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161_StadtBILD_Dezember_2016

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Weihnachten<br />

im alten Görlitz –<br />

Wie es Kinder von<br />

damals erlebten<br />

Sonderausstellungen<br />

zu Weihnachten<br />

„Ohne Spielzeug<br />

wird keiner groß“<br />

im Museum Zittau<br />

„Oh es riecht gut“<br />

im Dorfmuseum<br />

Markersdorf<br />

500 Jahre evangelisches<br />

Leben in Schlesien<br />

im Schlesischen<br />

Museum zu Görlitz<br />

Foto: Jürgen Matschie<br />

Weihnachtliche<br />

königliche<br />

Gaumenfreude<br />

Aufschlußreiches<br />

zur Stadtgeschichte<br />

Markersdorfer Orts- und<br />

Kirchengeschichte


Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

nun steht der nächste Jahreswechsel bevor. An<br />

den Weihnachtsfeiertagen und in der Woche<br />

bis zum Neujahrstag werden sich viele Görlitzer<br />

Familien treffen und gemeinsam Rückschau<br />

halten auf dieses Jahr, das wie alle zuvor wieder<br />

einmal „wie im Fluge vergangen“ ist. Man<br />

wird sich an mancherlei Begegnungen und Ereignisse<br />

erinnern und auch über unsere Stadt<br />

sprechen. Gesprächsstoff gerade darüber bietet<br />

sich reichlich an. Die ständigen Aufregerthemen<br />

Stadthalle, Kaufhaus, Straßensperrungen, Hundedreck<br />

und umstrittene Behördenentscheidungen<br />

bleiben aktuell. Man denkt an früher, als es<br />

noch einen starken Gemeinschaftsgeist gab, als<br />

noch nicht die Kälte der „freien Marktwirtschaft“<br />

herrschte nach dem Wüten der „Treuhand“. Mit<br />

der Zerstörung von Betrieben der traditionellen<br />

Textil- und Optikindustrie und Massenentlassungen<br />

aus Waggonbau und Maschinenbau<br />

wurde Görlitz als Industriestandort in Frage gestellt.<br />

Jetzt knistert es bei „Bombardier“, dem<br />

kümmerlichen „globalisierten“ Rest des einst<br />

weltweit anerkannten Exportbetriebes. Bei den<br />

Familientreffen fehlen überall junge Leute, die<br />

westwärts fortgezogen sind. Über die Medien<br />

oder die Gerüchteküche sickern neue Themen in<br />

die Öffentlichkeit. Offiziell wird jubelnd begrüßt,<br />

daß in die Dreifaltigkeitskirche ein Jacob-Böhme-Museum<br />

von Weltgeltung kommen soll, das<br />

Scharen von Touristen anlockt. Zwar wird die<br />

Aussicht begrüßt, daß mit den versprochenen<br />

Fördermitteln der bauliche Zustand des Kirchengebäudes<br />

verbessert werden kann, was sonst<br />

bei den Finanznöten nicht möglich wäre. Es<br />

melden sich aber auch besorgte Stimmen. Das<br />

geistige Erbe des schlichten, gottesfürchtigen<br />

und aufrechten Schuster-Philosophen aus dem<br />

Volke dürfe nicht unter die Verfügungsgewalt<br />

derer geraten, deren Amtsvorgänger einst den<br />

heute weltweit bekannten Görlitzer verfluchten<br />

und verfolgten, Böhme wäre selbst auch nicht<br />

einverstanden, ihn zu einem Säulenheiligen zu<br />

machen in einem großen Kirchenraum, der doch<br />

Jesus Christus und Maria geweiht sei. Mögen<br />

Philosophen und Schriftsteller weltweit Böhme<br />

noch so sehr geschätzt haben, sei es bis heute,<br />

400 Jahre danach, noch immer nicht gelungen,<br />

ihn den Görlitzern nahezubringen, für die er nur<br />

der „Parkschuster“ auf seinem Denkmalsockel<br />

über dem versiegten und mit Erde gefüllten<br />

Brunnen (Welche Symbolkraft!) bleibt. Nur kleine<br />

Zirkel pflegen hier in Zurückgezogenheit sein<br />

Andenken. Für viel Gesprächsstoff sorgt nach<br />

wie vor „Görlitz-ART“. Man vermißt Angaben der<br />

Verwaltung über die dafür aus dem städtischen<br />

Haushalt ausgegebenen Summen „auf Heller<br />

und Pfennig“ für Aufstellung und Reparaturen.<br />

Jetzt wird gemunkelt, die Stadt wolle die Objekte<br />

kaufen und dauerhaft aufstellen, um endlich<br />

„westliche“ Kulturstandards aufzurichten -<br />

über die Köpfe der Bevölkerung hinweg. Nun,<br />

man wird sehen. In all den Gesprächsrunden<br />

zum Jahresende ist man sich aber einig in der<br />

Freude darüber, daß wir auch im abgelaufenen<br />

Jahr unser Leben ohne Krieg gestalten konnten,<br />

während weltweit Kriege tobten und deren<br />

Folgen auch in unserem Alltag sichtbar wurden.<br />

So bleibt auch im kommenden Jahr des Reformationsjubiläums<br />

unser Hauptanliegen, durch<br />

unseren Einsatz in Familie, Beruf und Politik unseren<br />

Beitrag zu mehr Frieden zu leisten. Auf<br />

das Mittun vieler Görlitzer freut sich Ihr<br />

Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


Weihnachten im alten Görlitz –<br />

Erinnerungen von Elsbeth Puschmann<br />

(geb. 1892)<br />

Von den elf Kindern, die meine Mutter<br />

geboren hatte, blieben nur sechs<br />

am Leben, die anderen starben gleich.<br />

Mein Vater war klassenbewusster Gewerkschaftsfunktionär<br />

und Mitglied der<br />

SPD...<br />

Im Winter konnten die Maler nicht so<br />

lange arbeiten, weil die Kammern in den<br />

Arbeiterwohnungen keine Beleuchtung<br />

hatten. Da war Weihnachten oft traurig.<br />

Meine Mutter holte erst am Weihnachtsabend<br />

einen Tannenbaum, da bekam sie<br />

ihn geschenkt. Spielzeug kriegte sie in<br />

dem Laden von Kühne, Berliner Straße,<br />

kurz vor Ladenschluß für 50 Pfennige. Es<br />

war kaputtes Zeug, das sich nicht mehr<br />

verkaufen ließ. Zwei Stunden später<br />

fanden wir´s so unter dem Weihnachtsbaum.<br />

Dann kam Vater mit seinem großen<br />

Leimtopf, und das Spielzeug wurde<br />

geleimt und zusammengeklebt. Später,<br />

als ich acht oder neun Jahre alt war, habe<br />

ich zu Weihnachten für meine jüngeren<br />

Geschwister die Puppen neu angezogen.<br />

Die Malergewerkschaft veranstaltete für<br />

die Kinder ihrer Mitglieder eine eigene<br />

Weihnachtsfeier. Vater mußte dafür je<br />

Kind eine Mark geben. Im Verbandshaus<br />

der Maler, Sonnenstraße, bekamen wir<br />

jeder ein kleines Spielzeug und einen<br />

Stollen, und wir haben uns darüber sehr<br />

gefreut. Gans oder Karpfen konnten wir<br />

uns zu den Feiertagen nie leisten. Vier<br />

Kinder mußten zusammen mit einer Leberwurst<br />

auskommen. Uns gegenüber an<br />

der Berliner Straße wohnten nur „Herrschaften“,<br />

die ihren Kindern vieles bieten<br />

konnten, und manchmal fragte ich meine<br />

Mutter bitter: „Warum bin ich bei so armen<br />

Leuten auf die Welt gekommen?“<br />

Erinnerungen Heinz-Gerold Briese<br />

(geb. 1923)<br />

Unsere Familie wohnte an der Elisabethstraße.<br />

Als ich Kind war, empfand ich die<br />

Vorweihnachtszeit als den Höhepunkt<br />

des Jahres. Wichtig und wertvoll war des<br />

Erlebnis des Weihnachtsmärchens im<br />

Stadttheater. Auch einzelne Vereine boten<br />

Theateraufführungen für die Kinder<br />

ihrer Mitglieder, im Konzerthaus zum Beispiel.<br />

Manchmal habe ich de selbst mit-<br />

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4<br />

Weihnachtliches


Weihnachten<br />

Wie es Kinder von damals erlebten<br />

Postplatz um 1905<br />

spielen dürfen. Für mich sehr imponierend<br />

war das Kaufhaus mit dem großen<br />

Weihnachtsbaum im Lichthof, mit der<br />

Weihnachtsausstellung von Spielzeug<br />

und mit den verlockenden Auslagen in<br />

den hellerleuchteten Schaufenstern. Ich<br />

wünschte mir immer eine Eisenbahn,<br />

aber dieser Wunsch konnte sich nie erfüllen,<br />

dafür reichte des Geld der Eltern<br />

nicht aus. Vater war Korrektor in der<br />

Druckerei Hoffmann und Reiber, nach<br />

1933 Angestellter bei der Allgemeinen<br />

Ortskrankenkasse, und der Verdienst<br />

war bescheiden.<br />

Der Weihnachtsmarkt, man sagte auch<br />

Christkindelmarkt dazu, war damals nicht<br />

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Weihnachtliches<br />

5


Weihnachten im alten Görlitz –<br />

Grüße an die Kriegsfront 1914<br />

so konzentriert wie heute. Die Händler<br />

hatten an der Elisabethstraße, am Wilhelmsplatz<br />

und am Dresdener Platz ihre<br />

Buden aufgeschlagen. Die Bäcker boten<br />

Pfefferkuchenhäusel und Pfeffernüsse<br />

an. Mit Mutter bummelte ich durch die<br />

vorweihnachtlich geschmückten Geschäftsstraßen.<br />

In Bargous Schaufenster<br />

waren Märchenfiguren aufgebaut, die<br />

Kinder konnten sich von dem Anblick<br />

kaum losreißen. Aber viele Eltern standen<br />

traurig vor den festlich geschmückten<br />

und beleuchteten Schaufenstern,<br />

denn sie konnten die Wünsche der Kinder<br />

nicht erfüllen. Das waren ja damals die<br />

Jahre der schlimmsten Arbeitslosigkeit.<br />

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6<br />

Weihnachtliches


Weihnachten<br />

Wie es Kinder von damals erlebten<br />

Manche Geschäfte hatten Mitarbeiter als<br />

Weihnachtsmänner angezogen, die nun<br />

vor den Eingängen Prospekte verteilten,<br />

um Käufer anzulocken. Ich fürchtete<br />

mich vor ihnen. Eins wer aber schöner<br />

als heute – auf dem Weihnachtsmarkt<br />

gab es keinen Rummel. Jeden Adventssonntag<br />

wurde ein weiteres Licht am<br />

Adventskranz angezündet. Mutter spielte<br />

auf dem Klavier Weihnachtslieder. Später<br />

durfte auch ich etwas vorspielen. Jeden<br />

Morgen wurde am Adventskalender ein<br />

neues Türchen aufgemacht und dabei<br />

gezählt, wieviel Tage noch bis zum Fest<br />

blieben. Abends las Mutter weihnachtliche<br />

Geschichten vor, vor allem sonntags,<br />

denn am Sonnabend wurde damals noch<br />

gearbeitet. Außer dem Adventskranz,<br />

der – eingehängt in einen Ständer – auf<br />

dem Tisch stand, hatten wir noch eine<br />

Pappelaterne, hinter deren farbigen Bildchen<br />

aus Transparentpapier eine Kerze<br />

brannte. Aufregend war die Weihnachtsbäckerei.<br />

Aus dem ausgerollten Pfefferkuchenteig<br />

konnte ich selbst mit Blechformen<br />

Sterne und Herzen ausstechen.<br />

Auch Stollen haben wir selbst gebacken.<br />

Die Kuchenbleche mit dem Teig trugen<br />

wir zum Bäcker in die Kellerwerkstatt.<br />

Er schob sie in den Backofen, und nachmittags<br />

konnten wir sie wieder abholen,<br />

mit dem duftenden frischen Gebäck. Den<br />

Weihnachtsbaum kauften wir kurz vor<br />

dem Fest an einem der vielen Stände in<br />

der Stadt. Wir schmückten ihn mit bunten<br />

Kugeln und Flitter. Er blieb bis zum<br />

Januar stehen.<br />

Am Heiligabend zogen wir mit der ganzen<br />

Familie in die Dreifaltigkeitskirche<br />

zur Christnacht. Besonders von der feierlichen<br />

Musik war ich sehr angetan, aber<br />

in Gedanken war ich doch schon bei der<br />

bevorstehenden Bescherung.<br />

Zu Hause gab es erst Essen, Bratwurst<br />

mit Rührkartoffeln und Sauerkraut. Das<br />

Eßzimmer war noch verschlossen. Nach<br />

einem Klingelzeichen öffneten sich die<br />

Türen. Die Geschenke waren noch zugedeckt<br />

und lagen auf einem besonderen<br />

Tisch. Auch Großmutter und Tante waren<br />

gekommen. Zuerst sangen wir gemeinsam<br />

Weihnachtslieder. Wir hatten auch<br />

Grammophonplatten mit weihnachtlicher<br />

Musik. Große Freude herrschte, wenn die<br />

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Weihnachtliches<br />

7


Weihnachten im alten Görlitz –<br />

Brücke am Weiberghaus 1912<br />

geheimnisvolle Decke endlich abgehoben<br />

werden war. Manchmal fand man die<br />

Geschenke am schönsten, von denen<br />

das die Eltern gar nicht gedacht hatten.<br />

Besonders interessierten mich Autos und<br />

Straßenbahnen, denn damals gab es ja<br />

zahlreiche technische Neuerungen. Auch<br />

die Fächer im Kaufmannsladen wurden<br />

alljährlich neu gefüllt und hergerichtet.<br />

Nach der Bescherung brannten wir noch<br />

Wunderkerzen ab. An den Feiertagen gab<br />

es Gänsebraten, Besuche kamen, und es<br />

wurde gemeinsam musiziert, mein Onkel<br />

aus Berlin spielte dabei Geige. Manchmal<br />

mußten wir nach dem Fest Aufsätze darüber<br />

schreiben. Die Lehrer wollten wahr-<br />

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8<br />

Weihnachtliches


Weihnachten<br />

Wie es Kinder von damals erlebten<br />

Berggaststätte Landeskrone um 1910<br />

scheinlich wissen, was wir bekommen<br />

hatten. Das Angebot in den Geschäften<br />

war damals tatsächlich enorm, aber nicht<br />

für alle erschwinglich. Das Schönste an<br />

der Weihnachtszeit war die Vorfreude,<br />

die Heimlichtuerei. Man ahnte etwas,<br />

wußte es aber nicht. Überall wurde getuschelt.<br />

Man schrieb einen Wunschzettel,<br />

aber es durfte kein Fehler darin sein. Am<br />

Morgen des 6. <strong>Dezember</strong> hatte der Nikolaus<br />

etwas in die sorgfältig geputzten<br />

Schuhe gelegt: Nüsse, Apfelsinen, einen<br />

Schokoladenweihnachtsmann. Diesen<br />

Gewinn an Gefühlsreichtum und Zuwendung<br />

danken wir unser ganzes Leben<br />

lang unseren Eltern.<br />

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Weihnachtliches<br />

9


Weihnachten im alten Görlitz –<br />

Schulaufsatz von Kurt Radisch<br />

1933<br />

Etliche Wochen vor Weihnachten durfte<br />

ich mit der Mutter mit nach Görlitz fahren.<br />

Ich hatte mich schon lange darauf<br />

gefreut, denn da gibt es viele schöne<br />

Sachen in den Kaufhäusern und Schaufenstern<br />

zu sehen. Es war auch wirklich<br />

noch viel schöner, als ich mir‘s gedacht<br />

hatte. Im Kaufhaus „Zum Strauß“ war<br />

„Die Fahrt des Weihnachtsmannes ins<br />

Spielzeugland“ ausgestellt. Der Weihnachtsmann<br />

flog mit seinem Flugzeug<br />

ins Spielzeugland. Als er dort angekommen<br />

war, konnte man sehen, wie herrlich<br />

es in dem Lande mit den kleinen Leuten<br />

aussah. Er ließ sein Flugzeug mit lauter<br />

Spielzeug beladen und fuhr wieder in<br />

den heimatlichen Wald. Dort packte er es<br />

auf seinen Schlitten und fuhr durch den<br />

Wald zu den artigen Kindern. Die Leute<br />

im Spielzeugland waren lauter Puppen<br />

und Püppchen, es war wunderschön, gerade<br />

wie ein Märchen.<br />

Aber fast noch schöner war es bei Otto<br />

Straßburg. Dort hatte man aus Papphäuschen<br />

„Görlitz zur Zeit des Dreißigjährigen<br />

Krieges“ aufgebaut. Um die Stadt sah<br />

man die Zelte der Feinde. Als Soldaten<br />

