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73_Ausgabe Juli 2009

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Wer erinnert sich noch? Die einzige hiesige<br />

Tageszeitung titelte in Richtung<br />

Görlitz: “Finger weg von der preußischen<br />

Last!” (19.5.2006). Wenig in später<br />

empfahl das Blatt, “nicht länger die<br />

schlesische Karte zu spielen, sondern<br />

das Bewusstsein für die Oberlausitz zu<br />

stärken” (29.6.2006). Die Zeitung ließ<br />

den führenden Vertreter eines “Forums<br />

Oberlausitzer Geschichtsvereine<br />

und wissenschaftlicher Institutionen”<br />

für einen Großkreis Oberlausitz mit der<br />

Hauptstadt Bautzen werben und die seit<br />

20 Jahren immer wieder aufgewärmten<br />

antipreußischen und antischlesischen<br />

Sprüche wiederholen (27.6.2006). Noch<br />

heute werden immer wieder Leserbriefe<br />

mit den altbekannten Belehrungen der<br />

Görlitzer veröffentlicht.<br />

Viele Mitbürger haben aber inzwischen<br />

erkannt, dass die preußischen und<br />

schlesischen Einflüsse auf die Entwicklung<br />

unserer Region unverzichtbar für<br />

unser Erbeverständnis bleiben. Obwohl<br />

in der offiziellen Wahrnehmung deutlich<br />

heruntergespielt, wurde dieser Tage das<br />

32. Schlesische Musikfest trotz vieler<br />

anderweitiger Veranstaltungen zu einem<br />

achtbaren Erfolg, und das bei allein<br />

ehrenamtlicher Vorbereitung und<br />

Organisation durch ein kleines Häuflein<br />

von Enthusiasten! Fast zeitgleich lockte<br />

der Tag der offenen Sanierungstür Tausende<br />

von Görlitzern in Bauwerke aus<br />

der geschmähten Zeit zwischen 1815<br />

und 1945, also aus der preußisch-schlesischen<br />

Periode der Stadtgeschichte -<br />

in das frühere Waggonbauwerk an der<br />

Brunnenstraße, in den alten Packhof am<br />

Bahnhof (künftiger Sitz der Kreisverwaltung),<br />

in das Gründerzeitquartier zwischen<br />

Landskron- und Bahnhofstraße,<br />

in das Mehrgenerationenhaus in Nähe<br />

Elisabethstraße, in das leergeräumte<br />

Museum Kaisertrutz, zum Postplatz und<br />

der oberen Berliner Straße. Man hörte<br />

dabei auch Forderungen, andere Zeugnisse<br />

der Epoche zu schützen: Stadthalle,<br />

Warenhaus am Demianiplatz, Hotel<br />

“Vier Jahreszeiten”. Wer uns das abspenstig<br />

machen will, stellt das Stadtzentrum<br />

in Frage.<br />

Schritt um Schritt müssen wir auch mit<br />

Beiträgen im StadtBILD Kenntnislücken<br />

beseitigen und böswillige Ideologen zurückweisen.<br />

Dafür steht, gemeinsam<br />

mit Ihnen,<br />

Ihr Ernst Kretzschmar.<br />

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Einleitung<br />

3


Burghof<br />

Bauarbeiten am „Burghof“ in Biesnitz –<br />

Burghof unter Gastwirt Adelbert John, um 1910<br />

Im Verlag Gunter Oettel Görlitz-Zittau<br />

erschien 2005 ein liebevoll gestaltetes<br />

Bändchen mit dem Titel “Görlitzer Gaststätten<br />

um1900 - Ein Streifzug durch ihre<br />

Geschichte”. Görlitzer Ansichtskartensammler<br />

hatten das Bildmaterial zusammengestellt<br />

und Hintergrundinformationen<br />

mühevoll gesucht. So bekommt der<br />

Leser und Betrachter allerlei Wissenswertes<br />

über Baugeschichte, Wirte und<br />

Besonderheiten der einzelnen Gaststätten<br />

mitgeteilt. Zahlreich sind die Aus-<br />

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4<br />

Titel |


Burghof<br />

Eine Legende erwacht wieder<br />

Gaststätte Burghof in Biesnitz, um 1925<br />

flugsgaststätten vertreten, die in den<br />

damaligen (später eingemeindeten) Vorort<br />

mit originellen Angeboten lockten.<br />

Insbesondere rund um die Landeskrone,<br />

damals bevorzugtes Ziel für Familienausflüge<br />

oder Wandergruppen, gab<br />

es dicht bei dicht Lokale mit Tanzsälen,<br />

Gärten, Schaukeln und verlockend gedeckten<br />

Tischen. Oft bekamen die Besucher<br />

dort eigene Hauskapellen zu hören.<br />

Kein empfindlicher Nachbar beklagte sich<br />

über Ruhestörung, denn etliche Einwoh-<br />

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Titel |<br />

5


Burghof<br />

Bauarbeiten am „Burghof“ in Biesnitz –<br />

Burghof mit neuem Vorbau, um 1985<br />

ner lebten ja vom Gästezustrom.<br />

Auch zur Geschichte des “Burghofes” gegenüber<br />

der Endhaltestelle “Landeskrone”<br />

der elektrischen Straßenbahn fanden<br />

die Gestalter des Büchleins manches heraus.<br />

Danach ließ der Orgelbaumeister Carl<br />

Hoffmann das Haus um 1898 erbauen,<br />

noch ganz im verbreiteten Stil der Gründerzeit,<br />

und so flatterte dann auch auf<br />

einer Ansichtskarte von damals auf dem<br />

Dach des Neubaus eine übergroße Fahne<br />

in den schwarzweißroten Nationalfarben.<br />

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6<br />

Titel |


Burghof<br />

Eine Legende erwacht wieder<br />

Die Obergeschosse dienten als Hotel,<br />

im Erdgeschoß war die Gaststätte. Bald<br />

folgte der Anbau des Tanzsaales, wie bei<br />

zahlreichen ähnlichen Etablissements üblich.<br />

Wenige Jahre darauf (1904) erwarb<br />

Adelbert John das Haus. Danach führten<br />

Witwe und Sohn einige Zeit das Unternehmen.<br />

In den wirtschaftlich schwierigen<br />

Jahren nach dem I.Weltkrieg mit Inflation,<br />

Reparationslasten und politischen<br />

Unruhen wechselten die Wirte mehrmals.<br />

Für einen längeren Zeitraum hielt sich Albert<br />

Güthling. Nach 1945 folgte Paul Koj.<br />

Gerade in der Notzeit war Unterhaltung<br />

wieder gefragt, man wollte nachholen,<br />

was einem der Krieg vorenthalten hatte.<br />

1952 übernahm die staatliche Handelsorganisation<br />

(HO) den Betrieb. Der<br />

“Burghof” gewann bald einen legendären<br />

Ruf. Besonders verdient machte sich<br />

der Gaststättenleiter Horst Fuchs. Beliebte<br />

Kapellen (Reimann, Krinke, Schwarz)<br />

lockten zum Tanz. Oberschulklassen zog<br />

es zu den Tanzkursen der schon ein wenig<br />

betagten Elli Eifler. Damenkränzchen<br />

erinnerten sich bei Törtchen und<br />

Kaffee daran, dass man doch mal bessere<br />

Zeiten gesehen hatte. Klassenwiedersehenstreffen<br />

füllten die Gasträume<br />

mit fröhlichem Gelächter, wenn jemand<br />

aus der Runde die ehemaligen Lehrer<br />

täuschend echt parodierte. Handwerksmeister<br />

vertilgten teuren Cognac und<br />

klagten dabei über die lästige Konkurrenz<br />

der staatlichen Großunternehmen.<br />

Schüchterne junge Liebespaare kratzten<br />

ihr Kleingeld zusammen, um sich einen<br />

Dessertwein “Goldener Herbst” zu leisten;<br />

war die Zunge gelockert, folgte irgendwann<br />

das lange erwartete Versprechen,<br />

sich nie, nie wieder zu trennen.<br />

Pflichtschuldigst brachten die jungen<br />

Leute ihre Eltern zu den Tanzstundenbällen,<br />

die Damenfrisuren wippten zauberhaft,<br />

die Krawatten saßen exakt, die<br />

Schuhe waren blank geputzt, die Konfirmandenanzüge<br />

paßten gerade noch so.<br />

Oft war der “Burghof” restlos ausverkauft.<br />

1969 gab es Abhilfe. Ein Anbau an<br />

der Straßenseite mit großen Fenstern erweiterte<br />

die “Platzkapazität”, so dass die<br />

Kellner nicht genervt abwinken mußten.<br />

Mit Kaffeekonzerten (noch ohne Tonkonserven<br />

und DJs), Varietédarbietung, Kin-<br />

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Titel |<br />

7


Burghof<br />

Bauarbeiten am „Burghof“ in Biesnitz –<br />

dernachmittagen und<br />

originellen Innendekorationen<br />

verwöhnte<br />

man die Stammgäste<br />

und lockte neue Besucher<br />

an. Gesamtdeutsche<br />

Familientreffen<br />

sorgten an<br />

dem einen Tisch für<br />

lebhafte Gespräche.<br />

Nebenan erzählten<br />

Oma und Opa den<br />

staunenden Enkeln<br />

über wundersame<br />

Eindrücke im Wirtschaftswunderländle<br />

drüben. Irgendwie<br />

war der “Burghof”<br />

ein klitzekleines Abbild<br />

der großen Welt<br />

da draußen geworden,<br />

ein wenig behäbig<br />

und provinziell,<br />

ein wenig keß und<br />

aufmüpfig.<br />

Nach 1990 kamen<br />

noch einmal neue Werbeanzeige um 1935<br />

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8<br />

Titel |


Burghof<br />

Eine Legende erwacht wieder<br />

Presseanzeige aus “Lausitzer Rundschau”, 1948<br />

Gäste- Alt-Görlitzer, die lange fort gewesen<br />

waren, fanden hier Vertrautes und<br />

auch wieder nicht. Die Räume sahen viel<br />

echte Wiedersehensfreude, etwa im September<br />

1991 beim Treffen ehemaliger<br />

Angehöriger der Neunzehner-Garnison.<br />

Auch die Abordnungen aus der neuen<br />

Partnerstadt Wiesbaden führte man gern<br />

hierher, und mitunter wußten die Umworbenen<br />

nicht so recht, was die Gastgeber<br />

ausgerechnet an diesem “Burghof”<br />

so Besonderes fanden.<br />

Marion Bartels schrieb auf absonderliche<br />

Weise die Geschichte des Hauses weiter.<br />

Mittlerweile hatte sich ja herumgesprochen,<br />

dass der neue Maßstab der Glückseligkeit<br />

das Geld geworden war. Frau<br />

Wirtin schickte Feuerteufel, da blieben<br />

fast nur Aschehäufel. Den Biesnitzern gefiel<br />

das nicht. Frau Wirtin musste vor Gericht.<br />

Der „Burghof“ stand verkohlt und<br />

leer. Es kamen keine Gäste mehr. Nun<br />

wird dort gewerkelt. Mauern fallen. Der<br />

alte Saal ist abgetragen. Aber das Haus<br />

wird nicht “rückgebaut” oder “vom Markt<br />

genommen”, wie marktwirtschaftliche<br />

Witzbolde den Abriß heute umschreiben.<br />

Entstehen soll eine Pension mit 18 Betten<br />

für Feriengäste, im Gartenbereich auch<br />

ein Café. Tanz soll es nicht mehr geben,<br />

aber man soll ja nie “Nie” sagen. Legenden<br />

sind nicht so leicht totzukriegen. Und<br />

der “Burghof” bleibt eine Legende-wie<br />

die Muschelminna und der Nachtschmied<br />

und das Landskronbier.<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Titel |<br />

