Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel

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26.12.2012 Aufrufe

D4 Szenisches Spiel Zuschauer, die dabei keiner alltagsweltlichen Handlungslogik, sondern einer inszenierten, dramaturgisierten folgen; inszeniert, weil die Protagonisten in der Szene etwas zeigen, zu verdeutlichen versuchen, um Verstehensprozesse zu inszenieren und/oder um auf bestimmte Gestaltungsprozesse aufmerksam zu machen. Die Kommunikation ist eine intendierte, auch wenn sie improvisiert ist; sie ist eine vorstrukturierte Kommunikation. Diese kann selbstverständlich auch Teile schriftlicher Kommunikation enthalten, sie ist aber immer konzeptionell mündlich. „Szenisches Spiel“ lässt sich demzufolge als inszeniertes Simulationsspiel zwischen den Protagonisten A und B fassen, die so tun, als ob sie ausschließlich für sich, die aber tatsächlich für den Zuschauer Z interagieren. Alle beteiligten Akteure, also alle Spieler bilden die triadische Szenenkonstellation und halten sich im Regelfall an den Fiktionsvertrag. 3 Kategorien der szenischen Kommunikation 3.1 Repräsentierte und imaginierte Szene Im szenischen Kommunikationsmodell können wir dargestellte, d. h. präsentierte Szenen beobachten. Gleichzeitig machen sich Protagonisten und Zuschauer ein Bild von der Szene, in die sie eigene Vorstellungen, ihre eigenen Erfahrungen usw. projizieren, d. h. sie imaginieren wie beim Leseprozess zusätzliche Fantasien und Bilder zu den präsentierten (vgl. Iser, 1994, 253ff.). Wir haben zwei Szenenkonstellationen: einmal die Präsentations-Szene, welche die Handlungen beobachtbar in der Szene zeigt und zum anderen die Imaginations-Szene, die die Handlungen mit eigenen Vorstellungsgebilden vermengt, ja im Extremfall sich sogar gänzlich von der beobachtbaren Handlung in einer Art Tagtraum davon lösen kann und eigene Fantasieprodukte schöpft (vgl. dazu Freud, 1969). Wichtig dabei ist, das hat uns die Rezeptionsästhetik gezeigt, dass wir über die rezipierte Szene nur in Annäherungen etwas sagen können (s. o.). Zudem sind die Imaginationsvorgänge nur zum Teil bewusst und nur zum Teil versprachlichbar. Aber wir könnten die Imaginationen als (veränderte) Präsentationen in der Schule szenisch spielen lassen und uns so jenen nähern. Die Imaginations-Szene ist kein Abbild der Repräsentations-Szene, sondern deren Assoziationsgrundlage. Beide Szenen decken sich nicht, korrespondieren aber miteinander. Damit verknüpft sich die Wahrnehmung des szenischen Spiels zutiefst mit der Subjektivität. Statt von „Wahrnehmungen“ müsste man von Rezeptionsformen des präsentierten szenischen Spiels in den Imaginations-Szenen sprechen. Geprägt sind diese subjektiven Rezeptionsformen sowohl durch individuelle als auch soziale Muster. Dabei differieren die Imaginationen der Protagonisten und die der Zuschauer, obwohl die Präsentations-Szene die gleiche ist. Die 298

299 Jürgen Belgrad Protagonisten erleben die Szene direkter und unmittelbarer, auch leiblicher, wenn auch inszenierter. Die Zuschauer erleben die Szene distanzierter, weniger inszeniert, dafür jedoch stärker illusionsgeladen. 3.2 Diskursive und präsentative Symbolisierungen Im szenischen Spiel klassifizieren wir, ebenso wie in der Alltagskommunikation, normalerweise „verbale“ und „nonverbale“ Ausdrucksformen (vgl. zu den prinzipiellen Differenzen Fiehler, B 1, v. a. Abschn. 6.). Bei der Inszenierung im Spiel kommt es darüber hinaus zu einer verstärkten symbolischen Vermittlung der szenischen Kommunikation. Denn die Sprache, die Stimme, die Körperhaltungen, Gestik, Mimik usw. produzieren Sinn, haben also Bedeutungen, die entzifferbar sind. In diesem allgemeinen Sinn sind sie Symbole (vgl. Lorenzer, 1981, 30,230). Und diese Symbole lassen sich in zwei unterschiedliche Symbolsysteme differenzieren, die unterschiedliche Rezeptionen aufweisen und die in der traditionellen Unterscheidung von verbalen und nonverbalen Zeichen nicht enthalten sind. Den verbalen Zeichen korrespondieren die diskursiven Symbole, die wir nach und nach wie Wäschestücke an einer Wäscheleine, also sequentiell rezipieren (vgl. dazu und zum Folgenden Langer, 1992, 86ff, bes. 103ff.). Körpersprachliche Zeichen (Mimik, Gestik, Bewegungen, Körperfiguren) rezipieren wir gleichzeitig, also simultan. Es sind präsentative Symbole. Während diskursive Symbole durch das Nadelöhr der sequentiellen Wahrnehmung erst langsam hindurch müssen, werden die präsentativen Symbole schneller rezipiert, da sie simultan wahrgenommen werden. In dieser Zeitdifferenz des Verstehens werden auf der Folie der präsentativen Symbole die diskursiven interpretiert. Jene verstärken oder unterminieren den sprachlichen Ausdruck. Zugleich vertrauen wir den präsentativen mehr als den diskursiven, weil diese nicht so bewusst beeinflussbar und manipulierbar sind. Die Zeitdifferenz wird zu einer Gewichtungsdifferenz. Wenn Faust Gretchen im Kerker seine Liebe verbal bezeugt, reagiert Gretchen nicht auf diese diskursiven Symbolisierungen, sondern auf die präsentativen. Sie bezweifelt seine Liebe, weil er sie nicht küsst. Für das szenische Spiel ist diese Gewichtungs- und Rezeptionsdifferenz zentral, weil damit der Schwerpunkt der textlichen oder improvisierten Inszenierung sich in Richtung der präsentativen Symbolisierung verlegt. Die verkürzte Interaktionszeit im Spiel braucht schnell wahrnehmbare Indikatoren: Körpersignale werden vor Sprachsignalen wahrgenommen (vgl. dazu Bertolt Brecht, 1964, 80f: „…die Sprache sollte ganz dem Gestus der sprechenden Person folgen.“). Diese Rezeptionsdifferenzen betreffen vor allem die Zuschauer und weniger die Protagonisten, da diese den Vorgang ja nur spielen, während die Zuschauer die sequentielle und simultane Rezeption als real erleben. Die Reaktion der Zuschauer richtet sich aber nicht auf die

