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160_StadtBILD_November_2016

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Erich Wilke an der Orgel


Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

im <strong>November</strong> gedenken wir unserer Verstorbenen,<br />

am staatlichen Volkstrauertag der Kriegstoten, ein<br />

Wochenende danach auch unserer Angehörigen und<br />

Weggefährten, die nicht mehr unter uns sind, wohl<br />

aber in unseren dankbaren Erinnerungen fortleben.<br />

Das wiederholt sich Jahr für Jahr, aber wer es über<br />

viele Jahrzehnte mit erlebt hat, stellt nun bekümmert<br />

fest, wie dieses Gedenken verflacht und im hektischen<br />

Getriebe des städtischen Alltags zu einer flüchtigen<br />

Pflichtübung ohne innere Anteilnahme verflacht.<br />

Für uns als letzte Zeitzeugen des II. Weltkrieges ist<br />

es besonders schmerzlich, daß die nachfolgenden<br />

Generationen insbesondere mit dem Volkstrauertag<br />

nichts Rechtes anzufangen wissen. Unser bedrückender<br />

Kriegsalltag bedeutete Gefallenenanzeigen in der<br />

Tageszeitung, die Briefe an die Familien von der Front<br />

mit der Nachricht über den Soldatentod eines nahen<br />

Angehörigen, den Kummer vieler Mitschüler über den<br />

Verlust der Väter und Brüder. Als der Krieg uns einholte,<br />

erlebte man Bombenangriffe, Gefechtslärm,<br />

sah Trümmer und Besetzung mit neuen Todesopfern<br />

unter der Zivilbevölkerung. Unter dem Besatzungsregime<br />

gab es Todesgedenken mit Reden und Kränzen<br />

für die Sieger. Den deutschen Opfern an den Kriegsfronten,<br />

in den Trümmerwüsten an der Heimfront<br />

und den Todesopfern bei Flucht und Vertreibung galt<br />

kein offizielles Gedenken, sondern nur anmaßende<br />

Schuldzuweisung. Aber in vielen Wohnungen hingen<br />

noch die Fotos der gefallenen Angehörigen in Wehrmachtsuniformen<br />

mit einem schwarzen Samtband<br />

über der oberen rechten Ecke des Bilderrahmens, und<br />

beim Familientreffen kam die Rede auf alle, die man<br />

nun schmerzlich vermißte. Die letzten Kriegsereignisse<br />

hier vor Ort liegen nun über 70 Jahre zurück. Generationen<br />

erlebten das Glück, ohne eigene Kriegserfahrungen<br />

ihren Lebensweg gestalten zu können.<br />

Die Jugend, durch das Internet und Handysucht ohnehin<br />

der Wirklichkeit entrückt, erblickt gelegentlich<br />

im Fernsehen zufällig nur für Sekunden Bilder von<br />

Trümmerstädten und Kinderelend fernab in der weiten<br />

Welt. Höchstens in den Landgemeinden, wo man<br />

auf dem Friedhof oder nahe der Kirche Gedenksteine<br />

mit den Namen der Gefallenen aus dem Ort (im gepflegten<br />

Zustand) findet, entdeckt dieser oder jener<br />

Namen seiner Vorfahren. Warum ging man früher<br />

anders mit diesem Erbe um? Im Gegensatz zu heute<br />

hatten Ehe und Familie einen hohen Stellenwert. So<br />

trauerte man in Kriegszeiten und danach gemeinsam<br />

um Väter, Brüder, Söhne und hielt ihr Andenken in<br />

Ehren. Langjährig stabile Betriebsbelegschaften trauerten<br />

um ihre Arbeitskollegen, Vereine (Schützen,<br />

Sportvereine, Traditionsverbände) um ihre Mitglieder,<br />

widmeten ihnen Ehrentafeln in Veröffentlichungen,<br />

Gedenktafeln an ihren früheren Wirkungsstätten.<br />

Nun ist der Volkstrauertag ein staatlicher Feiertag,<br />

gilt für alle Bürger, unabhängig von der politischen<br />

Orientierung. Er ist auch verbindlich für die staatlichen<br />

Schulen und deren Lehrer, für die Geistlichkeit<br />

und die Presse. Seit 25 Jahren nehme ich an den Gedenkfeiern<br />

am Volkstrauertag in Görlitz teil, zu denen<br />

nur noch wenige Zeitzeugen und Behördenvertreter<br />

kommen, aber keine Jugendlichen, keine Lehrer mit<br />

ihren Schülern. Das anmaßende und einschüchternde<br />

Gezeter gegen „Rassismus“, Nationalbewußtsein,<br />

Volk und Vaterland zeigt auch hier seine bösen Früchte.<br />

Man trauert im kleineren Kreise, nicht an offiziellen<br />

Gedenkorten, um sich vor Verdächtigungen abzuschirmen.<br />

Schade. Dennoch: Im vorigen Jahr brachte<br />

Pfarrer Ammer seine beiden Enkel mit, die aus den<br />

Tagebuchaufzeichnungen 1945 von Görlitzer Pastoren<br />

auf bewegende Weise vorlasen. Hoffen wir also<br />

für dieses Jahr! Am 12. <strong>November</strong> beginnt um 14 Uhr<br />

am Krematorium die traditionelle Friedhofsführung zu<br />

Kriegsgräbern und am 13. <strong>November</strong>, dem Volkstrauertag,<br />

das Gedenken wie immer um 11 Uhr an der<br />

Stele am Ständehaus. Dort treffen Sie auch<br />

Ihren Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


Erich<br />

Kirchenmusiker<br />

Wilke<br />

Erich Wilke 80 Jahre –<br />

Kürzlich erfuhr man aus der Tagespresse,<br />

daß wieder der traditionelle<br />

„Meridian des Ehrenamtes“<br />

durch die Stadt Görlitz<br />

an verdiente Bürger verliehen<br />

wird. Unter den Preisträgern<br />

finden wir auch Erich Wilke, der<br />

dieser Tage seinen 80. Geburtstag<br />

begehen kann. Sein Lebenslauf<br />

liest sich wie eine Chronik<br />

Görlitzer Musikgeschichte über<br />

ein halbes Jahrhundert hinweg<br />

und erfüllt uns mit Respekt und<br />

Dankbarkeit für eine außergewöhnliche<br />

Lebensleistung, die<br />

auch das Ansehen von Görlitz<br />

als Kulturzentrum maßgeblich<br />

mit formte.<br />

Erich Wilke stammt aus der<br />

Mark Brandenburg. Am 16. <strong>November</strong><br />

1936 wurde er in Kienitz,<br />

Kreis Seelow, geboren.<br />

Einen Abschnitt seiner Kindheit<br />

verbrachte er in Sternberg östlich<br />

der Oder, wo er 1943 mit<br />

dem Schulunterricht begann.<br />

(Nur wenige Kilometer von dort<br />

Als Student der Kirchenmusikschule in Görlitz um 1957<br />

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4<br />

Geschichte


Erich<br />

Kirche und<br />

Wilke<br />

Stadt verdanken ihm viel<br />

Mit Kurrende der Dreifaltigkeitskirche, 1976<br />

entfernt war ich selbst drei Jahre davor<br />

Schulanfänger geworden.) Ende Januar<br />

1945 mußte er vor der nahenden Front<br />

flüchten, zunächst nach Berlin, dann<br />

nach Mecklenburg-Vorpommern, von wo<br />

er 1946 nach Kienitz zurückkehrte und<br />