9


Ernst Mohr<br />

Mohr<br />

aus Hamburg –<br />

Vor einem Jahre, im<br />

<strong>Juli</strong> 2008, erreichte<br />

uns die Nachricht, daß<br />

Ernst Mohr gestorben<br />

war. Von seinen<br />

dankbaren Kindern<br />

umsorgt, hatte er<br />

seine letzten Lebensjahre,<br />

inzwischen völlig<br />

erblindet, in einem<br />

Seniorenwohnheim<br />

verbracht. Mit Görlitz<br />

war er mehr als ein<br />

halbes Jahrhundert<br />

lang eng verbunden.<br />

Er wurde 1916 als viertes Kind des Kaufmannes<br />

Johannes Mohr in Wilhelmshaven<br />

geboren, blieb zeitlebens ein Nordländer,<br />

besonnen, beständig, bedächtig.<br />

Die Familie zog 1922 nach Hamburg-Bergedorf<br />

um. Hier besuchte er vier Jahre<br />

lang die Volksschule und dann die Oberrealschule;<br />

der Tod des Vaters zwang zum<br />

Abbruch des Schulbesuchs. 1934 trat er<br />

in das Heer ein und kam nach Görlitz in<br />

das III. Bataillon des 8. (preußischen)<br />

Infanterie-Regiments der Reichswehr<br />

Putz- und Flickstunde in der Klaist-Kaserne 1935, Ernst Mohr 6. v.l.<br />

(daraus entstand 1935 das neue Infanterie-Regiment<br />

30 der Wehrmacht). Nach<br />

der Grundausbildung zum Rechnungsführer<br />

weitergebildet, verwaltete er als<br />

Unteroffizier bis 1942 das Regimentshaus<br />

am Friedrichsplatz. 1940 heiratete<br />

er eine Görlitzerin und nahm in der Görlitzer<br />

Oststadt seinen festen Wohnsitz.<br />

Aus der Ehe gingen ein Sohn und zwei<br />

Töchter hervor. Im Fronteinsatz im Osten,<br />

seit 1943 Leutnant, wurde er 1944<br />

schwer verwundet, so daß ihm ein Bein<br />

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10<br />

Geschichte |


Ernst<br />

und der Traditionsverband<br />

Mohr<br />

der Dreissiger<br />

amputiert werden mußte. Inzwischen<br />

zum Oberleutnant befördert, war er bis<br />

Frühjahr 1945 als Regimentsadjutant<br />

eingesetzt. Nach kurzer amerikanischer<br />

Gefangenschaft konnte er 1945 in das Elternhaus<br />

in Hamburg-Bergedorf zurückkehren.<br />

Dort lebte er fortan mit seiner<br />

Familie, die 1945 wie Millionen von Deutschen<br />

aus der Heimat vertrieben worden<br />

war; es gab kein Zurück nach Görlitz-Ost.<br />

Wie viele ins Zivilleben zurückgekehrte<br />

Berufssoldaten mußte er sich in neue<br />

Berufe einarbeiten, zunächst als Abteilungsleiter<br />

in einem Briefmarkenhandel,<br />

ab 1949 im Finanzamt seiner Heimatgemeinde,<br />

von 1962 bis 19<strong>73</strong> beim Volksbund<br />

für Kriegsgräberfürsorge, zunächst<br />

als Jugendreferent, dann als Landesgeschäftsführer.<br />

1971 verstarb seine Frau.<br />

Wenig später mußte er wegen schwerer<br />

gesundheitlicher Rückschläge seine<br />

Berufstätigkeit beenden. Nun konnte er<br />

sich ehrenamtlich nützlich machen. Da<br />

war er willkommen im Traditionsverband<br />

des Infanterie/ Panzergrenadier-<br />

Regiments 30 Görlitz-Lauban. Sein Haus<br />

in Hamburg-Bergedorf wurde nun bis zu<br />

seiner Erblindung zum Verbandsmittelpunkt.<br />

In einem gesonderten Raum dort<br />

(Am Baum 47) sammelte sich ein Archiv<br />

zur Görlitzer Garnisongeschichte an, das<br />

er sorgfältig ordnete und umsichtig erweiterte.<br />

Damit krönte er seine Lebensarbeit,<br />

die er als Verpflichtung gegenüber<br />

den gefallenen und überlebenden Kameraden<br />

empfand. Bis zu seiner Erblindung<br />

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Geschichte | 11


Ernst Mohr<br />

Mohr<br />

aus Hamburg –<br />

arbeitete er nun im<br />

Vorstand des Traditionsverbandes<br />

als<br />

Geschäftsführer und<br />

hielt so alle Fäden zusammen.<br />

Der Traditionsverband<br />

entstand<br />

bereits 1953 und erreichte<br />

bald eine<br />

hohe Mitgliederzahl<br />

in der Bundesrepublik<br />

und im Ausland.<br />

Es waren ehemalige<br />

Regimentsangehörige<br />

oder deren Witwen.<br />

Regimentstreffen IR30 in der Stadthalle, Mai 1994<br />

Längere Zeit lag die Leitung beim<br />

früheren Regimentskommandeur Oberst<br />

Günter Engelhardt, dann bei Oberst Rudolf<br />

Graf, ab 1984 bei Siegfried Schulz. Es<br />

galt, die kameradschaftliche Zusammengehörigkeit<br />

aus Kriegs- und Friedenszeiten<br />

zu pflegen, die gemeinsame Geschichte<br />

zu erforschen und darzustellen<br />

und das Andenken der Gefallenen würdig<br />

zu bewahren. Dazu dienten regelmäßige<br />

Wiedersehenstreffen. Aus privaten<br />

Sammlungen und Nachlässen wurde ein<br />

beachtlicher Bestand an Fotografien und<br />

anderen Erinnerungsstücken zusammengetragen.<br />

Um die Traditionspflege zu fördern,<br />

erschienen einige reich illustrierte<br />

Veröffentlichungen: 1979 im Selbstverlag<br />

in Hamburg “IR 30. Aus der Geschichte<br />

eines schlesischen Regiments 1934-<br />

1945”, 1998 im Henske-Neumann-Verlag<br />

Hofheim das “Gedenkbuch der niederschlesischen<br />

18. Infanterie/ Panzergrenadier-Division,<br />

Friedensstandort Liegnitz“,<br />

zusammengestellt von Ernst Mohr,<br />

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12<br />

Geschichte |


Ernst<br />

und der Traditionsverband<br />

Mohr<br />

der Dreissiger<br />

Ernst Mohr (ganz rechts) im Präsidium des Treffens 1994<br />

1984 im Podzun-Pallas-Verlag Friedberg<br />

„Die 18. Infanterie- und Panzergrenadier-<br />

Division 1934-1945, ein Schicksalsbericht<br />

in Bildern” von Joachim Engelmann,<br />

dazu Nachdrucke früherer Publikationen<br />

zur Görlitzer Garnisongeschichte und<br />

neue Materialsammlungen über Traditionen<br />

vor 1918, reich an Informationen,<br />

Erinnerungsberichten und Abbildungen.<br />

Für die Görlitzer stadtgeschichtliche Forschung<br />

waren und bleiben das wertvolle<br />

und unverzichtbare Hilfen. Seit Mitte<br />

der 1970er Jahre gab<br />

es private Kontakte<br />

zwischen dem Traditionsverband<br />

in Hamburg<br />

und der Abteilung<br />

Stadtgeschichte<br />

im Museum Kaisertrutz,<br />

da offizielle Verbindungen<br />

auf örtlicher<br />

Ebene hier noch<br />

nicht erlaubt waren.<br />

Durch den Austausch<br />

von Fakten- und Bildmaterial<br />

konnten<br />

in Görlitz stadtgeschichtliche<br />

Veröffentlichungen, Vorträge<br />

und Sonderausstellungen wesentlich<br />

bereichert werden, etwa die bekannte<br />

achtteilige Görlitzer Bildchronik. Der erwünschte<br />

Schein der Abgrenzung blieb<br />

so gewahrt, aber zum beiderseitigen Nutzen<br />

sahen die Behörden stillschweigend<br />

über diese Praxis hinweg, namentlich in<br />

den 1980er Jahren. Im September 1991<br />

kamen zu einem ersten zwanglosen Treffen<br />

im “Burghof” in Biesnitz 74 ehemalige<br />

Neunzehner aus Görlitz und Umge-<br />

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Geschichte |<br />

13


Ernst Mohr<br />

Mohr<br />

aus Hamburg –<br />

bung. Die “Sächsische Zeitung” schrieb:<br />

“Unter diesen Männern im höheren Lebensalter,<br />

die oftmals als Kriegsversehrte<br />

noch die schweren Spuren der Vergangenheit<br />

zu tragen haben, gab es herzliche<br />

Wiederbegegnungen. Lebhaft und<br />

ungezwungen besprach man berufliche<br />

und familiäre Dinge. Die Zusammenkunft<br />

war keine politische Willensbekundung.<br />

Es kam jedoch der Wunsch zum Ausdruck,<br />

nunmehr auch soldatische Traditionen<br />

unvoreingenommen und würdig zu<br />

bewahren, weil sie zu unserer Geschichte<br />

gehören. Erste Schritte wären die Pflege<br />

der Soldatengräber und die Gründung<br />

einer Ortsgruppe des Volksbundes<br />

für Kriegsgräberfürsorge, die Gestaltung<br />

eines Mahnmals für die Görlitzer Toten<br />

der beiden Weltkriege und eine bereits<br />

in Aussicht genommene Ausstellung im<br />

Kaisertrutz über Görlitz als Garnisonstadt”.<br />

Bald darauf wurden etliche Görlitzer<br />

Mitglieder des Traditionsverbandes.<br />

Verbindung zum Vorstand hielt Hans-<br />

Dietrich Koenig. Nun konnte auch jeder<br />

das Mitteilungsblatt “Der 30er Kamerad”<br />

beziehen, von dem von 1953 bis 1999<br />

insgesamt 108 Hefte erschienen. Der<br />

nächste große Höhepunkt war das erste<br />

Regimentstreffen in der alten Garnisonstadt<br />

Görlitz vom 27. Bis 29. Mai 1994<br />

in der Stadthalle. Im Verlauf des Treffens<br />

konnte die 1938 eingeweihte, auf<br />

Beschluß der Stadtverordneten nun sanierte<br />

Stele beim Ständehaus wieder in<br />

Besitz genommen werden. Einst dem<br />

Andenken der Gefallenen der Garnisontruppen<br />

im I. Weltkrieg gewidmet, erinnert<br />

sie nun mit angemessener Schriftgestaltung<br />

auch an die Toten der 18.<br />

Infanterie/ Panzergrenadier-Division mit<br />

allen Standorten in Niederschlesien, eingeschlossen<br />

IR 30 Görlitz-Lauban. Seither<br />

ist hier der Ort für das Gedenken am<br />

Volkstrauertag, an dem auch Stadtverwaltung,<br />

Kirchen, Parteien und weitere<br />

Veteranenverbände teilnehmen.<br />

2005 veröffentlichte der StadtBILD-<br />

Verlag einen Text-Bild-Band “Görlitz als<br />

preußische Garnisonstadt 1830-1945”.<br />

Ernst Mohr in Hamburg, nun schon blind,<br />

ließ sich den Text durch seine Kinder<br />

vorlesen und empfand dies als Frucht<br />

langjähriger kameradschaftlicher Zu-<br />

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14<br />

Geschichte |


Ernst<br />

und der Traditionsverband<br />

Mohr<br />

der Dreissiger<br />

sammenarbeit. Auf Beschluß des Verbandsvorstandes<br />

kam die reichhaltige<br />

Foto- und Dokumentensammlung 1999<br />

in das Görlitzer Ratsarchiv, wenig später<br />

auch der Bestand der 18. Infanterie-Division.<br />

So bleibt das unersetzliche Material<br />

in sicherer Obhut und steht für weitere<br />

Forschungen bereit. Vor zehn Jahren löste<br />

