Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

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D4 Szenisches Spiel Figur, sondern auf die Person, wenn diese die Figur gut darstellt. Auch hier dominieren präsentative Symbolformen (Applaus, Buh-/Bravorufe usw.). Diskursive Symbolisierungen finden eher in anschließenden Gesprächsformen über die gesehenen Szenen oder auch in einer Art institutionalisierter Aufführungskritik statt. In der eigentümlichen Form der szenischen Kommunikation reagiert der Hauptadressat, der Zuschauer, auf der Handlungsebene zurückhaltender, auf der Erlebnisebene aber stärker. Bei den Protagonisten, den Hauptakteuren, die doch alles nur wegen der Zuschauer spielen, dreht sich dieses Verhältnis um. Die in der Präsentations- oder auch bloß in der Imaginations-Szene enthaltenen Angebote von Lebensentwürfen werden indirekt zur Diskussion gestellt. Der Zuschauer kann aus der reflexiven Distanz die Folgen des Probehandelns der Protagonisten verfolgen und damit Folgen eigener Lebensentwürfe vergleichend betrachten, diese akzeptieren, modifizieren oder ablehnen. Szenische Kommunikation erlaubt in der Verschränkung von Symbolverschachtelungen präsentativer und diskursiver Symbole Bildungsprozesse in Form von Identitätsbildungen aller Mitglieder der szenischen Triade. Hier liegen Potenziale von szenischen Lernarrangements durch eine Intensivierung präsentativer Symbolisierungen, z. B. durch eine Verstärkung körperliche Spielanteile, eine Unterstützung mithilfe von Requisiten, sowie visueller oder akustischer Formen usw. 3.3 Realitätsbereiche der szenischen Kommunikation: Erlebnisse, Handlungen, Lebenswelten In freier Annäherung an Habermas lässt sich die triadische Spiel-Szene in unterschiedliche Realitätsbereiche gliedern. In diesen werden unterschiedliche Weltbezüge thematisiert (1981, 83ff.). Zunächst kann man die Innenwelt (subjektive Welt) von der Außenwelt (soziale Welt) abgrenzen. Diese wiederum lässt sich in die intersubjektive Welt der Beziehungen und die soziale Welt der Kultur und Gesellschaft differenzieren. Dabei sind die Realitätsbezüge der Protagonisten (Figur/Person) und den Zuschauern (Figur/Person) in der Imaginations-Szene zu unterscheiden, auch wenn die Präsentations-Szene die gleiche ist. Erlebnisse (subjektive Welt der Expressionen): Die Beobachtung der Handlungen der Protagonisten lösen beim Zuschauer, aber auch bei den Protagonisten, Gefühle aus. Die Reaktion der Zuschauer, z. B. Beifall, lösen wiederum Erlebnisse bei den Protagonisten aus, z. B. eine erhöhte Spiellust. Die Erlebnisse und die daraus wieder folgenden Handlungen aller Mitglieder der szenischen Triade befeuern die Imaginations- und die Präsentationsprozesse aller. Bei den Protagonisten entstehen während der Präsentation oft Hochgefühle, ein Erlebnis, das wahrscheinlich den Rausch- Spielen von Caillois sehr nahe kommt (1982, 32). Diese besondere 300

301 Jürgen Belgrad Erlebnisqualität (immer mehr bei den Protagonisten als bei den Zuschauern) macht die Faszination des szenischen Spielens aus, weil sie den Erlebnissen des Alltags einerseits stark gleichen, zugleich aber vielfältig darüber hinausgehen (vgl. hierzu die Katharsis-These von Aristoteles, 1982,19). Figur und Person agieren in und reagieren ebenso auf aktuelle und wiederkehrende Erlebnisformen (z. B. Erlebnisschablonen). Handlungen (intersubjektive Welt der Beziehungen): Die Protagonisten interagieren untereinander, die Zuschauer ebenfalls und sie reagieren auf die Protagonisten und diese auch mäßig auf die Zuschauer. Es sind beobachtbare Handlungen. Die Beteiligten interagieren in ihrer Intersubjektivität und bilden und verändern ihre Beziehungen (Person/Figur): Dabei entwickeln sie sowohl aktuelle Verhaltensweisen als auch bestimmte Muster von Interaktionen (z. B. Handlungsklischees). Die Zuschauer sehen die Handlung (Präsentation) und stellen sie sich gleichzeitig vor (Imagination). Die Geschichte wird in der Imagination weiter erzählt, und zwar sowohl von den Zuschauern als auch von den Protagonisten. Meist wissen diese, wie sich die Interaktion entwickeln wird. Aber auch sie erproben in ihren Imaginationen alternative Handlungs- und Beziehungsmöglichkeiten. Lebenswelten (soziale Welt der Kultur und Gesellschaft): Die Handlungen und Erlebnisse sind eingebettet in inszenierte soziale und kulturelle Milieus mit bestimmten Strukturen. Obwohl Luckmann und Schütz (vgl. 2003) den Ausdruck „Lebenswelt“ für die intersubjektive Situation der Alltagswelt benutzen, soll er hier für die inszenierte Situation einer vorgestellten Alltagswelt verwendet werden. Die Strukturen der Lebenswelt sind die Strukturen der Interaktionen und der beteiligten Subjekte. Über diese Strukturen von Erlebnissen und Handlungen hinaus können sowohl aktuelle als auch übergreifende gruppenspezifische, kulturelle oder auch gesellschaftliche Muster identifiziert werden, in deren sozialen Räumen die Subjekte handeln (z. B. verfestigte Lebensweltstrukturen). Da die Strukturen darin enthalten, aber für Protagonisten wie Zuschauer kaum sichtbar sind, z. B. andeutungsweise durch Requisiten oder Kulissen, sondern imaginiert werden müssen, agiert die „Lebenswelt“ in der prekären Zwischenstellung zwischen Alltagswelt und gesellschaftlichen Strukturen. Die Bandbreite bewegt sich zwischen alltäglichen bis hin zu besonders fiktionalen (z. B. bei Phantasy-Szenarien) Lebenswelten, von gruppenspezifischen Mustern bis hin zu gesellschaftlich überformenden Strukturen. Auch wenn diese im szenischen Spiel oft nur rudimentär präsentiert werden (können), spielen sie in der Imagination der Spieler ein große Rolle: Die Protagonisten können nur gut spielen, wenn die Imagination ihrer Lebenswelt gut funktioniert und die Zuschauer können das Illusionsangebot der Protagonisten nur annehmen, wenn diese die Imaginationen stark anregen.

