Inhalt - Rotary International
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<strong>International</strong>e Versammlung 2011<br />
San Diego, Kalifornien, USA • 16. bis 22. Januar 2011<br />
AUSGEWÄHLTE REDEN<br />
DE
<strong>Inhalt</strong><br />
Finde dich selbst und handele mitmenschlich 1<br />
Kalyan Banerjee<br />
RI Präsident elect<br />
Familien stärken, Gemeinschaften bilden 6<br />
Adélia A. Villas<br />
Past Governor<br />
Kontinente verbinden – und die Menschheit annehmen 9<br />
Ray Klinginsmith<br />
RI Präsident<br />
Unsere Foundation 12<br />
William B. “Bill” Boyd<br />
<strong>Rotary</strong> Foundation Trustee Chair Elect<br />
Die <strong>Rotary</strong> Foundation und Wasser 16<br />
F. Ron Denham<br />
RI/USAID Steering Committee Member<br />
Meine Erfahrung mit der Kinderlähmung 19<br />
Jenny Horton<br />
Rotarierin<br />
Wie <strong>Rotary</strong> mein Leben veränderte 23<br />
Vener Macaspac<br />
<strong>Rotary</strong> Friedensstipendiat, University of California 2009-11<br />
Future Vision: Die Foundation im Wandel 27<br />
Carl-Wilhelm Stenhammar<br />
<strong>Rotary</strong> Foundation Trustee Chair<br />
Mitgliedschaft 31<br />
John C. Smarge<br />
RI Director<br />
Eine neue Herangehensweise an <strong>Rotary</strong> 35<br />
Katie Ischkin<br />
Rotarierin und ehemalige Rotaracterin<br />
DE
Die Unterstützung des Sekretariats 39<br />
Ed Futa<br />
RI Generalsekretär<br />
Das Wunder der geschriebenen Sprache 41<br />
Glen W. Kinross<br />
Past RI Präsident<br />
Leadership: Das Schüren des Feuers 44<br />
Rajendra K. Saboo<br />
Past RI Präsident<br />
Das Bild in der Öffentlichkeit 49<br />
Jennifer Jones<br />
RI Training Leader<br />
Unsere Grundwerte und der Berufsdienst 54<br />
Bhichai Rattakul<br />
Past RI Präsident<br />
Abschlussbemerkungen 58<br />
Ray Klinginsmith<br />
RI Präsident<br />
Schlusswort 60<br />
Kalyan Banerjee<br />
RI Präsident elect<br />
<strong>Rotary</strong>: eine lebensverändernde Erfahrung 65<br />
Binota Banerjee<br />
Gattin des RI Präsidenten elect
Finde dich selbst und handele mitmenschlich<br />
Kalyan Banerjee<br />
RI President-elect<br />
Lassen Sie mich damit beginnen, dass meine Frau Binota und ich Sie – die Amtsträger aus<br />
532 Distrikten in über 200 Ländern – hier ganz herzlich willkommen heißen.<br />
Am Eingang zu diesem Saal haben Sie ein Schild gesehen, auf dem steht: „Enter to Learn“<br />
(Tritt ein, um zu Lernen). Ich schließe mich Ihnen heute in aller Bescheidenheit und Klarheit<br />
an, dieses Motto zu befolgen wenn wir in den nächsten fünf Tagen zusammenarbeiten. Dies<br />
wird eine wichtige Erfahrung für uns sein, an die wir uns noch lange erinnern werden.<br />
Zunächst sollten wir uns vielleicht einmal unsere Teamkollegen ansehen. Sowohl neben<br />
als auch vor und hinter Ihnen sitzt heute ein neuer Freund. Sehen Sie sich um. Er oder<br />
sie stammt vielleicht aus einem anderen Land, aus einer anderen Kultur, gehört vielleicht<br />
einem anderen Glauben an. Er oder sie spricht eine andere Sprache und ist anders<br />
gekleidet. Doch was die Unterschiede auch sein mögen, eines haben wir alle gemeinsam:<br />
Ein jeder um Sie herum ist Mitglied von <strong>Rotary</strong>, mit den gleichen Hoffnungen und<br />
Träumen und ähnlichen Zielen. Wir alle wünschen uns, dass die Welt um uns herum für<br />
unsere Familien, Kinder und Enkel sicherer und glücklicher wird. In den nächsten paar<br />
Tagen werden sich, während wir uns treffen, gemeinsam essen, leben und lernen, unsere<br />
Freundschaften noch weiter vertiefen. Ich weiß, dass ein jeder von Ihnen genau dazu<br />
beitragen will. Warum stehen Sie also nicht alle einmal auf – bitte stehen Sie auf – und<br />
schütteln Sie Ihrem Nachbarn auf beiden Seiten (und vor und hinter Ihnen) die Hand.<br />
Lassen Sie uns das einfach alle einmal tun.<br />
Vielen Dank. Heute ist wirklich ein besonderer Tag für einen jeden von uns, für Sie<br />
genauso wie für mich, während wir hier gemeinsam mit unseren Past Präsidenten, dem<br />
Zentralvorstand und dem Kuratorium sowie den aktuellen, ehemaligen und zukünftigen<br />
Amtsträgern unserer großartigen Organisation stehen.<br />
Wo wollen wir beginnen? Lassen Sie mich hierzu ein paar Jahre in unserer Geschichte<br />
zurückblättern.<br />
1997/98 stieß der damalige [RI] Präsident Glen Kinross aus Australien ein Projekt für<br />
kostengünstige Unterkünfte an. <strong>Rotary</strong> Clubs aus Raipur, in Distrikt 3260 in Indien, erhielten<br />
nach Gesprächen mit der örtlichen Regierung circa 3 Hektar Land, auf dem sie 500<br />
Unterkünfte zu jeweils ungefähr 32 Quadratmetern erbauen konnten. Zu jeder Unterkunft,<br />
die je 800 USD kostete, trugen <strong>Rotary</strong> Clubs aus Australien 300 USD bei. Die Clubs aus<br />
Raipur spendeten jeweils 100 USD und die <strong>Rotary</strong> Foundation steuerte durch Matching<br />
Grants die restlichen Mittel bei. Als die Unterkünfte fertig waren, warben die Clubs in<br />
Raipur für diese in den lokalen Zeitungen und erhielten ungefähr 5.000 Bewerbungen.<br />
Die Rotarier entschieden, die Unterkünfte durch ein Losverfahren zu vergeben. Am Tag der<br />
Verlosung kamen alle auf dem Gelände neben den Unterkünften zusammen – die Rotarier<br />
und circa 3.000 weitere Menschen. Ich flog aus dem über 2.400 km entlegenen Mumbai ein,<br />
um ebenfalls mit dabei zu sein.<br />
Der vielleicht 135. Name war der von Anisa Begum. Als ihr Name aufgerufen wurde stand<br />
eine schlanke Frau im weißen Sari auf und lief zur Bühne, wo sie feierlich ihre Papiere<br />
entgegen nahm. Anstatt zurück auf ihren Platz zu gehen, fragte sie die Veranstalter von<br />
1
<strong>Rotary</strong> jedoch, ob sie ein paar Worte sagen könnte. Etwas an ihrer Aufrichtigkeit bewegte<br />
die Rotarier dazu, ihr das Mikrofon zu geben, jedoch mit der Bemerkung, dass sie nur eine<br />
Minute hätte. Die Frau fing an zu sprechen:<br />
„Meine rotarischen Brüder, ich kenne Sie nicht und Sie kennen mich nicht.<br />
Ich kam hierher nach Raipur vor einem Jahr mit meinem Mann und unseren<br />
drei kleinen Kindern. Wir lebten in einem kleinen Raum, als mein Mann<br />
eines Tages heimkam und sagte: „Anisa, ich verlasse Dich. Es gibt jemand<br />
anderen.“ Daraufhin sprach er dreimal „Talaaq, talaaq, talaaq“ (Ich scheide<br />
mich von Dir, ich scheide mich von Dir, ich scheide mich von Dir), nahm<br />
seine Tasche und ging einfach weg.<br />
Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich konnte nirgendwo<br />
hin. Der Besitzer des Raumes in dem wir wohnten warf mich und meine<br />
Kinder hinaus, da mein Mann nie Rente bezahlt hatte. Wir zogen daraufhin<br />
durch die Gegend, schliefen im Bahnhof, manchmal dem Busbahnhof, wo<br />
wir stets von den Sicherheitsleuten verjagt wurden. Manchmal schliefen wir<br />
ganz einfach auf der Straße neben den Straßenhunden. Die Kinder weinten<br />
und waren ständig hungrig und krank. Ich hatte kein Geld für Essen oder<br />
Medizin und keine Arbeit, außer manchmal wenn ich Toiletten putzte. Ich<br />
war absolut verzweifelt.<br />
Dann erzählte mir jemand von Ihrem Wohnbauprojekt und war so<br />
freundlich, eine Bewerbung für mich auszufüllen, da ich selbst nicht<br />
schreiben kann. Und hier bin ich nun also.“<br />
Nachdem sie das gesagt hatte, setzte sie sich auf einmal hin, dort auf der Bühne, vor den<br />
tausenden von Menschen und sagte:<br />
„Rotarische Brüder, Sie wissen nicht, was Sie für mich getan haben.<br />
Sie haben meinen Kindern und mir ein neues Leben geschenkt.”<br />
Danach fing sie an zu weinen und auch wir, wie ich zugeben muss, konnten die Tränen nicht<br />
mehr zurückhalten. Durch unsere Tränen hindurch jedoch erkannte ein jeder von uns so klar<br />
wie nie zuvor die wahre Bedeutung unserer Mitgliedschaft bei <strong>Rotary</strong>.<br />
Das war vor 12 Jahren uns seither bin ich überzeugt davon, dass wenn wir den Menschen<br />
Hoffnung, Würde und Selbstvertrauen geben wollen, es nichts Besseres gibt, als ihnen ein<br />
Zuhause zu geben. Zuhause beginnt die Familie. Mutter und Kind sind der Kern der Familie.<br />
Die Gemeinwesen, in denen wir leben, bauen nicht auf einzelnen Personen auf, sondern<br />
auf Familien – Familien, die ein Zuhause, ihr Leben, ihre Ressourcen und ihr gemeinsames<br />
Schicksal miteinander teilen. Gute Gemeinwesen sind die Grundlage großer Nationen.<br />
Einer der Hauptschwerpunkte des nächsten Jahres liegt daher auch auf der Familie, denn<br />
hier sind auch all unsere anderen Ziele angesiedelt. Von der Familie ausgehend wenden<br />
wir uns dann sicherem Wohnen, Wasser, Hygiene, Gesundheit und all den anderen Themen<br />
zu, die Mütter und Kinder betreffen. Voraussetzung für eine starke Familie ist ein starkes<br />
und sicheres Zuhause. Nur auf dieser Grundlage sichern wir schließlich auch Gesundheit,<br />
Hoffnung und Harmonie.<br />
Vor einigen Jahren hatte ich die Ehre, mit Mutter Teresa in Kalkutta zusammenzuarbeiten<br />
und sie sagte mir damals: Die Welt ist völlig aus den Fugen geraten und leidet, weil es in<br />
den Heimen und Leben der Familien so wenig Liebe gibt. Wir haben keine Zeit für unsere<br />
Kinder und wir haben keine Zeit füreinander. Die Liebe hat ihren Ursprung im Zuhause –<br />
Liebe lebt in unserem Zuhause, deshalb leidet die Welt so sehr und ist so unglücklich. Jeder<br />
ist unter Zeitdruck, Kinder haben keine Zeit für ihre Eltern und Eltern keine Zeit für ihre<br />
Kinder oder füreinander mehr. Im Zuhause beginnt der Verfall des Friedens in der Welt.<br />
2 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Um uns dem Frieden zuzuwenden, beginnen wir deshalb in unserem Zuhause und in der<br />
Familie.<br />
Unser zweiter Schwerpunkt ist es, auf den Dingen aufzubauen, in denen wir gut sind.<br />
Und von diesen gibt es einige: im Einsatz für sauberes Trinkwasser, der Förderung<br />
von Bildung und der Zusammenarbeit mit der neuen Generation – unserem neusten<br />
Dienstzweig – sowie der Unterstützung von Jugendlichen bei der Übernahme zukünftiger<br />
Führungspositionen. Darüber hinaus konzentrieren wir uns natürlich weiterhin auf die<br />
Ausrottung der Kinderlähmung. Wir haben es beinahe geschafft – wir sind so nah am<br />
Ziel, wie Desmond Tutu sagt. Um all das umzusetzen, müssen wir weiterhin unseren<br />
Strategieplan verfolgen, diesen ausbauen und stärken.<br />
Entwicklung führt zu Wohlstand und Wohlstand zu Frieden, weshalb ich Sie auffordere,<br />
unsere Gemeinwesen aufzubauen. Dies kann durch eine große Unternehmung, wie den<br />
Bau eines Damms oder einer Brücke, geschehen, wie Clubs in Indien das getan haben.<br />
Oder durch kleine Projekte, wie die Vergabe von Schreibtischen, Ventilatoren oder Tafeln<br />
an Schulen. Sie werden feststellen, dass es nicht die Größe eines Projektes ist, die zählt,<br />
sondern Ihr Wille ist zu helfen. Aus Erfahrung kann ich sagen: Schwere Jobs können sofort<br />
erledigt werden. Unmögliche dauern manchmal etwas länger.<br />
Lassen Sie uns trotz der großen Dinge jedoch nicht die kleinen Gesten vergessen, die<br />
ein Leben verändern können. Die Hand auf einer Schulter, ein aufmunterndes Wort oder<br />
manchmal ganz einfach ein Lächeln. Sie werden sehen, dass fast jeder zurücklächeln wird.<br />
Lache und die Welt lacht mit Dir. Lassen Sie uns unser Jahr, neben allem anderen was wir<br />
tun, auch zum Jahr des Lachens, der Freude und des Glücks machen. Mit mindestens drei<br />
Lächeln pro Rotarier und dessen Ehepartner pro Tag. Das sind acht Millionen Lächeln pro<br />
Tag! Wow! Auch wenn wir nicht immer Großartiges bewege können, so können wir stets<br />
mit viel Liebe kleine Dinge tun.<br />
Ich bin überzeugt davon, dass wir Rotarier pragmatische Idealisten sind und unsere Ideale<br />
durch den rotarischen Dienst umsetzen. Wir streben danach, ehrlich und moralisch nach<br />
der Vier-Fragen-Probe zu leben. Wir teilen Goodwill und Freundschaft und versuchen, jeden<br />
Menschen zu achten. Uns geht es nicht um einen kleinsten gemeinsamen Nenner, denn<br />
<strong>Rotary</strong> kann so nicht verallgemeinert werden. Indem wir daran arbeiten, bessere Menschen<br />
zu sein, verbessern wir die Welt.<br />
Lassen Sie uns also die Dinge betrachten, die wir besser machen können, Dinge die wir<br />
ändern sollten und Dinge, an denen wir noch nicht angefangen haben, zu arbeiten. Ich<br />
glaube daran, dass wir <strong>Rotary</strong> beigetreten sind, um die Welt zu verändern. Warum sonst<br />
wären wir Rotarier? Wir sind überzeugt davon, dass unsere Zukunft besser sein wird als<br />
unsere Vergangenheit. Ich zitiere immer wieder gerne Mahatma Gandhi, der einmal sagte:<br />
„Du musst selbst der Wandel sein, den Du in der Welt sehen willst.“<br />
Und so komme ich zu unserem dritten Schwerpunkt für 2011/12, dem Wandel, den<br />
wir selbst vorleben müssen, wenn wir wollen, dass dieser sich einstellt. Wenn wir<br />
uns Frieden wünschen, beginnt der Friede bei uns selbst, in unserem Zuhause und in<br />
unseren Gemeinwesen. Wenn wir uns ein Ende der Umweltzerstörung, eine Senkung der<br />
Kindersterblichkeitsrate oder die Vermeidung von Hunger wünschen, müssen wir selbst<br />
das Instrument für diesen Wandel sein. Wir müssen verstehen, dass Wandel in uns selbst<br />
beginnt.<br />
Um diesen Wandel umzusetzen, müssen wir kreativ werden. Wir müssen herausfinden, wie<br />
wir mit anderen, die sich ähnlich engagieren wie wir, zusammenarbeiten können. Ich finde,<br />
dass <strong>Rotary</strong> und die Vereinten Nationen eine symbiotische Partnerschaft bilden. Fortsetzen<br />
können wir diese durch unseren Einsatz bei den Milleniumszielen, durch die unseren<br />
Gemeinwesen geholfen wird. Auch die neu genehmigten und bewährten Rotarian Action<br />
3
Groups, die sich in den Bereichen Trinkwasser, Mikrokreditvergabe, AIDS-Vermeidung<br />
oder Bildung engagieren, werden einen weiteren wesentlichen Beitrag zum Erfolg und zur<br />
Effektivität unserer Hilfe leisten.<br />
In zwei Bereichen sollten wir unsere Ziele stets aufs Neue überprüfen. Dies ist zum ersten<br />
die Gewinnung neuer Mitglieder, die die Arbeit von <strong>Rotary</strong> umsetzen. Ich bin der Meinung,<br />
dass es seit langem an der Zeit ist, dass wir jüngere Menschen ansprechen müssen, die<br />
sich gut mit YouTube und Facebook auskennen. Es gibt sie, diese Kandidaten, und sie<br />
warten darauf, von uns eingeladen zu werden. Für diese müssen wir Platz schaffen. In<br />
vielen Teilen der <strong>Rotary</strong>-Welt wurde damit bereits begonnen. Wir bauen im Schnellvorlauf<br />
unser eigenes <strong>Rotary</strong>-Netzwerk auf, und dies muss überall geschehen. Das schaffen wir,<br />
wenn wir uns alle auf den Wandel konzentrieren, von dem ich spreche.<br />
Der zweite Bereich, den wir genauer betrachten müssen, ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit<br />
für <strong>Rotary</strong>. Zu oft passiert es uns, dass wir glauben die Welt weiß, was wir tun, weil wir<br />
so viel erreichen. Doch die Welt weiß das in den meisten Fällen eben nicht. Selbst in<br />
Evanston, nur zwei Häuserblocks von unserem Zentralbüro entfernt, fragen intelligente<br />
Leute oft: „<strong>Rotary</strong>? Was machen die?“ Wir müssen uns der Welt einfallsreich und modern<br />
präsentieren. Es ist an der Zeit bekannt zu machen, was wir Gutes tun. Wie wir das machen,<br />
kann sich von Ort zu Ort oder von Land zu Land unterscheiden. Doch es ist wichtig, die<br />
Botschaft auszusenden, denn wir tun in der Tat Dinge, über die es sich zu berichten lohnt.<br />
Wir bereiten uns heute auf ein wichtiges Jahr unseres Lebens vor, das wir <strong>Rotary</strong><br />
widmen werden und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir alle eine Aufgabe<br />
übernehmen, in der wir uns engagieren und Ergebnisse erzielen müssen. Wir können von<br />
hier aus nicht einfach heimgehen, mit dem Gedanken unser Bestes nur zu versuchen. Wir<br />
müssen uns voll und ganz verpflichten und das, was getan werden muss, auch tatsächlich<br />
umsetzen.<br />
Und ein jeder von Ihnen wird Erfolg haben, denn die Entschlossenheit und Stärke, die<br />
nötig ist, um dies – und alles andere – zu erreichen, kommt aus Ihnen heraus. Um in dieser<br />
Welt etwas zu erreichen, muss man alle Ressourcen nutzen, die einem zur Verfügung<br />
stehen. Beginnen müssen wir bei uns selbst und in uns selbst. Und die Fragen, die wir<br />
uns hierzu stellen müssen, sind: Warum bin ich hier? Warum bist du hier? Wir alle streben<br />
nach Erfüllung in unserem Leben, und die Verantwortung, die wir demnächst übernehmen<br />
werden, ist ein Teil dieser Erfüllung.<br />
Eine der Voraussetzungen für persönliche Erfüllung ist die Harmonie zwischen unserem<br />
inneren und unserem äußeren Ich. Im Inneren haben wir unsere Wünsche, unseren Willen,<br />
unseren Geist; das Äußere ist definiert durch unsere Taten und das Image, das wir uns<br />
schaffen. Ich bitte Sie, in sich hineinzusehen und sich selbst zu finden. Entfesseln Sie Ihre<br />
innere Kraft, um diese allem und jedem um Sie herum zuteil werden zu lassen. Beginnen<br />
Sie zunächst damit, sich selbst zu finden und gehen Sie dann den Zielen, die Sie sich<br />
gesetzt haben, voller Selbstvertrauen entgegen. Entdecken Sie sich selbst, entwickeln Sie<br />
die Stärken in sich und ziehen Sie danach entschlossen aus in die Welt, um mitmenschlich<br />
zu handeln. Und das, meine Brüder und Schwestern in <strong>Rotary</strong> ist unser Motto für das<br />
kommende Jahr: Reach Within to Embrace Humanity – Finde dich selbst und handele<br />
mitmenschlich.<br />
Wie erreichen wir dies am besten? Genauso, wie wir es die ganze Zeit besprochen haben.<br />
Alle Lichter dieser Welt sind nichts im Vergleich zu dem Licht in uns selbst. Ich wünsche<br />
Ihnen, dass die Lichter der Liebe und Hingebung hell in Ihren Herzen brennen, das Licht des<br />
Verständnisses in Ihrem Geist scheint, das Licht der Harmonie in Ihrem Zuhause leuchtet<br />
und die positive Ausstrahlung Ihres Handelns unermüdlich fortwirkt.<br />
4 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Ich möchte heute morgen mit einer kurzen Geschichte abschließen. Eines meiner<br />
Lieblingsbücher ist Krieg und Frieden von Lew Tolstoi. Ein epischer Roman über die<br />
vergeblichen Bemühungen der Napoleonischen Armee, Russland einzunehmen. In einer<br />
Szene des Buches stehen die französischen Truppen kurz vor den Russen, deren Situation<br />
aussichtslos erscheint. Zwei Russen, ein Offizier und sein Freund, unterhalten sich.<br />
Der eine sagt zum anderen: Kriege werden durch Waffengewalt gewonnen.<br />
Der Offizier sagt: Nein, da bin ich anderer Meinung. Ich glaube nicht, dass<br />
Kriege durch Waffengewalt entschieden werden.<br />
Sein Freund fragt: Was dann? Durch was werden Kriege gewonnen?<br />
Der Offizier hält einen Moment oder zwei inne und sagt: Ich glaube, dass<br />
Kriege durch Gefühle entschieden werden – den Gefühlen in Dir, den<br />
Gefühlen in ihm und den Gefühlen in mir.<br />
Warum schließe ich heute mit dieser Geschichte? Nun, zum einen, da auch wir<br />
gewissermaßen über Krieg und Frieden gesprochen haben. Doch was noch viel wichtiger<br />
ist, weil ich Ihnen in den letzten 20 Minuten vermitteln wollte, dass das, was uns und <strong>Rotary</strong><br />
ausmacht, die Gefühle in Dir und in ihm und in mir sind.<br />
Finde dich selbst und handele mitmenschlich. Ich hoffe, dass für jeden von Ihnen diese<br />
<strong>International</strong>e Versammlung alle Ihre Erwartungen erfüllen wird.<br />
5
Familien stärken,<br />
Gemeinschaften bilden<br />
Adélia A. Villas<br />
Past Governor<br />
Ich wurde eingeladen, über das Thema Familie zu sprechen. Zu Beginn würde ich gerne<br />
darauf eingehen, wie diese soziale Institution mir half, mich sowohl persönlich als auch<br />
beruflich zu entwickeln. Ich wurde im Süden von Brasilien geboren, wo ich in einer Familie<br />
mit italienischen Wurzeln aufwuchs. Zu dieser zählten mein Vater Olympio und meine<br />
Mutter Lucia, die bedauerlicherweise beide nicht mehr länger unter uns sind, sowie<br />
meine Schwester Alicia, heute Governor, und meine beiden Brüder Augusto und João.<br />
Wir lernten bereits sehr früh den Unterschied zwischen einem patriarchalischen und<br />
einem matriarchalischen System kennen. Mein Vater, ein starker, kultivierter Mann mit<br />
gutem Charakter war in seinen Bestrebungen nicht sehr erfolgreich. Meine Großmutter<br />
mütterlicherseits jedoch, ihr Name war Helena, war eine sehr erfolgreiche Landwirtin, was<br />
sie zu dem Glauben verleitete, für die Familie ihrer einzigen Tochter die Entscheidungen<br />
treffen zu können. Wenn es etwas gab, was uns unsere Mutter beigebracht hatte, dann war<br />
es, Erwachsene zu respektieren und aus der schwierigen Beziehung zwischen meinem Vater<br />
und seiner Schwiegermutter zu lernen. Es war in der Tat una vera famiglia italiana.<br />
Auch wenn wir nicht das Geld hatten, um an sozialen Aktivitäten teilzunehmen, so erhielten<br />
wir doch stets eine gute Ausbildung. Wir gingen alle auf gute Schulen, was für unsere<br />
Entwicklung überaus wichtig war. Allerdings wurde diese Meinung nicht von unserer<br />
Großmutter geteilt. Sie pflegte zu sagen: „Mädchen müssen nähen und sticken lernen<br />
und früh mit Männern ausgehen, um so früh wie möglich zu heiraten.“ Ihrer Logik folgend<br />
schenkte sie uns, kaum dass wir 15 Jahre alt waren, eine Nähmaschine.<br />
Ich kann sagen, dass wir in unseren Kinder- und Jugendjahren sehr glücklich waren und<br />
wundervolle Erfahrungen zu Hause und in unserer Nachbarschaft machen durften. Während<br />
des Zweiten Weltkriegs spielten wir abends Domino und andere Spiele und sangen Opern,<br />
während wir zugleich den Nachrichten und Ausführungen unseres Vaters dazu lauschten.<br />
Von Kindesbeinen an sahen wir, wie unsere Eltern wohltätige Zwecke unterstützen und<br />
sich in kulturellen Gruppen engagierten und wir lebten es nach. Ich war die erste weibliche<br />
Vorsitzende der Junior-Pfadfinder in meinem Staat und meine ganze Familie sang in<br />
Kirchen- und Volkschören. Mit 16, als ich selbst Musikunterricht nahm, leitete ich einen<br />
männlichen Chor. Ich nahm Theaterunterricht in einer von Jesuiten geleiteten Gruppe,<br />
spielte Klavier in einer Ballettschule und tanzte viele Jahre lang. Auch wenn wir keine<br />
Freizeit hatten, waren wir doch umgeben von Familie und Freunden und waren sehr<br />
glücklich. Und genauso verhielt es sich auch in unserem Gemeinwesen, wo Erwachsene,<br />
Jugendliche und Kinder ihre eigenen Aufgaben hatten und respektiert wurden.<br />
Das Thema für die zweite Einheit dieser Versammlung von Rotariern wurde nicht zufällig<br />
ausgewählt. Präsident elect Banerjee will unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, wie<br />
wichtig es ist, die Institution Familie zu stärken – entweder unsere eigene Familie, unsere<br />
<strong>Rotary</strong>-Familie oder die Familie, die sich aus unseren Brüdern und Schwestern in den<br />
Gemeinwesen rund um die Welt zusammensetzt.<br />
Als Rotarier haben wir den Auftrag, uns über unsere Rolle als Familienmitglieder Gedanken<br />
zu machen. Past [RI] Präsident Herb Brown drückte dies sehr passend aus, als er sagte:<br />
„Wenn wir Rotarier uns um die Kinder dieser Welt kümmern, kümmern wir uns auch um die<br />
Familien dieser Welt. Da die Familie die Grundeinheit jedes Gemeinwesens bildet, stärken<br />
wir dadurch unsere lokalen Gemeinwesen und letzten Endes die Weltgemeinschaft.“<br />
6 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Wenn die Mitglieder eines Gemeinwesens keinen Zugang zu einer Grundversorgung mit<br />
Wasser, Hygiene, Gesundheitsdiensten, Bildung, Berufstraining und Arbeit haben, dann<br />
verlieren wir Rotarier den Kampf gegen Gewalt, Drogen, Prostitution und anderes Elend<br />
der so genannten modernen Gesellschaft. Eine Trennung zwischen Club und Gemeinwesen<br />
gibt es nicht.<br />
<strong>Rotary</strong>s Philosophie vom Weltfrieden lässt sich nicht durch einen internationalen Vertrag<br />
verwirklichen. Sie gründet sich auf die Möglichkeit, die den Rotariern gegeben ist,<br />
lokale Probleme festzustellen. Unsere Mitglieder, die alle der Geschäfts- und Berufswelt<br />
ihrer Kommune angehören, können Lösungen erarbeiten, aufmerksam machen und es<br />
Menschen ermöglichen, bei der Bewältigung von Problemen aktiv zu werden. Wir Rotarier<br />
bauen auf einer kleinen Struktur auf und engagieren uns sowohl kurz-, mittel- als auch<br />
langfristig.<br />
So entstand auch das PolioPlus-Programm. Durch die gemeinsame Kraft aller <strong>Rotary</strong> Clubs<br />
weltweit können unsere Ideen in 34.000 Gemeinwesen, in denen wir dienen ausgebaut<br />
und angepasst werden. Kleine Konflikte vor Ort zu lösen, ist der erste Schritt in Richtung<br />
Frieden. Dies ist die Aufgabe der Rotarier und das ist es, was <strong>Rotary</strong> von uns erwartet.<br />
Die verstorbene Dr. Zilda Arns Neumann, eine brasilianische Kinderärztin und<br />
Nobelpreiskandidatin, die sich in Südamerika und Afrika humanitär engagierte (und<br />
während des Erdbebens 2010 in Haiti ums Leben kam) sagte einmal: „Kinder sind die Saat<br />
des Friedens oder der Gewalt. Es kommt darauf an, wie man sich um sie kümmert und was<br />
ihnen vorgelebt wird. Ihre Familien und ihre Umwelt müssen daher so gestaltet werden,<br />
dass aus diesen eine gerechtere und brüderliche Welt erwächst, eine Welt, die Leben und<br />
Hoffnung stützt.“<br />
Bitte vergessen Sie nicht, dass ein Rotarier nicht nur seinem Nächsten dient, sondern sich<br />
auch als Anwalt für den Frieden engagiert. Die Grundlage für den Frieden bauen wir bereits<br />
bei uns zuhause und in unseren Familien auf. Wir leben Gewaltfreiheit vor und tragen somit<br />
zum Aufbau einer friedvollen Gesellschaft bei.<br />
Rund um den Globus widmen sich Rotarier diesen Problemen.<br />
Um zu verdeutlichen, was ich sagen will, würde ich Ihnen an dieser Stelle gerne erzählen,<br />
was <strong>Rotary</strong> mir vor 13 Jahren ermöglicht hat, als ich mich auf das Amt des Governors<br />
für Distrikt 4570 in Rio de Janeiro vorbereitete. Ich erhielt damals die Gelegenheit, eine<br />
100 Jahre alte Schule zu unterstützen. Diese wurde von 200 benachteiligten Kindern aus<br />
der Hafengegend besucht, die dort Unterricht bis zur vierten Grundschulklasse erhielten.<br />
Die Governors der deutschen Distrikte 1840 und 1950, die im Februar 1998 an der <strong>Rotary</strong><br />
Inter-American Conference for Peace teilnahmen, hatten damals eine hervorragende Idee.<br />
Bei einem Besuch der Schule sahen wir, dass wir der Schule helfen könnten. Durch einen<br />
gemeinsamen Einsatz könnten wir weitere Klassen anbieten und die Schule könnte dadurch<br />
bis zu 800 Schüler aufnehmen. Außerdem könnten wir Mahlzeiten anbieten, Schulabbrüche<br />
verhindern und Kinder von der Straße fernhalten. Die Schüler würden Computertraining<br />
und eine Grundausbildung in bestimmten Berufsfeldern erhalten. Die Umsetzung eines<br />
derartigen Plans würde fünf Jahre dauern und die vorhandene Einrichtung müsste dazu<br />
ausgebaut werden.<br />
Es war großartig, anhand des Projekts zu sehen, wie sich Clubs aus einem Distrikt<br />
zusammenschließen konnten. Das war eine völlig neue Erfahrung für uns. Es wurden<br />
fünf [<strong>Rotary</strong> Foundation] Matching Grants beantragt, und es sollten acht Gebäude<br />
des Franziskanerordens, welcher die Schule unterstützte, renoviert werden. Dazu<br />
wandten sich die deutschen Governors an das Bundesministerium für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung ihrer Regierung, das schließlich zustimmte, mit <strong>Rotary</strong><br />
zusammenzuarbeiten. Das Ergebnis waren eine halbe Millionen Dollar, die wir für unser<br />
7
Projekt erhielten. Im November 2003 eröffnete die neue Schule, deren Bau fast 1 Million<br />
Dollar kostete, auf 3.500 Quadratmeter Fläche, und der erste Hauptschuljahrgang konnte<br />
seinen Abschluss machen. Das Projekt ist eine wunderbare Leistung der geschlossenen<br />
Partnerschaften.<br />
Heute ist die Schule 113 Jahre alt und hat gegenwärtig 1.200 Schüler, die sich dort auf<br />
ihren Oberschulabschluss vorbereiten. Aus den ursprünglich sechs <strong>Rotary</strong> Clubs in drei<br />
Distrikten aus verschiedenen Ländern, die das Projekt unterstützten, sind mittlerweile 28<br />
Clubs in 12 Distrikten aus acht Ländern geworden. In den vergangenen sieben Jahren<br />
investierten wir weiterhin mit neuen Matching Grants in die Schule, um sicherzustellen,<br />
dass unsere insgesamt über 6.000 Schüler Mahlzeiten, gut ausgestattete Lehrräume,<br />
Workshopmöglichkeiten, Mobiliar, Küchenausrüstungen, Musikinstrumente und eine<br />
Bibliothek zur Verfügung hatten und haben.<br />
Neben dem Wissen, dass viele unserer Schüler es bis auf die Universität geschafft haben,<br />
war es eine ganz besondere Erfahrung zu sehen, wie Mütter begannen, Verantwortung für<br />
