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Irene Dingel: Die Reformation in Gestaltungen und Wirkungen (Leseprobe)

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

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34 Freiheit <strong>und</strong> Verantwortung<br />

als Willkürfreiheit begriff. »Frei ist, wer tun kann, was er will, <strong>und</strong> daran von<br />

anderen nicht geh<strong>in</strong>dert wird. […] Freiheit ist Unabhängigkeit von äußerlichen<br />

Zwängen.« 2 Aber bereits Mart<strong>in</strong> Luther hatte e<strong>in</strong>en Freiheitsbegriff entwickelt,<br />

der hoch moderne Töne anschlug. <strong>Die</strong>ser Freiheitsbegriff allerd<strong>in</strong>gs g<strong>in</strong>g nicht<br />

vom säkularen Menschen aus, sondern begriff den E<strong>in</strong>zelnen als geistliche <strong>und</strong><br />

zugleich weltliche Existenz, e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schöpfungsordnung. Luther sah<br />

den Menschen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gestellt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung<br />

<strong>und</strong> Verantwortung <strong>und</strong> entwickelte se<strong>in</strong>en Freiheitsbegriff aus diesem<br />

Kontext heraus. Verantwortung aber setzt e<strong>in</strong>er als Willkür verstandenen<br />

Freiheit Grenzen. Darüber heute neu nachzudenken, ist nicht abwegig.<br />

Denn mit se<strong>in</strong>er »Entdeckung« e<strong>in</strong>es christlichen Freiheitsbegriffs gab Luther<br />

nicht nur der Theologie, sondern der europäischen Geistesgeschichte überhaupt<br />

e<strong>in</strong>en nachhaltigen Impuls, auf dem später die Aufklärung aufbauen konnte.Um<br />

zu erhellen, wie es dazu kam, dass Luther im Jahr 1520 begann, ausgerechnet<br />

über das Thema Freiheit nachzudenken, s<strong>in</strong>d die historischen Zusammenhänge<br />

heranzuziehen. Wichtig ist, zunächst e<strong>in</strong>en Blick auf 1520als Entscheidungsjahr<br />

der <strong>Reformation</strong> zuwerfen, <strong>und</strong> sodann die Freiheitsschrift <strong>in</strong>den Kontext der<br />

weiteren großen programmatischen Schriften Luthers e<strong>in</strong>zuordnen, <strong>in</strong> denen die<br />

maßgeblichen Themen der <strong>Reformation</strong> bzw. des evangelischen Glaubens verhandelt<br />

wurden. Erst vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> treten die Aussagen Luthers, die<br />

sich unter den Stichworten »Rechtfertigung als Freiheit – Freiheit als Verantwortung«<br />

zusammenfassen lassen, <strong>in</strong> ihrer nachhaltigen Tragweite recht hervor<br />

<strong>und</strong> lassen sich abschließend mit e<strong>in</strong>er kurzen Perspektive auf ihre Wirkung<br />

auch gegenwartsbezogen e<strong>in</strong>ordnen.<br />

1520 als Entscheidungsjahr der <strong>Reformation</strong><br />

Nachdem im Jahr 2017 das <strong>Reformation</strong>sjubiläum mit zahlreichen Aktivitäten<br />

gefeiert wurde, könnte der E<strong>in</strong>druck entstehen, dass dieses Jahr – 1517 – das für<br />

die <strong>Reformation</strong> eigentlich ausschlaggebende Jahr gewesensei. Das hat auch e<strong>in</strong><br />

gewisses Recht. Denn tatsächlich kann man die 95 Thesen Mart<strong>in</strong> Luthers zu<br />

Recht als Initialzündung für den im Anschluss daran sich entfaltenden reformatorischen,<br />

ganz Europa umspannenden Prozess geltend machen. 3 Das darf<br />

aber nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass das Jahr 1520 e<strong>in</strong>e weitere besondere<br />

Schnittstelle <strong>in</strong> der Entwicklung der <strong>Reformation</strong> darstellte. In diesem Jahr<br />

nämlich umriss Luther mit gleich vier großen reformatorisch ausgerichteten<br />

Schriften se<strong>in</strong> gesamtes theologisches Programm: e<strong>in</strong> Programm, dessen Inhalte<br />

2<br />

So nach Reiß, ebd.<br />

3<br />

Vgl. Mart<strong>in</strong> Luther, Disputatio pro declaratione virtutis <strong>in</strong>dulgentiarum, <strong>in</strong>: WA 1,<br />

229–238.

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