruch versehenen Aussagen<br />

der Bibel werden nun auch durch das mythische Kleid h<strong>in</strong>durch<br />

auf ihre historische Plausibilität h<strong>in</strong> befragt <strong>und</strong> gegebenenfalls relativiert.<br />

2.1 Die ‚mythische Schule‘<br />

Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) war e<strong>in</strong>er der letzten Universalgelehrten<br />

Deutschlands; er verfasste Werke über Welt- <strong>und</strong> Literaturgeschichte,<br />

schrieb zu zahlreichen geschichtlichen E<strong>in</strong>zelphänomenen<br />

<strong>und</strong> wurde zum Begründer der alt- <strong>und</strong> neutestamentlichen E<strong>in</strong>leitungswissenschaft.<br />

31 Er studierte bei Heyne <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> wandte<br />

<strong>des</strong>sen Mythen-Konzept auf das Alte Testament an. Vor allem der Wahrheitsgehalt<br />

der Urgeschichte stand angesichts der entstehenden Naturwissenschaften<br />

zur Debatte. Hier bot Heynes <strong>Mythos</strong><strong>in</strong>terpretation<br />

e<strong>in</strong>en Ausweg, der über die rationalistische Kritik <strong>und</strong> die Akkommodationstheorie<br />

(Anpassung an die Zeitumstände) h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>g <strong>und</strong> e<strong>in</strong> historisches<br />

Verständnis eröffnete. Eichhorn formuliert bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

1779 anonym veröffentlichten ‚Urgeschichte‘: „Man versetze sich ganz <strong>in</strong><br />

das Zeitalter der Geschichte <strong>und</strong> erkläre dies nicht nach unseren philo-<br />

31 Vgl. Rudolf Smend, Johann Gottfried Eichhorn, <strong>in</strong>: <strong>Der</strong>s., Kritiker <strong>und</strong> Exegeten,<br />

Gött<strong>in</strong>gen 2017, 176–191.


2.1 Die ‚mythische Schule‘ 17<br />

sophischen Vorstellungen von der Natur Gottes, se<strong>in</strong>en Eigenschaften<br />

<strong>und</strong> Wirkungen. Man bedenke, daß man Geschichte <strong>des</strong> K<strong>in</strong>deralters<br />

<strong>und</strong> räsonierende Erzählung <strong>und</strong> Dichtung aus dem K<strong>in</strong>deralter vor<br />

sich hat, folglich auch mehr s<strong>in</strong>nliche Vorstellung <strong>und</strong> Sprache, mehr<br />

Gemälde <strong>und</strong> Dichtung als nackte Geschichte <strong>und</strong> abstrakte Vorstellung<br />

<strong>und</strong> Sprache erwarten darf.“ 32<br />

Eichhorns ‚Urgeschichte‘ wurde von se<strong>in</strong>em Schüler Johann Philipp<br />

Gabler (1753–1826) zwischen 1790–1793 neu herausgegeben <strong>und</strong> umfangreich<br />

überarbeitet, so dass es als e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftswerk angesehen werden<br />

kann <strong>und</strong> das <strong>Mythos</strong>verständnis der beiden zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt. 33<br />

Danach ordnet sich auch der biblische Schöpfungsmythos <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dheit<br />

der Menschheit e<strong>in</strong>, wo man zur Abstraktion noch nicht fähig war<br />

<strong>und</strong> unmittelbar den <strong>S<strong>in</strong>n</strong>ese<strong>in</strong>drücken folgte. Phänomene wie Fluten,<br />

Donner, Blitze, Krankheiten oder Träume erschienen unerklärlich <strong>und</strong><br />

wurden auf die unmittelbare Hand Gottes zurückgeführt; unerwartete<br />

Ereignisse bedurften e<strong>in</strong>er außerordentlichen Erklärung. Unkenntnis<br />

führte also zu den Schilderungen vieler außergewöhnlicher Geschehnisse.<br />

Gabler formuliert: „Mythen s<strong>in</strong>d überhaupt Sagen der alten Welt<br />

<strong>in</strong> der damaligen s<strong>in</strong>nlichen Denkart <strong>und</strong> Sprache. In diesen Mythen<br />

darf man also nicht e<strong>in</strong>e Begebenheit gerade so dargestellt erwarten, wie<br />

sie wirklich vorgefallen ist; sondern nur so, wie sie dem damaligen Zeitalter<br />

nach se<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nlichen Art zu denken <strong>und</strong> zu schließen vorkommen<br />

mußte, <strong>und</strong> <strong>in</strong> der bildlichen, optischen <strong>und</strong> dramatischen Sprache<br />

<strong>und</strong> Darstellung, <strong>in</strong> welcher e<strong>in</strong>e Begebenheit damals nur vorgetragen<br />

werden konnte. Alle Erzählungen aus der Urwelt, so wie von dem ersten<br />

Ursprunge je<strong>des</strong> Volkes, müssen also nothwendig Mythen seyn, <strong>und</strong> je<br />

älter e<strong>in</strong> Buch ist, <strong>des</strong>to mehr Mythen muß es enthalten.“ 34<br />

Mythen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>erseits ke<strong>in</strong>e bloßen Fabeln (dichterische Fiktionen),<br />

sondern e<strong>in</strong>e der Zeit entsprechende notwendige Erklärungs- <strong>und</strong><br />

Erzählform. Als e<strong>in</strong> poetischer, zugleich aber auch philosophischer My -<br />

thos gibt die Urgeschichte andererseits aber nicht e<strong>in</strong>fach Naturfakten<br />

32 Johann Gottfried Eichhorn, Urgeschichte I, hrsg. v. Johann Philipp Gabler, Altdorf/<br />

Nürnberg 1790, 5 f.<br />

33 E<strong>in</strong>e ausführliche Darstellung ihres Ansatzes bieten Christian Hartlich/Walter<br />

Sachs, <strong>Der</strong> Ursprung <strong>des</strong> <strong>Mythos</strong>begriffes <strong>in</strong> der modernen Bibelwissenschaft,<br />

Tüb<strong>in</strong>gen 1952, 20–38.<br />

34 Johann Gottfried Eichhorn, Urgeschichte II/1, hrsg. v. Johann Philipp Gabler, Altdorf/Nürnberg<br />

1792, 482.


18<br />

2. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff <strong>in</strong> der neueren <strong>Theologie</strong><br />

wieder, vielmehr verleiht sie Gedanken bildhafte Form, z. B. dass Gott<br />

der Urheber von allem ist <strong>und</strong> wie trotzdem das Böse <strong>in</strong> die Welt kam.<br />

Bereits Eichhorn <strong>und</strong> Gabler wandten ihr Mythenkonzept auch auf<br />

das Neue Testament an. Dabei galt als Gr<strong>und</strong>satz: „Man muß Sache <strong>und</strong><br />

Jüdische E<strong>in</strong>kleidung auch hier sorgfältig vone<strong>in</strong>ander absondern, <strong>und</strong><br />

die Geschichte geht sodann – von ke<strong>in</strong>em W<strong>und</strong>er unterbrochen –<br />

e<strong>in</strong>en natürlich leichten Gang.“ 35 Auch Gabler betont das erzählerische<br />

Temperament <strong>des</strong> Orientalen; die Jünger erzählten Begebenheiten nicht<br />

e<strong>in</strong>fach nur so, wie sie sich abgespielt hatten, sondern wie sie sich e<strong>in</strong><br />

Geschehen dachten <strong>und</strong> zu erklären versuchten. „Es liegt ohneh<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

dem Charakter <strong>des</strong> Orientalers, e<strong>in</strong>e Begebenheit nie nackt zu erzählen,<br />

sondern so, wie er sich dachte, daß es dabei zugegangen, oder wie sie<br />

erfolgt se<strong>in</strong> möchte. Räsonnement war immer <strong>in</strong> Geschichte e<strong>in</strong>geflochten,<br />

<strong>und</strong> wurde selbst als Faktum dargestellt; weil der Orientaler sich’s<br />

gar nicht denken konnte, daß etwas anders vorgefallen se<strong>in</strong> könnte, als<br />

er sich’s gerade vorstellte. Das Faktum <strong>und</strong> die Art, sich das Faktum zu<br />

denken, floß bei dem Morgenländer <strong>in</strong> E<strong>in</strong> unzertrennliches Ganze<br />

zusammen.“ 36 Die mangelnde Fähigkeit, die Tatsachen von dem eigenen<br />

E<strong>in</strong>druck <strong>und</strong> Urteil davon zu unterscheiden, führte so zu Erzählungen<br />

im Neuen Testament, die ke<strong>in</strong>en natürlichen Ablauf aufweisen.<br />

<strong>Der</strong> Theologe <strong>und</strong> Orientalist Georg Lorenz Bauer (1755–1806), zeitweise<br />

e<strong>in</strong> Kollege von Gabler an der Universität Altdorf, praktizierte als<br />

e<strong>in</strong>er der Ersten programmatisch <strong>und</strong> konsequent die ‚historisch-kritische<br />

Methode‘, 37 führte die <strong>Mythos</strong>-Debatte weiter <strong>und</strong> kann darüber<br />

h<strong>in</strong>aus als e<strong>in</strong>er der Begründer der modernen <strong>Hermeneutik</strong> gelten. 38 Er<br />

35 Johann Gottfried Eichhorn, Allgeme<strong>in</strong>e Bibliothek der biblischen Litteraur III, Leipzig<br />

1790, 388 f.<br />

36 Johann Philipp Gabler, Neuestes Theologisches Journal, Nürnberg 1798, 239.<br />

37 Vgl. Georg Lorenz Bauer, Entwurf e<strong>in</strong>er historisch-kritischen E<strong>in</strong>leitung <strong>in</strong> die<br />

Schriften <strong>des</strong> Alten Testaments, Nürnberg/Altdorf 2 1801. <strong>Der</strong> Term<strong>in</strong>us ‚historischkritisch‘<br />

ist seit der Mitte <strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts nachweisbar (Johann Salomo Semler,<br />

Hermann Samuel Reimarus); wird aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen Breite erstmals von Bauer<br />

angewandt; vgl. Otto Merk, Anfänge neutestamentlicher Wissenschaft im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

<strong>in</strong>: <strong>Der</strong>s., Wissenschaftsgeschichte <strong>und</strong> Exegese, BZNW 95, Berl<strong>in</strong> 1998,<br />