ihre Familien zu übernehmen. Nach der Modernisierung des Hafens von Rio de Janeiro<br />
wurden viele Hafenarbeiter entlassen, was dazu führte, dass viele ihre Familien verließen,<br />
um anderswo Arbeit zu finden. Die durch Drogen- und Waffenhandel geschürte Gewalt aus<br />
den nahe gelegenen Slums eskalierte. Um das Problem zu lösen, bat der Franziskanerorden<br />
die Europäische Union, ein Projekt zu genehmigen, das Mütter und ihre Kinder in der<br />
Hafengegend mehr Sicherheit geben sollte. Durch das Projekt mit dem Namen „Eine<br />
menschliche Nachbarschaft“ erhalten Mütter und ihre Kinder nun bereits seit acht Jahren<br />
juristische und psychologische Unterstützung, Tagesbetreuung, wenn die Mütter zur Arbeit<br />
müssen, Anleitung zur Versorgung von Babys und älteren Menschen, gesunde Mahlzeiten<br />
und eine grundlegende medizinische Versorgung.<br />
Darüber hinaus können die Frauen und Kinder nun Gynäkologen und Kinderärzte<br />
aufsuchen. Hierdurch sollen die Ausbreitung von HIV/AIDS und Schwangerschaften<br />
unter Jugendlichen verhindert werden, schwangeren Müttern und Schülern eine<br />
zahnmedizinische Versorgung gegeben und Trainings in 18 Grundfertigkeiten angeboten<br />
werden. Drogensüchtige, die Hilfe suchen, werden von Psychologen und Sozialarbeitern<br />
betreut und es wurde eine Gemeindebibliothek, eine Musikschule und ein Kulturzentrum in<br />
Morro da Conceição, wo die Schule sich befindet, eingerichtet. Innerhalb von acht Jahren<br />
haben von dem Projekt 70.000 Menschen profitiert.<br />
Aufgrund des guten Werks der Rotarier, Lehrer, Eltern und Mitglieder im Gemeinwesen<br />
wurde in diesen letzten acht Jahren sehr viel erreicht. Mütter können sich heute um ihre<br />
Kinder kümmern, denn sie fühlen sich dank der Kurse, die sie erhielten, sicher und gut<br />
ausgebildet. Sie sind in der Lage, zu arbeiten und die Familie zusammenzuhalten.<br />
Mit diesen eben geschilderten Problemen kämpfen noch viele weitere Gemeinwesen<br />
auf dieser Welt. Auch dort treffen schwere wirtschaftliche und soziale Not den Kern der<br />
Gesellschaft: die Familie. Um bessere Gemeinwesen und eine bessere Gesellschaft<br />
aufzubauen, müssen die Rotarier diese Probleme erkennen und den Status Quo verändern.<br />
Nur so können wir den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit gewinnen und unser Ziel von<br />
einem weltweiten Frieden erreichen.<br />
Es liegt an uns, über uns hinauszuwachsen und aus dieser Welt einen besseren Ort zu<br />
machen.<br />
8 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Kontinente verbinden – und die<br />
Menschheit annehmen<br />
Ray Klinginsmith<br />
RI Präsident<br />
Ich erinnere mich auch nach all den Jahren noch sehr genau an meine Erfahrung als neu<br />
ins Amt kommender Governor auf der <strong>International</strong>en Versammlung 1975 in Boca Raton. Es<br />
war der Beginn eines neuen Abenteuers, eines Abenteuers des Dienstes für mich, und ich<br />
nahm die Ratschläge der verschiedenen Redner sehr ernst. Ich diskutierte das neue Motto<br />
mit meinen Amtskollegen, und ich hoffe, Sie tun desgleichen, indem Sie das Motto von<br />
Präsident elect Kalyan philosophisch erörtern und reflektieren.<br />
Kalyans Motto ist Teil Ihres neuen Dienstabenteuers, und ich möchte mich bei ihm<br />
bedanken für die Gelegenheit, den Zusammenhang zwischen seinem Motto und meinem<br />
herstellen zu dürfen. Er bat mich, insbesondere einen Aspekt seines Mottos, Embracing<br />
Humanity (Deutsch etwa: die Menschheit umarmen, mitmenschlich handeln), mit dem<br />
zweiten Teil meines Mottos, Bridging Continents (Deutsch: Kontinente verbinden), zu<br />
verknüpfen, was sehr einfach zu bewerkstelligen ist. Wir alle wissen, dass <strong>Rotary</strong> eine<br />
hervorragende Organisation ist, und dass wir in vielen Bereichen exzellente Arbeit<br />
verrichten. Doch wir sind wirklich unschlagbar im internationalen Dienst, in dem wir<br />
Brücken schlagen, Kontinente verbinden und die Menschheit aus unserem mitmenschlichen<br />
Impetus heraus umfassen.<br />
Als ein Jahrgang von Wirtschaftsstudenten der Northwestern University kürzlich eine<br />
Fallstudie über <strong>Rotary</strong> anfertigte, kamen sie zu dem Schluss, dass <strong>Rotary</strong> Menschen dazu<br />
befähigt, Freundschaften zu schließen, sich beruflich fortzuentwickeln und zu Weltbürgern<br />
zu werden. Mir gefällt diese Einschätzung sehr, soll doch nicht zuletzt unser hiesiges<br />
Zusammentreffen dafür sorgen, Ihnen allen die <strong>International</strong>ität von <strong>Rotary</strong> vorzuführen<br />
und auch Sie zum globalen Denken anzuregen. Ich möchte sogar sagen, dass es schwer<br />
möglich ist nicht zum überzeugten Weltbürger zu werden nach dieser wunderbaren Woche,<br />
in der man all die hervorragenden Rotarier aus aller Welt kennenlernt. Das macht für mich<br />
die magische Kraft von <strong>Rotary</strong> aus!<br />
Wie schreiten wir also voran mit unseren neuen Freunden, im Dienste der Menschheit und<br />
mit einer neuerlichen Verpflichtung, Kontinente zusammenzubringen? Die gute Nachricht<br />
ist, dass <strong>Rotary</strong> einige Optionen für Clubs und Mitglieder bereithält, im internationalen<br />
Dienst aktiv zu werden, und ich möcht hier einige kurz nennen. Schließlich fließt das<br />
Bestreben nach Frieden und internationaler Verständigung durch unsere rotarischen Adern.<br />
Es ist sozusagen unsere DNA.<br />
Eines meiner liebsten Programme für die Zusammenführung von Kontinenten ist der<br />
<strong>Rotary</strong> Youth Exchange (Jugendaustausch). Ich stimme mit Past [RI] Präsident Carl-<br />
Wilhelm Stenhammar überein, dass es keine Kriege mehr geben würde, wenn alle<br />
17-Jährigen dieser Welt ein Auslandsjahr bei Rotariern verbringen könnten. Wenn wir<br />
auch selbstverständlich nicht alle Jugendlichen der Welt erreichen, so bieten wir doch ein<br />
hervorragendes Austauschprogramm für über 8.000 Schüler pro Jahr, ein großartiger<br />
Beitrag zur internationalen Verständigung. Viele Ihrer Distrikte führen ausgezeichnete Youth<br />
Exchange Programme durch, und ich applaudiere allen Rotarierinnen und Rotariern, die<br />
im Youth Exchange tätig sind. Ich fand oft, dass die im Jugenddienst aktiven Rotarier die<br />
überzeugtesten sind.<br />
9
Eine meiner Bedenken hinsichtlich des <strong>Rotary</strong> Youth Exchanges ist, dass er üblicherweise<br />
nur Kinder erreicht, deren Eltern sich die mit dem Austausch verbundenen Reisekosten<br />
leisten können. Aus diesem Grund stellen einige Distrikte nun Stipendien für <strong>Rotary</strong><br />
Youth Exchange Schüler aus Entwicklungsländern zur Verfügung, die sonst nicht diese<br />
Chance erhielten. Ich empfehle auch den anderen Distrikten, solche Stipendien anzubieten.<br />
Unsere Jugendprogramme werden ihre Sternstunde erleben, wenn wir allen begabten<br />
Jugendlichen die Teilnahme an einem solchen Programm ermöglichen und ihnen damit die<br />
Welt eröffnen können.<br />
Einer der größten Vorteile des <strong>Rotary</strong> Jugendaustausches sind die persönlichen Kontakte<br />
und die bleibenden Freundschaften, die durch die Auslandsaufenthalte aufgebaut werden.<br />
Der beste Weg für uns alle, um Kontinente zu überbrücken und auf die Menschheit<br />
zuzugehen, ist, auf Reisen zu gehen. Wir verfügen über ein Netz von 34.000 Clubs, die<br />
darauf warten, engagierte Rotarier zu empfangen, die sich wirklich dem internationalen<br />
Dienst verschreiben wollen. Ich hoffe daher, dass Sie Rotarier in Ihren Distrikten anregen<br />
werden, an Nationalen Impftagen, den NIDs, teilzunehmen, die bis zum Sieg über Polio<br />
durchgeführt werden. Solche Einsätze helfen nicht nur im Kampf gegen Polio, sondern sie<br />
stellen auch lebensverändernde Erfahrungen für diejenigen dar, die an ihnen teilnehmen.<br />
Sie sind eine gute Sache für alle Rotarier, und wenn wir jüngeren Mitgliedern die Teilnahme<br />
an Impftagen ermöglichen, sorgen wir damit für ein nachhaltiges Engagement für <strong>Rotary</strong>.<br />
Das elektronische Zeitalter hat es sehr viel einfacher für <strong>Rotary</strong> Clubs und Distrikte<br />
gemacht, internationale Partner für Matching Grants oder Global Grants zu finden. Die<br />
Foundation Programme expandieren, und das ist eine gute Nachricht. Zugleich wollen wir<br />
aber nicht den Wert persönlicher Freundschaften für unsere internationalen Dienstprojekte<br />
vergessen. Ich interpretiere es als einen wesentlichen Teil der Botschaft in Kalyans Motto,<br />
dass das Wort Embrace auch mit Umarmen, Wertschätzen zu tun hat. Wir können die<br />
Menschheit nicht umarmen, wenn wir nicht persönliche Kontakte pflegen, und wir haben<br />
gelernt, dass die besten Foundation-Projekte in der Regel von Distrikten kommen, die<br />
kontinuierliche Partnerschaften aufgebaut haben. Partnerschaften die auf gegenseitigen<br />
Besuchen und persönlichem Austausch basieren.<br />
Die Projektstimulierung durch persönliche Beziehungen war es auch, die mich zu dem<br />
Programm der <strong>Rotary</strong> Project Safaris veranlasst hat. Dabei werden kleine Teams von<br />
Rotariern zu internationalen Besuchen entsandt, um eine Woche damit zu verbringen,<br />
<strong>Rotary</strong>-Projekte kennenzulernen, die Hilfe brauchen, und nebenher ein paar Touristenziele<br />
aufzusuchen. Es ist ein Programm, von dem ich hoffe, dass es im nächsten Jahr in Ihren<br />
Distrikten fortgeführt wird, denn auch mit diesen Projekt-Safaris soll den in unseren<br />
Jahresmottos gleichermaßen zum Ausdruck gebrachten Zielrichtungen entsprochen<br />
werden. Die Safaris sind kein offizielles Programm, doch sie passen gut zu Kalyans Motto<br />
Reach Within to Embrace Humanity. Erkenne Dich selbst und handele mitmenschlich.<br />
Ich könnte noch viel mehr sagen über persönliche Kontakte und das Umarmen der<br />
Menschheit durch persönliche Besuche. Schließlich bin ich ein Past Governor, und es ist<br />
wohl bekannt, dass die meisten PDGs gerne reden – und oft länger, als sie sollten! Bitte<br />
erinnern Sie sich an den Vorwurf am Ende Ihres Amtsjahres, wenn Sie in unsere Reihen<br />
kommen. Tragen Sie nicht zu unserem bereits schlechten Image bei, indem Sie zuviel<br />
reden!<br />
Viele Redner verpassen die beste Gelegenheit, zum Ende zu kommen und sich zu setzen,<br />
was verständlich ist, denn das schwierigste an öffentlichen Vorträgen ist ein guter Abgang.<br />
Daher mein Rat: bedenken Sie sorgfältig Ihre abschließenden Bemerkungen bei Ihren<br />
Vorträgen in Clubs. Ein starkes Ende ist der Schlüssel zum Redeerfolg.<br />
10 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
So, und nachdem ich Ihnen nun diese weisen Ratschläge ungefragt erteilt habe, fragen Sie<br />
sich wohl, wie ich meine Bemerkungen beende und von der Bühne gehe. Ganz einfach:<br />
meine Cowboy-Logik sagt mir, dass wir weniger reden und mehr aussagen sollten. Es ist<br />
leicht für mich, weniger zu reden, wenn das Thema des Präsidenten elect mir so nahe liegt<br />
und gerade heraus ist. Gibt es irgendwelche Zweifel, dass <strong>Rotary</strong> die Organisation ist, die<br />
am besten aufgestellt ist, um Kontinente zusammenzubringen? Und müssen wir nicht<br />
die Menschheit umfassen, um unser Ziel des Weltfriedens und der Völkerverständigung<br />
zu erreichen? Unsere beiden Formulierungen passen perfekt zusammen, und ich möchte<br />
Kalyans Motto, das die beiden Konzepte zusammenbringt, gutheißen und bekräftigen.<br />
Wir können uns glücklich schätzen, Rotarier zu sein, und es ist an der Zeit, das einzulösen,<br />
was die Studenten der Northwestern University über uns gesagt haben: in ihren Worten<br />
sind wir ein weltweites Netzwerk engagierter Freiwilliger, die sich aus ihrer Überzeugung<br />
heraus sozialen Fragen widmen, um die Lebensqualität von Menschen zu verbessern.<br />
Lassen Sie mich das noch einmal wiederholen: <strong>Rotary</strong> ist ein weltweites Netzwerk<br />
engagierter Freiwilliger, die sich aus ihrer Überzeugung heraus sozialen Fragen widmen,<br />
um die Lebensqualität von Menschen zu verbessern.<br />
Es ist eine ungemeine Anerkennung, die wir durch diese Einschätzung erfahren, und<br />
wir sollten stolz darauf sein. Jetzt stellt sich die Frage: Können wir diese so formulierten<br />
Erwartungen erfüllen? Ich meine, ja, natürlich können Distrikte unter Ihrer Leitung dies. Und<br />
als Gruppe werden wir das Morgen sogar noch besser machen als das Heute. Wir werden<br />
Kontinente verbinden und wir werden mitmenschlich handeln – um einer besseren Welt zu<br />
dienen.<br />
11
Unsere Foundation<br />
William B. “Bill” Boyd<br />
<strong>Rotary</strong> Foundation Trustee Chair Elect<br />
Im nigerianischen Ada gibt es eine Schule namens Umuocham Girls Secondary School,<br />
und diese Schule hatte ein Problem. Für 2400 Schüler gab es keine Wasserversorgung, die<br />
Behördenvorschrift war jedoch, dass das Sanitärsystem auf Wasserspülung basierte. Also<br />
wurden jeden Tag ganze Schulklassen abkommandiert, Wasser zur Schule zu bringen. Und<br />
wenn es kein Wasser mehr gab, musste die Schule geschlossen bleiben.<br />
Die <strong>Rotary</strong> Foundation vergab daraufhin eine Zuwendung an zwei <strong>Rotary</strong> Clubs, die<br />
sicherstellten, dass nicht nur Umuocham, sondern auch noch 21 weitere Schulen ihre<br />
eigene Wasserversorgung erhielten. Die Schüler können nun ihre Zeit dem Lernen widmen,<br />
nicht dem Wasserholen, und die Länge ihres Schultages hängt nicht mehr davon ab, ob die<br />
Toilettenspülung noch funktioniert oder nicht.<br />
In Nairobi leben in dem Slum Mathare 500.000 Menschen am Rande des Existenzminimums.<br />
Die armseligen Lebensbedingungen dort übertreffen die Vorstellungskraft von<br />
vielen von uns. Mitten in diesem Elendsviertel steht eine Schule, die mit der Unterstützung<br />
von <strong>Rotary</strong> betrieben wird. Meine Frau Lorna und ich besuchten diese Schule, die wirklich<br />
nicht mehr ist als eine große Wellblechhütte, und ich fragte mich, was den Kindern<br />
überhaupt mit solch einem Bildungsangebot gedient ist, in einem Land, in dem über<br />
50 Prozent Arbeitslosigkeit herrscht. Die Antwort: wenn wir diesen Kindern Lesen und<br />
Schreiben beibringen, bringen wir sie auf den Weg zu besserer Gesundheit und zu besseren<br />
Jobaussichten. Wir können ihnen keine Arbeit verschaffen, aber wir können ihnen eine<br />
Chance auf ein besseres Leben geben.<br />
In Manila durften Lorna und ich einer Augenoperation in einer von <strong>Rotary</strong> ausgestatteten<br />
Augenklinik zusehen. Junge Ärzte wurden dort von einem Spezialisten unterwiesen, um<br />
später Operationen im ganzen Land vornehmen zu können. Einer älteren Frau wurde<br />
der Graue Star entfernt, und nach ein paar Minuten des Zuschauens setzten wir unseren<br />
Besuchsrundgang in der Klinik fort, in der alle Apparate und Instrumente das <strong>Rotary</strong>-Rad<br />
trugen. Als wir uns anschickten, den Besuch zu beenden und zu gehen, kam die Frau am<br />
Arm des Arztes, der sie operiert hatte, aus dem Operationsraum, mit einer Binde über dem<br />
operierten Auge. Sie nahm Lornas Arm und die Tränen rannen aus ihrem anderen Auge.<br />
„Ich danke Gott für <strong>Rotary</strong>“, sagte sie. „Denn ich bin arm und war am Erblinden und <strong>Rotary</strong><br />
hat mir das Augenlicht geschenkt.“ Lorna kamen auch die Tränen und auch ich musste<br />
schlucken, und ich war so stolz, Rotarier zu sein und auf die Hilfe, die wir leisten. Um diese<br />
Hilfe jedoch auch in Zukunft weiter ausbauen zu können, brauchen wir eine fokussierte<br />
<strong>Rotary</strong> Foundation mit einer klaren Zukunftsvision. Wir müssen genau die Möglichkeiten<br />
ausbauen, durch die wir das Leben von so vielen Menschen wie möglich verbessern<br />
können.<br />
Aus diesem Grund stimmten wir überein, sechs Schwerpunktbereiche zu definieren.<br />
Diese sind breit gefasst und werden uns Rotariern weiterhin erlauben, die Projekte zu<br />
unternehmen, die wir unternehmen wollen, jedoch unter einem „gemeinsamen Nenner“.<br />
Wir streben Projekte größeren Umfangs mit einer gemeinsamen Zweckrichtung an, die<br />
mehr Menschen zugute kommen können. Die Schwerpunktbereiche entsprechen einigen<br />
der Milleniumsziele der Vereinten Nationen und dem Ziel des RI-Strategieplans, den<br />
humanitären Dienst auszubauen.<br />
12 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Unsere „areas of focus“ sind:<br />
• Frieden und Konfliktverhinderung/-lösung<br />
• Krankheitsvermeidung und -behandlung<br />
• Wasser und Hygiene<br />
• Gesundheit von Mutter und Kind<br />
• Grundschulbindung, Lesen und Schreiben<br />
• Wirtschafts- und Kommunalentwicklung<br />
Zu bemerken ist, dass diese Bereiche einander überlappen. Unsere Umuocham Girls<br />
Secondary School erhielt eine Wasserversorgung, und das führte zu einer verbesserten<br />
Schulbildung. Eine Studie der UNESCO ergab, dass die Kindersterblichkeit um 5 bis 10<br />
Prozent abnimmt, wenn Frauen eine Grundschulbildung ermöglicht wird. Und die Weltbank<br />
berichtet, dass das Pro-Kopf-Einkommenswachstum eines Landes umso mehr steigt, je<br />
mehr Mädchen eine weiterführende Schule besuchen. Das Prinzip ist eindeutig: Man geht<br />
ein Grundproblem an und die Konsequenzen wirken sich wie wellenartig positiv auf andere<br />
Bereiche aus.<br />
In eine Rede gehören zwar nicht zu viele Statistiken, doch sollen an dieser Stelle einige<br />
Zahlen zu einem besseren Verständnis von bestimmten Problemen beitragen. Afghanistan<br />
rangiert in der Wirtschaftseinschätzung des <strong>International</strong> Monetary Fund an 169. Stelle –<br />
von 181! Von 1000 Neugeborenen sterben dort 257, bevor sie das Alter von fünf Jahren<br />
erreichen. Weniger als ein Drittel, nur 28 Prozent der Kinder, lernen Lesen und Schreiben.<br />
28 Prozent Jungen und nur 9 Prozent Mädchen kommen überhaupt in eine weiterführende<br />
Schule. Nach Angaben der UNICEF verfügten 2006 22 Prozent der Bevölkerung über<br />
eine annehmbare Trinkwasserversorgung, nur 30 Prozent über Sanitäreinrichtungen.<br />
Eine desolate Wirtschaft, eine hohe Kindersterblichkeit, vernachlässigte Schulbildung,<br />
unzureichende Wasser- und Sanitäranlagen.<br />
Auch wenn Sie selbst aus einer der reichen Industrienationen kommen, ist<br />
Selbstgefälligkeit nicht angebracht. Nach Angaben des Nationalen Forschungsinstituts<br />
zur Literacy, also Lese- und Schreibfähigkeit in den USA werden statistisch Analphabeten<br />
doppelt so oft in Krankenhäuser eingeliefert wie Bürger mit einer Schulbildung. 45 Prozent<br />
der Leseunkundigen leben in absoluter Armut, 60 Prozent aller Gefängnisinsassen sind<br />
Analphabeten.<br />
Wie antworten wir darauf als Rotarier? Im Rahmen des Future Vision Plans werden wir<br />
Projekte an sechs Schwerpunktbereichen, ausrichten und optimale Ergebnisse durch den<br />
gezielten Einsatz unserer Ressourcen anstreben. Das ist alles nicht neu, aber wir versuchen,<br />
unsere Leistungen zielgerechter anzubringen. Es ist unsere Foundation und unser Geld,<br />
und wir müssen den besten Weg finden, dieses einzusetzen. Die <strong>Rotary</strong> Foundation ist ein<br />
wichtiges Werkzeug in unserem humanitären Werkzeugkasten.<br />
Es ist üblich, dass der Chairman elect unserer Foundation auf der <strong>International</strong>en<br />
Versammlung die Stiftungsziele für das kommende Jahr bekannt gibt.<br />
Die Ausrottung der Kinderlähmung bleibt nach wie vor unser erstes Ziel, dessen Erfüllung<br />
zum Greifen nah scheint.<br />
Ein weiteres Ziel beinhaltet eine verstärkte Unterstützung unserer Foundation. Als<br />
Mitglieder der Führungsebene von <strong>Rotary</strong> können wir dazu beitragen, unseren Freundinnen<br />
und Freunden zu vermitteln, dass es sich um ihre Stiftung handelt und dass wir alle gefragt<br />
sind, Verantwortung für den Jährlichen Programmfonds, den Permanenten Fonds und die<br />
<strong>Rotary</strong>-Friedenszentren zu übernehmen.<br />
13
Unser Ziel ist die Fortführung unserer Fortschritte unter dem Future Vision Plan. Wenn Sie<br />
einem Pilotdistrikt angehören, stellen Sie eine Triebkraft dar, die dafür sorgen soll, dass<br />
unsere Zukunftsvision so gut umgesetzt wird wie nur irgend möglich. Wenn Sie nicht dem<br />
Pilotprogramm angehören, sollten Sie sich jetzt schon auf die Veränderungen einstellen,<br />
die 2013 eingeführt werden, damit Ihnen der Übergang bei der Ausführung von Projekten in<br />
den sechs Schwerpunktbereichen leichter fällt. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, diese<br />
Aufteilung in sechs Bereiche in der Projektkultur und der Planung jedes <strong>Rotary</strong> Clubs zu<br />
verankern.<br />
Um unsere Ziele zu erreichen, sollten wir alle Gelegenheiten nutzen, um Partnerschaften<br />
zwischen Clubs und Distrikten, unserer Foundation sowie anderen Organisationen, die<br />
uns bei unserer Mission helfen können, aufzubauen. Organisationen, die sich wie wir für<br />
internationale Verständigung und Friedensarbeit, die Verbesserung von Gesundheits- und<br />
Bildungswesen und im Kampf gegen die Armut engagieren.<br />
Neuseeland ist ein Land mit nur 4,2 Millionen Einwohnern. Damit sind wir kleiner<br />
als viele Großstädte auf der Welt. Wir Rotarier in Neuseeland beschlossen, bei dem<br />
Wörterbuchprojekt mitzumachen, das bereits so erfolgreich von <strong>Rotary</strong> Clubs in den<br />
Vereinigten Staaten und Großbritannien betrieben wurde. In den ersten drei Jahren<br />
des Projektes führten wir 63.000 Exemplare eines erstklassigen Wörterbuches in<br />
Farbe ein, mit dem wir erfolgreich Kindern – besonders Kindern aus sozial schwachen<br />
Verhältnissen – dabei helfen, Lesen und Schreiben zu lernen. Wie hängt nun dieses<br />
Projekt mit der <strong>Rotary</strong> Foundation zusammen? Nun, bevor wir das Projekt unternahmen,<br />
bildeten wir eine Gemeinschaft aus <strong>Rotary</strong> Clubs, Gemeindestiftungen und der <strong>Rotary</strong><br />
Foundation im Rahmen eines District Simplified Grant. Zu diesem kam später eine zweite<br />
solche Distriktzuwendung hinzu. Dadurch konnten wir unsere Projektreichweite über<br />
Schulen hinaus ausdehnen und zum Beispiel ein Flüchtlingszentrum und sogar eine<br />
Straßenbaufirma (die Analphabeten unter ihren Straßenarbeitern ausbildet) mit in unseren<br />
Verteiler aufnehmen. Auf diese Weise leisten wir pragmatische Lebenshilfe.<br />
Lorna und ich begegneten in Manila auch einer Frau namens Ynday Mijares. Sie war als<br />
Kind an Polio erkrankt, hatte dann aber ein erfolgreiches Leben aufgebaut, mit einem<br />
eigenen Unternehmen, einer glücklichen Familie und einer Mitgliedschaft in <strong>Rotary</strong>.<br />
Mitte der 90er Jahre aber bereitete ihr das Laufen zunehmend Probleme, und sie erfuhr<br />
schließlich, dass sie von dem sogenannten Post-Polio-Syndrom betroffen sei und den Rest<br />
ihres Lebens im Rollstuhl zubringen müsste. Für Ynday brach eine Welt zusammen. Sie<br />
schloss sich zuhause ein und konnte sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden. Es war einfach<br />
nicht fair. Verbittert zog sie sich von Familie und Freunden zurück. Doch dann, erzählt sie,<br />
schickte ihr Gott eines Tages ein Licht in Form eines Rades – eines <strong>Rotary</strong> Rades. Dies war<br />
eine Botschaft für sie. Sie öffnete sich wieder, ihrer Familie ebenso wie einem neuen Leben,<br />
wurde Charterpräsidentin des <strong>Rotary</strong> Clubs Centennial Quezon City, diente dreimal as<br />
Assistant Governor und in mehreren Distriktausschüssen, und das alles in ihrem neuen<br />
Rollstuhl. Auch Sie werden die Kraft unseres Symbols wieder und wieder erleben wenn Sie<br />
durch die Welt reisen.<br />
Von Mutter Teresa stammt das Zitat: „Die größte Krankheit heutzutage ist nicht die Lepra<br />
oder die Tuberkulose, sondern das Gefühl, nicht gewollt und von allen verlassen zu sein.<br />
Das größte Übel ist das Fehlen von Liebe und Wohltätigkeit und die Gleichgültigkeit<br />
gegenüber unserem Nächsten. Wenn für jeden von uns die letzte Stunde schlägt und wir<br />
vor den Allmächtigen treten, werden wir gerichtet. Aber nicht dafür, wie viel wir getan<br />
haben, sondern mit wie viel Liebe wir unsere Taten ausgeführt haben.“<br />
Wir Rotarier weigern uns, der Gleichgültigkeit anheim zu fallen. Jeder und jede von uns<br />
kam zu <strong>Rotary</strong>, weil wir die Möglichkeit zu helfen schätzen, und weil wir anderen ehrlich<br />
und liebevoll zeigen können, dass sie uns am Herzen liegen.<br />
14 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Wir alle wollen, dass so viele Menschen wie möglich wissen, dass jemand, der das<br />
Radsymbol von <strong>Rotary</strong> trägt, sich um sie kümmert und ihnen hilft. Und wir wissen, dass wir<br />
durch unsere <strong>Rotary</strong> Foundation diese Hilfe leisten können.<br />
Gemeinsam können wir, und gemeinsam werden wir diese Hilfe leisten.<br />
15
Die <strong>Rotary</strong> Foundation und Wasser<br />
F. Ron Denham<br />
RI/USAID Steering Committee Member<br />
Lassen Sie mich Ihnen etwas über Elizabeth erzählen.<br />
Elizabeth verbrachte den Großteil ihres Lebens damit, Wasser von einem kleinen Fluss in<br />
der Nakuru Region in Kenias Rift Valley nach Hause zu schleppen. Das ist eine Strecke von<br />
6 Kilometern. Elizabeth sorgt für eine 10-köpfige Familie (einschließlich ihres Ehemanns,<br />
den Sie als „Saufbold“ bezeichnet). Sie trägt das Wasser in einem Plastikkanister auf dem<br />
Rücken, der 20 Liter fasst. Das sind 20 Kilogramm. Jeder Weg dauert eine Stunde. Die<br />
Rechnung ist einfach. Mindestens 20 Liter Wasser pro Familienmitglied macht 200 Liter pro<br />
Tag. Jeden Tag verbrachte sie also 10 Stunden damit, Wasser zu schleppen.<br />
Das Schlimmste dabei war, dass es sich noch nicht einmal um adäquates Trinkwasser<br />
handelte. Es war verschmutzt. Die Familie erkrankte. Die Kinder konnten nicht zur Schule<br />
gehen. Und sie hatte weder die Zeit noch die Energie, durch eine Arbeit Geld zu verdienen.<br />
Eine tragische Geschichte von Armut, Krankheit und Elend, wesentlich bedingt durch den<br />
Mangel an Wasser.<br />
An dieser Stelle kommt der <strong>Rotary</strong> Club Nakuru ins Spiel. Dieser Club, unter der Leitung<br />
einer Folge von dynamischen Präsidenten, erkannte die Notwendigkeit zu helfen und<br />
die Möglichkeit, dies mit einem großangelegten humanitären Programm zu tun. Sie<br />
entsprachen den Worten des ehemaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi<br />
Annan, der gesagt hatte: „Zugang zu sauberem Wasser ist ein fundamentales menschliches<br />
Grundbedürfnis und damit ein Grundrecht.“<br />
Zunächst führte der Club Grundwassertests durch. Die Tests kamen negativ zurück, das<br />
vorhandene Grundwasser war ungenießbar. Es war verschmutzt und enthielt zudem soviel<br />
Fluoride, dass es die Menschen vergiftet und ihre Knochen zerstört hätte. Eine weitere<br />
Analyse der Situation ergab, dass die vielversprechendste Option die Sammlung von<br />
Regenwasser war. Der Club hielt Treffen mit Dorfbewohnern ab, in denen die Bedeutung<br />
einer adäquaten Wasserversorgung für die Gesundheit der Bevölkerung diskutiert wurde.<br />
Es wurde ein Komitee gebildet, jede Familie steuerte 1000 kenianische Shillings (etwa<br />
12,- USD) bei und verpflichtete sich, 100 Bäume für die Umwelt zu pflanzen.<br />
Der <strong>Rotary</strong> Club stellte Materialien, um für jeden Haushalt einen Wassertank für 10<br />
Kubikmeter Wasser zu bauen – genug, um eine Familie durch die mindestens 90-tägige<br />
Trockenzeit zu bringen. Die Dörfer erstreckten sich über ein weites Gebiet, bis zu 50<br />
Kilometer von Nakuru entfernt. Um die Bauarbeiten zu beaufsichtigen, bildete der <strong>Rotary</strong><br />
Clubs 28 <strong>Rotary</strong> Community Corps. Jedes dieser RCCs war dafür verantwortlich, die<br />
Dorfbewohner beim Bau der Tanks anzuleiten. Was noch großartiger war: sie etablierten<br />
eine Mikrobank für die Frauen – ja, die Frauen – um die Gelder zu verwalten.<br />
Das Programm veränderte das Leben der Menschen. Befreit von dem Joch des<br />
Wasserholens lieh sich Elizabeth 1000 Shillings von der Bank und kaufte davon Hühner.<br />
Vom Verkauf der Eier und des Geflügels sparte sie genügend Geld an, um zwei Ziegen<br />
kaufen zu können. Damit konnte sie ein Geschäft mit Fleisch und Milch aufbauen. Dann<br />
expandierte sie weiter. Sie kaufte Saatgut, baute Kohl an und verkaufte diesen. Mittlerweile<br />
hat sie drei Ernten pro Jahr und verdient jährlich 30.000 Shillings. Sie sagt: „Mein Sohn ist<br />
nicht mehr krank und geht zu einer besseren Schule.“ Und ihr Mann hat mit dem Trinken<br />
aufgehört, er bewundert seine Frau und hilft mit im Geschäft.<br />
16 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Die Transformation wurde möglich durch die Unterstützung von <strong>Rotary</strong> Clubs in Kanada<br />
