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bu etln - Schweizerische Studienstiftung

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READER ZUR STIFTLERINNEN-INITIATIVE „ZWISCHEN ORIENTALISMUS UND<br />

ISLAMOPHOBIE? 'DER WESTEN' UND 'DER ISLAM' SEIT 9/11“<br />

ATTIA, Iman. Die „westliche Kultur“ und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und<br />

antimuslimischem Rassismus Bielefeld 2009 (Ausschnitte).<br />

BAHNERS, Patrick. Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift. München<br />

2009 (Ausschnitte).<br />

BEHLOUL, Samuel-Martin. Islam-Diskurs nach 9/11. Die Mutter aller Diskurse? Zur Interdependenz<br />

von Religionsdiskurs und Religionsverständnis, in: Christentum und Islam. Plädoyer für den<br />

Dialog, hrsg. von Wolfgang W. Müller, Zürich 2009.<br />

BEHLOUL, Samuel-Martin. Homo Islamicus als Prototyp des Fremden, in: swissfuture-Magazin,<br />

Nr. 11, 2011, S. 8-11.<br />

BEHLOUL, Samuel-Martin: Unbeabsichtigte Folgen der Islam-Debatte. Einige Beobachtungen zu der<br />

aktuellen Wahrnehmung und Thematisierung des Islam in der Schweiz und im übrigen<br />

Westeuropa, in: SGMOIK-Bulletin, Nr. 1, Frühjahr 2011, S. 13-18.<br />

SAID, Edward W. Islam Through Western Eyes, in: The Nation 26.4.2008.<br />

SCHULZE, Reinhard. Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident, in: Orient- und<br />

Islambilder. Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, hrsg.<br />

von Iman Attia, Münster 2007, S. 45-68.<br />

Zur Vorbereitung empfiehlt es sich zudem, in aktuellen Debatten darauf zu achten, wo, wann, in<br />

welcher Form und Funktion von 'Islam' die Rede ist. Entsprechende Beispiele sind sehr willkommen.


Iman Attia ist Professorin für Diversity Studies an der Alice-Salomon-Hochschule<br />

Berlin.<br />

IMAN ATTIA<br />

HC 4-04-86<br />

Die »westliche Kultur« und ihr Anderes<br />

Zur Dekonstruktion von Orientalismus<br />

und antimuslimischem Rassismus<br />

[transeriPt]


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet<br />

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld<br />

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig<br />

und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen,<br />

Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.<br />

Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld<br />

Lektorat & Satz: Iman Attia<br />

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar<br />

ISBN 978-3-8376-1081-9<br />

Gedruckt auf alterungs beständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.<br />

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de<br />

Inhalt<br />

Einleitung 7<br />

Kultur und Rassismus 11<br />

Der bedeutungsorientierte Kulturbegriff 17<br />

Diskursive Machtkämpfe und dekonstruktive Interventionen 23<br />

Kulturelle Differenz und Rassismus 28<br />

Das Dilemma kultureller Identität<br />

Postkoloniale Studien zu hegemonialen Orient- und<br />

32<br />

Islamdiskursen in Deutschland 39<br />

Kultur in der <strong>bu</strong>ndesdeutschen Rassismusforschung<br />

Fazit<br />

Hegemoniale Diskurse<br />

Präsentationen des Anderen<br />

Kulturelle Tradierungen<br />

Aktuelle Diskurse<br />

Politische Bezüge<br />

Historischer Überblick<br />

>Islam< als politisches Gegenbild<br />

Kulturalisierung >des Islam<<br />

Kulturalisierung als Entpolitisierung<br />

Der <strong>bu</strong>ndesdeutsche Kontext<br />

Der Nahostkonflikt<br />

>Islamischer< Antisemitismus<br />

Verschränkung antisemitischer und<br />

antimuslimischer Diskurse<br />

Fazit<br />

42<br />

48<br />

53<br />

56<br />

57<br />

62<br />

68<br />

71<br />

73<br />

75<br />

78<br />

80<br />

81<br />

84<br />

87<br />

92


Alltagsdiskurse<br />

Bilder und Erfahrungen<br />

>Wir< und >die Anderen<<br />

>Orient< versus >Islam<<br />

Aneignung kultureller Bilder<br />

Umdeuten von Erfahrungen<br />

Herstellen von Dominanz<br />

Bekehrungsversuche<br />

Konfrontationen meiden<br />

95<br />

97<br />

97<br />

99<br />

101<br />

104<br />

108<br />

108<br />

110<br />

Irritationen abwehren 111<br />

Irritationen zulassen 113<br />

Fokus interkulturelle Beziehungen 114<br />

»[ ... ] dass da 'ne unheimliche Schranke besteht<br />

zwischen diesen bei den Kulturen, dass die<br />

nicht zusammengehören« 115<br />

»[ ... ] im individuellen Fall hat das gar keine Bedeutung« 120<br />

»Also für mich wär' das ein Rückschritt [ ... ]« 128<br />

»Vielleicht profitieren die türkischen Frauen<br />

dann auf lange Sicht am meisten von einem<br />

Leben in Deutschland.« 134<br />

Kultur und Geschlecht139<br />

Fazit 147<br />

Schluss 151<br />

Anhang 157<br />

Literatur 169<br />

Einleitung<br />

Der Begriff >Islamophobie< erfreut sich gegenwärtig in einigen alltäglichen<br />

und öffentlichen Diskursen einer gewissen Beliebtheit.<br />

Er umfasst »generell ablehnende Einstellungen gegenüber Muslimen,<br />

pauschale Abwertungen der islamischen Kultur und distanzierende<br />

Verhaltensabsichten gegenüber Muslimen« (Leiboldl<br />

Kühne12006: 137). Empirischen Untersuchungen zufolge ist >Islamophobie<<br />

in der Bevölkerung weit verbreitet (vgl. ebd. sowie<br />

EUMC 2006). Sie wird im Kontext des internationalen >islamistischen<br />

Terrors< und als islamisch definierter Praktiken wie >Ehrenrnord<<br />

und >Zwangsheirat< diskutiert. >Islamophobie< wird als Reaktion<br />

auf die Gewalt >des Islam< gedeutet, die jedoch undifferenziert<br />

alle Formen >des Islam< und >die Muslime< im Allgemeinen<br />

trifft. Sie wird einerseits als berechtigte Angst vor einigen Strömungen<br />

>des Islam< definiert und andererseits als Folge von Fehleinschätzungen<br />

über harmlose Formen >des Islamden Westen<<br />

vor >dem Islam< schützen zu müssen und sind »stolz darauf, islamophob<br />

zu sein«. Die um Differenzierung Bemühten allerdings<br />

drängen auf mehr Informationen über >den Islamfundamentalistischem< und >gemäßigtem< Islam unterschieden<br />

werden, um ersteren zu bekämpfen und letzteren zu integrieren.<br />

Dies entspricht dem üblichen aufklärerischen Umgang<br />

mit >den Fremdendas Eigene< bereichern oder zumindest nicht stören. Ihre ne-<br />

7


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

gative Auffälligkeit dagegen wird (pädagogisch, politisch, strafund<br />

ausländerrechtlich) geahndet: >Die Fremden< werden gefördert,<br />

damit sie sich anpassen, ansonsten werden sie ausgeschlossen<br />

und bekämpft. So werden >die Fremdendas Fremdedie<br />

Kultur der Anderen< in dominanter Perspektive in den Mittelpunkt<br />

gerückt. Verhandelt wird ihr >Fremdsein< und ihre >Differenz<<br />

zu dem >EigentlichenNormalenhier üblichendie Anderen< dient zwar als Ausgangspunkt der Betrachtung,<br />

er wird jedoch verstanden als - symmetrisches, verschobenes,<br />

verzerrtes o.a. - Spiegelbild dessen, was als >Eigenes<<br />

imaginiert wird. Die Reflexion des (ablehnenden, verstehenden,<br />

einverleibenden, ausgrenzenden) Blicks auf >das Andere< ermöglicht<br />

Einblicke in >das Eigene< bzw. in das, was als >Eigenes< präsentiert<br />

wird. Das, was gesehen und wie es gesehen wird, wie es<br />

bewertet und wie damit umgegangen wird, gibt Auskünfte über<br />

diejenigen, die dies alles tun. Gleichzeitig eröffnet die selbstreflexive<br />

Perspektive einen anderen Blick auf >das AndereEigenen< gesehen wird. Diese Perspektive<br />

fragt danach, wie es dazu kommt, dass zwischen >Eigenem< und<br />

>Fremdem< unterschieden wird, warum dies entlang kultureller<br />

und religiöser Merkmale geschieht, wie Sichtweisen durchgesetzt<br />

werden, aus welcher Position heraus und mit welchen Mitteln<br />

dies geschieht, welche Bedeutungen die Differenzierungen nach<br />

Kultur und Religion im Alltag von Menschen haben.<br />

Mit Bezug auf postkoloniale und poststrukturalistische Theorien<br />

wird im Folgenden die Präsentation >des Islam< als hegemonialer<br />

Diskurs analysiert. Demnach wird die Dichotomie zwischen<br />

> Islam< und > Westen< als Konstruktion rekonstruiert, die beide essenzialisiert.<br />

Die Dichotomie Islam-Westen hat sich historisch entwickelt<br />

und transformiert, ihr kommen in politischen Konstellationen<br />

unterschiedliche Bedeutungen zu, ihre Facetten sind Teil<br />

des kulturellen Wissensbestandes >des Westens< über >den Orient<<br />

bzw. >den IslamIslamdiskurses< als kulturelle<br />

Repräsentationen, die ihnen bestimmte Sichtweisen und Interpretationen<br />

anbieten und nahe legen, während sie andere Sichtweisen<br />

und Interpretationen erschweren oder lächerlich machen.<br />

8<br />

EINLEITUNG<br />

In diesem Möglichkeitsraum setzen sich die Subjekte aktiv mit der<br />

kulturellen Hegemonie auseinander und positionieren sich darin.<br />

Die Analyse >des westlichen< Blicks bietet Einblicke in Prozesse,<br />

die mit Postkolonialismus, Neoliberalismus, Globalisierung<br />

und Neuer Weltordnung eng verknüpft sind. Darüber hinaus bedarf<br />

es einer jeweils spezifischen Analyse, die im Falle Deutschlands<br />

nur unzureichend geleistet werden kann, wenn der Nationalsozialismus<br />

als zentrales politisches Bezugssystem der Bundesrepublik<br />

unberücksichtigt bleibt. Folglich wird der hiesige Islamdiskurs<br />

auch im Kontext des Postnationalsozialismus diskutiert.<br />

Alltagsdiskurse, kulturelle Präsentationen und politische Bezüge<br />

verweisen auf zentrale Themen dieser Gesellschaft. Die Analyse<br />

des Islamdiskurses dient damit der Selbstreflexion. Obwohl<br />

im Folgenden keine Informationen über >den Islam< oder >die<br />

Muslime< gegeben werden, verweisen die Analysen gleichwohl<br />

auf die Bedingungen und Bedeutungen, die der hegemoniale Islamdiskurs<br />

für >Muslime< und >islamische< Lebensweisen hat. Auf<br />

Grund seiner Hegemonie sind auch marginalisierte Subjekte und<br />

Diskurse auf ihn bezogen und in ihn einge<strong>bu</strong>nden. Sich dessen gegenwärtig<br />

zu sein kann davor schützen, in Selbstbetrachtung und<br />

Selbstmitreid zu verharren und dazu beitragen, sich der Interdependenz<br />

zwischen >Eigenem< und >Fremdem< bewusst zu sein.<br />

Im ersten Kapitel des vorliegenden Buches werden die theoretischen<br />

Grundlagen skizziert, im zweiten kulturelle Präsentationen<br />

und politische Bezüge im deutschen Kontext diskutiert, im dritten<br />

Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zum Alltagsdiskurs<br />

vorgestellt, mit einem zusammenfassenden Fazit schließt das<br />

Buch ab.<br />

9


DIE .,WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

>Muslime< für sämtliche gesellschaftliche Missstände verantwortlich<br />

seien.<br />

Politische Bezüge<br />

Migrationsbewegungen von und nach Deutschland sind nicht neu<br />

(vgl. Bade 1992), trotz gegenteiliger Beteuerungen war Deutschland<br />

bereits lange vor der Anwer<strong>bu</strong>ng von Arbeitskräften in der<br />

Nachkriegszeit eine Migrationsgesellschaft (vgl. Karakayali 2008).<br />

Auch war Deutschland nie >reindeutsch< ist, obwohl<br />

das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht und die politische, gesellschaftliche,<br />

mediale, soziale Wahrnehmung von >Einheimischen<<br />

und >Eingewanderten< auf derartige Zuordnungen zurück greift.<br />

Die Merkmale, entlang derer Zugehörigkeit verweigert oder zugebilligt<br />

(oder aufgenötigt) wird, variieren, sie sind jedoch nicht beliebig.<br />

Im Zuge der Migrationsbewegungen der Nachkriegszeit wurden<br />

in Politik und Wissenschaft EinwandererInnen nach Deutschland<br />

zunächst als ArbeiterInnen wahrgenommen. In dieser Funktion<br />

wurden sie nach Deutschland gerufen und reisten hier ein,12<br />

In Politik und (Arbeits-) Alltag wurden sie als Arbeiter angesprochen,<br />

ihre marginale Position kam im Slogan von der >Unterschichtung<br />

der Arbeiterklasse< zum Ausdruck. In Statistiken und<br />

Analysen wurden die >Gastarbeiter< aus den unterschiedlichen<br />

Anwerbeländern zusammengefasst und - wenn überhaupt - nach<br />

Staatsangehörigkeit unterschieden 13 , in Schule und Pädagogik war<br />

ganz allgemein von >Gastarbeiterkindern< die Rede. Damit waren<br />

italienische, griechische, jugoslawische, türkische u.a. gemeint,<br />

12 Auch diese Kategorie stimmte für die Bauern und Künstlerinnen<br />

unter den Eingewanderten nicht mit ihren Selbstbildern überein,<br />

auch dann nicht unbedingt, wenn sie hier in Fabriken ihren Lebensunterhalt<br />

verdienten.<br />

13 Damit wurden bedeutsame Unterschiede jenseits von Staatsangehörigkeit<br />

ignoriert, beispielsweise,ob es sich bei >Türken< oder >Irakis<<br />

um Kurdinnen oder bei >Iranern< um RegimegegnerInnen handelte.<br />

68<br />

HEGEMONIALE DISKURSE<br />

nach Religionszugehörigkeit wurden sie nur äußerst selten unterschieden<br />

14 •<br />

Anfang der 80er Jahre änderte sich das: Die bisherigen >Gastarbeiteranatolische Bauern< bezeichnet. Die Differenz zu ihnen sah<br />

man in ihrer ländlichen Herkunft begründet. Damit einher ging<br />

die Zuweisung einer traditionellen Lebensweise, die sich bei >den<br />

anatolischen Bauern< angeblich auch in der städtischen Migration<br />

nicht transformierte. Als Erklärung für das derart statisch wahrgenommene<br />

Verhaftet-Bleiben im Traditionellen - und im Unterschied<br />

zu eigenen Entwicklungen durch Binnenmigrationen -<br />

wurde die >Religion der anderen< ins Feld geführt.<br />

Im Zuge der Kriege am Golf zu Beginn der Achtziger Jahre<br />

und der Anschläge vom 11. September 2001 wurde das Bild des<br />

traditionellen Islam, das >den anatolischen Bauern< zugeordnet<br />

wurde, ergänzt. Der - aus Kreuzzügen und Nahostkonflikt bereits<br />

bekannte - Diskurs über den >kriegerischen Islam< erwies sich als<br />

anschlussfähig. Er wurde aktiviert und mündete im Bild >des arabischen<br />

Terroristen< bzw. > der arabischen Terroristin< (zugespitzt<br />

dargestellt im Bild der Palästinenserin in schwarzem Ganzkörperschleier<br />

mit Kalaschnikow über der Schulter). Die Identifizierung<br />

des >Fremden< als >islamisch< wurde durch tendenziöse Berichterstattung<br />

und Forschung unterstützt (vgl. kritisch Bukow /Llaryora<br />

1988; Bukow /Ottersbach 1999; Klemm/Hörner 1993). Als politischer<br />

Diskurs scheint die Kulturalisierung sozialer Verhältnisse<br />

eine neue Variante der Klassifizierung und Herrschaftssicherung<br />

zu sein, wird sie doch innen- und außenpolitisch mit dem gegenwärtigen<br />

Erstarken eines fundamentalistischen Islam begründet,<br />

der bereits in US-Europa angekommen sei, aber auch eine außenpolitische<br />

Gefahr darstelle.<br />

14 Dies war z.B. bei der Zuständigkeit von Beratungsstellen der Fall:<br />

Die Caritas für >Ausländer< aus katholischen Ländern, das Diakonische<br />

Werk für evangelische und die Arbeiterwohlfahrt für die übrigen.<br />

Insofern passt sich das Beratungsangebot der islamischen Milli<br />

Görü§ für >Türkinnen< an diese von der deutschen Gesellschaft vorgegebene<br />

Struktur an und korrigiert deren Missrepräsentation systemimmanent<br />

(vgl. Schiffauer 2008).<br />

69


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

es Entwicklungen und Bestre<strong>bu</strong>ngen gab, die das Gegenbild als<br />

Vorbild präsentierten.<br />

Im Hochmittelalter dienten Berichte über den Islam unter anderem<br />

dazu, seinem wachsenden Einfluss entgegenzutreten: Die<br />

Kreuzzüge wurden auf politischer Ebene durch genaue Informationen<br />

über den Feind vorbereitet, zur Legitimation wurden für<br />

das breite Publikum Bilder über den abscheulichen Gegner konstruiert.<br />

Gleichzeitig bedienten exotisierende Darstellungen den literarischen<br />

Geschmack der damaligen Zeit. Parallel dazu wurden<br />

die ersten naturwissenschaftlichen Werke, später auch philosophische<br />

Abhandlungen aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt,<br />

da sie Erkenntnisse enthielten, die christlich-europäischen<br />

Wissenschaftlern noch unbekannt waren. Diese widersprüchlichen<br />

Bezüge zum Islam wurden geglättet und derart interpretiert,<br />

dass sie die Hauptaussage, der Islam sei rückständig und gefährlich,<br />

unterstützten:<br />

»Man entzog sich dem Dilemma, indem man annahm, die Philosophen<br />

stünden auf die eine oder andere Weise im Widerspruch zur offiziellen<br />

Religion ihres Landes. [ ... ] Man ging weiter und [ ... ] behauptete, die<br />

Philosophen machten sich im geheimen lustig über den Koran und würden<br />

von den Behörden verfolgt.« (Vgl. Rodinson 1991: 34)<br />

Gegen Ende des Mittelalters hatten sich die verschiedenen Bilder<br />

über den Islam weiter ausdifferenziert: Der polemisch-verächtliche<br />

Diskurs der abendländischen Politik über die >Mohamedaner<<br />

existierte neben einem Interesse an arabischen Philosophen, z.B.<br />

A vicenna (Ibn Sina), die sich die Philosophie von Aristoteles und<br />

anderen Autoren der Antike angeeignet und weiterentwickelt hatten.<br />

Zu Beginn der Aufklärung verteidigten zahlreiche Autoren<br />

den Islam und hoben seine Vorzüge gegenüber dem Christentum<br />

hervor. Sie verwiesen auf die größere Toleranz des Osmanischen<br />

Reichs Minderheiten gegenüber und betonten die zivilisatorische<br />

Rolle des Islam.<br />

»Der Islam galt als eine rationale Religion, die weit entfernt war von<br />

den der Vernunft so sehr entgegen gesetzten christlichen Dogmen, die<br />

ein Minimum an mythischen Vorstellungen und mystischen Riten zuließ<br />

[ ... ] und die die Aufforderung zu einer moralischen Lebensführung<br />

72<br />

HEGEMONIALE DISKURSE<br />

mit einer vernünftigen Rücksicht auf die Bedürfnisse des Körpers, der<br />

Sinne und des gesellschaftlichen Lebens verband.« (Ebd.: 65)<br />

Diese Einschätzung widersprach jedoch den aufkommenden politischen<br />

Interessen Europas nach Expansion, Imperialismus und<br />

Kolonialismus, so dass wieder die bekannten Bilder des Mittelalters<br />

hervorgeholt wurden. Sie wurden im 19. Jahrhundert durch<br />

den aufkommenden wissenschaftlich gestützten Rassismus gestärkt,<br />

der die Bedeutung von Sprache, Kultur und Religion miteinander<br />

verknüpfte und als Erklärung für historische und gesellschaftliche<br />

Phänomene heranzog. Die Unterschiede zwischen den<br />

Entwicklungen wurden als unüberwindlich dargestellt und die<br />

Übernahme des europäischen Modells mit all seinen Aspekten als<br />

einzig möglicher Weg postuliert. Diese Einschätzung kam nicht<br />

nur den politischen Interessen entgegen, sondern bot auch den<br />

durch die Aufklärung angegriffenen christlichen Kirchen Argumentationshilfe:<br />

»[ ... ] die christlichen Missionare [ ... ] waren der Ansicht, das Christentum<br />

begünstige von Natur aus den Fortschritt und der Islam infolgedessen<br />

kulturelle Stagnation und Rückständigkeit. Der Angriff gegen<br />

den Islam wurde so aggressiv wie nur möglich vorgetragen, und die<br />

mittelalterliche Argumentation mit modernisierenden Verzierungen<br />

wieder aufgenommen.« (Ebd.:'86)<br />

Diese unterschiedlichen Sichtweisen und Bilder, die die Interessen<br />

der jeweiligen Akteure widerspiegeln, unterstützten und überlebten<br />

die Kolonisierung islamischer Länder und die beiden Weltkriege.<br />

Vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges und den USeuropäischen<br />

Kriegen im Nahen und Mittleren Osten erfahren sie<br />

eine Renaissance, die wiederum modernisiert und den gegenwärtigen<br />

Interessen angeglichen wird.<br />

>Islam< als politisches Gegenbild<br />

In den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren spielen ideologische Fragen<br />

und Darstellungsformen des >Islam< erneut eine wesentliche<br />

Rolle zur Absicherung und Legitimation politischer Entscheidungen.<br />

Kamen einzelne >islamische< Nationen bis vor kurzem noch<br />

73


',:\<br />

DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

schiedenster Gesellschaften, politischer Strömungen, sozialer Lebensweisen,<br />

»normale Einsichten auf der Grundlage soziologischer,<br />

historischer und philosophischer Überlegungen verflüchtigen<br />

sich offenbar, wenn der Islam erklärter Gegenstand des Nachdenkens<br />

wird« (AI-Azmeh 1996: 8).<br />

Dabei weist die »Abdankung historischer Vernunft zugunsten<br />

eines irrationalistischen Kulturalismus« (ebd.: 10), wie sie von<br />

mainstream-Diskursen des >Westens< in rassistischer Manier praktiziert<br />

wird, Parallelen zu islamistischen Argumentationen auf:<br />

Auch >FundamentalistInnen< begründen ihre Äußerungen und<br />

Handlungen mit Koran-Zitaten, die sie ohne historisch-gesellschaftliche<br />

Kontextualisierung verstanden wissen wollen. Beide -<br />

Islamismus und Antiislamismus - sind sich einig darin, dass der<br />

Islam die wesentliche Grundlare für Praxen und Ideologien im<br />

derart konstruierten islamischen Kontext bildet und dass Phänomene,<br />

die sich auch mit akribischer Mühe und Fantasie nicht in<br />

diese Muster pressen lassen oder aber im Westen Gefallen finden,<br />

als >unisiamischedes Islam< und seine Bedeutungsmächtigkeit,<br />

die ihm von Antiislamismus und Islamismus gleichermaßen<br />

verliehen wird, führt dazu, dass alternative Sicht- und Lebensweisen<br />

marginalisiert oder ignoriert werden. Sie werden (diskursiv<br />

oder tatsächlich) aufgelöst, um den eigentlichen, authentischen<br />

>Islam< als wahre Lehre zu bereinigen bzw. als böses Monstrum<br />

zu entlarven. Andersdenkenden oder -lebenden wird es erschwert,<br />

ihre Interpretationen des Islam zu repräsentieren und zu<br />

praktizieren oder sich areligiös und dennoch als zugehörig zu positionieren.<br />

»Junge Deutsch-Türken machen regelmäßig die Erfahrung,<br />

in Rollen gedrängt zu werden, die sie eigentlich nie hatten<br />

76<br />

HEGEMONIALE DISKURSE<br />

spielen wollen. Besonders junge Muslime haben oft das Gefühl,<br />

mit Deutungsfolien konfrontiert zu werden, die sie festlegen und<br />

die keine Zwischentöne erlauben« (Schiffauer 2002: 64). Als Gegenbild<br />

zum >Westennicht-religiöse Muslime<<br />

weist auf die Tragweite des Konstruktionscharakters hin, auch<br />

Konstruktionen haben reale Folgen. Hatte >der Islam< für viele<br />

MigrantInnen keine (wesentliche) Bedeutung oder verstanden sie<br />

sich explizit als AtheistInnen, so sind diese Haltungen so nicht<br />

mehr aufrecht zu erhalten. Auch AtheistInnen, neutrale BeobachterInnen<br />

oder an religiösen Fragen bislang Desinteressierte fangen<br />

an, sich mit >dem Islam< zu beschäftigen, werden sie doch immer<br />

wieder mit diesbezüglichen Stereotypen konfrontiert oder als >ExpertInnen<<br />

gefragt. Sich in einem hegemonialen, antimuslimischen<br />

Kontext offen gegen >den Islam< zu äußern, kann missverstanden<br />

werden als Bestätigung rassistischer Konstruktionen. Werden diesen<br />

Konstruktionen allerdings differenziertere Überlegungen gegenüber<br />

gestellt, wird dies als Verteidigung interpretiert und entsprechende<br />

Interventionen als religiös, wenn nicht gar fundamentalistisch<br />

motiviert stigmatisiert. Obwohl eine Positionierung also<br />

unumgänglich erscheint, kann sie dennoch nicht gelingen.<br />

Auch die Differenzierung nach regionaler oder nationaler Geschichte,<br />

Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen oder subkulturellen<br />