(1–23) 23: „Mit G. L. Bauer aber ist auch als Begriff die ‚historisch-kritische Methode‘<br />

Allgeme<strong>in</strong>gut neutestamentlicher Forschung geworden.“ Zur Bedeutung von<br />

Bauer vgl. auch: Otto Merk, Biblische <strong>Theologie</strong> <strong>des</strong> Neuen Testaments <strong>in</strong> ihrer<br />

Anfangszeit, MThSt 9, Marburg 1972, 141–203.<br />

38 Vgl. Georg Lorenz Bauer, Entwurf e<strong>in</strong>er <strong>Hermeneutik</strong>, 1, wo als Gr<strong>und</strong>axiom formu-


2.1 Die ‚mythische Schule‘ 19<br />

ist Vertreter e<strong>in</strong>er methodisch reflektierten, an der Entstehungssituation<br />

<strong>des</strong> Textes orientierten historischen Bibelauslegung, die von e<strong>in</strong>er<br />

stufenweisen Entwicklung <strong>des</strong> menschlichen Denkens, Erzählens <strong>und</strong><br />

Erkennens ausgeht <strong>und</strong> im Idealfall von der E<strong>in</strong>kleidung zur Sache<br />

selbst durchdr<strong>in</strong>gt. Bauer lehnt e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen profanen<br />

<strong>und</strong> biblischen Autoren strikt ab <strong>und</strong> betont: „man erkläre je<strong>des</strong><br />

Buch nach dem Sprachgebrauch, <strong>in</strong> welchem es geschrieben ist, <strong>und</strong> dieses<br />

heißt die grammatische Interpretation, <strong>und</strong> giebt den Wortverstand;<br />

<strong>und</strong> die dar<strong>in</strong>nen vorgetragenen Ideen aus den Sitten <strong>und</strong> der Denkungsart<br />

<strong>des</strong> Schriftstellers selbst, <strong>und</strong> se<strong>in</strong>es Zeitalters, se<strong>in</strong>er Nation,<br />

Secte, Religion usw, welches die historische Interpretation heißt, <strong>und</strong><br />

giebt die Sacherklärung.“ 39 Es könne auch bei e<strong>in</strong>em biblischen Autor<br />

nur e<strong>in</strong>en Worts<strong>in</strong>n geben, 40 der weder mythisch noch moralisch unterlaufen<br />

werden dürfe. Vielmehr muss sich der Ausleger <strong>in</strong> die Seele <strong>und</strong><br />

die Zeit se<strong>in</strong>es Autors h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>denken <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e kulturellen <strong>und</strong> religiösen<br />

Vorstellungen erk<strong>und</strong>en. Weil diese e<strong>in</strong>er Veränderung unterworfen<br />

s<strong>in</strong>d, ist es auch nicht möglich, z. B. die Begriffe <strong>des</strong> Alten Testaments<br />

aus dem Neuen Testament zu erläutern <strong>und</strong> es kann auch nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass es <strong>in</strong> der Bibel Widersprüche gibt. Die Theopneustie<br />

dürfe nicht zum Axiom der <strong>Hermeneutik</strong> werden, „weil erst,<br />

wenn die Schrift richtig ausgelegt ist, sich ergeben kann, wie man über<br />

sie zu denken habe.“ 41 Von diesem kritischen Standpunkt aus wendet<br />

sich Bauer der <strong>Mythos</strong>-Frage zu, wobei er sich an Heyne orientiert <strong>und</strong><br />

philosophische, historische sowie poetische Mythen unterscheidet.<br />

Mythen <strong>und</strong> wahre Geschichten können vor allem daran unterschieden<br />

werden, dass ke<strong>in</strong>e natürlichen Ursachen angegeben werden, sondern<br />

Götter bzw. andere himmlische Wesen auftreten, e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nliche Darstellung<br />

dom<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> wenn „die erzählte Sache so beschaffen ist, daß sie<br />

weder jetzt geschieht, noch nach dem ordentlichen Beruf der Natur<br />

liert wird: „Denn der <strong>S<strong>in</strong>n</strong> e<strong>in</strong>es Schriftstellers ist der Inbegriff der Vorstellungen,<br />

welche e<strong>in</strong> Autor selbst mit se<strong>in</strong>en Worten verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> dabey gewünscht hat,<br />

daß andere, welche sie lesen, eben dasselbe dabey denken mögen, was er dabey<br />

gedacht hat.“ Völlig unterschätzt wird Bauer bei Joachim Wach, Das Verstehen II,<br />

Tüb<strong>in</strong>gen 1929, 104, der ihn nur e<strong>in</strong>mal summarisch erwähnt.<br />

39 Georg Lorenz Bauer, Entwurf e<strong>in</strong>er <strong>Hermeneutik</strong>, 20.<br />

40 A. a. O., 15: „ …weil e<strong>in</strong> verständiger Autor nur e<strong>in</strong>en <strong>S<strong>in</strong>n</strong>, den historischen, mit se<strong>in</strong>en<br />

Reden verb<strong>in</strong>det.“<br />

41 A. a. O., 132.


3.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff <strong>in</strong> der<br />

neueren Philosophie, Religions<strong>und</strong><br />

Geschichtswissenschaft<br />

Es ist auffallend, dass Bultmann die zahlreichen positiven <strong>Mythos</strong>-<br />

Interpretationen <strong>des</strong> 19. <strong>und</strong> beg<strong>in</strong>nenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> Philosophie<br />

<strong>und</strong> Religionswissenschaft nicht aufnahm. 253 Neben e<strong>in</strong>er historisch-rationalen<br />

L<strong>in</strong>ie, die im <strong>Mythos</strong> etwas zu Überw<strong>in</strong>den<strong>des</strong> sah, bildete<br />

sich immer mehr e<strong>in</strong>e Interpretationsrichtung heraus, die im<br />

<strong>Mythos</strong> e<strong>in</strong>e unaufgebbare Ausdrucksform erblickte, die gr<strong>und</strong>legend<br />

<strong>und</strong> bleibend für menschliches Erkennen, Erzählen <strong>und</strong> Verstehen<br />

anzusehen ist. 254 Die Rezeption wandelte sich von der Mythenkritik h<strong>in</strong><br />

zum hermeneutischen Potential <strong>des</strong> <strong>Mythos</strong>.<br />

3.1 Friedrich Wilhelm Joseph Schell<strong>in</strong>g<br />

E<strong>in</strong>e herausrragende Gestalt <strong>in</strong> diesen Debatten war Friedrich Wilhelm<br />

Joseph Schell<strong>in</strong>g (1775–1854). Schell<strong>in</strong>g entwickelt e<strong>in</strong>e überraschend<br />

aktuelle Naturphilosophie, die konsequent den menschlichen Geist als<br />

Teil der Natur versteht. Er postuliert e<strong>in</strong>en absoluten Geist, der sich <strong>in</strong><br />

Natur <strong>und</strong> Geschichte vergegenständlicht <strong>und</strong> zu gleich entzweit. Dennoch<br />

bilden Natur <strong>und</strong> Geist aufgr<strong>und</strong> ihres ge me<strong>in</strong>samen Ursprungs<br />

im Absoluten e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit, <strong>in</strong> der alles mit allem verb<strong>und</strong>en ist. „Die<br />

Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur se<strong>in</strong>. Hier<br />

also, <strong>in</strong> der absoluten Identität <strong>des</strong> Geistes <strong>in</strong> uns <strong>und</strong> der Natur außer<br />

uns, muß sich das Problem, wie e<strong>in</strong>e Natur außer uns möglich sei, auflösen.“<br />

255 Das Natur- <strong>und</strong> der Geistprozess werden als E<strong>in</strong>heit verstan-<br />

253 Darauf weist mit Recht h<strong>in</strong>: Wolfhart Pannenberg, Christentum <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong>,<br />

Gütersloh 1972, 10 ff.<br />

254 Zur neueren Forschungs- <strong>und</strong> Theoriegeschichte vgl. auch Jürgen Mohn, <strong>Mythos</strong>theorien,<br />

München 1998.<br />

255 Friedrich Wilhelm Joseph Schell<strong>in</strong>g, Ideen zu e<strong>in</strong>er Philosophie der Natur, <strong>in</strong>: <strong>Der</strong>s.,<br />

Werke I, hrsg. v. Manfred Schröter, München 1927 (= 1797), 706.


74<br />

3. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff<br />

den <strong>und</strong> auf dieser Basis konzipiert Schell<strong>in</strong>g ab ca. 1820 e<strong>in</strong> besonderes<br />

<strong>Mythos</strong>konzept. Danach ist der <strong>Mythos</strong> ke<strong>in</strong> Produkt e<strong>in</strong>es autonom<br />

reflektierenden Subjekts, sondern weist e<strong>in</strong>en unverfügbaren Gr<strong>und</strong><br />

auf. <strong>Der</strong> Verweis auf das Subjekt reicht nicht aus, um den ungeheuren<br />

<strong>und</strong> bleibenden E<strong>in</strong>fluss der Mythen auf das Denken der Völker zu<br />

erklären. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist <strong>des</strong>halb auch mehr als Veranschaulichung<br />

e<strong>in</strong>er Vorstellung, vielmehr ist er autopoietisch, d. h. er wird nicht<br />

gemacht, sondern erzeugt – als Ursache se<strong>in</strong>er selbst – selber. „Aber der<br />

mythologische Proceß ist etwas Wirkliches, von der menschlichen Me<strong>in</strong>ung<br />

Unabhängiges, e<strong>in</strong> nothwendiges <strong>in</strong>neres Erzeugniß, wenn wir<br />

auch zugegeben haben, daß die Mythologie ausgeschmückt <strong>und</strong> erweitert<br />

werden könne.“ 256 <strong>Der</strong> mythologische Prozess wird dabei von<br />

den gleichen Kräften bewirkt, die auch das Werden der Natur oder die<br />

Kunst hervorbr<strong>in</strong>gen. Als notwendige <strong>und</strong> frühe Ausdrucksform <strong>des</strong><br />

Geistes ist der <strong>Mythos</strong> ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung, noch entstand er zufällig: „<strong>Der</strong><br />

Gr<strong>und</strong> der Mythologie ist nämlich schon <strong>in</strong> das 1te wirkliche Bewußtseyn<br />

der Menschheit gelangt, <strong>und</strong> wenn der Gr<strong>und</strong> da ist, ist die Sache<br />