und den Niederlanden, zusammen mit einem Zuschuss der kanadischen Entwicklungshilfe<br />
und – natürlich – einer Zuwendung der <strong>Rotary</strong> Foundation.<br />
Doch dies ist nur eines von vielen erfolgreichen Wasser- und Sanitärprojekten von <strong>Rotary</strong>.<br />
Weitere Beispiele:<br />
• Rotarier in Nairobi leiteten die Bevölkerung eines Elendsviertels dabei an, einen<br />
Toilettenblock zu erbauen, der auch Duschen und eine Babystation enthielt. Mit<br />
dabei halfen der RC Denver und die <strong>Rotary</strong> Foundation. Die Rotarier sorgten dafür,<br />
dass ein Ausschuss und eine Leitung gewählt wurden. Sie schulten das Team in<br />
Projektmanagement. Sie handelten mit örtlichen Behörden die Anbindung an das<br />
bestehende Abflussnetz aus.<br />
• Im nördlichen Ghana setzte sich der RC Tamale mit Unterstützung der <strong>Rotary</strong><br />
Foundation, des Carter Centers sowie <strong>Rotary</strong> Clubs in New Hampshire dafür ein,<br />
den Befall von Menschen durch den Guinea-Wurm zu unterbinden. Das Ergebnis<br />
ihrer Bemühungen ist, dass die entstellende Krankheit fast beseitigt ist.<br />
• Die Gemeinde Lopko in Benin erhielt ein Wasser- und Sanitärsystem dank der<br />
Anstrengungen von Rotariern aus Cotonou, der <strong>Rotary</strong> Foundation und des <strong>Rotary</strong><br />
Clubs Bitonto Terre dell’olio aus Italien.<br />
• Der <strong>Rotary</strong> Club Ashmore, Australien, half Rotariern des Charoen Nakorn Clubs<br />
in Thailand, ein Wasserfiltrationssystem in 13 Schulen in Vororten Bangkoks zu<br />
installieren. Auch hier war die <strong>Rotary</strong> Foundation das Bindeglied, um die Clubs in<br />
einer humanitären Mission zusammenzubringen.<br />
• Rotarier in Indiens Distrikt 3150 brachten Frieden in eine Gemeinde, die zuvor von<br />
steten Querelen über zu knappes Wasser zerrissen war. In Zusammenarbeit mit<br />
den Gemeindeleitern bauten sie für 80.000 Dollar eine Bewässerungsanlage, die<br />
120 Hektar Ackerland versorgt. Damit ist über 100 Familien geholfen; durch die<br />
Intervention von <strong>Rotary</strong> und der Foundation herrscht jetzt Frieden in der Gegend.<br />
Aber wir haben noch unglaublich viel vor uns. Wasser ist, wie Kofi Annan es ausdrückte,<br />
ein Menschenrecht. Das ist auch in den Milleniumszielen der Vereinten Nationen bekräftigt,<br />
in denen es heißt, dass der proportionale Anteil von Menschen ohne Zugang zu sicherem<br />
Trinkwasser und sanitären Anlagen um 50 Prozent gesenkt werden soll. Ein Beschluss der<br />
UNO bestätigt dies.<br />
Dies ist eine der größten Herausforderungen der Welt. In Äthiopien haben nur drei Viertel<br />
der Bewohner Zugang zu adäquatem Trinkwasser. In Indien fehlt 580 Millionen Menschen<br />
eine elementare sanitäre Versorgung, 141 Millionen Menschen haben kein sauberes<br />
Trinkwasser. Ohne Wasser bleibt menschlicher Fortschritt eine Phantasievorstellung.<br />
<strong>Rotary</strong>s Future Vision verändert unsere Blickrichtung, von kurzfristigen Engagements hin<br />
zu langfristigen Projekten und Programmen. Dies ist ein erster Schritt in dem Bestreben,<br />
wirklich signifikante Ergebnisse in der von <strong>Rotary</strong> angestrebten humanitären Entwicklung<br />
zu erbringen. Die sechs Schwerpunktbereiche hängen vollständig von Wasser und Hygiene<br />
ab. Ohne Wasser geht nichts.<br />
Auch die die Gesundheit von Mutter und Kind ist ohne sauberes Wasser und Hygiene<br />
undenkbar. Kinder werden nie eine anständige Schulbildung erhalten, wenn Frauen und<br />
Mädchen zahllose Stunden mit Wassertragen verbringen müssen. Eine wirtschaftliche<br />
Entwicklung kann sich nicht einstellen, wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, ihre<br />
Zeit und Energie einzubringen. Und mehr und mehr zeigt sich, dass auch der Frieden in<br />
permanenter Gefahr ist, solange Menschen der Zugang zu den wesentlichsten Ressourcen<br />
verwehrt bleibt. Für 80 Prozent der Weltbevölkerung ist Wasser keine Selbstverständlichkeit.<br />
Wie können wir jemals Frieden erreichen ohne gerechte Wasserverteilung?<br />
17
Meine lieben Governors elect, lassen Sie sich und Ihre Clubs durch Future Vision<br />
motivieren, in noch größeren und kühneren Dimensionen zu denken. Mit einer einfachen<br />
Versorgung mit Wasser ist es noch nicht getan. Diese stellt nur die Basis zu einer sozialen<br />
und ökonomischen Veränderung dar. Denken Sie bei einem Projekt nicht nur an das Bohren<br />
eines Brunnens, das Installieren eines Filters oder einer Toilette. Richten Sie Ihren Fokus<br />
stattdessen auf die humanitären Ergebnisse daraus: Gesundheit, Bildung, Beseitigung von<br />
Hunger, wirtschaftliche Erholung. Und wenn Sie ein Projekt angehen, holen Sie sich Rat von<br />
der Water and Sanitation Rotarian Action Group. Dort erfahren Sie, wie Sie Ihre Projekte<br />
wirklich nachhaltig anlegen und wie Sie Wasser- und Hygiene-Infrastrukturen auf Jahre<br />
hinaus sichern. Sie werden lernen, laufende Überwachung und Auswertung in Ihr Projekt<br />
zu integrieren. Und wenn Sie sich auf eine solche Zukunftsvision, eine solche Future Vision<br />
einlassen, dann werden Sie sehen, dass langfristiger Erfolg mehr erfordert als die für<br />
<strong>Rotary</strong> traditionellen einjährigen Verpflichtungen.<br />
Meine lieben Governors elect, Sie haben die Chance, bei der Erreichung der UNO-<br />
Milleniumsziele zu Wasser und Hygiene mitzuwirken. Tun Sie sich mit rotarischen Partnern<br />
zusammen, zuhause und in Übersee. Das ist unsere einzigartige Ressource. Host Clubs<br />
in Entwicklungsländern, Sie brauchen Partner aus Industrieländern, um Ressourcen<br />
zu beschaffen: Geld, Erfahrung und Know-How, damit Dinge bewegt werden können.<br />
Und die internationalen Partner? Sie brauchen die Host Clubs, die lokale Präsenz, um<br />
sicherzugehen, dass Sie wirklich auf lokalen Kultur- und Wertvorstellungen aufbauen.<br />
Gemeinsam sollten Sie die <strong>Rotary</strong> Foundation hinzuziehen. Die Stiftung hält unsere<br />
einzigartige Organisation zusammen, und verschafft unseren Partnerschaften eine<br />
einzigartige, nachhaltige Hebelkraft.<br />
Und wenn alles getan ist, werden wir unseren Erfolg an der Anzahl von Frauen wie<br />
Elizabeth messen, denen wir helfen konnten, und an all den Kindern dieser Frauen, deren<br />
Lebensumstände einfach durch eine Wasserversorgung verbessert wurden. Und das ist<br />
die schlichte und unumgängliche Realität von <strong>Rotary</strong> – wir haben das unglaubliche und für<br />
viele von uns läuternde Privileg, Menschen zu einem besseren Leben verhelfen zu können.<br />
18 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Meine Erfahrung mit der Kinderlähmung<br />
Jenny Horton<br />
Rotarierin<br />
Im indischen Sprachgebrauch würde ich mich selbst als Polio Wallah bezeichnen. Ich bin<br />
ein stolzes Mitglied des <strong>Rotary</strong> Clubs Kenmore, Australien, und widme mich einer ganz<br />
besonderen Aktivität – der Ausrottung der Kinderlähmung.<br />
Meinen ersten Kontakt mit <strong>Rotary</strong> hatte ich durch das <strong>Rotary</strong>-Jugendaustauschprogramm.<br />
Damals durfte ich als junges Mädchen vom Lande bis nach Oklahoma reisen. Später<br />
dann war mein Mann Rotarier, und als dieser nach einer Krankheit verstarb, wurde ich<br />
selbst Rotarierin und übernahm schnell das Präsidentenamt in meinem Club. Durch<br />
meinen Jugendaustausch hatte ich das Gefühl, <strong>Rotary</strong> etwas schuldig zu sein, und diese<br />
Verpflichtung scheint selbst heute, wo ich in einer anderen Funktion diene, weiter stetig zu<br />
wachsen.<br />
Während der vergangenen 11 Jahre setzte ich mich leidenschaftlich für die Ausrottung der<br />
Kinderlähmung ein, davon sieben Jahre hauptamtlich. Viele meiner Freunde halten das für<br />
fast schon übertrieben. Durch den Einsatz hatte ich Gelegenheit, in vielen verschiedenen<br />
Ländern im Kampf gegen die Krankheit direkt mitzuhelfen. Ein paar dieser Erfahrungen will<br />
ich heute mit Ihnen teilen und Ihnen von den vielen, engagierten Menschen berichten, die<br />
ich im Lauf der Jahre getroffen habe.<br />
Im Jahr 2000 reiste ich zum ersten Mal nach Indien, um gemeinsam mit Rotariern an<br />
einer Polio-Kampagne teilzunehmen. Hier war ich nun also, verabreichte Polio-Impfstoff<br />
an Kinder, um diese vor der Kinderlähmung zu schützen, und sah gleichzeitig Kinder mit<br />
schweren Behinderungen, die die Impfung nie erhalten hatten. Ich hatte bis dahin noch<br />
nie solche schlimmen Verkrüppelungen gesehen. Ich sah Kinder, die auf drei Gliedmaßen<br />
krochen, Kinder mit Beinen, die sie nicht benutzen konnten und die deshalb geächtet<br />
wurden und Kinder, die nicht in die Schule gehen konnten, da sie verstoßen worden waren<br />
und betteln gehen mussten. Diese Kinder zu sehen und dabei zu wissen, dass all dies zu<br />
vermeiden gewesen wäre, brach mir das Herz. In mir wuchs ein tiefer Wunsch danach,<br />
mich noch aktiver bei der Ausrottung dieser schrecklichen Krankheit einzubringen. Dank<br />
Past Governor P.V. Purushothaman erhielt ich Gelegenheit, mich noch umfassender zu<br />
beteiligen. Ich hatte Erfahrungen als Helferin in Krankenlagern für Poliopatienten. Dort<br />
hatte ich unter anderem ein Mädchen kennengelernt, das aufgrund der Kinderlähmung<br />
keine Schuhe tragen konnte und für jeden Schritt mit der Hand sein Knie anheben musste,<br />
um überhaupt laufen zu können. An ihre Beine wurden Schienen und Schuhe angepasst,<br />
woraufhin ich sie fragte, was daran das Beste sei. Sie sagte: „Ich kann jetzt meine<br />
Schulbücher zur Schule tragen.“ Wie soll man darauf antworten?<br />
Ich traf einen Vater, der seinem Sohn Kamran eine Polio-Impfung verweigert hatte und mit<br />
mir seinen Kummer teilte, weil Kamran im Alter von vier Jahren an der Kinderlähmung<br />
erkrankte und heute im Rollstuhl sitzt. Der Vater war an der Situation vielleicht nicht einmal<br />
schuld, da er zum damaligen Zeitpunkt falsche Informationen erhalten hatte, aber das<br />
änderte nichts daran, wie schuldig er sich fühlte. Kamran, der heute 14 Jahre alt ist, erzählte<br />
mir davon, dass er gerne Pilot geworden wäre und wie er nachts weinte, damit seine Eltern<br />
seinen Schmerz nicht mit ansehen müssten. Jedes Mal, wenn ich von einer dieser frühen<br />
Reisen zurückkehrte, war ich vollkommen aufgelöst und konnte einfach nicht begreifen,<br />
welches Leid diese Kinder erdulden mussten. Ein Leid, das doch so einfach zu verhindern<br />
gewesen wäre. Ich war nun fest entschlossen, mein bequemes Leben in Australien<br />
aufzugeben und an vorderster Front für die Ausrottung der Kinderlähmung zu kämpfen.<br />
19
In Nigeria sah ich viele Menschen, die an den Folgen der Kinderlähmung litten und die am<br />
Straßenrand bettelten. Sie erinnerten mich permanent daran, warum wir uns für unser<br />
Ziel einsetzen. Ich erinnere mich an eine Familie, die mir davon erzählte, dass durch die<br />
Kinderlähmung drei ihrer Kinder heute verkrüppelt sind und die so dankbar war, dass ihre<br />
jüngeren Kinder durch eine Impfung verschont geblieben waren. Ich arbeitete mit einer<br />
Freiwilligen zusammen, die selbst ein Kind hatte, welches an Polio litt und das sie auf dem<br />
Rücken trug, während sie von Tür zu Tür ging, um Kinder zu impfen. Wenn Mütter Bedenken<br />
gegen die Impfung äußerten, zeigte sie diesen das schlaffe Beinchen ihres Kindes. In<br />
meinem Staat Bauchi sah ich, wie sich traditionelle Führungspersönlichkeiten entschlossen<br />
für eine Impfung einsetzten. Sie wollten sicherstellen, dass die Impfteams kein Kind in<br />
ihrer Region auslassen würden. Diese Männer führten das Impfpersonal durch teilweise<br />
extrem widriges Gelände und besuchten persönlich Familien, die eine Impfung ablehnten,<br />
um diese zu überzeugen. Ihre Frauen hielten Versammlungen für andere Frauen ab, um<br />
Mütter zur Impfung zu bewegen. Als ich durch die Dörfer ging, war es mir stets eine große<br />
Ehre, zur Impfung eines Neugeborenen eingeladen zu werden. Oftmals wurde ich innerhalb<br />
weniger Minuten nach der Geburt gebeten, den Impfstoff vorbeizubringen, was mir stets<br />
enorme Freude bereitete. Wenn wir in die Häuser dieser Familien kamen, verabreichten wir<br />
nicht nur den Kindern eine Impfung, sondern erhielten auch Einblick in die vorherrschenden<br />
Hygieneverhältnisse und konnten die Familien gegebenenfalls hierzu beraten.<br />
Die Abgeschiedenheit einiger Dörfer in Äthiopien stellte oft ein ziemliches<br />
Kommunikationsproblem dar. Ich sah, wie Proben zu Polio-Verdachtsfällen genommen<br />
wurde und Freiwillige zu Fuß in die nächstgelegene Stadt marschierten, um dort Eis für den<br />
Transport und die Auslieferung dieser Probe nach Addis Abeba zu besorgen. Ich erinnere<br />
mich daran, wie ich in einer sehr entlegenen Region war und dort über Funk gebeten<br />
wurde, den Transport für eine Probe zu ermöglichen. Der Dorfvorsteher in dieser Region<br />
lief sechs Stunden, um den Impfstoff für zehn Kinder zu besorgen und danach noch einmal<br />
sechs Stunden zurück, um den übrig gebliebenen Impfstoff zurückzubringen! Die Sache war<br />
ihm so wichtig, dass er bereit war, all diese Anstrengungen in Kauf zu nehmen. Ich habe<br />
mich oft gefragt, wie viele von uns so opferbereit wären.<br />
In Botswana sah ich die Auswirkungen der Kinderlähmung nicht so deutlich wie in den<br />
anderen Ländern, denn hier finden regelmäßig routinemäßige Impfungen statt. Dennoch<br />
kam es hier zu einem Fall, der interessanterweise in die gleiche Region zurückverfolgt<br />
werden konnte, in der ich in Nigeria gearbeitet hatte. Wir glauben, dass dieses Kind<br />
sich durch die Benutzung einer Toilette in einer Touristenregion mit dem Polio-Virus<br />
infizierte. Die Toilette war zuvor vermutlich von einer Überträgerperson benutzt worden,<br />
die nicht wusste, dass sie das Virus in sich trug. Nur in den wenigsten Fällen führt eine<br />
Erkrankung am Poliovirus nämlich zu Lähmungserscheinungen und Tod. Während meiner<br />
Zeit in Botswana besuchte ich entlegene Regionen in der Kalahari-Wüste, um dort die<br />
medizinischen Hilfskräfte zu unterstützen, die verdächtige Krankheitsfälle untersuchten und<br />
Routineimpfungen gegen Polio ermöglichten.<br />
Ein Großteil unserer Arbeit in Karatschi und Pakistan konzentrierte sich auf die Slums, wo<br />
die Kinderlähmung mangels Hygiene und sauberem Wasser noch stärker grassiert. Es<br />
war keine Ausnahme, dass wir Kinder sahen, die im Abwasser spielten. Ich werde nie das<br />
kleine Mädchen vergessen, das vor ihrem Haus saß und mit einem Löffel spielte, mit dem<br />
sie Wasser aus einem Abwasserkanal löffelte und trank. Es ist kein Wunder, dass diese<br />
Kinder ständig krank und anfällig für Viren sind. Einmal verlor ich das Gleichgewicht und<br />
landete dabei mit einem Bein in dem Schlamm eines solchen Abwasserkanals. Meine<br />
Kollegen spritzten mich sofort mit sauberem Wasser ab und ich konnte mich über den<br />
Vorfall gar nicht ärgern, denn ich musste in dem Moment an all die Menschen denken, die<br />
tagtäglich mit diesem Abwasser vor ihrer Haustür lebten. An einem anderen Tag, nach einer<br />
20 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Impfkampagne in Islamabad, überprüfte ich einige Häuser, als mir Amir, ein afghanischer<br />
Junge, der auf allen Vieren krabbelte, begegnete. Wir fragten ihn, ob er die Kinderlähmung<br />
hatte und er bejahte die Frage. Wir erzählten ihm von dem, was wir taten und seine<br />
Augen füllten sich mit Tränen. Er erzählte uns davon, wir er eigentlich der Haupternährer<br />
seiner Familie hätten werden sollen und wie er vor gehabt hatte, zu heiraten. Durch die<br />
Kinderlähmung jedoch war er zur Belastung für seine Familie geworden, die sich ständig<br />
darum sorgte, wer sich einmal um ihn kümmern würde. Während er sich bei uns bedankte,<br />
für das was wir taten, weinte er und bat uns, kein Kind auszulassen.<br />
Die Kinder jedes einzelnen Hauses zu impfen, ist keine leichte Aufgabe. Karatschi hat<br />
viele Häuser, die sechs bis acht Stockwerke hoch sind – die meisten davon haben keine<br />
Fahrstühle, und häufig sind die Treppen uneben und die Treppenhäuser nicht beleuchtet.<br />
Polio-Teams klettern diese Stufen nach oben und suchen den ganzen Tag nach Kindern. Ich<br />
habe Impfhelfer gesehen, die die Treppen hinunter fielen, nur kurz ihre Kleider abwischten<br />
und wieder hinauf stiegen. Es ist eine anstrengende Arbeit, bei der man in manchen<br />
Fällen auch den Tod von Kollegen mit ansehen muss. Ich erinnere mich noch besonders<br />
gut an den Tag, an dem einer unserer Ärzte und sein Fahrer durch eine Bombe getötet und<br />
andere entführt wurden. Das Geräusch von Schüssen und Explosionen, die den Himmel<br />
erleuchteten, wurde für mich eine Zeitlang zum Normalfall. Das Erreichen vieler Orte ist<br />
oftmals mit einem großen Sicherheitsrisiko verbunden.<br />
Ich will Ihnen an dieser Stelle von Menaz erzählen, die als Kind an der Kinderlähmung litt,<br />
wodurch beide Beine beeinträchtigt wurden. Menaz wollte Lehrerin werden und machte<br />
auch tatsächlich trotz aller Widrigkeiten ihren Abschluss. Es war schwer für sie, Treppen zu<br />
steigen, sie konnte nicht wie andere auf einem Stuhl sitzen, doch sie hat einen unglaublich<br />
starken Willen. Sie unterstützte uns aktiv mit Botschaften an Familien, in denen sie unter<br />
Hinweis auf ihre Behinderung dazu aufrief, sich impfen zu lassen.<br />
Wenn ich ab und zu nach Australien zurückkehre, um mich zu erholen, treffe ich jedes Mal<br />
unsere Post-Polio Support Group in Brisbane. Diese außergewöhnlichen Menschen sind<br />
eine Quelle der Inspiration für mich, die mit anderen ihre Erfahrungen teilen, die sie in<br />
Eisernen Lungen oder bei langen Aufenthalten auf Isolierstationen machen mussten. Sie<br />
sind immer so positiv und unterstützen aktiv PolioPlus. Es sind einfach großartige Freunde.<br />
Im vergangenen Jahr diente ich dem Programm in Indien, und es ist schön, keine von<br />
Polio betroffenen Kinder mehr auf den Straßen zu sehen. Ich beobachte hier wirklich eine<br />
unglaubliche Entschlossenheit, den Einsatz zu einem Abschluss zu bringen. Ich sehe hier<br />
Impfhelfer durch hüfthohes Wasser waten, um den Impfstoff zu verabreichen. Wir sind alle<br />
bereits durch rutschigen Schlamm gelaufen, um jedes Haus zu besuchen, haben Stunden<br />
in sengender Hitze verbracht und sind auf Mülldeponien gestiegen, um auch wirklich<br />
jedes Kind zu erreichen. Ich sehe <strong>Rotary</strong> und dessen Partner gemeinsam mit Regierungen<br />
zusammenarbeiten, um unser Ziel umzusetzen. Bihar konnte durch PolioPlus seine Routine-<br />
Impfungen wesentlich verbessern und auch bei der Verbesserung der Hygiene geht es<br />
voran. Ich sehe Stärke durch Partnerschaften – in einem Gebiet, in dem ich arbeitete,<br />
wurden zehntausende Kinder während einer Kampagne übersehen, also schritt <strong>Rotary</strong> ein.<br />
Rotarier Shub mit dem Gesundheitssekretär und -minister zusammen, was in der Folge ein<br />
Treffen der Partner mit der Staats- und Distriktregierung ermöglichte. Das Ergebnis war ein<br />
Beschluss, die nächste Kampagne besser zu beobachten, um auch tatsächlich alle Kinder<br />
zu erfassen. So etwas schafft nur <strong>Rotary</strong>. Ich besuchte ein Krankenhaus, das dank <strong>Rotary</strong><br />
kostenlose rekonstruktive Operationen an den Beinen von ehemals an Polio Erkrankten<br />
durchführt und fühlte mich von den Zielen der Kinder, die Ingenieure, Lehrer, Ärzte, sogar<br />
Politiker werden wollen, inspiriert. Sie haben heute neue Hoffnung.<br />
Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Diese letzte Phase wird die schwerste. Unterschätzen<br />
Sie dabei niemals Ihre Rolle. PolioPlus ist die größte Gesundheitsinitiative, die in der Welt<br />
21
jemals angestoßen wurde. Durch die Erfahrungen meiner vielen Einsätze kann ich Ihnen<br />
versichern, dass jede einzelne Person und jede einzelne Rupie zählt. Wir brauchen die<br />
Unterstützung jedes Einzelnen von Ihnen, um das Programm zu Ende zu führen.<br />
Auch heute noch bin ich überwältigt von <strong>Rotary</strong>. Ich bin überwältigt, dass eine wohltätige<br />
Organisation solch ein großes Programm zur weltweiten Ausrottung einer Krankheit<br />
umsetzen kann und vormacht, wie durch Partnerschaften mit anderen Organisationen das<br />
Leben von Menschen wirklich verändert werden kann.<br />
Mutter Teresa sagte einmal: „Was ich kann, können Sie nicht, doch was Sie können, kann ich<br />
nicht. Die Not ist groß und keiner von uns, auch ich nicht, leistet alleine Großartiges. Doch<br />
wir können kleine Dinge bewegen und mit viel Liebe können wir gemeinsam Wundervolles<br />
vollbringen.“ Für mich ist dies eine Zusammenfassung von PolioPlus.<br />
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch einige Bilder von Meta zeigen, einer jungen Frau,<br />
der ich begegnete und die mich daran erinnert, warum wir diesen Kampf gegen die<br />
Kinderlähmung gewinnen müssen. Vielen Dank.<br />
22 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Wie <strong>Rotary</strong> mein Leben veränderte<br />
Vener Macaspac<br />
<strong>Rotary</strong> Friedensstipendiat 2009-11<br />
University of California, Berkeley<br />
Ich will Ihnen heute davon erzählen, wie <strong>Rotary</strong> mein Leben verändert. Dank <strong>Rotary</strong> kann<br />
ich an einem <strong>Rotary</strong>-Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung studieren, wo junge<br />
Menschen, die sich für den Frieden in der Welt einsetzen wollen, einen Masterstudiengang<br />
in internationalen Studien, Friedens- und Konfliktforschung absolvieren können.<br />
Ich wurde 2009 als einer von 60 <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendiaten unter weltweit 2.000<br />
Bewerbern ausgewählt. Ich arbeitete im Bereich Sozialwissenschaften und Bildung und<br />
interessiere mich darüber hinaus für interkulturelle Bildung. Deshalb begann ich über<br />
die Rechte von Naturvölkern auf den Philippinen zu forschen. Während ich die Not dieser<br />
Menschen untersuchte, eignete ich mir Filmtechniken zum Drehen von Dokumentarfilmen<br />
an, um die Aussagen der befragten Indios auf Kamera festzuhalten. Die Filme dienten<br />
später dazu, Regressforderungen wegen der Verletzung ihrer Rechte einzuklagen. Ich habe<br />
eine große Leidenschaft für das Filmemachen entwickelt. Durch Filme kann man sehr<br />
effektiv bestimmte Botschaften übermitteln und ich glaube, dass ich nicht zuletzt auch<br />
deswegen dieses begehrte Stipendium erhalten habe.<br />
Als <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendiat habe ich die Gelegenheit, an einer der besten staatlichen<br />
Universitäten der Welt bei hervorragenden Professoren zu lernen und mit diesen<br />
zusammenzuarbeiten. Derzeit bin ich in meinem letzten Semester als Graduate-Student für<br />
Asiatische Studien an der University of California in Berkeley.<br />
Innerhalb eines nur kurzen Zeitraums hat <strong>Rotary</strong> auf drei verschiedene Weisen mein Leben<br />
verändert, die ich die drei Cs nenne. Das erste C steht für Commitment (Deutsch etwa<br />
Engagement, Verpflichtung).<br />
Vor zwei Jahren nahm ich für einen Dokumentarfilm, der im Rahmen eines Schattenberichts<br />
an das United Nations Committee on the Elimination of Racial Discrimination<br />
gedreht wurde, verschiedene Interviews mit Indios in den Philippinen auf. Eine der<br />
Dorfvorsteherinnen kam auf mich zu und begrüßte mich mit den Worten ich sollte nach<br />
Hause gehen und mir eine Hose kaufen.<br />
Danach erklärte sie mir, wie schrecklich die Lage in dem Dorf war: ihre landwirtschaftlichen<br />
Erzeugnisse reichten nicht bis zur nächsten Erntesaison; es gab nicht genügend Essen,<br />
um die Familien zu versorgen; es gab keine medizinische Versorgung; die Kinder mussten<br />
stundenlange Märsche in die Berge zurücklegen, um in die nächste Schule zu gelangen,<br />
falls es überhaupt eine Schule gab. Die Rechte auf das Land ihrer Vorfahren wurden<br />
ihnen zu Gunsten von Bergbau- und Holzunternehmen aberkannt. Ihre Anführer wurden<br />
eingeschüchtert und verfolgt, wenn sie die Rechte ihrer Dörfer auf Land und Leben<br />
verteidigten. Die Dorfvorsteherin, ihr Name war Lita, war sehr bestimmt, als sie mir den Rat<br />
gab, in die Stadt zurückzukehren, wo ich aufgewachsen war. Sie dachte, das Leben im Dorf<br />
sei zu hart für mich.<br />
Litas Botschaft ging mir nie wieder aus dem Kopf. Ich begann darüber nachzudenken,<br />
in wie weit ich bereit war, meinen eigenen Komfort und meine Privilegien aufzugeben,<br />
um Menschen in Not zu dienen. Ihre Botschaft war eine Herausforderung für mein<br />
Engagement, Menschen zu helfen, und bewegte mich tief. Ich fragte mich, welchen<br />
sinnvollen Beitrag ich leisten könnte, um menschliche Situationen zu verbessern. Wie<br />
23
könnte ich meine Solidarität mit den Menschen zeigen, die sozial ausgegrenzt wurden?<br />
Wie sehr fühlte ich mich wirklich dazu verpflichtet, mich für Gerechtigkeit und dauerhaften<br />
Frieden in der Welt weiter einzusetzen?<br />
Das <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendium fördert ein solches Engagement. Während des Trainings,<br />
das ich als Friedensstipendiat erhalte, kann ich mein Wissen über die verschiedenen<br />
Ursprünge von Konflikten sowie Ausgrenzung und Armut in der Welt erweitern. Die<br />
analytischen Fähigkeiten und das Wissen, das ich bisher vermittelt bekam, helfen mir,<br />
meine Rolle als sozial engagierter Filmemacher weiter zu definieren.<br />
In die Praxis konnte ich dieses Wissen umsetzen, als ich Feldstudien betrieb und<br />
Praktika bei WITNESS absolvierte. WITNESS ist eine führende internationale<br />
Menschenrechtsorganisation mit Sitz in New York, die Filme als Instrument der Verteidigung<br />
von Menschenrechten nutzt. Während ich bei WITNESS arbeitete, entwickelte ich ein<br />
Trainingshandbuch für Bürgerinitiativen, das Anleitungen zum dokumentarischen Filmen<br />
gewaltsamer Vertreibungen bietet.<br />
Als Friedensstipendiat habe ich außerdem die Möglichkeit, von Rotariern auf der ganzen<br />
Welt etwas zu lernen. Die Professionalität, Moral und Leidenschaft der Rotarier, das Leben<br />
benachteiligter Menschen zu verbessern, sind eine große Inspiration für mich. All die mir<br />
eröffneten Möglichkeiten tragen dazu bei, dass ich mich noch stärker für das einsetzen will,<br />
wofür die Rotarier bekannt sind: Service Above Self – Selbstloses Dienen.<br />
Das zweite C steht für Collaborative Action (Deutsch etwa gemeinsames Handeln).<br />
In Berkeley lebe ich mit sechs anderen internationalen Studenten zusammen. Trotz unserer<br />
kulturellen Unterschiede kommen wir sehr gut miteinander aus. Der Grund hierfür ist, dass<br />
wir alle <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendiaten sind. Bevor wir nach Berkeley kamen, arbeiteten wir<br />
bereits alle in verschiedenen Teilen der Erde im Bereich Menschenrechte, in der Frieden-<br />
und Konfliktlösung. Als wir uns schließlich im August 2009 am <strong>Rotary</strong>-Friedenszentrum an<br />
der University of California in Berkeley kennenlernten, wussten wir alle, dass wir endlich<br />
angekommen waren.<br />
Durch ein <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendium hat man die einzigartige Möglichkeit, Teil einer<br />
herausragenden, weltweiten Gemeinschaft aus Friedensstipendiaten zu werden. Weltweite<br />
Friedensarbeit ist eine schwierige Aufgabe, doch das Stipendium bringt Menschen wie<br />
mich erfolgreich zusammen, um gemeinsam realisierbare Antworten und Lösungen für die<br />
Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln.<br />
Durch diese Möglichkeit kann ich heute mit Friedensstipendiaten ein Filmprojekt<br />
ausarbeiten, das unter kambodschanischen Immigranten in den Vereinigten Staaten für<br />
die Teilnahme am Rote-Khmer-Tribunal werben soll, wo die Führer der Roten Khmer für<br />
deren Gräueltaten vor Gericht stehen. Ich hoffe, dass der Film durch die Zusammenarbeit in<br />
unserem letzten Semester an der UC Berkeley realisiert werden kann und wir einen Beitrag<br />
zu Gerechtigkeit und einer Wiedergutmachung unter den Opfern leisten können.<br />
Das dritte C steht für Creativity – Kreativität.<br />
Die Rotarier sind auf der ganzen Welt für ihre Leidenschaft und ihren Einfallsreichtum<br />
bekannt, wenn es darum geht, verschiedene Projekte zu entwerfen und Lösungen<br />
zur Linderung von Armut und menschlicher Not zu finden. In Nordkalifornien traf<br />
ich Rotarier, die jedes Jahr Nierentransplantationen und Korrekturen von Lippen-,<br />
Kiefer-, Gaumenspalten auf den Philippinen vornehmen. Auf Bali traf ich Rotarier, die<br />
Schulspielplätze wieder aufbauen, die während der Regensaison überflutet und von<br />
Moskitoschwärmen heimgesucht werden. Die weltweiten Einsätze der Rotarier sind für<br />