den Schulbesuch mit dem 8. Schuljahr<br />

abschloß. Nach dem Besuch der Proseminars<br />

Dahme und des Hauptseminars<br />

folgte die Ausbildung an der Kirchenmusikschule<br />

Görlitz unter Landeskirchenmusikdirektor<br />

Horst Schneider. Unter seinen<br />

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Geschichte<br />

5


Erich<br />

Kirchenmusiker<br />

Wilke<br />

Erich Wilke 80 Jahre –<br />

Neue Orgel der Lutherkirche von der Firma Jehmlich, 1986<br />

Lehrern waren auch Martha<br />

Bartling (Klavier) und Kurt Richter<br />

(Musikgeschichte). Diesen<br />

Bildungsabschnitt beendete er<br />

als Kantorkatechet. Zunächst arbeitete<br />

er in Großräschen. Mit Erfolg<br />

bewarb er sich um die freie<br />

Stelle als Kantor an der Dreifaltigkeitskirche<br />

in Görlitz, wo er<br />

von 1950 bis 1988 die Gottesdienste<br />

begleitete und zahlreiche<br />

Konzerte an der Orgel und mit<br />

dem Kirchenchor veranstaltete.<br />

1963 wurde er Kreiskantor und<br />

übernahm 1971/1972 zusätzlich<br />

die Kantorstelle an der Lutherkirche.<br />

Er arbeitete nun gleichzeitig<br />

mit zwei Kirchenchören<br />

und an zwei Kirchenorgeln. Zugleich<br />

wurde er zum Dozenten<br />

an die Kirchenmusikschule berufen.<br />

An den zwei Kirchen kümmerte<br />

er sich um die Kurrende<br />

und Kinderchöre, um rechtzeitig<br />

musikalischen Nachwuchs zu<br />

entdecken. Die Dienstzeit an der<br />

Lutherkirche dauerte von 1972<br />

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6<br />

Geschichte


Erich<br />

Kirche und<br />

Wilke<br />

Stadt verdanken ihm viel<br />

Chorfahrt nach Israel<br />

bis 1998. 1972 entstand der ökumenische<br />

Chor aus den Chören der evangelischen<br />

Lutherkirche und der katholischen<br />

Kirche St. Jakobus (unter Karl Jonkisch).<br />

Gemeinsame Auftritte gab es zum Katholikentag<br />

1987 in Dresden und bei einer<br />

Italienfahrt nach Assisi, Florenz und Rom<br />

und 2000 in der Partnerstadt Amiens.<br />

Ein unvergeßlicher Höhepunkt waren die<br />

Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag von<br />

Martin Luther 1983, als auch der Neuguß<br />

des Lutherdenkmals eingeweiht wurde.<br />

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Geschichte<br />

7


Erich<br />

Kirchenmusiker<br />

Wilke<br />

Erich Wilke 80 Jahre –<br />

Erich Wilke dirigiert<br />

Im gleichen Jahr erhielt Erich<br />

Wilke den Titel Kirchenmusikdirektor.<br />

Zwischen 1985 und 2005<br />

gab es in Prag fünf Chorkonzerte<br />

mit den Chören der Lutherkirche<br />

und der Dreifaltigkeitskirche und<br />

1989 ein Orgelkonzert. Konzerte<br />

in Jever und Oldenburg folgten<br />

im gleichen Jahr. Von 1994 bis<br />

1999 war Wilke Landeskirchenmusikdirektor.<br />

Die Kontakte<br />

vervielfältigten sich 1990 mit<br />

Orgel- und Chorkonzerten (Lutherkirchchor),<br />

so in Wiesbaden,<br />

Bad Zwischenahr, Breslau,<br />

Bratislava, Ujazd, Kirche Wang,<br />

Schweidnitz, Jauer, Jablonec und<br />

Liberec. 1997 und 2000 folgten<br />

Chorfahrten nach Israel. Für<br />

Gottesdienste und Konzerte war<br />

es ein Gewinn, daß am 6. April<br />

1986 die neue Lutherkirch-Orgel<br />

der Firma Jehmlich in Betrieb<br />

genommen werden konnte.<br />

Ein herausragendes Erlebnis<br />

für Erich Wilke war die Teilnahme<br />

an der Generalaudienz von<br />

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8 Geschichte


Erich<br />

Kirche und<br />

Wilke<br />

Stadt verdanken ihm viel<br />

Papst Johannes Paul II. bedankt sich beim Görlitzer Chor und Erich Wilke, 1998<br />

Papst Johannes Paul auf dem Petersplatz<br />

in Rom. Spontan dazu aufgefordert, sang<br />

der ökumenische Chor (auf der Fahrt begleitet<br />

durch den Görlitzer Bischof Müller)<br />

vor 15000 Audienzteilnehmern, worauf<br />

der Papst zu den Sängern aus Görlitz<br />

kam und sich bedankte, auch bei Erich<br />

Wilke als einem der Chorleiter.<br />

Obwohl er bereits 1999 offiziell in den<br />

Ruhestand versetzt wurde, hat er auch<br />

als Rentner bei vielen Gelegenheiten<br />

seine Aktivitäten fortgesetzt, nun ehren-<br />

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Geschichte<br />

9


Erich<br />

Kirchenmusiker<br />

Wilke<br />

Erich Wilke 80 Jahre –<br />

Verabschiedung in den Ruhestand durch Bischof Wollenweber, 1999<br />

amtlich, wie es viele seines Alters<br />

in den unterschiedlichsten<br />

Bereichen zum Nutzen der Gesellschaft<br />

tun. Fast täglich kann<br />

man ihn an seiner Lutherkirch-<br />

Orgel antreffen, wo er übt oder<br />

neue Orgelliteratur ausprobiert.<br />

In der klassischen Kirchenmusik<br />

bestens bewandert, verschloß<br />

er sich auch nicht dem<br />

zeitgenössischen Schaffen der<br />

Komponisten. So kann nun Erich<br />

Wilke auf Jahrzehnte erfolgreichen<br />

Schaffens in und für Görlitz<br />

zurückblicken. Er hat nicht nur<br />

als Chorleiter und Organist das<br />

Zusammenleben in der evangelischen<br />

Innenstadtgemeinde<br />

wesentlich mit geprägt und das<br />

Musikschaffen in Görlitz vorangebracht.<br />

(Ich erinnere mich<br />

gern daran, wie er 1996 im Festkomitee<br />

des 27. Schlesischen<br />

Musikfestes mitwirkte, um die<br />

ehrwürdige, fast verschüttete<br />

Tradition wieder zu beleben.) Auf<br />

vielfältige Weise hat er den Ruf<br />

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10<br />

Geschichte


Erich<br />

Kirche und<br />

Wilke<br />

Stadt verdanken ihm viel<br />

Fernseh-Gottesdienst in der Lutherkirche, Erich Wilke auf seiner Orgel-Empore (rechts oben), 2001<br />

der Stadt Görlitz über die Landesgrenze<br />

hinausgetragen und so die Annäherung<br />

und Verständigung der Völker befördert.<br />

Die Görlitzer Musikfreunde wissen es zu<br />

schätzen. Gemeinsam mit seiner Ehrenfrau<br />

Ingrid, geborene Wollstadt, kann er<br />

an seinem 80. Geburtstag drei Kinder und<br />

acht Enkel um sich versammeln. Verlag<br />

und Leser von ‚‘<strong>StadtBILD</strong>‘‘ reihen sich<br />

ein in die große Schar der Gratulanten.<br />

Danke, Erich Wilke!<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte<br />