D4 <strong>Szenisches</strong> <strong>Spiel</strong><br />

Figur, sondern auf die Person, wenn diese die Figur gut darstellt. Auch hier<br />

dominieren präsentative Symbolformen (Applaus, Buh-/Bravorufe usw.).<br />

Diskursive Symbolisierungen finden eher in anschließenden<br />

Gesprächsformen über die gesehenen Szenen oder auch in einer Art<br />

institutionalisierter Aufführungskritik statt. In der eigentümlichen Form der<br />

szenischen Kommunikation reagiert der Hauptadressat, der Zuschauer, auf<br />

der Handlungsebene zurückhaltender, auf der Erlebnisebene aber stärker.<br />

Bei den Protagonisten, den Hauptakteuren, die doch alles nur wegen der<br />

Zuschauer spielen, dreht sich dieses Verhältnis um. Die in der Präsentations-<br />

oder auch bloß in der Imaginations-Szene enthaltenen Angebote von<br />

Lebensentwürfen werden indirekt zur Diskussion gestellt. Der Zuschauer<br />

kann aus der reflexiven Distanz die Folgen des Probehandelns der<br />

Protagonisten verfolgen und damit Folgen eigener Lebensentwürfe<br />

vergleichend betrachten, diese akzeptieren, modifizieren oder ablehnen.<br />

Szenische Kommunikation erlaubt in der Verschränkung von<br />

Symbolverschachtelungen präsentativer und diskursiver Symbole<br />

Bildungsprozesse in Form von Identitätsbildungen aller Mitglieder der<br />

szenischen Triade. Hier liegen Potenziale von szenischen Lernarrangements<br />

durch eine Intensivierung präsentativer Symbolisierungen, z. B. durch eine<br />

Verstärkung körperliche <strong>Spiel</strong>anteile, eine Unterstützung mithilfe von<br />

Requisiten, sowie visueller oder akustischer Formen usw.<br />

3.3 Realitätsbereiche der szenischen Kommunikation: Erlebnisse,<br />

Handlungen, Lebenswelten<br />

In freier Annäherung an Habermas lässt sich die triadische <strong>Spiel</strong>-Szene in<br />

unterschiedliche Realitätsbereiche gliedern. In diesen werden<br />

unterschiedliche Weltbezüge thematisiert (1981, 83ff.). Zunächst kann man<br />

die Innenwelt (subjektive Welt) von der Außenwelt (soziale Welt) abgrenzen.<br />

Diese wiederum lässt sich in die intersubjektive Welt der Beziehungen und<br />

die soziale Welt der Kultur und Gesellschaft differenzieren. Dabei sind die<br />

Realitätsbezüge der Protagonisten (Figur/Person) und den Zuschauern<br />

(Figur/Person) in der Imaginations-Szene zu unterscheiden, auch wenn die<br />

Präsentations-Szene die gleiche ist.<br />

Erlebnisse (subjektive Welt der Expressionen): Die Beobachtung der<br />

Handlungen der Protagonisten lösen beim Zuschauer, aber auch bei den<br />

Protagonisten, Gefühle aus. Die Reaktion der Zuschauer, z. B. Beifall, lösen<br />

wiederum Erlebnisse bei den Protagonisten aus, z. B. eine erhöhte <strong>Spiel</strong>lust.<br />

Die Erlebnisse und die daraus wieder folgenden Handlungen aller Mitglieder<br />

der szenischen Triade befeuern die Imaginations- und die<br />

Präsentationsprozesse aller. Bei den Protagonisten entstehen während der<br />

Präsentation oft Hochgefühle, ein Erlebnis, das wahrscheinlich den Rausch-<br />

<strong>Spiel</strong>en von Caillois sehr nahe kommt (1982, 32). Diese besondere<br />

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