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2_2023 Leseprobe

Ausgabe 2_2023 des BIOGAS Journals, herausgegeben vom Fachverband Biogas e.V.

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Fachverband Biogas e.V. | ZKZ 50073 | 26. Jahrgang<br />

www.biogas.org<br />

2_<strong>2023</strong><br />

Ab Seite 36<br />

TITELTHEMA<br />

Warme-<br />

Wende<br />

Bioenergiestedt<br />

Kreis Warmkirchen<br />

Fachverband Biogas e.V, Angerbrunnenstr. 12, 85356 Freising<br />

ZKZ 50073, PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt 93##<br />

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Frau Anja Klingenberg<br />

An der Surheide 29<br />

28870 Ottersberg Fischerhude<br />

EU-Emissionshandel –<br />

Reform steht 30<br />

Anlageneffizienz: kWh-<br />

Verbrauch optimieren 48<br />

Länderberichte: Serbien,<br />

Dänemark und Japan 90


Biogas Biogas Journal | | x_2022 2_<strong>2023</strong><br />

EDITORIAL<br />

Wärme aus<br />

Biogasanlagen<br />

ist gefragt!<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

vor genau einem Jahr habe ich an dieser Stelle geschrieben:<br />

„Energie aus Biogasanlagen ist gefragt!“.<br />

Dieser Satz beschreibt die aktuelle Situation in<br />

Deutschland nach wie vor sehr gut. Es ist zwar kein<br />

Blackout zu befürchten, aber wir leben nach wie vor<br />

in einer Energiemangellage. In der öffentlichen und<br />

politischen Diskussion dreht sich häufig viel um Gasund<br />

Strommärkte. Die Wärme wird (leider) häufig vernachlässigt.<br />

Die aktuelle Mangellage hat aber gezeigt, dass der<br />

Zugang zu bezahlbarer Wärme in der kalten Jahreszeit<br />

ein Grundbedürfnis ist, das es zu erfüllen gilt. Nicht<br />

umsonst hat der Staat auch im Wärmemarkt Maßnahmen<br />

ergriffen, um Bürger*innen und Industrie<br />

zu entlasten. Neben ermäßigten Steuersätzen wurde<br />

für Wärme unter anderem ein Preisdeckel eingeführt.<br />

Dieser soll verhindern, dass Abschlagszahlungen<br />

nicht geleistet werden können und Menschen frieren<br />

beziehungsweise Unternehmen ihre Produktion einstellen<br />

müssen.<br />

Angesichts des milden Winters hatten wir wohl Glück.<br />

Trotzdem waren und sind Wärmeverbraucher zu beneiden,<br />

die ihre Wärme von einer Biogasanlage bekommen:<br />

zuverlässig und preiswert (siehe Beitrag<br />

auf Seite 36). Beide Aspekte haben einen viel höheren<br />

Stellenwert bekommen als in den Jahren zuvor,<br />

als Energie nahezu unbegrenzt und vergleichsweise<br />

günstig zu beziehen war. Selten zuvor gab es so viele<br />

Anfragen hinsichtlich eines Anschlusses an bestehende<br />

Wärmenetze oder sogar den Neubau von Netzen<br />

wie in diesem Jahr. Insbesondere Industriebetriebe<br />

zeigten großes Interesse daran, eine Direktversorgung<br />

zu etablieren.<br />

Leider ist es wie so häufig in Deutschland: Viele Abnahmewillige<br />

von Bioenergie mussten erkennen, dass<br />

ein solcher Anschluss nicht immer so einfach und<br />

schnell umgesetzt werden kann wie gewünscht. Wie<br />

in anderen Bereichen der Energiewende verschleppen<br />

komplexe Genehmigungsprozesse den Ausbau.<br />

Die Verteuerung neuer Trassen war ebenfalls deutlich<br />

spürbar. Die nicht eindeutigen Signale Richtung Biogas<br />

tun ihr Übriges.<br />

Biogas(wärme) ist gefragt wie nie, dennoch stand die<br />

Branche angesichts der Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums<br />

zur Strompreisbremse kurz vor dem Aus.<br />

Auch die angekündigte Nationale Biomassestrategie<br />

und kritische Aussagen aus dem Landwirtschaftsund<br />

Umweltministerium hinsichtlich der Nutzung von<br />

Biomasse führen nicht zu einem investitionsfreundlichen<br />

Klima für Anlagenbetreiber. Wer Wärmenetze<br />

plant und baut, möchte diese nicht nur ein paar Jahre,<br />

sondern langfristig betreiben. Ein klares Bekenntnis<br />

der Politik zur Bioenergie ist unerlässlich.<br />

Denn eines ist auch klar: Zu einer Energiewende<br />

gehört auch eine Wärmewende. Sich da allein auf<br />

Wärmepumpen und das Versprechen Wasserstoff zu<br />

verlassen, ist geradezu fahrlässig. Wie bei der Energiewende<br />

im Großen brauchen wir bei der Wärmewende<br />

einen gesunden Mix zur Verfügung stehender<br />

Alternativen.<br />

Wärme aus Biogasanlagen ist gefragt! Und das nicht<br />

nur aktuell, sondern auch perspektivisch. Gerade im<br />

ländlichen Raum, wo Alternativen rar gesät sind. Deshalb<br />

viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe, die die<br />

Wärme in den Fokus rückt.<br />

Herzlichst Ihr<br />

Dr. Stefan Rauh,<br />

Geschäftsführer des Fachverbandes Biogas e.V.<br />

3


INHALT<br />

Biogas Journal | 2_<strong>2023</strong><br />

EDITORIAL<br />

3 Wärme aus Biogasanlagen<br />

ist gefragt!<br />

Von Dr. Stefan Rauh<br />

Geschäftsführer des<br />

Fachverbandes Biogas e.V.<br />

AKTUELLES<br />

6 Meldungen<br />

8 Termine<br />

10 Biogas-Kids<br />

12 Biomethan aus Reststoffen hat<br />

noch eine Perspektive<br />

Von Thomas Gaul<br />

36<br />

16 Bio-LNG: Immer mehr Menge<br />

kommt in den Markt<br />

Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />

22 Biomethanproduktion und CO 2<br />

-Nutzung<br />

zusammen denken<br />

Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />

26 Ein ganz heißes Thema: Wärme<br />

aus Biogas<br />

POLITIK<br />

30 62 Prozent weniger CO 2<br />

-Zertifikate<br />

bis 2030<br />

Von Bernward Janzing<br />

34 Quo vadis Biogas – Gesetze und<br />

Verordnungen werden angepasst<br />

Von Jörg Schäfer<br />

PRAXIS<br />

TITELTHEMA<br />

Warmewende<br />

Umfrage<br />

36 Krisenwinter steigert die Wertigkeit<br />

von Biogaswärme<br />

Von Dr. Stefan Rauh<br />

40 Bestehende und neue Wärme lieferverträge<br />

auf dem rechtlichen Prüfstand<br />

– was geht, was geht nicht?<br />

Von Dr. Helmut Loibl<br />

44 Wärmeverkauf: Den richtigen<br />

Steuersatz wählen<br />

Von Daniel Scherf<br />

48 Kein Geld verschenken – Stromverbrauch<br />

optimieren<br />

Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />

54 Züchtung für die Biogasfruchtfolgen<br />

von morgen<br />

Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph<br />

60 Blindleistung dezentral geregelt:<br />

Das Verteilnetz hält mehr Erneuerbare<br />

aus als gedacht<br />

Von Dipl.-Ing. Heinz Wraneschitz<br />

4


Biogas Journal | 2_<strong>2023</strong><br />

INHALT<br />

54<br />

TITELILLUSTRATION: BIGBENREKLAMEBUREAU I FOTOS: WWW.LANDPIXEL.DE, SAATZUCHT STRENG-ENGELEN, MARTIN EGBERT<br />

108<br />

INTERNATIONAL<br />

64 Anlagen in CO 2<br />

-Transportsystemen –<br />

das DVGW-Arbeitsblatt C 491<br />

Von Dr. Klaus Steiner und<br />

Andreas Schrader<br />

70 Anlagen des Monats Januar<br />

und Februar<br />

WISSENSCHAFT<br />

72 BO 2<br />

CCU heißt: Biogas verbrennen –<br />

nutzbar-reines CO 2<br />

abtrennen und<br />

industriell verwerten<br />

Von Dipl.-Ing. Heinz Wraneschitz<br />

76 Entwicklung und Test einer<br />

Methodik zur Langzeitmessung von<br />

Methanemissionen aus Gülle<br />

Von Britt Schumacher, Walter Stinner,<br />

Katrin Strach und Thomas Amon<br />

86 Der Fermenter als Mine<br />

Von Klaus Sieg<br />

Serbien<br />

90 Auf der Jagd nach dem<br />

richtigen Substrat<br />

Von Klaus Sieg<br />

Dänemark<br />

100 Biomethan wie Wind: Dänemark<br />

setzt auf Export<br />

Von Dipl.-Pol. Oliver Ristau<br />

Japan<br />

108 Milch, Mist und Wasserstoff<br />

Von Klaus Sieg<br />

VERBAND<br />

Aus der Geschäftsstelle<br />

118 Nachhaltigkeitsverordnung und Nabisy<br />

sorgten für Stress zum Jahresstart<br />

Von Dr. Stefan Rauh und<br />

Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk<br />

122 Strommarktdesign: Flexibilität ist alles<br />

Von Dr. Simone Peter, BEE<br />

124 12. Erfahrungsaustausch der §29b<br />

BImSchG-Sachverständigen 2022<br />

Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk<br />

RECHT<br />

126 Veröffentlichung eines Votums<br />

zu Güllekleinanlagen<br />

Von Birthe Kaps<br />

PRODUKTNEWS<br />

128 Produktnews<br />

130 Impressum<br />

Beilagenhinweis:<br />

Das Biogas Journal<br />

enthält einen Beihefter<br />

der Firma agriKomp.<br />

5


PRAXIS<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Kein Geld verschenken –<br />

Stromverbrauch optimieren<br />

Viele Biogasanlagenbetreiber denken beim Thema Effizienz häufig nur an den Gärprozess<br />

und den Wirkungsgrad des Blockheizkraftwerkes. Dabei spielen zum Beispiel Pumpen und<br />

