SAM2023 - Schongauer Ausbildungsmesse - Infobroschüre

01.03.2023 Aufrufe

„Eine Veränderung in der Rollenverteilung ist erkennbar“ Chancengleichheit am Ausbildungsmarkt Vor fünf Jahrzehnten war es in weiten Teilen der Gesellschaft selbstverständlich, dass Männer überwiegend in handwerklichen und technischen Berufen eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben, Frauen dagegen eher im sozialen, gesundheitlichen oder kaufmännischen Bereich. Hinter dieser festgefahrenen Selbstverständlichkeit verbargen sich jedoch jede Menge Ungerechtigkeiten – insbesondere für Frauen in von Männern dominierten Berufen. Schlechtere Bezahlung, höhere Hürden für betriebsinterne Aufstiege sowie Sexismus sind nur drei Beispiele für nichtvorhandene, geschlechterübergreifende Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. „Auch nach anhaltenden Debatten über Diversität sowie dem Abbau genderspezifischer Berufswahlklischees gelingt es noch nicht in allen Branchen und Regionen, die beruflichen Chancen für junge Männer und Frauen tatsächlich zu vereinheitlichen“, sagt Petra Callwitz, Teamleiterin in der Berufsberatung der Agentur für Arbeit in Weilheim. Zunehmend sei jedoch erkennbar, dass sich der hiesige Ausbildungsmarkt immer stärker für Diversität öffne. „In den letzten zehn Jahren ist eine Veränderung der Rollenverteilung in verschiedenen Branchen erkennbar – es gibt zum Beispiel mehr männliche Pflegekräfte, medizinische Angestellte oder Frisöre, sowie junge Frauen, die eine Ausbildung im Handwerk, in Metall- oder Kfz-Berufen absolvieren.“ Das liegt auch daran, dass sich aufgrund des seit Jahren anhaltenden Fachkräftemangels Arbeitgeber in gewisser Weise für neue Dinge öffnen müssen, um überhaupt an Auszubildende zu kommen. Vor 20 Jahren hatten gute Firmen noch die Qual der Wahl, weil auf eine offene Lehrstelle mehrere, zum Teil Dutzende Bewerbungen eingegangen sind. Genommen wurde letztlich der gepflegte Junge mit gutem Notendurchschnitt, anständiger Kurzhaarfrisur und präsentiertauglichem Kleidungsstil. Weniger Wert auf Äußerlichkeiten Dass dieses gepiercte Mädchen mit türkisgefärbten Haaren und Springerstiefeln sogar die besseren Noten in Mathe und Physik hatte, technisch nicht weniger begabt war und rein fachlich betrachtet sogar die idealere Mitarbeiterin hätte werden können? „Nach meiner Erfahrung ist die Arbeitswelt beim Thema Äußerlichkeiten tatsächlich sehr viel toleranter geworden“, sagt an dieser Stelle Maria Vogl, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, ebenfalls tätig bei der Agentur für Arbeit in Weilheim. „Wir alle unterliegen heute durch soziale Netzwerke und neu- 18

en Medien so vielen Einflüssen, dass sich auch hier die Unternehmen angepasst haben und liberaler zeigen.“ Vor 20 Jahren sei es noch ein No-Go gewesen, mit sichtbarem Piercing oder Tattoo zum Kunden zu gehen. „Daran stört sich heute kaum noch jemand.“ Petra Callwitz unterstreicht diese Entwicklung: „Tattoos und Piercings sind wesentlich gesellschaftsfähiger als noch vor einigen Jahren. Allein deshalb, weil im einundzwanzigsten Jahrhundert auch viele Menschen mit Vorbildcharakter tätowiert oder gepierct sind.“ Selbst in Banken, in denen der strenge Anzug-und-Krawatte-Dresscode bereits vor einigen Jahren aufgelockert wurde, arbeiten immer häufiger junge Männer und Frauen, die nicht mehr dem einstigen Idealbild entsprechen. „Manchmal sollen Tattoos auf Wunsch von Arbeitgebern zwar nach wie vor durch Kleidung überdeckt werden, viele setzen solche Merkmale aber auch gezielt ein, um jüngere Zielgruppen wie Jugendliche besser und auf Augenhöhe zu erreichen.“ Bessere Chancen, eine Ausbildungsstelle zu bekommen, haben laut Petra Callwitz inzwischen auch junge Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund. „Selbst junge Männer und Frauen mit nicht so guten Noten und Sprachkenntnissen haben insbesondere im Einzelhandel oder Hotel- und Gaststättenbereich eine Ausbildungsstelle gefunden, weil aufgrund des Fachkräftemangels Motivation und persönliche Kompetenzen mehr in den Entscheidungsfokus fallen als noch vor zehn bis 15 Jahren.“ Zahlreiche offene Lehrstellen Besonders erfreulich für junge Männer und Frauen: Trotz zweijähriger Corona-Pandemie ist das Ausbildungsangebot hiesiger Betriebe nicht zurückgegangen. „Für September 2023 sind zum aktuellen Zeitpunkt viele Ausbildungsstellen aus allen Branchen offen“, heißt es von Seiten der Agentur für Arbeit in Weilheim. Darüber hinaus seien sogar noch einzelne Lehrstellen für das bereits im September 2022 begonnene Ausbildungsjahr nachzubesetzen, allen voran in Handwerksberufen, im Bereich der Pflege, in Hotellerie und Gastronomie sowie im Steuerfach. Wobei dieses Ungleichgewicht auch wieder ein nicht zu unterschätzendes Problem darstelle. „Viele Ausbildungssuchende haben aufgrund des Überangebots mit Orientierungslosigkeit zu kämpfen und wissen nicht so recht, welcher Ausbildungsberuf nun der bessere für sie wäre“, sagt Petra Callwitz. Dabei immer hilfreich: Gesunde Selbsteinschätzung sowie Selbstvertrauen, was auch beim Thema Chancengleichheit am Ausbildungsmarkt eine ganz zentrale Rolle spielt. „Junge Frauen, die sich ihrer Stärken bewusst sind, haben heutzutage die gleichen Chancen wie Männer, sich im Beruf zu entwickeln. Leider unterschätzen sich Frauen hier häufig, geben sich oft mit geringer qualifizierten und damit auch weniger gut bezahlten Stellen zufrieden“, sagt Maria Vogl, die an dieser Stelle ausdrücklich betonen möchte, „dass junge Frauen genauso viel Potential haben wie Männer“. Und zumindest während einer Lehre auch gleich viel verdienen müssen wie berufsgleiche männliche Kollegen. „Die Vergütung von Auszubildenden ist grundsätzlich gesetzlich geregelt und geschlechterunabhängig“, sagt Petra Callwitz. Völlig gleich, ob mit oder ohne Piercings, Tattoos und gefärbten Haaren. 19

