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Irene Dingel: Die Reformation in Gestaltungen und Wirkungen (Leseprobe)

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

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36 Freiheit <strong>und</strong> Verantwortung<br />

1520 wurde Papst Leo X. erneut <strong>in</strong>itiativ. Nach Beratungen an der Kurie lag Ende<br />

April 1520 e<strong>in</strong> Entwurf für e<strong>in</strong>e Bulle gegen Luther vor. <strong>Die</strong>s war die sog.<br />

Bannandrohungsbulle Exsurge Dom<strong>in</strong>e, ausgefertigt am 15. Juni 1520. Sie sah<br />

u. a. die Gefangennahme Luthers <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Auslieferung nach Rom vor <strong>und</strong><br />

stellte die Vernichtung se<strong>in</strong>es gesamten Schrifttums <strong>in</strong> Aussicht, falls er <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>e Anhänger nicht <strong>in</strong>nerhalb von 60 Tagen ihre Positionen widerrufen würden.<br />

7 Jetzt waren die Fronten klar, nicht nur theologisch, sondern auch juristisch,<br />

auch wenn die Exkommunikation Luthers erst mit der Bulle Decet Romanum<br />

Pontificem im Januar 1521 erfolgte. <strong>Die</strong>seZuspitzung des Konflikts mit der Kurie<br />

<strong>in</strong> Rom fiel zusammen mit Luthers Arbeit anse<strong>in</strong>en großen konzeptionellen<br />

Entwürfen e<strong>in</strong>er reformatorischen Theologie. Anders als Melanchthon oder<br />

später Calv<strong>in</strong> fasste er sie nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dogmatik zusammen, sondern brachte<br />

sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Schriften <strong>in</strong> die Öffentlichkeit, die aus der jeweiligen Situation<br />

heraus entstanden <strong>und</strong> meist aktuelle Problematiken aufnahmen. <strong>Die</strong> Nachricht<br />

von dem angedrohten Bannfluch erhielt Luther, während er gerade an se<strong>in</strong>er<br />

Schrift De captivitate Babylonica ecclesiae arbeitete. Wenig später, imOktober<br />

1520, ergab sich e<strong>in</strong> letztes Mal die Gelegenheit zu vermittelnden Gesprächen<br />

zwischen den Fronten. Karl von Miltitz, Notar <strong>und</strong> Kammerjunker an der römischen<br />

Kurie <strong>und</strong> zugleich päpstlicher Nuntius, ließ es sich nicht nehmen, e<strong>in</strong>en<br />

letzten Versuch zu machen, um Luther doch noch mit dem Papst auszusöhnen,<br />

allerd<strong>in</strong>gs vergeblich. 8 Ihre Gespräche – zunächst <strong>in</strong> Liebenwerda, dann noch<br />

7<br />

Zu diesen biographischen Stationen lassen sich e<strong>in</strong>e Fülle von Luther-Biographien<br />

heranziehen. Exemplarisch genannt seien: Mart<strong>in</strong> Brecht, Mart<strong>in</strong> Luther. Se<strong>in</strong> Wegzur<br />

<strong>Reformation</strong>, 1483–1521, Stuttgart 2 1983, Berl<strong>in</strong> 1986, bes. 231–453; Re<strong>in</strong>hard Schwarz,<br />

Luther, <strong>Die</strong> Kirche <strong>in</strong> ihrer Geschichte Lfg. I,3, Gött<strong>in</strong>gen 1986, bes. 56–108, 3., durchges. <strong>und</strong><br />

korr. Aufl. Gött<strong>in</strong>gen 2004; Volker Lepp<strong>in</strong>,Mart<strong>in</strong> Luther, Gestalten des Mittelalters <strong>und</strong> der<br />

Renaissance, Darmstadt 2006, bes. 135–181; He<strong>in</strong>z Schill<strong>in</strong>g,Mart<strong>in</strong> Luther. Rebell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Zeit des Umbruchs, München 2012, bes. 180–236. Außerdem <strong>Irene</strong> <strong>D<strong>in</strong>gel</strong>, <strong>Reformation</strong>.<br />

Zentren – Akteure – Ereignisse, Gött<strong>in</strong>gen 2016, 56–63 <strong>und</strong> dies., Vonder Freiheit e<strong>in</strong>es<br />

Christenmenschen (1520) – Historische <strong>und</strong> theologische Aspekte, <strong>in</strong>: <strong>Irene</strong> <strong>D<strong>in</strong>gel</strong>/Henn<strong>in</strong>g<br />

P. Jürgens (Hrsg.), Meilenste<strong>in</strong>e der <strong>Reformation</strong>. Schlüsseldokumente der frühen<br />

Wirksamkeit Mart<strong>in</strong> Luthers, Gütersloh 2014, 122–131. 266–269. Vgl. auch Robert Kolb,<br />

Luther’s Treatise On Christian Freedom and Its Legacy, Lanham, MD 2019.<br />

8<br />

Schon im September 1518 war Miltitz nach Kursachsen gereist, um dem Kurfürsten mit<br />

der goldenen Tugendrose e<strong>in</strong>e hohe päpstliche Auszeichnung zu überbr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> ihn zugleich<br />

dazu zu bewegen, Maßnahmen gegen Luther zu ergreifen. In diesem Zuge kam es im<br />

Januar 1519 auch zu e<strong>in</strong>er Unterredung zwischen Miltitz <strong>und</strong> Luther, um die sich kirchenrechtlich<br />

ausweitende Kontroverse auf diplomatischem Wege beizulegen. Luther erklärte<br />

sich damals bereit, nicht mehr über den Ablass zu schreiben, vorausgesetzt, dass se<strong>in</strong>e<br />

Gegner ihn auch nicht mehr attackieren würden. Vgl. dazu He<strong>in</strong>rich Theodor Flathe, Art.<br />

Karl von Miltitz, <strong>in</strong>: ADB Bd. 21, 1885, 759–760; Hans-Günther Leder, Ausgleich mit dem<br />

Papst?Luthers Haltung <strong>in</strong> den Verhandlungen mit Miltitz 1520, Berl<strong>in</strong> 1969 =Stuttgart 1969;

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