Rührwerke sowie der Netzbetreiber eine wichtige Rolle.<br />

Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />

Von links: Biogasanlagenbetreiber<br />

Andreas<br />

Hansmeier, Christin<br />

Schmidt und Holger<br />

Roswandowicz von der<br />

HR Energiemanagement<br />

GmbH.<br />

Wer beispielsweise 4 Millionen Kilowattstunden<br />

Strom im Jahr produziert<br />

und einen Eigenstrombedarf<br />

beziehungsweise Bezugsstrombedarf<br />

von 8,5 Prozent hat, der kann<br />

durch Effizienzmaßnahmen jedes Jahr einen Kleinwagen<br />

einsparen. Was ist also zu tun? „Man ruft<br />

uns an und fragt um Rat. Am Anfang steht dann das<br />

sogenannte Energieaudit. Dazu begehen wir zuerst<br />

„Wir können sehr<br />

genau beurteilen, wie es den<br />

elektrischen Antrieben geht“<br />

Dipl.-Ing.<br />

Holger Roswandowicz<br />

die gesamte Biogasanlage, immer mit zwei Personen.<br />

Markus Holzhausen, unser technischer Leiter,<br />

betrachtet dabei die Prozesstechnik und ich schaue<br />

mir die Antriebstechnik an“, erklärt Holger Roswandowicz,<br />

Geschäftsführer und Gründer der HR Energiemanagement<br />

GmbH, die ihren Sitz im nordrheinwestfälischen<br />

Bünde im Kreis Herford hat.<br />

Das Energieaudit erfolgt nach DIN EN 16247. Durch<br />

das Energieaudit kann die Effizienz der Biogasanlage<br />

erhöht werden. Dabei bestehen gute Chancen,<br />

die Energiekosten zu reduzieren. Es werden<br />

Schwachstellen ermittelt und Einsparpotenziale<br />

aufgezeigt. Ein solches<br />

Audit kann vom Bundesamt<br />

für Ausfuhrkontrolle (Bafa) mit bis<br />

zu 6.000 Euro gefördert werden.<br />

„Mit unseren hochauflösenden<br />

Messgeräten erfassen wir die<br />

Anlage über einen Zeitraum von<br />

zwei Tagen. Dabei messen wir<br />

die Stromerzeugung und Einspeisung<br />

sowie die Verbräuche von zum<br />

Beispiel Pumpen, Rührwerken, Feststoffdosierern,<br />

Gärprodukttrocknern oder<br />

auch die Leistungsfähigkeit des Wärmenetzes“,<br />

skizziert Roswandowicz den Messaufwand. Bei der<br />

Netzanalyse werden bis zu 30 Netzanalyserekorder<br />

angeschlossen und später ausgewertet.<br />

„Wir analysieren die elektrischen Antriebe bis tief hinein<br />

in die Rührwerksschraube. Wir sehen die Rührleistung,<br />

die Schubleistung der Rührwerke. Wir können<br />

sehr genau beurteilen, wie es den elektrischen<br />

Antrieben geht“, führt der Diplom-Ingenieur Elektrotechnik<br />

weiter aus. Nach Absprache misst er auch<br />

am Trafo, wie viel Strom die Blockheizkraftwerke einspeisen.<br />

Die Messung dauert 24 Stunden. Danach<br />

wird analysiert, wie sich Wirkleistung, Blindleistung,<br />

Schieflast, Spannungsschwankungen und der Wirkleistungsfaktor<br />

Cos phi verhalten.<br />

Der Eigenstromverbrauch wird laut Christin Schmidt,<br />

stellvertretende Geschäftsführerin, ebenfalls für die<br />

Dauer von 24 Stunden gemessen. „Pumpen werden<br />

zum Beispiel nur fünf Minuten lang erfasst. Die las-<br />

FOTOS: MARTIN BENSMANN<br />

48


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

sen wir vor der Messung warmlaufen. Auf<br />

Wunsch schauen wir uns auch die Wärmeauskopplung<br />

an. Dabei geht es um<br />

die Durchflussmenge, die zu den Tischkühlern<br />

geht. In diesem Zusammenhang<br />

ist die Frage relevant, wann die Ventile<br />

schließen. Oder: Wurden die Wartungsintervalle<br />

bei den Platten- und Abgaswärmetauschern<br />

eingehalten?“, gibt<br />

Schmidt zu bedenken.<br />

Die gesammelten Daten werden in Listen<br />

erfasst und in den Zwischenbericht übertragen.<br />

Nach der Analyse findet zunächst<br />

ein Zwischenaudit mit dem Anlagenbetreiber<br />

statt, in dem die gesammelten Daten<br />

besprochen werden. „Darin klären wir<br />

offene Fragen. Das Gespräch zeichnen<br />

wir über Zoom auf, damit es später wieder<br />

angeschaut werden kann. Es dauert<br />

etwa eineinhalb Stunden. Im Anschluss<br />

nehmen wir gegebenenfalls Korrekturen<br />

in der Analyse vor“, erläutert Schmidt.<br />

Zu den häufigsten Problemlösungs-Maßnahmen<br />

durch den Auditierungsprozess<br />

gehört der Einbau von Frequenzumrichtern.<br />

„Es ist wirtschaftlich absolut sinnvoll,<br />

die vor fast jeden Elektromotor zu<br />

installieren. Die helfen, so viel Geld zu<br />

sparen“, betont Holger Roswandowicz.<br />

Darüber hinaus ist es in der Regel ratsam,<br />

Pumpen, Rührwerke und andere<br />

Apparate gegen neue, effizientere auszutauschen.<br />

Wichtig zu erwähnen ist, dass<br />

einige Effizienzmaßnahmen von der Bafa<br />

Henning Varnholt<br />

hat ein 50-kW-BHKW<br />

angeschafft, das mit<br />

Biogas betrieben und<br />

im Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz<br />

vergütet<br />

wird. Das Klein-BHKW<br />

soll künftig einen Teil<br />

des Eigenstrombedarfs<br />

bereitstellen.<br />

gefördert werden. Vor dem Tausch sollte<br />

die Bafa gefragt werden, ob die zu tauschenden<br />

Geräte förderfähig sind“, betont<br />

der Elektroingenieur.<br />

Virtuelle Differenzrechnung beim<br />

Strombezug verfälscht Realität<br />

Auf der Biogasanlage von der Hansmeier<br />

Biogas KG in Rietberg (NRW) gab es<br />

laut Roswandowicz folgende Situation:<br />

Die Anlage wurde mehrfach überbaut.<br />

Das heißt, ursprünglich waren ein Blockheizkraftwerk<br />

(BHKW) mit 1.063 Kilowatt<br />

(kW), eins mit 525 kW und eins<br />

mit 180 kW in Betrieb. Mit der Flexibilisierung<br />

wurden drei weitere BHKW<br />

hinzugebaut. Zwei INNIO Jenbacher<br />

420er und ein 412er Aggregat mit insgesamt<br />

rund 3.900 kW. „Im November<br />

2020 wurde das 180-kW-BHKW gegen<br />

ein inselbetriebfähiges 160-kW-BHKW<br />

ausgetauscht. Mit dem kleineren BHKW<br />

produzieren wir den Eigenstrombedarf<br />

der Anlage. Dieses wird als Dauerläufer<br />

betrieben, alle anderen BHKW laufen<br />

im Start-Stop-Betrieb“, erzählt Andreas<br />

Hansmeier.<br />

Seit dem 1. Januar 2021 wird die flexible<br />

Stromproduktion mit dem Händler SKVE<br />

in Regensburg vermarktet. „Der Netzbetreiber<br />

misst die Bezugstrommenge normalerweise<br />

an jeder Erzeugungsanlage<br />

und an jeder Netz-Übergabestelle. Im<br />

April 2021 waren wir das erste Mal<br />

49<br />

Kraftvoll,<br />

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49<br />

| separieren


PRAXIS<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Henning Varnholt<br />

