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Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

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<strong>Jürgen</strong> <strong>Belgrad</strong><br />

Protagonisten erleben die Szene direkter und unmittelbarer, auch leiblicher,<br />

wenn auch inszenierter. Die Zuschauer erleben die Szene distanzierter,<br />

weniger inszeniert, dafür jedoch stärker illusionsgeladen.<br />

3.2 Diskursive und präsentative Symbolisierungen<br />

Im szenischen <strong>Spiel</strong> klassifizieren wir, ebenso wie in der<br />

Alltagskommunikation, normalerweise „verbale“ und „nonverbale“<br />

Ausdrucksformen (vgl. zu den prinzipiellen Differenzen Fiehler, B 1, v. a.<br />

Abschn. 6.). Bei der Inszenierung im <strong>Spiel</strong> kommt es darüber hinaus zu einer<br />

verstärkten symbolischen Vermittlung der szenischen Kommunikation. Denn<br />

die Sprache, die Stimme, die Körperhaltungen, Gestik, Mimik usw.<br />

produzieren Sinn, haben also Bedeutungen, die entzifferbar sind. In diesem<br />

allgemeinen Sinn sind sie Symbole (vgl. Lorenzer, 1981, 30,230). Und diese<br />

Symbole lassen sich in zwei unterschiedliche Symbolsysteme differenzieren,<br />

die unterschiedliche Rezeptionen aufweisen und die in der traditionellen<br />

Unterscheidung von verbalen und nonverbalen Zeichen nicht enthalten sind.<br />

Den verbalen Zeichen korrespondieren die diskursiven Symbole, die wir<br />

nach und nach wie Wäschestücke an einer Wäscheleine, also sequentiell<br />

rezipieren (vgl. dazu und zum Folgenden Langer, 1992, 86ff, bes. 103ff.).<br />

Körpersprachliche Zeichen (Mimik, Gestik, Bewegungen, Körperfiguren)<br />

rezipieren wir gleichzeitig, also simultan. Es sind präsentative Symbole.<br />

Während diskursive Symbole durch das Nadelöhr der sequentiellen<br />

Wahrnehmung erst langsam hindurch müssen, werden die präsentativen<br />

Symbole schneller rezipiert, da sie simultan wahrgenommen werden. In<br />

dieser Zeitdifferenz des Verstehens werden auf der Folie der präsentativen<br />

Symbole die diskursiven interpretiert. Jene verstärken oder unterminieren<br />

den sprachlichen Ausdruck. Zugleich vertrauen wir den präsentativen mehr<br />

als den diskursiven, weil diese nicht so bewusst beeinflussbar und<br />

manipulierbar sind. Die Zeitdifferenz wird zu einer Gewichtungsdifferenz.<br />

Wenn Faust Gretchen im Kerker seine Liebe verbal bezeugt, reagiert<br />

Gretchen nicht auf diese diskursiven Symbolisierungen, sondern auf die<br />

präsentativen. Sie bezweifelt seine Liebe, weil er sie nicht küsst. Für das<br />

szenische <strong>Spiel</strong> ist diese Gewichtungs- und Rezeptionsdifferenz zentral, weil<br />

damit der Schwerpunkt der textlichen oder improvisierten Inszenierung sich<br />

in Richtung der präsentativen Symbolisierung verlegt. Die verkürzte<br />

Interaktionszeit im <strong>Spiel</strong> braucht schnell wahrnehmbare Indikatoren:<br />

Körpersignale werden vor Sprachsignalen wahrgenommen (vgl. dazu Bertolt<br />

Brecht, 1964, 80f: „…die Sprache sollte ganz dem Gestus der sprechenden<br />

Person folgen.“). Diese Rezeptionsdifferenzen betreffen vor allem die<br />

Zuschauer und weniger die Protagonisten, da diese den Vorgang ja nur<br />

spielen, während die Zuschauer die sequentielle und simultane Rezeption als<br />

real erleben. Die Reaktion der Zuschauer richtet sich aber nicht auf die

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