<strong>in</strong> ihrem Gr<strong>und</strong> schon da.“ 257 Dabei steht der <strong>Mythos</strong> nicht für etwas<br />

‚anderes‘, vielmehr ist er ‚tautegorisch‘, d. h. er bedeutet, was er ist. Form<br />

<strong>und</strong> Inhalt lassen sich nicht trennen. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist wahr <strong>und</strong> wird von<br />

Schell<strong>in</strong>g im Gegensatz z. B. zu Heyne gerade nicht als allegorisch verkleidete<br />

Geschichte verstanden. „Durch alles bisherige wäre also gezeigt,<br />

daß die Mythologie nicht etwas Entstelltes sey, so wenig als man sie für<br />

e<strong>in</strong>e bloße Verkleidung, Umhüllung der Wahrheit ansehen kann.“ 258<br />

Auch <strong>Mythos</strong> <strong>und</strong> Vernunft s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise Gegensätze, denn die<br />

Mythologie ist als e<strong>in</strong>e Ursprungssprache von Natur <strong>und</strong> Mensch be -<br />

reits vernünftig. Als erste Form der geschichtlichen Entwicklung <strong>des</strong><br />

Gottesbewusstse<strong>in</strong>s führte der <strong>Mythos</strong> über sich selbst h<strong>in</strong>aus; wie die<br />

Sprache ist die Mythologie der Gr<strong>und</strong>, aus dem Poesie <strong>und</strong> Philosophie<br />

gleichursprünglich hervorgehen; Sprache <strong>und</strong> Mythologie s<strong>in</strong>d selbstgenerierend.<br />

Sie treten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Prozess e<strong>in</strong>, der durch die Geschichte<br />

h<strong>in</strong>durch von der Philosophie der Mythologie h<strong>in</strong> zur Philosophie der<br />

Offenbarung führt, vom Polytheismus zum Monotheismus.<br />

256 Friedrich Wilhelm Joseph Schell<strong>in</strong>g, Philosophie der Mythologie. In drei Vorlesungsnachschriften<br />

1837/1842, hrsg. v. Klaus Vieweg/Christian Danz, München 1969, 108.<br />

257 A. a. O., 88.<br />

258 A. a. O., 92.


3.2 Ernst Cassirer 75<br />

Schell<strong>in</strong>g entfaltet e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>verständnis, das gleich mit mehreren<br />

Vor-Urteilen se<strong>in</strong>er Zeit bricht <strong>und</strong> dem <strong>Mythos</strong> e<strong>in</strong>en völlig neuen <strong>und</strong><br />

positiven Platz zuweist: Er ist nicht das Produkt autonomer Reflexion,<br />

sondern bildet sich von Urbeg<strong>in</strong>n an aus selbsttätigen Mächten im<br />

Innern <strong>des</strong> Bewusstse<strong>in</strong>s. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist e<strong>in</strong>e universale, über<strong>in</strong>dividuelle<br />

Ersche<strong>in</strong>ung, die nicht für etwas anderes steht, sondern se<strong>in</strong>e<br />

eigene Wirklichkeit ist. Ke<strong>in</strong>eswegs darf der <strong>Mythos</strong> als sek<strong>und</strong>äre<br />

äußere Form aufgefasst werden, denn Form <strong>und</strong> Inhalt stimmen hier<br />

wie nirgendwo sonst übere<strong>in</strong>. Er wirkt seit den Anfängen der Menschheit<br />

<strong>und</strong> ist ke<strong>in</strong>eswegs als primitives Phänomen e<strong>in</strong>er Urzeit zu verstehen,<br />

das es zu überw<strong>in</strong>den gilt. Bei Schell<strong>in</strong>g liegt e<strong>in</strong>e Transzendierung<br />

<strong>des</strong> My thos vor, der eben nicht vom Logos aus gedacht wird <strong>und</strong> nicht<br />

der enthüllenden Allegorese bedarf. Als selbstschaffende <strong>und</strong> über<strong>in</strong>dividuelle<br />

Bewusstse<strong>in</strong>s-Größe eignet dem <strong>Mythos</strong> e<strong>in</strong>e Unmittelbarkeit,<br />

so dass der <strong>Mythos</strong> wie die Sprache jedem Menschen potentiell eigen<br />

<strong>und</strong> zugänglich ist.<br />

3.2 Ernst Cassirer<br />

Die universalen Dimensionen <strong>des</strong> <strong>Mythos</strong> spielen auch im Werk von<br />

Ernst Cassirer (1874–1945) e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle. Er stellte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

dreibändigen Hauptwerk ‚Philosophie der symbolischen Formen‘<br />

(1923–1927) nichts weniger als der Aufgabe, alle von der menschlichen<br />

Kultur hervorgebrachten Formen <strong>des</strong> Verstehens <strong>und</strong> Interpretierens zu<br />

untersuchen. Als Gr<strong>und</strong>lage dient dabei die Annahme, dass alle menschliche<br />

Erfahrung als symbolische Tätigkeit zu <strong>in</strong>terpretieren ist, die das<br />

konkret s<strong>in</strong>nlich Wahrnehmbare mit <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>und</strong> Bedeutung erfüllt <strong>und</strong><br />

ihm e<strong>in</strong>e Form verleiht; e<strong>in</strong> Symbol ist alles, was das <strong>S<strong>in</strong>n</strong>liche mit <strong>S<strong>in</strong>n</strong><br />

füllt. Cassirer bestimmt den Menschen als e<strong>in</strong> kulturelles Wesen, das<br />

Symbole schafft <strong>und</strong> sich durch Symbole mit se<strong>in</strong>esgleichen <strong>und</strong> der<br />

Welt verständigt. „<strong>Der</strong> Begriff der Vernunft ist höchst ungeeignet, die<br />

Formen der Kultur <strong>in</strong> ihrer Fülle <strong>und</strong> Mannigfaltigkeit zu erfassen. Alle<br />

diese Formen s<strong>in</strong>d symbolische Formen. Deshalb sollten wir den Menschen<br />

nicht als animal rationale, sondern als animal symbolicum def<strong>in</strong>ieren.“<br />

259 Die Menschen gestalten ihre Wirklichkeit durch e<strong>in</strong>e symbolische<br />

Formung <strong>und</strong> die Wirklichkeit ist <strong>des</strong>halb immer symbolisch ver-<br />

259 Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, 51.


76<br />

3. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong>-Begriff<br />

mittelt. Form <strong>und</strong> Inhalt prägen sich dabei gegenseitig, weil „der Geist<br />

erst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Äußerung zu se<strong>in</strong>er wahrhaften <strong>und</strong> vollkommenen<br />

Innerlichkeit gelangt. Die Form, die sich das Innere gibt, bestimmt auch<br />

rückwirkend se<strong>in</strong> Wesen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Gehalt.“ 260 Dabei spielt der Symbolbegriff<br />

e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle, denn die Phänomene <strong>des</strong> Erkennens<br />

können nach Cassirer als Pluralität symbolischer Formen geordnet werden:<br />

Sprache, <strong>Mythos</strong>, Kunst, Religion, aber auch Technik oder Moral.<br />

Sie vermitteln uns die Welt, <strong>in</strong>dem sie Wahrnehmungen prägen <strong>und</strong><br />

mit Bedeutungen belegen. „Unter e<strong>in</strong>er ‚symbolischen ‚Form‘ soll jene<br />

Energie <strong>des</strong> Geistes verstanden werden, durch welche e<strong>in</strong> geistiger<br />

Bedeutungsgehalt an e<strong>in</strong> konkretes s<strong>in</strong>nliches Zeichen geknüpft <strong>und</strong><br />

diesem <strong>in</strong>nerlich zugeeignet wird.“ 261 Es geht also um die Produktion<br />

von Bedeutung, die sich durch Sprache <strong>in</strong> regelmäßiger <strong>und</strong> typologischer<br />

Weise vollzieht, wobei die symbolischen Formen zwar verschiedenartig,<br />

aber gleichwertig s<strong>in</strong>d. Die symbolischen Formen der Kunst<br />

oder der Religion s<strong>in</strong>d andere als die der Naturwissenschaften <strong>und</strong><br />

haben e<strong>in</strong>e andere Orientierungsfunktion, ohne dass e<strong>in</strong>e Hierarchie<br />

e<strong>in</strong>gezogen werden darf. <strong>Der</strong> Symbol-Begriff ermöglicht es so, die Vielzahl<br />

<strong>und</strong> Vielfalt der Ersche<strong>in</strong>ungen zu erfassen, zu beschreiben <strong>und</strong> vor<br />

allem zu verknüpfen.<br />

E<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende symbolische Form ist nach Cassirer der <strong>Mythos</strong>,<br />

der e<strong>in</strong>e Urschicht unseres Denkens <strong>und</strong> Fühlens <strong>und</strong> damit unseres<br />

Weltverständnisses ist. Mythisches Denken stellt die früheste bewusste<br />

Reflexion der Welt als Ganzes dar <strong>und</strong> muss somit als erste Form der<br />

Erkenntnis angesehen werden. „Es gibt ke<strong>in</strong>e Naturersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong><br />

ke<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung <strong>des</strong> menschlichen Dase<strong>in</strong>s, die sich nicht mythisch<br />

deuten ließen <strong>und</strong> die e<strong>in</strong>e solche Deutung nicht nahelegen.“ 262 Dem<br />

<strong>Mythos</strong> kommen demnach vielfältige Aufgaben <strong>und</strong> Fähigkeiten zu: Er<br />

gestaltet vor allem im Ritual die D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> formt ihre vielschichtigen<br />

Beziehungsmöglichkeiten, wobei er sich stets auf das Se<strong>in</strong> als Ganzes<br />

bezieht. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist e<strong>in</strong>e handlungsgeleitete Form der Weltorientierung<br />

mit em<strong>in</strong>enten sozialen <strong>und</strong> praktischen Dimensionen: Er organi-<br />

260 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen II: Das mythische Denken,<br />

Hamburg 2010 (= 1925), 231.<br />

261 Ernst Cassirer, <strong>Der</strong> Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften,<br />

<strong>in</strong>: ECW 16, Hamburg 2003 (= 1923), (75–104) 79.<br />

262 Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, 117.