steuert seine<br />

Biogasanlage flexibel<br />

in Abhängigkeit von<br />

möglichst niedrigen<br />

Strombezugspreisen.<br />

auf der Anlage. Dabei haben wir festgestellt, dass das<br />

Messgerät für den Bezugsstrom fehlt. Es befindet<br />

sich eigentlich im Schaltschrank neben dem großen<br />

Trafo. Die übergeordnete Messstelle ist in einiger<br />

Entfernung zur Anlage am Netz-Übergabepunkt“,<br />

berichtet Holger Roswandowicz.<br />

Der Netzbetreiber müsse eigentlich eine Differenzmessung<br />

zwischen den Messpunkten machen. Das<br />

mache er aber nicht. Stattdessen mache er eine virtuelle<br />

Berechnung, die hier zu einer Differenz von 100<br />

kW führt. Der Wert sei so hoch, weil die Stromerzeugungsanlage<br />

so groß ist. Dabei sei bekannt, dass die<br />

Differenzbildung mit virtuellen Messpunkten stark<br />

fehlerbehaftet ist. Auf der Ebene des Niederspannungsnetzes<br />

rechne der Versorger mehr Stromverbrauch<br />

ab, als Hansmeiers Biogasanlage tatsächlich<br />

verbraucht. Das entspreche nicht dem Recht des<br />

Messwesens.<br />

Schiedsverfahren anstreben<br />

Rechtsanwalt Dr. Helmut Loibl von der Kanzlei Paluka<br />

Rechtsanwälte Loibl Specht PartmbB in Regensburg<br />

sagt zu der Problematik: „Eigentlich ist<br />

das keine EEG-Frage, weil es um Messrecht und das<br />

Messstellenbetriebsgesetz geht. Aber genau hierzu<br />

hat die Clearingstelle bereits in der Vergangenheit<br />

(siehe Votum 2021/25-VIII) Entscheidungen getroffen,<br />

so dass ich den Weg dorthin für den ‚richtigen‘<br />

halte. Hier ist deutlich eher eine praxistaugliche Entscheidung<br />

zu erhalten als vor einem Gericht, bei dem<br />

davon auszugehen ist, dass der entscheidende Richter<br />

bisher noch nie etwas mit dem Eichgesetz oder<br />

dem Messstellenbetriebsgesetz zu tun hatte. Nach<br />

meiner Kenntnis ist die Westnetz als Netzbetreiber<br />

regelmäßig auch bereit, den Weg zur Clearingstelle<br />

mitzugehen. Hier dürfte wohl das Schiedsverfahren<br />

tatsächlich der ‚richtige‘ Weg sein“.<br />

Und Dr. Loibl ergänzt: „Nach Abschluss des Schiedsverfahrens,<br />

das grundsätzlich ‚geheim‘ ist, können<br />

die Beteiligten auch erklären, dass der Schiedsspruch<br />

veröffentlicht werden kann. Dann hätte tatsächlich<br />

die ganze Branche etwas davon und man<br />

kann sich mitunter auf diese Entscheidung berufen,<br />

so dass nicht jeder Betreiber ein eigenes Clearingstellenverfahren<br />

durchführen muss.“<br />

Netzbetreiber rechnet mit zu hohen<br />

Trafoverlusten<br />

Weitere Problematik: Bei der Trafomessung ist es<br />

nicht selten, dass die Einspeiseverluste an dieser<br />

Stelle geringer gemessen werden, als der Netzbetrei-<br />

50


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

PRAXIS<br />

ber pauschal abzieht. „Dann muss der Biogasanlagenbetreiber<br />

mit dem Netzbetreiber sprechen, dass<br />

der geringere Trafoverluste in seiner Abrechnung<br />

berücksichtigt“, betont Roswandowicz. Im Fall von<br />

Hansmeier rechne der Netzbetreiber mit Trafoverlusten<br />

von 1,8 bis 2,3 Prozent. Es wurden aber lediglich<br />

Trafoverluste zwischen 0,7 und 0,9 Prozent ermittelt.<br />

Wir haben es hier also mit rund einem Prozent Trafoverlust-Unterschied<br />

zu tun. Beispielrechnung: Bei<br />

4 Millionen Kilowattstunden macht 1 Prozent Unterschied<br />

in der Berücksichtigung der Trafoverluste<br />

40.000 Kilowattstunden aus. Daraus ergeben sich<br />

rund 12.000 Euro an entgangener Stromvergütung<br />

pro Jahr. Andreas Hansmeier ist richtig sauer, dass<br />

ihm dieses Geld jedes Jahr verlorengeht. Manche<br />

Netzbetreiber passen laut Christin Schmidt die Trafoverluste<br />

nach unten hin an.<br />

Roswandowicz sind Fälle bekannt, in denen Biogasanlagenbetreiber<br />

sich in solcher Sache an die Clearingstelle<br />

gewandt und Recht bekommen hätten. Die<br />

Netzbetreiber hätten in der Folge ihre Werte für die<br />

Trafoverluste anpassen müssen und die Anlagenbetreiber<br />

hätten Geld ausgezahlt bekommen. Die HR<br />

Energiemanagement GmbH hat eine Software entwickelt,<br />

die die Biogasanlagen dahingehend überwachen,<br />

ob die Strommengen zwischen Biogasanlage<br />

und Netzbetreiber stimmen. Das heißt, jeder Anlagenbetreiber<br />

zahlt einen pauschalen Verlustfaktor,<br />

der vom Netzbetreiber vorgegeben ist. Dieser ist<br />

oftmals jedoch viel zu hoch angesetzt. „Wir berechnen<br />

anhand des Jahreslastganges (Einspeisung) den<br />

tatsächlichen Transformatorverlust“, informiert Roswandowicz.<br />

Ein weiteres Ärgernis sei die sogenannte Schieflast<br />

im Netz. Die führe insbesondere in Regionen<br />

mit viel Windenergieeinspeisung zu Abschaltungen<br />

von BHKW. Der Spannungskonstanthalter AVR,<br />

der die Phasen gegen Schieflast regele, schalte auf<br />

Werkseinstellung rigoros ab, um die Generatoren vor<br />

Überhitzung zu schützen. Der AVR reagiere zu träge.<br />

Die Werkseinstellung müsse dann geändert werden<br />

damit der AVR schneller reagiere. So blieben die<br />

BHKW in Betrieb und schalteten nicht ab.<br />

Optimieren lasse sich auch die Einstellung des Cos<br />

phi bei den BHKW, die je nach Serie unterschiedlich<br />

eingestellt seien. Die drei großen neuen BHKW bei<br />

Hansmeier sind auf 0,95 eingestellt. Die müssten<br />

aber auf 1 stehen. Diese nachteilige Einstellung verursache<br />

bei einer 1-MW-Maschine einen Gasmehrverbrauch<br />

von 1 Prozent. Das verursache Ertragsverluste<br />

und Kosten. Um diesen Verlust kompensieren zu können,<br />

müssten 2 Prozent mehr Strom eingespeist werden.<br />

Beim Eigenstromverbrauch konnte durch das<br />

Audit eine Einsparung von 30 Prozent erzielt werden.<br />

Flexibler Strombezugspreis steuert<br />

Biogasanlage<br />

Ein anderer von weiteren gut 250 Kunden der HR<br />

Energiemanagement GmbH ist Henning Varnholt in<br />

Enkesen im Klei, einem Gemeindeteil von Bad Sassendorf<br />

(NRW). Das kleine sogenannte Haufendorf<br />

liegt 10 Kilometer östlich von Soest. Seine Biogasanlage<br />

hat er 2009 mit UTS gebaut und ans Netz<br />

gebracht. Ursprünglich hatte die Anlage eine elektrische<br />

Leistung von 190 kW. 2011 wurde ein Satelliten-BHKW-Standort<br />

mit einem weiteren 190-kW-<br />

BHKW in Betrieb genommen.<br />

Am Satelliten-Standort sind 58 Wärmeabnehmer<br />

angeschlossen. Die Erdarbeiten für das rund 3.000<br />

Meter lange Nährwärmenetz hat Varnholt selbst vorgenommen.<br />

Außerdem werden zwei Getreidetrocknungen,<br />

ein Ferkelaufzucht- und ein Schwei-<br />

51


PRAXIS<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

ngen<br />

idungen, Leckschutzauskleidungen<br />

und Teichabdichtungen<br />

Biogasanlage Varnholt in<br />

Bad Sassendorf (NRW).<br />

nemaststall mit BHKW-Wärme<br />

versorgt. Vergoren werden in<br />

der Biogasanlage: Maissilage,<br />

80 Kilowattpeak Leistung und ein 50-kW-<br />

BHKW, das mit Biogas betrieben und im<br />

Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz vergütet<br />

wird, installiert“, erklärt Henning Varnholt<br />

die Wachstumsschritte.<br />

Hähnchenmist, Putenmist,<br />

Hühnertrockenkot, Rindermist,<br />

Schweinemist, Schweinegülle<br />

und Zuckerrüben saisonal<br />

von Oktober bis April. den Eigenstrombedarf<br />

Solarstrom und Klein-BHKW für<br />

Der Wirtschaftsdüngeranteil<br />

• WHG-Abdichtungen Die PV-Anlage und das Klein-BHKW sollen<br />

liegt bei 60 Prozent. • Behälterauskleidungen, künftig den Leckschutzauskleidungen<br />

Eigenstrombedarf bereitstel-<br />

• Schwimmbad- und Teichabdichtungen<br />

„2012 haben wir an beiden len. „Zu Varnholt kam der Kontakt über<br />

BHKW-Standorten die elektrische<br />

UTS zustande. Die suchten ein Fachun-<br />

Leistung von 190 ternehmen zum Messen deren Rührwer-<br />

auf 220 kW erhöht. 2015 ke. Varnholt hatte schon Bafa-geförderte,<br />

haben wir an der Biogasanlage<br />

effiziente Rührwerke von UTS eingebaut.<br />

ein BHKW mit 360 kW In 2020 haben wir dann die Rührwerke<br />

elektrischer Leistung für die vermessen mit dem Ergebnis, dass diese<br />

flexible Stromproduktion dazugestellt.<br />

mit nur 7 kW Stromaufnahme sehr effizi-<br />

2018 wurde der ent sind“, schildert Holger Roswandowicz<br />

Satelliten-Standort ebenfalls die Entwicklung. Er habe Varnholt dann<br />

um ein 360-kW-BHKW für ein Angebot gemacht, den Trafo von ihm<br />

den flexiblen Betrieb erweitert. In 2021 messen zu lassen. Was man 2021 durchgeführt<br />

habe ich eine ORC-Anlage gekauft, die<br />

habe.<br />

am Biogasanlagen-Standort betrieben Die Energiebilanzen seien aber in Ordnung<br />

gewesen, weil das klassische Mess-<br />

wird. Im letzten Jahr haben wir auf einem<br />

Stallgebäude eine Photovoltaikanlage Ausgekleideter mit Fermenter konzept mit Einbauteilen angewendet wird. Es werde rich-<br />