en Medien so vielen Einflüssen, dass sich auch<br />

hier die Unternehmen angepasst haben und<br />

liberaler zeigen.“ Vor 20 Jahren sei es noch ein<br />

No-Go gewesen, mit sichtbarem Piercing oder<br />

Tattoo zum Kunden zu gehen. „Daran stört<br />

sich heute kaum noch jemand.“ Petra Callwitz<br />

unterstreicht diese Entwicklung: „Tattoos und<br />

Piercings sind wesentlich gesellschaftsfähiger<br />

als noch vor einigen Jahren. Allein deshalb, weil<br />

im einundzwanzigsten Jahrhundert auch viele<br />

Menschen mit Vorbildcharakter tätowiert oder<br />

gepierct sind.“ Selbst in Banken, in denen der<br />

strenge Anzug-und-Krawatte-Dresscode bereits<br />

vor einigen Jahren aufgelockert wurde, arbeiten<br />

immer häufiger junge Männer und Frauen, die<br />

nicht mehr dem einstigen Idealbild entsprechen.<br />

„Manchmal sollen Tattoos auf Wunsch<br />

von Arbeitgebern zwar nach wie vor durch<br />

Kleidung überdeckt werden, viele setzen solche<br />

Merkmale aber auch gezielt ein, um jüngere<br />

Zielgruppen wie Jugendliche besser und auf Augenhöhe<br />

zu erreichen.“ Bessere Chancen, eine<br />

Ausbildungsstelle zu bekommen, haben laut<br />

Petra Callwitz inzwischen auch junge Menschen<br />

mit Flucht- oder Migrationshintergrund. „Selbst<br />

junge Männer und Frauen mit nicht so guten<br />

Noten und Sprachkenntnissen haben insbesondere<br />

im Einzelhandel oder Hotel- und Gaststättenbereich<br />

eine Ausbildungsstelle gefunden,<br />

weil aufgrund des Fachkräftemangels Motivation<br />

und persönliche Kompetenzen mehr in den<br />

Entscheidungsfokus fallen als noch vor zehn bis<br />

15 Jahren.“<br />

Zahlreiche offene Lehrstellen<br />

Besonders erfreulich für junge Männer und<br />

Frauen: Trotz zweijähriger Corona-Pandemie<br />

ist das Ausbildungsangebot hiesiger Betriebe<br />

nicht zurückgegangen. „Für September<br />

2023 sind zum aktuellen Zeitpunkt viele Ausbildungsstellen<br />

aus allen Branchen offen“,<br />

heißt es von Seiten der Agentur für Arbeit in<br />

Weilheim. Darüber hinaus seien sogar noch<br />

einzelne Lehrstellen für das bereits im September<br />

2022 begonnene Ausbildungsjahr<br />

nachzubesetzen, allen voran in Handwerksberufen,<br />

im Bereich der Pflege, in Hotellerie<br />

und Gastronomie sowie im Steuerfach. Wobei<br />

dieses Ungleichgewicht auch wieder ein<br />

nicht zu unterschätzendes Problem darstelle.<br />

„Viele Ausbildungssuchende haben aufgrund<br />

des Überangebots mit Orientierungslosigkeit<br />

zu kämpfen und wissen nicht so recht, welcher<br />

Ausbildungsberuf nun der bessere für<br />

sie wäre“, sagt Petra Callwitz. Dabei immer<br />

hilfreich: Gesunde Selbsteinschätzung sowie<br />

Selbstvertrauen, was auch beim Thema Chancengleichheit<br />

am Ausbildungsmarkt eine ganz<br />

zentrale Rolle spielt. „Junge Frauen, die sich<br />

ihrer Stärken bewusst sind, haben heutzutage<br />

die gleichen Chancen wie Männer, sich im<br />

Beruf zu entwickeln. Leider unterschätzen sich<br />

Frauen hier häufig, geben sich oft mit geringer<br />

qualifizierten und damit auch weniger gut bezahlten<br />

Stellen zufrieden“, sagt Maria Vogl, die<br />

an dieser Stelle ausdrücklich betonen möchte,<br />

„dass junge Frauen genauso viel Potential<br />

haben wie Männer“. Und zumindest während<br />

einer Lehre auch gleich viel verdienen müssen<br />

wie berufsgleiche männliche Kollegen. „Die<br />

Vergütung von Auszubildenden ist grundsätzlich<br />

gesetzlich geregelt und geschlechterunabhängig“,<br />

sagt Petra Callwitz. Völlig gleich, ob<br />

mit oder ohne Piercings, Tattoos und gefärbten<br />

Haaren.<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!