sich der Dreißiger-Verband auf; viele<br />

der hochbetagten Mitglieder waren inzwischen<br />

gestorben. Eine kleine Kameradschaft<br />

der Ehemaligen trifft sich in<br />

Görlitz noch jetzt im Abstand von zwei<br />

Monaten zum Austausch von Informationen<br />

und Erinnerungen. Die Verstorbenen<br />

werden zu Grabe geleitet. So bleibt auch<br />

das Vermächtnis von Ernst Mohr, dem<br />

Hamburger Görlitzer, in treuen Händen.<br />

Die krampfhaften Rüpeleien von Parteiideologen<br />

und Medien gegen die nationale<br />

Militärgeschichte entbehren zumeist<br />

jeder Sachkenntnis, haben jedoch die<br />

öffentliche Meinung verbogen. Solange<br />

die letzten Zeitzeugen leben, werden sie<br />

den Jüngeren vermitteln, wie es wirklich<br />

war. Der nach 1945 erhofften friedlicheren<br />

Welt sind wir heute immer noch fern.<br />

Ernst Mohr in seinen letzten Lebensjahren<br />

im Seniorenheim<br />

Die Wahrheit nicht zu beschönigen und<br />

nicht zu verteufeln, das sind wir der Generation<br />

von Ernst Mohr, von dem wir vor<br />

einem Jahre Abschied nahmen, wahrlich<br />

schuldig.<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte |<br />

15


Jenseits<br />

Von der Neiße in<br />

der<br />

das Rotbachtal<br />

Neiße<br />

Der Entschluss von Helmut Brüchner,<br />

seinen Geburtstag in dem Ort zu verbringen,<br />

wo er vor 70 Jahren geboren<br />

wurde, wo er seine Kinder- und Jugendzeit<br />

verbrachte, stand schon lange fest.<br />

Obwohl von dem einstigen Nieda (1937<br />

Umbenennung in Wolfsberg) so gut wie<br />

nichts mehr übrig geblieben ist, wollte<br />

er seiner Familie sowie seinen Gästen<br />

die alte Heimat näher bringen und damit<br />

eine Brücke von gestern zu heute<br />

schlagen. Sehr viel gab es dabei zu erzählen,<br />

wie es einmal im kleinsten Dorf<br />

des ehemaligen Landkreises Görlitz ausgesehen<br />

hat, welche stattlichen Gebäude<br />

dem Bau der Witkatalsperre weichen<br />

mussten und was der Ort heute zu bieten<br />

hat. Im Nachhinein betrachtet, eine<br />

vollkommen gelungene Überraschung,<br />

denn nicht nur die Gäste der Geburtstagsparty<br />

zeigten sich ob der ungewöhnlichen<br />

Einladung verblüfft, sondern<br />

auch die jetzigen Einwohner waren<br />

sehr angetan und trugen das Ihrige zum<br />

Gelingen der Feier bei.<br />

In einem alten Heimatkalender wird<br />

Nieda als die Perle des Wittigtales im<br />

Kreise Görlitz bezeichnet. 1346 in der<br />

Matrikel (Verzeichnis von Personen) des<br />

Bistums Meißen als Nedaw erwähnt,<br />

1366 die Nede, 1460 schon Nieda, 1491<br />

bey der Nyde, 1583 zur Niedaw, 1937<br />

umbenannt in Wolfsberg, im Volksmund<br />

jedoch Niede geblieben. Es gab<br />

eine ganze Anzahl von Flurnamen wie<br />

an der Hainmauer, an den Fuchshältern,<br />

der Wolfsberg mit einem gut erhaltenen<br />

Burgwall (eine Fliehburg = Fluchtburg),<br />

die Seltenrein, die Hirnitz, die Bornhau,<br />

das Bischofsholz, der Engeberg, der Krischelberg<br />

genannt nach früher angepflanzten<br />

Krischelbäumen (Krischel =<br />

kleine Pflaumen), Hutberg, die Küchenmühle<br />

am Klapperberg. Nieda hat ein<br />

wunderschönes Gotteshaus, welches im<br />

11. Jahrhundert erbaut wurde und somit<br />

zu den ältesten der Oberlausitz zählte.<br />

Zum Kirchspiel gehörten 7 Gemeinden,<br />

3 sächsische und 4 preußische. Beim<br />

Aufblühen des Christentums in der hiesigen<br />

Gegend stand auf dem östlichen<br />

Teil des Wolfberges eine berühmte Kapelle,<br />

zu der von weither die frommen<br />

Christen wallfahrten. Noch Mitte des 20.<br />

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16<br />

Geschichte |


Jenseits<br />

Ausflug nach Nieda<br />

der Neiße<br />

Jahrhunderts hieß ein vom Wolfsberge<br />

aus westlich gelegenes, mit Laubholz<br />

bestandenes, zum Teil von der Wittig<br />

umspültes Tal, in dem Wallfahrer einst<br />

gelagert und abgekocht haben sollen,<br />

die „Küche“. Die darin liegende, später<br />

zu Fabrikzwecken dienende Mühle, die<br />

„Küchenmühle“. Wie bereits erwähnt,<br />

führt ein westlich vom Wolfberg liegender<br />

Hügel den Namen „Klapperberg“,<br />

auf dessen Steinen man einst in Ermangelung<br />

der Glocken mit eisernen Stäben<br />

geklappert und dadurch die in der „Küche“<br />

lagernden Wallfahrer zum Gottesdienst<br />

gerufen wurden. Wie die Chronik<br />

berichtet, lag der Ort zwischen 7 Hügeln,<br />

von denen die Hainmauer der höchste<br />

war. Die Wittig (Witka) trennte das Dorf<br />

in zwei Teile, der am linken Ufer gebliebene<br />

Teil mit nur wenigen Häusern blieb<br />

sächsisch. Es soll an dieser Stelle nicht<br />

unerwähnt bleiben, dass die Wittig der<br />

größte Nebenfluss der Neiße ist und aus<br />

der Gegend des Wittighauses im Isergebirge<br />

kommt sowie bei Radmeritz in<br />

die Neiße mündet. Wolfsberg besaß eine<br />

sechsklassige Zentralschule (1942), die<br />

Die Kirche von Nieda<br />

auch von Kindern aus sächsischen Dörfern<br />

besucht wurde. Zum Schulverbande<br />

gehörten ebenfalls die Orte Bohra und<br />

Wilka des früheren Landkreises Lauban.<br />

Ein ehemaliger Bewohner schwärmt:<br />

Jeder Ausflügler, der unser kleines Dorf<br />

besucht, wird von der schönen Lage der<br />

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Geschichte |<br />

17


Jenseits<br />

Von der Neiße in<br />

der<br />

das Rotbachtal<br />

Neiße<br />

Gemeinde überrascht sein und sie gern<br />

wiederbesuchen. Sicher zu jeder Jahreszeit,<br />

besonders aber im Spätsommer,<br />

wenn am Rande des Flusses die aus<br />

Amerika stammenden Rudbeckien blühen.<br />

Diese auch die übrigen Flussufer<br />

der Lausitz mit ihren gelben Blumen<br />

reizvoll umsäumenden Pflanzen heißen<br />

Das Erholungs- und Wassersportzentrum vor 1945<br />

in unserer Gegend „Wittigblumen“.<br />

Betrachtet man sich aus heutiger Sicht<br />

das jetzige Niedow, so dürfte wohl kaum<br />

in einem anderen Ort des ehemaligen<br />

Landkreises Görlitz der Unterschied so<br />

krass ausfallen wie in diesem Ort. Nicht<br />

nur, dass die einst sächsischen Dörfer<br />

Reutnitz sowie Wanscha zur Gemeinde<br />

Zgorzelec gehören, es sind Teile der<br />

Gemeinde nicht mehr vorhanden, mussten<br />

dem sich ständig ausbreitenden<br />

Kraftwerk Türchau<br />

weichen. Eine wirtschaftliche<br />

und politische<br />

Notwendigkeit.<br />

Aus diesem Grund<br />

wurden Häuser Mitte<br />

der 1960er Jahre abgerissen,<br />

die Witka<br />

(Wittig) gestaut und<br />

somit diese Talsperre<br />

geschaffen. Im<br />

Volksmund spricht<br />

man vom „untergegangenen“<br />

Dorf. An<br />

markanten Gebäuden<br />

sind noch vorhanden:<br />

die weithin sichtbare Kirche,<br />

das frühere Pfarrhaus sowie die einstige<br />

alte und neue Schule. Entstanden<br />

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18<br />

Geschichte |


Jenseits<br />

Ausflug nach Nieda<br />

der Neiße<br />

ist ein Erholungs- und Wassersportzentrum,<br />

das in der Region seinesgleichen<br />

sucht und auch von deutschen Touristen<br />

angenommen wird. An den Ufern<br />

hat sich in den letzten Jahrzehnten die<br />

Freizeitanlage des Tagebaus herausgeputzt.<br />

Unzählige kleine Ferienhäuser für<br />

vier und sechs Personen, meist mit Blick<br />

zum See, bieten modernen Komfort. Die<br />

Wege zwischen den Häusern sind befestigt.<br />

Überall schmücken Blumen die<br />

gemähten Rasenflächen. Direkt neben<br />

dem Sandstrand für Sonnenhungrige<br />

schaukeln schneeweiße Tret- und Segelboote<br />

im Wind. Für ein paar Zloty können<br />

diese ausgeliehen werden.<br />

Direktor Ryszard Miodona ist stolz auf<br />

„seine“ Anlage und sehr gastfreundlich:<br />

„Der Stausee Witka ist eine gute Erholungsstätte<br />

für Liebhaber des Wassersports,<br />

aber auch für Angler und Menschen,<br />

die Ruhe und den Kontakt mit<br />

der Natur gern genießen. Die Nähe der<br />

Grenzen zu Deutschland und Tschechien<br />

ermöglicht, dass dieser Ort eine vortreffliche<br />

Ausgangsbasis für Tagesfahrten<br />

zu den Sehenswürdigkeiten sowie<br />

Ausflugszielen der benachbarten Länder<br />

ist. Ich freue mich, unseren Gästen alles<br />

bieten zu können, was einen Sommerurlaub<br />

ausmacht.“ Gemeint sind damit<br />

der saubere Badestrand (kostenlos),<br />

ein Tennisplatz, mehrere Ballspielplätze,<br />

ein Kinderspielplatz, eine Bühne für Musikgruppen<br />

direkt auf dem Wasser, eine<br />

Segel- und Surfschule sowie ein Restaurant,<br />

welches Urlaubern Vollverpflegung<br />

anbietet, aber auch Tages- und<br />

Wochenendtouristen gastronomisch betreut.<br />

Günstige Preise, eine freundliche<br />

Atmosphäre und ein guter Service sprechen<br />

für sich. Interessenten sollten sich<br />

aber rechtzeitig anmelden, denn gerade<br />

in der Hauptsaison ist der Witka-See oft<br />

ausgebucht. Wer allerdings sein eigenes<br />

Zelt mitbringen will, braucht keine vorherige<br />

Absprache, da findet sich immer<br />

ein Plätzchen am Ufer.<br />

Aus: Hans Schulz „Jenseits der Neiße“,<br />

StadtBILD-Verlag 2007<br />

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Geschichte |<br />

19


Ein Görlitzer Tierpark –<br />

Tierpark –<br />

Der bekannte Görlitzer Maschinenbaufabrikant<br />

Richard Raupach (1851-1921),<br />

später Firma Kema, ließ bereits zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts unweit seines<br />

Wohnsitzes einen Privatpark anlegen,<br />

was den Görlitzer Ruf als Parkstadt<br />

unterstrich. Wir wissen, dass nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg zeitgemäß daraus<br />