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52


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

PRAXIS<br />

tig physikalisch mit Messpunkten vom<br />

Netzbetreiber gemessen. „Real sind die<br />

Trafoverluste bei 0,68 Prozent. Ob der<br />

Netzbetreiber künftig die 0,68 Prozent<br />

akzeptiert, ist noch offen“, sagt Christin<br />

Schmidt. Danach fragte Henning Varnholt<br />

bei HR Energiemanagement nach einem<br />

Messkonzept für das Eigenstrom-BHKW<br />

und die Photovoltaikanlage. Dieses wurde<br />

erarbeitet, der Westnetz vorgelegt und von<br />

ihr im Februar 2022 akzeptiert.<br />

Etwas später hat Roswandowicz ein Video<br />

veröffentlicht mit dem Hinweis, dass sich<br />

die Anlagenbetreiber über einen flexiblen<br />

Strompreis für den Bezugsstrom Gedanken<br />

machen sollten. Das hatte Varnholt<br />

gemacht, da er in einem Festpreisvertrag<br />

für seinen Bezugsstrom gebunden war.<br />

Bei der SÜWAG konnte er einen flexiblen<br />

Strombezugspreisvertrag bekommen.<br />

„Ein Vierteljahr lang haben Henning und<br />

ich beobachtet, wie sich die Preise entwickeln.<br />

Wir haben in unserem Unternehmen<br />

dann das Strompreis-Manager-Tool<br />

entwickelt“, unterstreicht Roswandowicz.<br />

Und Varnholt ergänzt: „Die Anlagenprogrammierung<br />

musste umgeschrieben<br />

werden, um den Strompreis-Manager integrieren<br />

zu können. Folgende Szenarien<br />

mussten in der Programmierung berücksichtigt<br />

werden:<br />

Fall 1: Strompreis maximal teuer:<br />

Freigabe nur Rührwerke im Fermenter,<br />

Rührintervall einstellbar.<br />

Fall 2: Strompreis über Tagesdurchschnitt:<br />

Freigabe nur Rührwerke im<br />

Fermenter und Fütterung in Betrieb,<br />

Rührintervall einstellbar – separat von<br />

Fall 1.<br />

Fall 3: Strompreis unter Tagesdurchschnitt:<br />

Freigabe Rührwerke im Fermenter<br />

und Nachgärer, Freigabe für die<br />

Fütterung und Pumpentechnik. Rührintervall<br />

wie in Fall 2<br />

Fall 4: Strompreis günstig: Freigabe aller<br />

Rührwerke, Fütterung und Pumptechnik<br />

in Betrieb. Rührintervall separat einstellbar<br />

wie in Fall 1, 2 und 3.“<br />

Dass eine Anlage flexibel in Abhängigkeit<br />

von möglichst niedrigen Strombezugspreisen<br />

gesteuert wird, ist sicherlich ein<br />

Novum. Vor den Optimierungsmaßnahmen<br />

lag der Eigenstrombedarf der Biogasanlage<br />

bei rund 8,5 Prozent. Nach der<br />

Optimierung liegt er jetzt bei 7 Prozent.<br />

„Unsere Anlage hat einen um gut 15 Prozent<br />

geringeren Stromverbrauch als vergleichbare<br />

Betriebe“, freut sich Varnholt.<br />

Roswandowicz rät, Spitzenlasten nicht<br />

auszureizen, weil das Geld koste. Wer die<br />

Spitzenlast überschreite, der zahle dafür<br />

den Preis das ganze Jahr.<br />

Die beiden Praxisbeispiele zeigen, dass<br />

es sich lohnt, Fachleute einzubinden,<br />

um Optimierungspotenziale zu heben. In<br />

Zeiten teurer Substrate und hoher Strombezugspreise<br />

sollte kein Geld verschenkt<br />

werden.<br />

Autor<br />

Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann<br />

Redakteur Biogas Journal<br />

Fachverband Biogas e.V.<br />

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53


WISSENSCHAFT<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

BO 2 CCU heißt: Biogas verbrennen –<br />

nutzbar-reines CO 2<br />

abtrennen und<br />

industriell verwerten<br />

Forscher des Fraunhofer-Instituts UMSICHT<br />

in Sulzbach Rosenberg entwickeln eine<br />

Anlage mit einer sogenannten Oxyfuel-Verbrennung,<br />

in der CO 2<br />

aus der Biomasseverbrennung<br />

hochrein gewonnen werden kann.<br />

Von Dipl.-Ing. Heinz Wraneschitz<br />

Im Fraunhofer-UMSICHT-Technikum in<br />

Sulzbach-Rosenberg. Energietechnik-<br />

Abteilungsleiter Martin Meiller zeigt<br />

auf den FLOX-Brenner einer bereits<br />

bestehenden Technikumsanlage. Ein<br />

vergleichbares System wird auch im<br />

BO 2<br />

CCU-Projekt eingebaut.<br />

Normalerweise bleibt auch bei der Verbrennung<br />

von Biogas CO 2<br />

(Kohlenstoffdioxid)<br />

als Klimagas übrig. Oder besser:<br />

Es wird in die Atmosphäre entlassen.<br />

Zwar wurde fast genau dieselbe Menge<br />

CO 2<br />

beim Pflanzenwachstum aus der Luft entnommen:<br />

Deshalb wird die Biogas-Nutzung prinzipiell als<br />

ein CO 2<br />

-neutraler Prozess angesehen, auch wenn die<br />

CO 2<br />

-Speicherung beispielsweise in Bäumen schon<br />

einmal 60 und mehr Jahre dauern kann.<br />

Was aber, wenn das CO 2<br />

nach der energetischen<br />

Biogas-Nutzung nicht in die Luft geblasen, sondern<br />

sofort und direkt einer sinnvollen, wirtschaftlichen<br />

Verwertung zugeführt würde? Eine solche industrielle<br />

Nutzung von reinem CO 2<br />

aus der Biomasse-Verbrennung<br />

nennt man in Fachkreisen „Bioenergy Carbon<br />

Capture and Utilization“, kurz BECCU.<br />

In Sulzbach-Rosenberg in der Oberpfalz, genauer gesagt<br />

am dortigen Teil des Oberhausener Fraunhofer-<br />

Instituts UMSICHT, sind die Wissenschaftler gerade<br />

dabei, eine neue Anlage auf die Beine beziehungsweise<br />

in die Laborhalle zu stellen, mit der genau eine<br />

solche BECCU-Erzeugung nutzbaren CO 2<br />

möglich werden<br />

soll. Aber nicht nur das: „Wir kombinieren einen<br />

innovativen Verbrennungsprozess von Biogas – die so<br />

genannte Oxyfuel-Verbrennung – mit dem BECCU Ansatz.<br />

Unser Ziel ist es, so CO 2<br />

mit einer Reinheit von<br />

99,5 Prozent zu erzeugen“, kündigte Doktorand Felix<br />

Lehner im November 2022 an. Der unaussprechliche<br />

Kurz-Name dieses Verfahrens „BO 2<br />

CCU“ steht für<br />

„Wärmebereitstellung und CO 2<br />

-Nutzung“.<br />

Verbrennungsprodukte: nur CO 2<br />

und<br />

Wasserdampf (H 2<br />

O)<br />

Allen Oxyfuel-Verbrennungsverfahren ist eine Besonderheit<br />

gemein: Die Energiegase – in diesem<br />

BO 2<br />

CCU-Projekt werden sie aus Biomasse erzeugt –<br />

werden mit reinem Sauerstoff (O 2<br />

) anstatt mit Luft<br />

verbrannt. „Dadurch sind als Verbrennungsprodukte<br />

nur CO 2<br />

und Wasserdampf (H 2<br />

O) im Abgas enthalten.<br />

Das dampfförmige H 2<br />

O kondensiert, die freigesetzte<br />

Wärme kann genutzt werden. Und übrig bleibt ein<br />

Abgas mit einer CO 2<br />

-Konzentration von über etwa<br />

95 Prozent“, erklären die Fraunhofer-UMSICHT-<br />

Wissenschaftler*innen.<br />

Der Sulzbach-Rosenberger Energietechnik-Abteilungsleiter<br />

Martin Meiller nennt aber auch den<br />

FOTOS: HEINZ WRANESCHITZ/BILDTEXT.DE<br />

72


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

FLOX-Verfahren<br />

Bei der Oxyfuel-Verbrennung kommt ein nach dem „FLOX“-Prinzip arbeitender Brenner zum Einsatz.<br />

FLOX steht für „Flammenlose Oxidation“, also die Verbrennung ohne Flamme. „Diese Technologie<br />

ermöglicht Hochtemperaturprozesse, bei denen trotz hoher Luftvorwärmung von über 700<br />

Grad der NOx-Anteil im Abgas um mehr als eine Zehnerpotenz niedriger als bei einer traditionellen<br />

Flammenverbrennung liegt. Bei richtiger Anordnung der Düsen oxidiert der Brennstoff bei Temperaturen<br />

über 850 Grad sehr gleichmäßig ohne jede Flamme“, heißt es von der Deutschen Bundesstiftung<br />

Umwelt (DBU).<br />

Die FLOX-Entwickler, Vater und Sohn Joachim Alfred und Joachim Georg Wünning, Gesellschafter<br />

der WS-Gruppe aus Renningen bei Stuttgart, bekamen für ihr System bereits 2011 den Deutschen<br />

Umweltpreis der DBU. Auch der BtX-Reformer der WS-Tochter BtX-Energy GmbH arbeitet mit einem<br />

FLOX-Brenner (siehe Biogas-Journal 3_2021, Seiten 70 bis 73).<br />

WRA<br />

Hauptgrund, warum eine weit verbreitete<br />

CO 2<br />

-Verwertung über BECCU-Systeme<br />

grundsätzlich für die Erde und die<br />

Menschheit so wichtig wäre: „Um CO 2<br />

-<br />

negativ zu sein, brauchen wir industrielle<br />

Prozesse, die Kohlenstoff (C) aus der<br />

Atmosphäre entziehen.“ Ansonsten dürfte<br />

der menschgemachte Klimakollaps<br />

kaum mehr zu verhindern sein: Da stimmen<br />

die Berechnungen fast aller Fach-<br />

Wissenschaftler*innen weltweit überein.<br />

Von der geplanten BECCU-Anlage ist bei<br />

unserem Besuch der Oberpfälzer UM-<br />

SICHT-Niederlassung im Januar <strong>2023</strong><br />

zwar noch nichts zu sehen.<br />

Auch wenn die ersten Ideen<br />

schon 2020 kreiert<br />

wurden: Das von der<br />

Fraunhofer-Gesellschaft<br />

selbst finanzierte,<br />

auf drei Jahre<br />

„In Chemieparks beispielsweise habe ich die<br />

Infrastruktur, um das CO 2<br />

in die Nutzung zu<br />

überführen“, erläutert Martin Meiller.<br />

„Wir werden das<br />

CO 2<br />

abfüllen und<br />

Forschungspartnern zur<br />

Verfügung stellen“<br />

Martin Meiller<br />

angelegte Projekt „BO 2<br />

CCU“ startete erst<br />

vor gut einem Jahr. „Ursprünglich wollten<br />

wir nach 1,5 Jahren in Betrieb gehen.<br />

Doch die Lieferzeiten sind aktuell ein<br />

Problem; Ende Quartal drei dieses Jahres<br />

ist realistisch. Dann haben wir noch lange<br />

Zeit zum Test“, ist Meiller überzeugt.<br />

Ein wichtiges Forschungsziel dabei:<br />

„CO 2<br />

in der Reinheitsqualität für Mineralwasser<br />

zu gewinnen. Wir werden das<br />

CO 2<br />

abfüllen und Forschungspartnern zur<br />

Verfügung stellen. Rein über das Oxyfuel-<br />

Verfahren erreichen wir schon eine Konzentration<br />

von 95 bis 99,5%. Ausgehend<br />

von dieser hohen Konzentration<br />

können höhere Reinheiten<br />

z.B. für Lebensmittelanwendungen<br />

deutlich<br />

effizienter erreicht<br />

werden.“<br />

Meiller weiß also bereits<br />

ganz genau, was<br />

die Anlage im Technikumsformat<br />

einmal<br />

können soll, wie sie aussehen<br />

und wo sie stehen<br />

wird. Das Brennersystem im<br />

Demonstrationsmaßstab ist mit einer<br />

thermischen Leistung von 50 Kilowatt<br />

(kW) geplant. Doch wenn das auch nach<br />

wenig klingt: „Der dezentrale Maßstab<br />

einer solchen Anlage kann kleinen und<br />

mittelständischen Unternehmen (KMU)<br />

der Bioenergie-Branche die Umsetzung<br />

CO 2<br />

-neutraler Anlagen ermöglichen“,<br />

blickt das UMSICHT-Team voraus.<br />

Oxyfuel-Systeme haben aber eine weitere<br />

Besonderheit. Quasi nebenbei verarbeiten<br />

sie nämlich ein „Abfallprodukt“, das<br />

bei der Herstellung von reinem, grünem<br />

Wasserstoff (H 2<br />

) mit Ökostrom an-<br />

73<br />

BIOGASANALYSE<br />

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WISSENSCHAFT<br />

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, H 2<br />

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, CO und O 2<br />

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WISSENSCHAFT<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Fraunhofer UMSICHT<br />