Gruppen, Minderheitenstatus in der; Heimat bzw. in der Migration,<br />

kollektiver und individueller Migrationsgeschichte und vielen<br />

anderen möglichen und persönlich relevanten Bez,ugssystemen<br />

werden zu Gunsten der religiösen Zuschrei<strong>bu</strong>ng in den Hintergrund<br />

gedrängt - bzw. betont, wenn damit das zentrale Bild vom<br />

gefährlichen und rückständigen Islam bystätigt werden kann. Die<br />

kulturrassistische Konnotation sowohl der antiislamischen als<br />

auch der islamistischen Konstruktion ist zur Legitimation der politischen<br />

Herrschaft und kulturellen Dominanz des Westens förderlich,<br />

in der gegenwärtigen politischen Situation sogar notwendig.<br />

77


DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Darauf kann sich die Ausrufung und militärische Durchsetzung<br />

einer >Neuen Weltordnung< nach dem Ende des Kalten Krieges<br />

beziehen, als Gegenbild zum >Westen< wurde >der Kommunismus<<br />

durch >den Islam< abgelöst. Für den <strong>bu</strong>ndesdeutschen Kontext<br />

ist über diese allgemein für >den Westen< relevante Geschichte<br />

der Nationalsozialismus von erheblicher Bedeutung. Auf dem<br />

Hintergrund der theoretischen Auseinandersetzungen zu Orientalismus<br />

und postkolonialer Kritik verweist - zusammen mit dem<br />

Postkolonialismus - der Postnationalsozialismus auf seine zentrale<br />

Bedeutung für eine hegemoniale >deutsche IdentitätIslam< (konstitutives Außen), der<br />

als eigentlicher Nachfolger des Nationalsozialismus präsentiert<br />

wird, als >demokratisch< (leerer Signifikant) zu konsolidieren. Die<br />

Verschie<strong>bu</strong>ng der Sündenbockrolle vom >Judentum< auf den >Islam<<br />

deutet jedoch auf die Verschränkung antisemitischer und antimuslimischer<br />

Stereotype im hegemonialen >deutschen< Diskurs<br />

hin. Auf diese Weise haben Antisemitismus und Orientalismus<br />

einen erneu(er)ten interdependenten Weg in den hegemonialen<br />

Diskurs gefunden.<br />

94<br />

Alltagsdiskurse<br />

Orientalisierende und antimuslimische Konstruktionen haben eine<br />

lange Tradition und sind gesellschaftlich und kulturell verankert.<br />

Es liegt nahe zu vermuten, dass sie auch im Alltag eine Rolle<br />

spielen. Zur Untersuchung dieser Fragestellung wurden 24 deutsche,<br />

christlich-säkular sozialisierte, weiße junge Erwachsene, die<br />

in Westdeutschland inklusive Westberlin aufgewachsen sind, befragt.<br />

Die Interviews waren halboffen angelegt und stützten sich<br />

auf themenstrukturierende Leitfragen. Als Interviewpartnerinnen<br />

waren junge westdeutsche Erwachsene ausgewählt worden, um<br />

möglichst sicher zu stellen, dass sie nicht nur von ihren Bildern,<br />

sondern auch von ihren Erfahrungen berichten können, die sie zu<br />

einem relativ frühen Zeitpunkt gemacht haben sollten, als ihre Bilder<br />

noch nicht gefestigt waren und sie Handlungsspielräume in<br />

der Verarbeitung von Bildern und Erfahrungen hatten. Entsprechend<br />

verfügten alle unsere Befragten seit ihrer Kindheit über<br />

mehr oder weniger flüchtige Begegnungen mit Menschen aus >islamischen<br />

KulturenOrient< und >IslamOrient< bzw. >Islam< subjektiv<br />

verarbeitet werden. Sie wurden Anfang der 90er Jahre geführt,<br />

also vor den Diskursen zu islamistischem Terrorismus, die<br />

95


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

gerne als Begründung für die zunehmende >Islamophobie< angeführt<br />

werden. Demgegenüber belegen die Interviews, dass orientalisierende<br />

und antimuslimische Alltagsdiskurse auf eine lange<br />

und ausgeprägte kulturelle Tradition zurückgreifen, die von Subjekten<br />

angeeignet und transformiert werden. Politische Diskurse<br />

kreisten Anfang der 90er Jahre um die Golfkriege, wurden jedoch<br />

in den Interviews kaum erwähnt. Der zweite Golfkrieg, über den<br />

zur Zeit der Datenerhe<strong>bu</strong>ng auch in der deutschen Presse ausführlich<br />

berichtet wurde, wurde lediglich in einem Interview thematisiert,<br />

und zwar im Kontext der Sorge um Familienangehörige<br />

im Irak. Vereinzelt wurden Ängste vor einer »islamischen Weltrevolution«<br />

und dem Erstarken »islamischer Fundamentalisten« geäußert.<br />

Ansonsten spielten politische Ereignisse keine nennenswerte<br />

Rolle in den Interviews. Dagegen bezogen sich die Befragten<br />

auf kulturelle Produkte, schulische, v.a. religiöse Bildung und<br />

soziale, insbesondere familiäre und subkulturelle Diskurse. Als<br />

Thema nahm das Geschlechterverhältnis in sämtlichen Interviews<br />

einen prominenten Stellenwert ein.<br />

Publikationen, insbesondere solche, die mit empirischen Daten<br />

arbeiten, gelten häufig als veraltet, wenn ihre Daten vor mehr als<br />

zwei, drei Jahren erhoben wurden. Demgegenüber dienendieaus<br />

dieser Sicht - >alten< Interviews im folgenden Kapitel dazu,<br />

eine Argumentationslücke zwischen kulturellen und politischen<br />

Diskursen einerseits und subjektiven Äußerungen andererseits zu<br />

schließen. Der vorschnellen Analyse des gegenwärtigen Islamdiskurses<br />

als individualisierende und psychologisierende >Islamophobie<<br />

setzt die hier präsentierte Analyse eine Sichtweise entgegen,<br />

die auch in der Untersuchung subjektiver >EinstellungenIslam< eröffnet. Während ein Teil der Befragten sich<br />

spontan an kulturell vermittelte Bilder erinnerte, berichteten andere<br />

von ersten Erfahrungen mit Menschen, die sie im Zusammenhang<br />

mit >dem Islam< assoziierten. Die offene Fragestellung<br />

hatte den Effekt, dass im Verlauf des Interviews die Befragten sich<br />

und die Interviewerinnen wiederholt fragten, ob denn das, was sie<br />

assoziierten, auch gemeint sei und in den Überlegungen dazu aufschlussreiche<br />

Ein- und Ausgrenzungen vorgenommen wurden.<br />

>Wir< und >die Anderen<<br />

Mit >dem Islam< assoziieren die Befragten ganz überwiegend nicht<br />

nur eine Religion, sondern all jenes, was ihnen als nicht dazu gehörig,<br />

als >fremddas Andere< auffällt. Es wird in den Interviews<br />

wiederholt im Begriff des >Ausländers< zusammengefasst<br />

und in erster Linie mit >TürkInnen< und >AraberInn< verknüpft,<br />

darüber hinaus mit >IranerInnen< und >JugoslawInnenInderFremde< der >AusländerInnen< in erster Linie mit<br />

deren >Kultur< begründet wird, spielt auch ihr >Aussehen< zur<br />

Identifizierung eine wesentliche Rolle. Eine Befragte dazu: »Da<br />

muss man ja nur die Augen aufmachen, man hat gesehen, dass<br />

das Leben anders ist, dass, die Menschen sahen ja schon anders<br />

aus.« Ein anderer Interviewpartner konkretisiert, dass<br />

»[ ... ] die einfach von der Optik ein bisschen hervorstachen, ja. Dunkle<br />

Haare, ganz klassisch ebend. [ ... ] auch durch ihre Ausstrahlung [ ... ]<br />

dunkler Typ, ja. Dunkle Haare, das haben natürlich ooch Deutsche, aber<br />

die haben, also sehr dunkle Haare, auch so vom, vom, vom Gesicht vielleicht<br />

auch her. Von der Haut. Hautfarbe. [ ... ] Türken, ja Araber, also<br />

keine Schwarzen«.<br />

97


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Zusätzlich werden >Muslime< über ihre »Ausländermentalität,<br />

Kultur, die Religion von den Ausländern« identifiziert, wie ein Befragter<br />

ausführt. Ihre »[ ... ] Mentalität [ist] natürlich ganz anders,<br />

'ne ganz andere Persönlichkeitsstruktur«. Und ein anderer verallgemeinert:<br />

»Ich mein jeder, oder jedes Volk hat ja seine Kultur.«<br />

Rassifizierung und Kulturalisierung greifen hier ineinander.<br />

Danach gefragt, ob er sich vorstellen könne, in einem islamisch-geprägten<br />

Land zu leben, sagt ein Befragter: »Also man soll<br />

nicht seine eigene, man soll sich seine eigenen Gedanken und seine<br />

eigenen Wesenszüge und seine eigene Religion soll man sich<br />

bewahren«. Dagegen wird von Eingewanderten nach Deutschland<br />

gefordert, sich >der deutschen Kultur< anzupassen, die diskursiv<br />

insbesondere als individualisierte, >freie< Lebensweise und als<br />

gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis dargestellt wird •. Insgesamt<br />

wird deutlich zwischen einer >islamischen< und einer >westlichen<<br />

Kultur, Lebensweise, Umgangsformen, Werten unterschieden.<br />

Die Differenz wird dabei in der Regel eindeutig hierarchisch<br />

definiert: die >eigene< Kultur wird der >fremden< nicht nur persönlich<br />

vorgezogen, sondern auch insgesamt als besser, fortschrittlicher,<br />

angemessener, menschlicher, freier, gleichberechtigter etc.<br />

präsentiert. Eine Ausnahme dazu:<br />

»Die sollen sich so kleiden, wie sie das möchten, oder wie es ihre Religion<br />

vorschreibt. [ ... ] Wenn sie das wollen und einfach so akzeptieren,<br />

dass durch ihren Glauben, dass sie sich anziehen müssen, dann ist das<br />

voll in Ordnung. Dann find ich das vielleicht sogar gut, dass sie den<br />

Deutschen trotzen oder so. Nur die, die meinen, sie müssten ihre Kultur<br />

da aufzubinden oder so. [ ... ] Das haben sie ja schon mit den Indianern<br />

versucht, diese fremde Kultur aufzubinden und es hat nicht geklappt.<br />

Find ich auch nicht gut, die sollen doch bitteschön ihre Kultur da behalten.<br />

Über Jahrhunderte oder weiß ich wie lange ist die aufrechterhalten,<br />

und warum sollten sie da irgendeine andere Kultur annehmen oder was<br />

weiß ich«.2<br />

Die grundsätzliche Unterscheidung in >Wir< und >die Anderen<<br />

wird auch dort, wo >die Anderen< nicht eindeutig abgewertet werden,<br />

als Tatsache gehandelt; die Transformation, Hybridität, Ab-<br />

2 Der Sprung in der Argumentation (wer zwingt wem eine Kultur<br />

auf?) ist nicht der Auslassung im Zitat geschuldet, sondern bleibt<br />

auch im Kontext des Interviews unbestimmt.<br />

98<br />

ALLTAGSDISKURSE<br />

hängigkeit, Beeinflussung von Kulturen in den Bereich des Unmöglichen<br />

verwiesen. Die eigene Schuld (Beispiel >Indianer


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

kurz. Ja, das war, wir haben mehrere Religionen miteinander verglichen<br />

und da kam natürlich auch der Islam vor. Und Hinduismus, Buddhismus.<br />

[ ... ] Ja natürlich dass das Christentum die bessere Religion ist, keine<br />

Frage. [ ... ] Es war auch schon so, dass einem beigebracht wurde,<br />

ähm dass der Islam 'ne Religion ist, die einen sehr beengt. Das Gefühl<br />

beengt. [ ... ] Es ist erstaunlich, was sich, wie so, was alles in der Erinnerung<br />

wieder auftaucht«.<br />

Während dieser Befragte im Interview beginnt, seine Bilder zu reflektieren<br />

und zu kontextualisieren, bezieht sich ein anderer weiterhin<br />

affirmativ darauf. Er benutzt im Laufe des gesamten Interviews<br />

Figuren aus Karl May, um seine eigenen Erfahrungen zu<br />

beschreiben. Dabei dienen sie wiederholt dazu, die Auf teilung in<br />

>Wir< und >die Anderen< zu illustrieren und zu bestätigen:<br />

»[ ... Kara ben Nemsi] straff, eben selbstkontrolliert und durchsetzungsfähig,<br />

energisch, kühn. Obwohl die Muslime auch als kühn bezeichnet<br />

wurden, aber sie eher so als kamikaze-kühn, neo [ ... ] eher so wild, wilde<br />

Gesellen waren das, die einfach so sich in Gefahr begeben haben, ohne<br />

die Konsequenzen zu überblicken. Die auch sehr von ihrem Glauben getrieben<br />

wurden«.<br />

Dieser Interviewpartner führt an, dass er bereits als Kind wusste,<br />

dass Karl May seine Bücher nicht auf dem Hintergrund eigener<br />

Reiseerfahrungen oder fundierter Recherchen verfasst hatte und<br />

dass seine Abenteuerromane erfunden waren. Dennoch prägen sie<br />

seine Wahrnehmung:<br />

»[ ... ] im Vordergrund stand natürlich das Abenteuer, neo Aber das hat<br />

natürlich auch einen Effekt gehabt, dass dieser Kulturkreis also für mich<br />

auch als was sehr fremdes beschrieben wurde. Es ist bei mir auch so<br />

haften geblieben, ne, das sind so komische Leute [ ... ] dass die eben so<br />

ihre strikten, strengen Verhaltensregeln haben [ ... ] Und dass jemand,<br />

der ihre Verhaltensweisen nicht übernimmt, weil der 'ne andere Kultur<br />

oder Religion hat, der eben ausgegrenzt ist. [ ... ] Ich mein ich hab mir<br />

nie darüber Gedanken gemacht, weil ich mit 11 Jahren oder so aufgehört<br />

hab', Karl May oder sowas zu lesen. [ ... ] Also ich hab wirklich<br />

mein gesamtes Bild über den Orient oder solche Kulturen bekommen<br />

habe ich in der Kindheit über Erzählungen und Märchen und solche<br />

Abenteuergeschichten« .<br />

102<br />

ALLTAGSDISKURSE<br />

In seine Erinnerungen an Karl Mays Orientromane mischen sich<br />

weitere Bilder und verknüpfen sich zu einer eigenen Interpretation,<br />

die dennoch nicht seine persönliche ist. Deutlich wird, dass<br />

hier gesellschaftliche Diskurse verdichtet auf >den Islam< projiziert<br />

werden. Assoziationen und Bilder aus Karl May vermengen sich<br />

mit kulturrassistischem Alltagswissen sowie Nachrichten und politischer<br />

Berichterstattung zu einem Ganzen. Gegen Ende des Interviews,<br />

nachdem der Befragte seiner Sorge über eine zunehmende<br />

Islamisierung nachdrücklich Ausdruck verleiht, findet er die<br />

Schilderungen aus Karl Mays Abenteuerromanen bestätigt:<br />

»[ ... ] da kommt dieses Karl-May-Denken wieder ins Spiel, [ ... ] dieser alleinigen<br />

Vorherrschaft ihrer Religion. Und so einfach eine Mentalitätsfrage.<br />

[ ... ] Also ich kann mich da eben auch in diesem Zusammenhang<br />

gerade so an Karl-May-Geschichten erinnern [ ... ] Das ist einfach aus<br />

den Nachrichten, 'ne. Ich hab einfach so mehrere Sendungen in den<br />

letzten Jahren mitgekriegt [ ... ] Und ich seh' das schon als 'ne Gefahr an.<br />

Das ist irgendwie kein verzerrtes Bild, das ich hab', irgendwie durch<br />

Karl May, 'ne reelle Gefahr [ ... ] so absurd ist das nicht«.<br />

Im Unterschied dazu trennt ein anderer Interviewpartner deutlich<br />

zwischen Bildern, die sich ihm in Geschichten vermittelt haben,<br />

und eigenen Eindrücken, die er den Geschichten als Wirklichkeit<br />

entgegen setzt. Er erinnert sich an verschiedene Filme, die er als<br />

Jugendlicher gesehen hat und die ihm im Zusammenhang mit<br />

>Orient< und >Islam< einfallen. Er mochte diese Filme gerne, sie<br />

waren schön, allerdings seien sie »[ ... ] weit weg eben ja. Sie waren<br />

nicht in meinem, es war nicht in meinem alltäglichen Umfeld. In<br />

meinem alltäglichen Umfeld mocht' ich sowas eigentlich nicht.«<br />

Dagegen nutzt eine Befragte kulturelle Produkte, um ihre Erfahrungen<br />

zu interpretieren:<br />

»Also der Islam begegnet, sicherlich schon früh in der Schule, so mit<br />

ausländischen Mitschülern, aber bewusst, was damit zusammenhängt,<br />

als ich das Buch gelesen habe Nicht ohne meine Tochter. Da ging's halt um<br />

eine Frau, die in einem islamischen Land gefangen gehalten wurde und<br />

welche Folter mehr oder weniger ihr da zukam. Da hab' ich mir erstmal<br />

Gedanken darüber gemacht, ja, wie extrem diese Religion ist«.<br />

103


DIE .,WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Betty Mahmoodys Bestseller wurde inzwischen verfilmt. Er hat<br />

mehrere Jahre lang zentral am antimuslimischen Rassismus mitgewirkt<br />

(vgl. kritisch Reulecke 1993).<br />

Umdeuten von Erfahrungen<br />

Nach ihren Erfahrungen mit Menschen aus >islamischen Kulturen<<br />

gefragt, fiel es unseren Interviewten schwer, ihre Erfahrungen zu<br />

sortieren. Spontan fielen ihnen meist keine Menschen ein, die sie<br />

als islamisch-kulturell geprägt bezeichnen würden. Auf Nachfrage<br />

nannten sie türkische Mitschülerinnen, iranische Kolleginnen,<br />

palästinensische Klienten, irakische Liebhaber, räumten aber sogleich<br />

ein, dass das nicht gemeint sein könne, schließlich trügen<br />

diese keine Kopf tücher, dächten westlich, sprächen gut deutsch,<br />

seien >ganz normalislamischen Kulturen< vom >Islam< 'abkoppelten<br />

und damit ausblendeten, da er ihren Bildern nicht entsprach; Es<br />

fiel ihnen schwer, auch positive oder neutrale Erfahrungen mit<br />

Menschen aus >islamisch< geprägten oder markierten Kulturen<br />

auch als solche wahrzunehmen.<br />

Eine Interviewte versucht sich zu erinnern, welche Menschen<br />

aus >islamischen Kulturen< ihr als Kind begegnet sind. Ihr fällt eine<br />

befreundete irakisch-islamische Familie ein, die sie gerne<br />

mochte. Sie erinnert sich, dort auch Fremdes erlebt zu haben<br />

(»dass die eigentlich woanders herkommen«), was sie aber nicht<br />

daran hindert, sich der Familie nah und vertraut zu fühlen. Sie<br />

bewertet das Fremde nicht, sondern registriert es lediglich als solches.<br />

Und sie bringt es nicht mit >islamischer Kultur< in Verbindung<br />

(»da kann ich nicht sagen, da ist mir der Islam begegnet«).<br />

Ihre positiven Erinnerungen bringt diese Befragte - und mit ihr<br />

auch alle anderen - nicht mit >dem Islam< in Verbindung.<br />

Mit >dem Islam< wird all das begründet, was negative Assoziationen<br />

weckt (»das muss am Islam liegen [ ... ] ich kenne den Koran<br />

nicht [ ... ] aber das muss was damit zu tun haben«). Dabei scheint<br />

unseren InterviewpartnerInnen der Hinweis auf den Islam zu genügen,<br />

um die betreffende Person abzuwerten. Eine Interviewte<br />

104<br />

ALLTAGSDISKURSE<br />

wundert sich darüber, wie ein ihr bekannter >IranerDeutschen< in Beziehung lebte, nun eine >Iranerin< heiraten<br />

könne, »weil gerade ihn hatte ich noch immer anders eingeschätzt«.<br />

Obwohl sie ihn kennt und für fortschrittlich hält - bzw.<br />

hielt -, kommt sie nicht auf die Idee, dass er auch in der Beziehung<br />

zu einer Frau aus einem >islamischen< Land eine gleichberechtigte<br />

Beziehung leben kann. Vielmehr scheint seine neue Beziehung<br />

Aufschluss darüber zu geben, dass er eigentlich ja doch<br />

seiner >rückständigen Kultur< verhaftet geblieben ist. Er war eben<br />

bloß >verwestlichtIranerin< selbst und die Beziehung<br />

der beiden verliert die Befragte kein Wort. Der Hinweis darauf,<br />

dass sie >Iranerin< ist, reicht, um sie abzuwerten. Zugehörigkeit zu<br />

einer >islamischen Kultur< als Symbol für Rückständigkeit wird in<br />

Konkurrenz gesetzt zu Zugehörigkeit zu >westlicher Kultur< als<br />

Symbol für Fortschritt.<br />

Eine der wichtigsten Assoziationen zum >Islam< und zu Menschen<br />

aus >islamischen Kulturen< bezieht sich auf das Kopf tuch<br />

bzw. die Haare. Als Symbol scheinen sie Aufschluss darüber zu<br />

geben, welchen Bewusstseinsstand die betreffende Person hat:<br />

Trägt die Frau ein Kopf tuch, dann ist sie zweifellos >islamisch<<br />

und damit entweder rückständig und unterdrückt oder aber fanatisch.<br />

Trägt sie kein Kopf tuch, dann kommen wieder zwei Möglichkeiten<br />

der Einordnung in Frage: Entweder sie trägt ihr Haar<br />

lang, dann wird sie als >Orientalin< klassifiziert, oder sie trägt es<br />

kurz und gilt unvermeidlich als >verwestlichtIranerin< Schwierigkeiten bei der Identifizierung:<br />

Sie wendet sich zum Beispiel entschieden gegen den<br />

Krieg und entzieht sich damit - trotz Kopf tuchs - einer Einordnung<br />

in das Bild der fanatischen und gewalttätigen >MuslimaIranerin< nur auf Befehl ihres Mannes Kopftuch trägt. Das ermöglicht<br />

es ihr, sie in das Bild der unterdrückten Frau einzuordnen.<br />

Als die >Iranerin< das Kopf tuch jedoch nicht mehr trägt und<br />

auf erstauntes Nachfragen erklärt, sie hätte sich jetzt so entschieden,<br />

gerät auch diese Erklärung ins Wanken. Nun bedauert unsere<br />

Informandin, dass die >Iranerin< mitsamt dem Kopftuch ihre<br />

schönen langen Haare entfernte. Damit kommt sie als >Orientalin<<br />

105


DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

auch nicht mehr in Frage. Die Interviewte ist deshalb enttäuscht,<br />

weil diese Frau ihr zuvor immer so kritisch erschienen war als eine<br />

»ganz starke Persönlichkeit«. Nun, ohne Kopftuch und ohne<br />

lange Haare, habe sie sich angepasst (»warum muss die jetzt auch<br />

so westlich sein«). Damit wird sie persönlich uninteressant für unsere<br />

Befragte, hat aber die Richtigkeit der >westlichen< Lebensweise<br />

bestätigt (»Einerseits fand ich das toll, dass sie das so macht,<br />

und andererseits hab' ich gedacht, ist das auch schade«).<br />

Gleichgültig, ob die >Iranerin< Kopf tuch trägt oder nicht: sie<br />

kann die westliche Frau nicht zufrieden stellen. Entweder ist sie<br />

kritisch gegen >den Westenihre<br />

Kultur< entzieht; damit wird ihr aber gleichzeitig der Wunsch unterstellt,<br />

es >dem Westen< gleichmachen zu wollen; als Kritikerin<br />

>des Westens< fällt sie damit aus. Ob >unterdrückt< oder >verwestlichtwestliche< Frau ist der >islamischen< überlegen, sie<br />

weiß, worauf die andere nun >herein gefallen< ist und kann sie in<br />

beiden Fällen nicht als Gleichwertige akzeptieren. Indem es ihr<br />

nicht gelungen ist, die >islamische< Frau in ihrer Eigenständigkeit<br />

wahrzunehmen, ist sie selbst auf die Stereotypen >herein gefallenverwestlicht< ein (»moderner«, »ohne<br />

Kopf tuch«). Was für ein >westliches< Mädchen als traditioneller<br />

Berufswunsch gilt, kennzeichnet bei einem >islamischen< Mädchen<br />

bereits das fortschrittlichere. Die Bedeutung von >verwestlicht< als<br />

immer noch unter der >westlichen< stehend, wird hier reprodu-<br />

106<br />

ALLTAGSDISKURSE<br />

ziert. Ein drittes Mädchen aus dieser Gruppe, das eindeutig der<br />

Kategorie >islamisch< zugewiesen wird (»noch mit Kopf tuch«,<br />

»sehr streng gekleidet«), äußert als Berufswunsch: (»ausgerechnet«)<br />

Pilotin. Unsere Interviewte deutet diesen Berufswunsch ohne<br />

zu zögern als Illusion (»was eben wirklich nur - für sie eben -<br />

ein Wunsch war«). Der Wunsch dieses Mädchens wird jedoch<br />

nicht etwa deswegen als unrealistisch bewertet, weil dem Erfahrungshintergrund<br />

der >westlichen< Frau gemäß dieser Beruf Frauen<br />

nur eingeschränkt zugänglich ist. Vielmehr wird die Illusion<br />

mit Hinweisen auf die Rückständigkeit der Familie des Mädchens<br />

in den Zusammenhang mit >islamischer Kultur< gestellt. Der Sexismus<br />

im eigenen Land wird angesichts jenem in anderen >Kulturen<<br />

unsichtbar.<br />

Während die >modernen< >islamischen< Mädchen, die als >verwestlicht<<br />

gelten, persönlich abgewertet werden, indem sie mit<br />

traditionellen >westlichen< Mädchen auf eine Stufe gestellt werden,<br />

wird ihr gesamter kultureller Hintergrund abgewertet: was<br />

im >Westen< als traditionell gilt, erscheint im >islamischen< Kontext<br />

als relativ fortschrittlich. Damit schafft die Befragte Distanz<br />

zwischen der >islamischenKultur< und ihrer eigenen und bestätigt die Höherwertigkeit<br />