11


Günther Friedländer<br />

Friedländer<br />

–<br />

Mitte September erschienen mehrere<br />

Zeitungsmitteilungen, die die deutsche<br />

Öffentlichkeit darüber informierten, dass<br />

am 14. September <strong>2016</strong> in Jerusalem ein<br />

Platz nach Günther Friedländer benannt<br />

wurde. Diese Meldung stieß besonders<br />

in Görlitz auf reges Interesse. Denn Günther<br />

Friedländer war ein bekannter Görlitzer<br />

Apotheker, der in den 30er Jahren<br />

des vorigen Jahrhunderts die damalige<br />

Kronen-Apotheke (heute Paracelsus-Apotheke)<br />

an der Görlitzer Bismarckstraße<br />

führte. Und jeder Görlitzer, ja jeder Europäer<br />

kennt heute den Namen der Firma,<br />

die Günther Friedländer gründete, den<br />

weltweit operierende Pharmakonzern<br />

TEVA, dem in Deutschland die bekannte<br />

Marke Ratiopharm gehört.<br />

Doch wie kamen die Jerusalemer Stadtväter<br />

jetzt darauf, einen Innenstadtplatz<br />

in Jerusalem nach Günther Friedländer<br />

zu benennen?<br />

Günther Friedländer wurde 1902 im<br />

schlesischen Königshütte (heute Chorzów<br />

Woiwodschaft Schlesien) als Sohn eines<br />

wohlhabenden jüdischen Schuhfabrikanten<br />

geboren. Wer heute im ehemaligen<br />

Königshütte jedoch nach dem Namen<br />

Günther Friedländer sucht, wird dort<br />

vergeblich suchen. Selbst in dem ellenlangen<br />

Verzeichnis bekannter Persönlichkeiten<br />

aus dem ehemaligen Königshütte<br />

sucht man ihn bis heute vergebens.<br />

Was zeichnete also Günther Friedländer<br />

derart aus, dass ihn die israelische<br />

Hauptstadt kürzlich so ehrte?<br />

Nach dem Abitur absolvierte Friedländer<br />

ein Pharmaziestudium an der Universität<br />

Breslau. Bereits während des Studiums<br />

beschäftigte er sich mit den Plänen zum<br />

Aufbau von Erez Israel und war in der<br />

zionistischen Jugendbewegung „Blau-<br />

Weiß“ sowie im „Kartell jüdischer Verbindungen“<br />

aktiv. Anfang der zwanziger<br />

Jahre besuchte Friedländer als junger<br />

Pharmaziestudent eine zionistische Jugendtagung<br />

in Dresden. Dort eröffnete<br />

sich ihm mit seinem Wiener Cousin Dr.<br />

Kurt Grunwald, einem Volkswirtschaftler,<br />

die Möglichkeit, ein pharmazeutisches<br />

Laboratorium aufzubauen. Zeitgleich rief<br />

der Chemiker und Präsident des Zionistischen<br />

Weltkongresses, der spätere israelische<br />

Staatspräsident Chaim Weizmann,<br />

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12<br />

Geschichte


Günther<br />

ein Pharma-Pionier<br />

Friedländer<br />

aus Görlitz in Jerusalem<br />

Günther Friedländer in seiner Apotheke<br />

den versammelten Studenten<br />

zu: „Bereitet Euch in Eurem Beruf<br />

auf Erez Israel vor! Wir werden<br />

Fachleute für eine verarbeitende<br />

Industrie brauchen!“<br />

In seine Breslauer Studentenzeit<br />

fällt auch eine Anfrage Friedländers<br />

nach dem natürlichen<br />

Vorkommen von Arzneipflanzen<br />

in Palästina. Diese wurde im<br />

Februar 1924 von „Acricultural<br />

Experiment Station Tel Aviv“<br />

des „Palestine Zionist Executive“<br />

auch ausführlich dahingehend<br />

beantwortet, dass man<br />

bedaure, auf seine konkreten<br />

Fragen keine detaillierten Auskünfte<br />

geben zu können, da der<br />

Schwerpunkt der wissenschaftlichen<br />

Bemühungen vorwiegend<br />

auf den Anbau und die Ertragssteigerung<br />

landwirtschaftlicher<br />

Produkte bisher liegen müsse.<br />

Man empfahl ihm aber, wegen<br />

der Anpflanzung und der Zucht<br />

von Arzneipflanzen sich mit dem<br />

Institutsdirektor Professor Otto<br />

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Geschichte<br />

13


Günther Friedländer<br />

Friedländer<br />

–<br />

Warburg in Berlin in Verbindung zu setzen.<br />

Friedländer ging nach seinem Studium<br />

von Breslau nach Bern und promovierte<br />

dort bei dem Pharmakognosten Professor<br />

Alexander Tschirsch (1856-1939)<br />

zum Doktor der Pharmazie, ein heute in<br />

Deutschland nicht mehr gebräuchlicher<br />

Titel. Nach seiner Promotion ging er<br />

zurück nach Breslau und arbeitete von<br />

1928 – 1929 als Assistent am dortigen<br />

pharmazeutischen Institut. Der Schwerpunkt<br />

seiner Arbeit lag in dieser Zeit bei<br />

der „Untersuchung und Wertanalyse von<br />

Fetten, Ölen, Pflanzendrogen gemäß<br />

dem Deutschen Arzneibuch“.<br />

Zwischenzeitlich fällt auch seine Heirat<br />

mit der Tochter des bekannten Juristen<br />

und Dichters Paul Mühsam aus Görlitz.<br />

In dieser Zeit erreichte ihn auch der Ruf<br />

seiner Tante Else Kober, die im Jahre<br />

1883 gegründete „Kronen-Apotheke“<br />

seines im 1. Weltkrieg gefallenen Onkels,<br />

die heutige Paracelsus-Apotheke,<br />

Bismarkstraße 2, in Görlitz, zu übernehmen.<br />

Hier experimentierte und forschte<br />

er weiter und übernahm 1931 von der<br />

Goda AG, Breslau, die Lizenz, auch in<br />

Görlitz deren Arzneien herzustellen und<br />

zu vertreiben. Nach der Wahl Adolf Hitlers<br />

zum Reichskanzler steigerten sich<br />

überall im Reichsgebiet die Diskriminierungen<br />

von Juden, und es häuften sich<br />

auch in Görlitz antisemitische Ausschreitungen,<br />

in deren Verlauf er zum Gespött<br />

der Anwohner mit anderen jüdischen<br />

Geschäftsleuten durch die Stadt getrieben<br />

und dann gar noch 12 Stunden<br />

zusammen mit seinem Schwiegervater<br />

Paul Mühsam grundlos inhaftiert wurde.<br />

Nach diesen deprimierenden Erlebnissen<br />

beschloss Friedländer bereits 1933, die<br />

gut gehende Apotheke zu verkaufen,<br />

was auch im Dezember 1933 erfolgte.<br />

Von dem Erlös kaufte er diverse pharmazeutische<br />

Produktionsmaschinen, die<br />

er in elf Containern verpackte und nach<br />

Haifa verschiffen ließ. Er wanderte ins<br />

damalige britische Mandatsgebiet Palästina<br />

aus und wurde einer der ersten<br />

Pioniere des neuen Staates Israel. Mit<br />

dem nicht unbeträchtlichen Erlös erwarb<br />

Friedländer in Jerusalem ein Grundstück<br />

im damaligen Vorort Bayit Vegan. Dort<br />

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14<br />

