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Irene Dingel: Die Reformation in Gestaltungen und Wirkungen (Leseprobe)

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

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20 Im Umbruch der Zeiten<br />

ordnung festhielten, löste sich Zw<strong>in</strong>gli <strong>in</strong> Zürich auch davon. Er führte die sogenannte<br />

»lectio cont<strong>in</strong>ua«, d. h. die fortlaufende Auslegung der biblischen Bücher<br />

<strong>in</strong> den Gottesdienst e<strong>in</strong>, was man später auch <strong>in</strong> Genf praktizierte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Reformation</strong> hatte also e<strong>in</strong>en Perspektiven- <strong>und</strong> Autoritätenwechsel<br />

vollzogen. Nicht das Papsttum, sondern die Heilige Schriftgalt als oberste Norm.<br />

Dass sich dies auch auf die kirchlichen Strukturen auswirkte, wurde vor allem<br />

durch die Leipziger Disputation von 1519 öffentlich. 15 Eigentlich hatte die Disputation<br />

zwischen dem Ingolstädter Professor Johannes Eck <strong>und</strong> dem Wittenberger<br />

Professor Andreas Bodenste<strong>in</strong> von Karlstadt stattf<strong>in</strong>den sollen. Aber da<br />

sich die von Eck für die Disputation aufgestellten Thesen »contra novam doctr<strong>in</strong>am«,<br />

d. h. gegen die neue Lehre, richteten <strong>und</strong> damit auf die reformatorische<br />

Theologie Luthers zielten, meldete sich dieser natürlich zu Wort. Zur Debatte<br />

stand zunächst der päpstliche Primat, den Eck auf göttliches Recht zurückführte.<br />

Für Luther dagegen, der auf Christus als das Haupt der Kirche verwies, ließen<br />

sich aber weder das Papsttum noch die beanspruchte Vorrangstellung auf e<strong>in</strong> »ius<br />

div<strong>in</strong>um«, e<strong>in</strong> göttliches Recht, das ja <strong>in</strong> der Heiligen Schrift verbürgt se<strong>in</strong><br />

müsste, zurückführen. Für ihn galtensie als Produkte lediglich des menschlichen<br />

Rechts.<strong>Die</strong>se Auffassung hatte weitreichende Konsequenzen. Denn damit wurde<br />

zugleich der verpflichtende bzw. heilsrelevante Charakter zweifelhaft, den man<br />

bisher kirchlichen Geboten oder dem Gehorsam dem Papst gegenüber beigemessenhatte.<br />

Außerdem stellte dies die hierarchische Ämterstrukturder Kirche<br />

<strong>in</strong> Frage, zumal Luther auch die aus göttlichem Recht hergeleitete Höherstellung<br />

des Episkopats bestritt.Selbst der von Eck postulierten Irrtumslosigkeit der<br />

Konzilien widersprach Luther. Für ihn stand fest, dass ke<strong>in</strong>e kirchliche Instanz<br />

etwas für heilsnotwendig erklären könne, wofür e<strong>in</strong>e biblische Begründung<br />

fehlte. Luther hatte also die Autorität von Papst, Episkopat <strong>und</strong> Konzilien <strong>in</strong><br />

Zweifel gezogen <strong>und</strong> ihnen den Primat der Heiligen Schriftentgegengehalten. <strong>Die</strong><br />

wahre Kirche, d. h. die Geme<strong>in</strong>schaft der Heiligen unter dem alle<strong>in</strong>igen Haupt<br />

Christus, war <strong>in</strong> den Augen Luthers unter diesen Strukturen regelrecht <strong>in</strong> Gefangenschaft<br />

geraten.<br />

<strong>Die</strong>se Gefangenschaft betraf <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Sakramente, mit Hilfe derer<br />

die Kirchebzw. ihre Amtsträger – nach altem Verständnis – Heil vermittelten. <strong>Die</strong><br />

<strong>Reformation</strong> aber verlangte, auch das Sakramentsverständnis an der Heiligen<br />

Schriftzuüberprüfen.Luther tat dies zunächst nurvor dem Forum der Gelehrten,<br />

nämlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er late<strong>in</strong>ischen Schrift, die später zu den großen reformatorischen<br />

Programmschriften gerechnet wurde: De captivitate Babylonica ecclesiae. Prae-<br />

15<br />

Vgl. dazu <strong>D<strong>in</strong>gel</strong>, <strong>Reformation</strong> (s. Anm. 5), 54–56; Arnold, Luther (s. Anm. 10), 159–<br />

164; <strong>Irene</strong> <strong>D<strong>in</strong>gel</strong>, <strong>Die</strong> Leipziger Disputation 1519 <strong>in</strong> ihrem historischen Kontext. Verfahren<br />

– Realisierung – Wirkung, <strong>in</strong>: Markus He<strong>in</strong>/Arm<strong>in</strong> Kohnle (Hrsg.), <strong>Die</strong> Leipziger Disputation<br />

von 1519. E<strong>in</strong> theologisches Streitgespräch <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Bedeutung für die frühe<br />

<strong>Reformation</strong>, HerChr.S 25, Leipzig 2019, 9–24.

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