hatte man lauter kleine Zinnfiguren aufgestellt.<br />

Auch die Schlacht bei Moys und<br />

noch andere Schlachten konnte man sehen.<br />

Es war wunderschön. Wenn ich in<br />

Görlitz wohnte, so würde ich es mir gewiß<br />

jeden Tag angesehen haben.<br />

Erinnerungen von Manfred Raupach<br />

um 1939<br />

Weihnachten war auch für uns Görlitzer<br />

Kinder das wohl schönste Fest des Jahres.<br />

Viele Wünsche gingen in Erfüllung<br />

– mindestens ebensoviele aber leider<br />

nicht. Denn ein überfüllter Wunschzettel<br />

hatte die Eltern überfordert, und nützliche<br />

Geschenke, wie z.B. selbstgestrickte<br />

Handschuhe „für den lieben Jungen“,<br />

erfreuten kaum, weil man mit ihnen<br />

nicht spielen konnte. So war es denn<br />

eine Wohltat, wenn auch ein oder zwei<br />

Briefe von Verwandten auf dem Gabentisch<br />

lagen, die einen Schein enthielten.<br />

Dadurch konnte man mit ungewohnt<br />

vollem Geldbeutel nach dem Fest in die<br />

Stadt pilgern, um sich den einen oder<br />

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10<br />

Weihnachtliches


Weihnachten<br />

Wie es Kinder von damals erlebten<br />

anderen Weihnachtswunsch noch selbst<br />

zu erfüllen: eine Weiche oder ein Wagen<br />

fehlte für die Eisenbahn, ein Karl-May-<br />

Buch brauchte man noch oder ein paar<br />

Soldaten für die „Privat-Armee“ usw.<br />

Auch mir erging es so. Gleich nach den<br />

Feiertagen machte ich mich auf die Sokken,<br />

die Zittauer Str. runter. An der Freitreppe<br />

blieb ich einen Moment stehen,<br />

denn von dort konnte (und kann) man<br />

die Bahnhofsgleise gut überblicken, und<br />

ich freute mich immer, wenn ein Zug<br />

von oder nach Kohlfurt, Hirschberg oder<br />

Zittau über den Jakobstunnel donnerte.<br />

Aber dann ging es weiter. Die Treppen<br />

runter, durch den Tunnel in die Jakobstraße<br />

und dann links rein in die Schulstr.<br />

(damals Herbert-Norkus-Str.) zum<br />

Spielwarengeschäft Zippel, Ecke Berliner<br />

Str. (damals Adolf-Hitler-Str.). Es war ein<br />

großer, dunkler Laden, der hauptsächlich<br />

billiges Spielzeug hatte. Hier gab es aber<br />

auch die beliebten „Wiking-Schiffe“, kleine<br />

Schiffsmodelle aus Bleiguß, mit denen<br />

wir Seeschlachten ausfochten. Herr Zippel<br />

war ein kleines, flinkes Männel mit<br />

glänzender Glatze und sehr freundlich<br />

und zuvorkommend. Er bemühte sich<br />

dann im Krieg sogar, die knapp gewordenen<br />

Spielsachen gerecht zu verteilen, und<br />

notierte sich, was wer bekam. Hatte ich<br />

z.B. von einer Sendung ein Schlachtschiff<br />

bekommen und mein Klassenkamerad<br />

Klaus Zenker nur ein kleines Torpedoboot,<br />

so war das dann bei der nächsten<br />

Lieferung genau umgekehrt. Zippel hatte<br />

auch viel Puppen und so‘n Weiberkram,<br />

und so verschwand ich dort bald wieder.<br />

An der Ecke gegenüber von Zippel, bei<br />

Foto-Winkler, konnte man Kinderfilme erstehen<br />

fürs Heimkino oder eine Fotobox.<br />

Aber das war was für ältere Jungen.<br />

Ich eilte also weiter, die Berliner Str. entlang<br />

und rechts rein in die Hospitalstr.<br />

zum „Spielwarenhaus Alfred Dittmann“,<br />

auf der linken Seite, einem, kleinen,<br />

modern eingerichteten Laden. Hier gab<br />

es nur gutes Markenspielzeug, das aber<br />

auch seinen Preis hatte. Z.B. Eisenbahnen<br />

von Märklin und Trix, Lineol- und<br />

Elastolin-Soldaten, Schuco-Autos. Stabil-<br />

Baukästen usw.. Der Inhaber war noch<br />

ziemlich jung, groß und bissel mürrisch.<br />

Ich zehnjähriger Knülch hatte ganz schön<br />

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Weihnachtliches<br />

11


Weihnachten im alten Görlitz –<br />

Respekt vor ihm, aber er hatte Sachkenntnisse,<br />

und so wanderte manche<br />

Mark von mir in seine Kasse. Und weiter<br />

ging‘s die Jakobstr. entlang und links rein<br />

in die Straßburgpassage. Dort war neben<br />

dem Passage-Kino der Optiker Trabs, der<br />

auch Märklin-Bahnen hatte, aber nicht<br />

viel. Da hielt ich mich nicht lange auf,<br />

denn das Paradies für Eisenbahnspieler<br />

war nicht weit: lmmisch.<br />

So machte ich zurück zur Berliner Str.,<br />

wo ein Stückel weiter unten, kurz vor‘m<br />

Postplatz (damals Hindenburgplatz),<br />

Otto Irnmisch war, ein Optik-Foto-Lehrmittel-Laden,<br />

Inhaber Alfred Lünig. Hier<br />

gab es Eisenbahnen und Zubehör aller<br />

Spurweiten und Fabrikate: Märklin, Trix,<br />

Bub, Krauß und Kibri. Auch Dampfmaschinen,<br />

Experimentierkästen und anderes<br />

Lehrspielzeug. Die Schaukästen<br />

im Hauseingang, in der Weihnachtszeit<br />

mit Eisenbahnen gefüllt, waren eine Augenweide.<br />

Diese Kostbarkeiten waren in<br />

einem großen Hinterraum, in dem sogar<br />

eine Bahnanlage für Probefahrten aufgebaut<br />

war. Fachverkäufer war hier ein<br />

Herr Henschel, dessen technisches Wissen<br />

und die Fähigkeit, Reparaturen zu<br />

machen, ich zu schätzen wußte. Spätestens<br />

hier wurde mein Geldbeutel leichter,<br />

und ich begab mich zum Endpunkt<br />

meiner Wanderung, über`n Postplatz<br />

rüber zum Kaufhaus Strauß (Warum wir<br />

Karstadt so nannten, ist mir nicht klar.<br />

Wer weiß es‘?). lm Erdgeschoß stand<br />

ein riesiger Weihnachtsbaum. Die Spielwarenabteilung<br />

war im 2. Stock und<br />

hatte das reichhaltigste Angebot in Görlitz.<br />

Auch war eine große Bahnanlage in<br />

Spur O aufgebaut, auf der ein D-Zug mit<br />

Stromlinienlok fuhr. Hier ging das letzte<br />

Geld drauf, nur noch einen Groschen<br />

hatte ich mir aufgehoben, um mit der<br />

Elektrischen nach Hause fahren zu können.<br />

Schnell noch ins Kaufhaus Bargou<br />

Söhne, schräg gegenüber an der Ecke.<br />

Auch hier mußte ich in die 2. Etage – die<br />

alten Holztreppen knarrten mächtig, und<br />

ich hatte bissel Angst, daß die Bude zusammenkracht.<br />

Das Spielzeug war nischt<br />

Gescheites, aber an der Kasse gab es immer<br />

die Kinderzeitschrift „Der Kibitz“ für<br />

´nen Groschen. Schon wanderte mein<br />

letzter in die Kasse, und die „Eins“ mußte<br />

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12<br />

Weihnachtliches


Weihnachten<br />

Wie es Kinder von damals erlebten<br />

Viadukt um 1905<br />

ohne mich den Demianiplatz verlassen.<br />

So latschte ich denn nach Hause, die Jakobstr.<br />

hoch, wo auf der linken Seite die<br />

Schaufenster der Buchhandlung Worbs<br />

neue Begierden weckten. Hier konnte<br />

man Karl-May-Bücher bekommen und<br />

die beliebten „Zwanzig-Pfennig-Heftel“:<br />

Kolonial Bücherei, Erlebnis-Bücherei,<br />

dann im Krieg die Kriegsbücherei der<br />

deutschen Jugend usw.. Jede Woche erschien<br />

ein neues Heft. Aber meine Kasse<br />

war leider leer...<br />

Berichte aus einer<br />

Görlitzer Privatsammlung<br />

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Weihnachtliches<br />

13


Graf<br />

90. Todestag<br />

Hochberg<br />

von Ehrenbürger Graf Hochberg –<br />

Geschichte und Zukunft der Stadthalle<br />

sind seit Jahren Stadtgespräch in Görlitz.<br />

Kaum einer weiß noch, daß der Begründer<br />

der legendären Schlesischen Musikfeste<br />

und Initiator der Stadthalle, Bolko<br />

Graf von Hochberg, 1910 Ehrenbürger<br />

der Stadt Görlitz wurde dann auch mit<br />

einem Straßennamen gewürdigt werden<br />

sollte. Der damals neue Verbindungsweg<br />

zwischen Lindenweg und Reichenberger<br />

Brücke am westlichen Neißeufer<br />

hieß von da an „Graf-Hochberg-Straße“.<br />

Dieser Name verschwand nach 1945,<br />

und das bis heute. Görlitz im Tiefschlaf?<br />

Wäre das nicht ein Thema für den<br />

Stadthallenverein? Wir veröffentlichen<br />

daher nachstehend den Nachruf aus<br />

dem Festbuch des 20. Schlesischen Musikfestes<br />

1928 und ein Altersbildnis mit<br />

Unterschrift: Hans Heinrich XIV. Bolko<br />

Graf von Hochberg wurde am 23. Januar<br />

1843 zu Schloß Fürstenstein in Schlesien<br />

als Sohn des Fürsten von Pleß geboren.<br />

Nach dem Besuch des Maria-Magdalenen-Gymnasiums<br />

in Breslau sowie der<br />

Vollendung der juristischen Studien in<br />

Bonn und Berlin trat er 1867 in den diplomatischen<br />

Dienst, den er aber nach<br />

kurzer Zeit wieder verließ, um sich auf<br />

seinem Schlosse Rohnstock (zwischen<br />

Jauer und Bolkenhain gelegen) seinen<br />

musikalischen Neigungen ganz widmen<br />

zu können. Schon als Jüngling hatte er<br />

seine erste dramatische Komposition<br />

verfaßt, das Singspiel „Claudine von Villa<br />

bella“, Text von Goethe, das 1864 in<br />

Schwerin erstmalig aufgeführt wurde;<br />

eine dreiaktige romantische Oper „Die<br />

Falkensteiner“ folgte (1876, Hannover),<br />

später umgearbeitet unter dem Namen<br />

„Der Wärwolf“ (1881, Dresden). In der<br />

Folge wandte sich Graf Hochberg mehr<br />

dem Liede und der Instrumentalkomposition<br />

zu; seine Werke erschienen unter<br />

dem Decknamen I. H. Franz. Drei Symphonien<br />

(C-, E- und F-Dur), zwei Trios,<br />

drei Quartette und ein Klavierkonzert<br />

sind als größere Werke daraus hervorzuheben.<br />

Mehrere dieser Kompositionen<br />

sind auf den Programmen der Schlesischen<br />

Musikfeste erschienen.<br />

Viel bedeutsamer für seine Landsleute<br />

und Zeitgenossen aber war es, daß der<br />

Graf neben seiner Tätigkeit als Kompo-<br />

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14<br />

Persönlichkeiten


Graf<br />

Görlitz dankt<br />

Hochberg<br />

für Musikfeste und Stadthalle<br />

nist auch ein wahrer Musikfreund und<br />

sozial empfindender Mensch war. Er hatte<br />

während seiner Studienzeit im Westen<br />

Deutschlands die dort seit länger als 50<br />

Jahren blühenden „Niederrheinischen<br />

Musikfeste“ kennengelernt und den<br />

Plan gefaßt, diese Veranstaltungen nach<br />

seiner Heimatprovinz Schlesien zu verpflanzen.<br />

Mit der ihm eigenen Willenskraft<br />

sowie unter opferfreudiger Einsetzung<br />

reicher Geldmittel gelang ihm das<br />

herrliche Werk: Das 1. Schlesische Musikfest<br />

konnte 1876 in Hirschberg, das<br />

2. im folgenden Jahre in Breslau gefeiert<br />

werden. 1878 und 1880 folgten das 3.<br />

und 4. in Görlitz, dann wechselten Breslau<br />

(1881, 1884 und 1887) und Görlitz<br />

(1883 und 1886), bis endlich vom 10.<br />

(1889) an alle folgenden Feste in Görlitz,<br />

das sich als größere Provinzialstadt<br />

geeigneter als die Hauptstadt erwies,<br />

abgehalten wurden. Hatte man 1896,<br />

als Graf Hochberg zum General-Intendanten<br />

der Kgl. Schauspiele in Berlin ernannt<br />

wurde, gefürchtet, er werde nun<br />

sein begonnenes Werk ruhen lassen,<br />

so zeigte sich bald, daß sein Wort: „Die<br />

Schlesischen Musikfeste werden nun,<br />

denke ich, erst recht zu blühen anfangen“,<br />

das er in diesem Jahre an einen<br />

besorgten Hirschberger Musikfreund geschrieben<br />

hatte, in Erfüllung ging. Durch<br />

seine große Liebenswürdigkeit, die den<br />

Grafen bei allem Tun auszeichnete, gelang<br />

es ihm nämlich in der Folgezeit, die<br />

Berliner Kgl. Kapelle für die Mitwirkung<br />

bei den Musikfesten zu gewinnen und<br />

damit einen Fortschritt zu schaffen, der<br />

die künstlerischen Leistungen in den<br />

Festkonzerten auf eine bis dahin nie erreichte<br />

Stufe hob. Wie sehr die Kapelle<br />

an ihrem Vorgesetzten hing, zeigte sich<br />

darin, dass sie auch nach dem Jahre<br />

1903, nachdem der Graf seiner Berliner<br />

Stellung aufgegeben hatte, ihm mit ihrer<br />

Unterstützung treu blieb. Damit sind des<br />

Grafen Hochberg Verdienste um unser<br />

Musikleben aber noch nicht erschöpft:<br />

er vermittelte uns nicht nur zahlreiche<br />

künstlerische Genüsse, er half uns auch<br />

den Raum zu schaffen, der uns heute<br />

für alle größeren musikalischen Ereignisse<br />

den wirkungsvollen Rahmen gibt, die<br />

Stadthalle. Die alte Musikfesthalle schon<br />

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Persönlichkeiten<br />

15


Graf<br />

90. Todestag<br />

Hochberg<br />

von Ehrenbürger Graf Hochberg –<br />

war durch die Freigebigkeit des Grafen<br />

erworben worden; war sie auch nur ein<br />

schmuckloser Holzbau, so erfüllte sie<br />

doch ihren Zweck jahrzehntelang, und<br />

manches schöne Fest ist in ihr gefeiert<br />

worden. Als dann der Plan, einer neue<br />

Festhalle zu bauen, auftauchte, erwirkte<br />

Graf Hochberg die Erlaubnis zur Veranstaltung<br />

einer Lotterie, deren Erlös<br />

in Höhe von 300 000 M. der Stadt als<br />

Grundstock zum Bau überwiesen wurde.<br />

Als dann im Oktober 1910 die Stadthalle<br />

eingeweiht werden konnte, ehrte<br />

die Stadt den verdienstvollen Mann mit<br />

der höchsten Auszeichnung, die sie zu<br />

vergeben hat: sie ernannte ihn zum Ehrenbürger<br />

von Görlitz. Neunzehn Schlesische<br />

Musikfeste hat Graf Hochberg als<br />

Protektor mitfeiern dürfen, davon vierzehn<br />

in Görlitz. Als der rüstige Greis von<br />

82 Jahren am Schluß des letzten Festes<br />

das Podium betrat, um allen Mitwirkenden<br />

seinen Dank auszusprechen, als<br />

sich die ganze Festversammlung einmütig<br />

erhob, um ihrerseits dem Schöpfer<br />

der Schlesischen Musikfeste für alles zu<br />

danken, was er im Laufe eines halben<br />

Bolko Graf von Hochberg, Altersbildnis<br />

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16 Persönlichkeiten


Graf<br />

Görlitz dankt<br />

Hochberg<br />

für Musikfeste und Stadthalle<br />

Jahrhunderts für unser Musikleben getan<br />

hat, als er dann mit den Worten<br />

Hans Sachsens begann: „Euch macht<br />

ihr‘s leicht, mir macht ihr‘s schwer“, da<br />

klang wohl durch seine Ansprache eine<br />

leise Vorahnung, es könnte dies ein Abschiedswort<br />

für immer sein. Aber die<br />

gute Gesundheit und die Geistesfrische<br />

des Grafen ließen doch auf ein frohes<br />

Zusammenfeiern im Jahre 1928 hoffen,<br />

und so klang ihm denn von allen Seiten<br />

das „Auf Wiedersehen in drei Jahren!“<br />

entgegen. Es ist anders gekommen.<br />