>westlicher Kulturrückständiges< Mädchen die >westliche< Norm,<br />

wird dies als Illusion entwertet. Das Mädchen wird persönlich herabgesetzt,<br />

da es als anmaßend empfunden wird, wenn »ausgerechnet«<br />

sie sich herausnimmt, sich nicht nur mit traditionellen<br />

>westlichen< Mädchen, sondern auch noch mit fortschrittlichen zu<br />

messen. Die Chance, in der Diskrepanz zwischen Stereotyp und<br />

Erfahrung irritiert zu werden, bleibt ungenutzt. Ihre Erfahrung<br />

hätte die Interviewte veranlassen können, die gängigen Stereotypen<br />

in Frage zu stellen. Sie nimmt jedoch ihre eigene Erfahrung<br />

nicht ernst, sondern greift auf die Stereotypen zurück. Ihr Konzept<br />

eigener Überlegenheit hat sie bestätigt, dem rassistischen Diskurs<br />

ist sie verhaftet geblieben. Die betreffenden Mädchen sind ihr dabei<br />

völlig aus dem Blick geraten.<br />

Trotz der Diskrepanz zwischen ihren Erfahrungen und den<br />

Stereotypen, gelingt es den Befragten meist nicht, die Richtigkeit<br />

ihrer Bilder in Frage zu stellen. Oft wird diese Diskrepanz gar<br />

nicht bemerkt, die Erfahrung wird umstandslos dem Stereotyp<br />

entsprechend interpretiert. Die Erfahrung trägt in diesem Fall<br />

107


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

nicht dazu bei, die eigenen Vorurteile zu überwinden. Vielmehr<br />

werden die Erfahrungen als Bestätigung des Stereotyps umgearbeitet.<br />

Herstellen von Dominanz<br />

Aus dem Umgang der Befragten mit den eigenen Erfahrungen<br />

wird deutlich, dass es sich beim antimuslimischen Diskurs nicht<br />

lediglich um falsches Wissen und falsche Bilder handeln kann.<br />

Andernfalls hätte die Wahrnehmung der vielfältigen und widersprüchlichen<br />

Wirklichkeiten sie veranlassen müssen, ihr bisheriges<br />

Wissen zu revidieren oder zumindest zu ergänzen. Das Ignorieren<br />

ihrer eigenen Erfahrungen zugunsten der Stereotypen weist<br />

darauf hin, dass diese Stereotypen auch Funktionen haben müssen,<br />

dass es ein Interesse gibt an der Beibehaltung stereotyper Bilder,<br />

die die Subjekte aktiv reproduzieren. Um deren Interessen zu<br />

untersuchen, wurden die InterviewpartnerInnen nach ihren Begegnungen<br />

mit Menschen aus >islamisch< geprägten bzw. markierten<br />

>Kulturen< befragt. Im Prozess der Umarbeitung ihrer Erfahrungen<br />

wird deutlich, dass durch die Reproduktion der Stereotypen<br />

die eigene Überlegenheit bestätigt werden soll.<br />

Bekehrungsversuche<br />

Die Höherwertigkeit des (vermeintlich) eigenen kulturellen Konzepts<br />

wird legitimiert, indem andere Sinnzusammenhänge und<br />

Lebensweisen abgewertet werden. Am wirkungsvollsten kann das<br />

geschehen, wenn >die Anderen< selbst von der Minderwertigkeit<br />

ihres Konzepts und der Höherwertigkeit der westlichen Lebensweisen<br />

überzeugt werden. Im Bekehrungsversuch wird die Abwertung<br />

anderer Lebensweisen zum Zweck der Selbstbestätigung<br />

deutlich.<br />

Eine Interviewte schildert ihre >Bekehrungsversuche< bei einer<br />

Mutter türkischer Herkunft, deren Kind sie betreut. Sie berichtet<br />

von ihren Mühen, der Frau deutlich zu machen, dass sie unterdrückt<br />

sei. Sie räumt ein, den Mann dieser Frau sehr nett zu finden,<br />

sowohl ihr selbst gegenüber, als auch im Umgang mit Frau<br />

und Kindern. Trotzdem, so betont die Befragte, müsse sich >die<br />

Türkinwestlichen< Maßstäben zu beurteilen.<br />

Er wird erst sinnvoll, wenn er einge<strong>bu</strong>nden wird in die Lebenszusammenhänge<br />

der >westlichen< Frau: die >islamische< Frau<br />

darf nicht zufrieden sein, da sonst der Stellenwert des eigenen<br />

Konzepts relativiert wird. Entsprechend reagiert auch die Befragte<br />

auf die Zurückweisung ihres Bekehrungsversuchs: »[ ... ] das ärgert<br />

mich, obwohl ich fand ihn [den Ehemann] einfach sehr nett«.<br />

Im rassistischen Interesse wird sowohl die Berechtigung eigener<br />

Selbstbilder als auch die Sinnhaftigkeit anderer Lebensformen<br />

geleugnet. Die >Anderen< werden damit als handelnde Subjekte<br />

ausgeblendet. Zur Absicherung und zur eigenen moralischen Rehabilitation<br />

wird versucht, die vermeintlich Rückständigen durch<br />

die Übernahme der >westlichen Kultur< von ihrer Höherwertigkeit<br />

zu überzeugen. Widerstand wird nicht als solcher erkannt, sondern<br />

in den rassistischen Diskurs eingepasst und entsprechend<br />

umdefiniert. So meint eine Interviewte auf die Frage, warum sie<br />

glaube, dass Frauen und Männer sich freiwillig zum Islam bekennen<br />

würden, während sie überzeugt ist, dass er rückständig sei:<br />

»Vielleicht weil's ihrer Mentalität entspricht [ ... ] Ich kann mir<br />

sonst nicht vorstellen [ ... ] freiwillig auf meine Rechte zu verzichten«.<br />

Sie bleibt also bei ihrer Vorannahme, dass >islamischMentalitätandere<br />

MentalitätAndereneigenen< Konzepts<br />

verdeutlichen würden (hier die Bedeutung ihrer >Rechteislamisch< geprägten<br />

oder markierten Kulturen, die auch in den Interviews immer wieder<br />

thematisiert wird, weist auf die Sorge um das eigene Selbstbild<br />

hin. Um dieses zu bestätigen, reicht es nicht aus, mit ihrem<br />

Leben zufrieden zu sein. Wenn die Lebensweisen >anderer Kulturen<<br />

auch ein hohes Maß an Zufriedenheit ermöglichen, warum<br />

dann all die Anstrengungen und Nachteile in Kauf nehmen, die<br />

die >westliche Lebensweise< mit sich bringt? Danach gefragt, wa-<br />

109


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

rum sie glauben, dass sich Menschen zum Islam bekennen, nennen<br />

die Befragten als Möglichkeiten: Sehnsucht nach Geborgenheit,<br />

Sicherheit, Gemeinschaft, Verlässlichkeit. Die Frage drängt<br />

sich auf, ob die >westliche Lebensweise< im Verlust dieser Werte<br />

den Preis ihrer >Fortschrittlichkeit< und ihrer >Emanzipation< sieht.<br />

Die vehemente Ablehnung des Spiegelbildes wäre als Reaktion<br />

auf die unerfüllten eigenen Bedürfnisse verständlich. Was sie sich<br />

selbst verbieten, verurteilen sie an >den Anderenislamischen Kulturen<<br />

und spaltet sie damit von sich selbst ab. Die Chance der<br />

Auseinandersetzung mit ihren Zweifeln hat sie sich damit genommen.<br />

Die selbstschädigende Wirkung von Rassismus wird an ihrem<br />

Beispiel ebenso deutlich wie die Ausblendung Anderer und<br />

mit ihnen die in sie projizierten Zweifel, um sich selbst zu bestätigen,<br />

wo es schon fast nicht mehr gelingt.<br />

Irritationen abwehren<br />

Die Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen Bildern und Erfahrungen<br />

garantiert noch kein Infrage stellen der Bilder. Auch wenn<br />

die Gültigkeit der Stereotypen bereits in Frage stand und Irritationen<br />

ausgelöst wurden, können sie reproduziert und in die gewohnte<br />

Ordnung gebracht werden, indem die Erfahrung den Bildern<br />

entsprechend uminterpretiert wird.<br />

Eine Interviewte berichtet von einer Reise nach Ägypten. Sie<br />

wohnt während ihres Aufenthalts bei einer einheimischen Familie<br />

und erfährt dort, dass sich immer mehr Frauen freiwillig und bewusst<br />

entscheiden, Kopf tuch zu tragen. Die Tochter der Familie,<br />

eine Medizinstudentin ohne Kopf tuch, erklärt ihr, dass auch sie<br />

gerne Kopf tuch tragen würde, da es für sie ein »Zeichen von Reife«<br />

sei. Die Befragte findet diesen für sie neuen Standpunkt interessant,<br />

bleibt aber dabei, die zunehmende >>Verschleierung« als<br />

»Rückwärtsbewegung« zu werten. Noch scheint sie aber offen zu<br />

sein für neue Erfahrungen. Sie unternimmt dann mit ihren GastgeberInnen<br />

eine Reise, an der auch eine Kopf tuch tragende Frau<br />

beteiligt ist. Die bis dahin tolerante Haltung der Interviewten verändert<br />

sich angesichts der direkten Konfrontation schlagartig. Sie<br />

findet die »verschleierte« Frau »grundsätzlich verunstaltet«, sie<br />

sähe aus »wie eine Eule«. Trotzdem nimmt sie wahr, dass ihr Stereotyp<br />

von >der islamischen Frau< als unterdrückter nicht stimmt.<br />

Hier erfährt sie eine eigenständige und selbstbewusste Frau, die<br />

gläubig und »verschleiert« ist. Die Befragte ist irritiert. Neben dieser<br />

Frau wirkt sie selbst nicht selbstbewusster. Sie fragt die >Ägypterinislamischen Frau< ihre Unterdrückung zu verdeutli-<br />

111


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

chen, und meint, die >islamische< Frau ihrerseits beobachte sie und<br />

bewerte ihre Lebensweise (»dass sie das vielleicht wertet, was ich<br />

tue. Und klar, natürlich war auch die Wertung auf meiner Seite«).<br />

Sie kommt zu dem Schluss, dass die >islamische< Frau doch unterdrückt<br />

sein müsse (»dass sie auch gefesselt war in ihrer Situation<br />

und angekettet war in gewisser Weise«).<br />

Der Befragten ist es in dieser Situation gelungen, ihr ursprüngliches<br />

Stereotyp zu bestätigen, obwohl sie bereits irritiert war<br />

durch die Diskrepanz zwischen ihrem Bild und ihrer Erfahrung.<br />

In der Abwehr der Irritation wird das Interesse an der Beibehaltung<br />

des Stereotyps deutlich. Die Umarbeitung der Erfahrung findet<br />

hier prozesshaft statt: In einem ersten Schritt versucht die<br />

>westliche< Frau, die >islamische< Frau selbst von ihrer Unterdrückung<br />

und damit auch von dem Stereotyp zu überzeugen. Sie versucht,<br />

mit der >islamischen< Frau ins Gespräch zu kommen, indem<br />

sie sie auf ihre Einschränkungen als >islamische Frau< anspricht.<br />

Im Beziehungsangebot soll die gewohnte Hierarchie zwischen<br />

fortschrittlicher >westlicher< und rückständiger >islamischer< Frau<br />

in ihrer paternalistischen Variante wieder hergestellt werden. Die<br />

>islamische< Frau geht jedoch nicht darauf ein. Der Versuch, die<br />

durch die Diskrepanz von Bild und Erfahrung ausgelöste Irritation<br />

zugunsten des Bildes aufzulösen, schlägt fehl. Stattdessen findet<br />

sich die Befragte in einer ungewohnten Rolle wieder: Sie selbst<br />

wird zurückgewiesen, während die dem Stereotyp nach zurückgebliebene<br />

Frau unberührt und aufrecht bleibt (»so 'ne Ausstrahlung<br />

[ ... ] sie weiß, wer sie ist und sie weiß, wofür sie lebt, und<br />

was sind wir doch für oberflächliche Geschöpfe«). Es gelingt der<br />

>westlichen< Frau nicht, auf diese Weise ihr Stereotyp zu bestätigen.<br />

Im Gegenteil, sie wird eher noch weiter irritiert: In die Ablehnung<br />

der >islamischen< Frau, in eine stereotypisierte Beziehung<br />

mit der >westlichen< Frau zu treten, interpretiert letztere auch eine<br />

Umkehrung des Machtverhältnisses (»so 'ne Überlegenheit [ ... ]<br />

dass es unser Problem ist, wenn wir so leben«). Das Gespräch erhält<br />

für die >westliche< Frau eine ungewohnte Wendung: die zu<br />

befreiende Frau bleibt nicht nur bei ihrer Eigendefinition als<br />

selbstständig, sie wirft - in der Wahrnehmung unserer Befragtendarüber<br />

hinaus das von der >westlichen< Frau genannte Problem<br />

auf sie selbst zurück. Die Rollen sind plötzlich vertauscht. Hier<br />

wird deutlich, dass es bei der Aufrechterhaltung der Bilder nicht<br />

nur um Stereotype als solchen geht, sondern auch um das damit<br />

112<br />

ALLTAGSDISKURSE<br />

ver<strong>bu</strong>ndene Beziehungsgefüge. Sobald das Stereotyp über >die islamische<br />

Frau< nicht mehr aufrechterhalten werden kann, bricht<br />

auch das eigene Selbstbild zusammen, das als Gegenbild zur >islamischen<<br />

Frau konstruiert ist. Da diese Konstruktion auf der Überlegenheit<br />

der >westlichen Frau< beruht, steht hier mehr als nur ein<br />

Bild von >der islamischen Frau< auf dem Spiel. Im Ringen um die<br />

Beibehaltung des Stereotyps wird deutlich: Mit dem Selbstbild der<br />

>westlichen< Frau steht auch ihre Dominanz zur Disposition. Diese<br />

Einge<strong>bu</strong>ndenheit der Selbst- und Fremdbilder in rassistische Diskurse<br />

erschwert das Aufbrechen von Stereotypen und Vorurteilen.<br />

Die Irritation, die die >westliche< Frau in dieser Begegnung<br />

durchaus erlebt hat, veranlasst sie nicht, ihr Stereotyp in Frage zu<br />

stellen. Sie lässt die Chance ungenutzt, tatsächlich eine neue Erfahrung<br />

zu machen. Stattdessen wehrt sie die Irritation ab, indem<br />

sie die Erfahrung so uminterpretiert, dass ihr Stereotyp und damit<br />

auch ihr eigenes Selbstbild als dominanter Frau bestätigt wird:<br />

Trotz aller gegenteiligen Beobachtungen kommt die Befragte zu<br />

dem Schluss, »dass sie [die >islamische< Frau] auch gefesselt war<br />

in ihrer Situation und angekettet war in gewisser Weise«. Im Bestreben,<br />

ihre Dominanz zu bestätigen, bleibt ihr nl).r noch die trotzige<br />

Herabsetzung und Hierarchisierung: Wenn sie selbst schon<br />

»Probleme« haben soll, dann ist die Andere »gefesselt« und »angekettet«.<br />

Die in der Irritation liegende Chance, rassistische Haltungen<br />

aufzubrechen, bleibt gerade wegen ihrer Einge<strong>bu</strong>ndenheit<br />

in rassistische Strukturen ungenutzt. Es geht hier nicht nur um falsche<br />

Bilder, die durch richtige ersetzt werden müssen, sondern<br />

um ein Beziehungsgefüge, das hierarchisch geordnet ist, um ein<br />

Machtverhältnis, das rassistischen Interessen verpflichtet ist.<br />

Irritationen zulassen<br />

Im vorangehenden Beispiel wehrt die Befragte die Irritation ab,<br />

die durch die Diskrepanz zwischen Bildern und Erfahrungen ausgelöst<br />

wurde. Im Unterschied dazu besteht in der Akzeptanz der<br />

Irritation die Chance, Erfahrungen als etwas in sich Schlüssiges<br />

zuzulassen. Erfahrung und Bild stehen dann einander gegenüber,<br />

Bild und Gegenbild ergänzen sich nicht mehr, die eigene Dominanz<br />

steht zur Disposition.<br />

Eine Befragte berichtet: »[ ... ] ich hab' nie 'ne türkische Frau<br />

kennengelernt, [ ... ] die mir gesagt hat, mir geht es ja so schlecht,<br />

weil ich ein Kopf tuch tragen muss. Ich hab' nie selber diese Erfah-<br />

113


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

rung gemacht. [ ... ] Mir wurde gesagt, denen geht es schlecht damit.<br />

Und ich hab' das geglaubt«. Sie beginnt erst, ihre Bilder in<br />

Frage zu stellen, als sie im Rahmen ihres Studiums gezwungen<br />

wird, sich ihren Bildern und Erfahrungen zu stellen: »In meinem<br />

Projekt sind nur, die Lehrbeauftragten sind nur Migrantinnen. [ ... ]<br />

dadurch krieg' ich natürlich ein ganz anderes Bild«. Sie trifft nicht<br />

nur auf eine einzige Person, bei der sie es noch schaffen könnte,<br />

sie den Stereotypen anzupassen. Notfalls könnte sie diese Einzelne<br />

auch als Ausnahme unsichtbar machen. Sie ist umgeben von<br />

Frauen, die ihr eine andere Erfahrung aufzwingen, die sich aktiv<br />

gegen die Stereotypisierungen zur Wehr setzen: »[ ... ] weil die Dozentinnen<br />

ihren Unmut darüber äußern, die halt auch Migrantinnen<br />

sind, bin ich schon oft auch emotional betroffen«. Bilder und<br />

Erfahrungen können nicht mehr in Einklang gebracht werden:<br />

»Ich war eine Zeit auch ganz unsicher«. Die Diskrepanz löst eine<br />

Irritation aus. Darin liegt die Möglichkeit, Stereotypen in Frage zu<br />

stellen. Ein Prozess wird in Gang gesetzt, in dem immer nachhaltiger<br />

Stereotypen ersetzt werden können durch Erfahrungswerte<br />

(»ich kann nicht sagen, dass ich das abgeschlossen habe«).<br />

Möglicherweise hat sich hier die Kombination mehrerer Faktoren<br />

begünstigend auf diese Entwicklung ausgewirkt: Die Befragte<br />

ist gezwungen, sich der Irritation auszusetzen, da in ihrem Projekt<br />

ausschließlich Migrantinnen lehren. Sie ist mit mehreren konfrontiert,<br />

die ihr in ihrer Vielzahl auch vielfältige Erfahrungen ermöglichen.<br />

Gleichzeitig treten sie als ihre Dozentinnen auf, stehen also<br />

mit ihr in umgekehrtem Machtverhältnis. In diesem Rahmen werden<br />

die Stereotypen reflektiert, auch in ihrer Wirkung auf die davon<br />

Betroffenen, die Migrantinnen.<br />

An der Konfrontation der Stereotypen mit den Erfahrungen<br />

zeigt sich, dass die Stereotypen mehr sind als nur Vorurteile, dass<br />

sie in rassistische Strukturen einge<strong>bu</strong>nden sind. Das Interesse am<br />

antimuslimischen Rassismus dient der Herstellung und Bestätigung<br />

eigener Dominanz.<br />

Fokus interkulturelle Beziehungen<br />

Wie andere Rassismen auch, funktioniert der antimuslimische<br />

Rassismus ohne die direkte Begegnung mit Menschen, die >islamischen<br />

Kulturen< zugeordnet werden. Und wie sich gezeigt hat,<br />

114<br />

ALLTAGSDISKURSE<br />

führt die Begegnung mit unterschiedlichen, den Bildern widersprechenden<br />

und sie vervielfältigenden Personen und Situationen<br />

nicht notwendig dazu, mit den Stereotypen aufzuräumen. Die Untersuchung<br />

direkter interkultureller Beziehungen eröffnet jedoch<br />

die Möglichkeit heraus zu finden, wie Stereotypen trotz modifizierter<br />

Erfahrungen aufrecht erhalten werden und wie die Menschen<br />

das, Gelernte in ihre Praxen umsetzen und weiter transportieren.<br />

»[ ... ] dass da 'ne unheimliche Schranke besteht<br />

zwischen diesen bei den Kulturen, dass die nicht<br />

zusammengehören«<br />

Kerstin, 30 Jahre alt, Erzieherin und angehende Sozialarbeiterin,<br />

hat eine >multikulturelle< Phase hinter sich und hat selbst >bikulturelle<<br />

Partnerschaften erlebt, eigene und von Freundinnen. Sie<br />

zieht den Schluss aus diesen Erfahrungen, »[ ... ] dass es sehr, sehr<br />

schwierig ist, so 'ne Beziehung zwischen Mann und Frau, wo die<br />

Kulturen so unterschiedlich sind. Dass es ehm, sehr sehr schwierig<br />

ist, 'ne positive Beziehung zu führen«.<br />

Schaut man sich ihre Biographie an, so wird nachvollziehbar,<br />

warum es für sie so schwierig ist, mit Menschen anderer Herkunft<br />

zusammenzuleben. Es wird aber auch deutlich, dass das nicht primär<br />

an der Unterschiedlichkeit der Kulturen liegt, sondern an den<br />

Reaktionen ihres Umfeldes, speziell ihrer Familie, und an ihrer eigenen<br />

Sozialisation, die auf die Unvereinbarkeit der Kulturen hinausläuft.<br />

Kerstin wächst in einem Dorf als Tochter einer Hausfrau und<br />

eines Arbeiters auf. Zur engeren Familie gehören noch ein Onkel,<br />

ebenfalls Arbeiter, und eine Großmutter. Den Einfluss dieser Familienmitglieder<br />

auf ihre Sozialisation in kulturelle und rassistische<br />

Denk- und Gefühlsmuster beschreibt Kerstin sE!hr differenziert.<br />

Am aktivsten bezüglich Äußerungen über >Ausländer<<br />

(»Griechen« und »Türken«) erinnert sie den Onkel. Er hat über<br />

seine Arbeit am ehesten Begegnungen mit >Gastarbeitern< und<br />

lässt sich zum Teil auch auf private Kontakte mit einigen von ihnen<br />

ein. In Kerstins Erinnerung sind aber gar nicht so sehr diese<br />

Begegnungen präsent, sondern Gespräche zwischen Onkel und<br />

Vater über die Kollegen.<br />

115


DIE »WESTLICHE KULTURcc UND IHR ANDERES<br />

sammenhang mit dem vorliegenden empirischen Datenmaterial<br />

zu stehen. Es mag unterhaltsam sein und für TheologInnen sowie<br />

Gläubige bei der Seiten interessant, sich mit religiösen Fragen zu<br />

beschäftigen. Auch gewinnt >der Islam< an Bedeutung für Minderheiten<br />

als Folge ihrer Markierung als >Muslime< und ihrer Ausgrenzung<br />

aus der >westlichen< Gesellschaft. Es bestehen jedoch begründete<br />

Zweifel, ob und wie >interreligiöse Dialoge< dazu beitragen<br />

können, einen kulturellen Rassismus zurück zu drängen. Der<br />

paternalistischen Haltung des Verstehens und Tolerierens >des<br />

Anderen< ist kulturelle Selbstreflexion vorzuziehen, die an der Essenzialisierung,<br />

Dichotomisierung und Hierarchisierung von Kulturen<br />

ansetzt. Dagegen festigt ein Vorgehen, das >das Fremde<<br />

verstehen will, die binäre Konstruktion. Zugleich deutet das Angebot,<br />

das >Fremde< (gegebenenfalls) zu tolerieren auf die Position<br />

hin, aus der heraus >wir< verstehen und tolerieren und in die >das<br />

Fremde< und >die Fremden< verwiesen werden: Es ist eine Position,<br />

die durch Macht und Herrschaft im Verhältnis zueinander<br />

durchdrungen ist. Verstehen und Tolerieren sind Strategien der<br />

hegemonialen Position, die ihre Macht bestätigen, indem sie in aktiver<br />

Auseinandersetzung mit ihren Grenzen diese immer wieder<br />

aufs Neue affirmieren.<br />

150<br />

Schluss<br />

Der Islamdiskurs in Deutschland folgt einem Verständnis von<br />

>Kulturder Islam< und >der Westen< als in sich geschlossene Kulturen<br />

präsentiert. Jede Kultur wird mit Rückgriff auf >ihre Religion< als<br />

Werte- und Normensystem begründet, das mit politischen und<br />

gesellschaftlichen Prozessen wenig zu tun hätte. Entsprechend<br />

werden gemeinsame oder interdependente Entwicklungen negiert.<br />

Gleichzeitig wird >der Islam< - im Gegensatz zum >Christentum<<br />

- als politische Religion definiert. Politische Dimensionen einer<br />

Beziehung zwischen den binär konstruierten >Kulturkreisen<<br />

können so einseitig >dem Islam< angelastet werden. Die essenzialisierende<br />

Präsentation von Kulturen begründet derart eine Relation<br />

zwischen ihnen, die die Berechtigung unterschiedlicher Kulturen<br />

(eine hypothetisch mögliche Konsequenz dieses Kulturbegriffs)<br />

ausschließt. Dagegen gelingt es dem Islamdiskurs mit<br />

Rückgriff auf den essenzialistischen Kulturbegriff, sich selbst als<br />

bedroht und >den Islam< als Aggressor darzustellen. Die eigene<br />

politische Machtposition (sowohl in internationalen Beziehungen<br />

zwischen >dem Westen< und >der islamischen Welt< als auch im<br />

151


DIE .,WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

der Türkei Eingewanderten und ihre Nachkommen) fokussiert<br />

wird, wird die Diskriminierung von >Türken< in kritischer Perspektive<br />

unter dem Aspekt der sozialen Ungleichheit und der Ethnisierung<br />

analysiert. So überzeugend und plausibel diese Studien<br />

auch sind, es bleibt ein Rest an Ungeklärtem, der häufig wieder<br />

als Kultur bezeichnet wird, die jedoch als Tradition in den privaten<br />

Bereich verwiesen wird. An diesen Rest anknüpfend, wendet<br />

sich die vorliegende Arbeit den anderen Diskurssträngen des Islamdiskurses<br />

zu, die nicht angemessen oder hinreichend in Begriffen<br />

der sozialen Ungleichheit und ökonomischen Ausbeutung gefasst<br />

werden können. Insbesondere der gegenwärtig aktuelle Topos<br />

des >islamischen Antisemitismus< bietet hierzu aufschlussreiches<br />

Material. Seine Analyse gebietet sich nicht nur, weil seine<br />

Identifizierung als eines >neuen Antisemitismus< Anlass zu Sorge<br />

und intensiverer Forschungs- und Interventionstätigkeit gibt, sondern<br />

auch, weil er für den <strong>bu</strong>ndesdeutschen Kontext besonders<br />

brisant, diskurs- und handlungsrnächtig ist.<br />

Die Fokussierung der Relation zwischen Antisemitismus und<br />

Islamdiskurs in Deutschland gibt Hinweise auf die deutsche Facette<br />

des Orientalismus. Demnach ist dieser nicht nur postkolonial,<br />

sondern in besonderem Maße postnationalsozialistisch kontextualisiert.<br />

In ihm können sowohl die Interdependenz von Antisemitismus<br />

und Antiislamismus als konstitutive Außen des sich<br />

wieder deutlicher als christlich definierenden >Westens< nachvollzogen<br />

als auch eine partielle Verschie<strong>bu</strong>ng antisemitischer Diskurse<br />

hin zu antimuslimischen beobachtet werden. Obwohl beide<br />

Diskurse in historisch unterschiedlichen Kontexten eingebettet<br />

sind, weisen sie beide auf ihre politische und gesellschaftliche Bedeutung<br />

als Othering-Strategie zur Konstituierung und Konsolidierung<br />

einer hegemonialen >deutschen kulturellen Identität< hin.<br />

Darüber hinaus ist der Islamdiskurs in weitere Differenz- und<br />

Machtdiskurse verstrickt. Besonders herausragend und historisch<br />

verwurzelt ist der Geschlechterdiskurs. Im Laufe der Jahrhunderte<br />

haben sich diesbezüglich unterschiedliche Motive und Argumentationen<br />

herausgebildet und transformiert, die auf die Bedeutung<br />

des Themas im eigenen Kontext hinweisen. Hinzugekommen<br />

sind neuere Diskurse, wie jener der Homophobie, sowie ethnisierende<br />

Diskurse, die soziale Ungleichheit und ökonomische<br />

Ausbeutung entpolitisieren, indem sie sie kulturalisieren. Zusammengenommen<br />

bilden die antimuslimischen Diskurse ein Set an<br />

154<br />

SCHLUSS<br />

Stereotypen, das >dem Islam< und >den Muslimen< eine Sündenbockfunktion<br />

zuweisen. Die Kulturalisierung gesellschaftlicher<br />

Missstände dient der Täter-Opfer-Umkehr: Gesellschaftliche Widersprüche<br />

werden entpolitisiert, indem sie ethnisiert werden.<br />

Damit wird der politisch-gesellschaftliche Kontext von Missständen<br />

(im Zusammenhang mit Bildung und Integration beispielsweise)<br />

entsorgt und die Ursache in der >Kultur< von Eingewanderten<br />

gesucht, die zunehmend als >muslimische< problematisiert<br />

wird. Darüber hinaus werden >eigene< >innere< Brüche, Widersprüche<br />

und Kontingenz aufzulösen versucht, indem störende<br />

Diskurse (etwa zu Antisemitismus, Homophobie oder Sexismus)<br />

gleichzei tig (verwässert) einver leibt und (dramatisierend) a usgegrenzt<br />

werden. Das hat den doppelten Effekt der Diffamierung jener<br />

Diskurse, die dem Selbstbild (als Wunschvorstellung) nicht<br />

entsprechen, sowie der Schwächung jedes einzelnen Diskurses<br />

durch Konkurrenz untereinander. Restriktive Einbürgerungspolitik<br />

etwa wird mit Hinweis auf sexistische, patriarchale und homophobe<br />

>Muslime< begründet, militärische Interventionen mit<br />

der Gefahr durch >Islamismus< oder >Islam< legitimiert etc. Derart<br />

werden Friedens-, Frauen- und andere Bewegungen einerseits<br />

und antirassistische Forderungen und Interventionen andererseits<br />

als Interessenskonflikte präsentiert. Die herrschende Politik geht<br />

indes gestärkt aus dieser Konkurrenz hervor: als Verteidigerin<br />

>westlich-emanzipativer< Werte.<br />

Die Gleichzeitigkeit marginalisierter Diskurse markiert im<br />

Kontext des Islamdiskurses zentrale gesellschaftliche Themenbereiche,<br />

mit denen sich hegemoniale, subkulturelle und marginalisierte<br />

Gruppen und Subjekte auseinandersetzen. Die Interdependenz<br />

der Diskurse und Praxen wird (immer noch) häufig zugunsten<br />

eines Hauptwiderspruchs vernachlässigt. Dies ist nicht nur<br />

identitätspolitischen Strategien oder ignoranten Selbstfixierungen<br />

geschuldet, sondern stellt auch einen Kampf um Aufmerksamkeit,<br />

Ausgleich und Räumen dar. Nicht zufällig finden Kämpfe zwischen<br />

marginalisierten Gruppen in den Nischen der Großstädte<br />

statt, in denen unterschiedliche marginalisierte Gruppen subkulturelle<br />

Orte geschaffen haben. Sie gehen mit identitätspolitischen<br />

Markierungen und Interventionen einher, die das Dilemma >kultureller<br />

Identität< in marginalisierten Kontexten veranschaulichen.<br />

Der Kampf um Selbstrepräsentation und eigene Räume läuft Gefahr,<br />

die Essenzialisierung zu bestätigen und damit andere auszu-<br />

155


DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

schließen, und zwar nicht nur jene >AnderenAnderenkulturellen Identität< entgegenarbeiten und sie schwächen.<br />