der „Park der Werktätigen“ entstand.<br />

Dank der Initiative des damaligen Oberbürgermeisters<br />

Bruno Gleisberg (1895-<br />

1960) und des verdienstvollen Gartenbaudirektors<br />

Henry Kraft (1899-1979)<br />

wurde dort im Jahre 1957 der beliebte<br />

Görlitzer Tierpark angelegt, welcher im<br />

April 2008 in der MDR-Sendung sogar<br />

als schönster Tierpark Mitteldeutschlands<br />

präsentiert wurde.<br />

Auf einer dünnen Akte des Görlitzer<br />

Ratsarchivs steht: „Zeitungs-Ausschnitte.<br />

Der Görlitzer Tierpark“. Sie beinhaltet<br />

den Zeitraum vom 7.1.1938 - 24.4.1944.<br />

Es wird auf Presseartikel über das Anlegen<br />

eines Tierparks von Anfang 1935<br />

und 1936 hingewiesen. Am 27.6.1939<br />

konnte das NSDAP-Organ „Oberlausitzer<br />

Tagespost“ erfreulicherweise von einem<br />

Tierbestand von 300 berichten. Da gab<br />

es Großtiere wie Bären, Wölfe, Esel und<br />

sogar Löwen, kleinere Tiere wie Marder,<br />

Hasen, Kaninchen und Meerschweinchen<br />

und natürlich auch Vögel wie z. B.<br />

Störche, Käuzchen und Bussarde und<br />

die vielen kleinen bunten „Vögelchen“,<br />

deren Arten oft nur Fachexperten auseinanderhalten<br />

konnten. Mit einem bescheidenen<br />

Bestand hatte der Besitzer<br />

begonnen. Jetzt aber hielt die Zeitung<br />

einen unmißverständlichen Hinweis für<br />

angebracht: „Mit der Zunahme der Tiere<br />

werden die Unterhaltungskosten immer<br />

höher. Es wäre zu wünschen, wenn<br />

sich Interessenten finden würden, die<br />

den Besitzer im Unterhalt des Tierparks<br />

unterstützten, da sonst die Zwangslage<br />

eintreten könnte, daß der Tierpark gerade<br />

um die zugkräftigen Großtiere verringert<br />

werden müßte.“<br />

Es handelte sich jedoch nicht um den<br />

einstigen Raupachschen Park, sondern<br />

um den östlich der Neiße gelegenen<br />

Gasthof „Stadt Breslau“ - Breslauer<br />

Straße 20/21.<br />

Ursprünglich war es ein Görlitzer Vor-<br />

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20<br />

Geschichte |


östlich der Neiße<br />

der Neiße<br />

Postkarte vom Tierpark Breslauer Straße um 1939<br />

werk, und 1846 erhielt es die Konzession<br />

für die Einrichtung einer Gastwirtschaft.<br />

In den 1930er Jahren entstand<br />

unter E. W. Wilkert laut Görlitzer Adressbuch<br />

der „Görlitzer Tierpark und Raubtierschule“<br />

Natürlich waren die großen<br />

Raubtiere eine besondere Attraktion. So<br />

lautete eine Überschrift in der OTP vom<br />

3.9.1942 „Löwen aus Görlitz filmen in<br />

München“. Unter Anleitung ihres Görlitzer<br />

Tierlehrers Wilkert agierten sie im<br />

Film „Panik“, den der populäre Schauspieler<br />

und Tierfilmregisseur Harry Piel<br />

(1892-1963) drehte. Dabei gab es auch<br />

unerwünschte „Action“, als der Löwe<br />

Astor vermutlich die damals noch recht<br />

große Filmkiste mit seinem Transportgehäuse<br />

verwechselte. Zum Glück hauchte<br />

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Geschichte |<br />

21


Ein Görlitzer Tierpark –<br />

Tierpark –<br />

nur eine Kamera ihr Leben<br />

aus, und der Journalist<br />

wurde leicht verletzt.<br />

Besonders die kleineren<br />

Tierparks, deren finanzielle<br />

Unterstützung nicht<br />

ausreichte, hatten es<br />

in Kriegszeiten schwer,<br />

jene Tiere, welche naturgemäß<br />

das warme<br />

Klima bevorzugten, lebend<br />

über den Winter<br />

zu bekommen. Ein großes<br />

Problem war natürlich<br />

auch die Beschaffung<br />

von ausreichend<br />

Futter. Deshalb mussten<br />

1939 auch zwei Löwen in<br />

Görlitz erschossen werden.<br />

Viel Freude hatte<br />

man dafür im Sommer<br />

1941mit zwei „kratzbürstigen“<br />

kleinen Leopardenbrüdern,<br />

die sich<br />

offenbar „zum Fressen<br />

gern“ hatten und sich<br />

Werbeanzeige 1941<br />

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22<br />

Geschichte |


östlich der Neiße<br />

der Neiße<br />

immer wieder ineinander verbissen und<br />

getrennt werden mussten. Ende Dezember<br />

1941 standen die beiden jungen<br />

Leoparden faktisch im Dienst des Winterhilfswerks<br />

(WHW). In einem Schaufenster<br />

des großen Kaufhauses Karstadt<br />

animierten sie die Passanten zu Spenden<br />

in die Sammelbüchse. Der Tierpark<br />

erwarb auch einen weißen Yak, wie man<br />

den tibetanischen Büffel nennt, sowie<br />

ein Rentier mit seinen Jungen. Allein am<br />

ersten Pfingstfeiertag besuchten etwa<br />

2000 Menschen die Einrichtung, um<br />

die Tiere in ihren Käfigen bzw. Freigehegen<br />

zu bewundern. Es war geplant,<br />

auch den Besuch von Schulklassen zu<br />

fördern, um den entsprechenden Unterricht<br />

anschaulicher zu gestalten.<br />

Attraktionen waren natürlich auch die<br />

achtjährige und 32dt schwere indische<br />

Elefantendame Manjula und der neunjährige<br />

drei Meter hohe Straußenhahn<br />

Charli. Der Tierpark sowie Dressurprogramme<br />

wurden auch in die Betreuung<br />

der Kriegsverletzten einbezogen. Auch<br />

die berühmte Tigergruppe des Meisters<br />

Togare überwinterte 1941/42 in Görlitz<br />

und konnte in einer neuen Dressurhalle<br />

der Raubtierschule ihr Training fortsetzen.<br />

Der Tierpark wurde weiter ausgebaut,<br />

und kurz vor Ostern konnten<br />

die „Görlitzer Nachrichten“ voller Stolz<br />

schreiben: „Die Görlitzer können sich<br />

wirklich freuen, daß mit Tierlehrer Wilkert<br />

ein Mann nach Görlitz gekommen<br />

ist, der sich alle Mühe gibt, aus dem<br />

einstigen Mauerblümchen vom Tierpark<br />

ein Werk zu schaffen, das sich sehen<br />

lassen kann. Den Görlitzer Tierpark in<br />

die Feiertagsplanungen mit einzubeziehen,<br />

sollte niemand versäumen.“<br />

Doch diesem Tierpark war kein langes<br />

Leben beschieden. Den letzten Artikel in<br />

unserer Akte schrieb die „Oberlausitzer<br />

Tagespost“ vom 24.4.1944. Besonders<br />

stolz war man auf den einstigen Zirkusartisten,<br />

den großen Braunbär Tommy,<br />

sowie die beiden Jungpanther Cora und<br />

Rani, die bei ihrer Tierlehrerin manchen<br />

Kratzer verursachten. Doch auch viele<br />

andere Tiere wurden noch einmal vorgestellt.<br />

In der verdienstvollen Publikation<br />

„Görlitzer Gaststätten um 1900“<br />

lesen wir, dass der Gasthof „Stadt Bres-<br />

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Geschichte |<br />

23


Ein Görlitzer Tierpark – östlich<br />

Tierpark<br />

der Neiße<br />

