Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

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D4 Szenisches Spiel Die Bedeutung der Weltbezüge liegt in der Verbreiterung des expliziten Wahrnehmungspotenzials der Akteure. Während im naiven Verständnis von szenischem Spiel nur die Handlungen in den Blick gerückt werden, erweitert sich der Horizont der bewussten Wahrnehmung und Beschreibung der Szenerie durch die Differenzierung in Weltbezüge: Erlebnisse, Handlungen, Lebenswelten bilden die Realitätsbereiche einer szenischen Kommunikation ab. Da Präsentations- und Imaginations-Szene verschmelzen und eine Rezeptionsform bilden, können wir unsere Subjektivität nicht ausschalten. Anstatt sie aber zu verleugnen, können wir sie als Erkenntnismittel benutzen, um über die Subjektivität nicht bloß die beobachtbaren Handlungen zu erkennen, sondern ebenso die nur über unsere eigenen Erlebnisse zugänglichen Erlebnisse der anderen. Damit hätten wir einen Erkenntnisgewinn, der allerdings um den Anteil des bloß Subjektiven noch zu bereinigen wäre. Damit das Illusionsarrangement im szenischen Spiel wirkt, müssen alle drei Weltbezüge sichtbar (gemacht) werden. Mithilfe dieser Weltbezüge lassen sich auch die Inszenierungen beurteilen: Wie und in welchem Maße werden Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten in die Präsentation aufgenommen? Welche präsentativen und diskursiven Symbolisierungen werden inszeniert? Wie kann dieses Geflecht von Weltbezügen und Symbolisierungen die Imaginationen anregen? In welcher Wechselwirkung bewegen sich Figur und Person in den drei Welten? 3.4 Rezeptions- und Produktionsorientierung der szenischen Kommunikation: Verstehen und Gestalten Die triadisch angelegte szenische Kommunikation kann unterschiedlich rezipiert werden. Zunächst einmal versuchen die Zuschauer das Gesehene und Gehörte zu verstehen, die Erlebnisse, die Handlungen, die Lebenswelten. Welche Handlungen spielen die Protagonisten, wie werden diese erlebt und was erfährt man dabei über die Lebenswelten der Figuren? Und auch die Protagonisten versuchen sich in die Figur einzufühlen, deren Erlebnisse, Handlungen und wie diese beiden in die Lebenswelten eingebettet sind. Alle Akteure rezipieren das Spielgeschehen unter einem analytischen Aspekt des Verstehens (analytische Dimension). Gleichzeitig – und das lässt sich vom ersten Aspekt nicht trennen – beobachten die Zuschauer wie das Geschehen gestaltet ist, wie die Erlebnisse, Handlungen, Lebenswelten von den Protagonisten im Spiel realisiert werden. Der Applaus hängt zum großen Teil von der Art der Gestaltung der Szenerie durch die Protagonisten ab. Und die Protagonisten bemühen sich die Weltbezüge so darzustellen, dass diese gut inszeniert und ästhetisch befriedigend gestaltet sind. Alle Akteure rezipieren das Spielgeschehen auch unter dem ästhetischen Aspekt des Gestaltens 302

303 Jürgen Belgrad (ästhetische Dimension) (Zu den Aspekten Verstehen und Gestalten als Grundkategorien der Literaturdidaktik vgl. Belgrad, 1996). Dabei kann das Verstehen eher als rezeptionsorientiert und das Gestalten eher als produktionsorientiert beschrieben werden, wobei die Protagonisten eher produktionsorientiert und die Zuschauer eher rezeptionsorientiert handeln. Insgesamt lässt sich das gesamte triadische Szenenarrangement nach den beiden Dimensionen ‚Verstehen’ und ‚Gestalten’ beurteilen: Welche Verstehensprozesse werden durch die Arrangements der Protagonisten initiiert? (z. B. Improvisationsspiel zu prototypischen Konfliktlösungen). Und welche Gestaltungsprozesse ermöglichen das Verstehen der Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten in der dargestellten Szenerie? (Statuen bauen im Textspiel oder Mitspielformen durch eine Art von Zirkusbühne). 3.5 Elementare Spielformen der szenischen Kommunikation: Situationsspiele und Textspiele – Rollenspiele und darstellende Spiele Alle Spielformen des szenischen Spiels erfassen zu wollen, würde einen eigenen Artikel notwendig machen. Hier sollen die basalen Unterschiede der Spielformen gezeigt werden, anhand derer die Unterscheidung der jeweils konkret anzutreffenden Spielform möglich wird. Gemeinhin wird eine Grobunterteilung in „Konfliktrollenspiel“ und „literarisches Rollenspiel“ vorgenommen (Abraham, 2008, 81ff.). Dieses zweidimensionale Modell vermengt aber prinzipielle Differenzen. Stattdessen soll ein vierdimensionales Modell vorgeschlagen werden. Bei den KMK-Bildungsstandards wird Mündlichkeit bei „szenisch spielen“ als Teil von „Sprechen und Zuhören“ in zwei Bereiche gegliedert: 1. „eigene Erlebnisse, Haltungen, Situationen szenisch darstellen“ und 2. „Texte (medial unterschiedlich vermittelt) szenisch gestalten“ (2004, 11). Für die ersten Spielformen soll der Ausdruck Situationsspiele verwendet werden, da Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten situationsbasiert in Szene gesetzt werden. Hierzu zählen alle Formen, die situationsorientiert, Konflikte und Konstellationen mehr oder weniger frei improvisierend, ohne Textvorlage gespielt werden (z. B. das Improvisationstheater von Keith Johnstone). Für die zweite Form soll der Ausdruck Textspiele verwendet werden, da Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten textbasiert in Szene gesetzt werden. Grundlage dabei sind Textvorlagen, die unverändert bzw. mehr oder weniger stark verändert gespielt werden (z. B. Szenencollagen basierend auf literarischen oder sonstigen Textformen). Situations- und Textspiele bilden die Pole auf einer kontinuierlichen horizontalen Achse. So lassen sich Zwischenformen bestimmen, die sowohl situations- als auch textbasiert sind (z. B. die improvisierte Szenencollage zu einem literarischen Text).

