Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel
Jürgen Belgrad D 4 Szenisches Spiel
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D4 <strong>Szenisches</strong> <strong>Spiel</strong><br />
Hentschel 2007, 219ff.). Zum einen agieren die Protagonisten des <strong>Spiel</strong>s in<br />
dieser Doppelperspektive. Unter dem Schutz der Rolle werden Erprobungen<br />
von Teilen unterschiedlicher Lebensentwürfe möglich, die sonst eher<br />
unwahrscheinlich wären oder in utopische Ferne rückten. Darin steckt ein<br />
nicht zu unterschätzendes Potenzial. Aber die Beschreibung der szenischen<br />
Kommunikation griffe zu kurz, würde nicht die dritte Figur, der Zuschauer,<br />
mit einbezogen. Auch dieser teilt sich seinen Part als Rollenspieler (Figur)<br />
einer bestimmten Zuschauerhandlung, z. B. als aktiver Zuhörer eines<br />
szenischen <strong>Spiel</strong>s zu einer Textvorlage und als Subjekte (Person) dieses von<br />
ihm geschätzten Textes oder eines Improvisationsspiels. Dabei handeln die<br />
Protagonisten (Figuren/Personen) so, als ob sie für sich interagieren, in<br />
Wirklichkeit aber agieren sie für den Zuschauer (Figur/Person). Auf ihn sind<br />
alle Handlungen und Ausdrucksformen gerichtet. Die <strong>Spiel</strong>er verhalten sich<br />
so, als ob der Zuschauer nicht vorhanden wäre, achten aber peinlich genau<br />
darauf, dass sie sehr gut verstanden werden und positionieren sich so, dass<br />
sowohl ihre Sprache wie auch ihre Körpersprache die größtmöglichste<br />
Wirkung auf die Zuschauer und weniger auf den angesprochenen<br />
Interaktionspartner ausüben kann. Die Körpersprache lässt sich als<br />
„überstrukturiert“, überbetont, ja als fast artifiziell bezeichnen, weil ihre<br />
Wirkung das Sprechen verstärken soll. Sprechen, Zuhören, szenisches<br />
<strong>Spiel</strong>en in der Verklammerung von Verbal- und Körpersprache sind die<br />
maßgeblichen Konstituenten dieser mündlichen Kommunikation (vgl.<br />
<strong>Belgrad</strong> u. a., 2008, 20ff.) (vgl. Abb. 1).<br />
Die Zuschauer wiederum verhalten sich reaktiv (z. B. Beifall), hören aber<br />
aktiv zu. Nur bei Mitspielformen greifen die Zuschauer direkt in die<br />
Handlung ein (z. B. beim Forumtheater von Augusto Boal). Es ist genau die<br />
Hinzufügung des dritten Parts, der dieses Kommunikationsmodell von der<br />
Alltagskommunikation unterscheidet. In der schulischen Praxis wechseln die<br />
Parts der <strong>Spiel</strong>er ständig. Wer in der einen Szene noch Protagonist A war, ist<br />
in der nächsten vielleicht schon Zuschauer Z und umgekehrt. Auch insofern<br />
ist diese Triade konstitutiv für das szenische <strong>Spiel</strong>. In der <strong>Spiel</strong>-Szene<br />
interagieren alle Beteiligten, alle <strong>Spiel</strong>er, nicht nur die Protagonisten.<br />
2 <strong>Spiel</strong> und Szene<br />
Roger Caillois unterscheidet vier <strong>Spiel</strong>formen: 1. Wettkampfspiele, 2.<br />
Glücksspiele, 3. Verkleidungsspiele und 4. Rauschspiele (1982, 18 ff, bes.<br />
27ff.). Die Verkleidungsspiele kommen dem szenischen <strong>Spiel</strong> am nächsten;<br />
insofern wird der <strong>Spiel</strong>begriff nur unter diesem besonderen Gesichtspunkt<br />
betrachtet (Ausführlich finden sich die unterschiedlichen <strong>Spiel</strong>begriffe bei<br />
Anz, 1998, 33ff und bei Scheuerl, 1991. Zur Unmöglichkeit einer genauen<br />
<strong>Spiel</strong>definition vgl. Anz, 1998, 47 und zur Auflösung scheinbarer<br />
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