lau“ im März 1945 geschlossen<br />

wurde. War<br />

das auch das Ende<br />

dieses Görlitzer Tierparks?<br />

Diesbezügliche<br />

Nachforschungen sind<br />

uns (noch) nicht bekannt.<br />

Aber sicher können<br />

sich ältere Bürger<br />

noch erinnern. Unser<br />

Ratsarchiv nimmt alle<br />

Informationen dazu<br />

dankend und erwartungsvoll<br />

entgegen!<br />

Roland Otto<br />

(Ratsarchiv Görlitz)<br />

Gaststätte Stadt Breslau, Löwen im Tierpark, um 1938<br />

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24<br />

Geschichte |


-Promotion-<br />

Landeskrone<br />

Im Schatten der Landeskrone<br />

Die Comenius Buchhandlung in Görlitz ladet<br />

mit Unterstützung des Stadtbild Verlages<br />

alle Interessierten zu einer Buchlesung<br />

mit Günter W. Müller am 8. <strong>Juli</strong> um<br />

19.00 Uhr recht herzlich ein.<br />

Günter W. Müller wurde 1929 in Görlitz<br />

geboren, studierte in Dresden und Oldenburg<br />

und war in den frühen 50er Jahren<br />

in seiner Geburtsstadt, später in Bad Zwischenahn-<br />

seinem jetzigen Wohnort – und<br />

auch im Fürstentum Liechtenstein als Lehrer<br />

tätig. In seinen Romanen „Gib du mir<br />

einen Namen“, „Der Gürtel des Verräters“<br />

und „Zwielicht über dem See“ sowie in den<br />

Erzählbänden „Tod auf der Loipe“, „Gratwanderungen“<br />

und „Liebesbriefe“ lässt der<br />

Autor sehr häufig Erlebnisse und Erfahrungen<br />

seiner eigenen Biografie in die Handlung<br />

einfließen. Im Roman „Im Schatten<br />

der Landeskrone“ den der Autor bei seinem<br />

Besuch in Görlitz persönlich vorstellen<br />

wird, werden wieder seine Görlitzer<br />

Jahre in der Nachkriegszeit lebendig. Der<br />

Roman führt in das Deutschland von 1945.<br />

Die deutsche Familie Förster wird aus dem<br />

Sudetenland vertrieben. Heimat- und besitzlos<br />

geworden, lernt sie das harte und<br />

entbehrungsreiche Leben nach dem Krieg<br />

kennen. Dennoch sind die Försters bereit,<br />

das Beste aus ihrer Situation zu machen.<br />

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Ausblick |<br />

25


Nobelpreisträger<br />

Schlesien –<br />

„Wie viele Nobelpreisträger gehen<br />

noch aus Schlesien hervor, denn<br />

kein anderer deutscher Volksstamm<br />

hat bisher mehr Nobelpreisträger<br />

hervorgebracht als die<br />

Schlesier“. So war es im Glückwunschtelegramm<br />

zu lesen, das<br />

der Bundespräsident Johannes<br />

Rau an den schlesischen Nobelpreisträger<br />

Prof. Günter Blobel<br />

sandte, als dieser 1999 den Nobelpreis<br />

für Medizin erhalten hatte.<br />

Mit einer beachtlichen Anzahl von<br />

insgesamt 14 Nobelpreisträgern<br />

brachte sich das Gebiet Niederschlesiens<br />

beiderseits der Neiße<br />

ein. Einer von ihnen stammt aus<br />

dem heutigen Gebiet Niederschlesiens<br />

als Teil Sachsens, das westlich<br />

der Neiße gelegen ist.<br />

Wer waren diese Nobelpreisträger?<br />

Mit welchen Verdiensten brachten<br />

sie sich in die Wissenschaft und Wirtschaft<br />

ein?<br />

Zu den Wissenschaftlern, die den Nobelpreis<br />

für Physik erhielten, gehört Max<br />

Hans Georg Dehmelt<br />

(Quelle: Harenbergs Personenlexikon des 20. Jahrhunderts)<br />

Born. Er bekam diesen Preis 1954 für<br />

seine Forschungsarbeiten, die zu den<br />

Grundlagen für die Relativitätstheorie<br />

beitrugen.<br />

Otto Stern erhielt 1943 den Nobel-<br />

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26<br />

Geschichte |


ein Eldorado der Nobelpreisträger<br />

preis für die Entwicklung der Molekularstrahlmethode.<br />

Die Physikerin Goeppert-Mayer<br />

erhielt ihn 1963 für die<br />

Entwicklung des Schalenmodells des<br />

Atomkerns. Sie trug dadurch maßgeblich<br />

an der Klärung stabiler und abgeschlossener<br />

Schalen bei. Georg Bednorz<br />

ist ein weiterer Nobelpreisträger<br />

für Physik. Er erhielt diesen Preis 1987<br />

für die Herstellung einer Substanz, die<br />

die Weiterleitung von Strom ohne Widerstandsverlust<br />

ermöglicht. Der aus<br />

Görlitz stammende Hans-Georg Dehmelt,<br />

jetzt in den USA lebend, erhielt<br />

1989 gemeinsam mit Wolfgang Paul<br />

aus Lorenzkirch in Sachsen, der ebenfalls<br />

in den USA lebt, den Nobelpreis<br />

für die Entwicklung der Ionenfalle. Sie<br />

war Grundlage für die Entwicklung der<br />

Atomuhr durch Wolfgang Paul.<br />

Zu den schlesischen Preisträgern, die<br />

den Nobelpreis für Chemie erhielten,<br />

gehört Fritz Haber. Er wurde ihm 1918<br />

für die Entwicklung des Kunstdüngers<br />

verliehen. Für die Entwicklung der Diensynthese,<br />

die wichtig für die Kunststoffherstellung<br />

war, bekam 1950 Kurt Adler<br />

den Nobelpreis.<br />

Im Jahr 1931 wurde Friedrich Bergius<br />

für die Verflüssigung von Kohlenwasserstoff<br />

und die synthetische Gewinnung<br />

von kristallinem Traubenzucker sowie<br />

die synthetische Herstellung von Benzin<br />

mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.<br />

Wenn auch nicht aus Schlesien stammend,<br />

jedoch in Niederschlesien, östlich<br />

der Neiße wohnend, sollte auch der<br />

Nobelpreisträger Walter Nernst, erwähnt<br />

werden. 1921 erhielt er diesen<br />

Preis für seine thermochemikalischen<br />

Arbeiten, insbesondere für die Entwicklung<br />

des 3. Hauptsatzes der Thermodynamik,<br />

den er 1906 definierte. Er wird<br />

als das „Nernstsche Wärmetheorem“<br />

bezeichnet. Er starb am 18.11.1941 in<br />

Bad Muskau.<br />

Niederschlesien bringt sich mit einem<br />

Nobelpreisträger für Literatur, der nicht<br />

vergessen werden darf, ein. Diesen Preis<br />

erhielt Gerhart Hauptmann für seine<br />

sozialkritische Literatur und Bühnenwerke<br />

wie „Die Weber“. Diese haben auch<br />

heute nicht an Aktualität verloren.<br />

In die Reihe der der Nobelpreisträger<br />

für Ökonomie reiht sich auch Reinhard<br />

Selten ein, der diesen Preis 1996 für<br />

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Geschichte |<br />

27


Nobelpreisträger<br />

Schlesien –<br />

die Entwicklung der sogenannten „Spieltheorie“<br />

verliehen bekam.<br />

Zu erwähnen sind unbedingt auch die<br />

Nobelpreisträger, die sich durch außerordentliche<br />

Leistungen auf dem Gebiet<br />

der Medizin verdient machten. Zu nennen<br />

ist dabei Paul Ehrlich. Er erhielt<br />

diese Auszeichnung 1908 für die Ent-<br />

Literatur-Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann mit dem Görlitzer Fotografen<br />