4.<br />

<strong>Mythos</strong>, Sprache <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />

<strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist e<strong>in</strong> notwendiges <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>eswegs überholtes menschliches<br />

Deutungssystem, das als s<strong>in</strong>nstiftende Erzählung zuallererst e<strong>in</strong><br />

Sprachphänomen ist. Je<strong>des</strong> Sprachphänomen wiederum ist Ausdruck<br />

e<strong>in</strong>er Wirklichkeitserfahrung, die mit Hilfe der Sprache erfasst <strong>und</strong><br />

zugleich gedeutet werden soll. Daraus ergeben sich zwei gr<strong>und</strong>legende<br />

Fragen: 1) Welche Art von Sprache liegt beim <strong>Mythos</strong> vor? 2) Wie verhält<br />

sich die Sprachform <strong>Mythos</strong> zu anderen Sprachformen? Bevor diese beiden<br />

Fragen beantwortet werden können, ist e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition von ‚My -<br />

thos‘ unabd<strong>in</strong>gbar, wohl wissend um die Begrenztheit e<strong>in</strong>es solchen<br />

Versuches. Soll aber der <strong>Mythos</strong> von anderen Sprachformen abgegrenzt<br />

werden, dann muss zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t vorläufig klar se<strong>in</strong>, was man unter<br />

<strong>Mythos</strong> versteht.<br />

4.1 Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong> oder:<br />

Wie kann der Mensch über Gott <strong>und</strong> das Göttliche reden?<br />

Die Sprache ist für den Menschen der Zugang zur äußeren <strong>und</strong> <strong>in</strong>neren<br />

Welt; sie ermöglicht es ihm, die D<strong>in</strong>ge zu erfassen <strong>und</strong> zu unterscheiden,<br />

liefert e<strong>in</strong>e Beschreibung der Wirklichkeit. 353 Erlernt wird Sprache<br />

im körperlichen <strong>und</strong> sozialen Umgang der Menschen mite<strong>in</strong>ander; sie<br />

bildet sich durch Beobachtung, Bewegung, Zuhören <strong>und</strong> Nachahmung<br />

353 Gr<strong>und</strong>legend für die moderne Sprachtheorie ist Johann Gottfried Herder (1744–1803);<br />

vgl. ders., Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, <strong>in</strong>: Herders Werke<br />

IV, BDK, Berl<strong>in</strong>/Weimar 1978 (= 1784), 60: „Aber den Menschen baute die Natur zur<br />

Sprache; auch zu ihr ist er aufgerichtet <strong>und</strong> an e<strong>in</strong>e emporstrebende Säule se<strong>in</strong>e<br />

Brust gewölbet.“ Aus der neueren Debatte vgl. Charles Taylor, Das sprachbegabte<br />

Tier. Gr<strong>und</strong>züge <strong>des</strong> menschlichen Sprachvermögens, Berl<strong>in</strong> 2017. Gr<strong>und</strong>legend<br />

<strong>und</strong> wegweisend bleibt <strong>in</strong> diesem theoretisch (künstlich) aufgeladenen Bereich folgende<br />

E<strong>in</strong>sicht: Ludwig Wittgenste<strong>in</strong>, Philosophische Untersuchungen, 83: „Wenn<br />

ich über Sprache (Wort, Satz, etc.) rede, muß ich die Sprache <strong>des</strong> Alltags reden.“


4.1 Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>? 109<br />

<strong>und</strong> durch Sprache sowie die durch sie ermöglichte Kommunikation 354<br />

wird der Menschen se<strong>in</strong> Leben lang f<strong>und</strong>amental bestimmt. Sprache<br />

bezieht sich vor allem auf die vor Augen liegenden D<strong>in</strong>ge, ermöglicht es<br />

aber auch, darüber h<strong>in</strong>aus zu gehen. So ist die <strong>in</strong>nere Welt e<strong>in</strong>es Menschen,<br />

der Kosmos der Gefühle für andere sprachlich nur schwer zu<br />

erschließen; ebenso lassen sich über<strong>in</strong>dividuelle Werte wie Freiheit,<br />

Gerechtigkeit oder Hoffnung sprachlich sehr unterschiedlich beschreiben.<br />

So wie es verschiedene Ebenen der Wirklichkeit gibt, so existieren<br />

auch verschiedene Sprachebenen <strong>und</strong> Sprachformen, die sich <strong>in</strong> der<br />

Regel nach ihrem Gegenstand richten. Die Sprache der Mathematik ist<br />

e<strong>in</strong>e andere als die Sprache der Lyrik. Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für den religiösen<br />

Bereich, denn die Existenz Gottes kann weder bewiesen noch<br />

widerlegt werden; 355 klar ist aber <strong>in</strong> jedem Fall, dass Gott ke<strong>in</strong> Element<br />

der unmittelbar vorf<strong>in</strong>dlichen Wirklichkeit ist, wie z. B. e<strong>in</strong> Baum, e<strong>in</strong><br />

Haus, e<strong>in</strong> Pferd oder das Gefühl der Angst. Dasselbe gilt aber auch für<br />

über<strong>in</strong>dividuelle Kategorien wie Vorsehung, Geschick, Schicksal oder<br />

Bestimmung, die sich e<strong>in</strong>er nachweisbaren Demonstration entziehen.<br />

Deshalb bef<strong>in</strong>det sich jeder, der über Gott/die Götter/das Num<strong>in</strong>ose<br />

spricht, auf e<strong>in</strong>er besonderen Sprachebene, 356 weil der Gegenstand se<strong>in</strong>es<br />

Sprechens nicht offen zutage liegt <strong>und</strong> sogar se<strong>in</strong>e Existenz bezweifelt<br />

werden kann. Diese Ebene kann als supranatural bezeichnet werden,<br />

d. h. e<strong>in</strong>e Ebene über die unmittelbar fassbare Natur h<strong>in</strong>aus (lat. supra =<br />

‚darüber, darüber h<strong>in</strong>aus‘). 357 Wenn Gott bzw. Übernatürliches zur<br />

354 Vgl. Michael Tomasello, Mensch werden. E<strong>in</strong>e Theorie der Ontogenese, Berl<strong>in</strong> 2 2020,<br />

139: „In diesem Kapitel versuchen wir also, die Ontogenese der absolut zentralen<br />

Fertigkeit menschlicher E<strong>in</strong>zigartigkeit zu beschreiben <strong>und</strong> zu erklären: der<br />

sprachlichen Kommunikation.“<br />

355 Vgl. Immanuel Kant, Reflexionen zur Metaphysik, <strong>in</strong>: <strong>Der</strong>s., Gesammelte Schriften<br />

AA XVIII, Berl<strong>in</strong> 1928, 36: „<strong>Der</strong> da Sagt, daß e<strong>in</strong> Gott sey, sagt mehr, als er weiß, <strong>und</strong><br />

der das Gegentheil sagt, im gleichen. Niemand weiß, daß e<strong>in</strong>er sey, sondern wir<br />

glauben es.“<br />

356 Unter formgeschichtlichen <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlichen Aspekten unterscheidet Gerd Theißen,<br />

Botschaft <strong>in</strong> Bildern, 53–82, sechs verschiedene Formen von Gottesrede im Neuen<br />

Testament: 1) narrativ; 2) dialogisch; 3) doxologisch; 4) imperativisch; 5) mystisch;<br />

6) philosophisch.<br />

357 Damit werden ke<strong>in</strong>e theologiegeschichtlichen Theorien verb<strong>und</strong>en, wie wir sie z. B.<br />

im Supranaturalismus der protestantischen Orthodoxie f<strong>in</strong>den, wonach Gott sich<br />

<strong>in</strong> der Bibel übernatürlich, unmittelbar <strong>und</strong> unfehlbar mitgeteilt hat (vgl. dazu<br />

Horst Stephan/Mart<strong>in</strong> Schmidt, Geschichte der deutschen evangelischen <strong>Theologie</strong>,


110<br />

4. <strong>Mythos</strong>, Sprache <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />

Sprache kommen, wenn Strukturen oder Objekte, die nicht e<strong>in</strong> Teil der<br />

s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbaren Welt der D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, sondern ihnen zugr<strong>und</strong>e<br />

liegen oder sie überschreiten, zum Gegenstand von Überlegungen <strong>und</strong><br />

Erörterungen werden, dann bef<strong>in</strong>det man sich auf e<strong>in</strong>er supranaturalen<br />

Sprachebene. 358 Beim <strong>Mythos</strong> ist die supranaturale Sprachebene<br />

offensichtlich, 359 weil dem Menschen entzogenes ur- <strong>und</strong>/oder endzeitliches<br />

Geschehen erzählt wird, das die gegenwärtige Welt- <strong>und</strong> Lebensordnung<br />

anschaulich erklären soll. Um diese Ebene verständlich zu<br />

machen <strong>und</strong> zum Sprechen zu br<strong>in</strong>gen, bedarf es der Vermittlung,<br />

die sich vor allem der besonderen Sprachformen <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong>, der Metapher,<br />

<strong>des</strong> Symbols 360 <strong>und</strong> der selbsterklärenden Dimensionen <strong>des</strong> Rituals<br />

bedient. 361 Es gilt, Annäherungen zu schaffen <strong>und</strong> Verstehensbrücken<br />

zu bauen. Dabei muss sich das menschliche Subjekt allerd<strong>in</strong>gs<br />

darüber im Klaren se<strong>in</strong>, dass es sich im Grenzbereich der Vernunft<br />

bewegt <strong>und</strong> es sich nicht um Beschreibung, sondern um Deutung<br />

handelt.<br />

Berl<strong>in</strong> 2 1960, 66–70). Vielmehr wird nur der e<strong>in</strong>fache Tatbestand bezeichnet, dass<br />

Gott ke<strong>in</strong> Element der natürlichen, unmittelbar aufweisbaren Welt ist; man wechselt<br />

die Ebene <strong>und</strong> dies muss sprachlich auch angezeigt werden.<br />

358 Vgl. Wolfgang Trillhaas, Religionsphilosophie, 228: „Jede religiöse Aussage hat<br />

e<strong>in</strong>en über sie h<strong>in</strong>ausweisenden <strong>S<strong>in</strong>n</strong>“; zum Phänomen der religiösen Sprache <strong>in</strong>sgesamt<br />

vgl. a. a. O., 219–269.<br />

359 Die Menschheitsgeschichte zeigt deutlich, dass es diese Sprache von Anfang an gab,<br />

denn Ritual, mimetisches Handeln <strong>und</strong> Religion gehörten bei dem entscheidenden<br />