Geschichte


Günther<br />

ein Pharma-Pionier<br />

Friedländer<br />

aus Görlitz in Jerusalem<br />

ließ er bereits im April 1934 seine erste<br />

pharmazeutische Firma TEVA (hebräisch<br />

für Natur) errichten. Der Firmenname<br />

war zugleich Verpflichtung, die Heilkräfte<br />

der Natur zum Wohle des Menschen<br />

zu nutzen. Deshalb wurden in der Gegend<br />

von Jerusalem sowie am See Genezareth<br />

erfolgreich Kamille, Nicotiana<br />

tabacum, Nerium oleander und andere<br />

Heilpflanzen angebaut. Friedländer entdeckte<br />

auch die arzneiliche Verwendung<br />

des auf dem Wasser des Toten Meeres<br />

schwimmenden Asphaltes (Bitumen Palestinum),<br />

welcher große Mengen organisch<br />

gebundenen Schwefels enthält.<br />

Mit der Ausweitung der Produktion machte<br />

sich auch eine Vergrößerung der Produktionsfläche<br />

notwendig. Dadurch stieg<br />

TEVA binnen kurzer Zeit zum wichtigsten<br />

und größten Arzneimittelproduzenten<br />

Israels auf. Friedländer dachte von Anfang<br />

an aber weiter. Seine Sorge galt der<br />

Entwicklung der gesamten Pharmazie<br />

in Palästina/Israel. Die Ausbildung der<br />

Apotheker erfolgte entweder in Beirut<br />

oder im fernen Europa, was kostspielig<br />

war und einer einheitlichen Ausrichtung<br />

der Pharmazie hinderlich war. Bereits im<br />

<strong>November</strong> 1934 schlug Friedländer deshalb<br />

vor, eine Spitalapotheke ins Leben<br />

zu rufen, um die auszubildenden, aber<br />

auch die vor vorwiegend aus Osteuropa<br />

kommenden schlecht qualifizierten<br />

Apotheker, an die hohen europäischen<br />

Standards einzuführen. So forderte<br />

Friedländer einen späteren Ausbau der<br />

Klinikapotheke zu einem Kontrollabor für<br />

Arzneimittel, zur Überprüfung sowohl der<br />

Substanzen als auch der Fertigpräparate.<br />

Durch ein Gütesiegel sollten Apotheken<br />

und Arzneimittel als geprüfte Qualität<br />

ausgewiesen werden. Es war ein langer<br />

Weg, bis endlich 1972 mit der Gründung<br />

der „School of Pharmacy“ als eigenständiger<br />

Fakultät auf dem Gelände der Hadassah-Klinik<br />

Günther Friedländers und<br />

Josua Kohlbergs Bemühungen von Erfolg<br />

gekrönt wurden.<br />

TEVA entwickelte sich rasch zu einem<br />

international operierenden Pharmakonzern,<br />

der Begehrlichkeiten weckte. So<br />

erfolgte bereits 1968 die feindliche Übernahme<br />

der blühenden Firma TEVA durch<br />

einen Handelskonzern. Der Gründer und<br />

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Geschichte<br />

15


Günther Friedländer<br />

Friedländer<br />

–<br />

Die frühere “Kronen-Apotheke” traditionsbewusst in heutige Zustand<br />

Ideengeber, der Forscher Dr.<br />

Günther Friedländer, wurde weder<br />

informiert noch in die Verhandlungen<br />

aktiv eingebunden.<br />

Er wurde über Nacht entmachtet<br />

und aufs Altenteil abgeschoben.<br />

Als ihn diese Meldung erreichte,<br />

traf ihn der Schlag, von<br />

dem er sich bis zu seinem Tode<br />

1975 nicht mehr erholte. Damit<br />

verschwand das erfolgreiche<br />

Wirken Friedländers aus den<br />

Augen der Öffentlichkeit. Auch<br />

bei der Firmengeschichte und in<br />

der Firmendarstellung des TEVA<br />

Konzerns wird leider heute die<br />

Rolle des Gründers und Pioniers,<br />

Günther Friedländer, weitestgehend<br />

ignoriert.<br />

Leider erlebte Günther Friedländer<br />

nicht mehr die späte Genugtuung,<br />

dass ausgerechnet seine<br />

Firma TEVA im März 2010 den<br />

nach dem Tod des Eigentümers<br />

Merk damals etwas strauchelnden<br />

deutschen Pharmakonzern<br />

Ratiopharm übernahm und so-<br />

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16 Geschichte


Günther<br />

ein Pharma-Pionier<br />

Friedländer<br />

aus Görlitz in Jerusalem<br />

mit eine der in Deutschland beliebtesten<br />

und in der Öffentlichkeit präsenten<br />

Pharmamarken nunmehr auch zum Mutterkonzern<br />

TEVA gehören.<br />

Wie ich eingangs erwähnte, findet sich<br />

im heutigen Chorzów kein Hinweis auf<br />

diesen bedeutenden deutsch-jüdischen<br />

Apotheker, dessen Leben sinnbildlich<br />

für ein bedeutendes Gründungskapitel<br />

des heutigen Israel steht. Aber auch in<br />

Görlitz, der Stätte seines beginnenden<br />

Wirkens als selbständiger Apotheker und<br />

Pharmaproduzent, finden sich weder<br />

eine Hinweistafel, geschweige denn ein<br />

Straßenname, der auf diesen bedeutenden<br />

ehemaligen Bürger unserer Stadt<br />

hinweist. Obwohl es gerade die Görlitzer<br />

waren, die in ihrem Übereifer für den<br />

neuen Führer viele bedeutende Görlitzer<br />

zum Verlassen der Stadt veranlassten.<br />

Schon aus diesem Grunde wäre eine,<br />

zumindest namentliche, Wiedergutmachung<br />

angebracht.<br />

Aber diese Görlitzer Eigenart der Begeisterung<br />

für neue politische Strömungen<br />

und Führer haben wir schon beim Deutschen<br />

Kaiser erlebt, vom Dritten Reich<br />

sprachen wir schon, wir erlebten dies<br />

in der untergegangenen DDR, und von<br />

heute wollen wir besser gar nicht erst<br />

sprechen. Leider fielen und fallen diesem<br />

Übereifer für neue politische Richtungen<br />

immer wieder bekannte und weniger bekannte<br />

Persönlichkeiten zum Opfer, die<br />

ansonsten sicher Wesentliches für die<br />

Stadt hätten tun können. Stellen wir uns<br />

vor, Günther Friedländer wäre in Görlitz<br />

geblieben und hätte hier den Weltkonzern<br />

TEVA aufgebaut, dem heute viele<br />

große Marken in aller Welt gehören.<br />

Bertram Oertel<br />

Quellennachweis:<br />

Von Görlitz nach Jerusalem –<br />

Günther Friedländer (1902-19759).<br />

Pionier der Pharmazie und Gründer des<br />

Pharma-Konzerns TEVA in Jerusalem<br />

von Nomi Eshhar und<br />

Nurit Ashkenazi im Verlag Peter Lang<br />

(Düsseldorfer Schriften zu<br />

Pharmazie und Naturwissenschaftsgeschichte,<br />

Band 2)<br />

Frank Leimkugel:<br />

Die Pharmazie in Israel<br />

Ein Kapitel deutschjüdischer<br />

Geschichte<br />

erschienen in PZ Nr. 35,<br />

29. August 1996<br />

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Geschichte<br />