Alfred Jäschke, im Park Wiesenstein, Agnetendorf, um 1940<br />

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28<br />

Geschichte |


ein Eldorado der Nobelpreisträger<br />

wicklung der Grundlagen, auf denen<br />

die moderne Chemotherapie basiert. Sie<br />

sind heute noch für die Heilung einer<br />

Vielzahl von Krankheiten aktuell. Konrad<br />

Bloch wurde 1964 der Nobelpreis<br />

für Medizin für seine Verdienste in der<br />

Biochemie verliehen. Sie beruhen auf<br />

den Erkenntnissen über die Funktion,<br />

die dem Coenzym A beim Cholesterinund<br />

Fettstoffwechsel zukommt. Wie<br />

eingangs bereits erwähnt, erhielt Prof.<br />

Günter Blobel den Nobelpreis für Medizin<br />

für seine Grundlagenerkenntnisse<br />

zur Signalhypothese. Hervorzuheben<br />

ist an dieser Stelle sein besonderes<br />

Verhältnis zu Görlitz. So wurde in seiner<br />

Anwesenheit am 10. Mai 2004 der<br />

Neubau des TÜV Bildungswerkes auf<br />

der Furtstraße in Görlitz nach ihm benannt.<br />

Anlässlich der Einweihung erklärte<br />

er begeistert „Ich werde Propaganda<br />

machen, dass man mehr als bisher über<br />

Görlitz und Niederschlesien redet“. Ihm<br />

ist in diesem Hause eine Dauerausstellung<br />

gewidmet, die dem Besucher umfangreich<br />

Auskunft in Wort und Bild zum<br />

Wirken von Prof. Blobel in Wissenschaft<br />

und Gesellschaft gibt. Er und der schlesische<br />

Nobelpreisträger für Ökonomie,<br />

Reinhard Selten, gehören zur Vereinigung<br />

„Gesellschaft des Ordens Pour le<br />

Mérite“. Das ist eine Vereinigung weniger<br />

deutschlandweit bekannter Persönlichkeiten,<br />

die sich auf dem Gebiet von<br />

Wissenschaft und Kunst außerordentlich<br />

verdient gemacht haben. Außerdem<br />

ist Prof. Blobel Mitglied der Leopoldina,<br />

der auch der ehemalige Görlitzer Bürger<br />

Dr. med. habil. Johannes Klammt, Sohn<br />

des Ehrenbürgers von Görlitz Dr. med.<br />

dent. Georg Klammt, angehört.<br />

Als Kind hielt sich Prof. Blobel nach der<br />

Vertreibung eine Zeitlang in Jänkendorf<br />

bei Niesky auf. Den Aufenthalt in Görlitz<br />

2004 nutzte er, um nach 49 Jahren in<br />

diesem Ort seine Großkusine zu besuchen.<br />

Aus diesem Anlass wurde von ihm<br />

im Park, der an diese Gemeinde grenzt,<br />

eine Eiche gepflanzt und ein Findling mit<br />

der Aufschrift Blobel Eiche aufgestellt.<br />

Dr. Jürgen Wenske<br />

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Geschichte |<br />

29


Parkeisenbahn<br />

Die Geschichte der Görlitzer Parkeisenbahn –<br />

Anmerkung der Redaktion: In der Stadt-<br />

BILD-<strong>Ausgabe</strong> 72, Seite 34 muss es heißen:<br />

unsichtbare Kurbelstangen.<br />

Der nächste Schritt war,<br />

das Antriebsteil aus Königshain<br />

vom Steinbruch<br />

nach Görlitz zu holen.<br />

Über den Trägerbetrieb<br />

Thomnitz-Thumnitz hatte<br />

ich die Freigabe für<br />

das Antriebsteil mit Getriebe<br />

ohne Motor erhalten.<br />

Und so erfolgte die<br />

Übergabe für die Oldtimer-<br />

Parkeisenbahn durch<br />

Herrn Schmidt, damaliger<br />

Werkstattmeister in Königshain,<br />

an mich. Diese<br />

von mir favorisierte günstige<br />

Babelsberger Variante<br />

kam sofort in den Waggonbau<br />

zu Kollegen Baer<br />

und seinen Männern. Kollege<br />

Menzel kombinierte<br />

alles in einmaliger Art<br />

und Weise, sodass wir mit<br />

Herrn Mischke vom Multicar<br />

Service den Einbau<br />

Fundamentarbeit für den Lokschuppen<br />

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30<br />

Geschichte |


Parkeisenbahn<br />

ihre Mütter und Väter (Teil II)<br />

des Dieselmotors besprechen konnten.<br />

Nun war alles in Gang gekommen –<br />

doch einfach wurde es deshalb nicht.<br />

Ich musste meiner Arbeit nachgehen<br />

und konnte daher nur nach Feierabend<br />

und an den Wochenenden an der Parkeisenbahn<br />

arbeiten. Allerdings wurde ich<br />

von meinem Betrieb bei diesem Vorhaben<br />

unterstützt.<br />

Gleichzeitig zu den Arbeiten an der Maschine<br />

musste der Lokschuppen gebaut<br />

werden, denn die im Waggonbau fertig<br />

gestellten Fahrzeuge mussten ja auch<br />

untergebracht werden. Dazu kann ich<br />

mich noch genau an einen Tag erinnern,<br />

– wir hatten gerade die Fundamente für<br />

den Lokschuppen gegraben – da wurde<br />

aus dem Kraftwerk gemeldet – heute<br />

kommen gegen 18 Uhr 8 m 3 Fertigbeton.<br />

Ich war froh, dass der Beton kam. Kompliziert<br />

war die Lage nur dadurch, dass<br />

ich allein war. Hilfe brachte mein Kollege<br />

Uwe Weingärtner und half mir, diese<br />

brenzlige Situation zu meistern.<br />

Wie jedes Kind weiss, eine Eisenbahn<br />

braucht auch Schienen! So wurde ich<br />

in Muskau bei Frau Budig in der Zentrale<br />

der damaligen Muskauer Waldeisenbahn<br />

vorstellig. Mit der Zusage, die<br />

Gleise der Strecke Weißwasser- Halbendorf<br />

abbauen zu dürfen, fuhr ich heim.<br />

Ich war froh darüber, doch haben Sie<br />

schon mal verschweißte Gleise auf der<br />

Länge von gut 1,5 Kilometer abgebaut?<br />

Die dafür zu treffenden Vorbereitungen<br />

waren immens. Wir brauchten dazu vor<br />

allem Leute, – gute Leute, auf die man<br />

sich verlassen konnte, mussten es sein.<br />

Zum Trennen der Gleise auf Stücke von<br />

15 m Länge wurde ein Gas-Sauerstoff<br />

Gemisch benötigt. Benzin für die Aggregate<br />

und den Abtransport der Gleisstücke<br />

nach Görlitz musste beschafft<br />

werden. Und nicht zuletzt war auch Verpflegung<br />

für die Helfer zu organisieren,<br />

denn im Wald gab es ja nichts! Wir haben<br />

es geschafft, denn es halfen gute<br />

Freunde Zu nennen wäre dabei Herr<br />

Michael, damals Energetiker in der Bärenhütte<br />

in Weißwasser, er besorgte die<br />

Gas- und Sauerstoffflaschen zum Trennen<br />

der Gleise. Herr Schiller vom Gleisbau<br />

Görlitz transportierte Werkzeug<br />

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Geschichte | 31


Parkeisenbahn<br />

Die Geschichte der Görlitzer Parkeisenbahn –<br />

Gleisabbau an der Strecke Halbendorf – äußerst schwer!<br />

und Schwellenschrauber im LKW nach<br />

Halbendorf. Ein Nieskyer stellte seinen<br />

Robur-Bus zum Transport der Leute<br />

zur Verfügung, und der „harte Kern“<br />

der Luft- und Wärmetechnik-Monteure<br />

übernahm die schwere Arbeit mit dem<br />

Gleisabbau. Einen Tag vorher war ich im<br />

Kraftwerk und holte die Verpflegungsbeutel<br />

ab (1 Schnitzel, 1 Ei, 1 Semmel<br />

und Tomaten). Das alles kam dann 18<br />

fach in meinen Kühlschrank zu Hause.<br />

An dieser Stelle ein Dank an meine liebe<br />

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32<br />

Geschichte |


Parkeisenbahn<br />

ihre Mütter und Väter (Teil II)<br />

Frau für das Verständnis, das sie dafür<br />

und in den fast zwei Jahren der Bauzeit<br />

aufgebracht hat!<br />

Inzwischen ging der Bau der Wagen im<br />

Waggonbau zügig voran. Aber es mussten<br />

neue Achsen beschafft werden,<br />

denn die alten vom Kalkwerk Ludwigsdorf<br />

erfüllten nach ihrer langen Laufzeit<br />

nicht mehr die Qualitätsansprüche der<br />

Deutschen Reichsbahn.<br />

Wagenunterbau mit neuen Achsen<br />

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Geschichte |<br />

33


Parkeisenbahn<br />

Die Geschichte der Görlitzer Parkeisenbahn –<br />

Rohbau Lokschuppen<br />

Aber hier fand ich in Halle ein Auslieferungslager<br />

für Keramikindustrie, das mir<br />

14 Achsen zusagte. Ein anderes Problem<br />

konnte das Radsatzwerk Ilsenburg im<br />

Harz für uns lösen. Von dort bekamen<br />

wir die Radreifen für die Lok, vier kleinere<br />

und zwei große für das Mittelrad,<br />

bestehend aus äußerst hartem Chromstahl.<br />

Das Drehen der Radreifen ist für<br />

Spezialisten keine Riesenaufgabe, doch<br />

für uns war es das schon. Auf meine<br />

Bitte hin meinte der technische Direk-<br />

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34<br />

Geschichte |


Parkeisenbahn<br />

ihre Mütter und Väter (Teil II)<br />

tor vom RAW, Herr Schindler: „Das wird<br />

doch nie etwas mit dem Adler“. Von hier<br />

gab es also keine Hilfe. Doch tolle Leute<br />

vom Görlitzer Maschinenbau sahen das<br />

anders und halfen uns. Besonders Herr<br />

Henkel setzte sich dafür ein und ließ die<br />

Radreifen drehen und später auch aufschrumpfen.<br />

Die Kollegen Mohnhaupt,<br />

Herda und Habel aus der Dreherei ließen<br />

die Speichen so drehen, wie sie<br />

einst beim „Adler“ aussahen. Die Lehrlinge<br />

vom Görlitzer Maschinenbau mit<br />

ihrem Lehrmeister Harzbecher fertigten<br />

dann den filigranen Schriftzug „ADLER“<br />

aus Messing an. Das Görlitz - Emblem<br />

für den späteren Obelisken goss Herr<br />

Gröber zusammen mit seinem Kollegen<br />

Niederführ.<br />

Was tat sich derweil am Weinberg?<br />

Auch hier gaben viele Helfer ihr Bestes.<br />

Herr Goschke von der Landskronbrauerei<br />

brachte an zwei Tagen in der<br />

Woche Schlacke für den Innenausbau<br />

des Lokschuppens. Eine Lehrlingsbrigade<br />

vom VEB Bau mit ihrem Lehrmeister<br />

Herrn Prenzel war emsig bemüht, den<br />

Lokschuppen zu errichten. Dabei mussten<br />

eine Wasserleitung verlegt sowie<br />

der Strom angeschlossen werden. Hier<br />

verdienen die Kollegen der PGH Elektro,<br />

besonders Herr Queißer, die die gesamte<br />

elektrische Anlage bis zu ihrer<br />

Abnahme begleiteten, großen Dank.<br />

Die PGH Gesundheitstechnik übernahm<br />

die Wasserversorgung bis hin zum Toilettenanschluß<br />

und später noch an das<br />

Wirtschaftsgebäude. Der Bau des Lokschuppens<br />

mit all seinen Besonderheiten<br />

war schon schwer. So war auch das<br />

Dach nur Dank der tollen Mannschaft von<br />

Dieter Friedrich und Reiner Neumann zu<br />

schaffen. Sie deckten das Dach mit Spezialplatten<br />

und den super Abzugshauben<br />

von Koll. Sorge aus der Klima wie<br />

bei einem originalen Lokschuppen. Später<br />

bauten sie noch unter erschwerten<br />

Bedingungen das Wirtschaftsgebäude<br />

mit den Garagen für unsere Sonderfahrzeuge.<br />

Ja, das Wort „harter Beton“ hatte<br />

hier für uns eine besondere Bedeutung<br />

bekommen!!<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Hans-Rüdiger Eulitz<br />