Am 1. <strong>Dezember</strong> 1926 hat Graf Hochberg<br />

in Bad Salzbrunn seine Augen zum<br />

letzten Schlummer geschlossen. Vertreter<br />

der Stadt und des Festausschusses<br />

haben ihn in Rohnstock zu Grabe geleitet.<br />

Die Stadt Görlitz veranstaltete am<br />

12. <strong>Dezember</strong> in der Stadthalle für ihren<br />

Ehrenbürger eine Trauerfeier, bei der<br />

nach einem Bachschen Präludium und<br />

der Coriolan-Ouvertüre von Beethoven<br />

Oberbürgermeister Snay die Gedenkrede<br />

hielt; darauf folgte das Larghetto aus<br />

der E-Dur-Symphonie des Verstorbenen<br />

und – damit auch der Chor dem Toten<br />

seine Verehrung bezeigen konnte – das<br />

Benedictus a.d. Missa solemnis von<br />

Beethoven.– Es wird allen alten Musikfestteilnehmern<br />

eine wehmütige Erinnerung<br />

aufsteigen, wenn sie in den kommenden<br />

Festtagen auf dem bekannten<br />

Platz in der Mittelloge nicht mehr den<br />

ehrwürdigen alten Herrn erblicken werden,<br />

der sonst in allen Proben und Aufführungen<br />

mit der Partitur in der Hand<br />

der aufmerksamste Zuhörer war. Die<br />

Stadt Görlitz aber wird die Schlesischen<br />

Musikfeste als das teuerste Vermächtnis<br />

des Verstorbenen immer in treue Pflege<br />

nehmen.<br />

Nachruf<br />

im Festbuch 20. Schlesisches Musikfest<br />

Görlitz vom 30. Mai bis 3. Juni 1928<br />

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Persönlichkeiten<br />

17


Historische<br />

Ohne Spielzeug wird keiner<br />

Spielsachen<br />

groß –<br />

Pünktlich zum 1. Advent öffnet das alte<br />

Franziskanerkloster am 27.11.<strong>2016</strong> um<br />

10:00 Uhr seine Türen für die neue<br />

Weihnachtsausstellung. Weil Spielzeug<br />

Kinder und Nostalgiker gleichermaßen<br />

in seinen Bann ziehen kann, bieten die<br />

Exponate, in Verbindung mit dem museumspädagogischen<br />

Programm, für<br />

Groß und Klein eine Zeitreise in frühere<br />

Kinderwelten und gegenwärtige Abenteuer.<br />

Seit Bestehen des Zittauer Stadtmuseums<br />

gelangte in seine Sammlung auch<br />

eine Anzahl Spielzeug. Eine der nach-<br />

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18<br />

Ausstellung


Historische Spielsachen aus einer Zeit<br />

vor Pokémon GO Spielsachen<br />

weisbar ältesten Erwerbungen ist das<br />

1925 angekaufte Bilderbuch aus dem<br />

Jahr 1832. Das historische Spielzeug in<br />

der Sammlung des Museums ist zumeist<br />

der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und<br />

der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zuzuordnen.<br />

In den letzten Jahren kam eine<br />

ganze Reihe Spielzeug aus der Zeit der<br />

DDR hinzu. In seiner Struktur ist der Gesamtbereich<br />

sehr heterogen und gibt einen<br />

Einblick in die bunte Welt des Spielens<br />

über nahezu einhundert Jahre. In<br />

der Ausstellung liegt der Schwerpunkt<br />

auf dem historischen Spielzeug, das,<br />

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Ausstellung<br />

19


Historische<br />

Ohne Spielzeug wird keiner<br />

Spielsachen<br />

groß<br />

um Neuzugänge auch<br />

jüngerer Zeit ergänzt, zu<br />

einem entdeckungsreichen<br />

Besuch einlädt. Bei<br />

einem Streifzug durch<br />

die Fantasiewelten der<br />

vergangenen zwei Jahrhunderte<br />

werden Sie<br />

spannende Veränderungen,<br />

aber auch bemerkenswerte<br />

Ähnlichkeiten<br />

zu Spielsachen von heute<br />

entdecken können.<br />

Städtische Museen<br />

Zittau<br />

(Fotos: Jürgen Matschie)<br />

„Ohne Spielzeug wird<br />

keiner groß -<br />

Historische Spielsachen<br />

aus einer Zeit vor Pokémon<br />

GO“<br />

Ausstellung<br />

Bis 26. Februar 2017<br />

Kulturhistorisches Museum<br />

Franziskanerkloster<br />

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20<br />

Ausstellung


Oh<br />

Sonderausstellung<br />

es riecht<br />

“Oh es<br />

gut<br />

riecht gut!”<br />

„Oh es riecht gut – oh es riecht fein“ –<br />

heißt es in dem bekannten Weihnachtslied<br />

und weiter „In der Küche riecht<br />

es lecker, ähnlich wie beim Zuckerbäcker…“.<br />

Ergänzen könnte man weitere<br />

Berufe wie Koch, Chocolatier, Kaffeeröster<br />

oder Gewürzhändler. All diesen<br />

Zweigen der feinen Geruchskunst widmet<br />

sich die Sonderausstellung „Oh es<br />

riecht gut!“ im Dorfmuseum Markersdorf<br />

ab dem 27.11.<strong>2016</strong>. Dabei geht<br />

es ebenso um die süßen Dinge, die die<br />

heimische Küche in den vergangenen<br />

150 Jahren hervorbrachte – egal ob Eis,<br />

Kuchen oder andere süße Naschereien<br />

– wie auch um Kaffee, Kochgerüche und<br />

Gewürze.<br />

Besonders die Weihnachtszeit ist von<br />

Gerüchen geprägt. Auf den Weihnachtsmärkten<br />

ziehen Schwaden süßer Düfte<br />

nach Zuckerwatte, Waffeln, aber auch<br />

Glühwein durch die Straßen. In den<br />

heimischen Küchen wird gebacken und<br />

Zimt, Anis, Kardamom und Vanille verführen<br />

die Nase. Was wäre die schönste<br />

Zeit des Jahres ohne Stollen oder Spekulatius?<br />

Vor allem ein Gebäck prägt die<br />

Weihnachtszeit, besonders in der Oberlausitz:<br />

der Pfefferkuchen.<br />

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Ausstellung<br />

21


Oh<br />

Sonderausstellung<br />

es riecht<br />

“Oh es<br />

gut<br />

riecht gut!” –<br />

Bereits im 13. Jahrhundert lassen sich<br />

Pfefferkuchen in Europa nachweisen.<br />

Der Grundteig besteht aus Roggenmehl,<br />

Weizenmehl, Bienenhonig oder Sirup.<br />

Nach einer kühlen und dunklen Lagerung,<br />

die durchaus 3 Monate dauern<br />

kann, werden dem Teig Gewürze wie<br />

Zimt, Koriander, Nelken, Mazis (Muskatblüte),<br />

Kardamon, auch Mandelöl oder<br />

Zitronenschalen und Backtriebmittel wie<br />

Pottasche und Hirschhornsalz beigegeben.<br />

Im Mittelalter fasste man orientalische<br />

Gewürze unter dem Begriff „Pfeffer“<br />

zusammen. So erklärt sich auch der<br />

Name „Pfefferkuchen“, obwohl sich kein<br />

Pfeffer darin befindet.<br />

Eine weitere Nascherei, ohne die die<br />

Weihnachtszeit heute kaum vorstellbar<br />

ist, ist die Schokolade. Auch mit ihr verbindet<br />

sich ein bestimmter Geruch und<br />

natürlich Geschmack. Zartschmelzend,<br />

oft süß, manchmal leicht bitter, zählt sie<br />

zu den beliebtesten Süßwaren. Bereits<br />

die geröstete Kakaobohne verströmt<br />

einen Geruch, der sofort an Schokoladenweihnachtsmänner<br />

und –osterha-<br />

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22<br />

Ausstellung


Oh<br />

im Dorfmuseum<br />

es riecht<br />

Markersdorf<br />

gut<br />

sen sowie heiße Schokolade denken<br />

lässt. Bei den Azteken Südamerikas als<br />

Zahlungsmittel benutzt, kam der Kakao<br />

mit den spanischen Eroberern im 16.<br />

Jahrhundert nach Europa. Erst im 19.<br />

Jahrhundert jedoch trat die Schokolade<br />

ihren unaufhaltsamen Siegeszug quer<br />

durch alle Bevölkerungsschichten an.<br />

Das süße Gold – bestehend aus Kakao,<br />

Kakaobutter, Zucker und Milchpulver –<br />

ist dabei in den verschiedensten Formen<br />

zu finden: als Hohlkörper gegossen, in<br />

Form von Pralinen oder Tafeln, zu Eis<br />

oder Pudding verarbeitet oder mit heißer<br />

Milch zubereitet als heiße Schokolade.<br />

Bereits seit <strong>161</strong>5 schwirrt der Duft eines<br />

anderen Heißgetränkes durch die<br />

europäische Luft: der Kaffee. Im Gegensatz<br />

zur Schokolade stammt er aus<br />

Afrika. Er war – und ist – in Europa so<br />

beliebt, dass ihm sogar Gedichte und<br />

Musikstücke gewidmet wurden. Lange<br />

Zeit hindurch wurde Kaffee jedoch nicht<br />

pur genossen, sondern mit Gewürzen<br />

ebenso wie mit Zusätzen wie Zichorie<br />

gestreckt.<br />

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Ausstellung<br />

23


Oh<br />

Sonderausstellung<br />

es riecht<br />

“Oh es<br />

gut<br />

riecht gut!” –<br />

Kaffee – beide entfalten ihr Aroma erst<br />

durch die schonende Röstung der Bohnen.<br />

Wer kennt ihn nicht den Geruch<br />

nach frisch gemahlenem Kaffee? Auch<br />

für die Herstellung der Schokolade müssen<br />

die Kakaobohnen fein gemahlen<br />

werden. So wundert es nicht, dass die<br />

Kosa Schokoladenfabrik Rolle K.G. in<br />

ihren Geschäften in ganz Deutschland<br />

vor dem 2. Weltkrieg neben gefüllten<br />

Schokoladen-Eiern und dragierten Nüssen<br />

auch Kaffee verkaufte.<br />

Im 20. Jahrhundert verbanden die großen<br />

Süßwarenfirmen oft die Herstellung<br />

von Schokolade mit der Herstellung von<br />

Aber nicht nur die süßen Düfte bestimmen<br />

unseren Alltag, sondern auch die<br />

herzhaften Gerüche nach gekochten<br />

Kartoffeln, Gänsebraten oder Sauerkraut.<br />

All diese Leckereien wären ohne<br />

Gewürze nicht denkbar: Kümmel, Lorbeer,<br />

Senfsaat, Muskat, Nelken, Pfeffer<br />

und Piment – sie alle und noch viele,<br />

viele mehr sorgen dafür, dass Kartoffelbrei,<br />

Fischgerichte und Weißkohl den<br />

besonderen Pfiff erhalten. Zimt, Anis,<br />

Ingwer, Kardamom und Koriander machen<br />

Plätzchen und Kuchen bekömmlich.<br />

Ohne Vanillezucker oder Orangeat<br />

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24<br />

Ausstellung


Oh<br />

im Dorfmuseum<br />

es riecht<br />

Markersdorf<br />

gut<br />

wäre so manches Gebäck nur halb so<br />

lecker.<br />

Lassen Sie sich entführen in die Welt der<br />

Düfte und besuchen Sie die Sonderausstellung<br />

„Oh es riecht gut!“ im Dorfmuseum<br />

Markersdorf!<br />

Anja Köhler<br />

„Oh es riecht gut! – Sonderausstellung<br />

im Dorfmuseum Markersdorf vom<br />

27.11.<strong>2016</strong> bis 30.4.2017<br />

Öffnungszeiten:<br />

Mi.-Fr. 10.00-16.00 Uhr<br />

Sa./ So./ Feiertags 13.00-17.00 Uhr<br />

Das Museum bleibt vom 19.12.<strong>2016</strong> bis<br />

zum 3.1.2017 geschlossen!<br />

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Ausstellung<br />

25


Reformationsjubiläum<br />

Kirchfahrer, Buschprediger, betende Kinder –<br />

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An<br />

Zum Reformationsjubiläum 2017<br />

hat das Schlesische Museum zu<br />

Görlitz eine deutsch- und polnischsprachige<br />

Wanderausstellung<br />

vorbereitet. Auf fünfzehn<br />

reich illustrierten Tafeln wird die<br />

Geschichte des Protestantismus<br />

in Schlesien aufgezeigt. Die erste<br />

Station der Ausstellung ist das<br />

Schlesische Museum, wo sie vom<br />

10. <strong>Dezember</strong> <strong>2016</strong> bis 12. März<br />

2017 zu sehen ist.<br />

Schlesien gehörte zu den Ländern,<br />

die sich als erste der Reformation<br />

öffneten. Die Ausstellung<br />

verdeutlicht, wie sich seit den<br />

1520er Jahren die Lehre Martin<br />

Luthers im Bürgertum und im<br />

niederen Adel ausbreitete und<br />

Wolf von Busewoy (1509-1563) war einer<br />

der einflussreichsten Förderer der Reformation<br />

im Herzogtum Liegnitz. Sein Porträt enthält<br />

ein eindrückliches Glaubensbekenntnis<br />

im Sinne der Lehre Martin Luthers.<br />

Unbekannter schlesischer Maler, 1550, Pfarrkirche<br />

in Bärsdorf-Trach bei Haynau/Parafia<br />

Niedźwiedzice, Foto: Dariusz Berdys<br />

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26<br />

Ausstellung


e<br />

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Reformationsjubiläum<br />

500 Jahre evangelisches Leben in Schlesien<br />

bald auch unter den schlesischen Fürsten<br />

einflussreiche Förderer fand. Bis<br />

zum Ende des 16. Jahrhunderts waren<br />

drei Viertel der Gemeinden Schlesiens<br />

evangelisch geworden.<br />

Informationen und Bilder von Ereignissen,<br />

Orten und Persönlichkeiten stellen<br />

die länger als zweihundert Jahre währende<br />

Auseinandersetzung zwischen<br />

katholischem und evangelischem Bekenntnis<br />

in Schlesien dar. Die Friedensund<br />

die Gnadenkirchen stehen für den<br />

Kampf des schlesischen Protestantismus<br />

um Selbstbehauptung im Zeitalter<br />

der Gegenreformation. Im 18. Jahrhundert<br />

schließlich entwickelte sich Schlesien<br />

zu einem bikonfessionellen Land.<br />

Die „schlesische Toleranz“ setzte sich<br />

durch.<br />

Die Ausstellung verfolgt die Geschichte<br />

des Protestantismus in der Epoche der<br />

Industrialisierung und durch die Katastrophen<br />

und Bewährungen des 20.<br />

Jahrhundert bis in die Gegenwart. Ein<br />

„roter Faden“ ist die Frage nach der Aktualität<br />

des Protestantismus in einem<br />

heute überwiegend katholischen Land.<br />

Gerade die polnische evangelische Minderheit<br />

wurde seit den 1960er Jahren<br />

in Zusammenarbeit mit den heimatvertriebenen<br />

schlesischen Protestanten<br />

und der Evangelischen Kirche in beiden<br />

deutschen Staaten zu einem Träger der<br />

deutsch-polnischen Versöhnung.<br />

Die Präsentation ist Bestandteil eines<br />

größeren Ausstellungsprojekts des Deutschen<br />

Kulturforums östliches Europa in<br />

Potsdam mit dem Titel „Reformation im<br />

östlichen Europa“. Die Wanderausstellung<br />

über Schlesien wird ab Frühjahr<br />

2017 im Haus Schlesien in Königswinter<br />

und in mehreren polnischen Städten<br />

zu sehen sein. Weitere Ausleihen sind<br />

möglich.<br />

Das Schlesische Museum lädt zu einem<br />

interessanten und vielseitigen Begleitprogramm<br />

ein. Dazu gehören Konzerte,<br />

Vorträge und Zeitzeugengespräche, das<br />

Theaterstück „Luther war nie in Schlesien“<br />

mit Görlitzer Schülern und Exkursionen<br />

zu evangelischen Kirchen in Görlitz.<br />

Auch für Schüler jedes Alters werden<br />

Veranstaltungen angeboten.<br />

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Ausstellung<br />

27


Reformationsjubiläum<br />

Kirchfahrer, Buschprediger, betende Kinder –<br />

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An<br />

Die große Tradition der Kirchenmusik an der Schweidnitzer Friedenskirche besteht bis heute: Bach-Festival <strong>2016</strong>.<br />

Foto: Evangelisch-Augsburgische Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit in Schweidnitz/Świdnica<br />