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<strong>Jürgen</strong> <strong>Belgrad</strong><br />

(ästhetische Dimension) (Zu den Aspekten Verstehen und Gestalten als<br />

Grundkategorien der Literaturdidaktik vgl. <strong>Belgrad</strong>, 1996).<br />

Dabei kann das Verstehen eher als rezeptionsorientiert und das Gestalten<br />

eher als produktionsorientiert beschrieben werden, wobei die Protagonisten<br />

eher produktionsorientiert und die Zuschauer eher rezeptionsorientiert<br />

handeln. Insgesamt lässt sich das gesamte triadische Szenenarrangement<br />

nach den beiden Dimensionen ‚Verstehen’ und ‚Gestalten’ beurteilen:<br />

Welche Verstehensprozesse werden durch die Arrangements der<br />

Protagonisten initiiert? (z. B. Improvisationsspiel zu prototypischen<br />

Konfliktlösungen). Und welche Gestaltungsprozesse ermöglichen das<br />

Verstehen der Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten in der dargestellten<br />

Szenerie? (Statuen bauen im Textspiel oder Mitspielformen durch eine Art<br />

von Zirkusbühne).<br />

3.5 Elementare <strong>Spiel</strong>formen der szenischen Kommunikation:<br />

Situationsspiele und Textspiele – Rollenspiele und darstellende<br />

<strong>Spiel</strong>e<br />

Alle <strong>Spiel</strong>formen des szenischen <strong>Spiel</strong>s erfassen zu wollen, würde einen<br />

eigenen Artikel notwendig machen. Hier sollen die basalen Unterschiede der<br />

<strong>Spiel</strong>formen gezeigt werden, anhand derer die Unterscheidung der jeweils<br />

konkret anzutreffenden <strong>Spiel</strong>form möglich wird. Gemeinhin wird eine<br />

Grobunterteilung in „Konfliktrollenspiel“ und „literarisches Rollenspiel“<br />

vorgenommen (Abraham, 2008, 81ff.). Dieses zweidimensionale Modell<br />

vermengt aber prinzipielle Differenzen. Stattdessen soll ein<br />

vierdimensionales Modell vorgeschlagen werden.<br />

Bei den KMK-Bildungsstandards wird Mündlichkeit bei „szenisch spielen“<br />

als Teil von „Sprechen und Zuhören“ in zwei Bereiche gegliedert: 1. „eigene<br />

Erlebnisse, Haltungen, Situationen szenisch darstellen“ und 2. „Texte<br />

(medial unterschiedlich vermittelt) szenisch gestalten“ (2004, 11). Für die<br />

ersten <strong>Spiel</strong>formen soll der Ausdruck Situationsspiele verwendet werden, da<br />

Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten situationsbasiert in Szene gesetzt<br />

werden. Hierzu zählen alle Formen, die situationsorientiert, Konflikte und<br />

Konstellationen mehr oder weniger frei improvisierend, ohne Textvorlage<br />

gespielt werden (z. B. das Improvisationstheater von Keith Johnstone). Für<br />

die zweite Form soll der Ausdruck Textspiele verwendet werden, da<br />

Erlebnisse, Handlungen und Lebenswelten textbasiert in Szene gesetzt<br />

werden. Grundlage dabei sind Textvorlagen, die unverändert bzw. mehr oder<br />

weniger stark verändert gespielt werden (z. B. Szenencollagen basierend auf<br />

literarischen oder sonstigen Textformen). Situations- und Textspiele bilden<br />

die Pole auf einer kontinuierlichen horizontalen Achse. So lassen sich<br />

Zwischenformen bestimmen, die sowohl situations- als auch textbasiert sind<br />

(z. B. die improvisierte Szenencollage zu einem literarischen Text).

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