17


Die<br />

Allerlei<br />

Olaf<br />

aus Alt-Görlitz –<br />

Die Olaf<br />

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen.<br />

Anlässe finden sich allemal. Und 1927 ging<br />

es wirtschaftlich wieder aufwärts. Daß es<br />

nur für ein paar Jahre sein würde, ahnten<br />

nur wenige. Da kam das 550. Jubiläum der<br />

Görlitzer Schützengesellschaft wie gerufen,<br />

ein abwechslungsreiches Heimatfest<br />

vorzubereiten. Vom 3. bis 10. Juli 1927 erlebte<br />

Görlitz die Oberlausitzer Festwoche,<br />

im saloppen Stil der „Goldenen Zwanziger“<br />

bald einfach „die Olaf“ genannt. Gemeinsam<br />

mit dem Schützenverein organisierte<br />

der Görlitzer Verkehrsverein unter<br />

Fabrikant Paul Arnade das Fest vor allem<br />

als eine Werbe- und Verkehrswoche, um<br />

auf die sehenswerte Stadt aufmerksam<br />

zu machen und viele Gäste anzulocken.<br />

In den gedrucken Stadtführern des Verkehrsvereins<br />

bekam die Stadt den Ehrennamen<br />

„Perle der Oberlausitz“. Die Läden<br />

und Kaufhäuser, Gaststätten und Hotels,<br />

Museen und Kinos, Tankstellen und Kraftdroschken,<br />

Reichsbahn und Straßenbahn<br />

hofften auf höhere Einnahmen. Handel<br />

und Wandel sollten aufblühen, Kultur und<br />

Geselligkeit neue Anstöße bekommen.<br />

Tatsächlich waren Häuserfassaden und<br />

Schaufenster festlich geschmückt. Aufschlußreich<br />

für das politische Klima,<br />

daß fast nur öffentliche Gebäude in den<br />

schwarzrotgoldenen Farben der Republik<br />

geflaggt hatten, viele Wohnungsinhaber<br />

aber die alten Fahnen mit den schwarzweißroten<br />

Farben des untergegangenen<br />

Kaiserreiches herausgehängt hatten.<br />

Zum Begrüßungsabend am Sonnabend<br />

in der Stadthalle war die Schützengilde<br />

mit den Vertretern des Magistrats und vielen<br />

Ehrengästen versammelt. Am Sonntagmorgen<br />

wurden die Einwohner mit<br />

Marschmusik geweckt. Vorn Rathausturm<br />

war das Turmblasen zu hören. Inzwischen<br />

kamen auf dem Bahnhof die Züge mit<br />

zahllosen Gästen an, die sich das Hauptereignis<br />

der Festwoche, den Festzug, nicht<br />

entgehen lassen wollten. Der Umzug dauerte<br />

von 12.30 bis 16 Uhr. Siebzig prächtig<br />

geschmückte Festwagen setzten Akzente,<br />

Reitergruppen, Jäger und Schützen belebten<br />

das Bild. Gleich zu Beginn brachte das<br />

mitgeführte Modell des Kyffhäuserdenkmals<br />

eine nostalgisch verklärte Anspielung<br />

auf die „gute alte Zeit“ unter dem Kaiser,<br />

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18<br />

Geschichte


Olaf<br />

Aufschlußreiches zu unserer Stadtgeschichte<br />

und das nur neun Jahre nach Kriegsende,<br />

und dazu erklang das Deutschlandlied.<br />

Veteranen der Kriege von 1866, 1870/ 71<br />

und 1914/ 18 marschierten mit den Militärvereinen<br />

und dem Marineverein. Auf<br />

einem Festwagen fuhr ein Modell des alten<br />

Kriegsschiffs „Schlesien“ vorüber, von<br />

jungen Mädchen in Matrosenkleidung<br />

flankiert und mit der wehenden alten<br />

Kriegsflagge. Nicht einmal die Uniformen<br />

der alten Kolonialtruppen fehlten im stadtgeschichtlichen<br />

Teil- deutlicher Protest<br />

gegen den Verlust der ehemaligen Kolonien.<br />

Auch Post und Feuerwehr und der<br />

Alte Fritz mit dem Müller von Sanssouci<br />

waren dabei. Gewerbe und Industrie wurden<br />

einfallsreich vorgestellt: Fleischer,<br />

Sattler und Schlosser, Gastwirte, Friseure,<br />

Glaser, Gärtner, Schuster, Schmiede,<br />

Maler, Kürschner. Man sah Bierwagen<br />

der Brauerei und auch einen Wagen der<br />

Schokoladenfabrik Mattke und Sydow. Es<br />

folgten Turner und Sportler, die Autos des<br />

Automobil-Clubs, schließlich der Hauptgewinn<br />

der Festwochenlotterie, zwei rosige<br />

Schweine.<br />

Dann begann bunter Trubel beim Schützenfest<br />

im Schützenhaus (heute Haus<br />

der Jugend) und im „Reichshof“ in Leschwitz<br />

(heute Weinhübel). Zwar hatten<br />

die Festplätze durch den Regen gelitten,<br />

aber die Bierzelte und Wurstbuden waren<br />

umlagert, und die Kapelle der Hirschberger<br />

Jäger sorgte für Stimmung. Zum Festplatz<br />

in Leschwitz fuhren Sonderbusse.<br />

Dort lockten Karussels, Luftschaukeln und<br />

Blasmusik. Auch am Weinberghaus und<br />

im Garten der Aktienbrauerei gab es Blaskonzerte.<br />

Nach Anbruch der Dunkelheit bummelten<br />

die Familien noch lange durch die Stadt.<br />

Zum ersten Male wurden bekannte Gebäude<br />

mit Scheinwerfern angestrahlt, der<br />

Reichenbacher Turm, das Rathaus, die<br />

„Ruhmeshalle“ und die „Muschelminna“.<br />

Der Kaisertrutz lag in rotem Licht, die Türme<br />

der Peterskirche leuchteten grün, der<br />

„Portikus“ trat in gleißendem Weiß aus<br />

dem Dunkel des Stadtparks. Vorsorglich<br />

durften die Gaststätten täglich bis 3 Uhr<br />

geöffnet bleiben.<br />

Von Montag bis Sonnabend folgten Reklameumzüge<br />

Görlitzer Firmen. ,Jeder Kauf<br />

ein Treffer!“ - so spielte man forsch auf<br />

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Geschichte<br />

19


Die<br />

Allerlei<br />

Olaf<br />

aus Alt-Görlitz –<br />

das Schützenjubiläum an. Und am Montagabend<br />

luden der Ausschuß für Leibesübungen<br />

und der Lehrergesangverein<br />

unter Leitung des einheimischen Komponisten<br />

Emil Kühnel ins Weinlachenbad<br />

zu einem „Sommernachtstraum an der<br />

Neiße“, bei dem Neptun mit Elfen und<br />

Irrlichtern aus dem Wasser auftauchte.<br />

Am Dienstag bestritten 600 Sänger vom<br />

Gau Görlitz des Niederschlesischen Sängerbundes<br />

in der Stadthalle ein Chorkonzert.<br />

Täglich während der Festwoche gab<br />

es Festvorstellungen im Stadttheater und<br />

in den Kinos. Allabendlich ab 20.30 Uhr<br />

waren auf dem Obermarkt auf mehreren<br />

Bühnen Turn- und Sportvorführungen zu<br />

sehen.<br />

Auf dem Festplatz in Leschwitz begann<br />

am Mittwoch eine Landwirtschaftsausstellung<br />

und Milchmesse. Vom Bahnhof<br />

fuhren Kraftwagen dorthin. Es gab Rinder,<br />

Pferde und Schweine, Ziegen, Kaninchen,<br />

Geflügel und Hunde zu begutachten. Im<br />