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28<br />

Ausstellung


e<br />

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Reformationsjubiläum<br />

500 Jahre evangelisches Leben in Schlesien<br />

Die Ausstellungseröffnung findet<br />

am Freitag, dem 9. <strong>Dezember</strong><br />

<strong>2016</strong>, um 19.00 Uhr statt. Waldemar<br />

Pytel, Bischof der Breslauer<br />

Diözese der Evangelisch-Augsburgischen<br />

Kirche Polens, und Dr.<br />

Thomas Koppehl, Superintendent<br />

des Kirchenkreises Schlesische<br />

Oberlausitz, sprechen über das<br />

gemeinsame kulturelle Erbe der<br />

Evangelischen Kirche Schlesiens.<br />

Im Konzert von Kreiskantorin<br />

Ulrike Scheytt und Sängerin Mi<br />

Seon Kim erklingen Lieder schlesischer<br />

Dichter und Komponisten<br />

aus fünf Jahrhunderten.<br />

Dr. Martina Pietsch<br />

Schlesisches Museum zu Görlitz<br />

Schönhof, Brüderstraße 8<br />

02826 Görlitz<br />

Tel. 0049 (0)3581 87910<br />

www.schlesisches-museum.de<br />

Das Martin-Luther-Denkmal in<br />

Bielitz/Bielsko ist das einzige in Polen.<br />

Foto: Marek Kocjan<br />

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Ausstellung<br />

29


Görlitzer<br />

Weihnachtliche königliche<br />

Christstollen<br />

Gaumenfreude –<br />

Das Weihnachtsfest ist wohl für die<br />

meisten Menschen der besinnliche,<br />

aber auch alle Sinne ansprechende<br />

jährliche Höhepunkt. Die oft fern der<br />

Heimat lebenden Kinder und Enkel kehren<br />

heim, um im Kreise der Familie die<br />

Geburt von Jesus Christus zu feiern. Es<br />

ist wohl vor allem ein Fest der Familie.<br />

Glücklich strahlende Kinderaugen am<br />

Heiligen Abend sind wohl der schönste<br />

Lohn für die Mühen und die wohl leider<br />

kaum vermeidbare Hektik während der<br />

Vorbereitungen des Festes. Von großer<br />

Wichtigkeit für ein gelungenes Weihnachtsfest<br />

ist die Einhaltung bestimmter<br />

heimatlicher Bräuche und familiärer<br />

Traditionen. Dies trifft besonders auf<br />

die weihnachtlichen Gaumenfreuden<br />

zu. Jedermann verbindet wohl ganz bestimmte<br />

Düfte und Geschmacksnuancen<br />

mit den herrlichen Köstlichkeiten,<br />

welche es eben nur während des Weihnachtsfestes<br />

gibt. Egal wie alt man ist,<br />

man denkt dabei wohl vielleicht unbewusst<br />

an die eigene Kindheit. Für viele<br />

Görlitzer ist es eben der einmalige Duft<br />

der speziellen Weihnachtsbratwurst, der<br />

den Weihnachtsabend erst zum gelungenen<br />

Erlebnis werden lässt. Eigentlich<br />

ist es doch bedauerlich, dass wir heute<br />

sehr oft den Sinn für Selbstbeschränkung,<br />

für uraltes Brauchtum verloren<br />

haben und uns damit ein großes Stück<br />

Genuss und Freude leichtfertig selbst<br />

nehmen. Warum liegt der Christstollen<br />

- Jahrhunderte altes Symbol des in Tücher<br />

gewickelten Christuskindes – bereits<br />

im Oktober auf den Ladentischen?<br />

Würde ein freiwilliger Verzicht bis zum<br />

heiligen Abend nicht Gewinn und erhöhten<br />

Genuß bringen? Muss man wirklich<br />

alles zu jeder Zeit sofort haben? Wird<br />

das Besondere dann nicht etwas Beliebiges?<br />

Wo bleibt dann der kulinarische<br />

Höhepunkt des Weihnachtsfestes?<br />

Womit ich beim Thema wäre. Es soll im<br />

folgenden um Görlitzer Weihnachtsstollen<br />

oder „Christbrodte“, wie man sie vor<br />

400 Jahren nannte, gehen. Dass unsere<br />

Görlitzer Bäcker heute ihr Handwerk<br />

verstehen ist bekannt. Das war auch in<br />

der Vergangenheit so. Görlitzer Christbrote<br />

besaßen schon seit dem 17. Jahrhundert<br />

einen nahezu legendären Ruf.<br />

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30<br />

Weihnachtliches


Görlitzer Christstollen<br />

Christstollen<br />

Am Backofen 1716<br />

Sie waren lange vor der<br />

Geburt der „Liebesperlen“<br />

der wohl berühmteste<br />

Görlitzer kulinarische<br />

Exportartikel überhaupt.<br />

In Naumanns „Industrial-<br />

und Commerzial -Topographie<br />

von Chursachsen“<br />

aus dem Jahre 1789<br />

finden Görlitzer Christbrote<br />

ausdrückliche Erwähnung.<br />

Überraschend<br />

erscheint jedoch angesichts<br />

des bis heute<br />

von den Dresdner Bäckern<br />

sorgsam gepflegten<br />

Rufes ihrer eigenen<br />

Christstollenbackkunst<br />

die Tatsache, dass jene<br />

auf der Weihnachtstafel<br />

der sächsischen Kurfürsten<br />

nicht die Hauptrolle<br />

spielten. Denn seit dem<br />

17. Jahrhundert lieferte<br />

der Görlitzer Rat pünktlich<br />

zum 24. <strong>Dezember</strong><br />

den verwöhnten Gaumen<br />

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Weihnachtliches<br />

31


Görlitzer<br />

Weihnachtliche königliche<br />

Christstollen<br />

Gaumenfreude –<br />

Arbeitsgänge in der Backstube, 1716<br />

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32<br />

Weihnachtliches


Görlitzer Christstollen<br />

Christstollen<br />

des Hofes 22 Christbrote nach Dresden.<br />

Umfangreiche Akten des Görlitzer<br />

Ratsarchives belegen den Ruhm weihnachtlicher<br />

Görlitzer Backkunst. Als sich<br />

August der Starke als polnischer König<br />

in Warschau aufhielt, „vergaß“ man die<br />

Lieferung nach Dresden. Sofort verfasste<br />

der kurfürstliche Oberhofmarschall<br />

Baron von Löwendahl einen gar nicht<br />

zeitgemäß in harschem Stil verfassten<br />

Brief, in dem die traditionelle Lieferung<br />

angemahnt wurde. Man lieferte, denn<br />

die Görlitzer waren zum Ärger der anderen<br />

oberlausitzer Städte immer cleverer<br />

in der klugen Pflege der Landesherrschaft.<br />

Liebe ging in diesem Falle<br />

durch kurfürstliche und ministerielle<br />

Mägen. Besonders August der Starke<br />

liebte das Görlitzer Backwerk. Über seinen<br />

Hofmarschall ließ er die Görlitzer<br />

im Jahre 1722 wissen, dass 22 Stollen<br />

den Bedarf für die drei Weihnachtsfeiertage<br />

unmöglich decken könnten. Die<br />

Görlitzer verstanden und lieferten fortan<br />

60 Christbrote. In Dresden verteilte<br />

man sie nach einem genau festgelegten<br />

Schlüssel. So erhielten die Festtagstafeln<br />

August des Starken, seiner Gemahlin,<br />

der Prinzen und Prinzessinnen sowie<br />

der Hofdamen jeweils sechs Christbrote.<br />

Die wichtigsten anderen Amtsinhaber<br />

konnten sich immerhin an zwei der<br />

begehrten Näschereien vergnügen.<br />

Ich hoffe, ich habe Sie neugierig gemacht.<br />

Ich möchte auf diesem Wege<br />

auch allen Besuchern und Freunden des<br />

Görlitzer Ratsarchivs ein gesegnetes<br />

und frohes Weihnachtsfest wünschen.<br />

PS.: Der Autor versucht unter Anstrengung<br />

aller seiner Willenskräfte dem<br />

verlockenden Duft der Görlitzer Weihnachtsbratwürste<br />

besonders auf dem<br />

Christkindelmarkt bis zum Weihnachtsfest<br />

nicht zu erliegen.<br />

Siegfried Hoche<br />

Ratsarchivar<br />

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Weihnachtliches<br />

33


Aufschlußreiches zur Stadtgeschichte –<br />

Wer in letzter Minute ein vermutlich willkommenes<br />

kleines Geschenk für Angehörige<br />

oder Freunde sucht, der findet in<br />

den Buchhandlungen im Stadtzentrum<br />

auch zwei leider öffentlich kaum beachtete<br />

Titel. Im Senfkorn-Verlag Theisen<br />

kam bereits 2015 ein kleines, aber feines<br />

Heft von Marlies Grützmacher unter<br />

dem originellen Titel „Hungersnot &<br />

Kohlenklau“ heraus. Die Autorin schildert<br />

darin mit episodenhaften Texten und mit<br />

Amateurfotos aus dem Familienalbum<br />

ihre Begegnungen und Erlebnisse im‚<br />

Kindesalter in ihrer Heimatstadt Görlitz<br />

in Kriegs- und Nachkriegszeiten. Anschauliches<br />

und lebendiges Erinnerungsvermögen,<br />

ein anheimelnder Erzählton<br />

und der Wunsch, den Jüngeren Bewahrenswertes<br />

zu vermitteln, bereiten dem<br />

Leser, zumal dem Gleichaltrigen, sichtliches<br />

Vergnügen. Rund um den bekannten<br />

Häuserkomplex an der Lutherstraße,<br />

unmittelbar hinter dem Zugang des<br />

Brautwiesentunnels und gegenüber dem<br />

Maschinenbau-Gelände, spielen sich die<br />

alltäglichen und zeittypischen Begebenheiten<br />

mit ihren sympathischen Darstellern<br />

ab Mit wenigen Sätzen gelingt es der<br />

Verfasserin, uns liebenswerte Zeitgenossen<br />

einprägsam in ihrem Erscheinungsbild<br />

und ihrem Handeln nahezubringen.<br />

Wer etwas über „die Görlitzer“ erfahren<br />

möchte, kommt hier auf seine Kosten.<br />

Dieses Beispiel sollte Schule machen<br />

und auch andere ältere Mitbürger dazu<br />

ermutigen, mitteilenswerte Erlebnisse<br />

aus dem eigenen Lebenslauf für die Familiennachkommen<br />

aufzuschreiben. Als<br />

Kostprobe folgen nun ein paar Zeilen aus<br />

der angekündigten Broschüre:<br />

Ich war ein Kind der Bauhütte und bin<br />

es eigentlich heute noch, weil wohl nach<br />

dem Krieg das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

durch das gemeinsame Hungern<br />

und das Freuen über jede Kleinigkeit<br />

größer war als heute vorstellbar. Die<br />

Bauhütte in Görlitz bestand aus drei Häusern,<br />

die so ineinander gebaut waren, als<br />

wären sie ein Haus. Es handelt sich um<br />

die Lutherstraße 8, 9 und 10.<br />

Es gab insgesamt 28 Familien mit mehr<br />

oder weniger vielen Kindern, die meisten<br />

ohne Väter (da diese im Krieg geblieben<br />

waren), und die Väter, die den Krieg über-<br />

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34<br />

Lesen


Stadtgeschichte<br />

Neue Broschüre im Görlitzer Buchhandel<br />

Neuerscheinung im Senfkorn-Verlag Görlitz, 2015<br />

lebt hatten, glaubten jetzt beim<br />

vorhandenen Frauenüberschuss,<br />

Hahn im Korb zu sein und benahmen<br />

sich entsprechend. Es<br />

war also zweifelhaft, ob es besser<br />

war, den gefallenen Vater zu<br />

betrauern oder den fremdgehenden<br />

Vater zu hassen.<br />

Den meisten Frauen und Müttern<br />

möchte ich ein Denkmal setzen,<br />

sie sorgten dafür, dass das Leben<br />

weiter ging, egal wie. Sie<br />

nahmen jede Heimarbeit an und<br />

gingen in die Großbetriebe und<br />

verrichteten schwerste Männerarbeit.<br />

Meine liebe Mutter war<br />

Schneiderin, und da nur die Küche<br />

beheizt wurde, weil das geklaute<br />

Holz nicht weit reichte und<br />

meine Holzbausteine auch wenig<br />

Wärme erzeugt hatten, spielte<br />

sich unser Leben im Winter nur<br />

hier ab.<br />

Da wurden Dinge besprochen,<br />

während auf die Anprobe gewartet<br />

wurde, die sicher nicht<br />

immer für Kinderohren bestimmt<br />

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Lesen<br />

35


Aufschlußreiches zur Stadtgeschichte –<br />

waren. Aber wen hat das damals schon<br />

gestört? Jeder hatte ein anderes schweres<br />

Schicksal zu tragen, und‘ Mutter war<br />

eine geduldige Zuhörerin, was blieb ihr<br />

auch anderes übrig?<br />

Es war im Jahr 1941, im bitterkalten Januar,<br />

als zwei junge Frauen sich durch<br />

den Schnee kämpften und versuchten,<br />

auf dem eisglatten Bürgersteig nicht<br />

auszurutschen. Eine davon war meine<br />

schwangere Mutter, die ihre ersten Wehen<br />

hatte, die andere – wesentlich jünger<br />

– half ihr, so gut es ging, nach Hause<br />

zu kommen. Sie hieß Liesl und war die<br />

Schwägerin meiner Mutter. Da der Vater<br />

im Krieg war, hatte er seine Schwester<br />

gebeten, seiner Frau in der schweren<br />

Stunde der Geburt beizustehen.<br />

Liesl sagte zu, da sie ein gutes Herz hatte,<br />

aber mit ihren jungen Jahren war ihr<br />

auch bange vor dem, was sie zu erwarten<br />

hatte. Sie war fremd in der Stadt und<br />

sie war noch nie bei einer Geburt dabeigewesen.<br />

Endlich war man daheim, machte Feuer<br />

für warmes Wasser und legte die Wäsche<br />

bereit.<br />

Als meine Mutter Liesl zur Hebamme<br />

schickte, war es höchste Zeit. Man hatte<br />

ihr den Weg genau beschrieben, mit<br />

wehendem Mantel und alle Türen hinter<br />

sich offen lassend rannte sie los. Sie fand<br />

auch das Haus, aber, oh Schreck, die<br />

Hebamme hatte das Bein in diesem kalten,<br />

glatten Winter gebrochen und war<br />

somit „kampfunfähig“.<br />

Sie erklärte Liesl den Weg zur nächsten<br />

Wehmutter genau, aber Liesl war fremd<br />

in der Stadt, es war dunkel und bitterkalt<br />

und niemand war auf der Straße, den<br />

sie nach dem Weg hätte fragen können.<br />

Endlich erreichte sie die angegebene Adresse.<br />

Als sie ihr Anliegen vortrug, meinte<br />

die gute Frau, sie sei eben von einer<br />

Zwillingsgeburt aus Girbigsdorf zurück<br />

und brauchte erst einmal einen starken<br />

Kaffee. Liesl stand wie auf heißen Kohlen<br />

aber was blieb ihr anderes übrig, als zu<br />

warten.<br />