Damit beugen sie Tendenzen vor, selbst zu hegemonialen Diskursen<br />

zu werden. In Berlin/Kreuzberg sind Erzieherinnen mit Kopftuch<br />

neben lesbischen Feministinnen und lesbischen feministischen<br />

bedeckten Erzieherinnen anzutreffen. Derzeit haben dort<br />

staatliche Schwimmhallen ihr Angebot probeweise auch für Gäste<br />

in >islamischer Bademode< geöffnet. Diese Verschie<strong>bu</strong>ng des Islamdiskurses<br />

in Verbindung mit dem Geschlechterdiskurs geht<br />

mit einer Verschie<strong>bu</strong>ng in religiösen Kontexten einher. Ebenfalls<br />

in Berlin scheint sich gegenwärtig eine Initiative durchzusetzen,<br />

die (auch islamischen) Religionsunterricht gegenüber einem gemeinsamen<br />

überkonfessionellen, ethisch ausgerichteten Unterricht<br />

favorisiert. Der Islam wird hier wieder in >das Eigene< hereingeholt,<br />

um die eigene Selbstsetzung als religiös und demokratisch<br />

nicht zu gefährden. Indem die marginalisierte Religion integriert<br />

wird, wird die Bedeutung von Religion bestätigt. Da dies nach eigenem<br />

Vorbild und Vorgaben geschieht, bedroht die Integration<br />

>der fremden Religion< >das Eigene< nicht. Die Islamisierung von<br />

Migrantlnnen hat derart auch Effekte für >das Eigeneeigenen< Themen ab. Neben sozialer Ungleichheit<br />

und ökonomischer Ausbeutung, Umgang mit Nationalsozialismus<br />

und Antisemitismus, mit Kolonialismus und internationaler<br />

Arbeitsteilung, gender und queer, ist dies auch die zunehmende<br />

religiöse Selbstrepräsentation, wovon Debatten über > Leitkultur<<br />

und christlicher Prägung des Grundgesetzes nur zu deutlich<br />

zeugen.<br />

156<br />

Anhang<br />

Einige Zitate sollen die Breite hegemonialer Orient- und IslamBilder<br />

veranschaulichen. Sie sind chronologisch geordnet und reichen<br />

bis ins 16. Jahrhundert zurück. Am Ende sind zwei längere<br />

Auszüge aktueller kirchlicher Argumentationen angefügt. Die Zitate<br />

sind teilweise kritischer Sekundärliteratur entnommen; dort<br />

können weitere Quellen und ihre Kontextualisierung sowie Analysen<br />

nachgelesen werden.<br />

»Aleppo-Seife >SheherazadeOrientak Lassen Sie sich entführen in die Welt aus Tausend und einer<br />

Nacht. Die orientalische Duftkombination aus Patchouli, Jasmin und<br />

Sandelholz, Bergamotte- und Orangenöl betört Ihre Sinne.« (Waschbärder<br />

Umweltversand, Frühjahr/Sommer 2009: 158 bzw.160).<br />

»Die säkulare Türkei wird sich wieder ärgern, wie sich ihr Land international<br />

präsentiert. Denn alle Damen außer Emine Hanim [gemeint ist<br />

Emine Erdogan, türkische First Lady, I. A.l tragen ihr Haar offen. Nicht<br />

nur die europäischen Politikergattinnen, sondern auch die jordanische<br />

Königin, Frau Assad oder die Damen vom Golf denken gar nicht daran,<br />

sich züchtig zu bedecken. In der Runde wird Emine deshalb wieder aussehen<br />

wie das Aschenputtel vom Land - ein Graus für die moderne türkische<br />

Frau.« (Jürgen GottschIich in die tageszeitung, 9. Januar 2009).<br />

»Aber ich will keinen Muezzinruf von einem Minarett in der Nähe und<br />

weder Burka-Vermummte noch Tschador-Verhüllte auf den Straßen!<br />

Ich beharre auf einer Lebensform, die die meine ist und die in vielerlei<br />

157


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Hinsicht mit der muslimischen nicht übereinstimmt. Und ich will das<br />

sagen dürfen, auch jeder Kopftuchträgerin, dass sie damit heute ein politisches<br />

Zeichen setzt und das genau weiß.« (Ralph Giordano in Erinnerungen<br />

(2008), zit. n. Brumlik 2008: 236).<br />

»Das Kopf tuch ist das Zeichen, das die Frauen zu den anderen, zu Menschen<br />

zweiter Klasse macht. Als Symbol ist es eine Art >Brandingprimitiven NaturmenschenNasserismus< der 60er, sondern vom europäischen<br />

Faschismus der 30er Jahre inspiriert. Bis 1951 waren ihre Kampagnen<br />

nicht antikolonial, sondern antijüdisch orientiert. [ ... ] Hunger, Unterdrückung<br />

und Unterentwicklung können der Nährboden für einen Ter-<br />

158<br />

ANHANG<br />

rorismus der Verzweiflung sein. Beim Islamismus der al-Qaida oder der<br />

Hamas haben wir es aber nicht mit Verzweifelten zu tun, die spontan<br />

auf unmittelbare ökonomische Zwangslagen reagieren. Hier agieren<br />

Weltanschauungskrieger, Menschen mit einem rigorosen ideologischen<br />

Programm.« »Während Nazis und Islamisten sich zumindest in der<br />

lautstarken Artikulation ihres eliminatorischen Antisemitismus einig<br />

sind, ist es die extrem manichäische und somit zumindest implizite antisemitische<br />

Denkform, die das Gros der Antiglobalisierungsbewegung<br />

mit dem faschistisch orientierten Antizionismus vereint.« (Mathias Künzel,<br />

Politikwissenschaftler, in Djihad und Judenhaß (2003: 10 f. bzw. 143);<br />

vgl. kritisch Flores 2008).<br />

»Die Staats- und Glaubensordnungen des Islam und des Westens stehen<br />

sich in einer so konsequenten Gegensätzlichkeit gegenüber, dass [ ... ] im<br />

direkten Konflikt das jeweilige Überleben nur durch die jeweilige Verdrängung<br />

der Antikomponente sichergestellt werden kann.« (Hans-Peter<br />

Raddatz, Publizist und >IslamexperteUngläubigen< zu Allah zu bekehren, dem<br />

stand bei seinem Tode ein herrliches Paradies offen, ein reich bewässerter,<br />

schattiger Garten, in dem ewig Frühling herrschte. [ ... ] Ist das verstaubte<br />

Geschichte, was wir hier über den Islam lernen? Sicherlich nicht.<br />

Der Islam ist eine der Weltreligionen. Es gibt inzwischen mehr als eine<br />

Milliarde Menschen, die sich zu dieser Lehre bekennen, und mehr als<br />

1,5 Millionen von ihnen leben unter uns. Dies sind vor allem türkische<br />

Gastarbeiter und ihre Familien. Vielleicht gibt es auch in deiner Klasse<br />

Schüler oder Schülerinnen, die Moslems sind. [ ... ] Arbeitsvorschläge: 1.<br />

Überlege bitte einmal, welche Probleme ein gläubiger Anhänger des Islam<br />

haben könnte, der als Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland<br />

lebt und arbeitet. Bedenke die Vorschriften Mohammeds (Gebet,<br />

159


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Feiertag)!« (Islam - die Religion der Mohammedaner, Die Reise in die Vergangenheit,<br />

westermann-Schul<strong>bu</strong>ch, 1995).<br />

»Sehr anders wäre das mit den Türken. Sie gehören einem Kulturkreis<br />

an, der mit dem unseren vor und nach Prinz Eugen nichts gemein hat.«<br />

(Rudolf Augstein, Der Spiegel, 23/1993).<br />

»Die nachfolgende Geschichte ist mitten in Deutschland passiert. In<br />

Köln. Eine Frau ruft einen Notarzt. Der ist Moslem. Ihr fast tödliches<br />

Pech.« (EMMA 8/9, 1993).<br />

»Ich komme aus einem Land, wo man auf Kamelen reitet, wo man dir<br />

das Ohr abschneidet, wenn man dein Gesicht nicht mag. Es ist barbarisch,<br />

o.k., aber es ist mein Heimatland.« (Disneyfilm Aladdin (1992);<br />

zit. n. Sardar 2002: 150).<br />

»Nicht nur rassistisch oder faschistisch angehauchte Franzosen blicken<br />

mit bösen Ahnungen auf die Bildung einer massiven exotischen Bevölkerungsgruppe<br />

im eigenen Land, die weniger aufgrund ihrer maghrebinischen<br />

Merkmale als infolge ihres kompromißlosen religiösen Engagements<br />

im Sinnes des Korans weder integrierbar noch assimilierbar ist.«<br />

(Peter Scholl-Latour, Bestsellerautor und >Nahostexperte


DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

»Und allen denen, die eine lange Fortdauer des Friedens wünschen, sei<br />

gesagt, daß das Deutsche Reich, jetzt 40 Jahre lang seine Friedensliebe<br />

beweisend, nur einen Anlaß zum Angriffskriege haben kann, dann,<br />

wenn seine Grenzen zu enge geworden sind und wir Land haben müssen<br />

für unsere Volkszahl; wenn unser Landhunger dann nicht befriedigt<br />

wird, müßte das Schwert helfen. Not bricht Eisen. Wer uns heute dazu<br />

hilft, in Marokko ein Siedlungsgebiet für unseren Bevölkerungs-Überschuß<br />

zu bereiten und auszubauen, schafft die sicherste Gewähr dafür,<br />

daß in absehbarer Zeit die Welt vom deutschen Volke keinen Angriffskrieg<br />

zu befürchten hat.« (Heinrich Claß, in Westmarokko deutsch, München<br />

1911, S. 29 zit. n. Gründer 1999: 196)<br />

»Das deutsche Volks-Interesse an Marokko finden wir darin, daß<br />

1. das deutsche Volk Neuland für seinen Bevölkerungsüberschuß<br />

braucht, daß als solches Volksbesiedlungs-Gebiet nur Marokko in Betracht<br />

kommt und daß es nach maßgeblichen Urteilen hierzu geeignet<br />

ist;<br />

2. die deutsche Flotte Stützpunkte, Kohlen- und Kabel-Stationen<br />

braucht, und daß die atlantische Küste nach maßgeblichen Urteilen<br />

hierzu sehr wohl geeignet ist;<br />

3. daß wir, um vom Ausland unabhängig zu werden, eigenen Baumwollanbau<br />

treiben müssen, und daß Marokko sehr wohl hierzu geeignet<br />

ist;<br />

4. daß wir, um vom Ausland unabhängig zu werden, neue Erz-Lager erwerben<br />

müssen, und daß solche in Marokko zu finden sind;<br />

5. daß unserer Ausfuhr bei dem sich stets verengernden Weltmarkt<br />

neue Absatzgebiete bei Zeiten eröffnet werden müssen, und daß Marokko<br />

hierzu nach den vorhandenen· Angängen sehr wohl in Betracht<br />

kommt.« (Heinrich Claß, Zur marokkanischen Frage, in Alldeutsche Blätter,<br />

14. Jg., Nr. 25 vom 18. Juni 1904, zit. n. Gründer 1999: 191).<br />

»Laßt uns in christlicher Barmherzigkeit jede nur mögliche Nachsicht<br />

üben gegenüber den moralischen und geistigen Mängeln der Ägypter<br />

und alles tun, um sie auf den rechten Weg zu bringen.« (Lord Cromer,<br />

Orientwissenschaftler und Kolonialist, in Modem Egypt (1908) zit. n.<br />

Kabbani 1993: 72).<br />

»Zwischen zwei Dingen haben wir nur die Wahl: Völkerdünger wie bisher<br />

zu sein oder Völkerbeherrscher zu werden. Daß unsere Sandbüchsen<br />

in Afrika verzweifelt wenig Wert haben, wird allmählich selbst von<br />

den Kolonialschwärmern zugegeben. [ ... ] Nur die Türkei kann das Indien<br />

Deutschlands werden. [ ... ] Der Sultan muß unser Freund bleiben,<br />

162<br />

ANHANG<br />

natürlich mit dem Hintergedanken, daß wir ihn >zum Fressen gern< haben.<br />

Zunächst freilich kann unsere Freundschaft völlig selbstlos sein.<br />

Wir helfen den Türken, Eisenbahnen und Häfen anzulegen. Wir suchen,<br />

eine Industrie bei ihnen zu erwecken. Wir stützen sie mit unserem Kredit.<br />

Wir liefern ihnen Schiffe und Kanonen samt den Offizieren, die ihnen<br />

das Manövrieren dieser Schiffe und das Richten dieser Geschütze<br />

beibringen. Wir leihen ihnen deutsche Beamte und deutsche Militärs,<br />

die die höchsten Stellen in der Zivil- und Militärverwaltung besetzen,<br />

zunächst natürlich zum Nutzen des türkischen Reichs. Der >kranke<br />

Mann< wird gesund gemacht, so gründlich kuriert, daß er, wenn er aus<br />

dem Genesungsschlaf erwacht, nicht mehr zum Wiedererkennen ist.<br />

Man möchte meinen, er sehe ordentlich blond, blauäugig germanisch<br />

aus. Durch unsere liebende Umarmung haben wir ihm soviel deutsche<br />

Säfte einfiltriert, daß er kaum noch von einem Deutschen zu unterscheiden<br />

ist. So können und wollen wir die Erben der Türkei werden, von ihr<br />

selbst dazu eingesetzt. Wir pflegen den Erblasser getreulichst bis zu seinem<br />

Tod. Selbst nach seinem tatsächlichen Verscheiden wollen wir ihnen<br />

als einen scheinbar Lebenden behandeln. Die äußeren Formen sollen<br />

dieselben bleiben. Die Sultane sollen genauso regieren, wie der Bey<br />

von Tunis noch heute unter französischem oder der Khedive von Ägypten<br />

unter englischem Schutz regiert. Den Schein der Macht lassen wir<br />

ruhig den andern, wenn wir die Macht selbst haben. Ein reiches Erbe<br />

steht uns bevor. Die Türkei bietet unendliche Absatzgebiete für deutsche<br />

Industrie und deutsches Kapital, aber auch für landwirtschaftliche<br />

Ansiedler. Das Osmanische Volk stellt die besten Untertanen, die sich<br />

ein Staat wünschen kann.« (Welt am Sonntag vom 21.11.1898, zit. n.<br />

Gründer 1999: 210)<br />

»>Du hast recht darin, daß der Islam seine Anhänger knechtet und verdüstert,<br />

während das Christentum die Religion der Freiheit und der Liebe<br />

ist. [ ... ] Und indem du dich und dein Inneres geschildert hast, hast<br />

du mit packender Treue den denkenden Muslim überhaupt gezeichnet.<br />

Hier Licht - dort Dunkel; hier Liebe - dort Bedrückung; hier Recht -<br />

dort Unrecht; hier Freiheit - dort Knechtschaft!< Halef bekennt: >Anstatt<br />

dich, wie es mein fester Wille war, zum Islam zu bekehren, habe ich<br />

mich von dir zu Isa Ben Marryam (Jesus, Mariens Sohn) führen lassen<br />

und sehe ein, daß ich dadurch geworden bin, was ich zu sein glaubte,<br />

aber doch nicht war, nämlich von ganzem Herzen glücklich!«< (Karl<br />

May, Bei den Trümmern von Babyion (um 1890), zit. n. Hofmann/Vorbichler<br />

1979: 34).<br />

163


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

»>Sie nannte ihren Mann Herr und Gebieter, während sie den ihrer<br />

(christlichen) Freundin als Gemahl bezeichnet. Das beleuchtet die Stellung<br />

des christlichen und mohammedanischen Weibes auf das vortrefflichste.<<br />

Zwar liebte er sie und den gemeinsamen Sohn, aber er ist hart<br />

und grausam; erst als er selbst zum Christentum innerlich bekehrt war,<br />

behandelte >er sein Weib mit einer Zartheit und Aufmerksamkeit [ ... ],<br />

die seinem früheren Wesen ferngelegen hatte.«< (Karl May, Sand des<br />

Verderbens (um 1890), zit. n. Hofmann/Vorbichler 1979: 163 f.).<br />

»Herrliche Städte, einst bevölkert von geschäftigen Menschen und geschmückt<br />

mit Tempeln und Gebäuden, wahre Weltwunder, sind jetzt<br />

leer und verlassen oder durch Mißwirtschaft und die Barbarei der muslimischen<br />

Weltanschauung heruntergekommen zu einem Zustand, der<br />

nicht anders ist als der der wilden Tiere, die vor ihren Toren leben. Oft<br />

habe ich sie lange betrachtet, bis mir das Herz brach.« (David Roberts,<br />

Orientmaler aus dem 19. Jahrhundert, zit. n. Kabbani 1993: 28).<br />

»Der moslemische Harem ist eine große Schule für diese >lesbische LiebeÜbersetzer< von The Book of the Thousand Nights<br />

and a Night (1885) sowie Soldat im kolonialen Indien und Verfasser von<br />

Sach- und Reisetexten, zit. n. Kabbani 1993: 87).<br />

»Und das ist der Kayf des Arabers: Geschmack an der animalischen Existenz;<br />

der passive Genuß der reinen Sinne; die angenehme Schwüle, die<br />

träumerische Ruhe, der luftige Schloßbau, die in Asien die Stelle des tatkräftigen,<br />

intensiven, leidenschaftlichen Lebens, das in Europa herrscht,<br />

einnehmen. All das ist das Resultat einer nachgiebigen, auffällig reizbaren<br />

Natur und einer außergewöhnlichen Sensibilität der Nerven; es<br />

zeigt eine Wollust, die den nördlichen Regionen fremd ist, wo das<br />

Glück in der Ausü<strong>bu</strong>ng von geistigen und physischen Kräften besteht.«<br />

(Richard Burton (1855), zit. n. Kabbani 1993: 89).<br />

»Die Frauen Ägyptens sind, was ihre Gefühle betrifft, von Natur aus die<br />

zügellosesten von allen Geschöpfen weiblichen Geschlechts, die Anspruch<br />

darauf erheben, als Mitglieder eines zivilisierten Landes betrachtet<br />

zu werden [ ... ] Welche Freiheit sie auch immer genießen, viele mißbrauchen<br />

sie, wie ich gehört habe; und die meisten gelten so lange als<br />

gefährlich, solange sie nicht hinter Schloß und Riegel sind [ ... ] Man<br />

164<br />

ANHANG<br />

glaubt, daß sie in der Beherrschung der Intrige einen Grad an Verschlagenheit<br />

besitzen, gegen den sich auch der achtsamste und vorsichtigste<br />

Ehemann nicht zu schützen weiß [ ... ] einige Erzählungen aus 1001<br />

Nacht geben ein glaubwürdiges Bild von Ereignissen, die in der modernen<br />

Metropole Ägyptens nicht selten vorkommen [ ... ] Die vornehmsten<br />

Frauen nennen Dinge beim Namen und sprechen von Themen, die viele<br />

Prostituierte in unserem Land wahrscheinlich niemals erwähnen würden.«<br />

(E.W. Lane, Herausgeber und >Übersetzer< der Märchen aus 1001<br />

Nacht als Arabian Nights, die er historisch und soziologisch einrahmt;<br />

hier in Manners and Customs of the Modern Egyptians (1836), zit. n. Kabbani<br />

1993: 86).<br />

»C-A-F-F-E-E trink nicht so viel Kaffee,<br />

nicht für Kinder ist der Türkentrank,<br />

schwächt die Nerven,<br />

macht dich blass und krank.<br />

Sei doch kein Muselmann,<br />

der das nicht lassen kann.«<br />

(Carl Gottlieb Hering, Lehrer und Komponist, Kanon um 1800, bekannt<br />

auch durch Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp und Morgen, Kinder,<br />

wird's was geben).<br />

»>Mit einem Wort, du musst heute in den Harem.<<br />

>In den Harem? Glaubst du alter Mohrkopf, eine türkische Sklavin vor<br />

dir zu haben, die bei deinen Befehlen zittert? Oh, da irrst du dich. Europäischen<br />

Mädchen begegnet man ganz anders.«<<br />

(Mozart, Die Entführung aus dem Serail, 1782).<br />

»Die Scham erlaubt es mir nicht, über alles zu berichten, was sich zwischen<br />

diesen Frauen und ihren Negern abspielte; soviel nur: Schahzenan<br />

sah genug, um zu wissen, daß sein Bruder nicht weniger zu bedauern<br />

war als er selbst.« (Antoine Galland, erster Herausgeber und >Übersetzer<<br />

der Märchen aus 1001 Nacht in Les Milles et une nuites (1704), zit. n.<br />

Kabbani 1993: 51).<br />

»denn der Türke ist der Mann, der dich lernen wird, was di izt für gute<br />

Zeit hast und wie jämerlich undankbarkich, böslich du si wider Gott,<br />

seine Diener und deine Nächsten zugebracht, versäumet und missebrauchet<br />

hast.« (Luther, zit. n. Spohn 1993: 39).<br />

»Es gibt unter dem Himmel keine schimpflichere, grausamere und frechere<br />

Bösewichter als die Türken, welche kein Alter und Geschlecht<br />

165


DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

schonen und ohne Barmherzigkeit Jünglinge und Greise niedermetzeln<br />

und die aus dem Schoß der Mütter noch unreife Frucht herausreißen.«<br />

(aus einer Rede des Bischofs Fabri (1536-1541), zit. n. Spohn 1993: 24).<br />

»Ein türkischer Reiter durchbohrt ein Kind mit der Lanze, ein zweiter<br />

Türke schlägt ein Neugeborenes, das er an den Beinen hält, mit dem<br />

Schwert in der Mitte auseinander, und auf einem mit spitzen Pfählen<br />

versehenen Holzzaun im Hintergrund sind aufgespießte Säuglinge zu<br />

sehen.« (aus einem fingierten Brief auf einem Propagandaflugblatt der<br />

Kirche, 16. Jahrhundert, zit. n. Spohn 1993: 23).<br />

Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in<br />

Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD, herausgegeben<br />

vom Kirchenamt der Evangelischen Kirchen in Deutschland,<br />

Hannover 2006:<br />

»Auch Menschen, die vom dreieinigen Gott reden, können diese Wahrheit<br />

weder besitzen noch über sie verfügen. Sie bleiben Sünder, die darauf<br />

angewiesen sind, dass diese Wahrheit sie von Sünde und Schuld frei<br />

macht. Zu anderen Menschen - also auch Muslimen -, die von dieser<br />

Wahrheit nicht berührt sind, reden sie von dem Gott, der sündige Menschen<br />

rechtfertigt, in der Erwartung, dass Gott auch ihnen die Gewissheit<br />

ihrer Rechtfertigung durch seine Gnade schenkt. Solche Gewissheit<br />

kann weder durch Taktik noch Überredung erzwungen werden. Die<br />

christliche Gemeinde begegnet Menschen, die solche Gewissheit nicht<br />

haben, darum mit der Bitte und Einladung, sich auch mit Gott versöhnen<br />

zu lassen (vgl. 2. Kor. 5,20). Einladung und Bitten sind die Grundformen<br />

christlicher Mission, der unduldsamer Zwang fremd ist. Gott<br />

selbst offenbart sich Menschen in Liebe und nicht mit der Gewalt göttlicher<br />

Übermacht. Er begegnet Menschen werbend, indem er ihnen Zeit<br />

und Raum gibt, sein Wort zu hören und sich von seinem Geist anrühren<br />

zu lassen. Darum lässt die christliche Mission auch in der Begegnung<br />

mit Muslimen Raum zur eigenen Entscheidung für oder gegen Gottes<br />

Wahrheit. Sie vertraut darauf, dass Gottes Geist Menschen befähigt, seine<br />

Liebe von allen ihren menschlichen, von Irrtum bedrohten Darstellungen<br />

zu unterscheiden.« (16)<br />

»Die Glaubensgewissheit an den dreieinigen Gott leitet die evangelische<br />

Kirche auch, wenn sie die Begegnung mit Muslimen sucht. [ ... ] Während<br />

Christen andere Menschen zu der Anerkennung der Wahrheit des<br />

dreieinigen Gottes werbend einladen, präsentieren andere Religionen<br />

166<br />

ANHANG<br />

einen anderen Entwurf ihrer Gotteserfahrung und Gottesverehrung.<br />

Gott duldet das, indem er den Religionen, die seiner Zuwendung zu<br />

uns Menschen in Jesus Christus widersprechen, Raum und Zeit gibt, um<br />

seine Liebe kennen zu lernen. Bezeugt die evangelische Kirche diesen<br />

Gott den Menschen einer anderen Religion wie dem Islam, dann darf sie<br />

Gottes Geduld nicht durch die Anwendung von Zwang in Frage stellen.<br />

Intoleranz und Ungeduld im Reden und Handeln einer christlichen Kirche<br />

schaden der Glaubwürdigkeit der Wahrheit. Wahrhafte Toleranz<br />

gedeiht nach evangelischer Überzeugung nur im Vertrauen auf die konkrete<br />

Wahrheit Gottes, nicht durch ihre Verleugnung. Auf dieser geistlichen<br />

und geistigen Toleranz gründet die Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit<br />

der evangelischen Kirche mit Muslimen.« (17)<br />

»So wertvoll die Entdeckung von Gemeinsamkeiten im christlichen und<br />

muslimischen Glauben ist, so deutlich werden bei genauerer Betrachtung<br />

die Differenzen. Die Feststellung des >Glaubens an den einen Gott<<br />

trägt nicht sehr weit. Der Islam geht von einem eigenen Glauben und<br />

Gottesbild aus, auch wenn er auf die Bibel und ihre Lehren verweist.<br />

Deren Darstellungen ordnet er seiner neuen Lehre unter, die weder die<br />

Trinitätslehre noch das Christusbekenntnis und die christliche Heilslehre<br />

kennt.« (18)<br />

Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen. Regens<strong>bu</strong>rger<br />

Rede des Papstes Benedikt XVI., 2006:<br />

»Ohne sich auf Einzelheiten [ ... ] einzulassen, wendet er [Kaiser Manuel<br />

IIi LA.] sich in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer<br />

Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion<br />

und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: >Zeig<br />

mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur<br />

Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat,<br />

den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

»Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der<br />

Evangelist. Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des<br />

griechischen Denkens war kein Zufall.« (3)<br />

»Dieses hier angedeutete Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem<br />

Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen<br />

hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern auch welthistorisch<br />

entscheidender Vorgang, der uns auch heute in die Pflicht nimmt.<br />

Wenn man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, daß das<br />

Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im<br />

Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa<br />

gefunden hat. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu<br />

der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und<br />

bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.«<br />

(4)<br />

»Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden<br />

Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen<br />

Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre<br />

Größe - das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben<br />

verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. >Nicht vernunftgemäß,<br />

nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider


DIE »WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Balibar, Etienne (1990): »Gibt es einen >Neo-Rassismus


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Eheschließungen der zweiten Migrantengeneration<br />

türkischer Herkunft, Würz<strong>bu</strong>rg: Ergon<br />

181


DIE "WESTLICHE KULTUR« UND IHR ANDERES<br />

Taylor, Charles (1993): Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung,<br />

Frankfurt/M.: Fischer<br />

Tietze, Nikola (2001): Islamische Identitäten. Formen muslimischer Religiosität<br />

junger Männer in Deutschland und Frankreich, Ham<strong>bu</strong>rg:<br />

Ham<strong>bu</strong>rger Institut für Sozialforschung<br />

Dies. (2006): »Ausgrenzung als Erfahrung. Islamisierung des<br />

Selbst als Sinnkonstruktion in der Prekarität«. In: Heinz Bude/<br />

Andreas Willisch (Hg.), Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte,<br />