Das Fraunhofer-Institut UMSICHT sieht sich<br />

selbst als „Wegbereiter in eine nachhaltige<br />

Welt“. Dabei steht das Kürzel UMSICHT für<br />

Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik.<br />

An den drei Standorten in Oberhausen,<br />

Willich und Sulzbach-Rosenberg waren<br />

2021 608 Mitarbeiter*innen beschäftigt.<br />

Diese erwirtschafteten einen Umsatz von<br />

mehr als 57,8 Millionen Euro.<br />

Das gesamte Institut leiste mit seiner<br />

„Forschung in den Bereichen klimaneutrale<br />

Energiesysteme, ressourceneffiziente<br />

Prozesse und zirkuläre Produkte konkrete<br />

Beiträge zum Erreichen der 17 Sustainable<br />

Development Goals (SDGs) der Vereinten<br />

Nationen“, so die Selbstdarstellung. Im<br />

Zentrum dabei stehe „die Balance von wirtschaftlich<br />

erfolgreichen, sozial gerechten<br />

und umweltverträglichen Entwicklungen“.<br />

Am UMSICHT-Standort Sulzbach-Rosenberg<br />

arbeiten zurzeit 114 Menschen daran<br />

mit. Hier werden technische Verfahren<br />

konkret analysiert, entwickelt, erprobt<br />

und optimiert. Man verstehe sich „als<br />

Schnittstelle zwischen Wissenschaft und<br />

Wirtschaft. Für industrielle und öffentliche<br />

Auftraggeber werden neueste Erkenntnisse<br />

in marktfähige Technologien, Produkte und<br />

Dienstleistungen umgesetzt“, heißt es von<br />

der Pressestelle.<br />

Mit dem Projekt BO 2<br />

CCU befassen sind<br />

neben dem Leitungsteam besonders zwei<br />

Doktoranden. Nicht zu vergessen die Techniker,<br />

die vieles selbst fertigen, wie zum<br />

Beispiel die Steuerungen.<br />

WRA<br />

fällt: Den ebenfalls reinen Sauerstoff (O 2<br />

). H 2<br />

ist bekanntlich<br />

jenes Gas, von dem sich gerade die Politik<br />

die Lösung fast aller Zukunftsenergieprobleme verspricht.<br />

Deshalb ist der Aufbau von Elektrolyseuren<br />

an vielen Orten hierzulande im Gange, um eine so<br />

genannte „Wasserstoffwirtschaft“ zu ermöglichen.<br />

Sinnvolle Ergänzung an Elektrolyse-<br />

Standorten<br />

Und wenn die aktuellen Pläne des Bundesministeriums<br />

für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Realität<br />

werden, „würden hierzulande im Jahr 2030 rund<br />

1,8 Millionen (Mio.) Tonnen (t) Sauerstoff (O 2<br />

), im<br />

Jahr 2050 bis zu 18 Mio. t O 2<br />

als bisher ungenutztes<br />

Koppelprodukt anfallen. Durch<br />

die Fraunhofer-Technologie könnten<br />

Elektrolyse-Standorte ergänzt und<br />

eine wirtschaftliche Verwertungsoption<br />

für das O 2<br />

geschaffen werden“,<br />

nennt das UMSICHT-Team Nutzungspläne<br />

für seine BO 2<br />

CCU-Idee.<br />

Doch wo konkret könnte deren Einsatz<br />

sein? „Idealerweise dort, wo H 2<br />

-Bedarf,<br />

Energiebedarf (für Prozesswärme)<br />

und CO 2<br />

-Verwertung gleichzeitig<br />

existieren. In Chemieparks beispielsweise<br />

habe ich die Infrastruktur, um<br />

das CO 2<br />

in die Nutzung zu überführen“,<br />

erläutert Martin Meiller. Ob Industrieparks,<br />

Raffinerien, aber auch<br />

Klär- oder Biogasanlagen: Viele könnten<br />

BO 2<br />

CCU als Add-On verwenden.<br />

Dabei sei wichtig, das entstehende<br />

CO 2<br />

möglichst schnell in langlebige<br />

Produkte umzuwandeln, statt es irgendwo<br />

zwischenzuspeichern. Kunststoffprodukte,<br />

Chemikalien, Dünger, aber auch Kraftstoffe<br />

hat UMSICHT dabei im Blick. Doch auch nicht<br />

zu vergessen: CO 2<br />

ist ein wichtiges technisches Gas,<br />

zum Beispiel in der Getränkeindustrie als Kohlensäure<br />

unerlässlich.<br />

Für größere Biogasanlagen interessant<br />

Grundsätzlich seien deshalb bei der künftigen BO 2<br />

C-<br />

CU-Standortwahl im Industriemaßstab zwei Fragen<br />

gleichermaßen zu beantworten, sagt Meiller: „Woher<br />

kommt der Sauerstoff, und wo kann ich das CO 2<br />

unterbringen?“<br />

Weswegen nicht unbedingt die kleinen<br />

70-kW-, sondern „Biogasstandorte, die etwas größer<br />

sind“, dafür infrage kommen dürften. Sollten die<br />

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74


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

WISSENSCHAFT<br />

Elektrolyse Oxyfuel-Verbrennung Biogas<br />

Technikumsversuche erfolgreich<br />

verlaufen, sei ein<br />

Upscaling im Verhältnis<br />

von etwa zehn angedacht.<br />

Dafür jedoch seien Industriepartner<br />

notwendig, gibt<br />

er zu. Aber auch wenn die<br />

zurzeit noch nicht Schlange<br />

stünden, sei das kein<br />

Schaden. Denn: „Wir können<br />

durch unsere eigenen<br />

Mittel schneller reagieren,<br />

die Anlage anpassen.<br />

Deshalb gehen wir diesen<br />

ersten Schritt alleine. Aber<br />

für den zweiten Schritt<br />

brauchen wir unbedingt<br />

Firmen, die den weiteren<br />

Weg mit uns gehen.“<br />

Ohnehin eigne sich nicht nur Biogas als<br />

Brennstoff für das BO 2<br />

CCO-Verfahren, so<br />

der UMSICHT-Energieabteilungs-Chef:<br />

„Grundsätzlich geht es auch mit Klärgas,<br />

Pyrolysegas, Synthesegasen. Alle biogenen<br />

Gase halt, bei denen die Oxidation<br />

nicht nur mit normaler Luft, sondern auch<br />

mit reinem Sauerstoff möglich ist.“ Doch<br />

zunächst geht es – wie beschrieben – um<br />

den Aufbau eines 50-kW-Demonstrators<br />

in einem der Technika in Sulzbach-Rosenberg.<br />

Das ist eine Halle von 800 Quadratmetern<br />

Grundfläche und 16 Metern<br />

Höhe, in der laufend verschiedene Versuchsaufbauten<br />

getestet werden. Teilweise<br />

sind auch Flächen an Industriepartner<br />

vermietet.<br />

Projekt:<br />

BO 2 CCU<br />

Weiterverarbeitung in Produkte<br />

z.B. zu Kunststoffen, Chemikalien,<br />

Kraftstoffen, Dünger etc.<br />

Wärme, CO 2 und H 2 O<br />

Kohlenstoffabscheidung<br />

und -nutzung (CCU)<br />

Nutzung von überschüssigem<br />

Sauerstoff aus Elektrolyse für die<br />

Oxyfuel-Verbrennung von Biogas.<br />

Erzeugung von hochreinem CO 2 für<br />

die industrielle Nutzung.<br />

Physikalische Nutzung als<br />

technisches Gas<br />

z.B. Getränkeindustrie<br />

Für die Komponenten wie Brenner, Brennkammer,<br />

Wärmeübertrager, Kondensator<br />

zur Wasserabscheidung aus dem Abgas<br />

aber gelte: „All das werden wir im ersten<br />

Schritt hier vor Ort aus eigenen Mitteln im<br />

Lauf des Jahres realisieren“, so Meiller. Investitionen<br />

von um die 350.000 Euro seien<br />

genehmigt, die Komponenten bestellt.<br />

Sehr wichtig ist dabei der Kondensator:<br />

Um nach der Kondensation bereits einen<br />

hohen Reinheitsgrad des CO 2<br />

zu erreichen,<br />

also mit nur noch möglichst wenig<br />

Wasserdampf darin, soll hier mit Niedertemperatur<br />

gearbeitet werden. Dennoch<br />

gehe bei dem gesamten Prozess nicht<br />

viel Energie verloren: Das System selbst,<br />

also Verbrennung und Wärmeübertrager<br />

laufe nicht viel anders ab als bei Biomasseanlagen<br />

üblich, mit 90 bis 95 Prozent<br />

Wirkungsgrad also. Energiefragen stellten<br />

sich vor allem dann, wenn das CO 2<br />

oder<br />

der Sauerstoff verdichtet werden müsse,<br />

beispielsweise um die Gase zu transportieren,<br />

erklärt das UMSICHT-Team.<br />

Autor<br />

Dipl.-Ing. Heinz Wraneschitz<br />

Freier Journalist<br />

Deutscher Medien-Solarpreisträger 2018<br />

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INTERNATIONAL<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Shikaoi Hydrogen<br />