ln der Zwischenzeit lag die werdende<br />

Mutter mit all ihren Schmerzen allein zu<br />

Haus. Sie kämpfte und rief alle Schutzengel<br />

an, ihr zu helfen, und das taten<br />

sie; ganz allein brachte die junge Frau<br />

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36<br />

Lesen


Stadtgeschichte<br />

Neue Broschüre im Görlitzer Buchhandel<br />

ihr Kind zur Welt. Es war ein schwarzhaariges<br />

kleines Mädchen namens Marlies,<br />

das sich ohne ärztliche Hilfe auf den<br />

Weg gemacht hatte. Es kam auf die Welt<br />

mit Hilfe der Schutzengel, die da hießen:<br />

Kraft, Ausdauer, Liebe und Humor. Diese<br />

vier Engel haben sie ein Leben lang nicht<br />

verlassen, das weiß ich genau, denn ich<br />

bin dabei gewesen.<br />

Als Liesl mit der Hebamme ankam und<br />

das „Wunder” schreien hörte, wurde sie<br />

ohnmächtig und musste vor meiner Mutter<br />

von der Hebamme versorgt werden.<br />

Es kommt zwar selten vor, aber immer,<br />

wenn ich den Namen Wera höre, bin ich<br />

ein wenig traurig. Eigentlich müsste ich<br />

noch eine um ein Jahr jüngere Schwester<br />

mit diesem Namen haben.<br />

Meine Mutti war hochschwanger und<br />

zu einem kleinen Abendplausch bei einer<br />

Nachbarin. Wir waren bei unserem<br />

Pflichtjahrmädchen Lilo in guten Händen.<br />

Plötzlich Fliegeralarm: meine Mutter<br />

raste die Treppen hinunter, um mit uns<br />

in den Keller zu gehen, und stürzte dabei<br />

fürchterlich.<br />

Der nach der Entwarnung geholte Arzt<br />

konnte nichts mehr für das ungeborene<br />

Baby – welches Wera heißen sollte – tun,<br />

und meine Mutter, die schon immer ein<br />

schwaches Herz hatte, kämpfte mit dem<br />

Tod. Der Arzt sagte zu Lilo: „Bohnenkaffee<br />

ist das Einzige, um das arme Herz<br />

wieder zu beleben.“ Aber wer hatte in<br />

dieser Zeit schon Bohnenkaffee? ... Am<br />

nachsten Morgen wurde meine Mutter<br />

wach vom lauten Rufen Lilos: „Sie dürfen<br />

die Kinder nicht allein zurücklassen!“<br />

– wohl an die hundert Mal. Dann zog ein<br />

herrlicher Kaffeeduft durch unser Schlafzimmer.<br />

ln frischer Wäsche, gewaschen<br />

und gepflegt, lag Mutter im Bett und<br />

trank Bohnenkaffee. Lilo war damals 15<br />

Jahre alt und pflegte meine Mutter aufopferungsvoll,<br />

aber auf die Frage, wo sie<br />

den Kaffee her hatte, schwieg sie hartnäckig...<br />

Als meine Mutter wieder selbst einkaufen<br />

gehen konnte, bemerkte sie, dass die Inhaberin<br />

des kleinen Lebensmittelladens<br />

nebenan sehr aufgeregt war. Auf Mutters<br />

teilnehmende Fragen teilte sie ihr mit:<br />

„Vor einiger Zeit ist bei mir eingebrochen<br />

worden und der gesamte Bohnenkaffee<br />

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Lesen<br />

37


Aufschlußreiches zur Stadtgeschichte –<br />

gestohlen worden.“<br />

Ich hoffe sehr, dass heutzutage jede<br />

Mutter in unserem Land ihre Kinder beköstigen<br />

kann, mal mehr, mal weniger -<br />

aber ich glaube nicht, dass bei uns ein<br />

Kind hungern muss. Anders war es in der<br />

Nachkriegszeit. Die Lebensmittel waren<br />

rationiert und die Lebensmittelkarten oft<br />

vor dem Monatsende „leer gekauft“. Da<br />

war es für meine Mutter ein Segen, dass<br />

sie auf dem Land eine Cousine hatte,<br />

zwar verheiratet, aber kinderlos. Diese<br />

machte den Vorschlag, dass ich in den<br />

Ferien immer zu ihr kommen sollte, und<br />

da sie beim Fleischer arbeitete, fiel gute<br />

Wurst ab, und die Ziege im Stall lieferte<br />

Milch und Butter. Trotz meines großen<br />

Heimwehs ging es in allen Ferien ab aufs<br />

Dorf. Ich war wenig Essen, aber viel Liebe<br />

gewohnt, wenn Mutter auch viel arbeitete,<br />

aber die Zeit für ein Küsschen<br />

und das Nachtgebet war immer. Anders<br />

bei Onkel und Tante - es gab zwar gutes<br />

Essen, viel Arbeit und sonntags Kirchgang<br />

im dünnen weißen Kleid, weil sich<br />

das so gehörte, aber nie eine Zärtlichkeit.<br />

„Diese Abschleckerei gibt es bei uns<br />

nicht“ hieß es. Aber da es ja auch andere<br />

Dorfkinder gab, gewöhnte ich mich an<br />

die Ferien auf dem Land. Onkel arbeitete<br />

in einer Stellmacherei, in der es herrlich<br />

nach Holz duftete. Bei schlechtem<br />

Wetter durften wir dort mit Holzabfällen<br />

spielen und kleinen Brettchen oder wir<br />

mussten Mohn aus den Kapseln befreien.<br />

Am Abend holten wir die Kühe von<br />

der Weide und mussten sehr aufpassen,<br />

dass sie uns nicht ins Rübenfeld zerrten.<br />

Wenn Buttern dran war, tat der Arm weh,<br />

da man gleichmäßig in nur eine Richtung<br />

die Kurbel drehen durfte. Am meisten<br />

liebte ich es, wenn der Onkel am Sonntag<br />

mit mir zu einem Gehöft ging, das<br />

weitab vom Dorf lag. Da hielt ein Bauer<br />

ein junges Reh, und wenn es mich<br />

am Zaun sah, kam es zu meiner Freude<br />

angelaufen und ließ sich streicheln. Der<br />

Bauer erzählte uns, dass das Reh seiner<br />

Frau gehört hatte, die war vor Kurzem<br />

gestorben, und da sie mit Vorliebe weiße<br />

Kleider trug, glaubte das Reh wohl, in<br />

meinem weißen Kleid seine verstorbene<br />

Herrin wiederzufinden. Um meiner Mutter<br />

nicht weh zu tun, ließ ich jedes Jahr die<br />

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38<br />

Lesen


Stadtgeschichte<br />

Neue Broschüre im Görlitzer Buchhandel<br />

Ferien mit Milch und Butter, Wurst und<br />

Käse über mich ergehen. Zugenommen<br />

habe ich nie ein Gramm, weil ich in der<br />

Nacht vor Heimweh viele Tränen weinte.<br />

Wenn die Ferien vorbei waren, ich wieder<br />

zu Haus in meinem Gitterbett lag, meine<br />

Mehlsuppe gegessen hatte, Mutter mich<br />

zudeckte und mir einen Kuss gab - ja,<br />

dann war ich wieder glücklich und stellte<br />

für mich fest: zum Glück brauchte ich<br />

keine Wurst und keine Butter, nur die Liebe<br />

von Bruder und Mutter.“<br />

In diesem Jahr <strong>2016</strong> erschien bei Idee-<br />

Druck Oldenburg, herausgegeben durch<br />

Wiltrud Weers, das Heft „Theodor Treu<br />

– Eine Pfarrersfamilie 1945 in Görlitz/<br />

Schlesien“. Es enthält Auszüge aus dem<br />

Tagebuch 1945 des damaligen Pfarrers<br />

der Peterskirche in Görlitz sowie weitere<br />

Texte aus seiner Feder und wertvolle zeitgenössische<br />

oder später entstandene Illustrationen<br />

auf knapp 50 Seiten in einer<br />

gediegenen Typographie. Es ist nicht nur<br />

eine späte und längst fällige Erinnerung<br />

an den Autor, sonders gewiß auch aufschlußreich<br />

und berührend für die nachfolgenden<br />

Generationen. Da im Text des<br />

Vorwortes infolge mangelhafter Sorgfalt<br />

des Herstellers Textänderungen vorgenommen<br />

wurden (So wurde die Zahl<br />

der Heimatvertriebenen nicht mit „über<br />

zehn Millionen“, sondern mit „sieben Millionen“<br />

angegeben.), wird hier der Originaltext<br />

des Vorwortes abgedruckt.Der<br />

Leser möge dadurch angeregt werden,<br />

nun auch den Tagebuchtext von Pfarrer<br />

Treu kennenzulernen:<br />

Rückblick zur rechten Zeit.<br />

Das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt<br />

nun schon über siebzig Jahre zurück. Wir<br />

letzten noch lebenden Zeitzeugen waren<br />

damals Schüler, Lehrlinge, überlebende<br />

Flakhelfer oder bettelarme junge Flüchtlinge<br />

und Heimatvertriebene aus den<br />

preußischen Ostprovinzen. Die Besatzungsmächte<br />

verbreiteten nun verbindliche<br />

Wertungsvorschriften zum Kriegsgeschehen,<br />

zu Ursachen und Schuldigen.<br />

Die Generationen der folgenden Jahrzehnte<br />

bekamen das im Schulunterricht,<br />

in Filmen und Romanen, Illustrierten<br />

oder Versammlungen vermittelt. Einwände<br />

oder Zweifel waren unerwünscht<br />

und konnten mitunter gefährlich werden.<br />

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Lesen 39


Aufschlußreiches zur Stadtgeschichte –<br />

Nur selten erzählten die Großeltern den<br />

Enkeln auf deren Wunsch, „wie es früher<br />

einmal war“. Manche Görlitzer bewahrten<br />

noch Briefe von Soldaten oder<br />

inzwischen verstorbenen Angehörigen,<br />

die nicht dem geschönten offiziellen Bild<br />

vom Kriegsende entsprachen. Man ließ<br />

sie vorsorglich im Verborgenen, vermied<br />

es aber zum Glück in den meisten Fällen,<br />

sie für immer zu vernichten. Denn auch<br />

die Geschichte einer Stadt besteht ja aus<br />

einer Vielzahl unverwechselbarer Einzelschicksale.<br />

Wahrend die Geschichtsschreibung<br />

Ursachen, Hintergründe<br />

und Entwicklungslinien sichtbar machen<br />

möchte, und das in der Regel unter Rücksichtnahme<br />

auf offizielle Wertungsvorgaben,<br />

kommen konkrete Beispiele zu kurz.<br />

Aber gerade diese vermögen die Leser zu<br />

fesseln und zum Nachdenken anzuregen.<br />

Erst Jahrzehnte nach 1945 kamen erste<br />

autobiographische Aufzeichnungen über<br />

das damalige Geschehen in Görlitz ans<br />

Tageslicht. Deutschlandweit bekannt<br />

wurde das „Görlitzer Tagebuch 1945/46“<br />

von Professor Dr. Franz Scholz, bei<br />

Kriegsende Pfarrer an der katholischen<br />

Kirche St. Bonifatius in der Oststadt und<br />

Kriegsgefangenen-Seelsorger im STALAG<br />

VIII A. (Die 1. Auflage erschien 1976 bei<br />

Naumann/Würzburg, die 2. Auflage 1984<br />

bei Walter/Eltville unter dem Titel „Wächter,<br />

wie tief die Nacht?“, die 3. Buchauflage<br />

und danach noch ein Taschenbuch bei<br />

Ullstein/Berlin 1990.) 1990 brachte Herbig/München<br />

den autobiographischen<br />

Schlüsselroman „Schlesisches Himmelreich”<br />

über die Jugendjahre der Autorin<br />

in Görlitz heraus. Rotraud Schöne beschrieb<br />

darin auch das Kriegsende. 2002<br />

veröffentlichte die Familie in Oldenburg<br />

als Privatdruck den Band „Aus dem Tagebuch<br />

von Justizrat Conrad Heese Görlitz<br />

1945“. 2010 folgte, herausgegeben im<br />

Eigenverlag durch Marianne Schmidt-<br />

Brümmer, das Heft „Kriegsende 1945 in<br />

Görlitz – Erlebnisbericht von Max Opitz“.<br />

(Dieser leitete damals das bekannte Bestattungsunternehmen<br />

Ullrich.) Die erweiterte<br />

2. Auflage übernahm der Senfkorn-Verlag/Görlitz.<br />

Diese und ähnliche<br />

Veröffentlichungen ermutigten weitere<br />

Görlitzer dazu, Auszüge aus Erlebnisberichten<br />

ihrer Vorfahren der Forschung<br />

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40<br />

Lesen


Stadtgeschichte<br />

Neue Broschüre im Görlitzer Buchhandel<br />

Neuerscheinung <strong>2016</strong> Idee Druck Oldenburg<br />

und der Öffentlichkeit zugänglich<br />

zu machen. Bei meinen Vorarbeiten<br />

zur dann vielbeachteten Sonderausstellung<br />

über Görlitz 1933<br />

bis 1945 im Museum Kaisertrutz<br />

der Städtischen Kunstsammlungen<br />

1983 und bei der Gestaltung<br />

des reich illustrierten Begleitheftes<br />

unter dem Titel „Görlitz unter<br />

dem Hakenkreuz“ halfen eine<br />

Reihe von Görlitzern mit Zeitzeugenberichten,<br />

Familienfotos und<br />

Auszügen aus zeitgenössischen<br />

Tagebüchern, um ein möglichst<br />

konkretes und lebendiges Zeitbild<br />

zu vermitteln. Darunter waren<br />

auch die mir wohlbekannten<br />

Töchter der evangelischen Pastoren<br />

Superintendent Karl Langer<br />

und Theodor Treu, die öffentlichkeitswirksame<br />

Auszüge aus<br />

den Tagebüchern 1945 der Väter<br />

abschrieben; diese kamen dann<br />

in die Bestände der Oberlausitzischen<br />

Bibliothek der Wissenschaften.<br />

Die Originale bewahrt<br />

die Evangelische Kirche.<br />

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41


Aufschlußreiches zur Stadtgeschichte –<br />

Pfarrer Theodor Treu, aus dessen Tagebuch<br />

nun hier dieser das Kriegsende<br />

schildernde Auszug von 1945 durch<br />

dessen Tochter Antonie („Toni“) freundlicherweise<br />

zur Verfügung gestellt wurde,<br />

war einer der bekanntesten Vertreter<br />

der evangelischen Geistlichkeit in Görlitz.<br />

Er wurde am 20. Januar 1877 als Sohn<br />

eines Lehrers in Berlin geboren. Er studierte<br />

dort und in Greifswald Theologie<br />

und wurde 1903 in Posen ordiniert. Bis<br />

1905 war er Hilfsprediger in Posen, Wongrowitz<br />

und Gostyn, danach bis 1912 in<br />

der reformierten Gemeinde in Glogau.<br />

Ab Oktober 1912 war er bis zur Emiritierung<br />

1948 in Görlitz Pfarrer im Dienst<br />

der Evangelischen Kirche, bis 1926 vor<br />

allem in Moys, dann nur an der Peterskirche.<br />

Danach wirkte er noch bis 1951 als<br />

Gefängnisseelsorger. 1909 heiratete er<br />

Gertrud Masius. Sein Sohn Walter (1914-<br />

1942), ebenfalls Theologe, fiel 1942 an<br />

der Ostfront als Kompanieführer. Sohn<br />

Gottfried (1917-1982) war Maler. Tochter<br />

Antonie (genannt „Toni“) wurde 1922<br />

geboren.Theodor Treu starb am 18. Mai<br />

