Vinschgerwind_Ausgabe_5-23
Zeitung Vinschgerwind 5-23 vom 09.03.2023 Bezirk Vinschgau Südtirol - Stellenmarkt, Immobilien, Haus, Wohnung, Kaufen, verkaufen, mieten, vermieten, Glückwünsche, Danksagung, Todesanzeigen, Weiterbildung, Termine
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28 /KULTUR/Vinschgerwind 5-23 09.03.23
Tschenglser Alm 1985
Noch liegt Schnee auf der Tschenglser
Hochwand, weiß schimmert er durch die
Bretterfugen, verwandelt das Kreuz in eine
Monstranz mit nach oben weisenden Sonnenstrahlen.
Der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang
Goethe war ein eifriger Spaziergänger;
dabei träumte er von Götterbildern
nach griechisch-antiker Art. Aber den barocken,
oft blutüberströmten, katholischen
Kreuzigungen versuchte er auszuweichen.
Das mit Brettern verschalte Kreuz ist ein
geschützter Ort, eine Stube, ein Besinnungsraum.
Beim Durchatmen wird Heiliges
sichtbar. Wohin führt der Weg oder
wie hoch ist der Übergang?
Ein Sonnenstrahl fällt auf den gekreuzigten
Jesus, Wärme steigt über den Körper bis
zum Herz. Was hätte der Dichterfürst dazu
gesagt?Was hat sich der Hirte beim Schnitzen
dieses Kreuzes gedacht?
Der Winter weicht dem Frühjahr, schon
sprießt frisches Gras vor dem Viehstall,
dem „Pfarrer“. Mit dem Lattenzaun wird
Ordnung in die Bewegung des Almviehes
gebracht. Die Alm ist ein Ort mit strengen
Regeln, denen sich auch der Hirtenhund
unterwerfen muss.
Imo
Einmal gingen wir vom Glieshof, von
Matsch aus durch das Ramudeltal über
die 2988 Meter hohe Rappenscharte nach
Schlandraun. Auf die Kortscher Alm.
Begleitet wurden wir von einem Berliner
Journalisten, der wenig Bergerfahrung
hatte. Deshalb wollte er genau wissen,
wo wir uns befänden, wie der Weg weiterführen
würde. Es war nämlich „kilb“,
also nebelig: wir erkannten kaum die uns
Vorausgehenden. Ob ich wüsste, wie der
Weg aussehen wird? Ob er denn durchgängig
markiert wäre, wie lange der Aufstieg
dauern würde? Er fragte besorgt, zumal die
Wetterprognose nur düsteren Regen meldete.
Aber das stimmt gar nicht, der Berliner
fragte überhaupt nichts, er zeigte sich
auch nicht ängstlich. Auch nicht nachdem
ich zugeben musste, dass ich den Weg nie
gemacht habe und dass ich die dafür erforderliche
Zeit nur schätzen könne.
Auch er vertraute dem Schäferhund Imo.
Der „watzelte“ glücklich und geschickt
durch den aus losen Gesteinstrümmern
sich abzeichnenden Steig und hielt sich im
Tempo an unsere Schritte. Sein dunkles,
halblanges Haarfell wirkte warm und beruhigend.
Was würde der Arthur Schopenhauer dazu
bemerken? Er hatte anfangs mit seinen philosophischen
Schriften wenig Erfolg. Erst
durch seine „Aphorismen zur Lebensweisheit“
fand er die erhoffte Breitenwirkung.
Und darin ging er ganz neue Wege. Er entdeckte
als neuen Wert die Verpflichtung
des Menschen zum Tierschutz, „wer gegen
Tiere grausam ist, kann kein guter Mensch
sein“.
Der keltische Personenname Arthur wird
vom Wort artos, der Bär, abgeleitet. Das
dürfte den Philosophen nur nebenbei interessiert
haben; viel wichtiger war ihm das
Verhältnis von Herr und Hund und alles,
was mit Tierliebe zu tun hat.
Damit wird ein Gebiet eröffnet, das in die
Gegenwart greift und am besten mit einer
Hunde- oder Katzengeschichte beginnen
könnte.
Tyras
Mit diesem Namen wird an die jahrhundertalte
Reichsgründung und an den
preußischen Politiker Bismarck erinnert.
Diesem Tyras „dem Reichshund“, dem riesigen,
fast kalbsgroßen Ungeheuer, gehörte
meine ganze Liebe. Sein Tod - er wurde
wahrscheinlich vergiftet - bewirkte in mir,
dem Neunjärigen, eine religiöse Vertrau-
enskrise. Das Jenseits kam ins Wanken,
sofern es nicht gesichert war, ob ich dort
dem Tyras wieder begegnen würde. Das
Jenseits als Ort oder Zustand für allerhand
Hoffnungen?
Schopenhauer war ein früher Vordenker
für die Rechte der Tiere. Für tierpsychologische
Schlüsse, also für ein „Bestiarium“
wichtig aber ist die Herkunft der Vorfahren.
Welche Erbanlagen sammeln sich in der
Verbindung von Wolf und Spitz?
Was spricht Schopenhauer mit seinem
Hund? Wilhelm Busch zeichnete den Philosophen
mit dem modisch geschorenen
Pudel, dem sein Herr gerade einen Vortrag
hält und niemand zweifelt daran, dass der
Hund alles versteht.
Das Moirile
Ein Kater mit schwarzweiß geflecktem
Fell. Und weil das Schwarz überwog, wurde
er zum „Moirile“. Verwöhnt durch zwei
Frauen, meiner Mutter und Tante Elisabeth
war er vor allem faul. Auch für die Erfüllung
leiblicher Bedürfnisse verließ er nicht den
warmen Platz, er räckelte sich genüsslich,
kroch zum Ofenrand und ließ die Notdurft
einfach in die Tiefe fallen. Wärmeliebend
erkletterte er wieder den Ruheplatz, die
oberste Ebene, wobei er sich wie eine Manschette
um das warme Ofenrohr wickelte.
Dabei ist er auch eingeschlafen. Bis die Hitze
unerträglich wurde und die versengten
Haare des Felles zu stinken begannen.
Während Imo, der Führer, treue und fleißige
Hirtenhund durchaus als Vorbild
dienen konnte, wurde das Moirile zum bequemen
Schimpfwort. Für zwei Mädchen
einer befreundeten Familie, denen ich die
Geschichte vom faulen Kater erzählte. Sie
benutzten den Namen, um sich gegenseitig
zu beschimpfen: „Du Moirile du!“
Hans Wielander