Entbehrliche, Überflüssige, Ham<strong>bu</strong>rg: Ham<strong>bu</strong>rger Edition,<br />

S.147-173<br />

Turner, Bryan Stanley (1974): Weber and Islam, London u.a.: Routledge<br />

& Kegan<br />

Ders. (1978): Marx and the end of Orientalism, London u.a.: Allen &<br />

Unwin<br />

Ders. (1994): Orientalism, Postmodernism, and Globalism, London<br />

u.a.: Routledge<br />

Ueckmann, Natascha (2001): Frauen und Orientalismus. Reisetexte<br />

jranzösisch-sprachiger Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts,<br />

Stuttgart: Metzler<br />

Dies. (2007): »Gebrochene Bilder: Die Autorin Annemarie Schwarzenbach<br />

im >Orient


Woltgang W. Müller (Hg.)<br />

Christentum und Islam<br />

Plädoyer tür den Dialog<br />

ED ITI ON N Z N<br />

BEI T V Z<br />

Theologischer Verlag Zürich


Samuf/-Marrin B.h/ou/<br />

Islam-Diskurs nach 9/11. Die Mutter aller<br />

Diskurse?<br />

Zur Interdependenz von Religionsdiskurs und<br />

Religionsverständnis<br />

1 Einleitende Überlegungen<br />

Unter den M ediävisten ist es umstritten, ob Europa bereits im Mittelalter<br />

im Sinne einer historisch-politischen und kulturellen Einheit<br />

im Bewusstsein seiner Bewohner existierte. Für Peter Burke kann<br />

beispielsweise vor 1700 keine Rede von einem gesamteuropäischen<br />

Be'WUSStsein im Sinne einer Wertegemeinschaft sein. Vielmehr sei<br />

Europa, so Burke, «not so much a place as an idea»l gewesen. So<br />

gesehen sei Europa also weder ein geographisch noch politisch klar<br />

bestimmter Raum, sondern entsprechend sich jeweils neu stellenden<br />

Interessenlagen immer wieder neu und anders definiert. 2<br />

Der renommierte französische Mediävist Le Goff stellt hingegen<br />

mit grosser Affirmativität fest, dass Europa bereits in der Spätantike<br />

aus der Begegnung griechisch-römischer Kultur und dem lateinischen<br />

Christentum geboren wurde. Byzanz sei dabei das , abstoßende<br />

Andere»' gewesen, gegen das sich das lateinische Abendland<br />

als Europa gebildet habe. Spätestens bis zum runfzehnten Jahrhun­<br />

dert - so Le Goffs Resümee - sei der europäische Raum in soziokultureller<br />

und religiöser Hinsicht formiert gewesen. 4<br />

BItTlet. Europc 21 .<br />

2 Vgl. ebd. 23.<br />

3 Le Goff, Ge<strong>bu</strong>rt 44.<br />

4 Vgl. ,bd. 262f.<br />

229


Sprachlosigkeit und Lähmung, die der 9/11 auslöste, ein als drin­<br />

gend und auf einmal als längst überf.illig empfundenes Bedürfnis<br />

nach Einordnungen. Klarstellungen und Antworten folgte.<br />

Eine der Fragen. der im Kontext dieser neuen Diskursformation<br />

besonderes Interesse eines breiten Spektrums von Fachleuten -<br />

von Soziologen, Theologen, Islam- und Religionswissenschaftlern<br />

bis hin zu Hirnforschern und Sicherheitsexperten - gilt. ist die<br />

nach der Rolle von Religion, insbesondere des Islam, in der neu<br />

entstandenen Konflikdage und ihrem angeblich religiös-kulturell<br />

definierten Frontverlauf.9<br />

Die Besonderheit des Islam-Diskurses der post-9/11-Ära besteht<br />

nicht nur in seiner Intensität, sondern vor allem in seinem totalisierenden<br />

Charakter. 10 Die sogenannte Islam-Frage im heutigen<br />

Westeuropa ist nicht nur eine Frage akademischer Diskurse. Sie<br />

umfasst vielmehr praktisch alle gesellschaftsrelevanten Themen.<br />

Der Einwanderungs- und Integrationsdiskurs, interreligiöse Dialogprojekte,<br />

der Diskurs über die religiöse Erziehung von Kindern,<br />

über die Einbürgerung, über die Bestimmung des Verhältnisses von<br />

Religion und Staat, über die Freiheit der Kunst, über das religiös­<br />

kulturelle Erbe und die Identität Europas, über die architektonische<br />

Gestalrung des öffendichen Raumes und nicht zuletzt der Diskurs<br />

über die Sicherheitsfragen - alle diese Einzeldiskurse sind in der<br />

Zeit nach 9/11 mit der sogenannten Islam-Frage verschränkt. Diese<br />

Frage ist in Westeuropa in besonderem Masse an die Einwanderer<br />

aus mehrheidich islamisch geprägten Gesellschaften und deren<br />

Nachkommen gerichtet. Jeder westliche Staat hat zwar seinen eige­<br />

nen Islam-Diskurs. Bei aller Unterschiedlichkeit und Gewichtung<br />

von einzelnen Themen vermitteln alle diese Diskurse den Ein­<br />

druck eines SystemkonHiktes zwischen den zwei in sich normativ<br />

geschlossenen Blöcken.<br />

9 V gl. Huntington, Clash.<br />

10 Vgl. &hloul, Soci''Y 278f.<br />

232<br />

Haben die Terroranschläge des 9/11 einen Diskurs ausgelöst,<br />

den man in Anlehnung an Baudrillards Dikrum als die Mutt


Kausalzusammenhang von Rationalität einer Religion und wissenschaftlich-kultureller<br />

Blüre einer Gesellschaft hervorgehoben. Die<br />

Tatsache einer sowohl militärisch-politischen als auch wissenschaftlich-kulturellen<br />

Unterlegenheit von Byzanz gegenüber dem Islamischen<br />

Reich wurde ursächlich auf die Bekehrung der Byzantiner<br />

zum Christentum zurückgeführt. Als Nachkommen alter Griechen,<br />

so nämlich das Kemargumenc. haben die Byzantiner durch die<br />

Übernahme des Christentums, einer irrationalen Religion. dem<br />

grossartigen wissenschaftlichen Erbe ihrer griechischen Vorfahren<br />

endgültig den Rücken gekehrt. Sehr ausdrücklich formuliert der<br />

Gelehrte al-Gahis (gest. 868) seinen gegen das Christentum gerichteren<br />

Vorwurf des Irrationalismus. In seinem Werk Kirab al-Ahbar<br />

beschreibt er die Byzantiner zunächst als ein Volk grosser wissenschaftlicher<br />

Leistungen. um sich dann verwundert zu fragen, wie<br />

es denn möglich sei. dass solch ein Volk sich ausgerechnet dem<br />

Christentum zuwenden konnte:<br />

• .If we had not seen it wich our own eyes and heard it wirb our<br />

own c:ars, we would not consider it true. We would not belleve<br />

rbat a people of religious philosophers ( ... 1. ph)"icians. astronomers,<br />

diplomats, arithmeticians, secretaries and masters of cvery<br />

disdpHne could say mat a man who, as ehey themselves have seen,<br />

ate, drank, urinated, excreted. suffered hunger and thirst, dressed<br />

and undressed. gained and lost (weightl. who later. as they assume.<br />

was crucified and killed. is Lord and Creator and providential God.<br />

eternal and not newly created [ ... ]»Hl.<br />

Der in der frühabbasidischen Zeir postulierte Kausalzusammenhang<br />

zwischen dem wissenschaftlich-kulturellen Niedergang der<br />

Byzantiner und ihrer Annahme der christlichen Religion bildete<br />

in den nachfolgenden Jahrhunderten das zentrale Merkmal der<br />

Wahrnehmung des Byzanz durch die Brille muslimischer Gelehrter.<br />

Christen wurden allgemein als Peinde der Philosophie und<br />

des rationalen Denkens. Muslime hingegen - ob der behaupteten<br />

16 EIxI. 8Sf.<br />

238<br />

Rationalität ihrer Religion - als würdige Erben der griechischen<br />

Antike dargestellt.<br />

4 Historisches FaIlbeispie1 TI: Huma.nlJierung und Ethisierung<br />

d .. Rdigionsverständnissa<br />

Haben muslimische Gelehrte in der Ahbasidenzeit die Intoleranz<br />

des Christentums gegenüber wissenschaftlichem Denken exemplarisch<br />

arn politischen und kulturellen Niedergang sowie der<br />

Inferiorität von Byzanz gegenüber dem Islamischen Reich demonstriert,<br />

so kam es im neunzehnten Jahrhundert zu einer Umkehrung<br />

des Machtverhältnisses zwischen der islamisch-arabischen<br />

und der wesclichen Welt. Die koloniale Expansion Europas in die<br />

arabisch-islamische Welt offenbarte nämlich eine machtpolitische<br />

Verschie<strong>bu</strong>ng der Gewichte zugunsten von Europa. Dies legte<br />

Weichen fur ein neuartiges Diskursverhältnis. das hinsichtlich der<br />

Machverhältnisse bis heute andauen und auch Auswirkungen auf<br />

das Religionsverständnis hat.<br />

Wie bereits im 8. Jahrhundert. so wurde im 19. Jahrhundert das<br />

fast identische normative Schema angelegt. welches Christentum<br />

und Islam in ein kausales Verhältnis von Rationalität und Fortschritt<br />

bzw. von Irrationalität und Stagnation einbindet. Im direkten<br />

Vergleich mit der Zeit der Abbasiden war die islamische Welt ab<br />

jettt nicht mehr ein dominierendes. sondern ein dominiertes Element.<br />

Dieses neue Machtverhältnis erzwang die Formation eines<br />

neuen Diskursraumes zwischen westlicher und arabisch-islamischer<br />

Welt. Zum Kernmerkmal dieses neuen Diskurses wurde der vom<br />

Westen thematisch bestimmte und vorangetriebene Antagonismus<br />

von Aufklärung und Islam. Die Ideale der Aufklärung und der<br />

Französischen Revolution wurden zum neuen generelle Gültigkeit<br />

beanspruchenden normativen Massstab zur Verhälmisbestimmung<br />

zwischen Islam und dem Westen. Die Expansion europäischer<br />

Kolonialmächte - vor allem Frankreichs und Grossbritanniens -<br />

bedeutete fiir die arabisch-islamische Welt also nicht nur eine milicärisch-politische<br />

Herausforderung. Weit gtösser muss der kulturelle<br />

239


Druck gewesen sein, den die vom technischen und wissenschaftlieh-ideellen<br />

Fortschrittsoptimismus beflügelten Kolonialmäehte<br />

bewirkten.<br />

Wie haben arahiseh-muslimische Gelehrte und Intellektuelle<br />

auf diese neue geistig-ideelle Herausforderung teagiert? Zu welehern<br />

neuen Diskurs über Religion haben die erwähnten neuen<br />

soziokulturellen und gesellsehaftspolitisehen Rahmenbedingungen<br />

geführt, und wie hat sich dieser Diskurs auf das Religionsverständnis<br />

selbst ausgewirkt?<br />

4.1 Muhammad Abduh: Religion als Ekmentarbildungssystem des<br />

Humanismus und des Fortschritts<br />

Die wohl einflussreichste Gestalt unter den arabisch-islamischen<br />

Reformdenkern und Reformisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

war der ägyptisehe Gelehrte Muharnmad Abduh<br />

(1849-1905). Sein reformistisches Denken war vor allem antikolonialistisch<br />

motiviert. Obwohl von den Ideen der europäischen<br />

Aufklärung und der französisehen Revolution angetan, warf Abduh<br />

den europäisehen Kolonialmäehten Doppelmoral vor: Die Werte<br />

und die Errungenschaften der Aufklärung, auf die sie so stolz<br />

seien und die sie aussereuropäischen Vdlkern angeblich vermitteln<br />

wollten, rnaehten die Europäer nach Ansieht von Abduh durch<br />

ihre Kolonialpolitik selbst zunichte. I7<br />

Auffiillig an Muhammad Abduhs polemiseher Erwiderung auf<br />

die Dichotomisierung von Aufklärung und Islam seitens christlieher<br />

und allgemein europäiseher Gelehrter ist ilie Komplementarität<br />

naturrechdicher und religiöser Argumente. Der in der<br />

menschliehen Natur angelegte Drang naeh Freiheit und Unahhängigkeit<br />

werde dureh die islamisehe Religion zusätzlieh gefordert.<br />

Mensehliehe Natur und Islam seien in Harmonie miteinander<br />

ver<strong>bu</strong>nden und verstärkten sieh gegenseitig. Gemäss Abduh leiste<br />

die islamische Religion also. wie Meier es ausdrückt, «eine Art<br />

17 Vgl. Md". Anfttag 86.<br />

240<br />

,Elementarbildungssystem»>". Dies sowohl hinsiehtlieh des Ideals<br />

eines mündigen und selbstständigen muslimischen Individuums<br />

als aueh mit Blick auf den wissensehaliliehen Fortschritt des muslimischen<br />

Gemeinwesens. Gerade Letzteres. d. h. den Kausalzusammenhang<br />

zwischen der Vemunfrgemässheit der islamischen<br />

Religion und dem wissensehalilieh-technisehen Fortschritt der<br />

muslimisehen Gesellschaft betont Abduh in seiner polemisehen<br />

Erwiderung auf die Thesen von Farah Antun (1861-1922), einem<br />

damals in Kairo wirkenden sytiseh-ehrisiliehen Sehriftsteller. Dieser<br />

gründete in .Ägypten eine Zeitschrift (


gerade das Gegenteil sei der Fall. Zum Zeitpunkt seiner Rede<br />

konnte er nicht vermuten, dass nur wenige Monate später, ein<br />

ganzes Bataillon von zumeist amerikanisch-katholischen Deserteuren<br />

nahe Mexico-City gefangen genommen würde. In den<br />

amerikanischen Zeitungen war die Rede von der Fahnenflucht<br />

der .Romish soldier ... Die Nachuntersuchungen zu diesem Vorf.ill<br />

haben ergeben, dass es mexikanische Priester waren, welche die<br />

Soldaten zur Aufgabe überredeten."<br />

Portestanten in den USA betrachteten Katholiken als einen<br />

homogenen. von Rom aus ferngesteuerten und somit auch gegenüber<br />

der eigenen Heimat illoyalen Block. Dies geht auch aus der<br />

Bezeichnung .Romish soldiers» hervor. Dabei ging es aber nicht<br />

nur um die Loyalität auf dem Schlachtfeld. Gewiss, während dem<br />

Mexiko-Krieg galt die besondere Aufmerksamkeit der Frage, wie<br />

hoch die Bereitschaft der katholischen Soldaten in der amerikanischen<br />

Armee üherhaupt sei, fur die USA gegen ein katholisches<br />

Land zu kämpfen. Die Loyalitätsfrage bezog sich aber generell auf<br />

das Verhältnis der Katholiken gegenüber den Werten des Republikanismus.<br />

Ab 1830 bis ca. 1950 erlangte der Katholizismus<br />

im protestantischen Katholizismus-Diskurs den paradigmarischen<br />

Status als rdigiöse Antithese der Zivilgesellschaft und der ihr<br />

zugrunde liegenden Werte wie Toleranz und individuelle Freiheit.<br />

Gerade in den 1840er Jahren, die durch starke Migtantensträme<br />

von Katholiken aus Irland und Deutschland gekennzeichnet waren,<br />

verfestigte sich der Antikatholizismus-Diskurs in den USA zu einer<br />

theologisch und politisch motivierten Front gegen die Katholische<br />

Kirche und ihre Anhänger. Diese Front bestand, wie Pinheiro es<br />

hervorhebt. aus ((theological ami-Catholicism and political nativ­<br />

ism combined under the aegis of republicanism))60. Was diese<br />

heiden ideologischen Komponenten des Anti-Katholizismus verband,<br />

war die überzeugung, .that Roman Catholics could never<br />

be faithful citizens of the United States, because their allegiance<br />

59 Vgl. Pi"hriro, Religion 69.<br />

60 Ebd.74.<br />

254<br />

ro the Pope prevented them from fully supporting the existente<br />

of civil and religous liberty»". Katholische Priester wurden sogar<br />

verdächtigt, daran zu arbeiten, die Vereinigten Staaten Rom zu<br />

unterwerfen. 62<br />

5.3 Im SpannungsftU zwischm normativer Exklusion und zivilgesellschaftlicher<br />

PriIXis<br />

Die konfessiondie Definition von ZivilgeseUschm, welche zu<br />

einer normativen Exklusion von katholischen Einwanderern aus<br />

der amerikanischen Gesellschm fUhrte, wurde im Laufe der Zeit<br />

paradoxerweise zu einem Vehikel der Verbürgerlichung des KatllOlizismus<br />

innerhalb der amerikanischen Gesdlschm. Schon der<br />

biosse Diskurs über die angebliche Unvereinbarkeit von Republikanismus<br />

und Romanismus führte als Erstes zu der Anerkennung<br />

eines irreversiblen Faktums, der Tatsache nämlich, dass Katholizis­<br />

mus - zumindest faktisch - infolge der Einwanderung zu einem<br />

integralen Bestandteil der amerikanischen Gesdlschm wurde. Als<br />

Zweites haben Republikanismus und Disestahlishment als zentrale<br />

Elemente arnerikanischer GeseUschaft und der rur die protestantischen<br />

Kirchen in den USA charakteristische Kongtegationalismus,<br />

d.h. die volle Autonomie lokaler Kirchengemeinden, auch die<br />

Einwanderergemeinschafren entscheidend beeinflusst. McCarthy<br />

schreibt dazu:<br />

.One of the earmarks of republicanism was a deeply ingralned<br />

swpicion of centralized aumority. a suspicion that played out<br />

among Catholics in a drive fur loeal congregarional autonomy<br />

mat resembled mat of many Protestant denominations . .As in other<br />

seets, disestablishment encouraged a set of relations in which lay­<br />

men had a decisive hand in controlling parish aft3irs.»63<br />

61 Ebd.<br />

62 Vgl. HjgJutm, Stranger 28.<br />

63 McCarthy, Crccd 68.<br />

255


Der Protestantismus hatte somit einen entscheidenden Einfluss<br />

auf die, wie McCarthy es formuliert, «Iaity's vision of an American<br />

Catholic Church.".<br />

Und als Drittens motivkrte konfessionelle Exklusion zivilgesellschaftliches<br />

Engagement. Katholiken wurden diskursiv gezielt<br />

dazu gedrängt, durch philanthropisches Engagement - das ja ein<br />

wichtiges Element der amerikanischen ZivilgeseIlschaft darstellt -<br />

ihre Loyalität gegenüber der protestantisch dominierten Mehrheits­<br />

gesellschaft unter Beweis zu stellen und sich nicht zuletzt dadurch<br />

auch Bürgerrechte zu erkämpfen.<br />

Neue Organisationsstrukturen - auf freiwilliger Basis ins Leben<br />

gerufene nichtstaadiche und gemeinwohlorientierte Assoziationen­<br />

eröffneten neue Handlungsfeldet und -möglichkeiten, erweiterten<br />

soziale Grenzen zivilgesellschafrlicher Praxis und intensivierten Pro­<br />

zesse der Vetbürgerlichung von marginalisierten Gruppen. So ent­<br />

standen im Laufe des neunzchnren Jahrhunderts Laien- und Frau­<br />

enorganisationen innerhalb des katholischen Migrantenmillieus der<br />

USA mit wohltätiger Ausrichrung in der Öffentlichkeit, was ihnen<br />

eine schrittweise Integration in die prOtestantische Mehrheit und<br />

eine Verbesserung von Kommunikation mit dieser ermöglichte.<br />

Katholizismus in Amerika begann sich so, wie McCarthy es aus­<br />

drückt, «eloser in form to Protestant congregationalism than to the<br />

more cenrralized European Church. zu entwickeln und .provided<br />

laymen in loeal parisches with a substantial degree of conrrol over<br />

their religious properties and activities»6S.<br />

Man kann nun verblüffende Parallelen zwischen dem gegen­<br />

wärtigen Diskurs über den Islam als einer fundamentalistischen,<br />

anti-modernen und mit der Demokratie unvereinbaren Religion<br />

und dem vorher skizzierten vergangenen Diskurs über den Katho­<br />

lizismus feststellen. Dies soll am Beispiel des Islam-Diskurses in<br />

der Schweiz veranschaulicht werden.<br />

64 Ebd.<br />

65 Ebd.74.<br />

256<br />

6 Islam-Diskurs in der Schweiz<br />

Wie der Karholizismus damals in den USA, so wird auch der<br />

Islam im Kontext des wesreuropäischen Islam-Diskurses der posr-<br />

9/11-Ära in ein antagonistisches Verhältnis zu den vermeintlich<br />

unifizierenden Europäismen wie Aufklärung, Liberalismus und<br />

Zivilgeseilschaft gesetzt. Mag der Islam-Diskurs in den Ländern<br />

wie Frankreich, Grossbritannien. Holland oder der Schweiz poli­<br />

tisch jeweils unterschiedlich gelagert und thematisch verschieden<br />

besetzt sein, allen diesen Islam-Diskursen liegt dennoch dasselbe<br />

Reaktionsschema zugrunde: die Verteidigung der liberalen und<br />

toleranten Gesellschaft gegen die Gefahr fundamentalistisch-patri­<br />

archaler Sitten einer fremden, uneuropäischen Religion.<br />

Der totalisierende Charakter des Islam-Diskurses der post-9/11-<br />

Ära, den, wie zu Beginn gesagt, die Verschränkung mit praktisch<br />

allen gesellschafurelevanten Bereichen kennzeichnet, lässt sich gut<br />

am Beispiel der Schweiz konkrerisieren. Innerhalb weniger Jahre<br />

dominierte tlie sog. Islam-Frage in der Schweiz unterschiedliche<br />

Initiativen und Abstimmungen und hatte letztlich einen emschei:"<br />

denden Einfluss auf deren Ausgang. Hier einige Beispiele.<br />

Bei der kantonalen Abstimmung über die öffentlich-rechtliche<br />

Anerkennung von nichtchrisclichen Religionsgemeinschaften<br />

im Kanton Zürich im Jahr 2003 ging es weder primär noch<br />

ausschliesslich um den Islam. Als sich im Vorfeld der Abstim­<br />

mung in öffentlichen Umfragen eine Mehrheit zugunsten der<br />

Initiative abzeichnete, gelang es den Gegnern der Initiative,<br />

die gesamte Diskussion über die Abstimmung auf den Islam,<br />

bzw. auf die heraufbeschworene Gefahr der steuerlichen Unter­<br />

Stützung von Koranschulen zu reduzieren. Die Initiative wurde<br />

abgelchnt.<br />

Die Abstimmung über die erleich[erte Einbürgerung von<br />

Migranten der zweiten und der drinen Generation in der Schweiz<br />

2004 wurde zu einer Debarre über den Islam und die Muslime.<br />

Die Gegner der Initiative wiesen landesweit auf ihren Wahl­<br />

plakaten und in den Zeitungsinseraten auf die Gefahr hin, im Falle<br />

257


eines positiven Ausgangs der Abstimmung würden Muslime im<br />

Jahr 2040 siebzig Prozent der Schweizer Bevölkerung ausmachen.<br />

Die Islamisierung auch dieser Debatte trug entscheidend zu einer<br />

Ablehnung der Initiative bei. Bei den letzten Nationalratswahlen<br />

2007 bat die <strong>Schweizerische</strong> Volkspartei, gegenwärtig die stärkste<br />

politische Kraft in der Schweiz, auf ihren Wahlplakaten und bei<br />

den öffentlichen Auftritten, dm Islam als ein fremdes Phänomen<br />

normativ in ein antagonistisches Verhälmis zum Schweizer Werte­<br />

system gesetzt. Bei den Nationalratswahlen sollte es also um eine<br />

alternativlose Wahl zwischen Schweizer Werten auf der einen und<br />

Islamisierung auf der anderen Seite gehen.<br />

Zur Veranschaulichung hier drei Plakatbeispiele von den letzten<br />

Nationalratswahlen:<br />

258<br />

I :<br />

Foto: Samud M. Behloul, 2007.<br />

Beispiel 2:<br />

Beispiel 3:<br />

6.1 Historische Parallelen<br />

Baden oder Bagdad?<br />

Damit wir unsauctl In Zukunft heimisch filhlen:<br />

Andreas Glarner In den Nationalrati<br />

Grafik: Werner Laube, © Andreas A. Glarner, 2009.<br />

Aarau oder Ankara?<br />

Damit wir uns audl In ZLlkunftwahl fOhlen:<br />

Andreas Glarner in den Nlrtlonalrat!<br />

Grafik: Wernet Laube, @ Andreas A. Glarnet, 2009.<br />

6.1.1 Semantische Vergkichsebene<br />

Wie aus diesen veranschaulichten Beispielen hervorgeht, steht der<br />

Islam im öffentlichen Diskurs paradigmarisch rur ein fremdes,<br />

aussereuropäisches Phänomen und mithin auch für ein anderes,<br />

mit dem europäischen Wertesystem inkompatibles Wertesystem.<br />

In der Zeit nach 9/11 ist in den westlichen Gesellschaften ein<br />

259


zunehmendes Misstrauen, ja sogar ein Generalverdacht gegenüber<br />

Zuwanderern aus mehrheitlich islamisch geprägten Gesellschaften<br />

zu beobachten. Im Mittelpunkt det Auseinandersetzung<br />

um ihre Präsenz steht die Frage nach der Verträglichkeit des Islam<br />

mit der demokratischen und säkularen Rechtsstaatlichkeit westeuropäischer<br />

Gesellschaften. Dieser Diskurs weist starke Ähnlichkeiten<br />

sowohl mit dem Islam-Diskurs der Kolonialzeit als auch<br />

mit dem Katholizismus-Diskurs des neunzehnten Jahrhunderts in<br />

Europa und den USA auf. Dabei lassen sich die Parallelen zwi­<br />

schen diesen drei Diskursen zunächst auf rein semantischer Ebene<br />

feststellen.<br />

Wie bereits im neunzehnten Jahrhundert. so wird auch heute<br />

das Hauptproblern des Islam - jetzt nicht nur mit Blick auf die<br />

arabisch-islamische Welt, sondern - migrationsbedingt - insbesondere<br />

mit Blick auf die Zukunft Europas in seiner vermeintlichen<br />

UnBihigkeit zur klaren Trennung zwischen Staat und Religion<br />

gesehen. Dabei wird die Befütchtung geäussert und nicht selten<br />

auch die Gefahr heraufbeschworen, die zunehmende Präsenz von<br />

Muslimen in den westlichen Gesellschaften werde die in Europa<br />

mühsam erkämpfte säkulare Rechtsstaatlichkeit im Sinne der teligiösen<br />

Neutralität des Staates geflihrden.<br />

Wie der arnerikanische Katholizismus-Diskurs des neunzehnten<br />

Jahrhunderts. so ist auch der akruelle Islam-Diskurs mit dem<br />

Einwanderungs-Diskurs verschränkt. Entsprechend sind beide<br />

Diskurse durch normativ geladene Exklusionssemantiken gekennzeichnet.<br />

Stellten katholische Einwanderer aus Europa in den USA<br />

in der Mehrheitswahmehmung einen homogenen und normativ<br />

nicht dazugehörenden ftemden Block dar. so werden auch muslimische<br />

Einwanderer und deren Nachkommen im öffentlichen<br />

Diskurs Weste uropas normativ als ein fremdes und hinsichtlich<br />

det Frage nach Loyalität gegenüber ihrer jeweiligen Mehrheitsgesellschaft<br />

als ein zutiefSt suspektes Kollektiv von Gleichgesinnten<br />

wahrgenommen.<br />

260<br />

6.1.2 Inhaltliche Vergleichsebme: normative Neu-Einordnung<br />

tks Islam<br />

Grosse Ähnlichkeiten zwischen den drei dargestellten Diskursen<br />

lassen sich aber auch auf der Ebene der Auswirkungen verzeichnen.<br />

welche diese Diskurse auf die jeweils (ftemd-) diskursiviene Seite<br />

haben. und zwar sowohl hinsichtlich des eigenen religiösen Selbstverständnisses<br />