1952 in Görlitz. Unter den Gemeindegliedern<br />

und in der Bevölkerung genoß er<br />

hohes Ansehen.Als Heimatvertriebener<br />

nach Kriegsende teilte er das harte Los<br />

zahlreicher Bewohner der Oststadt und<br />

des östlichen Landkreises Görlitz und<br />

fand diesseits der Neiße wie viele von<br />

uns Heimatvertriebenen nachbarschaftliche<br />

Hilfe bei den in der Weststadt verbliebenen<br />

Einwohnern.<br />

Die hier nun erstmals veröffentlichten<br />

Tagebuchauszüge 1945 vermitteln ein<br />

ungeschöntes, aber auch nicht einseitig<br />

negatives Bild von Menschen und Begebenheiten.<br />

Der Verfasser wußte wohl,<br />

daß er selbst kein Einzelschicksal durchlebt<br />

und daß alles seine Ursachen hat.<br />

Übergriffe der Sieger und der heimwärts<br />

strebenden ehemaligen Zwangsarbeiter<br />

und Kriegsgefangenen werden ebenso<br />

geschildert wie friedliche Begegnungen<br />

und Mitleid. Deutsche Schuld wird nicht<br />

bestritten, sondern beschämt eingestanden.<br />

Theodor Treu vergißt nicht seinen<br />

seelsorgerischen Auftrag in Stunden der<br />

Not. Die Verzweifelten tröstet er. Den<br />

Ratlosen weist er Ziel und Richtung. Die<br />

Verzagten richtet er auf. Die Tatbereiten<br />

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42<br />

Lesen


Stadtgeschichte<br />

Neue Broschüre im Görlitzer Buchhandel<br />

ermutigt er zum Neubeginn. Im Chaos<br />

zwischen Untergang und Besinnung<br />

begegnen ihm Rachsucht und Vergebung,<br />

Hemmungslosigkeit und Selbstbeherrschung,<br />

Todessehnsucht und<br />

Überlebensmut. Die Kraft des Glaubens<br />

weist ihm Wege, den Mitmenschen beizustehen.<br />

Voll Mitgefühl verstehen wir<br />

seinen Schmerz über die Verwüstungen<br />

in seiner Kirche nach den sinnlosen Brückensprengungen<br />

am letzten Abend vor<br />

Kriegsschluß. Als Zeitzeugen verstehen<br />

wir die Fassungslosigkeit darüber, daß<br />

die Stadt der Durchreisenden in der Mitte<br />

Europas nach fast 900 Jahren nun an<br />

den Rand und eine geschlossene Grenze,<br />

in eine Art Niemandsland, gedrängt wird,<br />

durch das nun landeinwärts über zehn<br />

Millionen Landsleute davongejagt werden.<br />

Aber auch nach sieben Jahrzehnten<br />

ist es noch zeitgemäß und richtig, diesen<br />

Erinnerungsbericht, von Tochter Toni getreulich<br />

behütet und nun zur Veröffentlichung<br />

bestimmt, wieder ins Gespräch<br />

zu bringen. Denn unsere damaligen<br />

Hoffnungen auf einen dauerhaften und<br />

gesicherten Frieden haben sich trotz all<br />

unserer Bemühungen noch nicht erfüllt.<br />

Kriege, Terror, Rüstungsbrofite, erzwungene<br />

Völkerwanderungen, geopolitische<br />

Maßlosigkeit, Kriegspropaganda über<br />

den Erdball hinweg werden den jüngeren<br />

Generationen noch viel an Einsicht,<br />

Verständigungsbereitschaft und Einsatz<br />

abverlangen. Auch die Erinnerungen von<br />

Pastor Theodor Treu könnten dabei helfen.<br />

In dieser Hoffnung vertrauen wir sie<br />

den Lesern an.“<br />

(Den Text dieses Vorwortes<br />

schrieb Dr. Ernst Kretzschmar)<br />

Hinweis für unsere Leser. Im Beitrag<br />

zum 80. Geburtstag von Erich<br />

Wilke im Heft 160 (November <strong>2016</strong>)<br />

wurde infolge eines Übertragungsfehlers<br />

das Geburtsdatum falsch<br />

wiedergegeben. Der Jubilar wurde<br />

nicht am 16., sondern bereits am<br />

15. November 1936 geboren. Wir<br />

bitten um Nachsicht.<br />

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43


Stadthallengarten<br />

Görlitz<br />

Im Juli 1876 nahmen am 1. Schlesischen<br />

Musikfest in Hirschberg im Riesengebirge<br />

zehn schlesische Städte mit zwölf Vereinen,<br />

481 Sängern und 106 Musikern teil.<br />

Gegründet und finanziert wurde das Fest<br />

von Bolko von Hochberg, einem schlesischen<br />

Grafen aus dem Haus Fürstenstein<br />

und Pleß. Er schrieb Singspiele, eine<br />

Oper, widmete sich aber auch Lied- und<br />

Chorkompositionen. Das 3. Schlesische<br />

Musikfest fand 1878 erstmals in Görlitz<br />

statt. Es folgten das vierte (1880),<br />

sechste (1883) und achte (1886) in der<br />

Neißestadt. Seit dem 10. Musikfest 1889<br />

fanden alle Feste zuerst im Zweijahresspäter<br />

im Dreijahresabstand in Görlitz<br />

statt.<br />

Anfangs wurden die Feste wie zahlreiche<br />

weitere öffentliche Veranstaltungen<br />

in einer ehemaligen Ausstellungshalle<br />

des Gartenbauvereins aus dem Jahre<br />

1863 begangen. Der provisorische Holzbau<br />

wurde 1872 vom Wilhelmsplatz an<br />

das Neißeufer nahe dem Exerzierplatz in<br />

etwa dem heutigen Standort der Stadthalle<br />

umgesetzt und im Jahr 1878 für bis<br />

zu 2000 Gäste und Künstler ausgebaut.<br />

Dieses Bauwerk schien jedoch dem<br />

Schlesischen Musikfest nicht angemessen<br />

zu sein, sodass um 1900 ein repräsentativer<br />

Neubau geplant wurde, der<br />

auch der steigenden Geltung der Stadt<br />

gerecht wurde.<br />

Eine frühere Realisierung einer Konzerthalle<br />

in der Stadt war auf Grund der<br />

fehlenden finanziellen Mittel nicht möglich.<br />

Der städtische Haushalt und der<br />

des zusammengeschlossenen Komitees<br />

für Musik- und Ruhmeshalle war um die<br />

Jahrhundertwende bereits schwer durch<br />

den Bau der Oberlausitzer Gedenkhalle<br />

(Ruhmeshalle) belastet.<br />

Im Jahr 1900 berief die Stadtverordnetenversammlung<br />

eine Kommission mit<br />

Mitgliedern aus Magistrat, Stadtverordnetenversammlung<br />

und Bürgerschaft,<br />

die das Projekt Konzerthalle begleiten<br />

sollten.<br />

Im Januar des Folgejahres bestimmte die<br />

Kommission den Bauplatz in der Nähe<br />

der alten Festhalle und legte fest, dass<br />

der Haupteingang sich auf Südseite an<br />

der Reichenberger Brücke auf Straßenniveau<br />

befinden solle.<br />

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44<br />

Geschichte


Stadthallengarten<br />

Görlitz –<br />

Grundsteinlegung der Stadthalle<br />

Über eine Lotterie konnten 300.000<br />

Mark der veranschlagten 810.000 Mark<br />

eingenommen werden. Einen sehr großen<br />

Anteil an den Spenden hatte der<br />

Initiator der Festspiele Graf Bolko von<br />

Hochberg. Schließlich votierte auch die<br />

Stadtverordnetenversammlung für den<br />

Neubau einer Konzerthalle.<br />

Für den Bau konnte der renommierte<br />

Theaterbaumeister Bernhard Sehring<br />

gewonnen werden.<br />

Nach den 16. Musikfestspielen fand am<br />

20. Juni 1906 die Grundsteinlegung für<br />

die Stadthalle statt. Der Neubau entstand<br />

in einem zur damaligen Zeit prosperierenden<br />

Stadtviertel.<br />

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46<br />

Geschichte


Stadthallengarten<br />

Schauplatz kultureller Höhepunkte<br />

Neugierige Gaffer nach dem Stadthalleneinsturz 1908<br />

Mit direkten Blickkontakt entstanden<br />

in der Umgebung 1894 die Reichenberger<br />

Schule, 1898 die Baugewerkund<br />

Maschinenbauschule und 1902<br />

die Ruhmeshalle. Wenig später folgten<br />

1913/1914 die Gebäude der Rothenburger<br />

Versicherung und 1926 das Elektrizitätswerk.<br />

Die Arbeiten am Rohbau waren zu Beginn<br />

des Jahres 1908 bereits weitgehend<br />

abgeschlossen. Die geplante Eröffnung<br />

rückte jedoch mit dem Einsturz der Hallendecke<br />

am 9. Mai 1908, wahrscheinlich<br />

infolge fehlerhafter statischer Berechnungen<br />

der Stahldeckenkonstruktion, in<br />

weite Ferne.<br />

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Geschichte<br />

47


Stadthallengarten<br />

Görlitz<br />

Sie riss große Teile der Hallenwände mit.<br />

Das Unglück kostete fünf Menschen das<br />

Leben, elf wurden verletzt. Nach dem<br />

erfolgreich abgeschlossenen Wiederaufbau<br />

konnte das Bauwerk am 27. Oktober<br />

1910 festlich durch das Philharmonische<br />

Orchester Berlin unter Leitung von Generalmusikdirektor<br />

Karl Muck eingeweiht<br />

werden. Die Gesamtkosten für den Bau<br />

beliefen sich schließlich auf 1,14 Millionen<br />

Mark. Das Haus war für mindestens<br />

2000 Besucher und ein bis zu 1000-köpfiges<br />

Ensemble auf der Bühne konzipiert.<br />

In den Jahren 1936 und 1937 fanden<br />

umfangreiche Renovierungen im Gebäude<br />

statt, dabei wurden auch zahlreiche<br />

Schmuckelemente in den Sälen entfernt.<br />

Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte<br />

die Stadthalle trotz Sprengung der<br />

nahegelegenen Reichenberger Brücke<br />

weitgehend unbeschadet. Bereits zwölf<br />

Tage nach dem Kriegsende luden der<br />

Oberbürgermeister Alfred Fehler und der<br />

sowjetische Stadtkommandant Oberst<br />

Pawel Iljitsch Nesterow die Kinder der<br />

Stadt zu einem Kinderfest im Stadthallengarten<br />

ein. Daran erinnert bis heute<br />

eine Gedenktafel. Als Ersatzveranstaltung<br />

für das Schlesische Musikfest wurde<br />

nach dem Krieg die Görlitzer Musikwoche<br />

etabliert. Die Musikwoche wurde<br />

jedoch bereits 1957 wieder eingestellt.<br />

Am 31. <strong>Dezember</strong> 2004 wurde der Betrieb<br />

der Stadthalle auf Grund der wirtschaftlichen<br />

Situation und bautechnischen<br />

Mängeln am Bauwerk eingestellt.<br />

Seit 2004 engagiert sich der Förderverein<br />

Stadthalle e.V. für eine Sanierung<br />

und anschließende Wiedereröffnung der<br />

Stadthalle, die auf Grund der schlechten<br />

Haushaltslage der Stadt Görlitz in weite<br />

Ferne zu rücken droht.<br />

Die Eröffnung war für 2014 vorgesehen.<br />

Nach Vorlage der Entwurfsplanung und<br />

Prüfung der Fördermittelsituation sah<br />

Oberbürgermeisters Siegfried Deinege<br />

jedoch eine Vielzahl von Risiken, so dass<br />

er 2012 dem Stadtrat empfahl, die „Einstellung<br />

des Projektes Sanierung Stadthalle“<br />

zu beschließen. Der 2004 gegründete<br />

Förderverein Stadthalle Görlitz e.<br />

V. kämpft seitdem weiterhin gegen den<br />

anhaltenden Verfall des Jugendstilbaus.<br />

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48<br />

Geschichte


Stadthallengarten –<br />

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An<br />

Nach dem erfolgreichen Auftakt des 1.<br />

Stadthallengarten Sommer Open Airs<br />

im Jahr 2015 bekam auch das Gerhart-<br />

Hauptmann Theater Lust, an dieser<br />

Stelle ihr Sommertheater in diesem Jahr<br />

neu zu beleben, und es wurde zum Erfolg<br />

wie auch das 2. Stadthallen Open<br />

Air. Und für 2017 möchten wir gern, dass<br />

Sie teilnehmen an dieser einzigartigen<br />

Atmosphäre im wohl schönsten Naturgarten<br />

der Stadt.<br />

Der Höhepunkt des Görlitzer Kultursommers<br />

ist zweifelsohne das 3. Stadthallen<br />

Görlitz Open Air in der idyllischen Kulisse<br />

des schönsten Naturgarten´s der Stadt.<br />

Den Auftakt dieses einzigartigen Open<br />

Airs wird die deutschlandweit bekannte<br />

Rockband JENIX geben.<br />

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50<br />

Vorschau


e<br />

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Stadthallengarten<br />

Open Air 2017<br />

Zahlreiche Erfolge bei großen Bandwettbewerben<br />

bestätigten die Live-Qualitäten<br />

mit der JENIX sogar das Publikum<br />

des Highfield Festivals und Hurricane<br />

Festivals überzeugte. Mittlerweile standen<br />

JENIX auf mehr als 300 Bühnen im<br />

In- und Ausland, haben ein Repertoire<br />

von 53 eigenen Songs. Mit Supports<br />

für Silbermond, Bloodhound Gang, H-<br />

Blockx und vielen mehr baute die Band<br />

in ihrer 10-jährigen Bandgeschichte ihre<br />

Erfolge kontinuierlich aus. Nach diesem<br />

fulminanten Auftakt erobert die wohl<br />

bekannteste Rolling Stones Tribute Band<br />

Deutschlands, die Band Starfucker aus<br />

Berlin, die Bühne. Mike Kilian und Band<br />

werden den Stadthallengarten zum Beben<br />

bringen. Seit 1998 sind die Starfucker<br />

mit über 800 erfolgreichen Konzerten in<br />

Deutschland, der Schweiz, Österreich<br />

und Belgien die meist gebuchte Rolling<br />

Stones Tributeband Deutschlands und<br />

gehören zweifelsohne zu den Hochkarätern<br />

der deutschen Rocklandschaft, mit<br />

langjähriger Bühnen- und Tourneerfahrung<br />

in ganz Europa.<br />

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Vorschau<br />

51


Stadthallengarten –<br />

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An<br />

Sie teilten sich bereits die Bühne mit Eric<br />

Clapton, Tom Jones, Robin Gibb, Bryan<br />

Adams, Jennifer Rush, Sweet, Slade,<br />

Marmalade, Equals und vielen anderen.<br />

Bei Konzerten von Starfucker spürt das<br />

Publikum den Geist von Jagger, Richards<br />

und Co. hautnah. Mit den großen Hits<br />

wie Angie, Ruby Tuesday, Paint it Black,<br />

Satisfaction und vielen mehr, lässt die<br />

Band kaum Wünsche offen um das Herz<br />