24 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
mich eine Quelle der Inspiration zur Lösung von gesellschaftlichen Konflikten und bei der<br />
Förderung interkultureller Verständigung.<br />
Ein bekannter Literaturtheoretiker sagte einmal: „Es ist wichtig, dass wir unsere Sinne<br />
wiederentdecken. Wir müssen lernen, mehr wahrzunehmen, mehr zu hören und mehr<br />
zu fühlen.“ Ich nehme diese Herausforderung an, indem ich ein globales, multimediales<br />
Friedenszentrum aufbauen werde, das Filme produzieren und nutzen wird, um<br />
Menschenrechtsverletzungen entgegenzuwirken. Es soll außerdem interkulturelle<br />
Verständigung fördern und konkrete Schritte für die Friedensarbeit aufzeigen.<br />
Mein Studium als <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendiat nähert sich dem Ende und ich bin dabei,<br />
die ersten Schritte zum Aufbau des Integrated Peace Education Center oder kurz IPEACE<br />
zu unternehmen. Die globale Initiative zielt darauf ab, interkulturelle Erziehung und<br />
Verständigung durch Filme zu ermöglichen. IPEACE wird Rand- bzw. Zielgruppen und von<br />
Konflikten bedrohten Menschen Videotraining ermöglichen und Dokumentarfilme erstellen,<br />
die aus lokaler Sicht Konflikthintergründe und Friedensmöglichkeiten zeigen.<br />
Frei nach seinem Leitmotto „Öffne deine Augen“ will IPEACE Unterhaltung mit<br />
Engagement und gemeinsamem Handeln verbinden, indem es mit von Konflikten<br />
betroffenen Gemeinwesen, internationalen Institutionen und Friedensbewegungen<br />
zusammenarbeitet. In Ergänzung zu den Filmen wird IPEACE eine Führungsrolle<br />
beim Herstellen von Dialogen und öffentlichen Foren auf lokaler und globaler Ebene<br />
übernehmen. Diese sollen dazu beitragen, verständliche und nachhaltige Lösungen für<br />
Konflikte auf der ganzen Welt zu erarbeiten.<br />
Mein unmittelbares Ziel für IPEACE ist es, Mittel und Ressourcen für die Entwicklung von<br />
Online-Lehrmaterialien, die Umsetzung von Workshops zu interkultureller Verständigung<br />
und Videotraining in den Hauptkonfliktregionen der Welt zu sammeln. Darüber hinaus<br />
werde ich eine Website erstellen, die Filme und Videos zu den Hauptursachen von<br />
Konflikten, das Ausmaß menschlichen Leids und Möglichkeiten für Frieden enthält.<br />
<strong>Rotary</strong> verändert mein Leben auf sehr bedeutende Weise und gibt mir die Möglichkeit, das<br />
Leben anderer Menschen zu verändern. Ich bin meinem Sponsor-Club und -Distrikt, dem<br />
<strong>Rotary</strong> Club New Manila East und Distrikt 3780 und meinem Gastgeber-Club und -Distrikt,<br />
dem <strong>Rotary</strong> Club Petaluma Sunrise und Distrikt 5130 für ihr Vertrauen, ihre Unterstützung<br />
und ihre Freundschaft sehr dankbar. Auch der <strong>Rotary</strong> Foundation und deren Partner – dem<br />
<strong>Rotary</strong>-Friedenszentrum an der University of California in Berkeley – bin ich zu großem<br />
Dank verpflichtet. Dies ist eine einmalige Gelegenheit für mich, meine Rolle als Helfer<br />
für den Frieden auszubauen und zu definieren. Ich spreche heute für die 642 <strong>Rotary</strong>-<br />
Friedensstipendiaten weltweit, wenn ich Ihnen sage, wie dankbar wir sind, dass wir durch<br />
Ihr großartiges Programm studieren dürfen.<br />
Dies ist mein letztes Jahr am <strong>Rotary</strong>-Friedenszentrum der University of California in<br />
Berkeley und es ist mir eine große Ehre, Teil dieses Abschlussjahrgangs zu sein. Im<br />
kommenden Jahr kann es sehr gut sein, dass das Kuratorium der <strong>Rotary</strong> Foundation eine<br />
neue, zusätzliche Partneruniversität bekannt gibt und ich bin mir sicher, dass auch an<br />
dieser <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendiaten studieren werden. Ich freue mich sehr, dass durch die<br />
<strong>Rotary</strong> Peace Centers Major Gifts Initiative der Foundation bis 2015 95 Millionen US-Dollar<br />
gesammelt werden soll, um das Programm dauerhaft zu unterstützen. Ich danke ganz<br />
besonders unseren Großspendern hier im Publikum, die bereits so großzügig an diesen<br />
Fonds gespendet haben und lege Ihnen allen ans Herz, weiterhin für die Unterstützung des<br />
Programms zu werben. Bis das Programm endgültig durch einen Stiftungsfonds finanziert<br />
wird, ist es weiter sehr wichtig, dass die <strong>Rotary</strong> Distrikte jährlich durch Beiträge aus ihrem<br />
District Designated Fund die <strong>Rotary</strong>-Friedenszentren fördern. Durch unsere gemeinsamen<br />
Spenden und Einsätze werden wir sicherstellen, dass durch das Programm auch weiterhin<br />
25
Friedensstipendiaten ausgebildet werden können, die einen wichtigen Beitrag zu<br />
weltweitem Frieden und Konfliktlösungen leisten werden.<br />
Um gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen, brauchen wir die drei Cs:<br />
Commitment, Collective Action und Creativity (Engagement, gemeinsames Handeln und<br />
Kreativität). Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich durch das <strong>Rotary</strong>-Friedensstipendium diese<br />
Werte festigen konnte. Ich durfte lernen, wie <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> die Rotarier befähigt,<br />
internationale Verständigung, Goodwill und Frieden zu fördern und bin heute ein aktiver,<br />
lebenslanger Partner von <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong>.<br />
Während der vergangenen zwei Jahre hat <strong>Rotary</strong> mein Leben verändert und wird ohne<br />
Zweifel auch in Zukunft noch zahlreiche weitere Leben verändern. Vielen herzlichen Dank<br />
dafür, <strong>Rotary</strong>!<br />
26 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Future Vision: Die Foundation im Wandel<br />
Carl-Wilhelm Stenhammar<br />
<strong>Rotary</strong> Foundation Trustee Chair<br />
Spätestens ab 2005 wurde deutlich, dass das Kuratorium nicht darum herum kommen<br />
würde, innerhalb der Foundation Veränderungen einzuführen. Das Matching Grants-<br />
Programm hatte ein astronomisches Wachstum erfahren und die Verwaltung der<br />
Foundation wurde diesem einfach nicht länger gerecht. Im Wesentlichen mussten die<br />
Trustees darüber entscheiden, ob sie eine ganze Reihe mehr Mitarbeiter in Evanston<br />
einstellen sollte oder ob es an der Zeit war, die Gelegenheit zu ergreifen, sich genauer mit<br />
dem Problem zu beschäftigen. Sie entschieden sich für letztere Variante und es wurde ein<br />
tiefgreifender strategischer Planungsprozess angestoßen. Zwei Beratungsfirmen – Grant<br />
Thornton und Jefferson Wells – durchleuchteten die <strong>Rotary</strong> Foundation und beinahe 10.000<br />
Rotarier beantworteten einen umfassenden Fragenkatalog. Auf Grundlage des hieraus<br />
gewonnenen Feedbacks erarbeiteten das Future Vision Committee und das Kuratorium der<br />
Foundation schließlich den Future Vision Plan.<br />
Lassen Sie mich hier nun also etwas über die Grundlagen dieses Plans erzählen.<br />
Unter Future Vision werden viele bewährte Initiativen in Zukunft nur noch durch zwei<br />
Arten von Grants finanziert: District Grants und Global Grants. District Grants sind äußerst<br />
flexibel und fördern mit Hilfe von District Designated Fund (DDF)-Mitteln sowohl Club- als<br />
auch Distriktaktivitäten. Global Grants wurden für die Unterstützung großer, humanitärer<br />
Projekte konzipiert, die nachhaltige, messbare Ergebnisse aufweisen. Zudem dienen sie zur<br />
Unterstützung von Stipendien und Berufstrainingsteams, die einen oder mehrere der sechs<br />
Schwerpunktbereiche unterstützen.<br />
Future Vision steht für einen neuen philosophischen Ansatz, wie die Foundation rotarische<br />
Aktivitäten finanziert. Beim bisherigen klassischen Foundation-Modell wählten Rotarier in<br />
der Planungsphase ihre Aktivitäten, nahmen die entsprechenden Umsetzungsvorschriften<br />
an und implementierten auf dieser Basis ihre Projekte. Unter dem Future Vision Plan bittet<br />
die Foundation die Rotarier bei ihrer Planung zunächst, einen echten Bedarf zu ermitteln<br />
und mit dem Gemeinwesen zusammenzuarbeiten, um die beste Aktivität oder die beste<br />
Kombination an Aktivitäten zu bestimmen, um diesen Bedarf zu erfüllen. Natürlich<br />
analysieren die Rotarier beim klassischen Modell ebenfalls, woran Bedarf besteht, doch<br />
sind die Abläufe im neuen Modell besser abgestimmt und die Foundation kann diese<br />
besser unterstützen.<br />
Einer der Hauptaspekte von Future Vision ist zudem die Nachhaltigkeit von Einsätzen. Die<br />
Idee, die sich dahinter verbirgt, ist dass ein Gemeinwesen dauerhaft von den Ergebnissen<br />
einer Aktivität profitieren soll, um zukünftige Bedürfnisse besser angehen zu können. Und<br />
das auch noch lange, nachdem die <strong>Rotary</strong> Clubs ihre Arbeit beendet haben.<br />
Einhundert Distrikte wurden für das Pilotprojekt zu Future Vision ausgewählt und im<br />
vergangenen Jahr hier in San Diego speziell auf ihre Rolle vorbereitet. Seit 1. Juli nutzen<br />
sie nun bereits das neue Grant-Modell. Wie? Indem sie einige ziemlich außergewöhnliche<br />
Projekte umsetzen.<br />
Der <strong>Rotary</strong> Club Kpalimé, Togo, in Distrikt 9100 und der <strong>Rotary</strong> Club Paris-Porte d’Orléans,<br />
Frankreich, in Distrikt 1660 schlossen sich zusammen, um einer Kinderklinik Ausrüstung<br />
und Materialien zur Verfügung zu stellen und in Kpalimé ein Trainingsprogramm zu<br />
Gesundheit und Ernährung einzuführen. Die Sponsoren sorgten dafür, dass das Projekt<br />
27
nachhaltig bestehen wird, indem die Mitarbeiter an der Klinik sorgfältig ausgebildet<br />
wurden. Außerdem wird zur finanziellen Absicherung des Klinikbetriebs eine kleine Gebühr<br />
für Behandlungen erhoben.<br />
Bei Stipendien und Berufstrainingsteams bietet Future Vision große Freiheiten. Ich<br />
würde sogar sagen, dass das derzeitige Stipendienprogramm in Zukunft noch um<br />
einiges verbessert wird. Future Vision District Grants fördern Stipendien vor Ort oder<br />
im Ausland, für jede Studienebene und jeden Zeitraum. Stipendien können entweder<br />
für einen Abschluss oder ein Zertifikatsprogramm oder ganz einfach für einen gewissen<br />
Studienabschnitt erteilt werden. Bei den derzeitigen Ambassadorial Scholarships beträgt<br />
die Stipendiendauer volle 18 Monate. Stipendien nach dem Future Vision Plan bieten<br />
dagegen mehr Flexibilität und erlauben, auch wesentlich kürzere Zeiträume zu unterstützen.<br />
Ihr Distrikt kann natürlich den Zeitrahmen von 18 Monaten weiter beibehalten, aber es ist<br />
ganz bestimmt nicht mehr vorgeschrieben.<br />
Global Grants geben Clubs und Distrikten die Möglichkeit, entweder Barbeträge oder<br />
DDF-Mittel einzusetzen, um ergänzende Mittel aus dem Weltfonds zu erhalten. Mit dem<br />
Gesamtbudget kann Stipendiaten die Teilnahme an einem Graduiertenstudiengang im<br />
Ausland ermöglicht werden, der in einen der sechs Schwerpunktbereiche fällt. Die Distrikte<br />
können einem Studenten entweder ein Jahr oder ein gesamtes Studienprogramm –<br />
maximal bis zu vier Jahre – finanzieren. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden vornehmlich<br />
Anträge auf Stipendienpauschalen in Höhe von 30.000 USD eingereicht – das Minimum<br />
für ein Global Grants-Budget – doch ist dies keinesfalls Voraussetzung. Die Vergaben<br />
können durchaus höher sein, um vielversprechenden Talenten den Abschluss in<br />
einem Graduiertenprogramm zu ermöglichen und somit dazu beizutragen, dass diese<br />
Absolventen in der späteren Laufbahn Gutes bewegen können.<br />
Der <strong>Rotary</strong> Club La Jolla Golden Triangle [in Kalifornien] beispielsweise arbeitet eng mit<br />
dem Kroc Institute for Peace and Justice an der University of San Diego zusammen, um<br />
gemeinsam starke Kandidaten für Stipendien im Bereich Frieden und Konfliktlösung zu<br />
finden. Das bisherige Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind zwei Global Grants in Höhe<br />
von je 30.000 USD für das Studium eines Stipendiaten aus Quito, Ecuador und eines<br />
Stipendiaten aus Kampala, Uganda.<br />
An dieser Stelle würde ich gerne zum Thema Studiengruppenaustausch (GSE) und<br />
Berufstrainingsteams übergehen. Berufstrainingsteams sind keine GSE-Teams, auch wenn<br />
es teilweise Überschneidungen geben kann. Besuchsprogramme werden, ähnlich wie GSE,<br />
mit Hilfe von District Grants umgesetzt. Auslandsreisen von Berufstrainingsteams haben<br />
den Zweck, dort ein Projekt umzusetzen oder an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen.<br />
Berufstrainingsteams werden durch Global Grants ermöglicht und weisen nur geringe<br />
Ähnlichkeiten zu GSE-Austauschen auf.<br />
Was hat sich also geändert? Die größte Veränderung ist, dass Besuchsprogramme nicht<br />
länger komplett durch Mittel aus dem Weltfonds finanziert, sondern nun mit Hilfe von DDF-<br />
Mitteln durch District Grants bestritten werden. Damit folgen wir dem Finanzierungsmodell,<br />
wie es derzeit auch für Ambassadorial Scholarships genutzt wird. Eine weitere Veränderung<br />
ist, dass die Foundation für Besuchsprogramme nicht länger Distrikt-Paarungen festlegt.<br />
Die dritte Veränderung ist wirklich bemerkenswert. Unter Future Vision gelten für Sie<br />
nämlich keine Programmregeln mehr. Die Austausche müssen nicht länger über einen<br />
Zeitraum von vier bis sechs Wochen stattfinden. Die Dauer bestimmen Sie, ob das nun<br />
zwei Wochen sind oder sechs Monate, und sie kosten genau das, was sie kosten. Das<br />
heißt, die Finanzierungshöhe entspricht den tatsächlichen Ausgaben. Wenn Sie also ein<br />
Besuchsprogramm für 5.000 USD durch District Grants durchführen können, wird es sie<br />
genau diesen Betrag kosten.<br />
28 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Zu Global Grants kann ich Ihnen versichern, dass bei uns bereits sehr kreative und effektive<br />
Vorschläge eingegangen sind, die Berufstrainingsteams und Projekte einschließen, zu<br />
denen kein gegenseitiger Austausch stattfinden muss. Wir hatten zum Beispiel ein Team<br />
aus Herzspezialisten aus Distrikt 6560 in Indiana, das in den ugandischen Distrikt 9200<br />
reiste, um dort eine Reihe von Herzoperationen an Kindern vorzunehmen und dabei ihre<br />
ugandischen Kollegen auszubilden. Das Projekt ist sehr nachhaltig, da nun die Ärzte beider<br />
Länder die Operationstechniken beherrschen.<br />
Das sind eindrucksvolle Grant-Projekte und von diesen gibt es noch viele mehr. Die Anträge<br />
auf District Grants und Global Grants, die bei der Foundation bisher eingingen, sind<br />
einfach bemerkenswert. Und zum allerersten Mal sammelt die Foundation, unterstützt<br />
durch die Rotarierinnen und Rotarier, Daten zum Erfolg dieser Grants. Wir wollen durch<br />
diese Erfolgskontrolle feststellen, welchen Einfluss wir genau auf das Leben der Menschen<br />
nehmen, denen wir helfen. In der Zukunft werden diese Informationen Anhaltspunkte<br />
bieten, wie Rotarierinnen und Rotarier mit Hilfe der <strong>Rotary</strong> Foundation Probleme dieser<br />
Welt effektiv bekämpfen können.<br />
Die Rückmeldungen der Pilotdistrikte werden uns helfen, zu bestimmen, was funktioniert<br />
und was nicht. Jedes Mal, wenn eine Rotarierin oder ein Rotarier sich an die Future<br />
Vision-Mitarbeiter wendet, wird diese Anfrage von der Foundation festgehalten. Diese<br />
Datensammlung stellt sicher, dass das Kuratorium bei seinen Auswertungen die stets<br />
aktuellsten Informationen zur Verfügung hat.<br />
Welche Art Fragen prüft das Kuratorium also bei der Beurteilung des Plans?<br />
Nun, wir wissen, dass einige Rotarierinnen und Rotarier sich große Sorgen um die Zukunft<br />
von GSE, Ergänzungen aus dem Weltfonds auch für kleinere Matching Grant-Projekte und<br />
die vorgeschriebene Zusammenstellung eines Ausgabenplans zu District Grants machen.<br />
Wir werden untersuchen müssen, ob diese Bedenken durch die Vorteile des neuen Plans<br />
ausgeglichen werden.<br />
Zu Beginn des vergangenen Sommers schrieb mir ein Governor elect: „Ich bin dieses<br />
Qualifizierungsprozesses, der ein Höchstmaß an Bürokratie darstellt, so überdrüssig….<br />
Und ich versuche, herauszufinden, was nicht stimmt, irgendetwas stimmt nicht – meine<br />
Unterschrift auf der Absichtserklärung fehlte, es war bereits einige Zeit her, dass ich<br />
alles unterschrieben hatte…. Trotz all der angekreuzten Kästchen fehlte etwas zu den<br />
Distriktbankkontoinformationen…. In meiner Naivität dachte ich, wir würden zu dieser<br />
Qualifizierung zusätzliche Hilfe erhalten.“ Woher er stammte, kann ich an dieser Stelle nicht<br />
sagen, da ich den Schweden hier im Publikum nicht zu nahe treten will. (Schwedische<br />
Flagge erscheint auf dem Bildschirm.)<br />
Im Herbst traf ich einen Governor, der zu mir sagte: „Ich habe mich so gefreut, als ich<br />
herausfand, dass unser Distrikt ausgewählt wurde, um am Pilotprojekt teilzunehmen.<br />
Doch wenn ich jetzt erlebe, wie kompliziert die Umsetzung des Plans ist, wünschte ich<br />
mir, wir wären nie ausgewählt worden.“ Auch hier will ich lieber nicht sagen, woher dieser<br />
Governor stammte. (Kanadische Flagge erscheint auf dem Bildschirm.)<br />
Die Probleme konnten mittlerweile gelöst werden und in den beiden Distrikten verläuft<br />
alles nach Plan, doch wie Sie sehen, sorgt Veränderung am Anfang oft auch für einige<br />
Unannehmlichkeiten. Die Foundation verfolgt solche Probleme sehr genau, und auch<br />
wenn durch die Anträge vorwiegend eindrucksvolle Erfolge vermeldet werden, wollen wir<br />
sicherstellen, dass jene, die noch mit Herausforderungen zu kämpfen haben, selbst auch<br />
bald Positives zu berichten haben. So wie ein Rotarier, der mir neulich mitteilte, wie schnell<br />
der erste Global Grant-Antrag seines Distrikts für ein Stipendium bearbeitet wurde: „dank<br />
29
des Online-Systems konnte [er] den Antrag, selbst als er auf Reisen war, ganz bequem<br />
einreichen.“<br />
Was bedeutet der Test des neuen Modells jedoch für die 432 anderen Distrikten, die<br />
derzeit noch durch die bisherigen Programme Gutes in der Welt tun und die Foundation<br />
unterstützen?<br />
Erstens würde ich diese gerne dazu anregen, das neue Modell nach seinen Leistungen zu<br />
beurteilen. Unter den Pilot-Distrikten hatten es diejenigen am Schwersten, die versuchten,<br />
unter den neuen Bedingungen von Future Vision weiterhin nach dem bestehenden<br />
Foundation-Modell zu funktionieren. Sie waren häufig frustriert und versäumten oft die<br />
vielen Vorteile des Zukunftsplans zu nutzen.<br />
Zweitens würde ich Sie bitten, sich die Zeitabläufe anzusehen, die für Ihren Distrikt gelten,<br />
denn für Future Vision gelten andere Zeitabläufe.<br />
Probieren Sie die Qualifizierung aus. So finden Sie sicher heraus, welche Datenpflege und<br />
Verwaltungsmethoden für Ihren Club oder Distrikt am besten geeignet sind.<br />
Abschließend würde ich Sie gerne noch dazu anregen, sich über das neue Modell so<br />
gut wie möglich zu informieren. Auf der Website steht eine Fülle an Ressourcen zur<br />
Verfügung, darunter E-Learning-Module und Infopakete zur Qualifizierung. Ihre beste<br />
Informationsquelle zu Beginn ist jedoch der E-Newsletter Future Vision Pilot News, der ganz<br />
einfach über die Website abonniert werden kann.<br />
Wie Sie wissen, bringt Veränderung am Anfang oft einige Unannehmlichkeiten, doch eben<br />
auch viele neue Möglichkeiten mit sich. Es kann manchmal eine Herausforderung sein,<br />
über den Future Vision Plan zu sprechen. Ich hatte fast schon damit gerechnet, dass einige<br />
während meines Vortrags einschlafen würden. Doch habe ich nur eine Person gesehen, die<br />
tatsächlich weggenickt war, was nicht an mir lag – er schlief bereits, als ich anfing.<br />
Vielen Dank!<br />
30 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Mitgliedschaft<br />
John C. Smarge<br />
RI Director<br />
<strong>Rotary</strong> und die Welt befinden sich in einem ewigen Wandel. In den letzten 105 Jahren ist<br />
<strong>Rotary</strong> gereift, passte sich an seine jeweils neue Umwelt an und sieht heute ganz anders<br />
aus, als zu Zeiten seiner Gründung. Weder <strong>Rotary</strong> noch die Welt sind heute das, was sie<br />
1905, 1955 oder selbst 2005 waren. In einer Welt, die so von Wandel geprägt ist stellt sich<br />
heute die Frage: Ist <strong>Rotary</strong> auf seinem Zenith angekommen? Läuft es vielleicht sogar<br />
Gefahr, sich totzulaufen?<br />
Die abnehmende Mitgliedschaft in unseren bestehenden <strong>Rotary</strong> Clubs, genauer, die<br />
sinkenden Zahlen im Mitgliedererhalt sind Probleme, denen wir uns sowohl auf lokaler als<br />
auch globaler Ebene zuwenden müssen. Für viele Rotarier sind diese Mitgliedschaftstrends<br />
sehr besorgniserregend, wie die Kommentare in Magazinen, Newsletters und auf Blogs<br />
zeigen. Lassen Sie mich drei Kommentare vorlesen, die meiner Meinung nach unsere<br />
Bedenken zur Mitgliedschaft zusammenfassen. Ein Rotarier schrieb:<br />
Wir nehmen Personen in unsere Clubs auf – gute, neue, potenziell<br />
aktive Mitglieder – und sind der Meinung, wir vergrößern dadurch<br />
unsere Mitgliedschaft. Wenn wir diese jedoch nicht motivieren, diese in<br />
herausfordernde Programme einbinden, dann wird es sich nicht verhindern<br />
lassen, dass einige dieser Mitglieder schnell wieder ausscheiden.<br />
Ein anderer Rotarier merkt an:<br />
Der Altersdurchschnitt der Rotarier steigt beständig an. Jedes Jahr verliert<br />
<strong>Rotary</strong> durchschnittlich 10 Prozent seiner Mitgliedschaft. Um diesen<br />
Verlusten entgegenzuwirken und unsere Clubs zu stärken, müssen wir<br />
tausende geeigneter, hoch qualifizierter, junger Rotarier gewinnen und<br />
versuchen, ein besseres Altersverhältnis herzustellen.<br />
Und abschließend hier noch der Kommentar eines weiteren Rotariers:<br />
In der Vergangenheit traten viele <strong>Rotary</strong> bei, die die wahre Bedeutung der<br />
Organisation nicht wirklich kannten. Viele <strong>Rotary</strong> Clubs schwächten sich<br />
dadurch selbst, dass sie neue Mitglieder aufnahmen, die nicht genügend<br />
über <strong>Rotary</strong> informiert wurden.<br />
Ich denke, Sie stimmen mir zu, dass diese Rotarier im Kern genau die Probleme erfasst<br />
haben, denen <strong>Rotary</strong> heute gegenübersteht, und ich gratuliere den Verfassern für ihre<br />
zeitgemäßen Kommentare. Der erste Rotarier, den ich erwähnen möchte, der vom<br />
Mitgliedererhalt sprach, war Past RI Präsident Clem Renouf, als er auf der Convention 1978<br />
in Tokio sprach. Der zweite, der besonders auf den Bedarf nach jüngeren Rotariern verwies,<br />
war Past [RI] Präsident James Conway auf der Convention 1969 in Honolulu. Und der letzte,<br />
dem besonders eine bessere Ausbildung neuer Mitglieder am Herzen lag, war Past [RI]<br />
Präsident Everett Hill, in Edinburgh, im Jahr 1921, 16 Jahre nach der Gründung von <strong>Rotary</strong>.<br />
Nachdem Sie die Anliegen dieser drei Past Präsidenten von <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> gehört<br />
haben, die teilweise beinahe 90 Jahre zurückliegen, sollte klar sein, dass die heute<br />
geäußerten Bedenken keineswegs neu sind. Dies schmälert jedoch nicht die Tatsache, dass<br />
wir diese mit Nachdruck angehen müssen.<br />
31
In den Bereichen, wo wir Mitglieder hinzugewinnen, gelingt uns dies vornehmlich durch die<br />
Gründung neuer Clubs. Auch wenn wir von Rückgang sprechen, scheinen wir jedoch nicht<br />
ganz zu verstehen, welche Auswirkungen das auf unsere Organisation haben kann. Am 30.<br />
Juni 2003 hatten wir circa 1,2 Millionen Mitglieder in 31.551 Clubs. Am 30. Juni 2010 hatten<br />
wir circa 1,2 Millionen in 34.103 Clubs. Seit 2003 kamen also 2.552 <strong>Rotary</strong> Clubs hinzu,<br />
unsere allgemeine Mitgliedschaftszahl stieg jedoch nur um 226 Mitglieder. Das schockiert,<br />
nicht wahr? Noch erschreckender ist, dass wir innerhalb dieser sieben Jahre mehr als<br />
1,1 Millionen Mitglieder in unsere Clubs aufnahmen.<br />
Es scheint, dass es sich bei vielen unserer Clubs verhält wie mit einem alten, rostigen<br />
Eimer, in den man Wasser hineingießt und es durch die Ritzen wieder nach außen sickert.<br />
Dieser Rückgang führt dazu, dass auch die Bedeutung des Rotarierseins abnimmt.<br />
Er schädigt ernsthaft unser öffentliches Image und untergräbt den Erfolg unserer Clubs.<br />
Über Jahre haben wir uns der Gewinnung und dem Erhalt von Mitgliedern gewidmet<br />
und konnten den Trend dennoch nicht umkehren. Wir bringen unseren Clubpräsidenten<br />
Rekrutierungstechniken bei, fordern sie bei Mitgliederwettbewerben heraus und scheinen<br />
doch keine langfristigen Ergebnisse zu erzielen. Wo sind die Innovationen? Wo passt<br />
das alles in unseren Strategieplan? Ist unser hundert Jahre altes Modell in dieser sich<br />
wandelnden Welt überholt? Vielleicht haben wir einfach noch nicht verstanden, dass ein<br />
zurückgehender Mitgliedererhalt nicht die Ursache, sondern ein Symptom von etwas<br />
anderem ist.<br />
Was wäre, wenn wir <strong>Rotary</strong> nicht länger ausschließlich als gemeinnützige Organisation<br />
betrachten würden, sondern es als Unternehmen mit Mitgliedern als dessen Kunden<br />
sehen? Mitglieder treten unseren Clubs bei, um für ihren Zeiteinsatz und ihre finanzielle<br />
Unterstützung etwas zurückzubekommen. In der Geschäftswelt geht ein unzufriedener<br />
Kunde und macht seine Geschäfte mit jemand anderem.<br />
Ich denke, wir können sagen, dass wir in unseren Clubs eine Identitätskrise erleben.<br />
Fragen Sie irgendeinen Rotarier „Was ist <strong>Rotary</strong>?“ und nach der üblichen Pause werden<br />
Sie eine Vielzahl unterschiedlicher Antworten bekommen. Es besteht offensichtlich kein<br />
gemeinsamer Fokus und das ist der Kern des Dilemmas und stellt gleichzeitig ein großes<br />
Rätsel dar.<br />
Überlegen Sie einmal, was wir Ihrer eigenen Meinung nach sind. Stehen wir für die<br />
Dienste, die wir anbieten, wie z.B. PolioPlus? Oder definiert sich <strong>Rotary</strong> über sein<br />
Humankapital – die Summe seiner Mitglieder?<br />
Und wie steht es mit den Ansichten unserer potenziellen Mitglieder? Was verstehen diese<br />
unter unseren <strong>Rotary</strong> Clubs? Sehen Sie in uns eine realitätsfremde, alternde Organisation<br />
oder einen besonderen Rückzugsort von ihren geschäftigen Berufsleben? In Wirklichkeit<br />
sind wir eine wöchentliche Gelegenheit, um echte Freundschaften aufzubauen, zu pflegen<br />
und zu genießen. Wir sind eine Alternative zu den sonst eher schwindenden Beziehungen<br />
in dieser Welt von zunehmend digitalisierten Bekanntschaften! Für junge Menschen sind<br />
Facebook und das Schreiben von SMS eine Alltäglichkeit. Im Alter wird jedoch klar, dass<br />
ein Leben ohne Beziehungen weniger Bedeutung hat. Für diese jungen Menschen kann<br />
es eine neue und erfrischende Erfahrung sein, wenn sie merken, dass es bei <strong>Rotary</strong> um<br />
Freundschaften, lange Beziehungen und gemeinsame Errungenschaften geht.<br />
Wenn wir uns nicht auf eine Identität für <strong>Rotary</strong> einigen, sind wir verloren. Bevor wir nicht<br />
verstanden haben, wer wir sind und erfolgreich mit unserem Zielpublikum sprechen,<br />
lösen wir womöglich niemals unser Mitgliedschaftsproblem. Wir können jedoch etwas<br />
unternehmen, um das Problem zu lösen und das machen wir, indem wir uns auf den<br />
Aufbau unserer Markenidentität konzentrieren.<br />
32 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Eine Marke ist eine Erwartung, ein Versprechen – ein Versprechen, das man unter allen<br />
Umständen hält. Eine erfolgreiche Marke schafft es, die eigene Organisation von der<br />
Konkurrenz zu unterscheiden. Eine starke und klare Marke ist Zeichen für eine gesunde<br />
und konkurrenzfähige Organisation. Wenn eine Marke verwirrt oder keine klaren Elemente<br />
aufweist, ist das Produkt oder der Service nichts als ein Artikel unter vielen. Wäre die<br />
Marke <strong>Rotary</strong> prägnant und würde inspirieren, dann würde auch unsere Mitgliedschaft<br />
dynamischer werden. Rotarier zu sein, wäre noch attraktiver. Potenzielle Mitglieder würden<br />
bei einem Clubbesuch diese Energie spüren und sich wünschen, ein Teil davon zu werden.<br />
Sie würden Mitglied werden und bleiben.<br />
Die Marke <strong>Rotary</strong> muss weltweit einheitlich sein, doch müssen unsere 34.000 <strong>Rotary</strong> Clubs<br />
die Möglichkeit haben, innerhalb dieser Marke ihre eigene Identität zu entwickeln. Auch<br />
wenn wir an der gleichen gemeinsamen Mission und den gleichen Grundwerten festhalten,<br />
sollte jeder Club die Freiheit haben, seinen eigenen Stil zu leben. Jeder Club ist einzigartig<br />
und unterscheidet sich aufgrund demographischer und finanzieller Gegebenheiten und<br />
durch den Gemein-, Berufs- und internationalen Dienst, den er anbietet.<br />
Anstatt sich die Gewinnung und den Erhalt von Mitgliedern als einziges Ziel zu setzen,<br />
ist es wesentlich wichtiger, zu verstehen, wer wir sind. Sobald wir einmal erkannt haben,<br />