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Geschichte |<br />

35


Ein<br />

Tagebuch<br />

Tagebuch<br />

aus den Befreiungskriegen –<br />

Auffällig ist bei Dihm’s Amtsjubiläum, wie<br />

sich alle über die Schreiben der preußischen<br />

Regierung „freuen“. War doch<br />

zu der Zeit (1817) ein Teil der Oberlausitz<br />

erst nach den Befreiungskriegen als<br />

Kriegskontribution an Preußen gefallen.<br />

In dem folgenden Tagebuch werden die<br />

Preußen noch als Feinde bezeichnet. Die<br />

Aufzeichnungen gehen auf Semmer zurück.<br />

Der Text ist in diesem Fall in der<br />

damals üblichen Rechtschreibung dargestellt.<br />

„Notizen aus dem Tagebuch meines verstorbenen<br />

Vaters Carl G. Semmers das<br />

Dorf Deutschoßig betreffend während<br />

des ruß. Französ. Krieges von 1812 bis<br />

1815 (1816) und anderen Ereignissen<br />

aus dieser Zeit.<br />

Schon von Anfang des Jahres 1812 an<br />

hatte der Ort vielfache Einquartierungen<br />

u. Durchmärsche von französ. Sächsisch.<br />

Bairischer u. italienischer Infanterie<br />

und Kavallerie u. den rheinländ.<br />

Truppen; ebenso mussten oft täglich<br />

2 und 4 spännige Leiter- und Korbwagen<br />

zum Militär Transport nach Görlitz<br />

gestellt werden, besonders von Anfang<br />

März an.<br />

d. 12. Februar 1813 Aus Rußland kehrte<br />

die erste bairische u. italienische Kavallerie<br />

in elendem Zustande mit erfrorenen<br />

Gliedern, blessiert u. mit Nervenfieber<br />

krank zurück, wovon ein Regiment,<br />

etwas über 100 Mann mit weinigen Pferden,<br />

ins Quartier kam.<br />

d. 17. März Allianz zwischen Russland<br />

und Preußen.<br />

24. März Mittwoch kam die erste Einquartierung<br />

feindlicher Truppen: preuß.<br />

Husaren u. Infanterie, schles. u. westpr.<br />

Schützen, auch Gardefüsiliere.<br />

vom 5ten bis 19. April abwechselnd russische<br />

Infanterie, welche sich oft nach<br />

Belieben einquartierte. Das Betragen<br />

war besser, als das der Franzosen.<br />

d. 20. April Nachmit. Fuhr Kaiser Alexander<br />

v. Rußland durch Görlitz nach<br />

Mengelsdorf u.<br />

d. 23. früh 8 Uhr der König Friedr. Wilhelm<br />

III. durch Görlitz.<br />

11. Mai mußte Bauholz aus der Langenauer<br />

Heide zum Lazarettbau angefahren,<br />

u. 2 Fuder Strohschuber geliefert<br />

werden.<br />

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36<br />

Geschichte |


Deutsch-Ossig<br />

aus der Chronik von Deutsch-Ossig<br />

vom 11 ten bis 21.<br />

Mai kam russische<br />

Reiterei und Kosaken,<br />

vom Gefolge<br />

des ruß. Generals<br />

Barclay de Tolly,<br />

wovon letztere eine<br />

Woche im Gute des<br />

H. Winkler bei der<br />

Kirche biwakierten,<br />

die Wirte hatten das<br />

Essen dahin zu bringen.<br />

12. Mai Totaler<br />

Brand der Stadt Bischofswerda.<br />

am 17. Mai war kein<br />

einziges Pferd mehr<br />

im Orte. Das Vieh<br />

hatte man zum Teil<br />

ins umliegende Gebüsch<br />

gebracht. Fortgesetzte Lieferung<br />

an Korn, Hafer, Brot, Mehl, Schlachtvieh,<br />

Fleisch, Brandwein, Stroh und Futter<br />

usw.<br />

d. 21. Mai Nach der Schlacht bei Bautzen<br />

u. Wurschen zog sich die russisch<br />

Schlesische Landwehr, 1813<br />

– preußische Armee nach Schlesien zurück,<br />

die französische folgte.<br />

d. 23. d. Sonntag früh wurden die Neißbrücken<br />

bei Radmeritz weggebrannt,<br />

bei der daselbst stattfindenden Kanonade.<br />

An demselben Tage, als die Russen<br />

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Geschichte |<br />

37


Ein<br />

Tagebuch<br />

Tagebuch<br />

aus den Befreiungskriegen –<br />

und Preußen das Dorf verlassen hatten<br />

kamen schon wieder gegen Mittag Franzosen<br />

und Italiener verschiedener Regimenter,<br />

Würtemberger, Hessendarmstädter,<br />

Badner und Baiern, größtenteils<br />

durchstreifende Soldaten, u. plünderten,<br />

was sie fanden an Wäsche, Kleidern und<br />

anderen Gegenständen.<br />

d. 22. Mai von Vormit. Bis Abend dauerte<br />

die Retirade der Russen von Reichenbach<br />

her, sehr vieles wurde auf<br />

die zweckloseste Art ruiniert. Abend 7<br />

Uhr tötete die letzte geschossene ruß.<br />

Kanonenkugel bei Markersdorf auf der<br />

Stelle den französ. General Kirchner<br />

u. verwundete in der Nähe Napoleons<br />

den Marschall Duroc so schwer, daß er<br />

den Tag darauf im nächsten Bauernhofe<br />

starb. Ein Monument bezeichnet dieses.<br />

In dieser Nacht biwakierte Napoleon auf<br />

freiem Felde, noch an der Landstraße,<br />

mit seinen Garden.<br />

23. Mai Vorm. 9 Uhr wurde die Neißbrücke<br />

in Görlitz bis auf den Grund abgebrannt<br />

u. dadurch alle Kommunikation<br />

unterbrochen bis die Schiffbrücken gelegt<br />

waren.<br />

Bis d. 30. Mai mussten 37 Mann zur<br />

Schanzarbeit nach Görlitz u. im Juni<br />

noch 4mal 16 Mann auf 3 Tage, u. später<br />

wieder 14 Mann auf 4 Tage. Desgl. War<br />

eine Lieferung ausgeschrieben, täglich 5<br />

Fuder Gras nach Görlitz zu bringen.<br />

8. Juni Vorm. Traf Kaiser Napoleon in<br />

Görlitz ein. Bei der erfolgten Retirade<br />

der kaiserl. Russisch. Truppen u. dem<br />

darauf gehabten Biwuack der französ.<br />

Truppen schleppten sie alles, was nicht<br />

niet- und nagelfest war in die Biwouacks.<br />

Nachdem vom 4. Juni an ein Waffenstillstand<br />

abgeschlossen war, wurden<br />

ins Lager bei Moys bis d. 27. <strong>Juli</strong> 46 Z.<br />

Stroh, Heu, Holz, Bretter u. dergleichen<br />

geliefert, ebenso ins Lager bei Schönbrunn,<br />

wo die französ. Division Durutte<br />

zum 7. Armeekorps des General Reynier<br />

gehörig, stand, wohin auch alle umliegenden<br />

Orte in größter Eile Lebensmittel<br />

aller Art hinbringen mussten. Starke<br />

Lieferungen kamen ins Landmagazin<br />

von den Dörfern weiter her. Zu der Zeit<br />

hatte sich mit Russland und Preußen<br />

auch Österreich alliiert.<br />

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38<br />

Geschichte |


Deutsch-Ossig<br />

aus der Chronik von Deutsch-Ossig<br />

Am 15. Aug. früh war der<br />

Waffenstillstand gekündigt,<br />

während dieser Zeit waren<br />

im Orte einquart. Franzosen,<br />

Italiener, Holländer, Neapolitaner,<br />

Sachsen, auch Artillerie<br />

u. schlesische Bauern mit<br />

Fuhrwerk. Diese hatten über<br />

9 Wochen hier gestanden<br />

(vom 4. Juni bis 10. Aug. u.<br />

noch bis 15. Aug. – durch<br />

die Verlängerung des Waffenstillstandes).<br />

d. 15. Aug. früh marschierten<br />

die sächs. Trainsoldaten,<br />

so wir alle noch hier einquartierten,<br />

fort.<br />

d. 17. Aug. Dienstag Vorm.<br />

bezog der Marschall Victor<br />

vom 2.ten französ. Armeekorps<br />

mit gegen 40.000<br />

Mann ein Lager hinter d.<br />

Dorfe an der Zittauer Straße<br />

auf den umliegenden Feldern,<br />

welche mit Getreide,<br />

besonders Hafer, bestanden<br />

waren. Auf den niedergetre- Landwehrmann 1813<br />

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Geschichte |<br />

39


Ein<br />

Tagebuch<br />

Tagebuch<br />

aus den Befreiungskriegen –<br />

tenen Halmfrüchten<br />

war bald ein großes<br />

Barackenlager aufgeschlagen,<br />

da alles<br />

dazu Brauchbare aus<br />

dem Dorfe an Holz,<br />

Stangen, Brettern,<br />

Toren, Türen, Zäunen,<br />

Stroh usw. ins<br />

Lager getragen wurde.<br />

Viele Hunderte<br />

der Offiziere quartierten<br />

sich im Dorfe<br />

ein. Der Marschall<br />

hatte sein Quartier<br />

auf H. Winklers Hofe<br />

u. auf dem Ober-<br />

Hofe, einige Generäle,<br />

darunter auch<br />

der Fürst Ponitowsky,<br />

der seinen Tod in<br />

Landwehr 1813 vor dem Gefecht<br />

den Fluten der Elster in der Schlacht bei den aller Arten Rindvieh weideten im<br />

Leipzig fand. Zu den Wachtfeuern wurde<br />

Holz und Reisig überall fortgenom-<br />

Dorfe blieb nichts verschont, Plünde-<br />

hohen Gras auf den Neißewiesen. Im<br />

men, ebenso eine Anzahl Rindvieh, alle rung u. Raub aller Dinge. Viele hatten<br />