Schritt <strong>des</strong> Frühmenschen zur Schaffung e<strong>in</strong>es übergreifenden Bewusstse<strong>in</strong>s schon<br />

immer zusammen; vgl. dazu Robert Bellah, <strong>Der</strong> Ursprung der Religion, 193–200.<br />

360 Ulrich Barth, Symbole <strong>des</strong> Christentums, 110–119, nimmt den <strong>Mythos</strong>begriff im<br />

Gefolge von Gunkel nur sehr begrenzt auf, erkennt <strong>des</strong>sen Leistungsfähigkeit nicht<br />

<strong>und</strong> konzentriert die Vermittlungsfunktion auf den Symbolbegriff: „Wie ist e<strong>in</strong>e<br />

Darstellung <strong>des</strong> Undarstellbaren möglich? Die systematische Leistung <strong>des</strong> enger<br />

gefassten Symbolbegriffs besteht dar<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> der Gottesvorstellung enthaltene<br />

Inkommensurabilität zwischen Gestalt <strong>und</strong> Gehalt, Bezeichnung <strong>und</strong> Bedeutung<br />

verständlich machen zu können. Symbole bilden <strong>des</strong>wegen die Sprach-, Bild- <strong>und</strong><br />

Vorstellungsebene e<strong>in</strong>er aufgeklärten Religion, weil ihre Verwendung begleitet ist<br />

vom Wissen um die Uneigentlichkeit ihres Bezeichnens“ (a. a. O., 37).<br />

361 Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen, 21, bestimmt drei gr<strong>und</strong>legende<br />

Dimensionen der Religion: „<strong>Mythos</strong>, Ritus <strong>und</strong> Ethos.“


4.1 Was ist e<strong>in</strong> <strong>Mythos</strong>? 111<br />

Def<strong>in</strong>ition von <strong>Mythos</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nstiftende Erzählung, die vom gr<strong>und</strong>-legenden<br />

Wirken Gottes/der Götter/der Vorsehung/<strong>des</strong> Schicksals <strong>in</strong> der Welt <strong>und</strong><br />

am Menschen handelt <strong>und</strong> Antworten auf den <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>des</strong> Ganzen geben<br />

will. Se<strong>in</strong> Ausgangspunkt s<strong>in</strong>d Erfahrungen von Menschen mit dem Nu -<br />

m<strong>in</strong>osen/Göttlichen/Über<strong>in</strong>dividuellen <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Ziel liegt <strong>in</strong> der Deutung<br />

dieses Erlebens. Damit werden Worts<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Wortgeschichte von<br />

ὁ μῦϑος/μυθέομαι aufgenommen, ohne e<strong>in</strong>e Verengung auf ‚unwahre‘<br />

Geschichte vorzunehmen. Vielmehr br<strong>in</strong>gen Mythen erzählerisch, bildlich<br />

<strong>und</strong> begrifflich zur Anschauung, was man nur mit ihnen erkennen <strong>und</strong><br />

sagen kann; was <strong>in</strong> die Welt <strong>und</strong> <strong>in</strong> das Leben der Menschen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ragt,<br />

ohne dar<strong>in</strong> aufzugehen; was Welt <strong>und</strong> Leben betrifft <strong>und</strong> zugleich überragt;<br />

was <strong>in</strong>nerweltlich nicht erklärt <strong>und</strong> domestiziert werden kann; was<br />

die Sphäre <strong>des</strong> natürlich Wissbaren übersteigt. Mythen weisen mit ihrer<br />

Bilderwelt, ihren Symbolen <strong>und</strong> Metaphern über sich h<strong>in</strong>aus; sie s<strong>in</strong>d<br />

nicht irrational, sondern transrational. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> ist e<strong>in</strong>e eigenständige,<br />

unumgängliche <strong>und</strong> zugleich notwendige supranaturale Sprach- bzw.<br />

Erzählform, wenn über Gott/das Göttliche/die Vorsehung/vom <strong>S<strong>in</strong>n</strong> <strong>des</strong><br />

Ganzen/das Geschick <strong>und</strong> ihr Verhältnis zur Welt gesprochen wird.<br />

Erfolgreiche Mythen werden nicht konstruiert, sie entstehen <strong>und</strong> verfügen<br />

als Orientierungserzählungen über das Potential, vermittelt zu werden!<br />

Konstitutiv für den <strong>Mythos</strong> s<strong>in</strong>d vor allem die Personifizierung von Göttern<br />

bzw. gottähnlichen Wesen, die Dramatisierung <strong>und</strong> Anthropomorphisierung<br />

von übernatürlichen Vorgängen <strong>und</strong>/oder Naturvorgängen,<br />

die Verb<strong>in</strong>dung von göttlicher Macht <strong>und</strong> menschlicher Aktivität, Analogien,<br />

Genealogien, kosmologischen Sett<strong>in</strong>gs, die Vers<strong>in</strong>nlichung geistiger<br />

Phänomene, die Zurückführung unvorhersehbarer Begebenheiten<br />

auf Gottheiten <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>kleidung von Ideen <strong>in</strong> geschichtsähnliche<br />

Formen. <strong>Der</strong> <strong>Mythos</strong> handelt von <strong>in</strong> der Welt wirkenden göttlichen<br />

Mächten <strong>und</strong> Kräften, wobei das Göttliche anthropomorph dargestellt<br />

wird <strong>und</strong> das Überweltliche weltlich zur Sprache kommt. 362 Bei<strong>des</strong> ist<br />

362 Zur Unvermeidbarkeit <strong>und</strong> den Grenzen <strong>des</strong> Anthropomorphismus-Problems vgl.<br />

Wolfgang Trillhaas, Religionsphilosophie, 19–41; er betont mit Kant den Grenzcharakter<br />

dieser Aussagen <strong>und</strong> hebt mit Hegel ihre Notwendigkeit hervor: „E<strong>in</strong> Gott,<br />

der ke<strong>in</strong>e menschlichen Züge trägt, ist ke<strong>in</strong> Gott. Diese menschlichen Züge aber<br />

bedeuten Erreichbarkeit Gottes, wie immer man sie sich denken mag, Verstehbarkeit<br />

Gottes, se<strong>in</strong>e Zugewandtheit zu uns, e<strong>in</strong> auf uns gerichtetes Hören, Wissen


5.<br />

<strong>Der</strong> frühchristliche <strong>Mythos</strong><br />

Die Gr<strong>und</strong>überzeugung <strong>und</strong> -botschaft <strong>des</strong> frühen Christentums ba -<br />

siert auf der Glaubensgewissheit, dass Gott aus Liebe den gekreuzigten<br />

Jesus von Nazareth von den Toten auferweckt <strong>und</strong> zu sich erhöht hat,<br />

um die Menschen von der Macht <strong>des</strong> Bösen/der Sünde zu befreien. Dieses<br />

über jede menschliche Erfahrung h<strong>in</strong>ausgehende Geschehen ließ<br />

<strong>und</strong> lässt sich nur <strong>in</strong> der Form e<strong>in</strong>es <strong>Mythos</strong> darstellen, e<strong>in</strong>es <strong>Mythos</strong><br />

mit historischem Kern. Geschichte <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong> bilden <strong>des</strong>halb im frühen<br />

Christentum von Anfang an ke<strong>in</strong>en Gegensatz, sondern e<strong>in</strong>e notwendige<br />

E<strong>in</strong>heit. 469<br />

5.1 <strong>Der</strong> historische Kern <strong>des</strong> frühchristlichen <strong>Mythos</strong><br />

Ausgangspunkt <strong>und</strong> Basis für das entstehende Christentum waren<br />

unzweifelhaft das Auftreten <strong>und</strong> Wirken <strong>des</strong> jüdischen Erneuerungs<strong>und</strong><br />

Endzeitpredigers Jesus von Nazareth. 470 Über se<strong>in</strong> Leben <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>e Verkündigung s<strong>in</strong>d wir vor allem durch die synoptischen Evangelien,<br />

aber auch durch das Johannesevangelium <strong>und</strong> die Briefe <strong>des</strong><br />

Paulus unterrichtet.<br />

469 Vgl. Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen, 48: „Alles spricht dafür, dass im<br />

Zentrum <strong>des</strong> Urchristentums weder e<strong>in</strong> sek<strong>und</strong>är historisierter <strong>Mythos</strong> noch e<strong>in</strong>e<br />

sek<strong>und</strong>är mythisierte Geschichte stand. Am Anfang stand e<strong>in</strong>e spannungsvolle E<strong>in</strong>heit<br />

von Geschichte <strong>und</strong> <strong>Mythos</strong>.“<br />

470 Die Jesusliteratur ist unüberschaubar; gr<strong>und</strong>legend: Hans Conzelmann, Art. Jesus<br />

Christus, RGG 3 III, Tüb<strong>in</strong>gen 1959, 619–653; Leonhard Goppelt, <strong>Theologie</strong> <strong>des</strong> Neuen<br />

Testaments, 3 1978, 19–299; Joachim Jeremias, Neutestamentliche <strong>Theologie</strong> I,<br />

Gütersloh 3 1979; Gerd Theißen/Annette Merz, <strong>Der</strong> historische Jesus, Gött<strong>in</strong>gen 1996;<br />

Jürgen Becker, Jesus von Nazaret, Berl<strong>in</strong> 1996; Jürgen Roloff, Jesus, München 2000;<br />

Jens Schröter, Jesus von Nazareth, Leipzig 6 2017. Als Gr<strong>und</strong>lagenwerk hat zu gelten:<br />

John P. Meier, A Marg<strong>in</strong>al Jew. Reth<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g the Historical Jesus I.II.III.IV.V.