Farm: Biogasanlage<br />

des örtlichen Umweltzentrums.<br />

JAPAN<br />

Milch, Mist und<br />

Wasserstoff<br />

Biogas spielt beim japanischen Energiemix<br />

bisher keine große Rolle. Doch das könnte<br />

sich bald ändern. Zudem werden im Land<br />

der aufgehenden Sonne einige innovative<br />

Konzepte erprobt.<br />

Von Klaus Sieg<br />

Mit 83.000 Quadratkilometern ist Hokkaido<br />

Japans zweitgrößte Insel. Dennoch<br />

verirren sich nicht viele Japaner<br />

hierher, außer vielleicht im Winter zum<br />

Skifahren. Auf Hokkaido wurden 1972<br />

immerhin die Olympischen Winterspiele ausgetragen.<br />

Ganz im Norden Japans, auf einer Höhe mit Wladiwostok<br />

gelegen, herrschen auf der Insel den langen<br />

Winter über frostige Temperaturen. Und es fällt viel<br />

Schnee. Ungeachtet dessen wird auf Hokkaido ein<br />

großer Teil der im Land hergestellten Lebensmittel<br />

angebaut.<br />

Das Zentrum der Landwirtschaft liegt in der Region<br />

Tokkachi, rund um die Stadt Obihiro. Nirgendwo sonst<br />

ist Japan so flach und weitläufig wie hier. Wären da<br />

nicht die Bergketten am Horizont, könnte man sich in<br />

Norddeutschland wähnen. Auf den Feldern wachsen<br />

Tokio<br />

Mais, Kartoffeln, Zwiebeln, Rüben oder Kohl. Riesige<br />

Farmen produzieren Fleisch und Milchprodukte, die<br />

bis in den äußersten Süden des viertgrößten Inselstaates<br />

der Welt verkauft werden.<br />

So ist es nicht verwunderlich, dass hier auch ein großer<br />

Teil der japanischen Biogasanlagen steht. Von<br />

den rund 220 Anlagen des Landes arbeiten einhundert<br />

mit Substraten aus der Landwirtschaft. Siebzig<br />

davon befinden sich laut einer Studie des ECOS-Institutes<br />

aus Osnabrück für das EU-Japan Centre auf<br />

Hokkaido.<br />

Biogasanlage für Dung von 20.000 Kühen<br />

„Wir mussten vor allem für die großen Mengen Dung<br />

eine Lösung finden“, sagt Yoichi Abo, „in unserer Gemeinde<br />

Shikaoi leben 5.500 Menschen und 20.000<br />

Kühe.“ Also investierte die Gemeinde mit der Unterstützung<br />

der japanischen Regierung in ein Umweltzentrum,<br />

dessen Leiter Yoichi Abo ist. Herzstück des<br />

Umweltzentrums ist eine im Oktober 2007 in Betrieb<br />

gegangene Biogasanlage.<br />

Täglich befüllen Lastwagen deren Fermenter mit über<br />

130 Tonnen Gülle. Hinzu kommen kleine Mengen organischer<br />

Siedlungsabfälle sowie Schmutzwasser.<br />

Die damit täglich erzielten 3.900 Kubikmeter Biogas<br />

verstromen zwei Blockheizkraftwerke (BHKW)<br />

FOTOS: MARTIN EGBERT<br />

108


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

INTERNATIONAL<br />

zu 6.000 Kilowattstunden Strom, genug für 600<br />

Haushalte. „Vor allem aber haben wir deutlich weniger<br />

Geruchsbelästigung im Ort“, lässt Yoichi Abo<br />

einblicken.<br />

Yoichi Abo und sein Team haben also gezeigt, wie<br />

aus einem Problem eine Lösung werden kann. Eine<br />

zweite Anlage mit einer Aufnahme-Kapazität von 200<br />

Tonnen Gülle täglich ist in Planung. Dann könnte die<br />

Gemeinde bald energieautark werden. Vor allem aber<br />

soll das Umweltzentrum auch demonstrieren, was<br />

so alles möglich ist mit der Biogas-Technologie: Die<br />

Reststoffe der Anlage werden als Dünger verkauft und<br />

mit der Abwärme der beiden BHKW drei Gewächshäuser<br />

beheizt, in denen Mangos und Süßkartoffeln<br />

wachsen.<br />

Auch eine kleine Störzucht nutzt die Abwärme der<br />

BHKW. Bald soll es Biogas-Kaviar geben. In Zukunft<br />

will Yoichi Abo zudem das CO 2<br />

aus der Anlage für<br />

die Herstellung von Trockeneis vermarkten. Sein<br />

neuester Coup aber ist eine mit Methan betriebene<br />

Wasserstoff-Tankstelle, die das alles in den Schatten<br />

stellt. „Wir sind die erste Tankstelle in Japan, die<br />

Wasserstoff aus mit Gülle gewonnenem Methan herstellt“,<br />

sagt Yoichi Abo. Ansonsten gibt es nur noch<br />

eine weitere Methan-Wasserstoff-Tankstelle, die vor<br />

Shikaoi Hydrogen<br />

Farm: Der Wasserstoff<br />

wird per Dampfreformierung<br />

gewonnen.<br />

„Wir sind die erste<br />

Tankstelle in Japan, die<br />

Wasserstoff aus mit Gülle<br />

gewonnenem Methan<br />

herstellt“<br />

Yoichi Abo<br />

kurzem in Fukuoka auf der<br />

südlichen Hauptinsel Kyūshū<br />

in Betrieb gegangen ist und<br />

Schmutzwasser vergärt.<br />

Die Shikaoi Hydrogen Farm<br />

beschert dem Umweltzentrum<br />

Besucher aus der ganzen Welt.<br />

„Vor kurzem war der chilenische Botschafter hier, und<br />

für morgen hat sich eine Besuchergruppe aus Thailand<br />

angekündigt“, sagt Yoichi Abo stolz. Die heutigen<br />

Besucher, eine Gruppe japanischer Geschäftsleute in<br />

schwarzen Business-Anzügen, gehören zum Alltag auf<br />

der Shikaoi Hydrogen Farm. Gerade schlendern sie an<br />

der Tankstelle vorbei, vor der ein weißer Wasserstoff-<br />

Toyota Mirai steht.<br />

Das vor fünf Jahren erste in Großserie<br />

gefertigte Wasserstoff-Auto gehört Yoichi<br />

Abo. Dieses Modell schafft mit einem Mal<br />

Volltanken 500 Kilometer, das Nachfolgemodell<br />

schon 650 Kilometer. „Für 500 Kilometer<br />

sind 60 Kubikmeter Wasserstoff<br />

nötig, die stellen wir aus 25 Kubikmeter<br />

Methan her, bei größeren Mengen lässt<br />

sich die Effizienz aber auf ein Verhältnis<br />

von 1:4 steigern“, erklärt Yoichi Abo.<br />

Jede Kuh liefert pro Jahr<br />

Wasserstoff für 10.000 Kilometer<br />

Wasserstoff aus Methan wird mit der sogenannten<br />

Dampfreformation gewonnen,<br />

einem kostengünstigeren Verfahren als<br />

der Elektrolyse. Dabei reagieren Methan<br />

und Wasserdampf unter großer Hitze und<br />

Druck zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff.<br />

„Jede Kuh hinterlässt 23 Tonnen<br />

Exkremente pro Jahr“, erklärt Yoichi Abo,<br />

„daraus lässt sich Wasserstoff für 10.000<br />

Kilometer herstellen, so viel wie ein Japaner<br />

durchschnittlich im Jahr privat fährt.“<br />

Doch noch herrscht wenig Betrieb an<br />

der Wasserstoff-Tankstelle. An manchen<br />

Tagen ist neben Yoichi Abos Wagen der<br />

Gabelstapler des Umweltzentrums das<br />

einzige Fahrzeug, das zum Tanken an die<br />

blitzblanke Station kommt. Brennstoffzellen-Autos<br />

sind doppelt so teuer<br />

Yoichi Abo hat die entlegene<br />

Insel Hokkaido<br />

mit seiner Shikaoi<br />

Hydrogen Farm<br />

ins Weltgeschehen<br />

gerückt. Fast täglich<br />

kommen internationale<br />

Gäste, um die<br />

Wasserstofftankstelle<br />

der Biogasanlage zu<br />

besichtigen.<br />

109


INTERNATIONAL<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Shikaoi Hydrogen<br />

Farm: Mangoanbau<br />

im Gewächshaus<br />

unter Verwendung<br />

von überschüssiger<br />

Wärme aus der<br />

Biogasanlage.<br />

Shikaoi Hydrogen<br />

Farm: Eine kleine<br />

Stör-Zucht nutzt<br />

ebenfalls die Abwärme<br />

der BHKW.<br />

in der Anschaffung. „Bisher gibt es gerade<br />

einmal 50 Brennstoffzellen-Autos auf<br />

ganz Hokkaido, aber das wird sich hoffentlich<br />

bald ändern“, so Yoichi Abo. Da<br />

es sich um ein Pilotprojekt handelt, muss<br />

Abo zum Glück erst mal keine schwarze<br />

Zahlen schreiben. Carsten Bussacker<br />

hingegen schon. Der Hamburger lebt<br />

seit 16 Jahren in Japan. Meistens ist der<br />

studierte Japanologe im Blaumann unterwegs.<br />

Seit neun Jahren kümmert er sich<br />

bei Tsuchiya Dairy Equipment & Systems<br />

um Verkauf, Installation und Wartung von<br />

Biogasanlagen. Das Geschäftsfeld ist bei<br />

dem Landmaschinen-Unternehmen mit<br />

150 Mitarbeitern ordentlich gewachsen.<br />

„Biogas wird immer wichtiger für uns. Wir<br />

haben schon 62 Anlagen mit einer Leistung<br />

von insgesamt 13 Megawatt gebaut,<br />

fast alle davon stehen auf Hokkaido“,<br />

erklärt Bussacker auf der Fahrt zu einer<br />

der Anlagen. Krähen sitzen in den kahlen<br />

Bäumen am Straßenrand, den meterhohe<br />

Holzpfähle mit rotweißen Pfeilen säumen.<br />

Mit ihrer Hilfe kann man auch bei hohem<br />

Schnee dem Verlauf der Straße folgen.<br />

„Bis vor drei Jahren gab es hier einen<br />

regelrechten Boom“, erklärt Bussacker.<br />

Einerseits mussten die großen Fleischund<br />

Milchviehbetriebe sich etwas für die<br />

Entsorgung von Mist und Gülle einfallen<br />

lassen. Auch wenn bislang das Ausbringen<br />

von unbehandelten Exkrementen gesetzlich<br />

erlaubt ist, wächst das Bewusstsein<br />

für die Gefahren für das Trinkwasser<br />

und mit gesetzlichen Regelungen wird zu<br />

rechnen sein.<br />

Shikaoi Hydrogen Farm: An dieser Tankstelle wird Wasserstoff aus Biogas bereitgestellt. Der<br />

Wasserstoff-Toyota Mirai ist das erste in Großserie gefertigte Wasserstoff-Auto. Dieses Modell<br />

schafft mit einem Mal Volltanken 500 Kilometer, das Nachfolgemodell schon 650 Kilometer.<br />