welche einzigartigen Dienste und Vorteile unser Club anbietet, können wir auch damit<br />
beginnen, jene Männer und Frauen in unserem Gemeinwesen zu gewinnen, die ähnliche<br />
Eigenschaften teilen.<br />
Wie in einem Unternehmen entstehen den Mitgliedern eines <strong>Rotary</strong> Clubs zweifelsohne<br />
gewisse Kosten: Zeit, Geld, Energie. Doch es gibt auch Gewinne: Networking, Freundschaft,<br />
persönliches und geschäftliches Wachstum und natürlich den größten Vorteil: der Dienst am<br />
Mitmenschen, sowohl im Gemeinwesen als auch auf internationaler Ebene.<br />
Neue Mitglieder werden weder beitreten noch bleiben, wenn die Gewinne nicht die Kosten<br />
übersteigen. Wir können der jüngeren Gruppe zeigen, wie schön es ist, Facebook durch<br />
einen echten, persönlichen Austausch zu ersetzen. Wir können ihren Gesichtsausdruck<br />
beobachten, wenn sie die Wärme eines festen Händedrucks und eines freundlichen<br />
Lächelns spüren, die so viel herzlicher sind als eine unpersönliche digitale SMS oder ein<br />
Tweet.<br />
Unsere bisherigen, seit Jahrzehnten gelebten Vorgehensweisen zu ändern ist sicherlich<br />
nicht leicht. Zunächst müssen unsere Clubs hierfür genau alle Aspekte unserer Organisation<br />
betrachten und dann entscheiden, was beibehalten und was abgeändert werden sollte.<br />
Es kann sein, dass dadurch althergebrachte Traditionen abgeschafft oder ein erfolgreiches<br />
Projekt der Vergangenheit wiederbelebt werden muss. Die Rotarier waren immer<br />
erfolgreich. Wir müssen die Clubs heute dazu bewegen, realistisch zu sein.<br />
Meine lieben zukünftigen Governors, Sie können den weltweiten Mitgliederschwund<br />
umkehren. Dieses Jahr könnte das Jahr werden, auf das wir zurückblicken und sagen<br />
„Wir haben es endlich verstanden“.<br />
Unsere <strong>Rotary</strong> Clubs bieten einen unvergleichlichen Gemein- und Berufsdienst an.<br />
Unsere wöchentlichen Treffen ermöglichen es Freunden, in Kontakt zu bleiben. Unser<br />
Klassifikationssystem und das Ziel von <strong>Rotary</strong> sind eine starke Networking-Plattform und<br />
bieten erstklassige geschäftliche und persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Und<br />
dank des Einsatzes der Rotarier vor uns können wir heute voll Stolz sagen, dass <strong>Rotary</strong> die<br />
großartigste humanitäre Organisation der Welt ist.<br />
So lautet die Frage also nicht „Was ist <strong>Rotary</strong>?“, die Frage lautet „Wer ist <strong>Rotary</strong>?“. Wir sind<br />
<strong>Rotary</strong>! Und Sie sind unsere Zukunft.<br />
33
Meine lieben Governors elect, wir wissen, dass <strong>Rotary</strong> weiterleben wird. Sie haben<br />
die Möglichkeit, die Vorzeichen zu ändern und dazu beizutragen, <strong>Rotary</strong> stärker und<br />
bedeutungsvoller denn je zu machen. Wir sind die bevorzugte Organisation von<br />
Führungskräften in Geschäfts-, Berufswelt und Gemeinwesen auf der ganzen Welt.<br />
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass <strong>Rotary</strong> allseits die erste Wahl ist.<br />
34 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Eine neue Herangehensweise an <strong>Rotary</strong><br />
Katie Ischkin<br />
Rotarierin und ehemalige Rotaracterin<br />
Guten Morgen alle miteinander! Mein Name ist Katie Ischkin. Ich bin 27 Jahre alt, stamme<br />
ursprünglich aus Ontario in Kanada und lebe heute in Minnesota in den USA. Ich freue<br />
mich und bin sehr dankbar dafür, dass ich eingeladen wurde, auf der <strong>International</strong>en<br />
Versammlung 2011 zu sprechen. Hier zu sein ist wirklich eine große Ehre. Obwohl ich<br />
noch jung und noch nicht lange Rotarierin bin, hatte ich das große Glück, bereits viele<br />
eindrucksvolle <strong>Rotary</strong>-Momente erleben zu dürfen. Momente, die mich immer wieder in<br />
meiner Leidenschaft für <strong>Rotary</strong> bestärken und mir zeigen, was für ein besonderes Netzwerk<br />
die Rotarier bilden. Rotarier wie Sie, die nach dem Motto Service Above Self – Selbstloses<br />
Dienen leben.<br />
Ich bin eine sehr stolze, junge Rotarierin. Meine <strong>Rotary</strong>-Laufbahn begann mit der Teilnahme<br />
an verschiedenen <strong>Rotary</strong>-Programmen. Später dann wurde ich glücklicherweise durch<br />
andere Rotarier unterstützt, als ich in Minnesota einen neuen <strong>Rotary</strong> Club gründen wollte.<br />
Zu Beginn, als ich mich dazu entschied, Rotarierin zu werden, besuchte ich, wie viele andere<br />
potenzielle Neumitglieder, verschiedene Clubs. Bei diesen Besuchen traf ich großartige<br />
Menschen, und trotzdem hatte ich bei keinem der Clubs das Gefühl, dass ich wirklich<br />
hineinpasste. Das, was ich als junge Berufstätige suchte, wurde nirgends richtig erfüllt. Ein<br />
Gefühl, das viele junge Berufstätige teilen und sie davon abhält, Mitglied in einem Club zu<br />
werden. Dies ist ein Thema, dem ich mich heute gerne etwas näher widmen möchte. Wie<br />
kann eine neue Herangehensweise bei der Gewinnung und dem Erhalt jüngerer Mitglieder<br />
helfen? Und wie kann derzeitigen Rotariern besser vermittelt werden, dass die neue<br />
Generation an Rotariern nicht traditionell verhaftet ist. Das Thema liegt mir sehr am Herzen,<br />
denn so sehe ich auch mich selbst – als junge Rotarierin, die auf nicht traditionelle Weise für<br />
<strong>Rotary</strong> arbeitet.<br />
Laut aktueller <strong>Rotary</strong>-Statistiken sind weltweit nur 2 Prozent aller Rotarier unter 30. Noch<br />
schockierender ist, dass nur 11 Prozent unserer Mitglieder weltweit unter 40 Jahren alt<br />
sind. 68 Prozent unserer Mitglieder weltweit sind über 50. Das soll nicht heißen, dass die<br />
Generation 50 Plus „alt“ ist – denn man ist schließlich stets so alt wie man sich fühlt – doch<br />
ist es schwieriger, potenzielle Mitglieder in jüngerem Alter anzusprechen, wenn unsere<br />
Organisation sich faktisch an gesetzte, ältere Berufstätige richtet.<br />
Ich werde heute drei wichtige Punkte ansprechen, die meiner Meinung nach wesentliche<br />
Bedeutung für neue Perspektiven bei der Mitgliedschaft und eine neue Herangehensweise<br />
an die Clubstruktur bieten: erstens, die Bedeutung einer Bewahrung der Grundelemente,<br />
auch wenn diese an der Oberfläche unterschiedlich aussehen können; zweitens, der Aufbau<br />
einer nicht traditionellen Struktur; und drittens Erwartungen der neuen Generation von<br />
Rotariern im Gegensatz zur bestehenden Realität. Einige der Dinge, die ich ansprechen<br />
werde, sind eher auf eine nordamerikanische Perspektive ausgerichtet, doch ich bin<br />
überzeugt davon, dass <strong>Rotary</strong> in Zukunft nur Erfolg haben kann, wenn wir uns darauf<br />
konzentrieren, das Interesse unter jungen Leuten zu wecken.<br />
Wenn ich mit Clubs und Distrikten über das Thema spreche, dann begegne ich sowohl<br />
Menschen, die bereits sind für etwas Neues und eine neue Herangehensweise, als auch<br />
solchen, die Angst vor Veränderung haben und befürchten, dass das Wesentliche von<br />
<strong>Rotary</strong> verloren geht.<br />
Ich arbeite als Beraterin für Change Management, also Veränderungsprozesse, und<br />
verstehe die Angst, die manche Menschen vor Veränderung haben. Veränderung ist gut,<br />
35
denn sie ermöglicht Neues und zwingt die Menschen, unbekannte Herausforderungen<br />
anzunehmen und gewohntes Terrain zu verlassen. Nicht jede Veränderung ist von Erfolg<br />
gekrönt, doch kann uns dies nicht zurückhalten, Neues auszuprobieren. Das gilt auch für<br />
die Struktur der <strong>Rotary</strong> Clubs. Es bedeutet jedoch nicht, dass eine neue Herangehensweise<br />
an <strong>Rotary</strong> die Kernstücke unserer Organisation verändern wird oder wir uns von dem<br />
verabschieden müssen, was uns am wichtigsten ist. Die Geschichte unserer Organisation,<br />
die Gründer, die Vier-Fragen-Probe und vieles mehr sind wesentliche Elemente, die<br />
unsere <strong>Rotary</strong>-Struktur Stabilität und Relevanz verleihen. Was sich hingegen verändert,<br />
sind die, wie ich sie nenne, Elemente an der Oberfläche – also Bereiche, in denen die<br />
Clubs Änderungen und Überarbeitungen vornehmen können, wie z.B. Treffzeit und -ort,<br />
Programmstrukturen, Einbindung der Mitglieder, Ausschussformate etc. Es ist wichtig,<br />
dass wir wachsen. Nicht nur zahlenmäßig. Wir müssen wachsen, um starke, junge, globale<br />
Führungspersönlichkeiten aufzubauen, die dafür sorgen, dass <strong>Rotary</strong> auch in Zukunft<br />
erfolgreich sein wird, und die sich in unserer Welt engagieren und für den Frieden zwischen<br />
den Völkern einsetzen.<br />
Ich bin Gründerin und derzeitige Präsidentin des <strong>Rotary</strong> Clubs South Metro Minneapolis<br />
Evenings. Unser Club hat in unserem Distrikt und unserer Zone definitiv eine sehr<br />
unkonventionelle neue Struktur eingeführt. Es gibt viele <strong>Rotary</strong> Clubs auf der Welt, die sich<br />
an eine jüngere Mitgliedschaft richten und dementsprechende Spenden- und Serviceziele<br />
haben. Ich kann nur über meine Erfahrungen sprechen und weitergeben, dass das, was<br />
wir machen, funktioniert. Zunächst einmal war es sehr offensichtlich, dass es in der Stadt,<br />
in der ich lebte, Bedarf gab für einen Abendclub. An dem Punkt in meiner Karriere, an dem<br />
ich mich momentan befinde, erwarten mein Vorgesetzter und meine Kollegen von mir, dass<br />
meine beruflichen Aufgaben oberste Priorität für mich haben. Es ist es für mich einfach<br />
nicht möglich, an wöchentlichen <strong>Rotary</strong>-Treffen teilzunehmen, die tagsüber oder sogar vor<br />
der Arbeit stattfinden. Auch wenn ich von mir behaupten kann, dass ich mir meine Zeit<br />
gut einteile, machen es unsere Abendtreffen unseren Mitgliedern wesentlich leichter, sich<br />
zu engagieren und regelmäßig teilzunehmen. Auf unseren Treffen gibt es außerdem keine<br />
Mahlzeiten. Viele <strong>Rotary</strong> Clubs, mit denen ich spreche, erstaunt dies, da das Essengehen<br />
oft einer der Hauptaspekte für die Teilnahme an Treffen ist. Für viele unserer Mitglieder sind<br />
zusätzliche Ausgaben für ein Essen während jedes Treffens etwas, was sie sich einfach nicht<br />
leisten können.<br />
Mitgliedergewinnung und -erhalt sind für unseren Club (wie in anderen auch) sehr wichtig.<br />
Aufgrund unserer jüngeren Mitgliedschaft findet bei uns ein etwas häufigerer Wechsel<br />
statt, was daran liegt, dass unsere Mitglieder nicht immer in unserer Stadt sesshaft werden<br />
oder ihren Beruf wechseln. Doch wir können nicht davor zurückschrecken, Mitglieder<br />
aufzunehmen aus Angst, sie könnten den Club bald wieder verlassen. Ein Wechsel in<br />
der Mitgliedschaft ist etwas ganz natürliches und typisch für meine Generation, die<br />
immer auf der Suche nach dem nächsten ist. Unser Club erachtet es daher als sinnvoll,<br />
in der Mitgliedergewinnung einen Wettkampf zu sehen. Momentan läuft unser zweiter<br />
Wettbewerb, bei dem unsere Mitglieder Punkte bekommen, wenn sie einen Gast [auf ein<br />
Treffen oder eine Veranstaltung] mitbringen und wenn ein Gast Mitglied wird. Das ist<br />
einfach und dennoch sehr effektiv. Darüber hinaus konzentriert sich unser Club auf die<br />
Entwicklung eines Plans zur Mitgliedergewinnung, durch den Nachhaltigkeit gefördert<br />
werden soll. Hierzu werden wir das RITE (Rotarians-In-Training-Experience)-Programm<br />
einführen, bei dem frisch gebackene Absolventen an unserem Club teilnehmen sollen, um<br />
Erfahrungen zu sammeln.<br />
Rotaract ist ein tolles Programm – das weiß ich aus eigener Erfahrung – doch viele<br />
Rotaracter äußern Bedenken darüber, dass sie sich nicht richtig auf einen Wechsel in <strong>Rotary</strong><br />
vorbereitet fühlen. Sie haben das Gefühl, sie sind nicht alt genug oder haben noch nicht<br />
richtig Fuß gefasst in ihrer Karriere. Das ist ein Problem, und ein Programm auf Club-<br />
36 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Ebene, wie wir es anbieten, wird jungen Berufstätigen helfen, sich besser über <strong>Rotary</strong> zu<br />
informieren. Durch die Teilnahme an Clubtreffen und in Ausschüssen sowie durch Einsätze<br />
bei unseren Projekten werden junge Menschen keine Scheu mehr vor einem Wechsel<br />
haben und sie sind darauf vorbereitet, sich auf Clubebene direkt einzubringen, egal was sie<br />
verdienen, welche Berufsfunktion sie haben oder wie alt sie sind.<br />
Technologie spielt eine wichtige Rolle. Neben der Website und den Facebook- und Twitter-<br />
Seiten, die wir pflegen, testete unser Club auch Skype, als eine Art um an Clubtreffen<br />
teilzunehmen und um Vorträge zu halten. Technologie kann vielen traditionellen Clubs<br />
unheimlich sein, denn sie ist nicht immer zuverlässig und der Umgang mit ihr kann<br />
mühselig sein. Für unsere Mitglieder, die aus beruflichen Gründen häufig verreisen<br />
müssen, jedoch bedeutet sie, dass sie sich dennoch sinnvoll einbringen können. Vor kurzem<br />
hielt ich per Skype einen Vortrag vor einem <strong>Rotary</strong> Club. Mit großem Erfolg und regem<br />
Austausch.<br />
Unser Club trifft sich nicht wöchentlich. Ja, sie haben richtig gehört. Es gibt bei uns<br />
keine wöchentlichen Treffen und dennoch treffen wir uns viermal pro Monat. Bei unserer<br />
neuen Herangehensweise an Clubtreffen war es für uns wichtig, dass wir uns auf unsere<br />
Generation einstellen und dieser entgegenkommen. Alle zwei Wochen finden reguläre<br />
Treffen statt, das dritte Treffen ist eine Happy Hour/ Networking-Veranstaltung, die<br />
jedes Mal an einem anderen Ort in der Stadt stattfindet, und unser viertes Treffen sind<br />
Einsätze, bei denen wir uns tatsächlich engagieren können. Unsere Mitglieder können der<br />
Foundation zwar nicht jedes Jahr große Schecks ausstellen, jede Woche ein Essen bezahlen<br />
oder jede Woche ihr Kleingeld spenden, doch sie können und wollen sich einsetzen und<br />
ihre Zeit zur Verfügung stellen. Für uns ist der Aufbau von menschlichen Beziehungen<br />
wichtig. Durch Einsätze bei Essensausgaben, das Verteilen von Weihnachtsgeschenken in<br />
einer Suppenküche oder das Anfeuern der Teilnehmer eines lokalen Marathons fördern<br />
wird die Begeisterung unserer Mitglieder für <strong>Rotary</strong> und bauen starke Bindungen.<br />
All die eben genannten Dinge scheinen ziemlich offensichtlich und grundlegend und<br />
sind auch nur eine kleine Auswahl von dem, was unser nicht-traditioneller Club bisher<br />
geleistet hat. Ich erlebe täglich in meinem Beruf, in dem ich mit großen Unternehmen<br />
zusammenarbeite, wie grundsätzliche Dinge ausgelassen oder übersehen werden.<br />
Am schwersten zu verstehen ist für viele traditionelle <strong>Rotary</strong> Clubs, wie die neue<br />
Generation an Rotariern tatsächlich aussieht und wie wichtig es ist, Realitäten zu<br />
verstehen und Erwartungen an diese anzupassen. Ich habe bereits vor vielen <strong>Rotary</strong><br />
Clubs gesprochen und dabei sind mir Menschen begegnet, die nicht wirklich zu verstehen<br />
scheinen, wie unsere Generation denkt oder die stereotype Vorstellungen und Vorurteile<br />
haben. Die neue Generation an Rotariern ist stets in Bewegung und ihre Mitglieder sind<br />
überaus gut miteinander verknüpft. Mein Alltag sieht so aus, dass ich täglich im Schnitt 30<br />
E-Mails und 20 SMS verschicke, meinen Facebook-Status zweimal aktualisiere, mehrere<br />
Telefonanrufe tätige und mich zwischen Büro, Fitnessstudio, Meetings und Zuhause<br />
bewege. Auf unserer Generation lastet ein enormer Druck, sich stets in mehreren Dingen<br />
gleichzeitig zu beweisen und dabei trotzdem ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Beruf<br />
und Privatleben zu haben. Manchmal erfüllen wir Dinge nur, weil andere sie von uns<br />
erwarten.<br />
Bei einer Neubetrachtung von <strong>Rotary</strong> muss verstanden und mit in Betracht gezogen<br />
werden, dass junge Berufstätige für ihre Karriere ständig „auf Abruf“ sein müssen und<br />
mehrere Aufgaben gleichzeitig jonglieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich nicht<br />
genauso leidenschaftlich für <strong>Rotary</strong> verpflichten können wie andere Mitglieder auch. Bei der<br />
Gewinnung jüngerer Mitglieder oder gar der Förderung und Gründung eines <strong>Rotary</strong> Clubs,<br />
der die neue Generation vertritt, empfehle ich Ihnen, sich mit Ihrem Club und Ausschuss<br />
genau zu überlegen, was Ihre Erwartungen sind. Wie stehen diese im Einklang mit den<br />
37
Vorstellungen der neuen Generation, die Sie gewinnen und mit der Sie zusammenarbeiten<br />
wollen? Nicht jedem <strong>Rotary</strong> Club fällt die Umstellung zur Gewinnung jüngerer Mitglieder<br />
leicht. Es bedarf Zeit und kleiner Schritte. Machen Sie eine Liste von dem, was Ihr Club<br />
in der Lage ist zu ändern und ob es dabei realistisch, ist jüngere Mitglieder einzubinden.<br />
Viele Clubs müssen dafür einfach offener werden und bereit sein, sich ihre zukünftige<br />
Clubmitgliedschaft anders vorzustellen.<br />
Mein Club hatte Erfolg. Er wurde im Juni 2010 gegründet und hat heute 25 Mitglieder –<br />
innerhalb von drei Monaten konnten 12 neue Mitglieder gewonnen werden. Wir haben<br />
offiziell unser erstes Matching Grant und internationales Dienstprojekt angemeldet und<br />
bereits an mehr als 10 Projekten im Gemeinwesen teilgenommen. Wenn manche also<br />
unsere neue Herangehensweise an <strong>Rotary</strong> in Frage stellen, macht mich das nicht ärgerlich<br />
oder traurig, denn sie wissen einfach nicht, worum es sich dabei handelt. Ich erzähle dann<br />
von unseren vielen Erfolgen und unserer begeisterten, jungen Mitgliederbasis, die das<br />
Vermächtnis unserer großartigen Organisation fortführt und in allen Bereichen ihres Lebens<br />
nach dem Motto Service Above Self handelt.<br />
Wenn wir wollen, dass <strong>Rotary</strong> auch in meiner Generation noch eine Organisation von<br />
Bedeutung ist, müssen wir uns ernsthaft auf die Clubebene konzentrieren und darauf, wie<br />
wir durch neue Herangehensweisen Mitglieder gewinnen können. Mitglieder wie mich,<br />
die, egal wie viel Zeit und Geld sie besitzen, davon überzeugt sind, dass wir immer etwas<br />
zurückgeben und dazu beitragen können, aus dieser Welt einen besseren Ort zu machen.<br />
38 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Die Unterstützung des Sekretariats<br />
Ed Futa<br />
RI Generalsekretär<br />
Ich stehe hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich wende mich heute zum<br />
letzten Mal als Generalsekretär von <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> an die <strong>International</strong> Assembly. Seit<br />
2001 hatte ich jedes Jahr die Ehre, den neu ins Amt kommenden Governors zu versichern,<br />
wie das Zentralbüro von RI bei der Verwaltung der Distrikte behilflich ist. Ich betone immer,<br />
welch ein hervorragender Stab an Mitarbeitern den Rotariern in unserem Zentralbüro in<br />
Evanston und in den sieben internationalen Büros zur Verfügung steht. Sie stehen Ihnen<br />
bei ihrer Arbeit zur Seite, um Clubs und Distrikte noch effektiver zu machen.<br />
Mein allgemeines Ansinnen, die Club- und Distriktunterstützung zu präsentieren, ist über<br />
die Jahre hinweg gleich geblieben, doch haben sich die <strong>Inhalt</strong>e wesentlich geändert. Das<br />
liegt an der Art, wie sich der Service für Rotarier durch den Einsatz neuer Technologien<br />
fundamental gewandelt hat. Als ich meine erste Rede hielt, benutzten nur wenige<br />
Mitglieder das Medium E-Mail. Die Idee, sich online für einen Jahreskongress anzumelden<br />
oder in einem E-Shop im Internet Publikationen zu bestellen, war absolute Zukunftsmusik.<br />
Die Website von <strong>Rotary</strong> befand sich noch in ihren Anfängen, weit entfernt von ihrem<br />
heutigen Umfang von 27.000 Webseiten in neun Sprachen.<br />
Neue Technologien haben es internationalen Organisationen wie <strong>Rotary</strong> ermöglicht,<br />
mehr Mitglieder zu erreichen und mehr Dienste anbieten zu können. Unsere Abteilung<br />
Leadership Education and Training ist meines Erachtens ein hervorragendes Beispiel<br />
dafür. Es versteht sich, dass wir nicht ständig Mitglieder aus allen Ecken der Welt zu<br />
Trainingsveranstaltungen wie dieser zusammenbringen können. Doch können wir<br />
jetzt zum Beispiel E-Lerneinheiten anbieten, die Rotarierinnen und Rotarier bequem zu<br />
Hause ansehen können. Und wir können Web-Seminare, sogenannte Webinars, zu den<br />
verschiedensten für die Mitgliedschaft wichtigen Themen veranstalten. In der letzten Zeit<br />
boten wir zum Beispiel Webinare zum GETS-Training, zu Mitgliedschaftstrends und zum<br />
Design von Internetauftritten an.<br />
Die Abwicklung von rotarischen Geschäftsangelegenheiten über das Internet wird immer<br />
einfacher. Wir verbessern ständig das Angebot von Diensten im Mitgliederzutrittsbereich.<br />
Alle unsere Future Vision Pilotdistrikte beantragen Grants und führen damit verbundene<br />
Geschäftsangelegenheiten online durch. Unser neuer E-Shop wird von Amazon betrieben<br />
und hatte im letzten Juli sein Debüt. Hier können Sie sicher und bequem Publikationen und<br />
Videos bestellen und dabei monatliche Preisnachlässe in Anspruch nehmen.<br />
Die elektronische Kommunikation erlaubt es uns, Informationen zeitgerechter<br />
bereitzustellen und dabei gleichzeitig viel Geld zu sparen. Das Rundschreiben <strong>Rotary</strong><br />
Leader wird neben anderen E-Newsletters nur online angeboten, und sogar das Magazin<br />
The Rotarian gibt es jetzt als digitale Version.<br />
Die „sozialen Medien“ sind ein weiteres technologisches Phänomen, das <strong>Rotary</strong> sich<br />
zunutze macht, um seine weit gestreute Mitgliedschaft zu erreichen. Wir haben enorme<br />
Zuwächse von Menschen verzeichnet, die unsere sozialen Netzwerke verfolgen. Ein<br />
Beispiel: im letzten Jahr berichtete ich, dass die Facebook-Seite von <strong>Rotary</strong> 36.000<br />
regelmäßige Besucher hatte. In diesem Jahr sind es 95.000. Unser Auftritt bei der<br />
Plattform LinkedIn wird von einer kleineren Gruppe verfolgt, doch sind die dort geführten<br />
Diskussionen faszinierend. Es geht hierbei vor allem um den Ideenaustausch und die<br />
Diskussion bewährter Praktiken. Und damit stellt das Internet nur eine Ergänzung und<br />
Verlängerung dessen dar, was jede Woche in unseren <strong>Rotary</strong> Clubs geschieht.<br />
39
In den 11 Jahren, in denen ich zu den neuen Governors sprechen durfte, war unsere<br />
Mission, die Kinderlähmung weltweit auszurotten, stets die zentrale Botschaft. Der Kampf<br />
gegen Polio war <strong>Rotary</strong>s erstes Corporate Projekt. Und was noch bedeutender ist: es war<br />
das erste Mal, dass <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> die Weltbühne betrat und sich Anerkennung erwarb<br />
– und das als mehr als nur eine effektive und lokal angesehene Service-Vereinigung.<br />
Vor einigen Monaten wurde ich eingeladen, am Private Sector Forum zu den<br />
Millenniumszielen der Vereinten Nationen teilzunehmen. Ich durfte auch den Vorsitz bei<br />
der Diskussion zum Thema Gesundheit von Mutter und Kind führen. Einige der anderen<br />
Teilnehmer in meiner Gruppe waren Vorstandsvorsitzende von Pharmakonzernen, der<br />
Präsident von Sierra Leone und hohe Vertreter der UNICEF und der WHO. Warum nun<br />
wurde ich zu diesem Treffen eingeladen und dann auch noch mit der Diskussionsleitung<br />
dieser illustren Runde betraut? Die einfache Antwort lautet: wegen PolioPlus. Aufgrund<br />
unserer Führungsrolle in der Global Polio Eradication Initiative hat sich <strong>Rotary</strong> einen<br />
internationalen Ruf erworben. Unsere Kapazitäten in der Spendenleistung und in<br />
der Rolle als Fürsprecher bei Regierungen sind weltweit bekannt ebenso wie unsere<br />
unerschütterliche Verpflichtung auf ein Ziel. Dank unserer globalen Heerscharen von<br />
freiwilligen Einsatzkräften, von Impfhelfern, Spendenhelfern, Kampagnenhelfern<br />
und unzähligen sonstigen Helfern sind wir eine glaubwürdige Kraft auf dem Gebiet<br />
der internationalen Gesundheitsfürsorge und der internationalen Entwicklungsarbeit<br />
geworden.<br />
Doch wir haben die ehrgeizige Aufgabe, die wir uns vor 25 Jahren vornahmen, noch<br />
nicht zu Ende geführt. Wenn wir unsere hart erkämpfte Glaubwürdigkeit behalten<br />
wollen, dürfen wir einfach nicht nachlassen. Wenn das geschähe, bestände die Gefahr,<br />
dass die internationale Gemeinschaft, die uns heute so schätzt, das Vertrauen in unsere<br />
Fähigkeit, unser Wort halten zu können, verlieren würde. Man würde annehmen<br />
müssen, dass wir eine Sache nicht zu Ende führen können. <strong>Rotary</strong> würde in diesem<br />
Fall die Gelegenheit versäumen, Partner der schlagkräftigsten und repräsentativsten<br />
Nichtregierungsorganisationen der Welt zu werden.<br />
Daher ist es von so entscheidender Bedeutung, dass jede und jeder von Ihnen sich als<br />
höchste Priorität setzt, den Kampf für eine poliofreie Welt weiterzuführen. Von Seiten des<br />
Sekretariats können wir Ihnen behilflich sein, die Botschaft von End Polio Now in Ihre<br />
Kommunen zu tragen. Wir haben Medienbeiträge vorbereitet, die Sie lokal anpassen und<br />
medial einsetzen können. Wir können Ihnen viele Ideen liefern, wie Sie für Spenden für<br />
unsere 200-Millionen-Dollar-Herausforderung werben können. Wir haben DVDs, Poster,<br />
Anstecknadeln und Präsentationen, um Sie bei Ihrer Arbeit zu unterstützten. Wir haben<br />
sogar Empfehlungen, wie Sie Lichtaktionen im öffentlichen Raum durchführen und<br />
berühmte Gebäude mit unserer Polio-Botschaft anstrahlen können.<br />
Ich weiß, dass viele, vielleicht sogar die meisten von Ihnen, aus Ländern kommen, in<br />
denen die Grauen der Kinderlähmung nur noch eine ferne Erinnerung darstellen. Es kann<br />
aber auch gut sein, dass Ihr Land nur Dank <strong>Rotary</strong> heute frei vom Poliovirus ist. Und jetzt<br />
müssen wir diesen Kampf für alle Menschen zu Ende führen. Wenn Sie zurückkehren in Ihre<br />
Distrikte, nehmen Sie diese Botschaft mit. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass alle unsere<br />
Gemeinwesen besser informiert sind über die Realität von Polio in der heutigen Welt sowie<br />
über die Gefahren, die das Virus für alle nicht geimpften Menschen immer noch darstellt.<br />
Nur eine einzige Krankheit wurde in der Weltgeschichte jemals gänzlich ausgerottet.<br />
Das waren die Pocken im Jahre 1979. Jetzt haben wir die Chance, wieder Geschichte zu<br />
schreiben, indem wir die Kinderlähmung ausrotten und der Welt zeigen, dass Rotarier ihr<br />
Versprechen halten.<br />
40 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Das Wunder der geschriebenen Sprache<br />
Glen W. Kinross<br />
Past RI Präsident<br />
Eines der Wunder der Zivilisation ist die Entwicklung der Schriftsprache. Die visuelle<br />
Repräsentation gesprochener Sprache war eine der menschlichen Errungenschaften, die die<br />
Blüte von Zivilisationen im Nahen Osten, in Ägypten, China und Mittelamerika ermöglichte.<br />
Lernbegierige Menschen entwarfen Symbolsysteme, die <strong>Inhalt</strong>e beschreiben konnten,<br />
Menschen, die die Symbole kannten, konnten die <strong>Inhalt</strong>e entziffern. Lesen und Schreiben<br />
bedeutete die Geburt der modernen Zivilisation.<br />
Heutzutage betrachten wir die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, als<br />
Menschenrecht. Leider aber bleibt dieses Recht zu vielen Mitgliedern der menschlichen<br />
Familie immer noch versagt. Der Zusammenhang zwischen Analphabetismus und Armut ist<br />
eindeutig: wer lesen und schreiben kann, hat die Möglichkeit zum Wohlstand, wer es nicht<br />
kann, bleibt arm. Diese Tatsache kann im Jahr 2011 nicht einfach hingenommen werden.<br />
Die Unfähigkeit vieler Menschen, selbst auf elementarer Ebene lesen und schreiben zu<br />
können, ist eine der größten sozialen Herausforderungen der heutigen Welt. Der Erfolg<br />
aller Anstrengungen, die Welt zu verbessern, hängt davon ab, diese unterprivilegierten<br />
Menschen zu vollen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen.<br />
Dieser Bildungsrückstand ist natürlich nicht neu, sondern besteht seit Tausenden von<br />
Jahren. 1958 verabschiedete die UNESCO als Definition des Analphabetismus, dass eine<br />
des Lesens und Schreibens unkundige Person nicht in der Lage ist, einfache kurze Sätze<br />
des Alltagslebens zu lesen oder zu schreiben. Die Vereinten Nationen bestimmten das Jahr<br />
1990 als <strong>International</strong>es Jahr des Lesens und Schreibens. Heute, mehr als 20 Jahre später,<br />
geht der Kampf gegen das Unwissen unvermindert weiter. Immer noch haben unzählige<br />
Kinder, davon die meisten Mädchen, keinen Zugang zu einer Grundschulausbildung. Es<br />
gibt nur noch sechs Länder ohne offizielle Schulpflicht, dennoch ist in 92 Ländern immer<br />
noch keine öffentliche Schulbildung für alle Kinder möglich. Die Realität sieht so aus, dass<br />