jedes Stones-Fan‘s höher schlagen zu<br />

lassen. Der charismatische Frontmann<br />

Mike Kilian ist selten um einen frechen<br />

Spruch verlegen und heizt das Publikum<br />

so an, dass die Band stets nur nach Zugaben<br />

von der Bühne gelassen wird.<br />

Am Samstag erobert Tino Standhaft die<br />

Bühne. Er ist ein Genuss für jeden Neil<br />

Young-Fan und das nicht nur, weil er mit<br />

exzellentem Gitarrenspiel verzaubert.<br />

So mancher muss zweimal hinhören, so<br />

verblüffend nah dran sind seine Songinterpretationen<br />

an den Originalen seines<br />

Idols.<br />

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52<br />

Vorschau


e<br />

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Stadthallengarten<br />

Open Air 2017<br />

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass<br />

sich Tino bei jedem seiner Auftritte auf<br />

Anhieb in die Herzen seiner Zuhörer singt<br />

und spielt. Mit seiner Band zelebriert er<br />

die Songs, die den späteren „Godfather<br />

of Grunge“ schon in den 70er Jahren<br />

weltberühmt machten.<br />

Wonderful tonight, Layla, Before you<br />

accuse me…sowie viele tolle Rock- und<br />

Blues Songs gehen auf das Konto des<br />

genialen englischen Songschreibers,<br />

Sängers und Gitarristen Eric Clapton.<br />

Wieder einmal stellt der Leipziger Rockmusiker<br />

sein eigenes kreatives musikalisches<br />

Schaffen hinten an, um seinen<br />

Idolen zu huldigen. Das Publikum darf<br />

sich bei seinen Tribute - Shows auf 2<br />

Stunden Rock‘n‘ Roll pur freuen. Ein einzigartiger<br />

Auftritt, bei dem man am Ende<br />

sagen wird „…..you were wonderful tonight“!!!<br />

Der Höhepunkt des Open Airs ist ohne<br />

jeden Zweifel PHil Bates & Band perform<br />

the music of Electric Light Orchestra.<br />

Die Songs des E.L.O. sind grandios und<br />

genial. Kein Wunder, sie stammen alle<br />

aus der Feder des musikalischen Ausnahmemusikers<br />

Jeff Lynne. Das Electric<br />

Light Orchestra und sein Frontmann Lynne<br />

werden als eine der einflussreichsten<br />

Rockbands der Musikgeschichte gefeiert.<br />

Typisch für den Stil der Band ist eine<br />

mitreißende Symbiose aus eingängigen,<br />

energiegeladenen Rocksounds und edlen<br />

Klassikklängen.<br />

Phil Bates hat mit dem ELO Part 2 und<br />

dessen Nachfolgeformation THE OR-<br />

CHESTRA als Sänger und Gitarrist, über<br />

25 Jahre, weltweit, die musikalische<br />

Faszination des Electric Light Orchester<br />

live präsentiert. 2011 hat er seine eigene<br />

Band gegründet. Phil Bates nutzt<br />

die Virtuosität eines klassischen Ensembles,<br />

die Power einer hervorragenden<br />

Liveband und seine eigene musikalisch,<br />

stimmliche Perfektion um neue und frische<br />

Klangfarben in die Musik des ELO<br />

einfließen zu lassen.<br />

Das Ergebnis: über 250 erfolgreiche<br />

Konzerte, weltweite Termine, begeistertes<br />

Publikum, Standing Ovations, phantastische<br />

Resonanzen.<br />

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Vorschau<br />

53


Stadthallengarten –<br />

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An<br />

Phil Bates & Band perform the music of<br />

Electric Light Orchestra - ein unvergessliches<br />

Konzerterlebnis mit der Musik des<br />

großartigen Electric Light Orchestra.<br />

Sie werden begeistert sein, und dies in<br />

der einzigartigen Atmosphäre des Görlitzer<br />

Stadthallengartens.<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

3. STADTHALLEngarten GÖRLITZ OPEN AIR<br />

FREITAG, 11. August 2017, Einlass 17.00 Uhr<br />

Beginn 18.30 Uhr<br />

Vorband: JENIX aus Zittau<br />

ROLLING STONES Tribute-Show mit der Berliner<br />

Band „STARFUCKER“<br />

WEIHNACHTSAKTION vom 2. Dez. <strong>2016</strong> - 31. Januar<br />

2017 | Ticketpreis 22 € inkl. Gebühren |<br />

ab 1. Februar 2017 25 € | AK 29 €<br />

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54<br />

Vorschau


e<br />

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Stadthallengarten<br />

Open Air 2017<br />

SAMSTAG, 12. August 2017, Einlass 17.00 Uhr<br />

Beginn 18.30 Uhr<br />

Vorband: TINO STANDHAFT meets Eric Clapton<br />

und Neil Young<br />

PHIL BATES & BAND (GB) perform the Music of<br />

ELECTRIC LIGHT ORCHESTRA<br />

WEIHNACHTSAKTION vom 2. Dez. <strong>2016</strong> - 31. Januar<br />

2017<br />

Ticketpreis 33 € inkl. Gebühren. | ab 1. Februar<br />

2017 36 € | AK 39 €<br />

Festivalticket für Freitag und Samstag<br />

WEIHNACHTSAKTION 44 € inkl. Gebühren Vorverkauf<br />

bei i-vent, Görlitz-Info, SZ-Treffpunkte,<br />

Wochenkurier und weiteren offiziellen Vorverkaufsstellen<br />

ab 1. Februar 2017 über RESERVIX<br />

Alle Informationen finden Sie unter:<br />

www.incaming.de<br />

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Vorschau<br />

55


Glocken<br />

Markersdorfer Orts- und Kirchengeschichte –<br />

Im Hussitenkrieg zerstörte Barbarakapelle<br />

Von Görlitz kommend führte die Via Regia<br />

in Richtung Markersdorf südlich vorbei<br />

am 235 m hohen Hoterberg in der S<br />

– Kurve der heutigen B 6. Den Hohlweg<br />

der ehemaligen Trasse, der noch zu erkennen<br />

ist, überwuchert heute Strauchwerk<br />

und Baumbewuchs.<br />

Händler, Pilger und Reisende mussten<br />

etwa 12 km zurücklegen, um in den<br />

nächst größeren Ort Reichenbach zu<br />

kommen. Dabei wurden Ortschaften wie<br />

Markersdorf von der Straße nur tangiert.<br />

Trotzdem wurde das Leben der Menschen<br />

von dem Treiben auf der Handels – und<br />

Heeresstraße bestimmt. Informationen,<br />

neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und<br />

Technik sowie christliches Gedankengut<br />

durch wandernde Mönche verbreiteten<br />

sich an der Trasse schneller als im Hinterland.<br />

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56<br />

Geschichte


Glocken<br />

und seine Kirchenglocken<br />

Markersdorf wurde um 1150 errichtet<br />

Die Vermessung erfolgte nach fränkischem<br />

Hufenmaß und lässt somit Rückschlüsse<br />

auf die ersten Besiedler zu.<br />

In einer Stiftungsurkunde im Görlitzer<br />

Stadtbuch wurde 1360 Markersdorf<br />

erstmals urkundlich erwähnt. Auf den<br />

damaligen Ortsnamen „Markwartsdorf“<br />

lässt sich schließen auf den Namen des<br />

Locators. Er wandelte sich 1394 in Marcwartsdorf,<br />

1405 in Marcwarsdorf, 1449<br />

in Margwardsdorf und schließlich schon<br />

1481 in Markersdorf. Grundherren des<br />

Ortes waren die Herren von Gersdorf.<br />

Durch Verkäufe und Zugewinne entstanden<br />

erst drei, später dann fünf Ortsteile.<br />

An der Straße zwischen Markersdorf und<br />

Gersdorf kann man noch die Reste der<br />

Barbarakapelle sehen, um 1250 erbaut.<br />

1431 wurde sie während der Hussitenkriege<br />

zerstört.<br />

Nach der Überlieferung des Pfarrers Olerus<br />

soll die erste, aus Holz gebaute Kapelle<br />

in dieser Region 967 in Jauernick,<br />

einem heutigen Ortsteil des Gemeindeverbandes<br />

Markersdorf, errichtet worden<br />

sein. Die dortige katholische Pfarrkirche<br />

St. Wenzeslaus wird erstmals 1242 erwähnt.<br />

Durch die Hussiten niedergebrannt,<br />

wurde sie 1443 zum dritten Male<br />

geweiht.<br />

Die Lage Markersdorfs an der „Via Regia“<br />

war von großer wirtschaftlicher Bedeutung,<br />

brachte aber auch viel Not und<br />

Elend über den Ort während der Hussitenkriege<br />

und im Dreißigjährigen Krieg.<br />

Zu dieser Zeit suchten viele vertriebene<br />

Protestanten aus Böhmen und Mähren<br />

Schutz in der Oberlausitz.<br />

Durch den Beinamen „Napoleondorf“ ist<br />

ersichtlich, dass die Zeit während des<br />

Napoleonischen Krieges eine Zeit war,<br />

geprägt von Kriegswirren und großen<br />

Verlusten bei der Bevölkerung. Der Franzosenkaiser<br />

kam nach seiner Niederlage<br />

im November 1812 an der Beresina in<br />

der Verkleidung als „Herzog von Vicenza“<br />

durch Markersdorf. Hier entkam er<br />

nur mühsam einigen Bauern, die ihn<br />

erkannt hatten. Wie die Chronisten berichten,<br />

ist sein Schlitten in der Furt an<br />

der Kirchmühle stecken geblieben. An<br />

dieser Stelle ist der Verlauf der Via Regia<br />

nachweisbar. Bei dem so genannten<br />

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Geschichte<br />

57


Glocken<br />

Markersdorfer Orts- und Kirchengeschichte –<br />

Gedenkstein für Marschall Duroc und General Kirchner an der B 6<br />

Frühjahrsfeldzug 1813 kam es zum Aufeinandertreffen<br />

der Franzosen mit russischen<br />

Soldaten unter Eugen von Württemberg.<br />

Bei den Gefechten schlug eine Kugel<br />

in Napoleons Stab ein, verletzte General<br />

Kirchner tödlich und General Duroc<br />

schwer. Letzterer verstarb in der darauf<br />

folgenden Nacht an seinen Verletzungen.<br />

Im Totenregister des Ortes von 1813 Nr.<br />

32,33 ist vermerkt: „Von der nemlichen<br />

Kugel wurde am 22. Mai, Sonnabends, in<br />

der 8. Stunde Abends der Kaiserl. Königl.<br />

Französische und italien. Marechal Duroc,<br />

Herzog von Friaul, schwer blessiert<br />

und starb in der Nacht bei dem Klosterbauer<br />

Joh. Traugott Hanspach“.<br />

Der Gedenkstein für Marschall Duroc und<br />

General Kirchner an der B 6 in der Orts-<br />

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58<br />

Geschichte


Glocken<br />

und seine Kirchenglocken<br />

mitte gilt heute noch als französisches<br />

Ex - Territorium.<br />

Für die einwandernden Deutschen war<br />

es ein Bedürfnis, in der neuen Heimat<br />

eine Stätte zu haben, wo sie ihre Gottesdienste<br />

abhalten konnten. Die schon genannte,<br />

im Hussitenkrieg niedergebrannte<br />

Kapelle reichte den wenigen Bauern<br />

aus für ihre Zwecke. In der Meißener<br />

Bistumsmatrikel von 1346 wird Markersdorf<br />

erstmalig als Pfarrort erwähnt, der<br />

zum Erzpriesterstuhl Reichenbach O/L<br />

gehörte.<br />

Als sich die Zeiten beruhigt hatten, beschlossen<br />

die Gemeinden Markersdorf,<br />

Holtendorf und Pfaffendorf den Bau<br />

einer neuen Kirche. Die in den Jahren<br />

1450 bis 1455 errichtete Dorfkirche liegt<br />

in einer landschaftlich schönen Lage. Das<br />

Wappen und die Jahreszahl 1455 weisen<br />

darauf hin, dass der Görlitzer Kaufmann<br />

Bartholomäus Hirschberg die Markersdorfer<br />

Kirche erbauen ließ. Durch Bischof<br />

Erler von Zittau wurde das katholische<br />

Gotteshaus um 1455 dem Schutzengel<br />

St. Michael geweiht.<br />

Es entstand ein schlichter Granitbau<br />

mit einem rechteckigen Langhaus, spitzem<br />

Giebeldach und der im Osten vorgelagerten<br />

Apsis. Unter der Altarnische<br />

befindet sich ein Gruftgewölbe mit den<br />

Särgen ehemaliger katholischer Priester.<br />

Das Langhaus wird von einem Kreuzgewölbe<br />

überdeckt, dessen Rippen auf<br />

Kragsteinen ruhen. Im Schnittpunkt ist<br />

das steinerne Wappen des Erbauers angebracht.<br />

Zur Reformationszeit zwischen 1525 und<br />

1550 wurde ein Erweiterungsbau geschaffen.<br />

Auf diesem wurde später ein<br />

Dachreiter aus Holz für die Aufnahme<br />

von Glocken errichtet.<br />

Mit diesem Erweiterungsbau schuf man<br />

neben einem festen Gestühl auch Emporen<br />

an den Seitenwänden.<br />

An der Nordseite der Kirche befand sich<br />

bis 1805 ein sogenannter Kirchenpranger.<br />

Das war eine eichene Säule mit kleinem<br />

Schutzdach, an dem Kirchenbüßer<br />

während des Gottesdienstes angekettet<br />

wurden. Diese Gemeindemitglieder hatten<br />

sich schwerer Vergehen gegen die<br />

Kirchenordnung und Sitte schuldig gemacht.<br />

Hätte sich diese Vorgehenswei-<br />

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Geschichte<br />

59


Glocken<br />

Markersdorfer Orts- und Kirchengeschichte –<br />

Markersdorfer Kirche<br />

se bis in die heutige Zeit erhalten, dann<br />

würde sicher nur einer dieser Kirchenpranger<br />

nicht ausreichen.<br />

Ein letzter Umbau erfolgte in den Jahren<br />

1753 bis 1756. Seitenhallen beseitigte<br />

man, die Fenster wurden vergrößert und<br />

mit hellem Glas in Bleifassung versehen,<br />

und vor den Haupteingängen wurden<br />

Treppenhäuser errichtet. In der vormals<br />

katholischen Michaeliskirche standen sicher<br />

drei Altäre, ein Hochaltar sowie zwei<br />

Seitenaltäre, und auch das „Ewige Licht“<br />

war sicher Bestandteil der Kirche.<br />

Dem schlichten Altartisch aus lutheri-<br />

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60<br />

Geschichte


Glocken<br />

und seine Kirchenglocken<br />

Blick in den Altarraum<br />

scher Zeit folgte ein in barocker Form mit<br />

Holzschnitzereien gestalteter Altar, der<br />

1765 vom Bauern Jocob Meissner aus<br />

Pfaffendorf gestiftet wurde, im Werte<br />

