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Vinschgerwind_Ausgabe_5-23

Zeitung Vinschgerwind 5-23 vom 09.03.2023 Bezirk Vinschgau Südtirol - Stellenmarkt, Immobilien, Haus, Wohnung, Kaufen, verkaufen, mieten, vermieten, Glückwünsche, Danksagung, Todesanzeigen, Weiterbildung, Termine

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09.03.23 Vinschgerwind 5-23 /MENSCHEN/ 17

„In di Luftschutzkeller isches

furchtbor gwesn“

Eine Südtiroler Siedlung bei Salzburg war von 1938 bis 1945 Lydias Zuhause. Sie war drei Jahre alt,

als sie dorthin kam. Ihr Vater war von den faschistischen Arbeitgebern aus dem Laaser Marmorwerk

vertrieben worden und mit der Frau und den zwei kleinen Kindern auswandert.

von Magdalena Dietl Sapelza

Lydias Vater fand sofort

Arbeit in den „Salzburger

Marmorwerken“, bis er in

den Krieg ziehen musste. Die

Mutter verdiente sich etwas mit

Näharbeiten. In der Siedlung

fühlte sich Lydia wohl. Schrecklich

war für sie jedoch der Bombenalarm

und die Enge in den

überfüllten Luftschutzkellern.

Noch heute riecht sie den modrig

feuchten Geruch. „In di Luftschutzkeller

isches furchtbor

gwesn“, sagt sie. Die Gedanken

daran machen es ihr heute noch

schwer, durch ein Tunell zu fahren

oder auch nur in den Keller

zu gehen. Ein Schock für sie war

die Nachricht, dass ihr Vater vermisst

sei. Im Frühjahr 1945 entschied

die Mutter mit ihren Kindern

- inzwischen waren es drei

- nach Laas zurückzukehren. Im

Lastwagen auf holpriger Straße

hielt sich Lydia an ihrer Puppe

fest. Von Reschen ging’s zu Fuß

weiter bis Schluderns und dann

mit einem Ziehwagen nach

Laas. Unterschlupf bot dort eine

Tante. Die Mutter schlug sich

mit Gelegenheitsarbeiten durch.

Lydia fühlte sich in der Schulklasse

gemobbt. „Dia woaß nit

amol wo Eyrs isch“, diese verächtlichen

Worte der Lehrerin

schmerzten. Italienisch war ihr

fremd, und sie war tieftraurig,

nachdem sie von „Sehr gut“ in

Salzburg auf „Genügend“ herabgestuft

worden war. „Di Frau fan

Italienischlehrer hot miar norr

fescht gholfn“, betont sie. Die

Ungewissheit um das Schicksal

des Vaters lag wie ein Schatten

über der Familie. Die erlösende

Nachricht kam mit einem Brief

aus Amerika. Er lebte. Er arbeitete

dort als Gefangener bei

Waldarbeiten, und es ging ihm

gut. Es folgten weitere Brief. Im

August 1945 konnte Lydia ihren

Vater in die Arme schließen.

Lydia Grassl Kaufmann, geb. 1936, Laas. Das Holzkästchen, das ihr

Vater im August 1945 aus seiner Gefangenschaft in Amerika mitgebracht

hatte, hütet sie sorgsam, genauso wie seine Briefe.

„Norr hon i gwisst, iatz kimmt a

bessere Zeit“, erklärt sie. Mit im

Gepäck hatte er eine Holzschatulle,

auf der er die Namen seiner

drei Kinder eingeritzt hatte.

Später kamen noch zwei Kinder

dazu. Beherzt förderte er alle.

Lydia schaffte es sogar, Klassen

zu überspringen. Nach der Mittelschule

bei den „Englischen“

in Meran besuchte sie dort die

LBA. Als Lehrerin begann sie

in Katharinaberg, kam dann

nach Tabland und Allitz. Auf

dem Fußweg dorthin begleitete

sie gelegentlich der Steinmetz

Franz Kaufmann (Jg. 1928), den

sie 1957 heiratete. „Er isch gonz

a liabr Mensch gwesn“, betont

sie. Ihre nächste Stelle erhielt sie

in Goldrain zugewiesen. Inzwischen

war sie Mutter geworden.

Da die Mutterschafts-Auszeit

begrenzt war, kam sie nicht umhin,

das Kind im Puppenwagen

in die Schule mitzunehmen.

Ein Hausmeister warf ein Auge

darauf. Dann kam sie endlich

in die Schule nach Laas. Inzwischen

war sie Mutter von drei

Kindern geworden. Nach einer

Pause von 10 Jahren kamen

noch zwei Nachzügler dazu und

ein Pflegekind. Lydia gab ihr Be-

Foto: Magdalena Dietl Sapelza

stes als Mutter und als Lehrerin.

Auch beim Bau des Eigenheimes

half sie tatkräftig mit. „Miar sein

grennt unt hobm bugglt, obr olz

isch gongen“, sagt sie.

Ein großes Anliegen war ihr

stets die Förderung lernschwacher

Kinder. Von der damaligen

Landesrätin Gebert Deeg ließ sie

sich dazu bewegen, für den Gemeinderat

zu kandidieren. Als

erste Frau im Laaser Gemeinderat

kämpfte Lydia für die Errichtung

der Werkstatt für Menschen

mit Behinderungen im

„Doktorhaus“, die später nach

Tschengls übersiedelte. Im Verwaltungsrat

des Schlanderser

Krankenhauses setzte sie sich

für die Rechte der Frauen ein.

Und sie gründete den Laaser

Seniorenclub. „Miar hobm a tolle

Gruppe kopp“, schwärmt sie.

Deis isch für miar di scheanste

Zeit gwesn.“ Mit dem Erlös von

Bastelarbeiten konnte beispielsweise

die Kirchenorgel mitfinanziert

werden. Nachdem ihre

Mutter einen Schlaganfall erlitten

hatte und ihre Hilfe benötigte,

gab Lydia die Leitung im Seniorenclub

ab. Später kümmerte

sie sich auch liebevoll um ihren

Mann, bis dieser 2017 starb.

Heute pflegt sie ihren Garten,

schreibt Begebenheiten aus ihrem

Leben auf, ordnet die persönlichen

Dokumente, die sie

aufbewahrt hat, darunter auch

die Briefe ihres Vaters. Inzwischen

hat sich ein wertvoller Erinnerungsschatz

angesammelt.

Und Frau Lydia liest gerne. „Als

Kindr hobm miar koane Bücher

kopp“, meint sie.

Im vergangenen Jahr besuchte

sie die Siedlung, in der

sie einst gelebt hatte. Sie fand

das Gebäude noch so vor, wie

es einst war. „Obr kurz drnoch

hobm si olz ogrissn“, erklärt

sie. Die Siedlung ist zwar verschwunden,

doch ihre Erinnerungen

daran bleiben lebendig.

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