„Jägerwäldchen“ zeigten Reichswehr-<br />

Soldaten der Heeresfachschule mehrmals<br />

Szenen von Schiller: „Wallensteins Lager“<br />

und die Rütli-Szene aus „Wilhelm Tell“.<br />

Dazu spielte das Musikkorps unter dem<br />

populären „Papa“ Heinrich Junghans passende<br />

Märsche.<br />

Von Montag bis Mittwoch lief das Gildenschießen<br />

als Preisschießen für die Mitglieder<br />

des Schützenvereins, von Donnerstag<br />

bis Sonnabend das offene Bürgerschießen.<br />

Am Sonnabend folgte Boxen in der<br />

Stadthalle. Am Sonntag glänzten die<br />

Veranstalter mit einer Flugschau, mit einem<br />

Autorennen auf die Landeskrone<br />

(organisiert durch den bewährten Arthur<br />

Schlesinger mit dem Automobil-Club) und<br />

einem japanischen Tagesfeuerwerk am<br />

Schützenhaus.<br />

Es war die erste Woche der Sommerferien,<br />

Das Wetter war prächtig. Gastwirte,<br />

Geschäftsleute und Straßenbahnverwaltung<br />

(30 000 Fahrgäste!) rieben sich die<br />

Hände. Und alle hatten Spaß gehabt. Eine<br />

große Gemeinschaft hatte alles mitgestaltet.<br />

Das Festplakat und die Festplakette<br />

mit dem alten Görlitzer Schützen wurden<br />

in vielen Familien lange aufgehoben. Bald<br />

gab es kaum noch Grund zum Spaß. Es<br />

kamen die Krise und der Krieg.<br />

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20<br />

Geschichte


Olaf<br />

Aufschlußreiches zu unserer Stadtgeschichte<br />

Der Flugplatz<br />

Auf einer Werbekarte des Vereins „Luftfahrt<br />

Görlitz“ für die Görlitzer Flugtage im<br />

August 1924 ist eine Junkers-Verkehrsmaschine<br />

zu sehen, die in halsbrecherischer<br />

Nähe am Dicken Turm vorüberfliegt<br />

- nach der verwegenen Phantasie des<br />

Zeichners. Denn in diesem Jahre hatte<br />

Görlitz in der jungen deutschen Luftfahrt<br />

noch keinen Namen. Aber es lag etwas in<br />

der Luft. Die lnflation war vorüber, wenn<br />

auch noch nicht vergessen. Durch die<br />

Rationalisierung und mit amerikanischen<br />

Finanzspritzen begann sich die Wirtschaft<br />

zu erholen, auch in den Görlitzer Großbetrieben.<br />

Technik und Tempo drangen in<br />

den Alltag ein. Film und Rundfunk, Koffergrammophone<br />

und Autos, Freikörperkultur<br />

und Jazzkapellen, Sportwettkämpfe<br />

und Siedlungsgenossenschaften brachten<br />

den betörenden Schmiß der „goldenen<br />

zwanziger Jahre“. 1926 besuchte man in<br />

Görlitz die erste Funkausstellung, begann<br />

der Busverkehr in den Landkreis. Und da<br />

sollte die Stadt ins Hintertreffen kommen,<br />

wenn der technische Fortschritt sich auch<br />

den Himmel eroberte?<br />

Schon am 4. Mai 1924 gab es Rundflüge<br />

über der Stadt mit einer einmotorigen<br />

Junkers-Verkehrsmaschine. Gestartet<br />

wurde vom Exerzierplatz in Moys. Für die<br />

Flugtage am 9. und 10. August standen<br />

fünf Flugzeuge aus Dresden, Breslau und<br />

Dessau bereit. Der Verein „Luftfahrt Görlitz“<br />

gab drei Grußpostkarten heraus, von<br />

denen Tausende als gelungene Werbung<br />

per Luftpost befördert wurden. Geldgeber<br />

und Förderer waren vor allem Geschäftsleute<br />

und Unternehmer der Großbetriebe.<br />

Sie drängten die Stadtverwaltung,<br />

für den Anschluß an den Flugverkehr zu<br />

sorgen. Anfang 1925 bewilligte der Magistrat<br />

236 000 Mark zum Ankaufund Bau<br />

des Flugplatzgeländes an der Straße nach<br />

Girbigsdorf. Am 18. Juni 1925 entstand<br />

die „Flughafen-Betriebs-Gesellschaft“ mit<br />

einem Stammkapital von 21 000 Mark,<br />

an dem sich die Stadt mit 11 000 Mark<br />

die Mehrheit sicherte (neben der Industrie-<br />

und Handelskammer, den Unternehmen<br />

Ephraim Eisenhandelsgesellschaft,<br />

Raupach Görlitz und Christoph & Unmack<br />

Niesky und anderen). Die Ausstattung<br />

des Flugplatzes war anfangs, gelinde<br />

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Geschichte<br />

21


Die<br />

Allerlei<br />

Olaf<br />

aus Alt-Görlitz –<br />

gesagt, kärglich und bestand aus einem<br />

Fachwerkhaus als Starthaus, einem ausrangierten<br />

Eisenbahnwagen mit Anbau<br />

als Geräteschuppen, einer Bretterbude<br />

als Kantine, einem Toilettenhäuschen aus<br />

Brettern und einem Schafstall. Das Rollfeld<br />

war ein notdürftig begradigter Acker,<br />

mit struppigem Gras bewachsen. Dennoch<br />

bedachte man das mit der optimistischen<br />

Bezeichnung „Flughafen“. Aber die Flugschau<br />

zur Eröffnung am Sonntag, dem<br />

28. Juni 1925, wurde zu einem verheißungsvollen<br />

Beginn, an dem etwa 25 000<br />

Gäste ihren Spaß hatten. Ein turbulentes<br />

Programm ,bot Kunstflüge, Ballonjagd,<br />

Fallschirmsprünge und - simulierte Luftkämpfe!<br />

Die Görlitzer Unternehmen, an<br />

der Spitze die 1921 gegründete WUMAG,<br />

zeigten sich nicht kleinlich im Spendieren<br />

wertvoller Ehrenpreise. Pünktlich am 1.<br />

Juli begann der planmäßige Linienverkehr<br />

mit Junkers-Verkehrsmaschinen. Um 11<br />

Uhr vormittags landete Flugzeugführer<br />

Steidel, von Breslau kommend, mit zwei<br />

Passagieren, von Oberbürgermeister Georg<br />

Snay feierlich begrüßt, fünf Passagiere<br />

traten den Weiterflug nach Dresden an.<br />

Bald wurde auch Luftpost mitgenommen.<br />

Die Flüge dauerten bis zum 31. August.<br />

Bis dahin flogen von Görlitz aus nach<br />

Breslau 44 und nach Dresden 93 Fahrgäste,<br />

insgesamt kamen durch Görlitz<br />

251 Passagiere. 1926 entstand dann die<br />

„Deutsche Luft Hansa AG“ und übernahm<br />

auch den Luftverkehr von Dresden über<br />

Görlitz nach Breslau. 1926 wurde vom 6.<br />

April bis zum 19. Oktober geflogen, von<br />

Görlitz aus nutzten 502 Personen diese<br />

Flüge, außerdem wurden in zunehmendem<br />

Maße Luftpost und Luftfracht befördert.<br />

1927 kam eine vom „gehobenen“<br />

Tourismus begehrte neue „Riesengebirgslinie“<br />

hinzu. Sie führte von Berlin über<br />

Cottbus, Görlitz, Hirschberg nach Breslau<br />

und zurück. Eine zweite Linie wurde von<br />

Görlitz über Dresden nach Halle/Leipzig<br />

beflogen. Zum ersten Male war die Anzahl<br />

der Interessenten höher als das Platzangebot.<br />