wohlhabende Eltern ihre Kinder zur Schule schicken, während die armen Kinder zuhause<br />
bleiben. Die meisten davon sind Mädchen.<br />
Das heutige Ausmaß des Analphabetismus ist schockierend. Zwei Milliarden Menschen<br />
können nicht schreiben und lesen. Eine Aufschlüsselung der Zahlen wirft ein weiteres Licht<br />
auf die Dimensionen des Problems:<br />
• 678 Millionen Analphabeten sind jünger als 15 Jahre<br />
• 103 Millionen sind zwischen 15 und 24 Jahren alt<br />
• 445 Millionen sind zwischen 25 und 64 Jahren alt<br />
• 130 Millionen sind über 65 Jahre alt.<br />
Es ist bekannt, dass Mütter mit einer Schulbildung dafür sorgen, dass auch ihre Kinder<br />
– Jungen wie Mädchen – eine Schulbildung erhalten. Die Gleichberechtigung der<br />
Geschlechter ist eine Voraussetzung für die Bildungsarbeit. 60 Prozent der Kinder ohne<br />
Schulbildung sind Mädchen, und die große Mehrheit der Erwachsenen sind Frauen.<br />
Ohne Möglichkeiten der Ausbildung bleiben diese Frauen und Mädchen, Mütter und<br />
Töchter, ohne Chance auf ein würdevolles Leben und sie werden nie die Rolle derjenigen<br />
übernehmen können, die das Wissen in der Familie weitergibt.<br />
Ich kann mir kaum vorstellen, wie es ist, nicht lesen oder schreiben zu können. Als wenn<br />
man nicht sehen oder sprechen könnte. Analphabetismus ist wie ein Gefängnis. Aber es ist<br />
41
noch unbegreiflicher für mich, warum so viele dieses Schicksal erleiden müssen. In einer<br />
Welt der Informationstechnologie für jedermann bleibt ein Drittel der Weltbevölkerung<br />
ausgeschlossen. Bildung sollte ein menschliches Grundrecht sein. Stattdessen sind<br />
Millionen zu einem Lebensschicksal auf dem Müll verurteilt.<br />
Ich habe oft gesagt, dass falls es für <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> ein durchgängiges Motto gäbe,<br />
dieses „Bilden, bilden, bilden“ lauten sollte. Bildung ist die Plattform des Wohlstands.<br />
Wohlstand ermöglicht den Frieden. Frieden wird möglich durch Bildung. Und das<br />
endgültige Ziel von <strong>Rotary</strong> ist der Frieden.<br />
Wir leben im Informationszeitalter. Information ist die neue Währung, und ohne die<br />
Fähigkeit, Informationen schriftlich verarbeiten zu können, ohne die Fähigkeit, lesen,<br />
schreiben und rechnen zu können, besteht keine Hoffnung, jemals der Armut zu<br />
entkommen. Die wirkliche Trennung verläuft nicht zwischen Habenden und Nicht-Habenden,<br />
sondern zwischen den Wissenden und den Nicht-Wissenden.<br />
Wir leben in der Welt der Zahlen und Buchstaben, einer Welt, die für uns selbstverständlich<br />
ist, weil wir sie von Klein auf kannten und in ihr aufgezogen und geschult wurden. Was<br />
auch immer wir tun, wir können keine wirklichen Fortschritte bei der Abschaffung der<br />
Armut erzielen, wenn wir Menschen nicht die Chance geben, die wirtschaftliche Leiter zu<br />
erklimmen. Und dazu müssen sie lesen, rechnen und schreiben können.<br />
Wir haben bereits effektiv an diesem Problem gearbeitet, und befinden uns doch noch<br />
ganz am Anfang. Analphabetismus reicht über Grenzen, Klassen und Kulturen hinweg. In<br />
meinem Land herrscht die allgemeine Schulpflicht, und dennoch sind 15 bis 20 Prozent der<br />
erwachsenen Bevölkerung funktionale Analphabeten. Sie sind nicht in der Lage, alltägliche<br />
Anforderungen an Lesen, Schreiben oder Rechnen zu erfüllen oder Arbeit zu finden. Warum<br />
ist das so?<br />
Ohne Schulbildung könnte keiner von uns an dem intensiven Trainingsprogramm dieser<br />
Versammlung teilnehmen. Für uns ist es selbstverständlich. Doch wir sollten nicht<br />
vergessen, dass es die Schulpflicht war, die dafür sorgte, dass uns Lesen, Rechnen und<br />
Schreiben beigebracht wurde. Diese Fähigkeiten erlaubten uns, unsere Lebenswege zu<br />
gestalten und erfolgreich im Beruf zu sein. Doch genau diese Möglichkeiten bleiben so<br />
vielen versagt.<br />
Gemeinwesen überall müssen diese Defizite in den Grundfächern aufholen, zuhause, in<br />
Schulen, am Arbeitsplatz, in der Kommune. Regen Sie Ihre Clubs an, Bildungsprojekte<br />
zu fördern. Arbeiten sie mit lokalen Organisationen und Partnern zusammen. Werden Sie<br />
aktiv in den 98 Ländern, in denen es keinen kostenlosen Schulunterricht gibt, und fördern<br />
Sie die Zusammenarbeit mit Regierungsstellen, um eine Grundschulausbildung und eine<br />
Förderung von Lehrprogrammen zu gewährleisten.<br />
Der Kampf gegen die Kinderlähmung und der Kampf gegen den Analphabetismus weisen<br />
starke Parallelen auf. Zu Beginn unseres Engagements gegen Polio gab es 350.000<br />
Erkrankungsfälle pro Jahr. Heute werden jährlich 170 Millionen Kinder geboren, die die<br />
Chance haben, in einer gänzlich poliofreien Welt aufzuwachsen. Genauso sollte es sein mit<br />
den Millionen von Kindern denen bis heute eine Schulbildung verwehrt bleibt. Nur eine<br />
universale Bildung ist der beste Weg zu Frieden und Wohlstand.<br />
Der indische Bundesstaat Kerala ist sehr schön. Ich war in der Stadt Cochin zu einem <strong>Rotary</strong><br />
Institut, und während ich durch die Stadt gefahren wurde, bemerkte ich, dass es keine<br />
Anzeichen von Armut und Obdachlosigkeit gab. Ich fragte meinen Berater nach dem Grund.<br />
Er antwortete: „Im Staat Kerala gibt es eine 100prozentige Schulbildung, und es gibt kein<br />
Bevölkerungswachstum.“ Dieses Beispiel ist eine Lektion für uns alle.<br />
42 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Meine Frau Heather war lange Jahre in der individuellen Erwachsenenbildung tätig.<br />
Ihre letzte Schülerin war Pauline, ungefähr 40, verheiratet mit zwei Kindern. Als sie<br />
Pauline das erste Mal traf, konnte diese weder lesen noch schreiben und war nicht in der<br />
Lage, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Auch andere Alltagsaufgaben wie<br />
Einkaufen fielen ihr schwer, weil sie nicht ihr Geld zählen konnte. Innerhalb eines Jahres<br />
machte sie enorme Fortschritte und konnte zum Jahresende zum ersten Mal eine eigene<br />
Weihnachtskarte schreiben. Lesen und Schreiben waren für sie eine ungeheure persönliche<br />
Bereicherung.<br />
Die Welt ist voller Menschen wie Pauline. Männer, Frauen und Kinder, die sich dringend<br />
von den Fesseln der Unbildung befreien müssen, um einen besseren Lebensstandard und<br />
persönliches Selbstbewusstsein erringen zu können.<br />
Ich ermutige Sie alle, die Ressourcen der <strong>Rotary</strong> Foundation einzusetzen, um die<br />
Grundschulbildung, einen der sechs Schwerpunktbereich des Future Vision Plans und<br />
des RI Strategieplans, zu fördern. Dies ist eine vordringliche Aufgabe. Bis wir den<br />
Analphabetismus besiegen, sind alle anderen Dinge, die wir für den Frieden unternehmen,<br />
nur schwer erreichbar.<br />
Durch den gezielten Einsatz auf Club-, Distrikt- und Foundation-Ebene, Menschen das Lesen<br />
und Schreiben beizubringen, tun Sie mehr für <strong>Rotary</strong>s Friedensziele als Sie annehmen.<br />
Ermöglichen Sie den Wissenschaftlern von morgen ihre Ausbildung, und Sie als Rotarier<br />
garantieren eine Fortsetzung des Wunders der Zivilisation.<br />
Lassen Sie uns alle die Verpflichtung eingehen, das Geschenk des geschriebenen Wortes<br />
weiter zu geben. Männern und Frauen, Jungen und Mädchen in aller Welt Lesen und<br />
Schreiben, Addieren und Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren beizubringen ist eine<br />
heilige Aufgabe. Lassen Sie uns das Wunder des Lernens weiter tragen und Zeuge werden,<br />
wie neue Generationen Frieden und Wohlstand erlangen können, indem sie sich der Kraft<br />
des geschriebenen Wortes bedienen können.<br />
43
Leadership: Das Schüren des Feuers<br />
Rajendra K. Saboo<br />
Past RI Präsident<br />
Sind Sie bereit, unseren zukünftigen Pfad zu erleuchten, indem Sie mit dem Licht<br />
vorangehen? Oder lassen Sie mich diese Frage mit einer Herausforderung verbinden:<br />
Sie können selbst dieses Licht, dieses Feuer sein, denn Sie tragen es in sich.<br />
Dieses Feuer ist eine große Kraft. In den Worten von Nobelpreisträger Tagore kann es sein<br />
wie die kleine Lampe, die auf die arrogante Frage der Sonne: „Wer erleuchtet die Welt,<br />
wenn ich einmal nicht mehr bin?“ demütig, doch entschlossen antwortet: „Gib mir eine<br />
Chance und ich werde mein Bestes tun.“<br />
Dieses Feuer kann auch die Laterne sein, die Benjamin Franklin auf seiner Veranda die<br />
ganze Nacht brennen ließ. Darauf angesprochen, warum er den Brennstoff so vergeuden<br />
würde, antwortete er, dass das Licht nicht für ihn wäre, sondern um den Weg für Passanten<br />
zu erleuchten.<br />
Dieses Feuer ist der Funken, der den Motor zündet. Feuer ist die Kraft, die uns ins All<br />
katapultiert. Feuer bedeutet Freudenfeier, bedeutet Nahrung und Wärme, vertreibt die<br />
Dunkelheit. Doch Feuer außer Rand und Band bedeutet auch Untergang und Zerstörung.<br />
Wie das Feuer, so ist auch die Führungskompetenz eine große Kraft. Sie alle tragen dieses<br />
Feuer in sich. Lassen Sie mich daher über die Prioritäten der Führung in <strong>Rotary</strong> sprechen.<br />
Früh an meinem ersten Amtstag als RI-Präsident erhielt ich in meiner Dienstwohnung<br />
ein Fax. Darauf stand: „Verehrte Eltern. Die Zeit läuft. Nur 365 Tage bis zu Eurer Rückkehr.<br />
Gratulation von einer stolzen Präsidenten-Familie. Eure Kinder zuhause.“ Usha und ich<br />
waren sehr beeindruckt von der Botschaft. Sie machte uns klar, wie wichtig die Rolle<br />
meiner Familie für meinen Erfolg in diesem Führungsamt war. Mehr noch, es wurde mir<br />
klar, dass mein wichtigstes Ziel nicht die Präsidentschaft bei <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong>, sondern<br />
das Nachhausekommen nach Beendigung des Jobs war. Meine Freunde, ich möchte Ihnen<br />
nahelegen: die wichtigste Unterstützung, die Sie brauchen, kommt aus Ihren Familien.<br />
Machen Sie das zum Bestandteil Ihrer Freude und Ihrer Herausforderung am Amt. Sie<br />
werden für die Aufgabe gestärkt sein, wenn Sie Zeit für Ihre Familien einräumen.<br />
Es gibt da eine Geschichte über einen jungen Mann, angeklagt wegen verschiedener<br />
krimineller Taten, Diebstahl, Raub, Drogendelikten und mehr. Als er dem Richter vorgeführt<br />
wird, sieht dieser den Mann an und fragt dann: „Sind Sie nicht der Sohn des Richters, der<br />
das berühmte Buch über das Vertrauen und die Rechte der Kinder schrieb? Wenn Sie das<br />
sind, schämen Sie sich nicht, ein Krimineller zu sein?“ Der junge Mann antwortet daraufhin:<br />
„Euer Ehren, ich bin tatsächlich der Sohn. Ich erinnere mich sehr genau, denn wann immer<br />
ich als Kind etwas Zeit mit meinem Vater haben wollte oder eine Frage hatte, wies er<br />
mich ab und sagte, er hätte keine Zeit, weil er sein Buch über Kinderrechte und Vertrauen<br />
schreiben müsste. Hier bin ich also, nachdem ich aufgewachsen bin, ohne kindliches<br />
Vertrauen oder meine Rechte zu kennen. Wer ist nun schuld, Euer Ehren, ich oder mein<br />
Vater?“<br />
Wenn es um Führung geht, ist die erste Lektion: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran.<br />
Machen Sie ihr Leben zur Botschaft für Ihre Prinzipien, leben Sie Ihre Werte vor, und seien<br />
Sie ein Vorbild für Ihre Kinder. Ein Held für die Ihrigen – Und das würdige Gesicht von<br />
<strong>Rotary</strong> in Ihrer Kommune.<br />
44 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Wenn Rotarier, die das Amt des Governors anstreben, mich dazu um Rat fragen,<br />
beglückwünsche ich sie zunächst zu ihrer Bereitschaft, mehr Verantwortung bei <strong>Rotary</strong> zu<br />
übernehmen. Zugleich warne ich aber auch vor den Anforderungen des Amtes. Ich drücke<br />
meine Hoffnung aus, dass sie die nicht selbstverständliche Fähigkeit mitbringen mögen,<br />
ihre rotarischen Pflichten mit ihren anderen beruflichen und familiären Pflichten vereinen<br />
zu können. Ich betone, dass <strong>Rotary</strong> ihr Leben bereichern wird, dass sie darüber aber nicht<br />
Familie oder Beruf vernachlässigen dürfen.<br />
Es ist wahr, dass von Ihnen als Governor in diesem Jahr viel gefordert wird. Doch es ist<br />
wichtig, dass Sie die Balance finden. <strong>Rotary</strong> sollte eine Ihrer Prioritäten sein, doch machen<br />
Sie <strong>Rotary</strong> nicht zu Ihrer Karriere. Ich meine, dass die größte Gefahr für <strong>Rotary</strong> die Rotarier<br />
ohne Zeit und die Rotarier mit zuviel Zeit sind.<br />
Führung erfordert auch Ihre berufliche Integrität und Leistung.<br />
Jeder von uns hat immer die Wahl, den falschen oder den rechten Pfad zu beschreiten.<br />
Der rechte Pfad ist der des Gebens, des Teilens, der Liebe. Der falsche Weg ist der der<br />
Gier, der Ausbeutung, des Neids. Die Wahl, die Sie treffen, prägt Sie. Daher ist es die<br />
Würde des Berufs und die transparente Integrität, durch die wir nach Zweckerfüllung und<br />
Spitzenleistung streben. Man hört oft die Frage: sind Führungsqualitäten angeboren oder<br />
kann man sie erlernen? Ich weiß die Antwort darauf nicht – aber ich weiß soviel: zu wahrer<br />
Führung gehören Prinzipien: dynamische Kraft, Mut, Kreativität und Integrität. Werte, die<br />
von innen kommen. Wir alle tragen diese Anteile mehr oder weniger in uns, wir müssen sie<br />
nur ausmachen und freisetzen. Selbstprüfung, persönliche Fortentwicklung und Disziplin<br />
formen diese Anlagen dann zu Führungseigenschaften aus, zu der Fähigkeit, zu berühren,<br />
sich zu sorgen, anzuleiten, ein Beispiel zu bieten.<br />
Gandhi war ein schüchterner junger Mann. Abraham Lincoln war ein gewöhnlicher Anwalt.<br />
Mutter Theresa war eine einfache Nonne. Ihre Führungsleidenschaft wurde entfacht, als sie<br />
mit einer Sache konfrontiert wurden. Sie duckten sich nicht weg, sondern sie erweckten<br />
die Kraft, die in ihnen schlummerte, und sie ruhten nicht eher, als bis die gesetzten Ziele<br />
und Missionen erreicht waren. Führungspersönlichkeiten, die ihre innere Stärke gefunden<br />
haben, konkurrieren nicht mit anderen, sondern mit sich selbst. Über diese innere Stärke<br />
sagte Edmund Hillary, der erste Mann auf dem Mount Everest: „Es ist nicht der Berg, den<br />
wir besiegen, wir erobern uns selbst.“<br />
Das einjährige Governor-Amt ist eine lebensverändernde Erfahrung. Solche Gelegenheiten<br />
klopfen im Leben oft leise an, man muss aufmerksam sein, um sie nicht zu verpassen. Und<br />
mit dem Ende Ihres Amtsjahres endet auch nicht Ihre Führung, denn die Führung Ihres<br />
Lebens wird weitergehen. Führungspersönlichkeiten hören nie auf zu lernen. Sie haben<br />
akzeptiert, dass man als Lernender:<br />
• bereit ist, sich auch außerhalb der eigenen vertrauten Umgebung zu begeben<br />
• in ehrlicher Selbsteinschätzung Erfolge und Misserfolge auswertet<br />
• ständig nach neuen Informationen und Ideen Ausschau hält<br />
• gut zuhören können muss<br />
• sich mit Offenheit und freiem Geist dem Leben stellt<br />
Erlauben Sie mir, aufgrund meiner ganz persönlichen Lernerfahrungen auf einige Aspekte<br />
hinzuweisen, die nicht unbedingt in Handbüchern zu finden sind:<br />
• Flexibilität. Wenn ich auf Stärke poche, so möchte ich auch dieses betonen: Der<br />
große chinesische Philosoph Laotse sagt sinngemäß: Ich bin stark, indem ich weich,<br />
flexibel und nachgiebig bin – anstatt unflexibel, mürbe und hart. Ja, Freunde, alle<br />
Dinge sind, wie Gräser und Bäume, biegsam und geschmeidig im Leben, trocken<br />
und morsch im Tode. Das Verhärtete wird zerbrochen, nur das Fügsame verbleibt.<br />
45
• Beständigkeit. So wichtig Flexibilität ist, so wichtig ist es auch, kompromisslos für<br />
Ihre Werte und Prinzipien einzustehen – und für die Ideale, für die Ihre Organisation<br />
steht. Haben Sie den Mut, gegen das Böse einzutreten. Wenn Sie es nicht tun, wird<br />
es Ihnen als Mittäterschaft ausgelegt werden. Integrität und Ehrlichkeit, Würde und<br />
Aufrichtigkeit werden nicht neu definiert. Denken Sie daran, Wertvolles ist wertvoll,<br />
aber Werte sind unschätzbar.<br />
• Humor. Auch Humor gehört zum guten Führungsstil. Humor ist wesentlich<br />
für zwischenmenschliche Beziehungen. Beim korrekten Umgang kann Humor<br />
erleuchtend wirken. Humor verbindet Menschen. Humor besteht nicht nur aus<br />
Witzen. Und wenn es Witze sein sollen, dann am besten die über einen selbst. Ein<br />
Freund von mir hat einen großen Sinn für Humor. Ich fragte ihn einmal, warum<br />
er Einzelkind sei und keine Geschwister habe. Schlagfertig antwortete er, dass er<br />
seinen Eltern die Frage auch gestellt hätte und diese ihm geantwortet hätten, dass<br />
sie einen schlechten Witz nicht hätten wiederholen wollten.<br />
• Zeit. Die Welt ist versessen auf Zeitersparnis. Im Fahrstuhl drücken wir auf die<br />
Schließen-Taste, um ein paar Sekunden einzusparen. Neulich hörte ich sogar, dass<br />
Menschen mit notorischem „Eile“-Syndrom Gerichte in der Mikrowelle nur 88<br />
Sekunden erwärmen statt 90, weil es schneller ist, zwei gleiche Zahlen einzutippen<br />
als zwei verschiedene! Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich schlage hier<br />
nicht vor, Aktivitäten zu verlangsamen, doch ich lege bestimmt nahe, sich Zeit für<br />
zwischenmenschliche Kontakte zu nehmen.<br />
Bitte finden Sie die Zeit, zu kommunizieren, Anteil zu nehmen. Wann immer<br />
möglich, schreiben Sie persönlich, ob das Glückwünsche, Beileidsbekundungen<br />
oder einfach nur Grüße sind – und das selbst, wenn sie über das Internet<br />
verschickt werden. In der Hektik des modernen Lebens ist es wichtiger denn je,<br />
sich dieser Kommunikationswerkzeuge zu bedienen, um Harmonie zu schaffen und<br />
Missverständnisse zu beseitigen. Was denken Sie, empfindet ein Angestellter, wenn<br />
er eine Notiz des Chefs erhält, die lautet: „Sehr geehrter Nr. 2040, wir haben ein<br />
persönliches Interesse an Ihnen“?<br />
• Fehler eingestehen. Es wird uns oft von Kindheit an eingebläut, keine Schwächen<br />
einzugestehen und sich niemals für etwas zu entschuldigen. Wie anders dagegen ist<br />
es, wenn man anerkennt, dass man jemanden anderen verletzt hat, und wenn auch<br />
nur aus Versehen. Eine Entschuldigung macht viel aus, und erhöht das Selbstgefühl<br />
und das Ansehen bei anderen.<br />
Ich hatte kürzlich ein kleines Erlebnis, das als Bestätigung hierfür dienen mag.<br />
Nach dem Check-In am Flughafen von Lagos, Nigeria suchte ich die Business<br />
Class Lounge. Ich ging zum Schalter mit meiner Frage und gab der Dame dort<br />
meine Karte. Jemand stand vor mir und wurde böse, weil er dachte, ich hätte mich<br />
vorgedrängelt. Ich verteidigte mich im gleichen Ton und sagte, es wäre die Dame<br />
am Schalter gewesen, die meine Karte zuerst genommen hätte. Eine halbe Stunde<br />
später, nachdem ich etwas nachgedacht hatte, tat mir mein Verhalten leid. Ich hätte<br />
wahrscheinlich genauso reagiert wie der Mann in der Situation. Schließlich brachte<br />
ich den Mut zusammen, zu dem Mann zu gehen und mich zu entschuldigen. Er<br />
war zuerst verblüfft und dann war ich an der Reihe, verblüfft zu sein, denn er stand<br />
auf – und umarmte mich spontan. Er hatte mir nicht nur verziehen, sondern machte<br />
mich zum Freund. Er bemerkte meine <strong>Rotary</strong>-Nadel und fragte danach. Ich sagte es<br />
ihm und er rief aus: „Oh, Sie sind Mitglied eines <strong>Rotary</strong> Clubs.“ Es wurde mir klar,<br />
dass ich durch meine Geste nicht nur die zwischenmenschliche Situation bereinigt,<br />
sondern auch etwas für das Image von <strong>Rotary</strong> getan hatte.<br />
• Ego und Bescheidenheit. Sie werden sicherlich sehr erfolgreich sein, doch möchte<br />
ich Sie zugleich vor einem verhängnisvollen Teufelskreis warnen. Erfolg führt zu<br />
Arroganz und Arroganz führt zum Scheitern. Und wohin der Misserfolg führt,<br />
46 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
kann ich nicht sagen. Jedenfalls nicht unbedingt zum erneuten Erfolg. Diese<br />
Abfolge muss im ersten Stadium unterbrochen werden, und das geht nur durch<br />
eine gesunde Dosis ehrlicher Bescheidenheit. Demut ist die Tugend, die Ihnen<br />
persönliche Größe und den Respekt anderer einbringen wird.<br />
Als das Orchester des großen italienischen Dirigenten Toscanini nach dem<br />
Einspielen einer Beethoven Sinfonie in einen nicht enden wollenden Applaus<br />
ausbrach, kam der Maestro zurück auf die Bühne und wehrte ab: „Das war nicht<br />
ich, das war Beethoven!“ Echte Bescheidenheit. Ja, viele von uns stammen aus<br />
bescheidenen Verhältnissen, und Erfolg, Macht, Rang und Geld können unweigerlich<br />
zu Kopf steigen. Umso wichtiger ist, dass wir trotz allen Ruhms und Reichtums, der<br />
uns durch das Leben beschert werden mag, doch immer auf dem Boden bleiben.<br />
• Veränderung. Wir alle haben Präsident elect Kalyans Ruf nach Veränderung gehört,<br />
Veränderungen, die Sie einleiten müssen, Veränderungen, die Fortschritt bedeuten.<br />
Wir alle fühlen einen natürlichen Widerstand gegen Veränderung, und wir sagen<br />
uns: „So wurde das schon immer gemacht und so will ich das auch weiterführen.“<br />
Doch Veränderung ist lebenswichtig für unsere evolutionäre Fortentwicklung, als<br />
Individuen und als Institution. Sie ist notwendig für unser Überleben. Gewöhnliche<br />
Führungspersönlichkeiten wehren sich dagegen, Visionäre hingegen suchen sie.<br />
Durchschnittliche Führer machen nach, Visionäre sind innovativ. Veränderung ist der<br />
Faktor, der für neue Möglichkeiten, neue Horizonte und neue Wege zum Fortschritt<br />
sorgt.<br />
Was ich Ihnen, meine Freunde, im Vorigen dargestellt habe, sind meine Erfahrungen zu den<br />
Attributen, die gute Führung ausmachen, die Menschen berühren und eine Person über<br />
sich hinauswachsen lassen. Diese Attribute kommen von innen, von dort, wo das Feuer in<br />
uns schlummert.<br />
Es gibt nahe meinem Heimatort eine Stadt, die hauptsächlich von Muslimen bewohnt wird.<br />
Nachdem vor nicht allzu langer Zeit Gerüchte über die Schändung des Heiligen Korans in<br />
den Vereinigten Staaten umgingen, verwüstete eine wütende Menge die örtliche Kirche und<br />
zerstörte sie fast. Ein muslimischer Geschäftsmann, Amjad, hielt diese Unmenschlichkeit<br />
nicht aus. Nachdem er den Priester der Kirche in seinem eigenen Auto in Sicherheit<br />
gebracht hatte, begann er mit dem Wiederaufbau der Kirche. Nach kurzer Zeit brachte<br />
er den Priester und die kleine christliche Gemeinde zusammen, um in der restaurierten<br />
Kirche eine Messe abzuhalten. Der Geschäftsmann tat all dies unter Einsatz seines eigenen<br />
Lebens, weil er den Mut, die Anteilnahme, die Harmonie und die Führungskraft in seinem<br />
Herzen hatte.<br />
Meine Damen und Herren, Amjad sitzt heute als Kollege unter Ihnen und ich erkenne<br />
hiermit den Governor elect des Distriktes 3090, Amjad Ali Khan, an.<br />
Wie Amjad haben sicher auch Sie Ihre Erfahrungen und Zusammentreffen, die Sie zu<br />
wirklichen Rotariern, nicht nur zu Mitgliedern eines <strong>Rotary</strong> Clubs machen. Sie allein mögen<br />
vielleicht nicht die ganze Menschheit umfassen oder den Kurs der Geschichte ändern<br />
können. Doch jeder von Ihnen kann so viele Menschen wie möglich durch aufrichtige<br />
Aktionen erreichen und auf diese Weise für Veränderung sorgen. Und mit diesen<br />
Umarmungen und Taten werden Sie unsere <strong>Rotary</strong>-Geschichte in diesem neuen Jahrzehnt<br />
schreiben.<br />
So wie eine Lampe viele andere Lampen anzünden kann, so können Sie Ihr Licht tragen,<br />
um in Ihren Clubs ein Licht zu entzünden, gemäß der Botschaft: „Was Sie für sich selbst<br />
tun, wird mit Ihnen verloren gehen – doch was Sie für andere tun, wird auch nach Ihnen<br />
weiterleben.“<br />
47
Um es mit den Worten von George Bernard Shaw zu sagen: „Für mich ist das Leben kein<br />
kurzer Kerzenstummel. Es ist wie eine wunderbare Fackel, die ich für einen Moment halten<br />
darf, bevor ich sie an zukünftige Generationen weitergebe.“<br />
Also, meine lieben Freunde, sind Sie bereit, diese wunderbare Fackel weiterzutragen?<br />
Dieses Feuer zu entfachen, nicht nur für Ihr Amtsjahr, sondern es auch an zukünftige<br />
Generationen von Rotariern weiterzureichen?<br />
Fühlen Sie sich angesprochen und inspiriert? Sind Sie bereit, Dinge zu erforschen und zu<br />
ereichen, Dinge dauerhaft zu schaffen? Bedenken Sie, Ihr eigentliches Ziel ist die Rückkehr<br />
nach Hause nach Abschluss Ihres Dienstjahres. Um es mit den Worten von Neil Armstrong<br />
beim ersten Betreten des Mondes zu sagen: „Es ist ein kleiner Schritt für mich, aber ein<br />
großer Schritt für die Menschheit.“<br />
Wenn Ihnen diese Worte etwas sagen, kann Ihr Amtsjahr ein großes Jahr für unsere<br />
Organisation, unser <strong>Rotary</strong> sein. Also vorwärts! Schüren wir die Flamme in uns.<br />
48 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Das Bild in der Öffentlichkeit<br />
Jennifer Jones<br />
RI Training Leader<br />
Vor zwei Jahren bewältigte ich eine der größten Herausforderungen meines Lebens. Mein<br />
Mann Nick und ich erklommen zusammen mit unseren Freunden Michael und Shelly Duben<br />
den in beinahe 6.000 Meter hohen Kilimandscharo in Tansania. Neben dem persönlichen<br />
Abenteuer war dies Teil einer <strong>Rotary</strong>-Spendenaktion.<br />
Wir brauchten fast fünf Tage bis zum Gipfel – der erste Tag ging durch üppigen Wald, der<br />
zweite durch dichtes Gebüsch, der dritte über leichtes Gestrüpp. Und der vierte Tag war<br />
wie bei einer Mondlandung – überall Krater und keinerlei Anzeichen von Leben. Lassen<br />
Sie mich Ihnen an dieser Stelle versichern, dass die Besteigung des Kilimandscharo nicht<br />
das gleiche ist wie die wesentlich technischere Herausforderung des Everest. Der Kampf<br />
mit dem Kili ist ein Kampf mit dem Höhenunterschied, bei dem man an seine persönlichen<br />
Grenzen stößt wenn es darum geht, positiv zu bleiben.<br />
Als wir auf dem Basislager in circa 4.500 Meter Höhe ankamen, zeigten zwei unserer<br />
Teammitglieder bereits Anzeichen von Höhenkrankheit. Sollten wir das wirklich tun? Die<br />
Gipfelbesteigung zum Kilimandscharo, die circa sechs bis sieben Stunden dauert, beginnt<br />
um Mitternacht. Dieser Zeitpunkt wird deshalb ausgewählt, da die Temperatur dann auf fast<br />
minus 29 Grad fällt und der Boden gefriert, was das Laufen erleichtert. Jede Gruppe, die<br />
den Aufstieg versucht, wird begleitet von einem Team aus Bergführern – eine heißbegehrte<br />
Tätigkeit, denn Bergführer erhalten für ihre Dienste großzügige Trinkgelder.<br />
An dieser Stelle wird die Geschichte nun sehr persönlich. Als wir in dieser Nacht loszogen,<br />
ausgestattet lediglich mit einer Grubenlampe, war ich hin- und hergerissen, ob ich mich<br />
wie im siebten Himmel oder zu Tode geängstigt fühlen sollte. Später zurück am Fuße des<br />
Berges sollten wir erfahren, dass der Bergführer eines anderen Teams umgekommen war<br />
und ein 22-jähriger Engländer einen Herzstillstand erlitten hatte.<br />
Unsere Bergführer sangen Weihnachtslieder auf Suaheli und der Rhythmus ihrer Musik<br />
half uns, unseren Marschtrott zu entwickeln. Zum Mantra unserer Bergbesteigung wurde<br />
Polepole, was soviel wie „langsam gehen“ auf Suaheli bedeutet. Man vermeidet die<br />
Höhenkrankheit am besten indem man viel Flüssigkeit zu sich nimmt und sich polepole<br />
langsam an die nächst höhere Ebene gewöhnt. Ich muss zugeben, dass ich etwas zu<br />
unbedarft an die Bergbesteigung herangegangen war und mir die ganzen Gefahren<br />
überhaupt nicht richtig bewusst gemacht hatte. Ich denke schon, dass ich sie eigentlich<br />
kannte, aber von Abenteuerlust und Eifer gepackt, den Gipfel Afrikas zu stürmen,<br />
verdrängte ich diese einfach.<br />
Es schien, als wären wir eine Ewigkeit marschiert, da verkündete uns unser Bergführer,<br />
dass wir gerade einmal ein Viertel des Weges geschafft hätten. Zur gleichen Zeit passierte<br />
es auch, dass unser Wasser einfror, obwohl wir es in isolierten Flaschen transportierten.<br />
Ich musste mich mit aller Kraft darauf konzentrieren, weiterzugehen, einen Fuß vor den<br />
anderen zu setzen. Ich fragte mich, was ich eigentlich hier an diesem Berghang machte und<br />
es kostete mich viel Überwindung, weiter positiv zu denken. Zahllose Male war ich bereit,<br />
das Handtuch zu werfen, aber wohin? Es gab aus dieser Situation keinen leichten Ausstieg.<br />
Die letzte Stunde war die schwierigste und wir mussten sehr viel klettern. Gerade als die<br />
Sonne über dem Horizont erschien, erreichten wir schließlich den Gipfel und der Himmel<br />
verwandelte sich von einem dicken Teppich aus Sternen in eine orangene Tapisserie aus<br />
Farben.<br />
49
Ich erzähle Ihnen diese Geschichte, da es mir um das Bezwingen großer Höhen geht. Und<br />
ist die Geschichte von <strong>Rotary</strong> nicht eine Geschichte, die von allen Gipfeln schallen sollte?<br />
Bei guter Öffentlichkeitsarbeit geht es darum, unsere Geschichte zu erzählen. Ich sehe diese<br />