Für 500 Kilometer sind 60 Kubikmeter Wasserstoff nötig<br />

Komfortabler Einspeisetarif<br />

Wichtiger für die große Nachfrage nach<br />

Biogas aber war der gesetzliche Einspeisetarif<br />

von umgerechnet komfortablen<br />

etwa 30 Eurocent pro Kilowattstunde auf<br />

zwanzig Jahre. Dieser Feed-In-Tarif ist<br />

zwar zu Jahresbeginn <strong>2023</strong> etwas heruntergesetzt<br />

worden, stellt aber immer noch<br />

einen großen Anreiz dar. Hinzu kommen<br />

zahlreiche Direktförderungen für Investitionen<br />

in der Landwirtschaft.<br />

Begrenzt hat die Erneuerbaren Energien<br />

vor allem auf Hokkaido der mangelhafte<br />

Netzausbau. Die Verbindung zur größten<br />

Hauptinsel Japans, Honshū, lässt zu wünschen<br />

übrig und behindert damit Möglichkeiten<br />

zu regeln. Den Netzanschluss<br />

ihrer Anlagen müssen die Betreiber zudem<br />

häufig selbst und teuer bezahlen.<br />

110


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

INTERNATIONAL<br />

ENERGIEWENDE<br />

mitgestalten<br />

Ich trage<br />

mit der neuen<br />

VapoCircle ® Technologie<br />

zur Versorgungssicherheit bei!<br />

Oona Farm in Obihiro: Interessante Bauweise der Biogasanlage – die Gasspeicher befinden<br />

sich auf dem Betondach der Gärbehälter in den halbrunden Wellblechhütten.<br />

Regeneratives<br />

Speicherkraftwerk<br />

Seit zwei Jahren gibt es zudem keine<br />

Einspeisegarantie mehr. Erst vor kurzem<br />

ist der Energiemarkt in Japan vollständig<br />

liberalisiert worden.<br />

Seit 2020 sind Erzeugung und Netzbetrieb<br />

formal getrennt und in privater<br />

Hand. Die großen, regional organisierten<br />

Versorger aber sind nach wie vor einflussreich<br />

und können einiges behindern. Dafür<br />

wurde allerdings vor einem Jahr eine<br />

Regelung für die Direktvermarktung von<br />

Energie eingeführt. Und die Politik fordert<br />

verstärkt den Ausbau der Netze. „Deshalb<br />

rechnen wir mit einem Anziehen der<br />

Nachfrage“, hofft Carsten Bussacker.<br />

Mist belastet Rührwerke höher<br />

Er lenkt seinen Wagen auf die Einfahrt<br />

zur Oona Farm, vorbei an sehr großen<br />

Unterständen für Maschinen und Silageballen.<br />

4.000 Fleischkühe stehen in offen<br />

Ställen. Ihr Atem dampft in die kühle<br />

Herbstluft. „Das hier war vor zwei Jahren<br />

unsere erste Anlage für Mist an-<br />

In Shikaoi leben fast viermal so viele Rinder wie Menschen. Von deren Hinterlassenschaften landen<br />

täglich 130 Tonnen Gülle in der Biogasanlage des Umweltzentrums der Gemeinde. Kein Wunder, dass<br />

der Gasspeicher immer gut gefüllt ist.<br />

Gewonnene Energie<br />

► 600 KW/h Bemessungsleistung<br />

► 5,5 MW/h installierte Leistung<br />

Sepogant Direkt<br />

► Substrat-Faser-Rückführ-Filter<br />

Vapogant<br />

► Volumenreduktion<br />

► Mineraldüngerproduktion<br />

Großer Wärmespeicher<br />

► Doppelte Wärmenutzung<br />

► Doppelter Verdienst an<br />

der Wärme<br />

Großer Gasspeicher<br />

► Maximale Flexibilität<br />

111


INTERNATIONAL<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Carsten Bussacker lebt seit 16 Jahren<br />

in Japan. Seit neun Jahren kümmert er<br />

sich um die Installation und Wartung<br />

von Biogasanlagen seines Arbeitgebers<br />

Tsuchiya Dairy Equipment & Systems.<br />

Oben links: Biogasanlage des<br />

Agrarkonzerns Nobels Co. Ltd.<br />

in Urahoro.<br />

Unten: Gärdüngerseparation und<br />

Lagerung der Feststoffe auf der<br />

Biogasanlage in Urahoro.<br />

stelle von Gülle“, erklärt Bussacker auf dem Weg zu<br />

einem der Fermenter. Mist bedeutet weniger Gasertrag<br />

und eine höhere Belastung der Rührwerke. „Wir<br />

betreuen unsere Anlagen sehr eng, weil die Kunden<br />

eine hohe Auslastung erwarten, die wir mit 97 bis 98<br />

Prozent Laufzeiten auch erfüllen.“<br />

Mitunter muss Bussacker dafür einiges ausbaden.<br />

Auf der Oona Farm zum Beispiel haben die Betreiber<br />

neben Mist auch andere Substrate eingesetzt,<br />

wie etwa Reismehl. In der Folge bildete sich zu viel<br />

Schaum im Fermenter. „Eine Biogasanlage ist ein<br />

lebender Körper, den man ziemlich schnell um die<br />

Ecke bringen kann“, so die lockere Erkenntnis von<br />

Carsten Bussacker, der bei dem Satz grinst. Dann<br />

steigt er eine schmale Leiter hinauf und betritt mit<br />

festen Schritten das Dach des 3.400 Kubikmeter<br />

großen ersten Fermenters. „Wände und Dachplatten<br />

bauen wir in zwanzig Zentimeter Stahlbeton,<br />

schließlich befinden wir uns in<br />

einem Erdbebengebiet, finanzieren lässt<br />

sich das aber nur mit den entsprechenden<br />

Einspeisetarifen“, lässt Bussacker<br />

einblicken.<br />

Auf dem Dach dann steht eine Art Nissenhütte<br />

aus Stahlblech, in der sich der<br />

Gasspeicher befindet. Die Abwärme der<br />

beiden BHKW wird ausschließlich für die Anlage<br />

genutzt. Die Fleischfarm hat keine Melkstände, die<br />

geheizt werden müssten. Zudem können die Temperaturen<br />

im Januar und Februar auf Hokkaido im zweistelligen<br />

Minusbereich liegen. Das ist auch der Grund<br />

für eine weitere Besonderheit, einem Notbrenner zum<br />

Heizen, falls die BHKW ausfallen. Das auf dem Markt<br />

erhältliche Modell hat Bussacker so modifiziert, dass<br />

es mit dem Biogas der Anlage heizt.<br />

Komponenten deutscher Hersteller<br />

Teile und Maschinen für ihre Eigenkonstruktionen<br />

bezieht Tsuchiya Dairy Equipment & Systems überwiegend<br />

aus Deutschland, von PlanET Biogastechnik<br />

in Gescher, Flygt, Vogelsang oder 2G, von denen auch<br />

zwei Wasserstoff-BHKW in Japan laufen. Deutsche<br />

Firmen sind aber auch als Systemanbieter vor Ort.<br />

112


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

INTERNATIONAL<br />

Yasuhiro Nishio, Betriebsmanager<br />

der Biogasanlage von Nobels Co.<br />

Ltd. in Urahoro, die vom deutschen<br />

Unternehmen Weltec Biopower<br />

errichtet worden ist.<br />

Nicht weit von Obihiro entfernt betreibt<br />

der Agrarkonzern Nobels Co. Ltd. zwei<br />

Milchfarmen mit insgesamt 36.000 Tieren.<br />

Auf beiden Farmen sind Biogasanlagen<br />

in Betrieb. Eine mit 750 Kilowatt<br />

installierter elektrischer Leistung und<br />

eine eines japanischen Herstellers sowie<br />

eine 250-kW-Anlage von Weltec. Im März<br />

soll eine weitere des Herstellers aus dem<br />

niedersächsischen Vechta für Nobels Co.<br />

Ltd. auf Honsh in Betrieb gehen.<br />

„Wir wollen vor allem die Gülle behandeln,<br />

auch wenn das gesetzlich noch<br />

nicht vorgeschrieben ist“, erklärt Betriebsmanager<br />

Yasuhiro Nishio. „Ohne<br />

den guten Einspeisetarif hätten wir die<br />

Investition in die verhältnismäßig teure<br />

Anlage des japanischen Herstellers allerdings<br />

nicht getätigt.“ Die elektrische<br />

Energie aus dem 2G-BHKW der Weltec-<br />

Anlage auf der kleineren der beiden Farmen<br />

von Nobels auf Hokkaido verbraucht<br />

der Betrieb direkt, für Licht und die Melkmaschinen.<br />

Das ist aber keine Entscheidung<br />

aus freien Stücken, sondern dem<br />

mangelhaften Netzausbau geschuldet.<br />

Regierung bezuschusste<br />

Biogasinvest teilweise direkt<br />

„Natürlich hätten wir dem Versorger lieber<br />

15 Eurocent für die Kilowattstunde<br />

für unseren Verbrauch bezahlt und für<br />

30 Eurocent eingespeist“, sagt Yasuhiro<br />

Nishio. Dafür aber wurden die Investitionen<br />

in die Biogasanlage zum Teil direkt<br />

von der Regierung bezuschusst. Zudem<br />

führt der Dünger aus den Reststoffen zu<br />

guten Ergebnissen auf den 600 Hektar<br />

großen eigenen Anbauflächen für Futtermais.<br />

Vor der Halle mit den dampfenden Gärresten<br />

erklärt Yasuhiro Nishio einen weiteren<br />

Vorteil. Bevor die Gärreste auf den<br />

Äckern ausgebracht werden, pendeln sie<br />

als Einstreu zwischen den Ställen und,<br />

wiederum angereichert mit Dung, dem<br />

Fermenter der Biogasanlage. Auf die<br />

Äcker kommen sie erst, wenn die Menge<br />

zu groß wird. „Das spart uns sehr viel<br />

Geld für Stroh als Einstreu.“<br />

Bei der Summe dieser Vorteile stellt sich<br />

die Frage, warum Biogas mit einer installierten<br />

Leistung von gerade einmal 85<br />

Megawatt eine so untergeordnete Rolle<br />

im japanischen Energiemix spielt. Auch<br />

gibt es keine Pläne für die Nutzung von<br />

Biomethan als Ersatz für fossile Brennstoffe.<br />

Nach wie vor hängt die hoch entwickelte<br />

Industrienation zu zwei Dritteln<br />

von Gas, Kohle und Erdöl ab.<br />

Trotz aller Energiespar-Appelle nach Fukushima<br />

verbraucht der durchschnittliche<br />

Japaner ein Drittel mehr elektrische<br />

Energie als ein Europäer. Ein Rundgang<br />

durch das für seine übergroßen Leuchtreklamen<br />

weltberühmte Tokioter Viertel<br />

Shinjuku oder schlicht der Besuch einer<br />

privaten oder öffentlichen Standard-Toilette<br />

mit geheizter Brille, automatischer<br />

Spülung und Föhn von unten verdeutlicht<br />

wofür.<br />

20 Prozent Erneuerbare mit<br />

Solarenergie und Wasserkraft<br />

erreicht<br />

Nach dem verheerenden Erdbeben und<br />

der Reaktorkatastrophe von Fukushima<br />

in 2011 hatte die japanische Regierung<br />

in ihrem 5. Energieversorgungs-Plan<br />

von 2015 einen Anteil von Erneuerbaren<br />

Energien von 22 bis 24 Prozent an<br />

der Stromversorgung beschlossen. Vor<br />

Fukushima waren dagegen nur 10 Prozent<br />

vorgesehen. Der Anteil von einem<br />

Fünftel Erneuerbare ist heute erreicht.<br />

Das meiste davon stammt aus Solar- und<br />

Wasserkraft. Aus Biomasse kommen gerade<br />

einmal 2,7 Prozent. An der Energie<br />

aus Biomasse hat Biogas einen Anteil von<br />

nur 1,5 Prozent.<br />

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113<br />

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INTERNATIONAL<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Biogasanlage des Abfallentsorger Dispo Co. Ltd. Dispo entsorgt Gewerbeabfälle in Obihiro und den<br />

umliegenden Gemeinden. Für die Verarbeitung der organischen Abfälle hat das Unternehmen 2017 eine<br />