146<br />

5. <strong>Der</strong> frühchristliche <strong>Mythos</strong><br />

Biographisches<br />

Die Rahmendaten <strong>des</strong> Lebens Jesu ergeben sich aus den chronologischen<br />

Angaben der Synoptiker: 471 Jesus wurde unter Kaiser Augustus (27 v.–14<br />

n. Chr.) am Ende der Regierungszeit <strong>des</strong> Hero<strong>des</strong> d. Gr. <strong>in</strong> Nazareth<br />

geboren (vgl. Lk 1,5; Mt 2,1 ff.; Mk 6,1). Entscheidend für die Bestimmung<br />

<strong>des</strong> genauen Geburtsjahres ist der Synchronismus Lk 3,1.2, der das Auftreten<br />

Johannes d. T. im Jahr 28 n. Chr. mit dem Wirken Jesu verb<strong>in</strong>det.<br />

Nach den Berichten der Evangelien (Mk 1,9par.) ließ sich Jesus von<br />

Johannes taufen <strong>und</strong> begann dann se<strong>in</strong>e öffentliche Tätigkeit, die somit<br />

ebenfalls <strong>in</strong> das Jahr 28 fällt. Lk 3,23 heißt es: „<strong>und</strong> Jesus war etwa 30 Jahre<br />

alt, als er auftrat“ (ὡσεὶ ἐτῶν τριάκοντα). Komb<strong>in</strong>iert man diese beiden<br />

Angaben <strong>und</strong> berücksichtigt das „etwa/ungefähr“, dann kann Jesu<br />

Geburt um das Jahr 4 vor unserer Zeitrechnung mit se<strong>in</strong>em Auftreten<br />

im Jahr 28 verb<strong>und</strong>en werden. H<strong>in</strong>zu kommt, dass e<strong>in</strong>e solche Komb<strong>in</strong>ation<br />

mit e<strong>in</strong>er ca. zwei- bis dreijährigen öffentlichen Wirksamkeit (vgl.<br />

Joh 2,13; 11,55; 12,12 f.) <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Tod im Jahr 30 vere<strong>in</strong>bar ist. 472 Jesus<br />

von Nazareth war der Sohn von Joseph <strong>und</strong> Maria (vgl. Lk 2,4; Mt 1,18;<br />

Joh 1,45; 6,42), hatte Brüder <strong>und</strong> Schwestern <strong>und</strong> übte den Beruf <strong>des</strong> Zimmermanns/Bauhandwerkers<br />

aus (vgl. Mk 3,20.21.31.32; 6,3).<br />

Sowohl historisch als auch theologisch war das Auftreten Jesu eng<br />

mit dem Wirken Johannes <strong>des</strong> Täufers verb<strong>und</strong>en. 473 Bereits von ihren<br />

Zeitgenossen wurden beide mite<strong>in</strong>ander verglichen (Mt 11,18 f.par.; vgl.<br />

Mk 2,18par.; 6,14–16par.) <strong>und</strong> <strong>in</strong> der frühchristlichen Überlieferung werden<br />

zahlreiche Verb<strong>in</strong>dungen zwischen ihnen <strong>und</strong> auch ihren Schülern<br />

471 Die zahlreichen E<strong>in</strong>zelprobleme können hier nicht diskutiert werden; e<strong>in</strong>en<br />

erschöpfenden Überblick zu den Thesen <strong>und</strong> Theorien gibt John P. Meier, A Marg<strong>in</strong>al<br />

Jew. Reth<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g the Historical Jesus I, 372–409.<br />

472 Jesus von Nazareth wurde wahrsche<strong>in</strong>lich am Freitag, dem 14. Nisan (= 7. April) <strong>des</strong><br />

Jahres 30 <strong>in</strong> Jerusalem auf Anordnung <strong>des</strong> römischen Statthalters Pontius Pilatus<br />

(26–36 n. Chr.) als religiös-politischer Aufrührer gekreuzigt, wofür vor allem die<br />

Kreuzes<strong>in</strong>schrift spricht (vgl. Mk 15,26par.); vgl. dazu August Strobel, <strong>Der</strong> Term<strong>in</strong><br />

<strong>des</strong> To<strong>des</strong> Jesu, ZNW 51 (1960), 69–101; Ra<strong>in</strong>er Riesner, Die Frühzeit <strong>des</strong> Apostels Paulus,<br />

WUNT 71, Tüb<strong>in</strong>gen 1994, 31–52. Die Kreuzigung unter Pontius Pilatus wird<br />

auch von drei nichtchristlichen Quellen bestätigt (Tacitus, Annalen XV 44,3; Josephus,<br />

Antiquitates 18,64; Lukian, Pergr<strong>in</strong>os 11) <strong>und</strong> kann als historische Tatsache<br />

gelten.<br />

473 Zum Täufer vgl. Hartmut Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer<br />

<strong>und</strong> Jesus, Freiburg 1993, 292–313; John P. Meier, A Marg<strong>in</strong>al Jew. Reth<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g the<br />

Historical Jesus II, 19–233; Ulrich B. Müller, Johannes der Täufer, Leipzig 2002.


5.1 <strong>Der</strong> historische Kern <strong>des</strong> frühchristlichen <strong>Mythos</strong> 147<br />

angedeutet (vgl. Mk 2,18; Lk 1,5 ff.; 11,2; Joh 1,35–51; 3,22 ff.; 4,1–3; 10,40–42;<br />

Apg 19,1–7). Jesus schloss sich wahrsche<strong>in</strong>lich zeitweise der Täuferbewegung<br />

an <strong>und</strong> ließ sich taufen (vgl. Mk 1,9par.) Während Josephus (Ant<br />

18,116–119) den Täufer für se<strong>in</strong>e römisch-griechische Leserschaft als e<strong>in</strong>en<br />

Tugendlehrer darstellt, der von Hero<strong>des</strong> Antipas getötet wurde, schildern<br />

die Evangelien ihn – historisch zutreffender – als jüdischen Buß<strong>und</strong><br />

Endzeitpropheten. Im Zentrum der Verkündigung <strong>des</strong> Täufers<br />

steht Gottes unmittelbar bevorstehen<strong>des</strong> Gerichtshandeln (Lk 3,7–9.16–<br />

17par.). Neu <strong>und</strong> besonders provokativ war dabei, dass Johannes die<br />

Berufung auf die Abrahamsk<strong>in</strong>dschaft <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Verheißungen<br />

versperrte („… bildet euch nicht e<strong>in</strong>, bei euch sagen zu können:<br />

Wir haben Abraham zum Vater ...“). Die von Johannes geforderte<br />

Umkehr orientierte sich nicht am Gesetz <strong>und</strong> am Tempel, sondern sie<br />

erfolgte <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>maligen Taufe. Dabei geht es nicht nur um e<strong>in</strong>e sittliche<br />

Besserung, sondern die Wendung „Taufe zur Vergebung der Sünden“<br />

(Mk 1,4) be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e anthropologische Prämisse: Das gesamte<br />

vorf<strong>in</strong>dliche Israel ist e<strong>in</strong> Unheilskollektiv <strong>und</strong> als solches dem Unheilsgericht<br />

verfallen. Die von Johannes verkündete Umkehr verlangt von<br />

Israel das Bekenntnis, dass Gott mit se<strong>in</strong>em Zorn im Recht ist. Dieses<br />

Bekenntnis ist nach Auffassung <strong>des</strong> Johannes die letzte Möglichkeit, die<br />

Gott Israel e<strong>in</strong>räumt, um dem kommenden Unheil zu entgehen. Die<br />

Taufe <strong>des</strong> Johannes als eschatologisches Bußsakrament ist der Ausdruck<br />

der geforderten Umkehr <strong>und</strong> sie verbürgt als e<strong>in</strong>e Art Versiegelung das<br />

Heil. Damit ist Johannes der Täufer nicht e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong> Vorläufer <strong>des</strong><br />

kommenden Richters, sondern er ist zugleich Mittler <strong>des</strong> Heils, denn<br />

se<strong>in</strong>e Taufe ermöglicht es, im kommenden, von Gott vollzogenen<br />

Gericht auf der Heilsseite zu stehen.<br />

Auch <strong>in</strong> der Verkündigung gibt es e<strong>in</strong>e enge Verb<strong>in</strong>dung zwischen<br />

dem Täufer <strong>und</strong> Jesus; beide verb<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e entschiedene Theozentrik:<br />

Es geht ihnen um den here<strong>in</strong>brechenden Gott, der auf neue Art <strong>und</strong> Weise<br />

handelt. Die Unheilsbotschaft ist dabei die entscheidende lehrmäßige<br />

Brücke; auch für Jesus ist Israel als Ganzes dem Vernichtungsgericht<br />

verfallen, der Rückgriff auf die heilsgeschichtliche Erwählung fruchtet<br />

nicht mehr (vgl. Lk 13,1–5). Unterschiedlich bestimmen der Täufer <strong>und</strong><br />

Jesus jedoch die neue Zuwendung Gottes. Bei Johannes ist die Taufe<br />

eschatologisches Bußsakrament <strong>und</strong> rettet vor dem Unheil. Jesus setzt<br />

andere Akzente, er tauft nicht <strong>und</strong> löst den Bußgedanken von der Taufe.<br />

Er misst der Gr<strong>und</strong>gewissheit <strong>des</strong> Täufers e<strong>in</strong>en anderen Platz bei, denn


148<br />

5. <strong>Der</strong> frühchristliche <strong>Mythos</strong><br />

bei ihm dom<strong>in</strong>iert nicht die Unheils-, sondern die Heilsbotschaft. Jesus<br />

teilt mit dem Täufer e<strong>in</strong>e akute Naherwartung, sieht aber im Here<strong>in</strong>brechen<br />

<strong>des</strong> Reiches Gottes <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit se<strong>in</strong>er Person e<strong>in</strong>en Vorrang<br />

<strong>des</strong> Heilshandelns Gottes.<br />

Auch außerchristliche Quellen bezeugen das Wirken <strong>des</strong> Jesus von<br />

Nazareth. <strong>Der</strong> römische Historiker Sueton (70–um 130 n. Chr.) berichtet<br />

über e<strong>in</strong> Edikt <strong>des</strong> Kaisers Claudius aus dem Jahr 49 n. Chr.: „Die Juden,<br />

die, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten, vertrieb er<br />

aus Rom.“ 474 Tacitus (55/56–um 120 n. Chr.) erwähnt, dass Nero den<br />

Brand Roms im Jahr 64 n. Chr. der neuen Bewegung der Christen <strong>in</strong> die<br />

Schuhe schieben wollte. „Dieser Name (Christiani) stammt von Christus,<br />

der unter Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus h<strong>in</strong>gerichtet<br />

worden war. Dieser verderbliche Aberglaube war für den Augenblick<br />

unterdrückt worden, trat aber später wieder hervor <strong>und</strong> verbreitete sich<br />

nicht nur <strong>in</strong> Judäa, wo er aufgekommen war, sondern auch <strong>in</strong> Rom, wo<br />

alle Gräuel <strong>und</strong> Abscheulichkeiten der ganzen Welt zusammenströmen<br />