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Zuschauer, die dabei keiner alltagsweltlichen Handlungslogik, sondern einer<br />

inszenierten, dramaturgisierten folgen; inszeniert, weil die Protagonisten in<br />

der Szene etwas zeigen, zu verdeutlichen versuchen, um Verstehensprozesse<br />

zu inszenieren und/oder um auf bestimmte Gestaltungsprozesse aufmerksam<br />

zu machen. Die Kommunikation ist eine intendierte, auch wenn sie<br />

improvisiert ist; sie ist eine vorstrukturierte Kommunikation. Diese kann<br />

selbstverständlich auch Teile schriftlicher Kommunikation enthalten, sie ist<br />

aber immer konzeptionell mündlich.<br />

„<strong>Szenisches</strong> <strong>Spiel</strong>“ lässt sich demzufolge als inszeniertes Simulationsspiel<br />

zwischen den Protagonisten A und B fassen, die so tun, als ob sie<br />

ausschließlich für sich, die aber tatsächlich für den Zuschauer Z interagieren.<br />

Alle beteiligten Akteure, also alle <strong>Spiel</strong>er bilden die triadische<br />

Szenenkonstellation und halten sich im Regelfall an den Fiktionsvertrag.<br />

3 Kategorien der szenischen Kommunikation<br />

3.1 Repräsentierte und imaginierte Szene<br />

Im szenischen Kommunikationsmodell können wir dargestellte, d. h.<br />

präsentierte Szenen beobachten. Gleichzeitig machen sich Protagonisten und<br />

Zuschauer ein Bild von der Szene, in die sie eigene Vorstellungen, ihre<br />

eigenen Erfahrungen usw. projizieren, d. h. sie imaginieren wie beim<br />

Leseprozess zusätzliche Fantasien und Bilder zu den präsentierten (vgl. Iser,<br />

1994, 253ff.). Wir haben zwei Szenenkonstellationen: einmal die<br />

Präsentations-Szene, welche die Handlungen beobachtbar in der Szene zeigt<br />

und zum anderen die Imaginations-Szene, die die Handlungen mit eigenen<br />

Vorstellungsgebilden vermengt, ja im Extremfall sich sogar gänzlich von der<br />

beobachtbaren Handlung in einer Art Tagtraum davon lösen kann und eigene<br />

Fantasieprodukte schöpft (vgl. dazu Freud, 1969).<br />

Wichtig dabei ist, das hat uns die Rezeptionsästhetik gezeigt, dass wir über<br />

die rezipierte Szene nur in Annäherungen etwas sagen können (s. o.). Zudem<br />

sind die Imaginationsvorgänge nur zum Teil bewusst und nur zum Teil<br />

versprachlichbar. Aber wir könnten die Imaginationen als (veränderte)<br />

Präsentationen in der Schule szenisch spielen lassen und uns so jenen<br />

nähern. Die Imaginations-Szene ist kein Abbild der Repräsentations-Szene,<br />

sondern deren Assoziationsgrundlage. Beide Szenen decken sich nicht,<br />

korrespondieren aber miteinander. Damit verknüpft sich die Wahrnehmung<br />

des szenischen <strong>Spiel</strong>s zutiefst mit der Subjektivität. Statt von<br />

„Wahrnehmungen“ müsste man von Rezeptionsformen des präsentierten<br />

szenischen <strong>Spiel</strong>s in den Imaginations-Szenen sprechen. Geprägt sind diese<br />

subjektiven Rezeptionsformen sowohl durch individuelle als auch soziale<br />

Muster. Dabei differieren die Imaginationen der Protagonisten und die der<br />

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