Schweine u. das Federvieh geschlachtet<br />

und ins Lager geführt. Große Her-<br />

den Gärten u. im Felde vergraben u.<br />

ihre Habe in der Kirche verborgen, in<br />

in<br />

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40<br />

Geschichte |


Deutsch-Ossig<br />

aus der Chronik von Deutsch-Ossig<br />

Gewölben vermauert, das meiste wurde<br />

erhalten, doch auch einiges gefunden<br />

u. mit fortgenommen, die Betten aufgeschlitzt<br />

und verstreut. Kein Bewohner<br />

hatte noch Brot u. andere Lebensmittel.<br />

Die Franzosen herrschten allein.<br />

Da alles genommen und nichts mehr zu<br />

geben war, hatten sich viele Bewohner<br />

nach Böhmen, besonders nach Liebwerda,<br />

Weigsdorf u. weiter geflüchtet u. die<br />

weiblichen Personen u. Kinder in Sicherheit<br />

gebracht.<br />

d. 18. Aug. blieb das ganze Armeekorps<br />

hier stehen.<br />

d. 19. Aug. früh kam die französ. Leibgarde<br />

an u. Kaiser Napoleon fuhr früh 8<br />

Uhr hier durch nach Zittau.<br />

d. 20. Aug. Nachmit. 2 Uhr kam Napoleon<br />

wieder zurück durchs Dorf nach<br />

Görlitz gefahren, u. die hier gestandene<br />

Leibgarde folgte auf dem Wege dahin.<br />

Die nächsten Tage beunruhigte das<br />

Dorf fortwährend hin- und herziehendes<br />

Militär.<br />

d. 26. Aug. Der Sieg Blüchers an der<br />

Katzbach führte die zweite Retirade der<br />

Franzosen herbei, alle Übergänge der<br />

Neiße wurden vom französ. Macdonaldschen<br />

Korps verbrannt u. die Brücken<br />

abgetragen.<br />

d. 31. Aug. Gefecht bei Reichenbach mit<br />

der russisch. U. französ. Kürassier-Garde.<br />

d. 1. Sept. Lieferung von 25 Kühen nach<br />

Görlitz u. des Brandweins, welcher nur<br />

noch in Schönau zu erhalten war. Erpressungen<br />

aller Art durch die vielen<br />

herumziehenden Marodeure fanden<br />

statt. Französ. Husaren fouragierten u.<br />

plünderten.<br />

d. 2. Sept. Die französ. Truppen, welche<br />

früh 6 Uhr abmarschierten u. viel<br />

geplündert hatten, versperrten noch die<br />

Dorfstraßen mit zusammengeschobenen<br />

Wagen. Schon um 7 Uhr früh kamen<br />

Kosaken u. russisch. Dragoner in<br />

einzelnen Abteilungen, requirierten und<br />

plünderten, was noch zu finden war. Die<br />

russisch-preußische Armee unter Blüchers<br />

Befehl langte bei Görlitz an.<br />

d. 3. Sept. Viele Kosaken, welche sehr<br />

gefürchtete Feinde waren, kamen mit<br />

Preußen ins Dorf, darunter Kalmücken,<br />

Kirgisen, Tataren, Tscherkessen<br />

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Geschichte |<br />

41


Ein<br />

Tagebuch<br />

Tagebuch<br />

aus den Befreiungskriegen –<br />

u. Baschkiren mit Armbrust, Köcher u.<br />

Pfeil.<br />

d. 4. Sept. Es konnte im Dorf kein Bewohner<br />

sich mehr sehen lassen, wegen<br />

umherstreifenden Militärs.<br />

d. 5. Sept. Sonntag Nachmit. war der<br />

Kanonendonner aus der Gegend hinter<br />

der Landeskrone deutlich zu hören. Viele<br />

Hunderte von Wachtfeuern auf beiden<br />

Seiten der Neiße, abends zu sehen,<br />

auch großes Röten am Himmel zeigte<br />

unsere brennenden Dörfer. Über 20 Dörfer<br />

der Oberlausitz brannten zum Teil ab<br />

u. wurden verwüstet.<br />

d. 5. u. 6. Sept. war der große Brand<br />

im Dorfe Leschwitz, u. zugleich der ins<br />

Dorf fließende Bach abgestochen an der<br />

Landstraße.<br />

Bis zum 11. Sept. Sonnabends, wo die<br />

Truppen hin- und herzogen, Russen,<br />

Preußen, Franzosen u. verschiedenes<br />

Militär, wie es in diesen Tagen zuging,<br />

ist nicht zu beschreiben, was noch geblieben<br />

war, wurde genommen od. vernichtet.<br />

Zurückgekehrte Dorfbewohner konnten<br />

in dieser vergangenen Woche nicht<br />

mehr in ihrem Eigentum bleiben, wenn<br />

sie nicht Misshandlungen wollten ausgesetzt<br />

sein; es war geradezu nichts<br />

mehr zu haben bei totaler Aufzehrung<br />

u. Ausplünderung der Häuser, Böden<br />

und Ställe. Es ist diese Woche als eine<br />

schreckliche zu bezeichnen. Die fortdauernden<br />

Einquartierungen und Lieferungen<br />

hörten nicht auf, u. es verging keine<br />

Woche, ohne diese gehabt und geleistet<br />

zu haben. Von der neuen Ernte wurde<br />

viel von den Soldaten ausgedroschen u.<br />

fortgenommen. Eine starke Kontributionszahlung<br />

musste gegeben werden.<br />

d. 18. Oct. Nach der Schlacht bei Leipzig<br />

hatten viele Männer des Dorfes die verwundeten<br />

Soldaten aus d. Görlitzer Lazarett<br />

nach Lauban auf den Schubkarren<br />

zu fahren, da es kein Pferd mehr im<br />

Orte gab. Die Lieferung wurde ebenfalls<br />

von den Einwohnern auf Schubkarren<br />

nach Görlitz ins Magazin gefahren.<br />

1814. vom 10. Febr. Bis d. 4. März wurde<br />

der Militärtransport auf Schlitten gemacht,<br />

im <strong>Juli</strong> ist der russisch. Kavallerie<br />

statt des Heues Gras geliefert worden.<br />

d. 14. Oct. Kamen französ. Gefangene<br />

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42<br />

Geschichte |


Deutsch-Ossig<br />

aus der Chronik von Deutsch-Ossig<br />

Baschkirischer Bogenschütze 1813, Zeichnung von Schadow<br />

ins Quartier.<br />

d. 18. Oct. Die kirchliche Totenfeier<br />

d. Gebliebenen in der<br />

Schlacht bei Leipzig fand statt.<br />

d. 19. Oct. Das Siegesfest wurde<br />

gefeiert.<br />

1815. d. 15. Mai Einquartierung<br />

von ruß. Dragonern.<br />

d. 11. Juni Bekanntmachung<br />

des Tractats zwischen Preußen<br />

und Sachsen. Abschied des Königs<br />

v. Sachsen Friedrich August<br />

III. u. Proclamation des<br />

Königs v. Preußen Friedrich<br />

Wilhelm III.<br />

d. 26. <strong>Juli</strong> Einquartierung von<br />

ruß. Infanterie.<br />

d. 3. Aug. Huldigungsfeier.<br />

d. 3. u. 5. Sept. Einquartierung<br />

von ruß. Infanterie.<br />

d. 4., 15. u. 19. Nov. Einquartierung<br />

von russisch. Dragonern<br />

u. Infanterie.<br />

1816. d. 9. Jan. die letzte Einquartierung<br />

erhalten vom 3 ten Schles. Landwehr<br />

Kavallerie Regiment.<br />

d. 18. Jan.- wurde das Friedensfest gefeiert.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Dieter Liebig, Volker Richter, zusammengestellt<br />

durch Dr. Ingrid Oertel<br />

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Geschichte |<br />

43


Görlitzer<br />

Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr –<br />

Wenn man sich in Görlitz zum Muschelminnafest<br />

trifft, gleiten die Erinnerungen<br />

natürlich in erster Linie um den Postplatz<br />

herum. So möchte ich heute von einer<br />

Straßenbahnendstation<br />

berichten,<br />

von deren Existenz<br />

heute kaum<br />

noch jemand etwas<br />

weiß und<br />

zu einer neu eingerichteten Endstation<br />

vor dem Amtsgericht an der Westseite<br />

des Postplatzes. Das von der Berliner<br />

Straße ankommende Gleis gabelte sich<br />

deren Fragmente<br />

dennoch auch<br />

in unserer Zeit<br />

noch in Teilen der<br />

Pflasterung beim<br />

Amtsgericht vorhanden<br />

sind. Mit<br />

der ersten größeren<br />

Netzerweiterung<br />

der Görlitzer<br />

elektrischen<br />

Tram nach deren<br />

TW. 4 als Linie 4 1906 an der Endstation Postplatz<br />

Indetriebnahme (1897) erreichte das kurz vor Erreichen des Gerichtsgebäudes.<br />

Schienennetz im Mai 1898 den Jüdischen<br />

Friedhof etwas oberhalb (also westlich)<br />

der heutigen Haltestelle Büchtemannstraße.<br />

Von hier verlief nun die Linie IV<br />

Eine geschlossene Ausweiche hat<br />

es an dieser Stelle nie gegeben. Ein ankommender<br />

Wagen wartete hier normalerweise<br />

bis zur Ankunft des nachfol-<br />

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44<br />

Geschichte |


Postplatz<br />

Die ehemalige Endstation Postplatz<br />

genden. Ab Pfingsten 1899 verkehrten<br />

auch Kurse bis zur Landeskrone. Nun<br />

herrschte hier eine rege Betriebsamkeit.<br />

Die Kurse bis zum Jüdischen Friedhof<br />

Triebwagen des Nachbargleises aufgenommen<br />

und wieder zur „Krone“ mitgenommen<br />

worden. Dadurch tauschten<br />

die Wagen wohl auch regelmäßig die<br />

Kurse. Ab Januar<br />

1906 verkehrten<br />

die Straßenbahnlinien<br />

in Görlitz<br />

mit arabischen<br />

Liniennummern,<br />

und aus der Linie<br />

IV ist nun die Linie<br />

4 geworden.<br />

In jener Zeit ist<br />

der zweigleisige<br />

Ausbau der Innenstadtstrecken<br />

vorangetrieben<br />

worden, so daß<br />

noch im Verlauf<br />

des Jahres 1906-<br />

TW. 17 als Linie IV bei der Einfahrt in die Endstation kurz nach 1900<br />

spätestens zu Beginn<br />

des Folgejahres- die Endstation vor<br />

verkehrten im 10 Minuten- Takt, alle 20<br />

Minuten fuhr ein Triebwagen oder Zug dem Amtsgericht aufgegeben worden<br />

zur Landeskrone. Wurde ein Beiwagen ist. Sie diente wohl noch einige Jahre innerbetrieblichen<br />

Zwecken. Die nun dop-<br />

in einem Kurs aus Richtung Landeskrone<br />

mitgeführt, ist er ganz sicher vom pelgleisige Südostumfahrung führte die<br />

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Geschichte |<br />

45


Görlitzer<br />

Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr<br />

Wagen der Linie 4<br />

nun zum benachbarten<br />

Marienplatz<br />

und weiter<br />

entlang der Steinstraße,<br />

der Südseite<br />

des Obermarktes<br />

und der<br />

Brüderstraße zum<br />

Untermarkt. Erst<br />

in der ersten Hälfte<br />

der 20er Jahre<br />

war auf dem<br />

Postplatz wieder<br />

eine Komplettumfahrung<br />

vorhanden,<br />

womit<br />

Zugkreuzung beim Amtsgericht anno 1900<br />

die baulichen Anlagen der ehemaligen re 1937 ist am Postplatz nur noch eine<br />

Endstation weichen mussten- bis eben Nordwestumfahrung vorhanden.<br />

auf besagte Fragmente. Seit der Inbetriebnahme<br />

des Gleisdreieckes zwischen<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Frauenkirche und Telegrafenamt im Jah-<br />

Andreas Riedel, Wiesbaden<br />

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46<br />

Geschichte |

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