<strong>und</strong> geübt werden.“ 475 Beide Historiker setzen damit nicht nur für ihre<br />

Zeit e<strong>in</strong>e Kenntnis <strong>des</strong> Christentums <strong>und</strong> damit auch <strong>des</strong> Christus <strong>in</strong><br />

Rom voraus, sondern auch schon für das Ende der 40er Jahre bzw. das<br />

Jahr 64. Dies ist nicht verw<strong>und</strong>erlich, denn die römische Christengeme<strong>in</strong>de<br />

wurde um 41 n. Chr. gegründet <strong>und</strong> nahm e<strong>in</strong>e rasante Entwicklung,<br />

wie der 56 n. Chr. verfasste Römerbrief zeigt.<br />

E<strong>in</strong> weiteres altes Zeugnis über Jesus <strong>und</strong> die Christen stammt von<br />

dem syrischen Stoiker Mara bar Sarapion, der aus Samosata stammte<br />

<strong>und</strong> um 73 n. Chr. aus e<strong>in</strong>em römischen Gefängnis e<strong>in</strong>en Brief an se<strong>in</strong>en<br />

Sohn Sarapion schrieb. 476 Dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>det sich neben zahlreichen Mahnungen<br />

<strong>und</strong> der Empfehlung, alle<strong>in</strong> der Weisheit nachzueifern, folgender<br />

Abschnitt:<br />

„Welchen Vorteil hatten die Athener davon, Sokrates zu töten? Hungersnot<br />

<strong>und</strong> Seuchen kamen über sie als Strafe für ihr Verbrechen. Welchen Vorteil hatten<br />

die Leute von Samos davon, Pythagoras zu verbrennen? In e<strong>in</strong>em Augenblick<br />

wurde ihr Land vom Sand bedeckt. Welchen Vorteil hatten die Juden<br />

474 Sueton, Claudius 25,4.<br />

475 Tacitus, Annalen XV 44,3.<br />

476 <strong>Der</strong> Text liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er HS aus dem 7. Jh. vor; vgl. zu den verschiedenen Aspekten:<br />

Annette Merz/Teun L. Tielemann (Hrsg.), The Letter of Mara bar Sarapion <strong>in</strong> Context,<br />

Leiden 2012.


5.1 <strong>Der</strong> historische Kern <strong>des</strong> frühchristlichen <strong>Mythos</strong> 149<br />

davon, ihren weisen König h<strong>in</strong>zurichten? Bald darauf hatte ihr Königreich e<strong>in</strong><br />

Ende. Gott verschaffte diesen drei weisen Männern gerechte Rache: die Athener<br />

starben Hungers, die Samier wurden vom Meer überwältigt, die Juden – ru<strong>in</strong>iert<br />

<strong>und</strong> aus ihrem Land vertrieben – leben <strong>in</strong> völliger Zerstreuung. Sokrates<br />

aber starb nicht für immer; er lebte weiter <strong>in</strong> der Lehre Platos. Pythagoras starb<br />

nicht für immer; er lebte weiter <strong>in</strong> der Statue der Hera. Ebenso wenig starb der<br />

weise König für immer; er lebte weiter <strong>in</strong> der Lehre, die er gegeben hatte.“ 477<br />

Bemerkenswert ist die positive Wahrnehmung <strong>und</strong> Darstellung Jesu als<br />

Philosoph <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er illustren Reihe mit Sokrates <strong>und</strong> Pythagoras. Schon<br />

relativ früh gab es offenk<strong>und</strong>ig e<strong>in</strong>e Tradition, Jesus als Weisheitslehrer<br />

aufzufassen. Inhaltlich ersche<strong>in</strong>t Jesus zu nächst als König der Juden,<br />

was e<strong>in</strong>e Anspielung auf die Kreuzes<strong>in</strong>schrift (vgl. Mk 14,26) oder königliche<br />

Traditionen im Neuen Testament se<strong>in</strong> könnte (vgl. Mt 2,1–12; Joh<br />

18,33–40). Auch die Bestrafung der Juden als Folge ihres Verhaltens<br />

gegenüber Jesus geht auf ntl. Überlieferungen zurück (vgl. 1Thess 2,15;<br />

Apg 4,10). Vor allem aber wird Jesus als neuer Gesetzgeber wahrgenommen,<br />

nach <strong>des</strong>sen Gesetzen die Christen leben <strong>und</strong> <strong>in</strong> denen auch Jesus<br />

selbst weiterlebt.<br />

Flavius Josephus (ca. 37/38 n. Chr.−ca. 100 n. Chr.) dürfte als Pharisäer<br />

bereits <strong>in</strong> Jerusalem oder Galiläa von Jesus von Nazareth gehört haben,<br />

<strong>in</strong> den Antiquitates Iudaicae (um 94 n. Chr.) erwähnt er ihn zweimal.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte Notiz liegt <strong>in</strong> Antiquitates 20,200 vor, wo er von der<br />

Tötung <strong>des</strong> Jakobus, <strong>des</strong> Bruders Jesu, berichtet: „Er versammelte daher<br />

den Hohen Rat zum Gericht <strong>und</strong> stellte vor ihn den Bruder <strong>des</strong> Jesus, der<br />

Christus genannt wird, mit Namen Jakobus <strong>und</strong> noch e<strong>in</strong>ige andere, die<br />

er der Gesetzesübertretung anklagte <strong>und</strong> zur Ste<strong>in</strong>igung führen ließ.“<br />

Im Kontext der Beschreibung von Gräueltaten <strong>des</strong> Pilatus kommt Josephus<br />

auch auf Jesus zu sprechen (Antiquitates 18,63 f.). Das sog. ‚Testimo -<br />

nium Flavianum‘ ist im Verlauf der Überlieferung sicherlich christlich<br />

überarbeitet worden, 478 dürfte aber zugleich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong>bestand<br />

dennoch auf Josephus zurückgehen:<br />

„(63) Um diese Zeit aber lebte Jesus, e<strong>in</strong> weiser Mensch. Er vollbrachte außergewöhnliche<br />

Taten <strong>und</strong> war der Lehrer der Menschen, die freudig die Wahrheit<br />

477 Übersetzung: Frederick F. Bruce, Außerbiblische Zeugnisse über Jesus <strong>und</strong> das frühe<br />

Christentum, Gießen 3 1993, 20 (dort alle relevanten Texte).<br />

478 Vgl. dazu John P. Meier, A Marg<strong>in</strong>al Jew I, 56–69 (plädiert mit sehr guten Gründen<br />

für e<strong>in</strong>e rekonstruierbare Urfassung).


150<br />

5. <strong>Der</strong> frühchristliche <strong>Mythos</strong><br />

aufnahmen. Und er zog viele Juden <strong>und</strong> Griechen an. (64) Und obwohl ihn auf<br />

Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes Pilatus zum Kreuzestod verurteilte,<br />

wurden ihm se<strong>in</strong>e ersten Anhänger nicht untreu. Und bis heute besteht die<br />

Gruppe der Christen, die sich nach ihm benennt, fort.“<br />

Wie Johannes d. T. (Antiquitates 18,116–119) stellt Josephus auch Jesus als<br />

e<strong>in</strong>en sittlichen Lehrer <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ertäter dar, der die Volksmassen<br />

anzog. Se<strong>in</strong> von den jüdischen Führern betriebener gewaltsamer Tod<br />

bewirkte nicht das Ende se<strong>in</strong>er Bewegung, d. h. Josephus setzt bei se<strong>in</strong>en<br />

römischen Lesern wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong>e gewisse Kenntnis dieser Gruppe<br />

voraus.<br />

Jesu Verkündigung vom Reich Gottes<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Stellung zur Tora<br />

Im Zentrum der Verkündigung Jesu 479 stand e<strong>in</strong>e durch <strong>und</strong> durch<br />

mythische Weltsicht: 480 die Botschaft <strong>des</strong> unmittelbaren Kommens <strong>des</strong><br />

e<strong>in</strong>en Gottes Israels <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Reich (vgl. Lk 6,20 f.; 11,2; Mk 10,15); Gottes<br />

Herrschaft setzt sich bereits <strong>in</strong> der Gegenwart durch <strong>und</strong> vollendet sich<br />

<strong>in</strong> naher Zukunft. 481 Vom Monotheismus her belebte Jesus die jüdische<br />

Religion neu, se<strong>in</strong>e gesamte Botschaft war streng theozentrisch ausgerichtet<br />

(vgl. Mk 10,29 f.). Ausgangspunkt <strong>des</strong> Denkens Jesu ist die Realität<br />

<strong>des</strong> Reiches Gottes <strong>und</strong> von hier aus nimmt er Stellung zum Gesetz.<br />

Während die Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten <strong>und</strong> Essener sich an e<strong>in</strong>er<br />

schrift- <strong>und</strong> traditionsgeb<strong>und</strong>enen Auslegung <strong>des</strong> Gotteswillens orientierten,<br />

begründet Jesus <strong>in</strong> schöpfungstheologischer, weisheitlicher <strong>und</strong><br />

eschatologischer Argumentation den ursprünglichen Gotteswillen neu<br />

(vgl. Mk 2,23–3,6; 10,1–12). 482 Das Gebot der Gottes- <strong>und</strong> Nächstenliebe ist<br />

das Zentrum der Ethik Jesu (vgl. Mk 12,28–34), die zwischen Toraverschärfung<br />

(vgl. Mt 5,44) <strong>und</strong> Toraentschärfung steht (vgl. Lk 11,39–41).<br />

Während im rituell-kultischen Bereich e<strong>in</strong>e Normenentschärfung zu<br />

beobachten ist, herrscht im <strong>in</strong>dividual-ethischen Bereich e<strong>in</strong>e Normenverschärfung<br />

vor (vgl. Mt 5,21–48). Jesus proklamiert e<strong>in</strong> sehr profiliertes<br />

479 Angeführt werden nur exemplarische Texte; zur ausführlichen Gesamtdarstellung<br />

vgl. <strong>Udo</strong> <strong>Schnelle</strong>, <strong>Theologie</strong> <strong>des</strong> Neuen Testaments, 50–152.<br />