Biogasanlage mit 150 kW Leistung von Tsuchiya Dairy Equipment & Systems in Betrieb genommen.<br />

Arita Hirotaka, Betriebsleiter der<br />

Biogasanlage von Dispo Co.Ltd.<br />

Aufgrund von internationalem Druck hat Japan seine<br />

Klimaziele nachgebessert und unter anderem den<br />

6. Energieversorgungs-Plan vorgelegt. Die schlechte<br />

Nachricht zuerst: Entgegen vorheriger Versprechen<br />

wird der Atomenergie wieder ein Anteil von einem<br />

Fünftel am Energiemix zugedacht. Die gute Nachricht:<br />

Der Anteil der Erneuerbaren soll bis 2030 auf<br />

insgesamt 36 bis 38 Prozent steigen. Wasserstoff<br />

soll eine wichtige Rolle spielen. Und mit 3,7 bis 4,6<br />

Prozent bis 2030 soll Biomasse an Bedeutung gewinnen,<br />

auch als Wirtschaftsmotor in ländlichen Regionen.<br />

Davon wird Biogas profitieren.<br />

Auch lässt sich der Biogasanteil von derzeit 85 Megawatt<br />

als positiver Trend sehen, stellt er doch einen<br />

nicht unerheblichen Anstieg im Vergleich zu sieben<br />

Megawatt in 2012 dar. Die Autoren der eingangs erwähnten<br />

Studie des ECOS-Institutes erwarten deshalb<br />

ein starkes Wachstum des Biogasmarktes noch<br />

in dieser Dekade.<br />

Erst 10 Prozent der anfallenden<br />

Wirtschaftsdünger werden vergoren<br />

In der Verwendung von Nutztier-Exkrementen sehen<br />

sie ein Potenzial von 1,65 Gigawatt elektrischer Leistung.<br />

Die Nutzung von Energiepflanzen kommt aufgrund<br />

der geringen Verfügbarkeit von Ackerflächen<br />

im Land nicht infrage. Von Mist und Gülle aber werden<br />

bisher gerade einmal 10 Prozent energetisch genutzt.<br />

Großes Potenzial sehen die Experten auch für<br />

Lebensmittelabfälle aus der Industrie als Substrat.<br />

Organische Siedlungsabfälle können aufgrund ihrer<br />

Trennung lediglich in brennbar und nicht-brennbar<br />

bisher nicht genutzt werden. 6,5 Millionen Tonnen<br />

Lebensmittelabfälle fallen jedes Jahr in Japan an.<br />

Das meiste wird kompostiert oder zu Viehfutter verarbeitet.<br />

Doch arbeiten immerhin 42 Biogasanlagen<br />

im Land mit industriellen Lebensmittelabfällen. Das<br />

aber kann Tücken haben. Davon kann Arita Hirotaka<br />

von der Dispo Co.Ltd. ein Lied singen. Schon von<br />

weitem ist das Logo des Abfallentsorgers, ein großes<br />

I love Recycle mit einem roten Herz, an der weißen<br />

Halle am Rande von Obihiro zu sehen. Auf dem Hof<br />

stehen Müllfahrzeuge und Tankwagen.<br />

Dispo entsorgt Gewerbeabfälle in Obihiro und den<br />

umliegenden Gemeinden. Für die Bearbeitung der<br />

organischen Abfälle hat das Unternehmen 2017<br />

eine Biogasanlagen mit 150 kW von Tsuchiya Dairy<br />

Equipment & Systems in Betrieb genommen. „Bis<br />

zum Mai 2022 ist die Anlage sehr gut gelaufen, mit<br />

über 1.100 Megawattstunden elektrischer Leistung<br />

manche Jahre sogar über unseren Erwartungen“, erklärt<br />

der Betriebsleiter.<br />

„Die Entpackungsmaschine funktioniert gut und die<br />

Substrate lassen sich einfach organisieren.“ In der<br />

Umgebung arbeiten ein Hersteller von Kartoffelchips<br />

sowie eine Firma, die aus rotem Bohnenmus traditionelle<br />

Süßigkeiten herstellt. Zudem gibt es Molkereien<br />

sowie Milchviehbetriebe. „Der Weg über die Biogas-<br />

Anlage ist schneller und kostengünstiger als die Stoffe<br />

zu kompostieren.“<br />

Zudem heizt die Abwärme ein kleines Gewächshaus<br />

mit Tomaten und Salat, die sich besonders im Winter<br />

gut an lokale Supermärkte verkaufen. Trotzdem<br />

ist die Einspeisevergütung für die erzeugte elektrische<br />

Energie die Säule der Finanzierung der Anlage.<br />

Umso ärgerlicher ist eine Betriebsstörung, wie es sie<br />

zwischen Mai und Oktober 2022 gegeben hat. „Wir<br />

hatten zu viel Molke in das Substrat gemischt“, erzählt<br />

Arita Hirotaka offenherzig. Die Folge war eine<br />

Übersäuerung im Fermenter.<br />

„Also mussten wir den Fermenter entleeren, dabei<br />

haben wir auch noch 120 Tonnen Feststoffe herausgeholt<br />

und den Beton mit einer Kunststoffschicht<br />

überzogen, um ihn vor Säureangriff zu schützen“,<br />

114


BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

INTERNATIONAL<br />

Abeno Harukas, mit 300 Metern das höchste<br />

Gebäude Japans. Es befindet sich eine<br />

Biogasanlage im Keller.<br />

blickt Hirotaka zurück. Doch wegen der<br />

auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung<br />

ist er zuversichtlich, dass die Anlage<br />

ihr Geld verdienen wird. Sogar in eine<br />

zweite will die Firma investieren, wegen<br />

der ungesicherten Netzanbindung würde<br />

diese elektrische Energie für den Eigenbedarf<br />

liefern.<br />

Biogasanlage im Hochhaus<br />

Mit Lebensmittelabfällen in der Biogasanlage<br />

kennt Masara Komori sich aus.<br />

„Ich kontrolliere die Anlage jeden Tag.“<br />

Der Leiter für die Haustechnik des mit<br />

300 Metern höchsten Skyscrapers Japans<br />

trägt eine schlichte Krawatte zur<br />

grauen Monteursjacke und eine Hornbrille.<br />

Sein Arbeitsplatz aber, Abeno Harukas<br />

in Downtown Osaka, kann mit einigen<br />

Superlativen aufwarten: Auf den unteren<br />

Stockwerken betreibt die Kette Kintetsu<br />

auf 100.000 Quadratmetern das größte<br />

Kaufhaus Japans, zu dem auch eine gigantische<br />

Lebensmittelabteilung gehört.<br />

Es gibt außerdem 50 Restaurants im Gebäude,<br />

ein Kunstmuseum, eine Bahnstation<br />

sowie Büroflächen auf über 300.000<br />

Quadratmetern. Masara Komori ist einer<br />

von 8.000 Menschen, die in dem Gebäude<br />

arbeiten. Doch im Unterschied zu den<br />

meisten anderen hat er den Schlüssel für<br />

jede Tür. Und der Ingenieur weiß immer,<br />

wo er sich gerade befindet. Zielstrebig<br />

eilt er durch die Gänge der fünf Kellergeschosse,<br />

vorbei an Angestellten, die leicht<br />

vornübergebeugt ratternde Rollwa-<br />

115


INTERNATIONAL<br />

BIOGAS JOURNAL | 2_<strong>2023</strong><br />

Abeno-Harukas-Gebäude: In diesem<br />

Raum werden die organischen<br />

Abfälle aus den rund 50 Restaurants<br />

und die Abfälle der Lebensmittelabteilung<br />

des Kaufhauses zerkleinert.<br />

Im Abeno-Harukas-Gebäude nutzen<br />

einige Restaurants heißes Wasser<br />

aus einem Boiler, der mit Methan<br />

aus der hauseigenen Biogasanlage<br />

betrieben wird. f<br />

Die nächtliche Straßenszene<br />

in Tokio macht unter<br />

anderem deutlich, warum<br />

Japan einen so hohen<br />

Strombedarf hat.<br />

gen voller Waren vor sich her schieben,<br />

zum Treffpunkt der Putzkolonne eilen<br />

oder in lindgrüner Uniform zu ihrem Arbeitsplatz<br />

als Fahrstuhlführerin.<br />

Biogas für den Heißwasserboiler<br />

Unter der Decke schlängelt sich ein weitverzweigtes<br />

Geflecht aus Sprinkleranlagen<br />

und blitzblanken Versorgungsleitungen.<br />

Eine davon gehört zu einem Boiler für<br />

das Heißwasser einiger der Restaurants<br />

im Gebäude. Betrieben wird dieser mit<br />

täglich 60 Kubikmeter Methan aus der<br />

hauseigenen Biogasanlage. Die steht im<br />

dritten Untergeschoss. Nach unzähligen<br />

Stahltüren und vielen Hundert Metern<br />

Flur aus hellem Beton steht Masara Komori<br />

endlich davor.<br />

Nachdem die organischen Abfälle aus<br />

den Restaurants und der Lebensmittelabteilung<br />

des Kaufhauses gesammelt und<br />

zerkleinert worden sind, landen sie hier<br />

in einem 34 Kubikmeter großen Silo, um<br />

mit Wasser vermischt und in die jeweils<br />

106 Kubikmeter großen zwei Fermenter<br />

gepumpt zu werden. Geruchsbelästigungen<br />

vermeidet ein Ozon-Filter. „Im Großen<br />

und Ganzen läuft die Anlage ohne<br />

Probleme, nur manchmal verstopfen Eierschalen<br />

oder sehr faserige Abfälle die<br />

Leitungen und Pumpen. Wir müssen<br />

die Mitarbeiter einfach noch viel besser<br />

schulen“, resümiert Komori.<br />

Die umgerechnet rund 200.000 Euro<br />

teure Anlage wurde zur Hälfte von der<br />

japanischen Regierung finanziert. Das<br />

heiße Wasser ist für die Nutzer kostenlos.<br />

„Wir reduzieren dafür die Abfallmengen<br />

sowie den Methanausstoß“, so<br />

Komori. Zudem bekommt sein Arbeitgeber<br />

jede Menge öffentliche Aufmerksamkeit<br />

für die Biogasanlage in einem<br />

der höchsten Häuser der Welt. Aber das<br />

ist auch in Ordnung. Schließlich zeigen<br />

Masara Komori und sein Team, dass Biogas-Technologie<br />

sehr wohl auch im Urbanen<br />

gut funktionieren kann.<br />

Autor<br />

Klaus Sieg<br />

Freier Journalist<br />

Rothestr. 66 · 22655 Hamburg<br />

01 71/6 39 42 62<br />

klaus@siegtext.de<br />

www.siegtext.de<br />

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