Vom 23. April bis zum 13. Oktober<br />

1928 wurden 1300 Fluggäste betreut. An<br />

einem Werbeflugtag im Juni gab es 14<br />

Rundflüge über der Stadt. Im gleichen<br />

Jahre wurde das Rollfeld vergrößert, aber<br />

die Bedingungen für Passagiere, Post- und<br />

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22<br />

Geschichte


Olaf<br />

Aufschlußreiches zu unserer Stadtgeschichte<br />

Frachtbeförderung blieben hinterwäldlerisch.<br />

Weder die Nachbarstädte noch das<br />

Verkehrsministerium waren zu finanzieller<br />

Hilfe bereit. Seinen Popularitätsrekord<br />

erlebte der Flugplatz 1930. Am 24. Juni<br />

überflog das Luftschiff LZ 127 während<br />

einer Schlesienfahrt, von Berlin-Staaken<br />

kommend, die Stadt Görlitz, und am 6.<br />

Oktober landete es vor 120 000 begeisterten<br />

Zuschauern. Die so gewonnenen<br />

zusätzlichen Einnahmen waren auch dringend<br />

nötig, im folgenden Jahre den Flugverkehr<br />

zu sichern. Auch 222 Rundflüge<br />

über Görlitz mit 800 Passagieren brachten<br />

etwas ein. Aber auf dem Tiefstpunkt der<br />

Weltwirtschaftskrise 1932 gab es keinen<br />

planmäßigen Flugverkehr mehr. Ganze 35<br />

Fluggäste kamen in Görlitz an, 30 flogen<br />

von hier aus ab. Bei Rundflügen wurde<br />

967 Personen befördert, beim Flugtag am<br />

28. August mit Kunstflieger Gerhard Fieseler<br />

und der Fallschirmspringerin Dr. Lola<br />

Schröter immerhin 2200 Mark Überschuß<br />

erzielt, um die nötigsten Erhaltungskosten<br />

zu bestreiten. Äußerlich kam es 1933 zu<br />

einem neuen Aufschwung. Der Bau einer<br />

Halle zum Unterstellen und Warten der<br />

Flugzeuge kostete 24 000 Mark; davon<br />

gaben die Stadt 5000 Mark und Görings<br />

Luftfahrtministerium 7000 Mark. Der Flugtag<br />

am 13. August hatte 50000 Zuschauer.<br />

Aber der verdienstvolle Verein „Luftfahrt<br />

Görlitz“ mußte aufgelöst werden.<br />

Dafür entstand der „Deutsche Luftsport-<br />

Verband“. Der „nichtarische“ bisherige<br />

Handelskammerpräsident Dr. Weil mußte<br />

aus dem Aufsichtsrat verschwinden.<br />

Schon mit dem Jahre 1934 endete der<br />

planmäßige zivile Luftverkehr. Bald wurde<br />

der Flugplatz zum Fliegerhorst der neuen<br />

Luftwaffe und am Ende, 1945, gesprengt,<br />

was daran erinnerte. Eine Zeitlang gab es<br />

noch Segelfliegen und Fallschirmmeisterschaften,<br />

später Drachenwettbewerbe der<br />

Schulkinder. Aber noch heute nennen die<br />

Leute diese Gegend „den Flugplatz“, und<br />

das ist eine Anerkennung für ein kurzes,<br />

aber unvergeßliches Kapitel Görlitzer Verkehrsgeschichte.<br />

Aus: Allerlei aus Alt-Görlitz.<br />

Görlitzinformation 1988<br />

Texte: Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte<br />

23


Spaziergänge<br />

Gelungener Auftakt einer Veranstaltungsserie –<br />

Ein Beitrag im „<strong>StadtBILD</strong>“ 157 (August<br />

<strong>2016</strong>) erregte Aufmerksamkeit. Robin<br />

Adam aus Girbigsdorf berichtete über<br />

die Anfänge einer neuen Veranstaltungsreihe<br />

über die Görlitzer Stadtgeschichte,<br />

mit der alle Altersgruppen erreicht<br />

werden sollen, insbesondere die<br />

Jugend. Frau Gisela Fries aus Karlsruhe,<br />

eine ehemalige Görlitzerin, schrieb uns:<br />

„Im August-Heft hat mich der Bericht<br />

„Jugend gestaltet Veranstaltungsfolge“<br />

besonders interessiert… Hut ab vor den<br />

Initiatoren, die der Stadtgeschichte tiefer<br />

in die Seele schauen wollen! Hauptsächlich<br />

die Nachkriegszeit 1945 bis<br />

1950, in der ich großgeworden bin, ist<br />

erzählenswert (Ich bin Jahrgang 1932)…<br />

Ich hoffe, daß ich weiterhin schöne Geschichten<br />

von Robin Adam und Freunden<br />

lesen werde. Dazu wünsche ich<br />

recht viel Erfolg.“ Isolde Gatzke, ebenfalls<br />

Karlsruhe, schickte uns sogar einen<br />

längeren Text mit ihren Erinnerungen an<br />

ihre Heimatstadt Görlitz, den wir in einer<br />

unserer nächsten Vortragsveranstaltungen<br />

vorlesen wollen, ebenso ihr beigefügtes<br />

Görlitz-Gedicht. Auszüge werden<br />

auch im Januarheft von „<strong>StadtBILD</strong>“ zu<br />

lesen sein.<br />

Nach unseren ersten unbeholfenen<br />

Versuchen bei freiem Eintritt im Frühjahr<br />

<strong>2016</strong> konnten wir für unsere monatlichen<br />

Vorträge schon beachtliche<br />

Teilnehmerzahlen verzeichnen, so am<br />

15. April (Görlitzer Brücken) 42, am 19.<br />

August (Görlitzer Gaststätten) 49, am 2.<br />

September (Griechen in Görlitz) 24 und<br />

am 7. Oktober (Zeppelin und Flugtage<br />

in Görlitz) 46. Wir danken nochmals der<br />

„Alten Kochwerkstatt“ Demianiplatz, der<br />

„Galerie Alena“ Verrätergasse und dem<br />

„Café Kugel“ Weberstraße, die uns mietfrei<br />

ihre Räume überließen. Die zwei<br />

letzten Veranstaltungen in diesem Jahre<br />

stehen unmittelbar bevor: Am 11.<br />

<strong>November</strong> „Spuren der Garnisonstadt<br />

Görlitz – zum Volkstrauertag <strong>2016</strong>“ ab<br />

18.00 Uhr im „Café Kugel“ und am 16.<br />

Dezember „Als Opa und Oma Kinder<br />

waren – Weihnachten im alten Görlitz“<br />

in der Grundschule 1, Schulstraße 3,<br />

in die uns deren Direktorin eingeladen<br />

hat. Wir hoffen, auch an diesen Tagen<br />

Stammbesucher und neue Interessen-<br />

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24<br />

Geschichte


Spaziergänge durch den Garten<br />

unserer Geschichte<br />

Am 11.11.<strong>2016</strong>: Spuren der Garnisonstadt Görlitz; Kaisertrutz als Hauptwache, um 1905<br />

ten begrüßen zu können.<br />

Inzwischen stehen auch Termine und<br />

Themen für die Lichbildervorträge im<br />

ersten Halbjahr 2017 fest, und zwar<br />

am 20. Januar (Kaiser, Zaren, Könige –<br />

Fürstliche Besuche in Görlitz), am 17.<br />

Februar (Vor 100 Jahren – neuer Bahnhof<br />

in Görlitz), am 17. März (Schlösser<br />

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Geschichte<br />

25


Spaziergänge<br />

Gelungener Auftakt einer Veranstaltungsserie –<br />

Am 16.12.<strong>2016</strong>: Weihnachten im alten Görlitz; Zwillinge Hanne und Lore Kipp, 1933<br />