wie auch mit Blick auf die Strategien der öffendichen<br />

Selbstdarstellung.<br />

Wie oben dargestellt. hat Muhammad Abduh die im neunzehnten<br />

Jahrhundert in Europa vorherrschende Grundüber­<br />

zeugung von der wesensmässigen Intoleranz des Islam gegenüber<br />

den Werten der Aufklätung unter Bezugnahme auf den Koran<br />

bzw. auf die Bibel kontrafukrisch in das Wesen des Islam traDSformiert.<br />

Auf diese Weise verlieh er dem Islam einen exklusi­<br />

vistisch-universalen Charakter. Demnach gebe es nicht nur eine<br />

wesensmässige Affinität des Islam gegenüber den vermeintlich<br />

genuinen christlich-westlichen Werten. sondern der Islam stellt<br />

vielmehr eine historisch einmalige Vorwegnahme dieser Werte<br />

dar. Das essentialistische Diktum. welches rur den Islam-Diskurs<br />

der Kolonialzeit prägend ist. kennzeichnet auch den akruellen<br />

Islam-Diskurs. Normative Fremdzuschrei<strong>bu</strong>ngen wie etwa<br />

die behauptete Aufklärungsunfohigkeit. Demokratiemistmz und<br />

das GroJaltpotenzial des Islam sowie tlie Forderung nach einer<br />

unmissverständlichen Verurteilung von Terror und nach einem<br />

klaren Bekenntnis zum Wertekanon der Mehrheitsgesellschaft<br />

werden von muslimiscben Akteuren inkorporiert und kontrafaktisch<br />

transformiert in religiöse Selbsrzuschrei<strong>bu</strong>ngen. Dies kommt<br />

zum Ausdruck, wenn sich beispielsweise Vertreter muslimischer<br />

Dachorganisationen in der Schweiz - sei es bei öffentlichen Dialogveranswtungen<br />

oder auf Internerseiten ihrer Vereine - unter<br />

dem diskursiv ausgeübten Druck der Mehrheitsgesellschaft im<br />

Namen des Islam zu den Grundwerten det schweizerischen Mehrheitsgesellschaft<br />

wie Demokratie. Rechtsstaatlichkeit. Gleichberechtigung.<br />

Menschenrechte. Toleranz und Frieden nicht bloss<br />

bekennen, sondern sich sogar als deren Garanten und Bewahrer<br />

261


innerchrisdicher Diskursgeschichte andererseits ist zusammen­<br />

fassend dreic:rlei zu unterstreichen:<br />

a) Der Islam-Diskurs der post-9/11-Ära hat sich nicht nur zu<br />

einem Diskurs über den angeblichen zivilisatorischen Zusammenstoss<br />

zwischen dem Warn und dem Westen entwickdt, sondern<br />

fordert parallel dazu immer neue und intensivere Formen der Kommunikation<br />

zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft.<br />

b) Wie die früheren Religionsdiskurse wirkt sich auch dieser<br />

Diskurs verändernd und konstruktiv auf das Islam-Verständnis der<br />

Muslime selbst aus. Eine ähnliche, wenn nicht sogar identische<br />

Entwicklung war auch mit Blick auf den protestantischen Karholizismus-Diskurs<br />

in den USA und den europäischen Islam-Diskurs<br />

der Kolonialzeit zu beobachten.<br />

c) Die füt ältere islamisch-christliche Diskurse charakte­<br />

ristischen Fragen nach der Verhältnisbestimmung von Religion<br />

und ratio, Religion und Fortschritt, Rdigion und Zivilgesellschaft<br />

haben im Kontext des post-9/11-Diskurses nicht nur an neuer<br />

Aktualität gewonnen. Aufgrund seines alle Gesellschaftsbereiche<br />

vereinnahmenden Charakters scheint in den aktuellen Islam­<br />

Diskurs ein gesamtgesellschaftliches Bedürfuis nach endgültigen<br />

Klarstellungen und Verhältnisbestimmungen zu münden - nach<br />

Verhältnisbesrimmung von Religion und ratio, Religion und<br />

Politik, Religion und Erziehung. Religion und Einwanderung,<br />

Rdigion und Kunst, Religion und Architektur, Religion und<br />

Identität, Religion und Freiheit, Religion und Medien, Religion<br />

und Bekleidung und nicht zuletzt auch Religion und Humor. Im<br />

aktuellen Islam-Diskurs verdichten und überlagern sich alle diese<br />

Einzc:ldiskurse in einer bislang einmaligen Intensität. In qualitativer<br />

Hinsicht scheint der aktuelle Islam-Diskurs - um zum Schluss die<br />

Beanrwonung der bereits im TItel aufgeworfener Frage zu wagen -<br />

tatsächlich die Charakterisierung als die Mutter aller Diskurse zu<br />

erlauben. Er vereint in sich alle Gesellschaft relevanten Fragen,<br />

die in dieser Konzentrierrheit bislang noch kein Religionsdiskurs<br />

vereinte.<br />

Es bleibt schliesslich zu fragen, welche Perspektiven sich aus<br />

diesem spezifischen Diskurs für die zukünftige Entwicklung des<br />

Islam und der Muslime in der Schweiz ergeben.<br />

Det Katholizismus-Diskurs in den USA, mit den ihn charakte­<br />

risierenden Paradoxien von normativer Exklusion und zivilgese11schafi:lichern<br />

Engagement, endete letztlich in der Integration des<br />

Karholizismus in die arnerikanische Zivilgesellschaft.<br />

Ist dieselbe Entwicklung auch mit Blick auf den Islam in der<br />

Schweiz zu erwarten?<br />

Es stellt zwar keine dankbare Aufgabe dar, ein in sich komplexes<br />

und nicht zuletzt auch widersprüchliches Phänomen wie Religion<br />

prognostisch zu erfassen. Die hier dargestellten Entwicklungstendenzen<br />

im Kontext des aktuellen Islam-Diskurses und deren<br />

Verbindung mit historischer Betrachtung werden uns dennoch<br />

andeutungsweise gezeigt haben, dass der Islam in der Schweiz in<br />

Zukunft eine relevante Rnlle als alctiver Faktor in den öffendichen<br />

und gesellschaftspolitischen Debatten des Landes spielen könnte.<br />

Literatur<br />

Auster, Paul' Jetzt beginnr das 2l. Jahrhundert, in: ZEITdokument<br />

(2001), H 2, S. 36.<br />

Balie, SmaiL' Das unbekannte Bosnien. Europas Brücke zur islamischen<br />

Welt. Köln u. a.: Böhlau, 1992.<br />

Baudrillard, ],an: Der Geist des Terrorismus. Das Abendland, das<br />

die Stelle Gottes eingenommen hat, wird se1m-unörderisch und<br />

erklärt sich selbst den Krieg, in: Hoffrnann, Hilmar; Seho,1kr.<br />

Wi/frird F. (Hg.): Wendepunkt 1l. September 200l. Terror,<br />

Islam und Demokratie. Köln: DuMont, 2001, S. 53-64.<br />

Behlou/, Samuel M.: Ibn Hazm's Evangelienkritik. Eine Merhodische<br />

Untersuchung. Leiden u. a.: Bril!, 2002.<br />

Dm.: The Society is watchlng you. Islam-Diskurs in der Schweiz<br />

und die Konstruktion einer öffentlichen Religion, in: Theologische<br />

Berichte 30 (2007), S. 276-315.


«HOMO ISLAMICUS»<br />

ALS PROTOTYP DES FREMDEN<br />

Die Fremdzuschrei<strong>bu</strong>ng des «Islams» stellt aktuell den Ausdruck einer religiösen Interpretation<br />

des «Anderen» und des «Fremden» dar. Die Religion wird in den gegenwärtigen Islam­<br />

Debatten zum Medium kultureller und normativer Selbstvergewisserung in Zeiten schwindender<br />

kultureller Eindeutigkeiten. Der Autor sucht in seinem Beitrag nach semantischen<br />

Parallelen zwischen der aktuellen Islam-Debatte und der Problematisierung des KatholizIsmus<br />

und der Katholiken im 19.Jahrhundert.<br />

Keywords: Identität, Islam, Katholizismus, Minderheiten, Religion, Wertedebatte<br />

Samuel M. Behloul<br />

Religionsforscher machen auch irritierende<br />

Befunde. Dies insbesondere dann, wenn sie ihre<br />

Forschung in transhistorischer und transkulturel­<br />

ler Perspektive betreiben. Für Irritationen sorgen<br />

vor allem Befunde über religiös-kulturelle<br />

Phänomene, die man normalerweise entweder<br />

nur für eine bestimmte Epoche oder nur für einen<br />

bestimmten Kulturraum (in der Regel den<br />

eigenen) annimmt. So gehört es beispielsweise<br />

nicht gerade zu einer Selbstverständlichkeit<br />

- weder im akademischen Bereich und schon gar<br />

nicht ausserhalb enger akademischer claims - an­<br />

zunehmen, dass es die allgemein für modern und<br />

vor allem für spezifisch westlich gehaltenen<br />

Phänomene wie religiöse Multiple Identities<br />

bereits im vorchristlichen China gab, der religiöse<br />

Pluralismus als «die» Signatur und «Erkennungs­<br />

melodie» moderner und funktional differenzierter<br />

westlicher Gesellschaften eines der sozio-kultu­<br />

rellen Merkmale des mongolischen Weltreiches im<br />

dreizehnten Jahrhundert war oder dass die für<br />

typisch islamisch gehaltene enge Kopplung von<br />

Religion und Politik bereits im dritten Jahrhundert<br />

vor Christus das eigentliche Fundament der<br />

Herrschaftsideologie im alten Persien bildete.<br />

Wendet man nun den religionshistorischen Blick<br />

nach Europa, und zwar auf den Zeitraum der<br />

letzten zwei Jahrhunderte, stellt man eine<br />

Kontinuität der in regelmässigen Zeitabständen<br />

auftretenden Irritationen über das Religiöse fest.<br />

Überholt geglaubte Kontroversen erscheinen auf<br />

einmal schärfer denn je und werden von den<br />

jeweiligen Zeitzeugen als Anachronismen<br />

wahrgenommen. Ob sich solche Irritationen aus<br />

säkularistischen Annahmen über die endgültige<br />

gesellschaftliche Verortung von Religion als<br />

Privatsache speisen oder eher die Folge einer<br />

notorischen Ungeklärtheit des Verhältnisses von<br />

Religion und anderen Funktionssystemen der<br />

Gesellschaft darstellen, ist nach wie vor - oder<br />

8 I swlssfuture I 01/11<br />

besser gesagt - erneut ein Gegenstand nicht<br />

selten kontrovers geführter öffentlicher Debatten.<br />

Der «rückständige» und «antimoderne»<br />

Katholizismus im 19. Jahrhundert<br />

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist ein<br />

kurzer vergleichender Blick auf die Thematisie­<br />

rung von Religion im Europa des neunzehnten<br />

Jahrhunderts. Dies zum einen, weil jene Epoche in<br />

ähnlicher Weise wie die aktuelle Zeit von gesell­<br />

schaftspolitischen und sozio-kulturellen Umwäl­<br />

zungen geprägt war. Zum anderen lösten solche<br />

Prozesse neuartige Selbstverständigungs- und<br />

Selbstvergewisserungsdebatten aus, die zu einer<br />

von manchen Zeitgenossen für nicht mehr als<br />

zeitgemäss gehaltenen Verschärfung religiöser<br />

und konfessioneller Signaturen führten. Aufgrund<br />

ihrer intrinsischer Komplexitäten reduzierender<br />

und Ordnung generierender Leistungsfähigkeit<br />

wurde Religion nämlich, wie nachfolgend kurz<br />

exemplifiziert wird, im Kontext der im 19. Jahrhun­<br />

dert gesamtgesellschaftlich geführten Debatten<br />

um Modernität, Nationalstaat und Fortschritt als<br />

jenes Medium reaktiviert, mit dessen Hilfe die an<br />

sich komplexen soziokulturellen Verflechtungen<br />

und Interdependenzen gesellschaftspolitischer<br />

Sachverhalte auf kohärente Fremd- und Selbst­<br />

bilder reduziert werden konnten. Prägend für die<br />

religlonsdiagnostischen Analysen jener Zeit<br />

waren kultur- und konfessionsspezifischen<br />

Auseinandersetzungen um die klare und restlose<br />

Bestimmung des Verhältnisses von Christentum<br />

und Modernität. Auf interkonfessioneller Dis­<br />

kursebene fanden sie ihren konkreten Ausdruck in<br />

der antagonistischen Gegenüberstellung von<br />

Protestantismus und Katholizismus. Die kirchlich<br />

ge<strong>bu</strong>ndene und sakramental verwaltete Fröm­<br />

migkeitspraxis der Katholiken im Gegensatz zu<br />

einem individualisierten Gottesverhältnis und<br />

Weltzugewandtheit (die allgemein behauptete<br />

stärkere Affinität für Bildung, Naturwissenschaf-<br />

i<br />

I ,<br />

ten und Wirtschaft) der Protestanten wurde in<br />

Rahmen dieses Antagonismus-Narrativs nicht nur<br />

als ein eindeutiges Indiz für das Reformations­<br />

und Fortschrittsdefizit des Katholizismus gedeu­<br />

tet. Die oft pauschalisierende diametrale Entge­<br />

gensetzung konfessionsspezifischer Kirchlich­<br />

keitsstille lief zugleich darauf hinaus, die system­<br />

immanente Unvereinbarkeit des Katholizismus<br />

mit der Moderne unter Beweis zu stellen. Solche<br />

Aufwertungen der Reformation als konstitutiver<br />

Rahmen der Modernisierungsprozesse und des<br />

Protestantismus als Elementarbildungssystem<br />

der bürgerlichen und nationalbewussten Gesell­<br />

schaft führten in den protestantisch dominierten<br />

Gesellschaften notwendigerweise zu einer<br />

Exklusion der Katholiken - aber auch der Juden<br />

- aus dem Projekt der Moderne oder günstigsten­<br />

falls zu der intensiv debattierten Frage nach der<br />

Loyalität der Katholiken und Juden gegenüber<br />

den sich neu formierenden nationalstaatlichen<br />

Strukturen in den erwähnten Gesellschaften. Der<br />

Katholizismus und Katholiken wurden allgemein<br />

als anti modern, undemokratisch und vor allem,<br />

weil angeblich von der römischen Zentrale fremd<br />

gesteuert, als unselbständig und illoyal wahrge­<br />

nommen. Ein besonders beliebtes Motiv, dessen<br />

protestantisch-liberale Kreise sich zur Exemplifi­<br />

zierung des Katholizismus als einer Religion der<br />

Ungebildeten und Unselbständigen bedienten,<br />

war - um nur ein Beispiel zu nennen - das Bild<br />

der abhängigen katholischen Frau, auf die der<br />

Priester einen uneingeschränkten Einfluss ausübt,<br />

sowohl im Beichtstuhl, als auch im täglichen<br />

Leben.<br />

Die von den liberal protestantischen Kreisen<br />

bewusst betriebene Konfessionalisierung des<br />

öffentlichen Lebens im Sinne einer Reaktivierung<br />

von Religion als klare Zuordnungsverhältnisse<br />

generierender Deutungscode löste manche<br />

Irritationen unter den Zeitzeugen aus. So wun­<br />

derte sich der deutsche sozialdemokratische<br />

Arbeiterführer Wilhelm Liebknecht 1872 in einer<br />

öffentlichen Rede darüber, dass die für überwun­<br />

den geglaubten religiösen Fragen auf einmal mit<br />

so grossem Eifer geführt werden und einem den<br />

Eindruck vermittelten, in die wüstesten Zeiten der<br />

Reformation zurückversetzt worden zu sein.<br />

Liebknechts Irritation weist auf die für das<br />

neunzehnte Jahrhundert charakteristische<br />

Asymmetrie zwischen bewusster Abkehr von<br />

religiöser und vor allem kirchlicher Ge<strong>bu</strong>ndenheit<br />

(insbes. seitens der Bildungseliten) auf der einen<br />

und der gesellschaftspolitisch erhöhten Aufmerk­<br />

samkeitsstruktur für Religion als Deutungscode<br />

auf der anderen Seite hin.<br />

In der auf den ersten Blick anachronistisch<br />

wirkenden Verdichtung der Aufmerksamkeit für<br />

Religion im neunzehnten Jahrhundert manifestierte<br />

sich die eigentliche Krisensymptomatik<br />

einer durch epochale Umwälzungen geprägten<br />

und verunsicherten Gesellschaft. Das unter<br />

solchen Bedingungen gestiegene Bedürfnis und<br />

die Forderung nach normativen Klarstellungen<br />

und Grenzziehungen mit Hilfe religiös-konfessioneller<br />

Distinktionskriterien erfüllte für die<br />

Protagonisten und Verteidiger des gesellschaft­<br />

lichen Fortschritts und der Modernisierung<br />

sowohl die Funktion der Selbstbeschrei<strong>bu</strong>ng als<br />

auch der Stabilisierung des eigenen aufgeklärten<br />

Selbstbildes.<br />

Der Antagonismus von «Islam» und «Westen»<br />

Die Komplexität reduzierende und Ordnung<br />

generierende Leistung von reaktivierten Religi­<br />

onscodes unter den Bedingungen wachsender<br />

sozio-politischer «Unübersichtlichkeiten»<br />

lässt sich gut auch an der aktuellen Wahrneh­<br />

mung und Thematisierung von Islam und<br />

Muslimen in den westeuropäischen Gesellschaf­<br />

ten aufzeigen. Das Bild des Katholizismus als das<br />

«Andere» von Vernunft, Moderne und Nation, das<br />

für interkonfessionelle Religionsdiskurse im<br />

neunzehnten Jahrhundert auf gesamtgesell­<br />

schaftlicher Ebene bestimmend war, erinnert<br />

unweigerlich an das Bild des Islam, das westlich­<br />

europäische Thematisierungen und vor allem<br />

Problematisierungen des Islam und der Muslime<br />

schon seit Jahren dominiert. Trotz der jeweils<br />

historisch bedingten Vielfalt politischer Kulturen<br />

in den einzelnen westeuropäischen Gesellschaf­<br />

ten hinsichtlich deren Regelung des Verhältnisses<br />

von Religion und Staat, Religion und Öffentlich­<br />

keit sowie der heuristischen Umstrittenheit des<br />

Konzeptes der Säkularisierung in Westeuropa<br />

einerseits und der faktischen kulturellen und<br />

nicht zuletzt auch religionspraktischer Diversität<br />

muslimischer Zuwanderergruppen und deren<br />

Nachkommen in Westeuropa andererseits, lässt<br />

sich als Grundmuster westeuropäischer Wahrneh­<br />

mung und Thematisierung des Islam die Gegenü­<br />

berstellung von zwei entweder zeitungleichen<br />

oder systemisch unvereinbaren normativen<br />

Blöcken - «Islam» vs. «Westen» - ausmachen.<br />

Entsprechend wird die sog. Islam-Frage im<br />

Kontext gesamtgesellschatflicher Themenfelder<br />

angegangen: von Einwanderung, Integration und<br />

interreligiösen Dialogprojekten über die Kinderer­<br />

ziehung und Einbürgerung, bis hin zu den Fragen<br />

nach der Bestimmung des Verhältnisses von<br />

Religion und Staat, der architektonischen Gestal­<br />

tung des öffentlichen Raumes, Sicherheitsfragen<br />

und sogar der Frage nach der Humorfähigkeit der<br />

Religion und des Verhältnisses von Religion und Sport.<br />

I Zukunft der Werte I 9


Vom Gastarbeiter und Ausländer zum<br />

«Homo Islamicus»<br />

Die Einwanderer aus vorwiegend islamisch<br />

geprägten Gesellschaften und deren Nachkom­<br />

men werden in öffentlichen Debatten westeuro­<br />

päischer Gesellschaften als ein religiöses Kollekti­<br />

vum wahrgenommen, welches anderen Werten<br />

und Normen folgt, die in einem diametralen<br />

Widerspruch zum Wertekanon ihrer jeweiligen<br />

Mehrheitsgesellschaft stehen. Spätestens seit<br />

dem 9/11 hat die Reaktivierung religiöser<br />

Zugehörigkeitskriterien im Kontext der Wahrneh­<br />

mung und Thematisierung von an sich kulturell<br />

und sprachlich vielfältigen Diaspora-Communities<br />

aus muslimisch geprägten Gesellschaften in<br />

Westeuropa eine neue gesellschaftspolitische<br />

Relevanz erlangt: Der «Ausländer» und «Gastarbei­<br />

ter» (Türke, Jugoslawe, Araber) avancierte zum<br />

«Homo Islamicus» und Religion wurde zum<br />

vornehmlichen Erklärungsmuster für negative<br />

und positive Verhaltensweisen sowohl von<br />

Individuen als auch von Gruppen.<br />

Der Grossteil der im Kontext aktueller westeuro­<br />

päischer Islam-Debatten intensiv thematisierten<br />

Problemfelder und zum Teil fast schon apokalyp­<br />

tisch verschärften Szenarien (


SGMOIK<br />

<strong>etln</strong><br />

<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft Mittlerer Osten und Islamische Kulturen<br />

Societe Suisse Moyen Orient et Civilisation Islamique<br />

Societa Svizzera Medio Oriente e Civilffi Islamica<br />

Muslime in der<br />

Schweiz<br />

Musulmans .en<br />

Suisse<br />

5 Fr. - Nr. 32 - Frühjahr 2011 - No 32 - printemps 2011


Nation.<br />

Published on The Nation (http://www.thenation.com)<br />

Home> Islam Through Western Eyes<br />

Islam Through Western Eyes<br />

The media have become obsessed with something called "Islam," which in their voguish lexicon has<br />

acquired only two meanings, both of them unacceptable and impoverishing. On the one hand, "Islam"<br />

represents the threat of a resurgent atavism, which suggests not only the menace of a return to the<br />

Middle Ages <strong>bu</strong>t the destruction of what Senator Daniel Patrick Moynihan calls the democratic order in<br />

the Western world. On the other hand, "Islam" is made to stand for a defensive counterresponse to this<br />

first image of Islam as threat, especially when, for geopolitical reasons, "good" Moslems like the Saudi<br />

Arabians or the Afghan Moslem "freedom fighters" against the Soviet Union are in question. Anything<br />

said in defense of Islam is more or less forced into the apologetic form of a plea for Islam's humanism,<br />

its contri<strong>bu</strong>tions to civilization, development and perhaps even to democratic niceness.<br />

Along with that kind of counterresponse there is the occasional foolishness of trying to equate Islam<br />

with the immediate situation of one or another Islamic country, which in the case of Iran during the<br />

Shah's actual removal was perhaps a reasonable tactic. But after that exuberant period and during the<br />

hostage crisis, the tactic has become a somewhat trickier <strong>bu</strong>siness. What is the Islamic apologist to say<br />

when confronted with the daily count of people executed by the Islamic komitehs, or when--as was<br />

reported on September 19, 1979, by Reuters--Ayatollah Ruhollah Khomeini announces that enemies of<br />

the Islamic revolution would be destroyed? The point is that both media meanings of "Islam" depend<br />

on each other, and are equally to be rejected for perpetuating the double bind.<br />

How fundamentally narrow and constricted is the semantic field of Islam was brought home to me after<br />

my book Orientalism appeared last year. Even though I took great pains in the book to show that<br />

current discussions of the Orient or of the Arabs and Islam are fundamentally premised upon a fiction,<br />

my book was often interpreted as a defense of the "real" Islam. Whereas what I was trying to show was<br />

that any talk about Islam was radically flawed, not only because an unwarranted assumption was being<br />

made that a large ideologically freighted generalization could cover all the rich and diverse particularity<br />

of Islamic life (a very different thing) <strong>bu</strong>t also because it would simply be repeating the errors of<br />

Orientalism to claim that the correct view of Islam was X or Y or Z. And still I would receive<br />

invitations from various institutions to give a lecture on the true meaning of an Islamic Republic or on<br />

the Islamic view of peace. Either one found oneself defending Islam--as if the religion needed that kind<br />

of defense--or, by keeping silent, seeming to be tacitly accepting Islam's defamation.<br />

But rejection alone does not take one very far, since if we are to claim, as we must, that as a religion<br />

and as a civilization Islam does have a meaning very much beyond either of the two currently given it,<br />

we must first be able to provide something in the way of a space in which to speak of Islam. Those who<br />

wish either to re<strong>bu</strong>t the standard anti-Islamic and anti-Arab rhetoric that dominates the media and<br />

liberal intellectual discourse, or to avoid the idealization of Islam (to say nothing of its<br />

sentimentalization), find themselves with scarcely a place to stand on, much less a place in which to<br />

move freely.<br />

From at least the end of the eighteenth century until our own day, modern Occidental reactions to Islam


have been dominated by a type of thinking that may still be called Orientalist. The general basis of<br />

Orientalist thought is an imaginative geography dividing the word into two unequal parts, the larger and<br />

"different" one called the Orient, the other, also known as our world, called the Occident or the West.<br />

Such divisions always take place when one society or culture thinks about another one, different from<br />

it, <strong>bu</strong>t it is interesting that even when the Orient has uniformly been considered an inferior part of the<br />

world, it has always been endowed both with far greater size and with a greater potential for power than<br />

the West. Insofar as Islam has always been seen as belonging to the Orient, its particular fate within the<br />

general structure of Orientalism has been to be looked at with a very special hostility and fear. There<br />

are, of course, many obvious religious, psychological and political reasons for this, <strong>bu</strong>t all of these<br />

reasons derive from a sense that so far as the West is concerned, Islam represents not only a formidable<br />

competitor <strong>bu</strong>t also a late-coming challenge to Christianity.<br />

I have not been able to discover any period in European or American history since the Middle Ages in<br />

which Islam was generally discussed or thought about outside a framework created by passion,<br />

prejudice and political interests. This may not seem like a surprising discovery, <strong>bu</strong>t included in the<br />

indictment is the entire gamut of scholarly and scientific disciplines which, since the early nineteenth<br />

century, have either called themselves Orientalism or tried systematically to deal with the Orient. No<br />

one would disagree with the statement that early commentators on Islam like Peter the Venerable and<br />

Barthelemy D'Herbelot were passionate Christian polemicists in what they they said. But it has been an<br />

unexamined assumption that since Europe advanced into the modern scientific age and freed itself of<br />

superstition and ignorance, the march must have included Orientalism. Wasn't it true that Silvestre de<br />

Sacy, Edward Lane, Ernest Renan, Hamilton Gibb and Louis Massignon were learned, objective<br />

scholars, and isn't it true that, following upon all sorts of advances in twentieth-century sociology,<br />

anthropology, linguistics and history, American scholars who teach the Middle East and Islam in places<br />

like Princeton, Harvard and Chicago are therefore unbiased and free of special pleading in what they<br />

do? The answer is no. Not that Orientalism is more biased than other social and humanistic sciences; it<br />

is as ideological and as contaminated by the world as other disciplines. The main difference is that the<br />

Orientalists use the authority of their standing as experts to deny--no, to cover--their deep-seated<br />

feelings about Islam with a carpet of jargon whose purpose is to certify their "objectivity" and<br />

"scientific impartiality."<br />

That is one point. The other distinguishes a historical pattern in what would otherwise be an<br />

undifferentiated characterization of Orientalism. Whenever in modern times there has been an acutely<br />

political tension felt between the Occident and its Orient (or between the West and its Islam), there has<br />

been a tendency to resort in the West not to direct violence <strong>bu</strong>t first to the cool, relatively detached<br />

instruments of scientific, quasi-objective representation. In this way Islam is made more clear, the true<br />

nature of its threat appears, an implicit course of action against it is proposed. In such a context both<br />

science and direct violence end up by being forms of aggression against Islam.<br />

Two strikingly similar examples illustrate my thesis. We can now see retrospectively that during the<br />

nineteenth century both France and England preceded their occupations of portions of the Islamic East<br />

with a period in which the various scholarly means of characterizing and understanding the Orient<br />

underwent remarkable technical modernization and development. The French occupation of Algeria in<br />

1830 followed a period of about two decades during which French scholars literally transformed the<br />

study of the Orient from an antiquarian into a rational discipline. Of course there had been Napoleon<br />

Bonaparte's occupation of Egypt in 1798, and of course one should remark the fact that he had prepared<br />

for his expedition by marshaling a sophisticated group of scientists to make his enterprise more<br />

efficient. My point, however, is that Napoleon's short-lived occupation of Egypt closed a chapter. A<br />

new one began with the long period during which, under de Sacy's stewardship at French institutions of<br />

Oriental study, France became the world leader in Orientalism; this chapter climaxed a little later when<br />

French armies occupied Algiers in 1830.<br />

I do not at all want to suggest that there is a causal relationship between one thing and the other, nor to<br />

adopt the anti-intellectual view that all scientific learning necessarily leads to violence and suffering.