480 Treffend Gerd Theißen, Botschaft <strong>in</strong> Bildern, 83: „Jesus lebte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Mythos</strong>, bevor<br />

er zum <strong>Mythos</strong> wurde.“<br />

481 Zum ‚Reich Gottes‘ vgl. umfassend Helmut Merkle<strong>in</strong>, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft,<br />

SBS 111, Stuttgart 1983.<br />

482 Vgl. Hartmut Stegemann, <strong>Der</strong> lehrende Jesus, NZSTh 24 (1982), 3–20.


5.1 <strong>Der</strong> historische Kern <strong>des</strong> frühchristlichen <strong>Mythos</strong> 151<br />

Gottesbild: Gott zw<strong>in</strong>gt nicht, sondern er wendet sich <strong>in</strong> Liebe den Menschen<br />

zu, <strong>in</strong>sbesondere den Verlorenen (vgl. Mk 2,17; Lk 15). Im Zentrum<br />

der jesuanischen Verkündigung steht die Liebe als Gottes-, Nächsten-,<br />

Selbst- <strong>und</strong> Fe<strong>in</strong><strong>des</strong>liebe. So überschreitet er das Pr<strong>in</strong>zip <strong>des</strong> Eigennutzes<br />

<strong>und</strong> stellt das Leben <strong>und</strong> das Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> den Mittelpunkt, <strong>in</strong>dem er<br />

die Gesetzesethik dem Liebesgebot nachordnet. Dabei ist Liebe mehr als<br />

e<strong>in</strong> Gefühl; Liebe ist e<strong>in</strong>e Haltung, Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>stellung <strong>und</strong> Macht. Vor<br />

allem aber verankert Jesus die Liebe im Gottesbild selbst. In se<strong>in</strong>er<br />

Zuwendung zu Sündern <strong>und</strong> Außenseitern (Lk 7,36–50), mit se<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>wendung<br />

zu den Rechtlosen <strong>und</strong> Kranken (Lk 8,40–48), se<strong>in</strong>er Zurückweisung<br />

religiöser Schranken praktiziert <strong>und</strong> verkörpert Jesus die Liebe<br />

Gottes zu den Menschen. Liebe wird bei ihm zum Leitbegriff für Gottes<br />

Zuwendung zur Welt; sie steht für Gottes Willen, den Menschen nahe<br />

zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> sie aus der Selbstbezogenheit ihrer Existenz zu befreien.<br />

Ebenso verkündigt er den Zorn Gottes <strong>und</strong> das Gericht über all jene,<br />

die sich Gottes Willen zum Guten widersetzen oder entziehen (vgl. Lk<br />

13,1–5).<br />

Jesus hebt mit se<strong>in</strong>er Vorordnung <strong>des</strong> Liebesgedankens die Tora<br />

nicht auf, 483 er denkt <strong>und</strong> argumentiert aber auch nicht von der Tora<br />

her, was e<strong>in</strong>er faktischen Dezentrierung der Tora entspricht. Schon das<br />

Jesuswort „ich b<strong>in</strong> nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern<br />

die Sünder“ (Mk 2,17) zeigt, dass Jesus die Gerechtigkeit, <strong>und</strong> damit den<br />

Anspruch <strong>des</strong> Gesetzes, zwar nicht bestreitet, aber dem Gesetz nicht die<br />

Macht zuschreibt, gegenwärtig den Zugang zu Gott zu bestimmen.<br />

Gerechtigkeit bleibt Gerechtigkeit, aber Gott liebt nicht nur die Gerechten.<br />

Gottes Liebe, die Jesus <strong>in</strong> der Ankunft <strong>des</strong> Gottesreiches verkündigt,<br />

überbietet die früher Israel geschenkte Liebe <strong>in</strong> Gestalt der Tora. Dies<br />

betrifft vor allem die Vorschriften zur rituellen Re<strong>in</strong>heit (vgl. Lev 13–17).<br />

E<strong>in</strong>e Berührung mit e<strong>in</strong>em Aussätzigen, die <strong>in</strong> Mk 1,41 beiläufig berichtet<br />

wird, verunre<strong>in</strong>igt <strong>in</strong> höchstem Maße. Ähnliches gilt für die Heilung<br />

der Blutflüssigen (Mk 5,25–34) oder der Begegnung mit der Syrophönizier<strong>in</strong><br />

(Mk 7,24–30). Jesus hatte im Umgang mit Menschen ke<strong>in</strong>erlei<br />

ritualgesetzliche Hemmungen. Auch Mk 7,15 ist <strong>in</strong> diesem Kontext zu<br />

verstehen: „Nichts, was von außerhalb <strong>des</strong> Menschen <strong>in</strong> ihn h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommt,<br />

kann ihn verunre<strong>in</strong>igen, sondern was aus dem Menschen her-<br />

483 Vgl. dazu umfassend John P. Meier, A Marg<strong>in</strong>al Jew. Reth<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g the Historical Jesus<br />

IV, 26–477.


152<br />

5. <strong>Der</strong> frühchristliche <strong>Mythos</strong><br />

auskommt, das verunre<strong>in</strong>igt den Menschen.“ Hier verb<strong>in</strong>det sich die<br />

für Jesus charakteristische schöpfungstheologische Argumentation mit<br />

se<strong>in</strong>er eschatologischen Gr<strong>und</strong>perspektive. Von Beg<strong>in</strong>n der Schöpfung<br />

an bestand die F<strong>und</strong>amentalunterscheidung ‚re<strong>in</strong> – unre<strong>in</strong>‘ nicht, sondern<br />

erst <strong>in</strong> Gen 7,2 erfolgt unvermittelt die Trennung von re<strong>in</strong>en <strong>und</strong><br />

unre<strong>in</strong>en Tieren. Die Speise- <strong>und</strong> Re<strong>in</strong>heitsvorschriften als Legitimation<br />

religiöser Ab- <strong>und</strong> Ausgrenzung haben ihre Bedeutung verloren, weil<br />

für Jesus die Unre<strong>in</strong>heit aus e<strong>in</strong>er anderen Quelle kommt. So wie angesichts<br />

<strong>des</strong> kommenden Reiches Gottes die Gegenwart ke<strong>in</strong>e Zeit <strong>des</strong> Fastens<br />

ist (vgl. Mk 2,18b.19a; Mt 11,18 f./Lk 7,33 f.), so haben auch die Speisegesetze<br />

ke<strong>in</strong>e Relevanz mehr für das Verhältnis <strong>des</strong> Menschen zu Gott<br />

<strong>und</strong> der Menschen untere<strong>in</strong>ander. In dieselbe Richtung weisen die Sabbatheilungen,<br />

die ebenfalls auf e<strong>in</strong>e Wiederherstellung der Schöpfungsordnung<br />

zielen; so das Jesuswort Mk 2,27, wonach der Sabbat um <strong>des</strong><br />

Menschen willen, nicht aber der Mensch um <strong>des</strong> Sabbats willen geschaffen<br />

wurde. Jesus durchbricht diese Umkehrungen <strong>und</strong> demonstriert<br />

durch se<strong>in</strong>e Sabbatheilungen die ursprüngliche Bedeutung <strong>des</strong> Tages: Er<br />

verhilft zum Leben (vgl. Lk 13,10–17) <strong>und</strong> ermöglicht dem Menschen, se<strong>in</strong>er<br />

eigentlichen Bestimmung nachzukommen: dem Schöpfer zu begegnen.<br />

Dabei kam es speziell mit den Pharisäern <strong>und</strong> Schriftgelehrten<br />

wiederholt zu Ause<strong>in</strong>andersetzungen (Mk 2,23–28; 3,1–6; Lk 13,10–17). 484<br />

Jesus als Exorzist, Krankenheiler <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ertäter<br />

Jesus von Nazareth wurde <strong>in</strong> hohem Maße als Heiler wahrgenommen<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Heilungs-Charisma begründete den Erfolg se<strong>in</strong>es Wirkens. 485<br />

Sowohl die Synoptiker als auch das Johannesevangelium stellen das<br />

erfolgreiche exorzistische <strong>und</strong> therapeutische Handeln Jesu <strong>in</strong> den<br />

Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Die Exorzismen (vgl. z. B. Lk 13,32; Mk<br />

1,21–28) bilden das Zentrum <strong>des</strong> heilenden Wirkens Jesu. 486 Sie f<strong>in</strong>den<br />

484 Diese Konflikte können ke<strong>in</strong>eswegs auf die Zeit der Evangelien <strong>und</strong> ihrer Geme<strong>in</strong>den<br />

beschränkt werden; vgl. Chris Keith, Jesus aga<strong>in</strong>st the Scribal Elite, Grand<br />

Rapids 2014, 7–9; er betont: „that Jesus was not a scribal-literate authority but was<br />

nevertheless perceived as one on some occasions“ (a. a. O., 13).<br />

485 Vgl. die kritischen Analysen bei John P. Meier, A Marg<strong>in</strong>al Jew. Reth<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g the<br />

Historical Jesus II, 509–772: „To summarize: various criteria of historicity suggest<br />

that the historical Jesus performed certa<strong>in</strong> actions dur<strong>in</strong>g his public m<strong>in</strong>istry that<br />

both he and some of his contemporaries thought were miraculous heal<strong>in</strong>gs of the<br />

sick or <strong>in</strong>firm“ (a. a. O., 726).


<strong>Udo</strong> <strong>Schnelle</strong>, Dr. theol., Jahrgang<br />

1952, studierte Evangelische <strong>Theologie</strong><br />

<strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen. Er war von<br />

1984 bis 1986 Geme<strong>in</strong>depastor <strong>in</strong><br />

Gieboldehausen, von 1986–1992<br />

Professor für Neues Testament <strong>in</strong><br />

Erlangen <strong>und</strong> von 1992 bis 2017 <strong>in</strong><br />

Halle. Er ist Autor zahlreicher<br />

Lehrbücher zur Exegese <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong><br />

<strong>des</strong> Neuen Testaments so -<br />

wie zur Ge schichte <strong>des</strong> frühen<br />

Christentums.<br />

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<strong>und</strong> Verarbeitung <strong>in</strong> elektronischen Systemen.<br />

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Satz: ARW-Satz, Leipzig<br />

Druck <strong>und</strong> B<strong>in</strong>den: Hubert & Co., Gött<strong>in</strong>gen<br />

ISBN 978-3-374-07392-4 // eISBN (PDF) 978-3-374-07393-1<br />

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