von 300 Thalern. Diese Zierde des Gotteshauses<br />

wurde 1883 in Unkenntnis seines<br />

Wertes abgerissen und durch einen<br />

einfachen steinernen Altar, eine Stiftung<br />

des Bauerngutsbesitzers Johann Gottfried<br />

Tempel aus Markersdorf, ersetzt.<br />

Auch andere Einrichtungsstücke wie die<br />

Kanzel und der Taufstein waren Geschenke<br />

ortsansässiger Gemeindemitglieder.<br />

Eine Orgel wird erstmals 1683 aufge-<br />

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Geschichte<br />

61


Glocken<br />

Markersdorfer Orts- und Kirchengeschichte –<br />

stellt. Es war ein Werk des Orgelbauers<br />

Johann Gottlieb Riedel aus Meffersdorf.<br />

Im Laufe der Zeit vergrößerte man das<br />

Orgelwerk. Durchziehende Soldaten<br />

raubten 1797 die zinnernen Principalpfeifen,<br />

und französische, in der Kirche<br />

einquartierte Soldaten stahlen sämtliche<br />

Zinnpfeifen, sechs Kirchenposaunen und<br />

die Kesselpauken. Der Orgelbauer Englert<br />

ersetzte die fehlenden Pfeifen.<br />

1856/57 musste die in die Jahre gekommene<br />

Orgel durch einen Neubau ersetzt<br />

werden. Das künstlerisch wertvolle Gehäuse<br />

wurde erhalten. Den Auftrag<br />

erhielt der Breslauer Orgelbaumeister<br />

Traugott Wünsche, und am Weihnachtstage<br />

1857 erfolgte die Einweihung. Heute<br />

erklingt eine 1921 von Orgelbaumeister<br />

Gustav Heinze aus Sorau N/L. gebaute<br />

Orgel. Die Gesamtkosten betrugen zur<br />

damaligen Zeit 105.000 Papiermark.<br />

1924 wurde die Gemeinde mit einem<br />

eingebauten, pneumatisch betriebenen<br />

Glockenspiel überrascht. Gestiftet hatte<br />

es der Müllermeister Richard Schmidt<br />

aus Markersdorf.<br />

Aus schriftlichen Überlieferungen geht<br />

hervor, dass der Kirchturm in Form eines<br />

Dachreiters im Jahre 1635 errichtet wurde.<br />

Nach mehreren Reparaturen in den<br />

Jahren 1694, 1749 und 1780 erhielt er<br />

schließlich 1820 seine jetzige Form.<br />

Seit 1635 besaß die Kirchgemeinde ein<br />

dreistimmiges Geläut. Zuvor soll nur<br />

eine kleine Glocke mit einem Gewicht<br />

von 1Ctr. 48 Pfd. und der Inschrift: „ O,<br />

rex gloriae, veni cum pace“ (O, Herr der<br />

Herrlichkeit, komme in Frieden) vorhanden<br />

gewesen sein.<br />

Auf Anordnung der Patronatsherrschaft<br />

Joachim von Ziegler wurde vom Dreiergeläut<br />

die große Glocke 1708 von Michael<br />

Weinholdt in Dresden umgegossen.<br />

Die Neue hatte einen Durchmesser von<br />

134 cm und wog 20 Zentner und 25<br />

Pfund, die eingeschmolzene alte Glocke<br />

dagegen hatte ein Gewicht von 30 Zentnern<br />

und 59 Pfund.<br />

Der Neuguss zeigte in schöner Ausführung<br />

an der Schulter einen Fries mit<br />

musizierenden Engeln und darunter im<br />

Schriftband Namen, Wohnort des Gießers<br />

und das Gussjahr sowie anschließend<br />

ein Arabeskenreif mit Weintrauben.<br />

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62<br />

Geschichte


Glocken<br />

und seine Kirchenglocken<br />

In der Inschrift wird berichtet,<br />

dass die Glocke auf Anordnung<br />

des Patrons Joachim Siegismund<br />

von Ziegler und Klipphausen auf<br />

Radmeritz, Nieda und Markersdorf<br />

gegossen wurde.<br />

Neben dem Wappen des Patrons<br />

war noch der Name P. Elias<br />

Schüler aufgebracht. Mit dieser<br />

großen Glocke goss Weinholdt<br />

zugleich die mittlere Glocke mit<br />

einem Gewicht von10 Zentnern,<br />

15 Pfund und einem Durchmesser<br />

von 98 Zentimetern. Die<br />

Kosten des Umgusses für beide<br />

beliefen sich auf 132 Taler, 11<br />

Groschen, 5 Pfennig. Die Glockenzier<br />

und die Worte waren<br />

dieselben wie auf der großen<br />

Glocke.<br />

Dieser Klangkörper überstand<br />

beide Weltkriege und befindet<br />

sich noch heute auf dem Turm.<br />

Die Kleinste der alten Glocken<br />

mit der in gotischen Minuskeln<br />

ausgeführten Inschrift:<br />

„O rex glorie veni cum pace. Glocke von Schilling & Lattermann 1956<br />

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Geschichte<br />

63


Glocken<br />

Markersdorfer Orts- und Kirchengeschichte –<br />

Johannes. Luca.” wurde 1812 vom Glockengießer<br />

Zeitheim aus Görlitz umgegossen.<br />

Es wird angenommen, dass sie<br />

einen Sprung hatte. Die Gusskosten von<br />

damals 330 Talern übernahm der Hospitalrichter<br />

J. Gottlieb Bräuer zu Nieder-<br />

Pfaffendorf (oder Markersdorf). Dabei<br />

wurde diese kleine Glocke vergrößert.<br />

Am 27. Januar 1813 erklang erstmalig<br />

wieder das harmonische Vollgeläut. Ein<br />

abermaliger Umguss derselben fand<br />

1853 durch die Glockengießerei Pühler<br />

in Gnadenberg statt. Die Glocke hatte<br />

einen Durchmesser von 82 Zentimetern<br />

und trug die Bitte Ps. 27,7: Herr, höre<br />

meine Stimme, wenn ich rufe. Reversseitig<br />

war ein Vereinstaler mit dem Bilde<br />

Friedrich Wilhelms III aufgelötet.<br />

1917 mussten für Kriegszwecke zwei<br />

Glocken abgeliefert werden. Die Mittlere<br />

konnte wegen ihres kunsthistorischen<br />

Wertes behalten werden. Durch freiwillige<br />

Sammlung der Gemeinde wurde 1920<br />

oder 1921 die Glockengießerei Geittner<br />

in Breslau mit dem Guss von zwei neuen<br />

Glocken beauftragt. Die große Glocke<br />

mit dem Gewicht von 24 Zentnern und<br />

25 Pfund trug auf der Vorderseite die<br />

Inschrift: „Den im Weltkrieg gefallenen<br />

Helden ! Die dankbare Kirchgemeinde<br />

Markersdorf, Holtendorf, Pfaffendorf“<br />

Auf der Rückseite neben einem Relief eines<br />

Christuskopfes mit Dornenkrone der<br />

Text:<br />

„Niemand hat größere Liebe denn die,<br />

dass er sein Leben lässt für seine Freunde:“<br />

Die kleine Glocke – 7 Zentner, 70 Pfund -<br />

war verziert mit einem Lutherkopf – Relief<br />

und der ersten Liedtextzeile seines<br />

vor 1529 geschriebenen und komponierten<br />

Kirchenliedes „Ein feste Burg ist<br />

unser Gott!“ sowie dem Spruch auf der<br />

Vorderseite: „Ich singe und klinge aus<br />

tiefster Not: Mein Volk setzt seine Hoffnung<br />

auf Gott!“<br />

An Lätare, den 26. März 1922 erklang<br />

zum ersten Male das neue Vollgeläut zur<br />

Konfirmation. Das Geläut war auf die<br />

Töne es ` – g ` – b ` gestimmt.<br />

Und wieder mussten 1942 Glocken unsere<br />

Kirchtürme verlassen und ihren Weg<br />

in die Schmelzöfen der Rüstungsindustrie<br />

nehmen. Auch die Markersdorfer<br />

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64<br />

Geschichte


Glocken<br />

und seine Kirchenglocken<br />

Inschrift auf der Weinhold-Glocke<br />

Gemeinde war gezwungen, die beiden<br />

Geittner - Glocken abzuliefern.<br />

Die mittlere Glocke von 1708 konnte<br />

wiederum erhalten werden. Dieser historische<br />

Klangkörper mit einem Gewicht<br />

von ca. 520 kg und dem Nominal g `<br />

ist am Hals verziert mit einem umlaufenden<br />

Engelsfries mit verschiedenen Musikinstrumenten.<br />

Zwischen zwei Stegen<br />

schließt sich der Gussvermerk:<br />

GOSS MICH MICHAEL WEINHOLDT<br />

DRESDEN<br />

an. Nach einem hängenden Fries lautet<br />

die komplette, siebenzeilige Inschrift in<br />

auf der Flanke:<br />

ZU DER EHRE GOTTES UND UMB VOLL-<br />

STAENDIGER HARMONIE WILLEN WARD<br />

DIESE GLOCKE GEGOSSEN. ANNO. 1708<br />

ALS COLLATOR DER KIRCHEN WAR DER<br />

WOHLGEBORENE HERR IOACHIM SIE-<br />

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Geschichte<br />

65


Glocken<br />

Markersdorfer Orts- und Kirchengeschichte –<br />

Historisches mechanisches Uhrwerk der Markersdorfer Kirche<br />

GISMUND VON ZIEGLER. AUF RADME-<br />

RITZ NICHA UND MARCKERSDORF KÖ-<br />

NIGL: UND CHURFURSTLICH: SAECHS<br />

CAMMER HERR.<br />

Rückseitig dieses Stifternachweises<br />

steht: RERUM IRRECUPPERABILIUM FE-<br />

LIX OBLIVIO<br />

sowie das Wappen des Patrons mit drei<br />

darunter liegenden Rundstegen.<br />

Wer war der Stifter Joachim Sigismund<br />

von Ziegler und Klipphausen? Geboren<br />

wurde er am 13. Oktober 1660 in<br />

Radmeritz (heute Radomierzyce) in Abstammung<br />

von einem Meißner Adelsge-<br />

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66<br />

Geschichte


Glocken<br />

und seine Kirchenglocken<br />

schlecht, das sich im 17. Jh. in der Oberlausitz<br />

niederließ. Nach Kindheit und<br />

Jugendzeit wurde er später unter dem<br />

sächsischen Kurfürsten Johann Georg IV.<br />

Kammerjunker sowie unter August dem<br />

Starken Kammerherr und rückte auf bis<br />

zur ersten Kammerherrenwürde. Sein<br />

Lebensmittelpunkt blieb aber Radmeritz.<br />

Durch eine rege Bautätigkeit am Ort mit<br />

namhaften Barockkünstlern wie Pöppelmann<br />

schuf er das dreiflügelige Wasserschloss<br />

mit französischem Garten. Der<br />

unverheiratet und kinderlos gebliebene<br />

von Ziegler vererbte sein Kapital dem<br />

1728 gegründeten evangelischen Fräuleinstift<br />

Joachimstein. Er verstarb am 30.<br />

Juni 1734 in Radmeritz.<br />

1956 konnte die Gemeinde das Geläut<br />

durch zwei von der Firma Schilling &<br />

Lattermann erworbene Eisenhartgussglocken<br />

ergänzen, die in Morgenröthe<br />

- Rautenkranz gegossen wurden. Diese<br />

beiden bilden im heutigen Dreier - Geläut,<br />

das in einem Eichenholz - Glockenstuhl<br />

montiert ist, die Glocke 1 und Glocke<br />

3 mit einem Durchmesser von 1 440<br />

mm und 1 113 mm sowie den Gewichten<br />

von ca. 1300 kg und 500 kg.<br />

Die sparsamen Inschriften auf den Gusskörpern<br />

lauten: Über einem einfachen<br />

Kreuz<br />

GOTTES STIMME LASST UNS SEIN RUFT<br />

IN DIE WELT HINEIN ! bei der großen<br />

sowie JESUS LEBT JESUS SIEGT ALLES<br />

IHM ZU FÜSSEN LIEGT bei der kleineren<br />

Glocke mit darunter liegendem Christusmonogramm<br />

PX.<br />

Im Schriftband liegt das Gießerzeichen<br />

der Firma und darunter das Gussjahr<br />

1956. Die Disposition des melodischen<br />

Geläutes, das die Gläubigen zum sonntäglichen<br />

Gottesdienst ruft, ist f ` - g `- a<br />

`<br />

Der Ort entwickelte sich in den vergangenen<br />

Jahren aus einer reinen Landgemeinde<br />

zu einem Gewerbestandort.<br />

Am 1. Januar 1994 schlossen sich die<br />

Gemeinden Deutsch-Paulsdorf, Friedersdorf,<br />

Gersdorf, Holtendorf, Jauernick-<br />

Buschbach und Pfaffendorf zu der Großgemeinde<br />

Markersdorf zusammen.<br />

Dipl.-Ing. (FH) Michael Gürlach<br />

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Geschichte<br />

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Gedicht<br />

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68<br />

Gedicht


Gedicht<br />

Aus: Görlitzer Dichterheim, 1903<br />

Verfasser des Gedichts war Emil Barber (1857-1917)<br />

Volksschullehrer und bekannter Mundartdichter.<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

incaming media GmbH<br />

Geschäftsführer:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />

02826 Görlitz<br />

Ruf: (03581) 87 87 87<br />

Fax: (03581) 40 13 41<br />

info@stadtbild-verlag.de<br />

www.stadtbild-verlag.de<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Gedicht<br />

Verantw. Redakteur:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

(Mitglied im Deutschen<br />

Fachjournalistenverband)<br />

Redaktion:<br />

Dr. Ernst Kretzschmar,<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />

Dr. Ingrid Oertel<br />

Anzeigen verantw.:<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Mobil: 0174 - 31 93 525<br />

Teile der Auflage werden auch kostenlos<br />

verteilt, um eine größere Verbreitungsdichte<br />

zu gewährleisten. Für eingesandte<br />

Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />

gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die<br />

Auffassung des Herausgebers wider. Anzeigen<br />

und redaktionelle Texte können<br />

nur nach schriftlicher Genehmigung des<br />

Herausgebers verwendet werden<br />

Anzeigenschluss für die Januar-<br />

Ausgabe: 15. <strong>Dezember</strong> <strong>2016</strong><br />

Redaktionsschluss: 15. Dez. <strong>2016</strong><br />

Wir arbeiten mit<br />

Stadtwerke Görlitz AG<br />

Immer.Näher.Dran<br />

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Oberlausitzet Mundartgedicht<br />

A raajchtes Weihnachtn<br />

Schunn Weihnachten und noa kee<br />

Schnie?<br />

Nee, doas gefällt uns goar ne mih!<br />

Do lob`ch mer`sch doa,<br />

wenn`s dicke schneit,<br />

dr Schnie bis ruff zum Fanstern leit.<br />

und oalss hoot weiße Pudlmitzn,<br />

Mir kinn ban woarm Ufm sitzn<br />

und Nisse knackn, Äppl brotn -<br />

ju, su is Weihnacht`raajcht gerotn.<br />

Artur Fröhlich<br />

Auch das gab`s einmal: Winterfreuden für<br />

Ferienkinder<br />

Aus: Günter Hain erlebt unsere Heimat, 1990<br />

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