All I want to say is that empires are not spontaneously born, nor during the modern period have they<br />

been run by improvisation. If the development of learning involves the redefinition and the<br />

reconstitution of fields of human experience by scientists who stand above the material they study, it is<br />

not impertinent to see the same development occurring among politicians whose realm of authority is<br />

redefined to include inferior regions of the world where new "national" interests can be discovered, and<br />

later seen to be in need of close supervision. I very much doubt that England would have occupied<br />

Egypt in so long and massively institutionalized a way were it not for the durable investment in<br />

Oriental learning first cultivated by scholars like Lane and William James. Familiarly, accessibility,<br />

representability: these were what Orientalists demonstrated about the Orient. The Orient could be seen,<br />

it could be studied, it could be managed. It need not remain a distant, marvelous, incomprehensible and<br />

yet very rich place. It could be brought home--or, more simply, Europe could make itself at home there,<br />

as it subsequently did.<br />

My second example is a contemporary one. The Islamic Orient today is important for its resources or<br />

for its geopolitical location. Neither of these, however, is interchangeable with the interests, needs or<br />

aspirations of the native Orientals. Ever since the end of World War II, the United States has been<br />

taking positions of dominance and hegemony once held in the Islamic world by Britain and France.<br />

With this replacement of one imperial system by another have gone two things: first, a remarkable<br />

<strong>bu</strong>rgeoning of academic and expert interest in Islam, and, second, an extraordinary revolution in the<br />

techniques available to the largely private-sector press and electronic journalism industries. Together<br />

these two phenomena, by which a huge apparatus of university, government and <strong>bu</strong>siness experts study<br />

Islam and the Middle East and by which Islam has become a subject familiar to every consumer of<br />

news in the West, have almost entirely domesticated the Islamic world. Not only has that world become<br />

the subject of the most profound cultural and economic Western saturation in history--for no<br />

non-Western realm has been so dominated by the United States as the Arab-Islamic world is dominated<br />

today--by the exchange between Islam and the West, in this case the United States, is profoundly<br />

one-sided.<br />

So far as the United States seems to be concerned, it is only a slight overstatement to say that Moslems<br />

and Arabs are essentially seen as either oil suppliers or potential terrorists. Very little of the detail, the<br />

human density, the passion of Arab-Moslem life has entered the awareness of even those people whose<br />

profession it is to report the Arab world. What we have instead is a series of crude, essentialized<br />

caricatures of the Islamic world presented in such a way as to make that world vulnerable to military<br />

aggression. I do not think it is an accident, therefore, that recent talk of U.S. military intervention in the<br />

Arabian Gulf (which began at least five years ago, well before the Soviet invasion of Afghanistan) has<br />

been preceded by a long period of Islam's rational presentation through the cool medium of television<br />

and through "objective" Orientalist study: in many ways our actual situation today bears a chilling<br />

resemblance to the nineteenth-century British and French examples previously cited.<br />

<br />

Even if military aggression does not occur, the implications of all this are far-reaching. As mentioned<br />

earlier, Islam has uniformly appeared to Europe and the West in general as a threat. Today, the<br />

phenomenon is more in evidence than ever before because on the one hand there has been an enormous<br />

media convergence upon what has been called the emergence, return or resurgence of Islam, and on the<br />

other hand, because parts of the Islamic world--Palestine, Iran, Afghanistan, among other places--which<br />

have been undergoing various unequal processes of historical development, have also seemed to be<br />

encroaching upon traditional Western (more particularly American) hegemony. The views of the<br />

experts and of the media are nearly identical on this. Far from attempting to refine, or even dissent<br />

from, the gross image of Islam as a threat, the intellectual and policy community in the United States<br />

has considerably enforced and concentrated the image. From Zbigniew Brzezinski's vision of the<br />

"crescent of crisis" to Bernard Lewis's "return of Islam," the picture drawn is a unanimous one. "Islam"<br />

means the end of civilization as "we" know it. Islam is anti-human, antidemocratic, anti-Semitic,<br />

anti rational. University scholars whose professional lives are tied to the study of Islam have either been


willing collaborators with this state of things, or if they have been silent, their marginality in the culture<br />

at large further confirms the fact that in the United States at least, there is no major segment of the<br />

polity, no significant sector of the culture, no part of the whole community capable of identifying<br />

sympathetically with the Islamic world.<br />

On the other hand, most of the Third World is now fully bathed in U.s.-produced TV shows, and is<br />

wholly dependent upon a tiny group of news agencies that transmit news back to the Third World, even<br />

in the large numbers of cases where the news is about the Third World. From being the source of news,<br />

the Third World generally, and Islamic countries in particular, have become consumers of news. For the<br />

first time in history (for the first time, that is, on such a scale) the Islamic world may be said to be<br />

learning about itselfin part by means of images, histories and information manufactured in the West. If<br />

one adds to this fact that students and scholars in the Islamic world are still dependent upon U.S. and<br />

European libraries and institutions of learning for what now passes as Middle Eastern studies (consider,<br />

for example, that there isn't a single first-rate, usable library of Arabic material in the entire Islamic<br />

world), plus the fact that English is a world language in a way that Arabic isn't, plus the fact that for its<br />

elite the Islamic world is now producing a managerial class of basically subordinate natives who are<br />

indebted for their economies, their defense establishments and for their political ideas to the worldwide<br />

consumer-market system controlled in the West--one gets an accurate, although extremely depressing,<br />

picture of what the media revolution (serving a small segment of the societies that produced it) has<br />

done to Islam.<br />

To the extent that Islam is known about today, it is known principally in the form given it by the mass<br />

media: not only radio, films and Tv <strong>bu</strong>t also textbooks, magazines and best-selling, high-quality novels.<br />

This corporate picture of Islam on the whole is a depressing and misleading one. What emerges is that<br />

Ayatollah Khomeini, Col. Muammar e-Qaddafi, Sheik Ahmad Zaki Yamani and Palestinian terrorists<br />

are the best-known figures in the foreground, while the background is populated by shadowy (though<br />

extremely frightening) notions about jihad, slavery, subordination of women and irrational violence<br />

combined with extreme licentiousness. If you were to ask an average literate Westerner to name an<br />

Arab or Islamic writer, or a musician, or an intellectual, you might get a name like Kahlil Gibran in<br />

response, <strong>bu</strong>t nothing else. In other words, whole swatches of Islamic history, culture and society<br />

simply do not exist except in the truncated, tightly packaged forms made current by the media. As<br />

Herbert Schiller has said, TV's images tend to present reality in too immediate and fragmentary a form<br />

for either historical or human continuity to appear. Islam therefore is equivalent to an undifferentiated<br />

mob of scimitar-waving oil suppliers, or it is reduced to the utterances of one or another Islamic leader<br />

who at the moment happens to be a convenient foreign scapegoat.<br />

We are well past the point of being able to say whether the media or the experts or the governments or<br />

the mass audiences are to blame for this state of affairs. With very few exceptions, one is struck by the<br />

blinding uniformity of the picture. Perhaps it is true that the state of information that now exists on any<br />

subject is as standardized, and as low, as this one; and perhaps also it is true that whatever the experts,<br />

the special-interest groups, the manipulators touch they turn into flatness, ignorance and stereotypes.<br />

But we must be especially alarmed that whether Islam is depicted on television, or whether it turns up<br />

in school textbooks, or whether it appears in best-selling novels by high-class novelists, or whether it's<br />

learnedly discussed by an academic expert on Islam (who is still respected in parts of the Arab world),<br />

the picture is almost exactly the same. That does not mean that the picture is an inaccurate one; rather,<br />

it is a picture; it has the consistency of something made up, not of life; it portrays certain aspects of<br />

what Marshall Hodges has called the Islamicate world, <strong>bu</strong>t deforms them into a pattern that expresses<br />

certain things about a mass-media society, very little about what is referred to as Islam. What is<br />

crucially important about this presentation of Islam is the media's ascendancy, their intellectual and<br />

perceptual hegemony, over the whole thing, and since the media sell their product to consumers who<br />

prefer simplicity to complexity, the uniform image of Islam that emerges is constructed out of much the<br />

same material from which history, society and humanity have been eliminated.<br />

What can be done? To begin with, what should be avoided is an attempt to alter, improve, beautify,


make more appealing the image of Islam. Such an effort falls into the trap of believing that reductive<br />

images can be made substitutes for a very complex reality, and it ends up perpetuating the entire system<br />

of ideological fictions by which Islam is made to do service for Western designs upon riches, peoples<br />

and territories that happen to call themselves Moslem. A hard and fast distinction has to be made<br />

between serious consideration of the Islamicate world and nearly everything that passes for Islam in the<br />

media and in all <strong>bu</strong>t a few places in the culture. One cannot look for help in promoting serious<br />

investigative discussion of Islam--even as a subject of academic inquiry--among traditional Orientalists<br />

or within the normally constructed programs of Middle Eastern studies in today's Western universities.<br />

On the other hand, younger scholars and students can be extremely useful in carrying work beyond<br />

prejudices and constrictions of their elders. And,just as important, a serious interest in the problems of<br />

Islamic society and Islamic peoples is very likely to develop not among the Middle East experts, or<br />

media people who have a purported specialty in modern Islam, <strong>bu</strong>t inside segments of the population<br />

who have a wider and more serious view of human problems in general: men and women who are<br />

committed not to Orient and Occident <strong>bu</strong>t to the cause of human rights, rather than lobbyists who act on<br />

behalf of human rights when they are paid to do so; students of comparative literature rather than<br />

Semitic philologists who know nothing about other literatures and who care little for the contemporary<br />

world; genuinely enterprising sociologists who know something about theory and care a great deal<br />

about issues confronting concrete societies, rather than specialists in the Islamic mind or in a<br />

monolithic thing called Islamic society. Whatever the person, whatever the field of endeavor, I doubt<br />

that there can be any substitute for a genuinely engaged and sympathetic--as opposed to a narrowly<br />

political or hostile--attitude to the Islamic world. Indeed, I suspect that only if we get beyond<br />

politicized labels like "East" and "West" will we be able to reach the real world at all.<br />

As for what the Islamic, and more especially the Arab-Islamic, world might do, this can be put very<br />

simply. There is no longer any excuse for bewailing the hostility of the "West" toward the Arabs and<br />

Islam and then sitting back in outraged righteousness. When the reasons for this hostility and those<br />

aspects of the "West" that encourage it are analyzed, an important step has been taken toward fighting<br />

it, <strong>bu</strong>t that is by no means the whole way. Certainly there are great dangers today in actually following,<br />

actually fulfilling this hostile image of Islam--and that has only been the doing, it is true, of some<br />

Moslems and some Arabs and some black Africans. But such fulfillments underline the importance of<br />

what still has to be done. In the great rush to industrialize, modernize and develop itself, the Islamicate<br />

world has been compliant about turning itself into a great consumers' market. To dispel the myths and<br />

stereotypes of Orientalism, the world as a whole has to be given an opportunity to see Moslems and<br />

Orientals producing a different form of history, a new kind of sociology, a new cultural awareness: in<br />

short, the relatively modest goal of writing a new form of history, investigating the Islamicate world<br />

and its many different societies with a genuine seriousness of purpose and a love of truth. But, alas, we<br />

must recognize that even with vast sums of money easily available, the Islamic world as a whole does<br />

not seem interested in promoting learning, <strong>bu</strong>ilding libraries, establishing research institutes whose<br />

main purpose would be modern scientific attention to Islamic realities and to seeing whether in fact<br />

there is something specifically Islamic about the Islamic world.<br />

<br />

Why is there a rush to produce row upon row of functionally illiterate technicians--with each new<br />

generation more likely than its predecessors to be vulnerable to the media revolution in its worst<br />

excesses? This is the great question of the hour. If it is a fact that this is the general direction taken by<br />

the Third World countries that have recently gained their independence, it isn't much of a consolation to<br />

say confidently that the problem is not an Islamic one <strong>bu</strong>t a social and cultural one. Nor is the rhetorical<br />

attack upon neo-imperialism very convincing at a time when national governments and rulers openly<br />

espouse values that further the new style of imperialism without colonies. To say that this reflects a<br />

preoccupation with rhetoric and style at the expense of concrete substance is, however, not to have<br />

learned anything from what we have been calling the distortion of the Arab-Islamic image in the<br />

Western media. That this distortion has occurred at all is a function of power, and in this instance style


and image are direct political indices of power. Thus, we must concede that any drastic attempt to<br />

correct distortions of Islam and the Arabs is a political question involving the use and deployment of<br />

power.<br />

Let me return to the power of the media in the current situation involving Islam. As the press comes to<br />

perceive an increasing number of Moslems as American enemies, rulers like Egypt's President Anwar<br />

el-Sadat (whose remark that Khomeini was a lunatic and a disgrace to Islam was repeated ad nauseam)<br />

have been made to seem like a more desirable Islamic norm. The same is true of the Saudi royal family,<br />

although what generally goes unreported as a result is a considerable amount of disturbing information<br />

and, in the case of Iran, this deepens the hostage crisis.<br />

Since the Camp David agreements of 1978 there has been a consensus that Sadat is our friend in the<br />

region; along with Prime Minister Menachem Begin of Israel he has been openly proclaiming his<br />

willingness to become a regional policeman and to give the United States bases on his territory. As a<br />

consequence, nearly everything reported out of Egypt effectively makes his point of view seem like the<br />

correct one on matters Egyptian, Arab and regional. Egypt and the Arab world, in fact, now often<br />

reported with a view to confirming Sadat's pre-eminence; little appears about the widespread opposition<br />

to him. Exactly the same thing happened during the Pahlevi regime, of course, when, with the<br />

exception of Berkeley scholar Hamid Algar, no one paid the slightest attention to the potential of the<br />

Shah's religious and political opposition. Many of our political, military, strategic and economic<br />

investments today are made through Sadat, and by virtue of Sadat's perspective on things.<br />

There are other reasons too. One is the Middle East's sensitive domestic aspects for this country. It is no<br />

accident, for example, that even after Watergate and the revelations about the Central Intelligence<br />

Agency (and even with the Freedom of Information Act), there have been no major discoveries<br />

concerning U.S. activities in the Middle East. This is surprising in the case of Iran, not simply because<br />

so many Americans were on the take from the Shah <strong>bu</strong>t also because of Israel's extremely close<br />

involvement with the United States there under the ex-Shah's regime. Savak was set up with the direct<br />

help of the Mossad, the Israeli intelligence agency, and, as in so many other cases, the C.I.A. and the<br />

Federal Bureau of Investigation cooperated willingly with the ISraeli secret services.<br />

In addition, there is an increasingly influential new lobby in this country whose main function is to<br />

assure the U.S. public that the present Arab regimes in the Gulf are stable. Among all the reporters for<br />

the major networks and newspapers, in fact, only CBS's Ed Bradley noted on November 24,1979, that<br />

all information about the November occupation of the Great Mosque in Mecca came from the<br />

Government and that no other news was permitted. Subsequently, The Christian Science Monitor's<br />

Helena Cobban reported from Beirut on November 30 that the mosque's seizure had a very definite<br />

political meaning, that far from being Islamic fanatics, the attackers were part of a political network<br />

having a secular as well as an Islamic program, pointedly directed at the political and financial<br />

monopoly held by the Saudi royal family. One month after her article appeared, the Saudi spokesman<br />

for the group, who had given Cobban the story, was picked up off a Beirut street and has disappeared;<br />

Saudi intelligence is reportedly behind the man's abduction.<br />

With the Soviet invasion of Afghanistan, we are probably going to have an even more dramatic<br />

cleavage separating good Moslems from bad. We will undoubtedly be seeing ever more news hailing<br />

the achievements of good Moslems like Sadat, Pakistan's Zia ul-Haq and the Afghan Moslem<br />

insurgents--more equating of good Islam with anti-Communism and, if possible, with modernization.<br />

As for Moslems who do not serve our purpose, they will, as always, be portrayed as backward fanatics.<br />

The Nation Since 1865<br />

Copyright © 2011 The Nation<br />

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[32] http://www.thenation.comlcategory/personlwilliam-james


Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über<br />

http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

Attia (Hg.) - Orient- und IslamBilder<br />

1. Auflage, Oktober 2007<br />

ISBN 978-3-89771-466-3<br />

© UNRAST-Verlag, Münster<br />

Postfach 8020, 48043 Münster - Tel. (0251) 66 62 93<br />

info@unrast-verlag.de<br />

www.unrast-verlag.de<br />

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)<br />

Umschlag: Dieter Kaufmann, March<br />

Satz: Unrast Verlag<br />

Druck: Interpress, Budapest<br />

I<br />

f<br />

Inhalt<br />

Iman Artia<br />

Kulturrassismus und Gesellschaftskritik<br />

Theoretische Einführungen<br />

Maria da Mar Castra Varela & Nikita Dhawan<br />

Orientalismus und postkoloniale Theorie<br />

Reinhard Schulze<br />

Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident<br />

Historische und geographische Lokalisierungen<br />

Nina Berman<br />

Historische Phasen orientalisierender Diskurse in Deutschland<br />

Almut Höfert<br />

Das Gesetz des Teufels und Europas Spiegel.<br />

Das christlich-westeuropäische Islambild im Mittelalter<br />

und in der Frühen Neuzeit<br />

Jürgen Krämer<br />

Orientalismus macht Geschichte: Zum Beispiel die Entstehung<br />

des Orientaldespoten im Deutschland der Spätaufklärung aus<br />

dem Geiste europäischer Expansion in Indien<br />

Sybille Bauriedl<br />

Der >Orient< als Raumkonstruktion der Geographie<br />

Kulturelle Tradierungen<br />

Margret Spahn<br />

Das musikalisch geprägte Türkenbild<br />

Andreas Pflitsch<br />

Schwindel erregende Ausschweifungen, süße Chimären.<br />

Die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht<br />

und ihr europäisches Publikum<br />

5<br />

31<br />

45<br />

71<br />

85<br />

111<br />

137<br />

157<br />

167


46 Reinhard Schulze<br />

die Rehabilitation des Kulturbegriffs, der nun dergestalt gefasst wurde, dass<br />

Kultur als Ensemble wie auch als Resultante eines komplexen Prozesses sprachgetragener,<br />

machtvoller Deutungsvorgänge angesehen wurde, durch den soziale<br />

Wirklichkeiten erschaffen werden.<br />

Der amerikanische LiteraturwissenschaftIer Edward Said (1935-2003) bündelte<br />

diese Denktraditionen in seiner kritischen Geschichte des Orientalismus, die er<br />

1978 publizierte. 2 Er verortete den Orientalismus als kulturellen Stil im okzidentalen<br />

Denken, der sich vornehmlich in den Künsten, der Philosophie und<br />

der Politik zeige und der sekundär auch die akademische Beschäftigung mit<br />

orientalischen Texten geprägt habe. Entsprechend definierte er den Orientalismus:<br />

"Orientalism is a style of thought based upon ontological and epistemological<br />

distinction made between ,the Orient< and (most of the time) ,the Occident


50 Reinhard Schulze<br />

dem Standort des Betrachters (das heißt des Westens) und einem >Orient< behauptet,<br />

die universalgeschichtlichen Charakter habe. Fünftens werden durch diese<br />

Prozedur bestimmte Stile und Merkmale als >anders< beziehungsweise >orientalisch<<br />

identifiziert, die einerseits sich der Betrachter kulturell aneignen kann und andererseits<br />

dem Betrachteten wesensmäßig zugeordnet werden.<br />

Orientalismus ist damit Teil einer Kultur- und Ideengeschichte, die eng mit<br />

den intellektuellen Traditionen der Neuzeit ver<strong>bu</strong>nden ist. Bedeutung erlangte<br />

er aber vor allem dadurch, dass er im Rahmen der kolonialen Kultur in den<br />

durch den Orientalismus selbst als orientalisch definierten Ländern realisiert<br />

und von den dort lebenden Eliten als konstitutiver Teil der eigenen kulturellen<br />

Identität angenommen wurde. Die kulturgeschichtliche Funktion des Orientalismus:<br />

bestand somit vorrangig in der Konstruktion eines okzidentalen Elitebewusstseins.<br />

Die westeuropäischen Eliten verfiigten durch den Orientalismus<br />

über eine Deutungsprozedur, mittels derer sie den sozialen und kulturellen<br />

Kontakt mit >Fremden< bewältigen und ihren Machtanspruch auf das >Fremde<<br />

bestätigen konnten. Dass der Orientalismus zu einem integralen Bestandteil<br />

einer >okzidentalen< Selbstbehauptung wurde, zeigte sich schon im 18. Jahrhundert,<br />

als französische Aufklärer wie Bougainvilliers, Montesquieu und Voltaire<br />

den Orient als intellektuelle Gegenwelt erschufen, mittels derer sie die absolutistische<br />

Herrschaft der Bourbonen kritisieren konnten. Solche Gegenwelten<br />

waren auch in England und Schottland populär: Gerade in der deistischen<br />

Kritik an der anglikanischen, katholischen und teils auch puritanischen Theologie<br />

wurde der Islam als >aufgeklärte, natürliche Religion< aufgefasst. Die Gegenweltlichkeit<br />

des Orients war zum Ende des 18. Jahrhunderts fest etabliert;<br />

unterschiedlich war nur die Wertung der Gegenwelt. Für deutschsprachige<br />

Schriftsteller wie Herder, Goethe und Schlegel war der Orient als spiritueller<br />

Ort fest definiert, dessen Texte vor dem Zugriff der rationalistischen Aufklärung<br />

sicher seien und allen zur Verfiigung stehen würden.<br />

Zwar zeigten sich in den verschiedenen westeuropäischen intellektuellen<br />

Kulturen verschiedene Funktionen des Orientalismus (Staatskritik in Frankreich,<br />

Religionskritik in England und Schottland, Rationalismuskritik in Deutschland).<br />

Doch über diese Funktionszuweisung hinaus folgte der Orientalismus stets den<br />

gleichen formalen Prozeduren.<br />

Orientalismus hat sich als wichtige Tradition der Aufklärung etabliert. In der<br />

Anthropologie der Aufklärung wurde die conditio humana universalistisch<br />

ausformuliert, wobei das diese Beschrei<strong>bu</strong>ng tragende auktoriale >Wir< als totum<br />

pro parte aufgefasst wurde: Das die anthropologische Bestimmung des Menschen<br />

erkennende aufklärerische Subjekt versah sich mit einer universalistischen Identität.<br />

Die bislang real erlebte Partikularität der Welt (die auch in aristotelischer<br />

Tradition als partikular beschrieben worden war), wurde nun einem eigenen<br />

Diskurs zugeordnet.8 Je mehr universalistische Aufklärungsideen formuliert<br />

Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident 51<br />

wurden, desto stärker wurde die partikulare Welt exklusiv gesehen. Die<br />

Grenzziehung zwischen Universalität und Partikularität wurde spätestens im<br />

frühen 19. Jahrhundert unter Rückgriff auf griechische Muster endgültig auf<br />

die Unterscheidung zwischen Orient und Okzident bezogen. 9 Kultur war zunächst<br />

ein Begriff fiir diese Partikularität, der die Universalität der conditio<br />

humana, die die Aufklärer definierten und fiir sich selbst reklamierten, komplettierte.1<br />

0 Erst im 19. Jahrhundert wurde diese aufklärerische Sicht zu einem<br />

kulturellen Merkmal eines eigenen exklusiven Raums, nämlich des >Westenspartikular< und damit als >anders als die Universalität< definiert. So<br />

ist es kein Wunder, dass im Orientalismus die Partikularität des >Anderen< als<br />

>Fremdheit< neu erschaffen wurde. Auch wurde es nun möglich, das >Orientalische<<br />

als eine Eigenheit anzusehen, die sich der >Okzident< aneignen könne. Sprachlich<br />

wurde dies durch die Verbalisierung >orientalisieren< zum Ausdruck gebracht.<br />

Sie scheint erstmals im Englischen üblich geworden zu sein. 1Z<br />

Der Wechsel zu universalistischen und anthropologischen Redeweisen über<br />

die conditio humana bedingte also einen separaten, aber komplementären<br />

Diskurs über die Partikularität der Welt. Um einerseits denken zu können, dass<br />

alle Menschen gleich und frei sind, aber es andererseits fiir möglich zu erachten,<br />

Sklaven zu halten und Mamluken zu töten, um das also denken zu können,<br />

ohne in einen internen moralischen Widerspruch der rationalen Vernunft zu<br />

geraten, bot der Orientalismus eine Form der Bewältigung der universalistischen<br />

Aufklärungsidee in der realen Welt an. Der Orientalismus beschrieb<br />

gleichzeitig eine Grenze des Universalismus: Menschen, denen eine >orientalische<br />

Kollektividentität< zugewiesen wurde, unterlagen nicht den Betrachtungsweisen<br />

des Universalismus und wurden auch nicht mit seinen Werten ausgestattet.<br />

In der seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts einsetzenden Aufklärungskritik<br />

wurde - etwa bei Herder (vgl. Dumont 1991, S. 130 ff.) - der Orientalismus<br />

generalisiert und neu akzentuiert. Die hierarchische Dichotomisierung der Welt,<br />

durch die die Aufklärung zwischen denjenigen, die den Status der Aufgeklärtheit<br />

erreicht hätten und deren Denken universalistisch sei, und jenen, die diesen<br />

Fortschritt noch nicht erreicht haben und somit >unterentwickelt< seien, unterschied,<br />

wurde mehr und mehr zugunsten einer prinzipiellen Unterscheidung<br />

zwischen dem >Okzident< und dem >Orient< aufgegeben. Dennoch blieb eine<br />

gewisse universalistische Perspektive erhalten, denn die kulturelle Situation, in<br />

der sich Herder, Goethe, Schiller und andere Zeitgenossen sahen, galt diesen als<br />

ultima ratio einer langen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. 13 Andere Kulturen<br />

wurden metaphorisch als Vorstufen eines universellen Reifungsprozesses<br />

angesehen.1 4 Der Blick auf >andere Kulturen< wäre wie ein Blick in die frühere<br />

Geschichte der eigenen Kultur, oder anders gesagt: es sei so, als würde man


52 Reinhard Schulze<br />

seiner eigenen Kindheit begegnen,15 Mit Aussagen wie »Nur durch das Mannigfaltige<br />

Einheit und durch das Entgegengesetzte Zusammenhang« postulierte Herder<br />

explizit die Koexistenz von Universalismus und Partikularismus. Diese Sichtweise<br />

hat bis heute ihre Aktualität bewahrt. Es ist schon fast zum Topos<br />

geworden, von der »Gleichheit der Menschen und der Ungleichheit der Kulturen«<br />

zu sprechen (eindrücklich etwa bei Malik 1996).<br />

Der Orientalismus ist somit ein Diskurs, der die postulierte Ungleichheit des<br />