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26<br />

Geschichte


Spaziergänge durch den Garten<br />

unserer Geschichte<br />

im Umkreis), am 21. April (Aus<br />

der Geschichte der Görlitzer<br />

Juden), am 19. Mai (Volksfeste<br />

im alten Görlitz) und am<br />

23. Juni (Vom Marktflecken<br />

zum regionalen Zentrum – Die<br />

Wachstumsetappen der Stadt<br />

Görlitz). Örtlichkeiten und Referenten<br />

werden in der Presse<br />

und im „<strong>StadtBILD</strong>“ rechtzeitig<br />

bekanntgegeben. Mindestens<br />

von Januar bis März ist dafür<br />

das „Café Kugel“ geplant. So<br />

bekommt unser Vorhaben ein<br />

festes organisatorisches Gefüge,<br />

thematische Vielfalt und<br />

neue Mitwirkende. Wir danken<br />

„<strong>StadtBILD</strong>“ für die Zusage,<br />

unsere weiteren Bemühungen<br />

durch regelmäßige Informationen<br />

der Leser zu unterstützen.<br />

Die Veranstalter der „Spaziergänge<br />

durch den Garten unserer<br />

Geschichte“ in Görlitz.<br />

Am 20.1.2017: Kaiser, Zaren, Könige; Kaiser Wilhelm II.<br />

in Görlitz 1893<br />

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Geschichte<br />

27


Stadtverkehr<br />

Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr –<br />

Wie an anderer Stelle bereits angekündigt,<br />

werden im vorliegenden Beitrag<br />

wieder Bilder aus dem einzigartigen Fundus<br />

von Herrn Peter Dönges gezeigt, die<br />

jedes für sich eine eigene Geschichte<br />

haben. Diesmal stammen die Aufnahmen<br />

durchweg aus dem Jahre 1971. Die<br />

Görlitzer Straßenbahn gehörte wie heute<br />

als Selbstverständlichkeit zum Alltagsleben<br />

in unserer Stadt, ohne recht eine<br />

Demianiplatz mit LOWA-Zug<br />

Begegnung an der Frauenkirche<br />

eigene Lobby zu haben. Die Mehrzahl der<br />

Fahrzeuge wirkte durch ständige Überbeanspruchung<br />

verbraucht. Einige wenige<br />

hatten mehr als 40 Jahre auf dem Buckel<br />

und waren dennoch unverzichtbar.<br />

Baustellen im Netz zwangen immer wieder<br />

zur Improvisation in der Betriebsabwicklung.<br />

So konnte man damals relativ<br />

häufig Solofahrzeugen im Linienverkehr<br />

begegnen, wie sie ansonsten nur im Berufsverkehr<br />

hinter den regulären Zügen<br />

herfuhren. Nach Weinhübel wurde noch<br />

auf der seit 1930 verwendeten Strecke<br />

vorbei am Restaurant Zeltgarten gefahren.<br />

Die Umgebung in der Dreieckskehre<br />

Landeskrone wirkte noch fast dörflich.<br />

Seit 1965 ist an dieser Endstation nicht<br />

mehr rangiert worden. Es hat in früher<br />

Zeit Jahre gegeben, wo an dieser Stelle<br />

das gleichzeitige Rangieren mehrerer<br />

Züge aufgrund des hohen Fahrgastaufkommens<br />

notwendig und technisch<br />

möglich gewesen ist. Nur wenige Jahre<br />

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28<br />

Geschichte


Stadtverkehr<br />

Bilder aus dem Jahre 1971<br />

sind in Görlitz WUMAG- Triebwagen im<br />

Zugverband mit fast baugleichen Anhängern<br />

gefahren. Diese kamen 1968/69<br />

gebraucht aus Gera und schieden Ende<br />

1973 aus dem aktiven Dienst aus, um<br />

wenige Monate später zerlegt zu werden.<br />

Ebenfalls aus Gera stammten zwei Aufbauwagen<br />

aus den frühen Nachkriegsjahren,<br />

die 1969 von dort übernommen<br />

wurden und noch 1971 ohne Einsatz im<br />

Depot abgestellt waren. 1972 kamen sie<br />

als Schulungsräume zur Großgarage beim<br />

Zeltgarten, sind aber leider nicht erhalten<br />

geblieben. Symptomatisch war das<br />

Fahren mit teilweise geöffneten Türen.<br />

Manchmal haben Fahrgäste die vorher<br />

geschlossenen Türen sogar während der<br />

Fahrt wieder geöffnet, wie ich es selbst<br />

mehrmals beobachten konnte. Nicht jeder<br />

konnte mit der seit einigen Jahren<br />

fehlenden Autorität des Schaffners umgehen.<br />

Nicht für jedermann ein Vergnügen<br />

war eine Zugbegegnung im Gleisbogen<br />

vor der Frauenkirche zwischen Postplatz<br />

und Demianiplatz. Das ohrenbetäubende<br />

Quietschen konnte man vom Bahnhof<br />

aus hören.<br />

WUMAG-Zug am Postplatz<br />

Obwohl die LOWA- Fahrzeuge 1971 erst<br />

maximal reichlich fünfzehn Jahre im Einsatz<br />

waren, zeigten sie sich bis auf den<br />

kurz vorher generalüberholten Wagen<br />

Nr. 3 durchweg abgewirtschaftet und<br />

mussten in immer kürzeren Zeitabständen<br />

aufgearbeitet werden. In der Tat<br />

schieden die Anhänger bereits bis 1975<br />

aus dem Dienst aus. Den Triebwagen<br />

verblieben mangels Ersatzbeschaffung<br />

noch weitere fünf Jahre.<br />

Kaum wahrgenommen und dennoch an<br />

Werktagen alltäglich war das Abfahren<br />

der meist irgendwo schadhaften Strecken<br />

mit einem Kontrollfahrzeug. Seit 1968<br />

sind hierzu fast immer die Arbeitswagen<br />

Nr. 101 und 102, die aus den moderni-<br />

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Geschichte<br />

29


Stadtverkehr<br />

Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />

Wenden in der Dreieckskehre Landeskrone<br />

sierten WUMAG – Wagen entstanden<br />

sind, verwendet worden. Man sah sie abwechselnd<br />

auch an Baustellen bzw. während<br />

der Pausen abgestellt am Postamt.<br />

Das jeweils andere Fahrzeug parkte dann<br />

im Normalfall vor den damals zwei vorhandenen<br />

Salzanhängern im Betriebshof,<br />

die von ihm voll beladen, ohne Hilfe aber<br />

sicher nicht bewegt werden konnten.<br />

Im Winter ist auf diese Weise die Strecke<br />

eisfrei gehalten worden. Hierzu gab<br />

es dann so genannte Salzmannschaften,<br />

die mit ihrem Gerät im Bedarfsfall ausrücken<br />

mussten. Alles in allem atmete auch<br />

1971 der Görlitzer Straßenbahnverkehr<br />

noch die gute alte Zeit, die hinter ihm<br />

Arbeitswagen mit zwei Salzanhängern<br />

lag, wenn auch im einen oder anderen<br />

Fall mehr oder weniger patiniert. Entlang<br />

der Strecken aber begann man überall,<br />

durch jahrelange Vernachlässigung im<br />

Stadtbild entstandene Schäden zunächst<br />

mit notdürftigen Mitteln zu beseitigen.<br />

Kaum jemand ahnte damals, dass sich<br />

die diesbezügliche Lage in den folgenden<br />

beiden Jahrzehnten dramatisch zuspitzen<br />

und es sogar zum Einsturz einzelner<br />

Bauten kommen würde, ganz abgesehen<br />

vom bereits in der unmittelbaren Vorbereitungsphase<br />

stehenden Abriss ganzer<br />

Wohnquartiere an den Rändern der Altstadt.<br />

(wird fortgesetzt)<br />

Andreas Riedel, Wiesbaden<br />

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30<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

incaming media GmbH<br />

Geschäftsführer:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />

02826 Görlitz<br />

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Fax: (03581) 40 13 41<br />

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Druck:<br />

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Andreas Ch. de Morales Roque<br />

(Mitglied im Deutschen<br />

Fachjournalistenverband)<br />

Redaktion:<br />

Dr. Ernst Kretzschmar,<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />

Dr. Ingrid Oertel<br />

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Teile der Auflage werden auch kostenlos<br />

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und redaktionelle Texte können<br />

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Anzeigenschluss für die Dezember-<br />

Ausgabe: 15. <strong>November</strong> <strong>2016</strong><br />

Redaktionsschluss: 20. Nov. <strong>2016</strong><br />

Wir arbeiten mit<br />

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