Bergwanderung als eine Metapher für das Leben und wie wir die Dinge erreichen, die uns<br />
wichtig sind. Wie also können wir durch Geschichten aus Ihren Clubs und Distrikten <strong>Rotary</strong><br />
zum Leben erwecken?<br />
Ich will heute mit Ihnen über die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit in unserer<br />
Organisation sprechen. Früher einmal hieß es, wir sollten unser Werk im Stillen leisten<br />
und nicht, um dadurch Anerkennung zu gewinnen. Erst in den vergangenen zehn Jahren<br />
wurde es zu einer unserer Schlüsselstrategien, unsere Leistungen publik zu machen. Wir<br />
haben dabei gelernt, dass Gleichgesinnte sich uns anschließen wollen, wenn sie über uns<br />
erfahren. Es ist unser wichtigstes Instrument zur Mitgliedergewinnung!<br />
Auch die <strong>Rotary</strong>-Führungsebene weiß dies, weshalb der Verbesserung unseres öffentlichen<br />
Images eine solch große Bedeutung in unserem Strategieplan zukommt. Als globales<br />
Netzwerk verfügt <strong>Rotary</strong> über eine weltweit eigene Markenidentität. Sinngemäß gesagt<br />
müssen wir einfach nur auf den Berg steigen und unsere Botschaft lauter hinaus rufen.<br />
Ein jeder von Ihnen ist ein Vertreter unserer großartigen Sache, deren Verbreitung damit<br />
beginnt, dass Sie jeden Tag Ihre <strong>Rotary</strong>-Nadel tragen.<br />
Vor ein paar Jahren nahm ich an einer Rotaplast-Mission teil (Rota- für <strong>Rotary</strong>, plast für<br />
plastische Operation). Unser Team, das aus 25 Mitgliedern bestand, reiste in ein kleines<br />
Dorf, um dort eine Woche lang Lippen- und Gaumenspalten [bei Kindern] zu operieren. Für<br />
die betroffenen Kinder, die oft als unnütz oder ungewollt abgelehnt wurden, bedeutete dies<br />
ein wahres Geschenk. Innerhalb von nur einer Stunde konnten wir durch unseren Einsatz<br />
deren Leben vollkommen verändern!<br />
Am vorletzten Tag der Mission kamen ein junger Fischer und dessen Frau zu uns und<br />
baten uns um Hilfe für ihr elf Monate altes Baby. Unser OP-Plan war jedoch voll und es gab<br />
einfach keine Zeit mehr, um ihr Kind noch aufzunehmen. Die Familie hatten eine Reise von<br />
14 Stunden hinter sich – mit einem Bus, der liegen blieb, per Auto und schließlich zu Fuß<br />
– und das nur, um von uns am Ende zu hören, dass wir ihrem Kind nicht helfen könnten?<br />
Wie durch ein Wunder änderten sich jedoch auf einmal die Dinge und ein Zeitfenster<br />
öffnete sich. Im Aufwachraum nach der OP saßen wir schließlich mit dem jungen Elternpaar<br />
zusammen, als ihnen ihr Baby wieder überreicht wurde. Die junge Mutter bedankte<br />
sich durch einen Übersetzer bei uns: „Ich wusste immer, dass mein Baby schön ist und<br />
jetzt können es auch andere endlich sehen.“ Was für ein außergewöhnliches Privileg, an<br />
dieser intimen Erfahrung teilhaben zu dürfen und zu wissen, dass wir durch unseren<br />
Freiwilligeneinsatz dazu beitragen durften, einem Kind die Chance auf ein glückliches<br />
Leben zu geben.<br />
Ich erzähle Ihnen diese Geschichte, weil ich der Meinung bin, dass es wichtig ist, Menschen<br />
Bilder zu vermitteln, um diese zu erreichen – wir müssen unseren Geschichten ein<br />
menschliches Gesicht verleihen. <strong>Rotary</strong> hat Öffentlichkeitsarbeit zu einer seiner Prioritäten<br />
ernannt und es stehen viele Ressourcen zur Verfügung, um Sie bei Ihrer PR-Arbeit zu<br />
unterstützen. Auf was also können Sie in ihrem PR-Werkzeugkasten zurückgreifen?<br />
Zunächst einmal auf eine Fülle an Informationen, die Ihnen genau erklären, wie Sie Ihre<br />
Geschichte am besten erzählen können.<br />
Das effektivste Hilfsmittel, das in den letzten fünf Jahren entwickelt wurde, sind die<br />
öffentlichen Werbespots der Reihe Humanity in Motion. Diese können sowohl für die<br />
Printmedien, das Internet, Radio, Fernsehen und Plakatwerbung genutzt werden. Sie<br />
können ganz einfach angepasst werden und behalten dabei dennoch ein einheitliches<br />
Format, das <strong>Rotary</strong> überall gleich präsentiert, egal wo die Anzeigen geschaltet werden.<br />
50 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Beständigkeit und Kontinuität sind für unseren Erfolg entscheidend, denn nur eine<br />
einheitliche Botschaft ist eine starke Botschaft. Und eine starke Botschaft sorgt für eine<br />
starke Markenpräsenz.<br />
Eine unserer besten Ressourcen sind aber unsere Mitglieder. <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong><br />
hat in jedem Winkel dieser Erde Rotarier berufen, die Experten auf dem Gebiet der<br />
Öffentlichkeitsarbeit sind. Die Mitglieder der <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> Public Image Resource<br />
Group sind darauf vorbereitet, Sie und die Beauftragten für Öffentlichkeit in Ihrem Distrikt<br />
durch Rat, Ressourcen und Tipps in ihrer Arbeit zu unterstützen. Sollten Sie für Ihren<br />
Distrikt noch keinen qualifizierten PR-Beauftragten ernannt haben, so empfehle ich Ihnen,<br />
dies nach Ihrer Rückkehr nach Hause baldmöglichst zu tun. Diese Person hilft dann den<br />
Clubs, ihre jeweils eigenen PR-Beauftragten zu ernennen und darauf vorzubereiten, unsere<br />
Botschaft zu verbreiten. Zur Förderung der Öffentlichkeitsarbeit wurden außerdem PR-<br />
Grants entwickelt. Diese helfen, die Medien anzusprechen und mit diesen so kosteneffizient<br />
wie möglich zusammenzuarbeiten.<br />
Unser Kampf gegen die Kinderlähmung, der sich heute bereits seinem Ende nähert, hat zu<br />
einigem mehr als nur zur Ausrottung der Krankheit beigetragen. Er hat unsere Organisation<br />
reifen lassen. Unser Fokus wird nicht immer die Kinderlähmung bleiben und unsere<br />
Erfahrungen müssen wir nutzen, um daraus zu lernen. Wie hat die Kinderlähmung uns und<br />
unsere Marke <strong>Rotary</strong> also weiter gebracht?<br />
Mehr als alles andere hat die Krankheit uns gelehrt, was Partnerschaften bewegen können.<br />
Wir alle wissen um die Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation, den CDC<br />
und UNICEF. Und auch andere haben von dieser Kooperation gehört. Als die Bill & Melinda<br />
Gates Foundation sich im Kampf gegen die Kinderlähmung engagieren wollte, wandte<br />
sie sich an uns, den Vorkämpfern bei der Ausrottung der Krankheit. Bill Gates kannte<br />
unsere Geschichte und sagte: „Ohne <strong>Rotary</strong> würde die Welt heute nicht dort stehen, wo<br />
sie ist, und ohne <strong>Rotary</strong> wird sie nie das erreichen, was sie erreichen muss“ – was für ein<br />
überzeugendes Vertrauensvotum.<br />
Durch die Bill & Melinda Gates Foundation wurden uns weitere Türen geöffnet und wir<br />
konnten wichtige Beziehungen zu anderen Prominenten aufbauen, die uns wiederum<br />
ebenfalls dabei helfen, unsere Botschaft weiterzuverbreiten. Und das, ohne dafür<br />
wertvolle Gelder ausgeben zu müssen. Derzeit erfahren wir diese Unterstützung in unserer<br />
Kampagne „So nah am Ziel“ (This Close) durch Persönlichkeiten wie Jack Nicklaus, Königin<br />
Nur, [Erzbischof Emeritus] Desmond Tutu und Jackie Chan. Ich bitte Sie, sich zu überlegen,<br />
wen wir in Ihrer Region zu dieser hochgeschätzten Liste noch hinzugewinnen könnten, um<br />
die Anzeigen auf unsere Regionen anzupassen und ihnen für Ihre Länder mehr Bedeutung<br />
zu verleihen.<br />
Was hat die Kinderlähmung uns außerdem noch gelehrt? Sie hat uns gezeigt, wie man<br />
auf interessante und einzigartige Weise auf Dinge aufmerksam machen kann. Wir haben<br />
rund um den Globus bedeutende Sehenswürdigkeiten wie die Pyramiden in Ägypten<br />
und das Kolosseum in Rom bei Lichtaktionen angestrahlt. Dies sind Bilder, die uns stolz<br />
darauf machen, Rotarier zu sein und bestätigen unseren Mitgliedern, dass ihr gutes Werk<br />
Anerkennung findet. <strong>Rotary</strong> als eine Marke, die die Welt zusammenbringt!<br />
Und was hat es zudem mit dem weltweiten Phänomen der sozialen Medien auf sich? Eine<br />
Art der Kommunikation, die vor allem für die heutige Jugend eine enorme Bedeutung<br />
zu besitzen scheint. In Wirklichkeit ist jedoch die am schnellsten wachsende Gruppe auf<br />
Facebook die der 55 bis 65-Jährigen! Daher sollten auch wir all die Vorteile sozialer Medien<br />
nutzen.<br />
Vor ein paar Jahren nahmen wir einen 18-jährigen Jugendaustauschstudenten aus<br />
Brasilien namens Leo bei uns zu Hause auf. Er kam Ende August an und hatte die ersten<br />
51
paar Monate einige Schwierigkeiten, sich einzugewöhnen und die Sprache zu lernen. An<br />
Heiligabend, wir waren gerade auf dem Heimweg von der Mitternachtsmesse, begann<br />
es auf einmal sanft zu schneien, was der Nacht etwas Magisches verlieh. Vom Rücksitz<br />
sagte Leo auf einmal: „Nick, Jen – Ich würde Euch gerne etwas sagen. Ich habe Euch sehr<br />
lieb.“ Nick fragte, was er meinte, und Leo sagte: „Ihr versteht nicht. Das habe ich noch<br />
nie zu jemandem gesagt, nicht mal zu meinen Eltern. Das habt Ihr mir beigebracht.“ Wir<br />
waren sehr gerührt und wir erkannten in diesem Moment, wie wichtig es ist, sich für die<br />
kommende Generation einzusetzen.<br />
Mit unserem fünften Dienstzweig – Neue Generationen – müssen wir neue, innovative<br />
Wege finden, durch die wir [junge Menschen] in <strong>Rotary</strong> einbinden können. Facebook,<br />
Twitter und LinkedIn sind nur einige Möglichkeiten, wie wir unsere Botschaft schnell<br />
und effektiv verbreiten können. Mit Leo beispielsweise kommunizieren wir häufig über<br />
Facebook und erhalten so den Kontakt zu ihm.<br />
Wir müssen unser Wissen zu Public Relations an die Club- und Distrikt-Ebene weitergeben.<br />
In einigen Regionen dieser Welt geschieht dies bereits in vorbildlicher Weise. Die 18<br />
Distrikte Frankreichs beispielsweise schlossen sich zusammen, um gemeinsam eine<br />
groß angelegte Werbekampagne zu realisieren. Sie haben verstanden, dass gemeinsam<br />
mehr erreicht werden kann. Zu ihrer Kampagne gehören beinahe 6.000 Werbeplakate,<br />
Botschaften über bedeutende Radiostationen und Anzeigen in Magazinen, in denen für<br />
<strong>Rotary</strong>s Stipendien- und Jugendprogramme geworben wird. Durch den Kontakt mit den<br />
Medien machten die Distrikte erfolgreich darauf aufmerksam, was <strong>Rotary</strong> ist und was<br />
<strong>Rotary</strong> tut.<br />
In Australien entwickelten acht Distrikte, die zusammen 850 Clubs repräsentieren,<br />
gemeinsam die Broschüre „<strong>Rotary</strong> in Your Pocket“ (etwa: <strong>Rotary</strong> in Deiner Tasche), die<br />
u.a. über Projekte im Gemeinwesen und im Ausland, Gesundheit, Jugend und Umwelt<br />
informieren. Bedeutend hierbei ist, dass durch die Initiative eine gemeinsame, nationale<br />
Botschaft verbreitet wurde.<br />
Ich würde heute gerne mit einem Konzept schließen. Es schließt eine fesselnde Geschichte<br />
von RI Director Ravi Ravindran zur Bedeutung der Markenwiedererkennung ein. Nach<br />
dem Tsunami 2004 reagierten die Rotarier in seinem Heimatland mit Soforthilfe. Beinahe<br />
60.000 Menschen kamen in Sri Lanka ums Leben, das halbe Land war zerstört. Gemeinsam<br />
beschlossen die Rotarier dort, etwas Wesentliches zu bewegen – etwas Großes. Sie<br />
entschieden sich dafür, 25 qualitativ hochwertige Schulen aufzubauen, um diejenigen<br />
Schulen zu ersetzen, die zerstört worden waren.<br />
Innerhalb von drei Jahren waren für 12 Millionen US-Dollar 20 Schulen entstanden. Jedes<br />
Mal, wenn eine Schule feierlich eröffnet wurde, erschien eine ganzseitige Anzeige in der<br />
lokalen Zeitung, in der zu lesen war: „Rotarians Keep Their Promise“ (etwa: Rotarier halten<br />
ihr Versprechen). Die Kosten für die teuren Anzeigen übernahm eine lokale Bank, die die<br />
Rotarier unterstützen wollte. Eine Public Relations-Partnerschaft, der sich mehr als bezahlt<br />
machte. Sie müssen wissen, dass sich nach dem Tsunami Nichtregierungsorganisationen<br />
aus aller Welt einstellten, doch nur einige wenige setzten auch wirklich das um, was sie sich<br />
vorgenommen hatten. <strong>Rotary</strong> stach unter all diesen Organisationen durch seinen Einsatz<br />
ganz besonders heraus und unser guter Name sprach sich mehr und mehr herum.<br />
Als die frustrierte Regierung des Landes eine Gruppe von Spendern einlud, bat sie daher<br />
auch <strong>Rotary</strong>, über das Geheimnis unseres Erfolges zu sprechen. Und dieses Geheimnis<br />
teilte <strong>Rotary</strong> gerne. Die Rotarier erklärten, wie ein Plan entwickelt und ein großes<br />
Projekt rechtzeitig umgesetzt wird, und das mit weniger als 3 Prozent an administrativen<br />
Ausgaben.<br />
52 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
<strong>Rotary</strong> ist eine starke Marke in Sri Lanka und wie Sie gehört haben auch in Frankreich<br />
und Australien und vielen anderen Teilen dieser Welt. Wie also machen wir noch lauter auf<br />
unseren großartigen humanitären Dienst aufmerksam? Wie ich bereits erwähnte: indem wir<br />
unsere Geschichte mit anderen teilen!<br />
Zu Beginn meiner Rede heute erzählte ich Ihnen von der Besteigung eines Berges und<br />
enden möchte ich indem ich Sie alle bitte, mit mir gemeinsam aktiv für <strong>Rotary</strong> zu werben.<br />
Sie glauben an <strong>Rotary</strong> bereits, denn darum sind Sie heute hier. Wir alle glauben daran,<br />
dass wir etwas erklimmen können, wenn wir unsere Botschaft verbreiten. Dies wird für Sie<br />
ein Aufstieg, den Sie niemals vergessen werden!<br />
53
Unsere Grundwerte und der Berufsdienst<br />
Bhichai Rattakul<br />
Past RI Präsident<br />
Es gibt einen sehr wahren Spruch, der lautet: „Um einen Regenbogen zu sehen, muss man<br />
den Sturm ertragen“. Sie sind nicht hier, um einen Regenbogen zu sehen. Doch auch Sie<br />
müssen durch den Sturm, um Ihre Träume zu realisieren.<br />
Während der letzten sechs Tage haben wir uns zusammen getan, die Hände gereicht, die<br />
Köpfe zusammen gesteckt und von Herz zu Herz gesprochen, um trotz stürmischer Zeiten<br />
<strong>Rotary</strong> größer, stärker und kühner zu machen, um es mit den Worten von Präsident Ray<br />
auszudrücken. Doch während wir in die Zukunft schauen, wächst unsere Aufgabe immer<br />
weiter – und wir müssen noch mutiger dem Ruf unseres Präsidenten elect Kalyan Banerjee<br />
folgen: Reach Within to Embrace Humanity. Finde dich selbst und handele mitmenschlich!<br />
Wir müssen diese Herausforderung annehmen und uns erneut auf unsere Grundwerte<br />
verpflichten, durch die wir bereits so viel erreicht haben: die Leben, die wir retten, die<br />
Herzen, die wir erreichen konnten. – Wir schreiten in eine strahlende Zukunft von <strong>Rotary</strong>,<br />
morgen, und noch weit darüber hinaus.<br />
Was aber macht <strong>Rotary</strong> im Innern aus? Was sind unsere „Grundwerte“? Nun, es sind<br />
genau die Einstellungen, die uns seit über einhundert Jahren stark gemacht haben: Dienst,<br />
Freundschaft, Vielfalt, Integrität und Führung.<br />
Während ich hier stehe und dieses Meer an Gesichtern in allen Farben sehe, hell und<br />
dunkel, durchmischt wie das Wasser eines Flusses, sehe ich in Wirklichkeit doch nur ein<br />
Gesicht vor mir. Ich sehe Sie, den Kern der <strong>Rotary</strong> Bewegung, die die Zukunft von <strong>Rotary</strong><br />
in den nächsten Jahren lenken wird. Sie sind die Vielfalt, die unseren führenden Dienst<br />
möglich macht, in Freundschaft und Integrität.<br />
Service: Der Dienst ist unser erster Grundwert. Service Above Self – Selbstloses Dienen<br />
heißt unser Leitspruch. Wir umfassen die Welt, der wir zu Diensten sein wollen. Und diese<br />
Welt braucht <strong>Rotary</strong> heute weit mehr als damals in jener bitterkalten Nacht – die eigentlich<br />
noch gar nicht so lange her ist – als sich unsere ersten vier Mitglieder trafen. Denn heute<br />
bedeutet <strong>Rotary</strong> eine einzigartige und kostbare Hoffnung in einer dunklen Welt, deren<br />
Horizont immer düsterer erscheint.<br />
Es gibt keinen Zweifel, dass die Not unter Menschen heute größer und weiter verbreitet<br />
ist denn je. Das macht auch die rotarische Freundschaft notwendiger denn je, denn nur<br />
gemeinsam können wir uns den heutigen Herausforderungen stellen, um das Leben<br />
auf diesem Planeten gerechter zu machen. Wir haben große Aufgaben, die wie ein zu<br />
erklimmender Berg vor uns liegen.<br />
Und doch stellen wir uns der Aufgabe mit rotarischem Führungsanspruch. Doch was heißt<br />
Führung für <strong>Rotary</strong>? Es heißt, dass wir die Vorreiterrolle übernehmen, wenn es darum geht,<br />
Ressourcen zusammen zu bringen, Energie frei zu setzen und Menschen zur Selbsthilfe zu<br />
mobilisieren, um etwas zu vollbringen. Und wenn das Werk getan ist, können die Menschen<br />
sagen: das haben wir selbst geschafft!<br />
Nach einem vollen Jahrzehnt unermüdlicher Anstrengung wurde das Minenräumprogramm<br />
in Kambodscha, welches der <strong>Rotary</strong> Club Tokio begonnen und welches später von allen<br />
34 japanischen Distrikten unterstützt wurde, am 5. Februar letzten Jahres erfolgreich<br />
abgeschlossen. Seit Oktober 1999 wurden 28 Dörfer und eine Fläche von 1,2 Millionen<br />
Quadratmetern von Landminen geräumt, so dass 56.000 Menschen endlich vor den<br />
54 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
grausamen Explosionen sicher sind. Bestätigt dies nicht unsere Überzeugung, dass wir<br />
angesichts akuter Notlagen aktiv werden müssen? Und zeigt dies nicht, wie wichtig es ist,<br />
dass Rotarier führend voranschreiten, um Veränderungen durchzusetzen?<br />
Auf der Höhe der politischen Konflikte der Länder meiner Region suchte ich selbst im<br />
Jahre 1976 die Verlegungsorte dieser Minen auf. Unter der Eskorte von Soldaten der<br />
Roten Khmer, die genau wussten, wo sich die Minenfelder befanden, begab ich mich<br />
ohne sonstigen bewaffneten Geleitschutz auf eine Top-Secret Mission ins Landesinnere<br />
Kambodschas. Dort traf ich mit meinem Gegenüber, dem damaligen Premier und<br />
Außenminister der Roten Khmer, Ieng Sary, zusammen. Letzterer ist noch am Leben und<br />
steht heute als Kriegsverbrecher in Pnomh Penh vor Gericht.<br />
Doch ich konnte damals nicht viel ausrichten. Niemand konnte etwas tun, solange die<br />
politische Situation so unsicher war und Pol Pot, der Führer der Roten Khmer, noch an der<br />
Macht war. Ich hätte niemals im Traum daran gedacht, dass ich über genau das Thema,<br />
mit dem ich damals mit dem Anführer sprach, heute zu Ihnen sprechen würde, und dass<br />
daraus ein Projekt und eine Herausforderung für so viele <strong>Rotary</strong> Clubs und Rotarier aus<br />
aller Welt erwachsen würde.<br />
Ich denke an dieser Stelle auch an den armen thailändischen Bauern aus einem kleinen<br />
Dorf nahe der kambodschanischen Grenze. In den späten 80er Jahren wurde ihm bei<br />
der Nahrungssuche im Wald durch eine Tellermine ein Bein abgerissen. Er hatte für eine<br />
Frau und eine kleine Tochter zu sorgen. Seine Frau, überkommen von der Angst vor<br />
der trüben Zukunft, verließ ihn kurz danach spurlos. Da war er nun, allein, mit einem<br />
Baby, das er aufziehen musste. Er hatte einige Kenntnisse als Zimmermann, machte<br />
sich ein provisorisches Holzbein und verdingte sich für jede nur irgend mögliche Arbeit.<br />
Seine krude Prothese bereitete ihm dabei stets höllische Schmerzen. Doch er sagte sich,<br />
besser als überhaupt kein Bein. Als <strong>Rotary</strong> Clubs der Gegend von seinem Schicksal<br />
erfuhren, hörten sie auf ihre innere Stimme als Rotarier und sorgten mit Unterstützung<br />
der Foundation dafür, dass er und andere Minenversehrte hochqualitative Prothesen<br />
erhielten.<br />
Mit neuer Energie und neuem Selbstvertrauen bekam er eine gute Anstellung und er<br />
konnte seine Tochter zur Schule schicken. Ihr Abschlusstag, der zufällig auch zugleich<br />
sein Geburtstag war, war ein Triumph für beide. Sie hatten gemeinsam so hart gekämpft<br />
und waren so weit gekommen. Zum Anlass wollte die Tochter ihm ein Geschenk<br />
machen, was ihre Armut jedoch nicht zuließ. Alles, was sie hatte, war ein Foto von ihr als<br />
kleines Mädchen. Und auf die Rückseite des Fotos schrieb sie ihm Worte, die ihm mehr<br />
bedeuteten als jedes teure Geschenk. Sie schrieb: „Vater, jetzt gehen wir gemeinsam.“<br />
Das Mädchen machte eine Ausbildung zur Krankenschwester, ist nun verheiratet und<br />
hat ein eigenes Kind. Sie kann ihren Vater unterstützen, und sie gehen nun wirklich<br />
gemeinsam durchs Leben. Meine Freunde, durch unser Bestreben, zu helfen, gehen auch<br />
wir mit diesem Mann – und mit Tausenden von anderen wie ihm.<br />
Hilfsbereitschaft für andere ist in der Tat das noble Ideal von <strong>Rotary</strong>. Wir müssen dazu<br />
nicht reich sein, oder berühmt, um dieses Ideal zu erreichen. Wir müssen nur in uns<br />
hineinschauen.<br />
Vor vielen Jahren, als ich zum ersten Mal für ein öffentliches Amt in meinem Land<br />
kandidierte, musste ich während meiner Kampagne oft Reden von der Laderampe<br />
eines LKWs halten. Eines Abends, es war bereits sehr spät, befanden wir uns ein einem<br />
Elendsviertel. Es war eine große Menschenmenge zusammengekommen. Ich musste<br />
schreien, um gehört zu werden. Am Ende meiner Rede schüttelte ich Hände, als sich<br />
ein kleiner Junge vorarbeitete und mir zurief: „Onkel! Onkel!“ Er hielt mir eine kleine<br />
Papiertüte mit Zuckerrohrstückchen hin und sagte: „Nach so einer langen Rede musst du<br />
sehr durstig sein.“ Und das war ich wirklich!<br />
55
Der Junge hatte so wenig, und doch wollte er zu Diensten sein. Er konnte etwas für den<br />
kratzigen Hals eines müden Politikers tun, und er bot es aus freien Stücken an. Dieser<br />
kleine Akt des Mitgefühls setzte sich in meinem Herzen fest und ist über die Jahre<br />
gewachsen. Ich denke noch heute an diesen kleinen Jungen und seine einfache Geste, und<br />
es inspiriert mich stets zu der Frage: „Kann ich selbst auch so freigebig sein?“<br />
Wie viele von uns, die sich dieser wunderbaren Service-Organisation angeschlossen haben,<br />
können so gütig sein in ihrem täglichen Leben? Wie viele von uns denken erst an andere,<br />
bevor sie an sich selbst denken? Das können nur Sie selbst sich beantworten.<br />
Meine lieben Freundinnen und Freunde, <strong>Rotary</strong> ist bestimmt kein aufsehenerregendes<br />
Unternehmen, da unsere Hilfe oft von Mensch zu Mensch geschieht, und unsere Leistungen<br />
oft nicht von der Öffentlichkeit gewürdigt werden. Doch ich denke, <strong>Rotary</strong> besitzt ein ganz<br />
besonderes Gut, dessen Einzigartigkeit und Nützlichkeit wir oft übersehen haben. Ja, ich<br />
meine den Berufsdienst. Ich bin überzeugt, dass wir Rotarier uns durch diesen Dienstzweig<br />
nicht nur selbst weiterentwickeln, sondern auch unserer Gesellschaft von größtem Wert<br />
sein können.<br />
<strong>Rotary</strong> kann in der Tat stolz darauf sein, dass seine Bildungsinitiativen und humanitären<br />
Programme viele stürmische Zeiten überstanden haben. Doch es ist wichtig, einzugestehen,<br />
dass es trotz unserer Erfolge und Fortschritte in vielen Bereichen des menschlichen Lebens<br />
immer noch viele dubiose und korrupte Praktiken im Berufsleben gibt, genauso wie zu<br />
Beginn des letzten Jahrhunderts, als <strong>Rotary</strong> entstand.<br />
Unmoralische und dubiose Geschäfte, illegale Profite, legale und ethische Übertritte<br />
verbreiten sich leider weiter überall, trotz aller Gegenstrengungen. Wie können wir diesem<br />
Trend begegnen, und wie können wir eine weitere Verbreitung in der Gesellschaft und<br />
sogar in <strong>Rotary</strong> verhindern? Nur durch unseren Grundwert der Integrität.<br />
Tragen Sie in die Clubs, dass professionelle Beziehungen immer auf dem Einzelnen<br />
basieren. Auf dem Handeln zugunsten anderer. Auf der Ehrlichkeit der Ziele und der<br />
moralischen Einstellung eines jeden. Auf der Heiligkeit eines Versprechens und auf der<br />
Manifestation geeinten Handelns unter Menschen und Völkern.<br />
Erinnern Sie Ihre Clubs, dass in dieser widersprüchlichen Welt, in der die Menschen mehr<br />
am Haben interessiert sind als am Sein, eine große Verantwortung auf <strong>Rotary</strong> und auf<br />
jedem von uns liegt!<br />
Aus meinem Gesagten ergibt sich, was bei <strong>Rotary</strong> von Anbeginn galt: die Ausschöpfung<br />
des menschlichen Potentials und die Arbeit mit Würde und Aufrichtigkeit in allen nützlichen<br />
Berufen.<br />
Vielleicht ist es schwierig, den Rotariern in Ihrem Distrikt zu vermitteln, was der<br />
Berufsdienst wirklich bedeutet. They Profit Most Who Serve Best (Wer anderen dient,<br />
gewinnt auch für sich selbst) ist nicht nur ein einfacher Slogan. Es ist die pragmatischste<br />
Antwort, die wir haben, um das uns auferlegte Dienstideal zu belohnen.<br />
Der Berufsdienst ist ohne Zweifel die Grundlage von <strong>Rotary</strong>. Er ist unser beispielhaftes<br />
Handeln und unser Lebensprinzip.<br />
Und aus dieser Überzeugung heraus denke ich, dass <strong>Rotary</strong> sich damit mehr in Gedanken<br />
und in Aktionen befassen sollte, denn solange wir nicht unsere propagierten Ideale<br />
verinnerlichen und vorleben, sie uns in Fleisch und Blut übergehen, Leben annehmen und<br />
zum Handeln führen, kraftvoll werden, solange gibt es keine Hoffnung für uns!<br />
Lassen Sie mich ohne Zögern sagen: Die Mitgliedschaft ist unser größtes Kapital, und das<br />
ist das Werk der Rotarier. Dabei müssen wir aber immer bedenken, dass das wichtigste<br />
56 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Element qualifizierte Mitglieder sind. Die Qualifikationen eines potentiellen Mitglieds<br />
müssen über jeden Zweifel erhaben sein. Liebe rotarische Freundinnen und Freunde, die<br />
Tatsache, dass sich unsere Mitgliedschaft aus so vielfältigen Berufen zusammensetzt,<br />
sichert uns stets eine vielseitige Betrachtung aller gegebenen Problemstellungen.<br />
Es war in den späten 60er Jahren, als ich das Privileg hatte, zum ersten Mal das damalige<br />
RI-Sekretariat an der Ridge Avenue in Evanston besuchen zu dürfen. Damals war George<br />
R. Means Generalsekretär, und er arbeitete sehr, sehr effektiv. Im ganzen Gebäude<br />
herrschte emsige Geschäftigkeit – aber nicht nur um der Geschäftigkeit willen, sondern<br />
es waren äußerst zielgerichtete Aktivitäten — neue Pläne, neue Hoffnungen, neue<br />
Dienstmöglichkeiten. Doch nirgends war dieses Gefühl stärker, als ich zum ersten Mal<br />
den Paul Harris Room betrat! Dies ist das liebevoll nachgebaute Bürozimmer von Paul<br />
Harris, so sorgfältig restauriert, dass jedes Bild an der Wand millimetergenau da hängt, wo<br />
es ursprünglich in seinem Chicagoer Büro gehangen hatte. Und gerade dort, in der fast<br />
kapellenartigen Ruhe und Einsamkeit, fühlte ich die große Kraft des rotarischen Ideals, des<br />
Dienstes in Aktion.<br />
Mir wurde gesagt, dass es durchaus erlaubt sei, den Bürosessel hervorzuziehen und<br />
sich an den Schreibtisch von Paul Harris zu setzen. Ich warf einen genauen Blick auf den<br />
Schreibtisch; ich warf einen genauen Blick auf den Stuhl. Ich schaute auf die Wand hinter<br />
dem Schreibtisch, an der zu lesen stand: „Wenn einer tausend Freunde hat, kann er keinen<br />
missen.“ Ich sah diese einzigartige Organisation von Mitgliedern aus so vielen Ländern,<br />
alle beseelt von dem Ideal des Helfens. Und dann dachte ich an die vielen Male in meinem<br />
Leben, in denen ich diesem Ruf nicht gefolgt war. Ich dachte an den kleinen Jungen aus<br />
dem Slum, der so wenig hatte und doch einem müden Redner helfen wollte. Ich denke<br />
jetzt an den thailändischen Rotarier Yongchai Surapantanakorn, der auf dem Heimweg von<br />
einem Nationalen Impftag sein Leben gab, um die anderen Passagiere zu retten, als ihr<br />
Boot sank. Nein, ich konnte nicht in diesem Stuhl sitzen!<br />
Meine lieben Freundinnen und Freunde, in nur wenigen Stunden fällt der letzte Vorhang<br />
zu dieser <strong>International</strong>en Versammlung, die wie alle guten Dinge zu einem Ende kommen<br />
muss, und der Abschied wird mir schwer fallen. Besonders wenn ich zurückschaue auf<br />
meine 53 Jahre im Dienste von <strong>Rotary</strong>. Nun, im Alter von 85 Jahren, bin ich am Ende<br />
meiner langen <strong>Rotary</strong>-Reise. Ich weiß nicht, wie viele Jahre mir noch verbleiben, aber<br />
ich hoffe, dass meine Gesundheit es zulässt, dass ich weiter im Dienst bleibe – bis es<br />
schmerzt! Wie auch immer die Zukunft aussehen mag, ich werde mit Sicherheit niemals<br />
die Emotionen dieses Tages vergessen. Ebenso wenig kann ich vollends meine Dankbarkeit<br />
ausdrücken, Ihnen gegenüber und gegenüber meinen Freunden, die alle vor mir gegangen<br />
sind und mit denen ich mein Leben gelebt habe.<br />
Wenn Sie nach Hause zurückkehren, werden Sie viel zu erzählen haben. Doch was immer<br />
das auch sein mag, ich bitte Sie, folgendes nicht zu vergessen: Hier in San Diego, wo<br />
wir diese Woche gemeinsam verbracht haben, gibt es eine Kirche mit einer Jesus-Statue<br />
davor. Irgendwelche Vandalen haben vor 30 Jahren dieser Statue die Hände abgebrochen.<br />