Partikularen vor dem Universalismus des Gleichheitsanspruchs zu schützen<br />

hilft. Obwohl dieser Begriff auf einen imaginierten geographischen Raum verweist<br />

- eben auf den Orient -, ist er nicht auf ihn beschränkt. Vielmehr finden wir<br />

ihn als Konvention des Verstehens von etwas als >fremd< definiertem auch auf<br />

andere geographische Räume bezogen wieder, so auf Afrika südlich der Sahara,<br />

ja auch auf Nordamerika und Australien. Die Namensge<strong>bu</strong>ng >Orientalismus<<br />

erfolgte vor allem deshalb, weil diese Denkfigur gerade in Bezug auf die islamischen<br />

und später indischen und chinesischen Kulturen am deutlichsten erkennbar<br />

und am besten erforscht war.<br />

Parallel zum intellektuellen Orientalismus vollzog sich an den europäischen<br />

Höfen seit dem späten 17. Jahrhundert eine Hinwendung zu visuell erlebbaren<br />

Formen des Orients. Chinoiserie und Turquerie - das heißt das Spiel mit als<br />

chinesisch und türkisch definierten Stilen in der Mode, im Gartenbau und in<br />

der Kunst - dienten vornehmlich der Kostümierung,16 Das spielerische Kokettieren<br />

mit chinesischen und türkischen Stilen und Moden fUhrte aber kaum dazu,<br />

dass diese fest in die eigenen kulturellen Repertoires eingefUgt wurden. Die<br />

Beliebigkeit der Tradition drückte nur die VerfUgbarkeit des Anderen aus.<br />

Der Orient des 18. Jahrhunderts war eine Maskerade und ein Rollenspiel<br />

zugleich. Der Wirklichkeitsbezug ergab sich nur durch die materiellen Bedingungen,<br />

durch die das Orientalische entstehen konnte. So wurden bestimmte<br />

Stile und Merkmale als >anders< beziehungsweise >orientalisch< identifiziert und<br />

gleichzeitig in das eigene kulturelle Repertoire integriert. Dies geschah vor<br />

allem im Bereich der Künste und der Literatur. Erste Hinweise auf diesen<br />

Aneignungsprozess finden sich schon in den Werken der französischen<br />

Enzyklopädisten (17. Jh. Bayle, d'Herbelot, Galland). Maßgeblich war sicherlich<br />

die Paraphrase der Erzählungen aus 1001 Nacht, die Antoine Galland<br />

(1646-1715) im frühen 18. Jahrhundert auf den Markt brachte und die schon<br />

bald europäische Erfolge feierte. Der Chinoiserie folgte nun eine wahre Mohrenkultur.<br />

Seray, Schatztruhen, EntfUhrungen, Turbane, Konkubinen, Umhänge<br />

und orientalische Nachdichtungen aller Art wurden zu Emblemen der kulturellen<br />

Aneignung. Besonderen Reiz übte im späten 18. und vor allem dann im frühen<br />

19. Jahrhundert die sexuelle Imagination des Orients aus. Schon Edward Gibbon<br />

hatte - neidisch - den Propheten als Wüstling und Frauenheld portraitiert, und<br />

dieser Topos wurde schon bald auf den Orientalen übertragen. Die Sexualisierung<br />

Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident 53<br />

des Orients war prägendes Ergebnis und Erlebnis dieses Orientalismus. Fasziniert<br />

war man vor allem von der Odaliske, der meist von türkisch odahk (»Sklavin,<br />

die als legale Konkubine angesehen wird«) abgeleitete Name fUr eine >weiße<br />

Sklavin< im Harem des Sultans. Der französische Rokoko-Maler Franc;:ois<br />

Boucher (1703-1770) war einer der ersten, der eine solche Odaliske malte,17<br />

Solange sich der Orientalismus in den Gelehrtenstuben, Privathäusern, Salons<br />

und Höfen europäischer Städte entfaltete, war er allein Teil einer komplexen<br />

Kultur von Gebildeten. Die Menschen, die in islamischen Umge<strong>bu</strong>ngen lebten,<br />

hatten mit dieser Welt nichts zu tun. Europäische Reisende, die nach Kairo<br />

oder Istan<strong>bu</strong>l kamen, sahen die Bewohner dieser Städte zwar mit ihrem orientalistischen<br />

Blick, doch waren sie nur Zuschauer. Ihre orientalistischen Bewertungen<br />

des >Orientalen< waren noch nicht wirklich verfestigt, so dass besondere Erlebnisse<br />

schon einmal zu Korrekturen in ihren Einstellungen fUhren konnten (z.B. Lady<br />

Montague oder Madame von Tott in Istan<strong>bu</strong>l im 18. Jahrhundert hinsichtlich<br />

der sozialen Stellung der osmanischen Frau, Abbe Toderini in Bezug auf die<br />

Despotie im Osmanischen Reich). Solche Korrekturen sind gerade in Reiseberichten<br />

des 18. Jahrhunderts häufiger anzutreffen, da durch die realen überregionalen<br />

Kontakte zwischen Händlern, Diplomaten und Reisenden aus europäischen<br />

und >orientalischen< Ländern eine gewisse Homogenisierung kultureller Stile<br />

und Moden erfolgte. Die hatte zur Folge, dass der Besucher nur selten mit dem<br />

in Kontakt kam, was er als orientalisch definiert hatte. Der Orient entlarvte<br />

sich als Orientalisierung des Okzidentalen. Friedrich Rückert dichtete 1833<br />

(Rückert, 111, 1. Abt., S. 252-254):<br />

Auszog ich aus dem Abendlande<br />

Ausziehend seine Sitten<br />

Im morgenländischen Gewande<br />

Durch Morgenlands Mitten<br />

Araber ward ich beim Araber<br />

Des Wüsten lieb mir wurden<br />

Bei Persern schien ich ein Liebhaber<br />

Ein Räuber bei den Kurden<br />

Ich sprach: daß ich mit Rechte rühme<br />

Mich gründlich zu bekehren<br />

Will ich in einem Kostüme<br />

Mit jedem Volk verkehren.<br />

Auch hielt ich es rur gut und rühmlich<br />

Was diese Völker glaubten<br />

Sich jedem Fremden eigentümlich<br />

Genüber zu behaupten.


54<br />

Daß sie sich uns nicht anbequemen<br />

In Trachten und im Trachten.<br />

Und alles sucht' ich anzunehmen,<br />

wie sie es selber machten.<br />

Als mir am Reiseziel nun endlich<br />

Konstantinopel winkte<br />

Und seiner Türme Zahl unendlich<br />

Entgegen golden blinkte.<br />

Ließ ich mir reichste Stoffe wirken<br />

reid und Gebet-Tapeten<br />

Um feierlich gleich einem Türken<br />

Bei Türken aufzutreten<br />

Da fand ich, als in der Verzierung<br />

Die Stadt mich aufgenommen<br />

Daß ich mit meiner Ausstaffierung<br />

Hier sei zu spät gekommen.<br />

Denn auf den Straßen sah ich wimmeln<br />

Anzüge kunter<strong>bu</strong>nter<br />

Ein Sortiment aus allen Himmeln<br />

Und keinen Türken drunter<br />

Das Schauspiel sieht doch, bei Sankt Urban!<br />

Mich gar zu zauberhaft an:<br />

Zum Tschako worden ist der Turban,<br />

Zur Uniform der Kaftan<br />

Da ging mich schon die Ungeduld an,<br />

Die kommt nun erst zur Reife:<br />

Der Großwesir hält einen Ball, der Sultan<br />

Tanzt vor nach russischer Pfeife.<br />

Ulemas trinken Puntsch und walzen<br />

Nichts kann den Taumel stören;<br />

Die Auerhähne, wann sie balzen,<br />

Des Jägers Schuß nicht hören.<br />

Geh weg! Man rechnet dir zur Schande<br />

die farbigen Gewänder<br />

Was spielst du, Narr, im Morgenlande<br />

Den einzigen Morgenländer?<br />

Reinhard Schulze Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident 55<br />

Der Schock war groß, als das orientalische Versprechen uneingelöst blieb. Im<br />

ganzen 19. Jahrhundert quälten sich zahllose Reisende auf der Suche nach dem<br />

Orient, den sie sich im Okzident erschaffen hatten (Schulze 1997). Goethe<br />

versuchte zu trösten (Goethe 1976, S. 648):<br />

Im Orient lernt ich das Prahlen.<br />

Doch seit ich zurück bin, im westlichen Land<br />

Zu meiner Beruhigung find ich und fand<br />

Zu Hunderten Orientalen.<br />

Die Nichterrullung des orientalischen Traums hatte vier bedeutende Konsequenzen:<br />

Erstens wurde >dem Orient< vorgeworfen, nicht >orientalisch< zu sein;<br />

zweitens wurde das Orientalische nun noch stärker durch wertende Stereotypen<br />

ausformuliert, wohl auch deshalb, weil die Wirklichkeit kein Korrektiv der<br />

Stereotypen darstellen konnte; drittens sahen sich die Okzidentalen mehr und<br />

mehr in der Rolle der Bewahrer des orientalischen Erbes; und viertens forschten<br />

die Okzidentalen nach der Ursache rur die Mangelhaftigkeit des Orients. Die<br />

Stereotypen waren eindeutig: Der Orient ist »Geliebte« (Goethe 1979, S. 100)18,<br />

unwandelbar (ebd., S. 211), auf ewig despotisch (Herder 1984, S. 595), hassenswürdig<br />

wegen seiner »Tyrannei gegenüber der Frau« und seiner »Feindschaft<br />

gegenüber den Künsten« 19, ohne Moralität aus reiner Vernunft (Kant); der<br />

Orientale ist - wenn Türke - faul, gutmütig (Kant), apathisch, jähzornig, hinterhältig,<br />

- wenn Araber - gefährlich, stolz, edel, zornig, patriarchalisch, potent,<br />

gemeill (Burton) etc.; die orientalischen Länder sind bevölkert mit hinterlistigen<br />

Händlern, weisen Männern, lüsternen Patriarchen, schönen Frauen; orientalische<br />

Themen sind Dichtung, Schönheit, Liebe, Vorherbestimmung. 20<br />

Die Unterscheidung zwischen dem ideellen >guten Orient< und dem realen<br />

> bösen), Orient< erlaubte es, den Orient trotz seiner Negation durch die<br />

Wirklichkeits erfahrungen beizubehalten. Zwangsläufig war die Notwendigkeit<br />

der Orientalisierung, die schon Goethe forderte: »WoUen wir an diesen Produktionen<br />

der herrlichsten Geister teilnehmen, so müssen wir uns orientalisieren,<br />

der Orient wird nicht zu uns herüberkommen.« (Goethe 1979, S. 355).<br />

Es war um 1820 wohl inteUektueUes Gemeingut zu behaupten, dass nur der<br />

Okzident den Orient bewahren könne. Schelling meinte entsprechend (Schelling<br />

1958, S. 634): »Nur der Buchstabe des Okzidents konnte dem vom Orient<br />

kommenden idealen Prinzip einen Leib und die äußere Gestalt geben, wie das<br />

Licht der Sonne nur in dem Stoff der Erde seine herrlichen Ideen ausgebiert.«<br />

Und man wusste, dass dieser Orient kaum etwas mit den ihm zugeordneten<br />

>wirklichen< Kulturen gemein hatte (Fichte 1971, S. 391). Für Nerval war es<br />

dann bald ausgemachte Sache, dass der Orient nicht mehr in Kairo, sondern<br />

allenfaUs in der Pariser Oper zu finden sei. 21 Und Theophile Gautier notierte<br />

1869: »Für uns rankte sich unser Kairo um [das Bild] >der Ezbekieh-Platz< von


56 Reinhard Schulze<br />

Marilhat«.22 Der Orientalismus fand nun seine Gestalt in den Künsten - und<br />

hier vor allem in der Malerei als Ausdruck eines okzidentalen Traums, über den<br />

Lamartine sagte: »Mein ganzes Lebens lang war der Orient der Traum meiner<br />

finsteren Tage in den Herbst- und Winternebeln meines Heimattals.«23<br />

Gustave Flaubert in Kairo,<br />

Photographie von Maxime Du Camp<br />

1849<br />

Prosper Marilhat (1811-1847)<br />

"Ezbekiah Street in Cairo"<br />

1833, Hermitage Museum, Russland<br />

Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident 57<br />

IH.<br />

Schelling kannte zwei Oriente: den Voltaires und den Muhammads. Nur den<br />

ersten hielt er fiir würdig, in den Kanon okzidentaler Identität eintreten zu<br />

lassen: »Der ewig lebendige Geist aller Bildung und Erschaffung wird es in neue<br />

und dauerndere Formen kleiden, da es an dem dem Idealen entgegengesetzten<br />

Stoff nicht fehlt, der Okzident und Orient sich in einer und derselben Bildung<br />

nahe gerückt sind, und überall, wo Entgegengesetzte sich berühren, neues<br />

Leben entzündet wird.« (Schelling 1958, S. 635) Der zweite Orient, der<br />

Muhammad zugeschrieben wurde, war der Ort der Enttäuschung. Doch der<br />

diskursive Charakter des Orientalismus bot einen Ausweg aus der Enttäuschung:<br />

Indem in der kolonialen Machtstellung die vom Orient träumenden Eliten eine<br />

Definitionsmacht über die Muslime erzielten, gelang es ihnen, ihre Erwartungen<br />

bei diesen zu beheimaten und sie mit dem Auftrag zu versehen, ihnen den<br />

Orient ihren Träumen entsprechend aufzufiihren. Die Muslime, deren Eliten<br />

sich noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts der Teilhabe an einer universellen<br />

Zivilisation sicher zu sein glaubten, akzeptierten den Orientalismus als Teil dieses<br />

Universalismus und bestätigten damit zugleich, dass mit der Aufklärung ein wie<br />

immer gearteter Orientalismus einherging. Schon bald setzten sie ihren eigenen<br />

Orientalismus ein, um über >den Okzident< zu sprechen, das heißt sie erschufen<br />

sich zur neuen Bestätigung ihrer Orientalität einen essenzialisierten Okzident,<br />

über dessen Wesen sich die Okzidentalen und Orientalen zwar geeinigt, über<br />

dessen Bewertung aber Dissens bestand. Das diskursive Machtspiel, das zwischen<br />

1850 und 1920 die intellektuellen Diskussionen charakterisierte, ist bis heute<br />

kaum aufgearbeitet und wurde auch von Edward Said nicht weiter thematisiert.<br />

Die Beheimatung des Orients >im Orient< vollzog sich ziemlich genau zwischen<br />

1860 und 1920. Zahllose im Orientalismus transportierte Stereotypen wurden<br />

von manchen Muslimen als Teil der eigenen islamischen Identität festgeschrieben:<br />

So geriet die von Okzidentalen postulierte Auffassung, der Islam trenne nicht<br />

zwischen Staat und Religion, zu einer neuen dogmatischen Aussage mancher<br />

islamischer Fundamentalisten. Nicht nur Stereotypen, sondern ganze Handlungsweisen<br />

wurden inkorporiert: Der Bauchtanz, eine orientalistische Fiktion<br />

französischer Reisender und Kaufleute aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts,<br />

wurde nun als Realität in Ägypten und später in der Türkei inszeniert<br />

und dann in das aktuelle kulturelle Repertoire integriert.24<br />

Der Orientalismus ist fester Bestandteil der modernen Kulturgeschichte, und<br />

zwar sowohl der europäischen wie der nah östlichen Gesellschaften. Er hat<br />

Wirklichkeiten geschaffen, die bis heute als Orientierung dienen. Der Partikularismus<br />

des Orientalismus ist in den Anschauungen von Samuel Huntington<br />

explizit fortgeschrieben und gilt als die wichtigste Denkfigur zur Bewältigung<br />

politischer Krisen nicht nur in den USA. Er ist auch zur Denkfigur radikaler


60 Reinhard Schulze<br />

nichts ist trüglicher als die Anwendung desselben auf ganze Völker und Zeiten. Wie<br />

wenige sind in einem kultivierten Volk kultiviert?« (Herder 2002, S. 9-10; cf. die Anm. v.<br />

W. Pross in III/2, S. 26 ff.).<br />

11 Bei Talcott Parson ist Partikularismus eine der fiinf pattern variables im kindlichen<br />

Lernprozeß. Siehe auch Hentges 1999.<br />

12 So vermerkte der englische Schriftsteller Walter Savage Landor (1775-1864) 1829:<br />

"The occidental world orientalises rapidly.« (Imaginary conversations oE Jiterary men<br />

and statesmen. Second series. London 1829).<br />

13 Hegel schrieb: »Die eigentliche Philosophie beginnt im Okzident. Erst im Abendlande<br />

geht diese Freiheit des Selbst bewußtseins auf, das natürliche Bewußtsein in sich<br />

unter und damit der Geist in sich nieder. Im Glanze des Morgenlandes verschwindet<br />

das Individuum nur; das Licht wird im Abendlande erst zum Blitz des Gedankens, der<br />

in sich selbst einschlägt und von da aus sich seine Welt erschafft.« (HegeI1986, S. 121).<br />

14 Diese Sicht war auch theologisch begründet. Sie wurde schon 1551 durch den<br />

dominikanischen Mönch Bartolome de las Casas (1474-1566) in dem berühmten Streitgespräch<br />

über die Stellung der Indios zum Ausdruck gebracht: »Die Menschheit ist<br />

eines, und alle Menschen sind gleich, was ihre Erschaffung und all ihre natürlichen<br />

Anlagen betrifft. Niemand kommt erleuchtet zur Welt. Daraus folgt, daß wir zunächsb<br />

von denen gefiihrt und erleuchtet werden müssen, die vor uns geboren wurden. Die<br />

wilden Völker dieser Erde sind dem unbebauten Erdboden vergleichbar, der Unkraut<br />

oder unnütze Dornen hervorbringt, der aber alle natürlichen Kräfte enthält, damit er<br />

durch Arbeit und Pflege gesunde und wohltuende Früchte hervorbringen kann.«<br />

Bartolome de Las Casas: In Defense. The Defense of the Most Reverend Lord, Don<br />

Fray Bartolome de Las Casas, of the Order of Preachers, Late Bishop of Chiapa,<br />

Against the Persecutors and Slanderers of the Peoples of the New World Discovered<br />

Across the Seas [Brevissima relaci6n de la destruyci6n de las Indias, 1552], ed. and<br />

trans. Stafford Po oie. Illinois: Northern Illinois University Press 1974, hier zit.n.<br />

Poliakov & Delacampagne & Girard 1979, S. 69. Siehe auch Bartolome de las Casas:<br />

The devastation of the Indies; abrief account [Brevissima relaci6n] Translated from the<br />

Spanish by Herma Briffault. Introd. by Hans Magnus Enzensberger, with a dossier by<br />

Michel van Nieuwstadt. New York, 1974. Siehe hierzu jetzt auch Wallerstein 2007, S. 12-21.<br />

15 So deutlich bei Friedrich Schiller: »Ueber den Gesichtspunkt mit Ihnen einig, aus<br />

welchem der Werth einer Wissenschaft zu bestimmen ist, kann ich mich dem Begriff<br />

der Universalgeschichte selbst, dem Gegenstand der heutigen Vorlesung, nähern. Die<br />

Entdeckungen, welche unsere europäischen Seefahrer in fernen Meeren und auf entlegenen<br />

Küsten gemacht haben, geben uns ein eben so lehrreiches als unterhaltendes<br />

Schauspiel. Sie zeigen uns Völkerschaften, die auf den mannigfaltigsten Stufen der<br />

Bildung um uns herum gelagert sind, wie Kinder verschiedenen Alters um einen Erwachsenen<br />

herum stehen und durch ihr Beispiel ihm in Erinnerung bringen, was er<br />

selbst vormals gewesen und wovon er ausgegangen ist. Eine weise Hand scheint uns<br />

diese rohen Völkerstämme bis auf den Zeitpunkt aufgespart zu haben, wo wir in unserer<br />

eignen Kultur weit genug würden fortgeschritten sein, um von dieser Entdeckung eine<br />

Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident 61<br />

nützliche Anwendung auf uns selbst zu machen und den verlornen Anfang unsers<br />

Geschlechts aus diesem Spiegel wieder herzustellen. Wie beschämend und traurig aber<br />

ist das Bild, das uns diese Völker von unserer Kindheit geben! und doch ist es nicht<br />

einmal die erste Stufe mehr, auf der wir sie erblicken. Der Mensch fing noch verächtlicher<br />

an. Wir finden jene doch schon als Völker, als politische Körper: aber der Mensch<br />

mußte sich erst durch eine außerordentliche Anstrengung zur politischen Gesellschaft<br />

erheben.« (Friedrich Schiller: ,Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte


62<br />

Reinhard Schulze<br />

der Eremitage in St. Peters<strong>bu</strong>rg befindet. Siehe Amelinckx, P., Theophile Gautier et<br />

Marilhat. ,Peintures, textes, contextes


64<br />

Reinhard Schulze<br />

Texte in ihrer Ursprünglichkeit rekonstruiert werden könnten,<br />

Die »heilige Philologie« hatte vor allem unter anglikanischen und puritanischen<br />

Kreisen des 17. Jahrhunderts recht viele Anhänger gefunden. Problematisch<br />

war allerdings, dass die arabische Sprache diesen Gelehrten gerade auch in<br />

Form islamischer Texte vertraut gemacht wurde. Durch das Arabische wurden<br />

sie mit einer anderen religiösen Tradition konfrontiert. Dies bedeutete, dass<br />

mit der positiven Rezeption des Arabischen als die den Urzustand der biblischen<br />

Zeit am besten dokumentierende Sprache gleichzeitig eine negative Kritik der<br />

islamischen Religion erfolgen musste. So war der Orient schon früh doppelt<br />

definiert: zum einen als versteinerter Ort einer biblischen Zeit, zum anderen als<br />

Ort einer Religion (oder Sekte, wie man damals sagte), die diese Sprache im<br />

negativen Sinne gefangen hielt.<br />

Zwei Faktoren bestimmten die Rahmenbedingungen rur das Studium der orientalischen<br />

Sprache etwa in Oxford, Zürich oder Leiden. Da war zunächst einmal<br />

das Schema der Trennung zwischen dem positiven >hier< (gleich >wirdort< (gleich >sieHellenen< und den >Barbaren< unterschieden wurde, trennte der Humanismus<br />

zwischen der klassischen Tradition (gleich >wirsieorientalisch< oder >arabischOkzident< beschrieben werden.<br />

In dieses Schema eingelagert wurde dann als zweiter Faktor die damals bestehende<br />

Kenntnis vom Islam. Bis zum Beginn der »heiligen Philologie« in der Mitte des<br />

17. Jahrhunderts beruhte das Wissen um den Islam vor allem auf der Fortschrei<strong>bu</strong>ng<br />

der spanischen Islamrezeption aus dem 13. Jahrhundert (v.a.<br />

Ximenes), auf der Koranrezeption des 13. Jahrhunderts (Ketenensis), tradiert<br />

durch die Korandrucke im 16. Jahrhundert (Bibliander), auf der spätscholastischen<br />

Beschäftigung mit arabischen medizinischen und philosophischen Texten, auf<br />

gewissen Werken der Renaissance-Philologie sowie auf der Flut von Texten aus<br />

dem Umfeld der Türkenkriege inklusive der entsprechenden polemischen Literatur<br />

(17. Jh., Abraham a Santa Clara). Das Wissen um den Islam wurde kaum<br />

akademisch gepflegt, sondern vornehmlich als Alltagswissen tradiert.<br />

Diese akademische Beschäftigung mit den islamischen Traditionen definierte<br />

den Islam als ein Ensemble von Text und Sprache. Konsequenterweise sah sich<br />

derjenige, der diese Texte las, übersetzte und korrigierte, als die höhere, kritische<br />

Instanz, vor allem dann, wenn er sich jenseits der eigentlichen Absicht der<br />

Texte selbst vermutete, sprich, wenn er sich außerhalb der islamischen Tradition<br />

stehend wähnte.<br />

Maßstab der Kritik war meist die Apologie oder Kritik der eigenen intellektuellen<br />

Tradition. Die aus arabischen, persischen und türkischen Texten gewonnene<br />

Orientalism. Zum Diskurs zwischen Orient und Okzident 65<br />

Definition einer >anderen< Religion (von Kultur sprach man erst im späten<br />

18. Jahrhundert) wurde in den Kontext der neueren >wissenschaftlichen< anglikanischen,<br />

katholischen und protestantischen Apologetik (u.a. Prideaux, Marracci,<br />

Reelant) gestellt. Der Islam diente hier als Chiffre der rationalen Kritik anderer<br />

christlicher Konfessionen und Denominationen. Genauso verfuhren Vertreter<br />

der Frühaufklärung vor allem in Bezug auf die Wunderdebatte (Pascal, Spinoza)<br />

und der Aufklärung in der Deismusdebatte (Locke, Hume, Stubbe, Gibbon, de<br />

tri<strong>bu</strong>s impostori<strong>bu</strong>s) und der Staatskritik (Boulainvilliers, Montesquieu, Voltaire).<br />

In der Mitte des 18. Jahrhunderts emanzipierte sich die Beschäftigung mit den<br />

orientalischen Kulturen von diesen apologetischen Zusammenhängen (Gagnier,<br />

Sale, Reiske, Reimarus, Nie<strong>bu</strong>hr); der Orient wurde nun per se genommen,<br />

ohne dabei aber die philologische Perspektive in seiner Konstruktion aufZugeben.<br />

In den orientalischen Texten meinten die Orientalisten, die diese wie Antiquitäten<br />

hüteten, das Wesen des Anderen erkennen zu können. Diese Wesensbestimmung<br />

betraf zum einen die islamische Religion selbst, zum anderen<br />

vermeintliche Werte, die entweder diesen Islam geprägt hätten (>WildheitRohheitbeduinische EinfachheitBlutrünstigkeitFatalismusFanatismusIrrationalismusSklavereiWesensbestimmung< änderte sich aber nichts.<br />

Grundlage dieser Werturteile waren Interpretationen von Texten, nicht das<br />

reale Erleben von Muslimen. Solche Wesensdefinitionen wurden gerne auf den<br />

Propheten Muhammad selbst bezogen. Er galt den Orientalisten als Prototyp<br />

des Muslim schlechthin.<br />

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde unter westlichen Gebildeten die Auffassung<br />

populär, dass die Welt in all ihren Bereichen typologisch erfasst werden könne.<br />

Die Vorliebe rur die Typologie erstreckt sich auf alles, auf Pflanzen, Tiere,<br />

Gesichter, Sprache, Gesteine und Gestirne. Der Orientalismus klassifizierte<br />

Kulturen nun entsprechend typologisch. Durch diese Typologie wurden das<br />

Selbst empfinden und die Selbstaffirrnation des Gebildeten in Frankreich, England<br />

oder Deutschland zum Vergleichsmaßstab. Freiheit wurde gegen Sklaverei gesetzt,<br />

Freiheit der Wahl gegen Zwang zur Tradition, Aufklärung gegen Despotie,<br />

Rationalismus gegen Mystizismus, Individualität gegen Kollektivität. Die Summierung<br />

dieser Selbstbehauptung schuf den Okzident als eigenen Typ der<br />

menschlichen Geschichte, dem der Orient als eigener Typ entgegengestellt<br />

wurde. Diese typologische Grunddifferenz zwischen dem Betrachter (das heißt,<br />

dem >freien Menschendem Orientalen


66<br />

Literatur<br />

Reinhard Schulze<br />

Abdel-Malek, Anouar (1963): ,Orientalisme en crise


68<br />

Reinhard Schulze<br />

Shumsky, A. (1955): A Clash of Cultures in Israel - a Problem for Education. New<br />

York.<br />

Tibawi, A.L. (1964): English Speaking Orientalists. A Critique of Their Approach to<br />

Islam and Arab Nationalism. For the Islamic Cultural Centre London.<br />

Wallerstein, Immanuel (2007): Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus.<br />

Berlin.<br />

Historische und geographische<br />

Lokalisierungen

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