Und anstatt die Statue reparieren zu lassen, entschied man sich, eine einfache Plakette<br />
anzubringen. Darauf steht: „I have no hands but yours.“ „Ich habe keine anderen Hände als<br />
die Euren.“<br />
Meine lieben Freundinnen und Freunde, Sie sind 2011/12 die Hände von <strong>Rotary</strong>. Ich verlasse<br />
Sie nun, nicht wissend, ob sich unsere Pfade jemals wieder kreuzen werden. Doch ich<br />
wünsche Ihnen von ganzem Herzen ein erfolgreiches und lohnendes Jahr, indem Sie in sich<br />
gehen und der Menschheit dienen – Reach Within to Embrace Humanity!<br />
57
Abschlussbemerkungen<br />
Ray Klinginsmith<br />
RI Präsident<br />
Der Radio-Journalist Garrison Keillor hat in den USA eine sehr populäre Radiosendung,<br />
und ich bin ein großer Fan davon. Als beliebte wöchentliche Rubrik in seiner Show beginnt<br />
er seine fiktiven Berichterstattungen aus seiner mythisierten Heimatstadt stets mit einem<br />
lakonischen: „Nun, es war eine recht ruhige Woche in Lake Wobegon.“ Ich würde dies gerne<br />
paraphrasieren und stattdessen sagen: „Nun, das war eine ganz schön aufregende Woche<br />
hier in San Diego.“ Was für eine Woche – stimmen Sie mir zu?<br />
Es war eine wunderbare Woche, in der Rotarierinnen und Rotarier aus 73 Ländern wieder<br />
einmal ein Modell vorgelebt haben. Eine Woche, in der wir friedlich und harmonisch<br />
zusammen gearbeitet haben, um die Dinge in dieser Welt zu verbessern. Das Grand Hyatt<br />
war in der Tat ein magischer Ort in dieser Woche, erfüllt vom rotarischen Geiste. Dem<br />
Geiste der Freundschaft und des Dienstes, der sich weltweit ausbreitete, seit ein Mann drei<br />
seiner Freunde zu einem Treffen einlud, um mit ihnen seine Idee zu besprechen. Die Idee<br />
eines Service-Clubs, der auf Freundschaft und Kameradschaft basieren sollte. Was für eine<br />
einfache Idee, aber was für ein machtvolles Konzept. Wir sind die direkten Erben dieser Idee,<br />
die Paul Harris 1905 vorschlug, und Millionen von Menschen haben von ihr dank unserer<br />
Hilfsprogramme profitiert.<br />
Der Geist von <strong>Rotary</strong>, den wir in dieser Woche erlebt haben, basiert auf der Idee eines<br />
Mannes. Viele neue Ideen kamen im Laufe der Zeit dazu: die Dienstzweige, die <strong>Rotary</strong><br />
Foundation, die Einheitliche Clubverfassung, die Vier-Fragen-Probe, das Amt des Governors.<br />
Jede dieser Neuerungen war auf die Idee eines Einzelnen zurückzuführen, welche dann von<br />
anderen aufgegriffen und unterstützt wurde, weil sie sinnvoll waren. Es waren einfache<br />
Konzepte, doch sie haben das Wesen von <strong>Rotary</strong> geprägt.<br />
Und jetzt ist es an Ihnen. Welche neuen Ideen haben Sie für Ihre Distrikte? Ein Vorschlag:<br />
Regen Sie Ihre Clubpräsidenten zum Besuch der <strong>Rotary</strong> Convention in New Orleans an. Sie<br />
haben gerade eine Präsentation dazu gesehen, und auch den folgenden Kongress 2012 in<br />
Bangkok werden wir hier noch vorstellen. Wenn Clubleitungen am Jahreskongress in New<br />
Orleans teilnehmen, erhalten Sie Informationen und Anregungen, die nur hier zu finden sind<br />
– und die sich positiv für das Amtsjahr 2011/12 auswirken werden. Darum werben wir fortan<br />
bei dieser Versammlung immer für die beiden nächsten Conventions, denn beide sind für<br />
den Erfolg Ihres Teams wichtig.<br />
Präsident elect Kalyan ruft uns auf, in uns zu gehen und die Menschheit zu umarmen. Ich<br />
denke, jeder von uns sollte über die durch dieses Motto ausgesprochene Herausforderung<br />
nachdenken. Die erste offensichtliche Frage ist: wie schauen wir in uns selbst, um etwas zu<br />
tun? Wie gelangen wir überhaupt an unser Inneres? Ich persönlich glaube, dass wir dies<br />
durch unsere Fähigkeit zu träumen können, denn unsere Träume können wundervoll groß<br />
und kühn sein, ohne dass wir Misserfolg oder Ablehnung befürchten müssen. Träume sind<br />
wie tropische Inselparadiese, wo immer die Sonne scheint und das Leben immer wunderbar<br />
ist. In diesen Momenten kehren wir in unserem Inneren ein.<br />
Die zweite Frage ist dann: wie setzen wir unsere Träume ein, um mitmenschlich zu handeln?<br />
Eine der Definitionen von Embrace ist Umarmen, eine weitere und meines Erachtens hier<br />
relevantere ist Wertschätzung. Wenn wir also die Menschheit lieben und ehren, dann ist es<br />
klar, dass es unser Bestreben sein muss, die ganze Welt für die gesamte Menschheit besser<br />
zu machen – ein Streben, für das <strong>Rotary</strong> hervorragend geeignet ist!<br />
58 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Wie können wir aber unsere Träume umsetzen, so dass sich Zustände auf unserem Planeten<br />
verbessern? Kardinal Suenens lieferte dazu eine weise Formel: „Gesegnet seien die, die<br />
Träume träumen und die willens sind, den Preis dafür zu bezahlen, diese wahrzumachen.“<br />
Welch eindringliche Logik! Wir müssen willens sein, unsere Träume in Pläne umzusetzen<br />
und dann unsere Pläne wahrzumachen. Planen Sie Ihre Arbeit, und arbeiten Sie dann Ihren<br />
Plan ab! Das ist ein <strong>Rotary</strong>-Standardverfahren, und es beginnt damit, nach den Sternen<br />
zu greifen. Und wenn wir es wirklich wollen, dann schaffen wir es auch – der Menschheit<br />
zuliebe.<br />
Präsident elect Kalyan und Binota haben uns herausgefordert: Reach Within to Embrace<br />
Humanity – Finde dich selbst und handele mitmenschlich. Wir wissen, dass wir dies können,<br />
durch unsere Träume, unsere Pläne, unsere Arbeit. Wir wissen auch, dass die Arbeit von<br />
<strong>Rotary</strong> durch 34.000 Clubs in aller Welt bewerkstelligt wird. Und wir wissen schließlich, dass<br />
es Ihre Aufgabe als Governors elect sein wird, mit Ihren neuen Ideen den Clubs bei genau<br />
dieser Arbeit, bei der Planung und bei der Realisierung ihrer Träume zu helfen.<br />
Die Clubleitungen werden Ihnen folgen, wenn Sie Ihnen als Freund, Berater und Anfeuerer<br />
bei der Erreichung ihrer Ziele zur Seite stehen. Denken Sie daran, dass die Erreichung ihrer<br />
Clubziele wichtiger ist als Ihre persönliche Agenda als Governor, und dass Sie Rotariern<br />
am besten durch Ihr gutes Beispiel vorangehen. Wir können all dies bewerkstelligen, weil<br />
unsere Grundwerte, weil Dienst, Freundschaft, Integrität, Vielfalt und Führung zu unserer,<br />
wie ich es gerne nenne, „<strong>Rotary</strong> DNA“ gehören. Genau das unterscheidet uns von anderen<br />
Organisationen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir unseren Clubs helfen können, das<br />
Motto umzusetzen und wahr werden zu lassen. Das haben wir seit über 100 Jahren getan,<br />
und das macht uns keiner nach!<br />
Vielen Dank, Kalyan and Binota, für die Gelegenheit, zu Ihrem Team zu sprechen. Ihnen allen<br />
viel Glück!<br />
59
Schlusswort<br />
Kalyan Banerjee<br />
RI Präsident elect<br />
Vor fünf Tagen betraten wir voller Erwartungen diese Säle. Wir wollten herausfinden, wie<br />
wir den Frieden in der Welt erreichen können. Zuneigung, Respekt und Freundschaft waren<br />
die Basis unserer Überzeugungen. Wir suchten nach Wegen, darauf aufzubauen und durch<br />
den Dienst am Nächsten dem Frieden zuzuarbeiten.<br />
Während der vergangenen Tage wurden viele verschiedene Sprachen gesprochen.<br />
Manche davon waren von anderen unmöglich zu verstehen, doch das machte nichts,<br />
denn die Sprache der Freundschaft, Höflichkeit, Wärme und Fürsorge war allgegenwärtig.<br />
Der gegenseitige Respekt und die Sicherheit, einander vertrauen zu können, überwand<br />
problemlos alle Verständigungsschwierigkeiten. Und während ich mich zu verschiedenen<br />
Anlässen mit so vielen von Ihnen traf, musste ich oft an das Motto auf dem amerikanischen<br />
Wappen denken: E Pluribus Unum – „aus vielen, eines“. Genau das sind wir – viele Länder,<br />
viele Sprachen, viele Menschen, aber alle mit einem Ziel.<br />
Morgen werden wir alle aufbrechen, doch zuvor würde ich Ihnen gerne noch folgende<br />
Fragen stellen:<br />
• Sind Sie sich jetzt, bei Ihrer Abreise, Ihrer Rolle und Aufgaben vollkommen<br />
bewusst?<br />
• Fühlen Sie sich sicher genug, die Rotarier in Ihrem Distrikt dazu aufzufordern, sich<br />
selbst zu finden und mitmenschlich zu handeln?<br />
• Sind Sie bereit, unser Programm für das kommende Jahr umzusetzen?<br />
• Haben Sie die Bedeutung Ihrer Führungsrolle als Governor verstanden?<br />
• Sind Sie bereit, Ihren Distrikt in sein denkwürdigstes Jahr zu führen?<br />
Wir alle, über 1.300 Rotarier und Ehepartner, die zusammen mehr als 200 <strong>Rotary</strong>-<br />
Länder vertreten, sind aus aller Welt hierher gereist. Zusammen genommen übertrifft<br />
die <strong>Rotary</strong>-Erfahrung in diesem Saal wahrscheinlich 100 Jahrhunderte – das ist ziemlich<br />
beeindruckend. Die Zeit, die ein jeder hier bereits <strong>Rotary</strong> gewidmet hat, ist jedoch nicht so<br />
bedeutsam wie das Ausmaß des Engagements und des Mutes, das wir im kommenden<br />
Jahr in unserer Rolle als Führungskräfte beweisen werden. Nachdem was ich hier gesehen<br />
habe, bin ich überzeugt davon, dass wir alle einen gemeinsamen Traum teilen. Dies<br />
dürfen wir nie vergessen, wenn wir mit unseren Familien zusammen sind, uns in unserer<br />
Nachbarschaft einsetzen, unserem Land dienen und Frieden und ein besseres Leben für<br />
andere aufbauen. Es ist ein Traum, der all unsere Kraft, unseren Mut, unser Engagement<br />
und unseren Willen zur Veränderung voraussetzt. Liebe Governors 2011/12, wir werden<br />
dazu beitragen, eine bessere Zukunft zu schaffen.<br />
Für Rotarier ist der Nächstendienst das Höchste. Wir versuchen jenen zu helfen, die Hilfe<br />
am dringendsten benötigen, und engagieren uns aus voller Kraft. Als Amtsträger ist es nun<br />
an Ihnen, noch weiter über sich hinauszuwachsen, zu dienen und andere zu führen. Es ist<br />
an der Zeit, bereit zu sein, denn Ihr Jahr fängt demnächst an und bevor Sie sich versehen,<br />
wird es auch schon wieder vorbei sein. Der Frühling ist kurz und auch der Sommer wird<br />
bald um sein. Der indische Dichter und Literaturnobelpreisträger Tagore beklagte sich in<br />
einem seiner Lieder: „Das Lied, das ich zu singen kam, bleibt ungesungen bis zu diesem<br />
Tag./ Ich habe meine Tage hingebracht, um Saiten aufzuziehen an meinem Instrument<br />
und wieder abzunehmen.“ Ich bin mir sicher, dass Ihnen das nicht passieren wird. Sie<br />
haben nur ein Jahr, um Ihre Träume wahr werden zu lassen. Dienen Sie Ihren Clubs – voll<br />
60 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
Engagement, Fürsorge und stets voller Überzeugung. Setzen Sie sich dafür ein, aus dieser<br />
Welt einen glücklicheren Ort zu machen.<br />
2011/12 wird das Jahr in dem wir Rotarier würdigen, die sich um das Leben anderer<br />
verdient gemacht haben, die sie nicht einmal kennen. Sie sind es, die <strong>Rotary</strong> in 34.000<br />
Clubs und 200 Ländern in Bewegung halten. Sie sind unser Kapital und es liegt in unserer<br />
Verantwortung, uns um dieses Kapital zu kümmern. Wenn Sie also die Clubs besuchen und<br />
mit so vielen einzelnen Rotariern wie möglich sprechen, so sagen Sie ihnen bitte, dass es<br />
ihr Zeiteinsatz und ihre Leistungen sind, die aus <strong>Rotary</strong> das gemacht haben, was es heute<br />
ist. Bitte sagen Sie einem jeden von ihnen, wie wichtig ihre Arbeit für ihren Club und ihr<br />
Gemeinwesen ist. Vermitteln Sie ihnen, dass genauso wie sich der mächtige Ozean aus<br />
unzähligen Wassertropfen zusammensetzt, uns jeder einzelne Einsatz hilft, der Menschheit<br />
als ganzer zu dienen und zu einer friedvolleren Welt beizutragen. 2011/12 sollte daher das<br />
Jahr werden, in dem wir Amtsträger und Clubs und Distrikte, die den rotarischen Dienst<br />
ausbauen, auszeichnen. Wir tun dies durch die Ehrung des Präsidenten und Changemaker<br />
Awards bis hin zur Einladung der engagiertesten Helfer auf den Jahreskongress im Mai<br />
2012 in Bangkok.<br />
Was Sie hier erlebt haben, war nur ein kleiner Ausblick auf unseren Jahreskongress in<br />
Bangkok. Ich verspreche Ihnen, dass dieser Kongress eine Veranstaltung wird, die kein<br />
Rotarier verpassen sollte. Kommen also auch Sie und bringen Sie so viele andere Besucher<br />
wie möglich mit! Es wird in jedem Fall ein unvergessliches Erlebnis.<br />
Während der <strong>International</strong>en Versammlung hörten Sie einige großartigen Ansprachen<br />
und nahmen an einigen wichtigen Diskussionen teil. Für die Weiterentwicklung von <strong>Rotary</strong><br />
waren diese alle gleichermaßen von Bedeutung. Past [RI] Präsident Raja Saboo hielt wie<br />
immer einen hervorragenden Vortrag zum Thema „Führung“. Führung ist in der Tat der<br />
Grund, warum wir uns hier für fünf Tage zusammengefunden haben. Für mich geht es<br />
bei Führung in erster Linie um andere Menschen: darum, diesen zu helfen, ihre Ziele zu<br />
erreichen und deren Sorgen zu verringern, so dass sie ohne Furcht und in Frieden leben<br />
können. Um einen meiner Lieblingsvergleiche heranzuziehen: als Führungspersönlichkeiten<br />
sind wir wie Gärtner, die sich mit Liebe, Fürsorge und Entschlossenheit um ihre Beete<br />
kümmern. Wir pflegen die Saat für Talente und Fähigkeiten und sorgen gleichzeitig dafür,<br />
dass Unkraut wie Egoismus und Gleichgültigkeit mit der Wurzel ausgerissen wird.<br />
Der herausragendste Aspekt bei <strong>Rotary</strong> ist für mich, wie bereits erwähnt, der Berufsdienst.<br />
Sie haben hierzu einen sehr einprägsamen Vortrag von Past [RI] Präsident Bhichai [Rattakul]<br />
gehört. Ich wiederhole das an dieser Stelle, da mir der Berufsdienst und das, was dieser<br />
für jeden einzelnen von uns in Bezug auf Integrität, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit bedeutet,<br />
sehr am Herzen liegt.<br />
Ein befreundeter Architekt hatte während seiner Karriere Häuser für ein großes<br />
Bauunternehmen entworfen und in Mumbai, woher ich stamme, gebaut. Die<br />
Baukosten dort sind enorm und zählen zu den höchsten in der Welt. Nach 35 Jahren der<br />
Zusammenarbeit ging mein Freund eines Tages zu seinem Chef und teilte diesem mit, dass<br />
er sich zur Ruhe setzen wolle, um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Er<br />
sagte, dass er zwar sein üppiges Gehalt vermissen, doch auch so zurechtkommen würde.<br />
Sein Chef bedauerte die Kündigung und bat ihn, aus persönlichem Gefallen heraus, noch<br />
ein letztes Haus zu entwerfen und zu bauen. Die Dauer des Projekts würde vier bis sechs<br />
Monate betragen, wie so oft in Indien, doch obwohl mein Freund einwilligte, war er nicht<br />
wirklich bei der Sache. Das Design, das er entwickelte, war schlampig, die verwendeten<br />
Materialien geringwertig und die Umsetzung schlecht. Als das Haus fertig war und der Chef<br />
zur Inspektion kam, sagte er: „Das ist dein Haus. Ein Geschenk des Unternehmens an dich<br />
als Dank für deine jahrlange, harte Arbeit“ und er übergab meinem Freund die Schlüssel.<br />
61
Was für eine Überraschung! Und was für ein Schock! Wenn mein Freund doch nur gewusst<br />
hätte, dass er an seinem eigenen Haus baute, hätte er es komplett anders umgesetzt. Jetzt<br />
würde er den Rest seines Lebens in einem Haus verbringen, das er so nachlässig gebaut<br />
hatte.<br />
Und so geht es vielen von uns. Manchmal bauen wir unser Leben völlig abgelenkt auf,<br />
reagieren anstatt zu agieren und geben uns mit weniger als dem Besten zufrieden. Nach<br />
einem Schockerlebnis sehen wir uns dann an, was wir da ohne großes Engagement kreiert<br />
haben und merken, dass wir in einem Haus leben müssen, das wir doch so viel besser<br />
hätten bauen können. Genau darauf zielt der Berufsdienst ab. Fast unbemerkt hilft er uns,<br />
unser Leben als Vorbilder zu leben. Und das macht <strong>Rotary</strong> zu etwas Einzigartigem.<br />
Lassen Sie mich an die beiden anderen Prioritäten für unser Jahr erinnern: die Dinge<br />
fortzusetzen, in denen wir bereits gut sind und die getan werden müssen, und die Dinge zu<br />
ändern, die geändert werden müssen. Angefangen – falls nötig – bei uns selbst.<br />
Meine lieben <strong>Rotary</strong>-Amtskollegen, lassen Sie uns heute Abend das würdigen, was uns das<br />
Wichtigste und Liebste im Leben ist: unsere Ehegatten und Partner, die hier heute bei uns<br />
sind. Meine Frau ist nicht nur meine rechte Hand, sondern auch meine treuste Begleiterin,<br />
die mich leitet und fordert, in schlechten Zeiten aber auch meine Hand hält. Sie kann jedoch<br />
manchmal auch, wenn ich das hinzufügen darf, ganz schön kompliziert sein. Es ist unser<br />
Partner, der uns beisteht, manchmal unsere etwas raue Fassade glättet, uns Ruhe gibt und<br />
uns inspiriert, um Herausforderungen zu meistern. Nehmen Sie die Hand Ihres Partners.<br />
Sie machen ein großartiges Team aus und es bedeutet <strong>Rotary</strong> sehr viel.<br />
Es heißt, dass die schönsten Momente im Leben nicht die sind, wo man sogenannte<br />
Erfolge feiert, sondern die, in denen man in sich selbst spürt, eine Herausforderung<br />
meistern und etwas erreichen zu können.<br />
Es sollte mittlerweile offensichtlich sein, dass ich gerne Geschichten erzähle. Erlauben<br />
Sie mir, zum Ende dieses für uns alle so besonderen Abends noch eine abschließende<br />
Geschichte aus den Zeiten des Zweiten Weltkriegs zu erzählen.<br />
Es war mitten im Krieg, als in einem Zug in Polen der Schaffner auf die 18 jährige Wanda<br />
Bulik zukam. Er bat sie, sich um einen dreijährigen jüdischen Jungen zu kümmern, der<br />
alleine in den Zug gesetzt worden war. Ohne Zögern nahm sich die junge Frau, die selbst<br />
keine Jüdin war, dem Jungen an und überzeugte einen jungen Polizisten, der in sie<br />
verliebt war, die nächsten vier Jahre in der Öffentlichkeit vorzugeben, sie seien dessen<br />
Eltern. Es war eine Zeit, in der Polen besetzt war und Juden festgenommen wurden und in<br />
Konzentrationslager kamen. Ein jeder, der einem Juden Unterschlupf bot, begab sich selbst<br />
in höchste Gefahr.<br />
Die junge Frau, die selbst eine ganz einfache Person war, handelte trotz des persönlichen<br />
Risikos mitmenschlich und half einer anderen Person. Meiner Meinung nach half sie in<br />
diesem Moment der gesamten Menschheit, denn sie wagte es, für etwas einzustehen, was<br />
ihrer Meinung nach richtig war.<br />
Es war eine kleine, zierliche Frau namens Mutter Teresa aus Albanien, die nach Kalkutta in<br />
Indien ging, um Tausenden Leidgeprüften und Unterdrückten neue Hoffnung zu geben. Es<br />
war ein Dr. Albert Schweizer aus Deutschland, der sich Zeit seines Lebens um Hunderte<br />
von Menschen in den entlegendsten Winkeln Afrikas kümmerte. Und es war ein Greg<br />
Mortenson aus Amerika, der unter größten Gefahren für sein eigenes Leben, Kindern<br />
in den unzugänglichen Bergen Afghanistans eine Ausbildung ermöglichte und so neue<br />
Hoffnung auf eine bessere Zukunft gab.<br />
62 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
In dieser oft so gleichgültigen Welt vermeiden wir es in der Regel, uns zu engagieren.<br />
<strong>Rotary</strong> lehrt uns, dass wir uns einbringen müssen, um den Menschen zu helfen, und Sie als<br />
Führungskräfte wissen, was das bedeutet. Immerhin sind Sie den Menschen verpflichtet.<br />
Erfreuen Sie sich an diesem Engagement. Es ist der Schlüssel für das mitmenschliche<br />
Handeln <strong>Rotary</strong>s in der Welt.<br />
Alles was sie bisher erlebt haben, jeder Teil Ihrer bisherigen Reise hat Sie auf den jetzigen<br />
Moment vorbereitet. Überlegen Sie, welchen Einfluss Sie haben – nicht in Form von<br />
Autorität, sondern um Gutes zu tun. Denken Sie an die Veränderungen, die Sie bewirken<br />
können und die Schicksale, die Sie beeinflussen können.<br />
Bedenken Sie, dass jeder Mensch mit einem eigenen genetischen Code geboren wird.<br />
Um es wissenschaftlich auszudrücken, ist es die DNA unserer Persönlichkeit. Auch jede<br />
Organisation hat eine DNA. <strong>Rotary</strong>s DNA besteht aus seinen Zielen, Aufträgen und<br />
Visionen. Stimmt Ihre DNA mit der von <strong>Rotary</strong> überein, dann ist es für Sie das Natürlichste<br />
der Welt, dessen Philosophie und Ideale zu übernehmen und sich für diese einzusetzen. Wir<br />
tun dies, da wir darin den größten Sinn für unser Leben sehen.<br />
Während Sie in sich hineinblicken, um sich selbst zu finden, werden Sie eine innere<br />
Stimme vernehmen, die kein anderer hören kann und ein Licht wahrnehmen, das kein<br />
anderer sehen kann. Um die Stimme zu vernehmen, werden Sie mit Ihrem Herzen hören<br />
und um das Licht wahrzunehmen, werden Sie mit Ihrem Verstand hinsehen müssen. Diese<br />
Erkenntnis wird Ihnen einen neuen Geist, eine neue Energie vermitteln und die Augen<br />
öffnen, um das Leben aus einem völlig neuen Blickwinkel zu betrachten.<br />
Sie mögen sich fragen, wie es Ihnen gelingen kann, die Menschheit zu umarmen,<br />
um mitmenschlich zu handeln. Die Menschheit ist so umfassend, so vielfältig, so<br />
abwechslungsreich und so verstreut. Die Menschheit spiegelt sich jedoch in jedem<br />
Menschen wider. Wenn Sie also einer Person helfen oder einem Zweck, durch den einer<br />
Person geholfen wird, wirkt sich dies auf die gesamte Gesellschaft und somit die ganze<br />
Menschheit aus.<br />
Wie Sie das angehen, ist Ihrer eigenen Kreativität überlassen. Ihre Kreativität ist Teil Ihres<br />
Wesens, dem Sie freien Lauf lassen müssen. Gehen Sie in sich, hören Sie auf Ihre innere<br />
Stimme und folgen Sie dem kleinen Licht, ohne dass irgendein Druck von außen Sie<br />
ablenkt. Handeln Sie danach während Ihres Amtsjahres, in dem Ihnen jede Möglichkeit<br />
offen steht, um sich selbst neu zu entdecken und Ihre inneren Stärken zu entfalten. Uns<br />
lassen Sie sich auch danach, auf Ihrem weiteren Lebensweg, davon leiten.<br />
Ihr Geist beeinflusst Ihr Handeln. Das unterscheidet den Menschen von allen anderen<br />
Lebewesen. Doch vergessen Sie nicht, dass es Ihr Herz ist, in dem Mitgefühl und<br />
Emotionen wohnen.<br />
Und wenn ich Leidenschaft und Emotionen erwähne, kann ich nicht widerstehen, noch ein<br />
letztes Zitat von Mutter Teresa an dieser Stelle anzubringen:<br />
Am Ende unseres Lebens werden wir nicht danach gerichtet, wie viele<br />
Diplome wir haben, wie viel Geld wir verdient haben oder wie viele große<br />
Taten wir vollbracht haben. Wir werden hiernach gerichtet werden: „Ich war<br />
hungrig, und Du hast mir zu Essen gegeben. Ich war nackt, und Du hast<br />
mich gekleidet. Ich war ohne Zuhause, und Du hast mich beherbergt.“<br />
Wenn wir in Indien jemanden treffen, grüßen wir ihn oder sie, indem wir die Hände so<br />
falten und namaskaram sagen, was auf Sanskrit bedeutet: „Ich grüße das Göttliche in<br />
Dir.“ Ein jeder von uns hat Göttliches in sich. Berühren Sie es, nehmen Sie Kontakt zu ihm<br />
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auf, tauschen Sie sich mit ihm aus. Die Göttlichkeit wird sich selbst manifestieren. Das<br />
innere Ich wird daraufhin nicht nur an sich selbst denken, sondern bereit dazu sein, die<br />
Menschheit zu umarmen und mitmenschlich zu handeln.<br />
Es ist Binota und mir eine Ehre, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und dieses großartige<br />
Abenteuer im Dienst durch <strong>Rotary</strong> mit Ihnen zu teilen. Sie werden immer in unseren Herzen<br />
und Gedanken sein.<br />
Ich wünsche Ihnen eine sichere Heimreise. Denken Sie an den Frieden und das Verständnis,<br />
das wir in unsere Welt tragen müssen. Lassen Sie uns des Guten gedenken, dass in allem<br />
steckt und durch unsere Inspiration berührt werden muss. Finden wir uns selbst und<br />
handeln wir mitmenschlich.<br />
64 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
<strong>Rotary</strong>: eine lebensverändernde Erfahrung<br />
Binota Banerjee<br />
Gattin des RI Präsidenten elect<br />
Ich heiße Sie alle zu diesem Kolleg des <strong>Rotary</strong>-Wissens, der Eröffnungssitzung des<br />
Ehepartnerprogramms, herzlich willkommen. Einige von Ihnen sind bereits seit vielen<br />
Jahren die Ehepartner von Rotariern, andere hingegen erst seit kurzem, doch wir hoffen,<br />
dass diese Veranstaltung Sie alle inspirieren wird. Es sind nicht die vielen verschiedenen<br />
Sprachen, nicht die Nationalitäten und nicht die unterschiedlichen Bräuche, die bei der<br />
internationalen Versammlung im Vordergrund stehen. Es ist der Geist der Einheit, der<br />
Sinn für Goodwill und das echte Bedürfnis zusammenzukommen, die hier zählen. Ein<br />
freundliches Lächeln, eine ausgestreckte Hand oder offen gezeigtes Mitgefühl bringen uns<br />
einander näher und öffnen uns die Tore der Freundschaft. Sie machen das Unmögliche<br />
möglich.<br />
Ich erinnere mich noch, wie ich vor vielen Jahren zu einer Veranstaltung wie dieser kam.<br />
Mein Mann Kalyan war zum Governor elect gewählt worden. Ich lernte damals so viel<br />
von meinen Freunden, und aus Erfahrung weiß ich, dass auch heute, in diesem Raum<br />
jeder etwas Wichtiges hat, das er mit anderen teilen kann. Ich bin mir sicher, dass wir<br />
voneinander lernen und gemeinsam etwas Unvergessliches erleben werden!<br />
Als Kalyan Governor war, reiste ich mit ihm in alle Clubs in unserem Distrikt. In Indien wird<br />
die First Lady des Distrikts ebenfalls auf das Podium geladen, so dass jeder sie sehen kann.<br />
Eines Tages, ich war gerade etwas in Gedanken vertieft, ließ mir jemand aus dem Publikum<br />
einen Zettel überbringen. Darauf stand: „Binota, lächle.“ Ich las es, und musste sofort<br />
anfangen zu lächeln. Auch wenn das nun einige Zeit her ist, ist dies immer noch ein guter<br />
Ratschlag. Und so lächle ich seither und bitte auch Sie, in diesem Jahr, im nächsten und<br />
allen kommenden Jahren zu lächeln. Lächeln Sie und, wie es so schön in dem berühmten<br />
Lied heißt, die Welt wird mit Ihnen lächeln!<br />
Wenn ich manchmal aus irgendeinem Grund dachte, ich könnte zu einem Treffen nicht<br />
mitkommen, schickte uns der Clubpräsident einen Brief, in dem es hieß: „Wenn Binota nicht<br />
mitkommt, ist das kein offizieller Besuch!“ Ich finde, das zeigt deutlich, wie wichtig den<br />
Rotariern in meinem Land die Anwesenheit des Ehepartners ist.<br />
Wie Kalyan bereits sagte: „Durch die Unterstützung und den Dienst, den Ehepartner durch<br />
<strong>Rotary</strong> leisten, demonstrieren sie ihr Talent, ihre Intelligenz, ihre Einsatzfähigkeit und ihre<br />
unglaubliche Liebe.“<br />
Die Rotarier wissen Sie in Ihrer Rolle zu schätzen, die genauso einzigartig ist wie Sie selbst.<br />
<strong>Rotary</strong> braucht Sie, um Träume wahr werden zu lassen. Und ich bedanke mich bereits im<br />
Voraus bei Ihnen für Ihre Bemühungen. Ich bin mir sicher, Sie werden Ihr Bestes geben,<br />
um die nächste Generation an rotarischen Führungskräften zu unterstützen. Die mehr als<br />
einhundertjährige Geschichte <strong>Rotary</strong>s hat gezeigt, dass die Ehepartner etwas bewegen<br />
können und ich bete zu Gott, Ihnen hierbei heute und in Zukunft beizustehen.<br />
Und jetzt würde ich Ihnen gerne den Mann vorstellen, den ich so gut kenne, mit dem<br />
ich die letzten 42 Jahre verbracht habe: meinen Mann Kalyan. Wir lernten uns in einem<br />
Krankenhaus kennen, wo ich als Krankenschwester arbeitete und er als Patient lag. Aus<br />
einer ursprünglich zweitägigen Untersuchung wurden 49 Tage, in denen wir uns verliebten.<br />
Seitdem sind wir zusammen. Wir haben eine starke Familie aufgebaut und dank <strong>Rotary</strong><br />
haben wir Freunde auf der ganzen Welt.<br />
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Wir haben einen Sohn und eine Tochter, die beide verheiratet sind. Unser Sohn lebt in<br />
Australien und unsere Tochter in Toronto in Kanada. Wir haben vier Enkel – ein Mädchen<br />
und drei Jungs. Sie sind wunderschön und bedeuten uns sehr viel.<br />
Kalyan ist ein Familienmensch, jemand, der schwer arbeitet, ein liebender Vater und<br />
engagierter Rotarier. Er besitzt Entschlossenheit und Ausdauer und ich bin überzeugt<br />
davon, dass er für <strong>Rotary</strong> sein Bestes geben wird, indem er die Rotarier anleitet und, wie es<br />
für ihn typisch ist, als gutes Beispiel voran geht.<br />
Kalyan ist mein Mann, aber er ist auch mein Begleiter, mein Freund, meine Liebe und<br />
meine Seele und wir haben uns stets unterstützt. Ich lade Sie dazu ein, gemeinsam mit mir<br />
im nächsten Jahr unsere Ehepartner aus voller Kraft zu unterstützen, denn sie haben einen<br />
wichtigen Auftrag zu erfüllen – sich selbst zu finden und mitmenschlich zu handeln.<br />
Meine Damen und Herren, voll Liebe und Dankbarkeit präsentiere ich Ihnen nun den<br />
Präsidenten von <strong>Rotary</strong> <strong>International</strong> für das Jahr 2011/12, meinen geliebten Mann, Kalyan<br />
Banerjee.<br />
66 <strong>International</strong>e Versammlung – Ausgewählte Reden 2011
One <strong>Rotary</strong> Center<br />
1560 Sherman Avenue<br />
Evanston, IL 60201-3698 USA<br />
www.rotary.org<br />
DE—(111)