2022
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Der Nudelzoff von Bari
Eine Schar älterer Damen in Italiens Südost-Metropole
Bari lehnt sich gegen die Obrigkeit auf. Die will ihre
handgemachte Pasta verbieten.
Eigentlich sollten die Polizeibeamten nur draußen, vor
dem Restaurant am Corso Vittorio Emanuele, einer der
Prachtstraßen in Bari, prüfen, ob dessen Stühle und Tische
nicht über die amtlich zugebilligten Reviergrenzen
hinausragten. Aber weil sie schon mal da waren, sahen
sich die Uniformträger auch drinnen in der Küche ein
wenig um, so geht es aus einem Bericht der Bari-Lokalausgabe
der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“
hervor. Dabei stießen sie auf eine dicke Tüte mit drei Kilo
Nudeln darin, aber ohne Etikett, mithin ohne Herkunftsnachweis
und ohne all die übrigen Angaben, die heute
auf einer Tüte Pasta zu stehen haben. Man ordnete von
Amts wegen eine Strafe und die Vernichtung der illegalen
Nudeln an.
Die Beamten lösten damit einen Streit aus, der in
ganz Italien diskutiert wird und es unter dem Titel „Call
it a Crime of Pasta“ (deutsch etwa „Nenne es ein Nudel-Verbrechen“)
bis auf die Frontseite der „New York
Times“ brachte. Nun soll ein neues Gesetz die eigentlich
ungesetzliche Nudelproduktion erlauben. Aber so einfach
wird das nicht gehen.
Profis im Rentenalter
Die nicht etikettierte Pasta in der No-Name-Tüte war
natürlich nicht irgendein Nudelprodukt: Es waren Orecchiette,
in Heimarbeit hergestellt von Frauen aus Baris
Altstadt, vor allem aus der früher berüchtigten, heute berühmten
Arco-Basso-Straße. Orecchiette sehen aus wie
kleine Öhrchen, deshalb heißen sie so. Außer denen
stellen die Damen noch Orecchioni her, etwas größere
Pasta-Ohren, und Cavatelli, etwas lang gezogene Ohren.
Aber vor allem die kleinen Orecchiette.
Die werden von den Nudelkünstlerinnen, zumeist im
hohen Rentenalter, in unglaublicher Geschwindigkeit auf
dem bemehlten Küchentisch gezaubert: Aus einem Batzen
Teig wird, Stück für Stück, eine dünne Rolle geformt,
und die wird mit einem kleinen, billigen Küchenmesser
mit Plastikgriff und zwei geschickten Händen zu kleinen
Mini-Ohren geschnitten und gedrückt. Drei Sekunden,
fertig, nächste.
Meist schauen die Nudelmacherinnen nicht einmal
hin, sondern plaudern mit den Nachbarn. Denn bei
schönem Wetter wird der Küchentisch draußen aufgestellt,
vor der Haustür, die gleichzeitig die Pforte zur
Küche ist, dem zentralen Raum der meist winzigen Wohnungen
in den uralten Häusern der Altstadt. Unten sitzen
die Nudelmacherinnen oben darüber, auf Leinen oder
den Balkongittern, flattert die Wäsche. Ein Idyll, Italiens
heile Welt. Oder?
Meckerei im Internet
Nicht alle Italiener finden diese Art, Nudeln zu machen
gut. Immer mal wieder gibt es Aufregung in den
sogenannten „sozialen Netzwerken“: ungesetzlich, unhygienisch,
ungesund - unerträglich. Die Mäkler „müssen
unsere Nudeln doch einfach nicht essen“, sagt eine
der Produzentinnen dem SPIEGEL - und damit hat die
Frau, die ihren Namen nicht genannt wissen will, ja auch
irgendwie recht.
Gleichwohl ist das Wirken der Pasta-Damen, gemessen
an den geltenden Vorschriften, eindeutig rechtswidrig.
Ein paar kleine Beutelchen für die Nachbarn, könnten
vielleicht unter „Eigenbedarf“ rubriziert und somit
geduldet werden. Aber in den Gassen von Bari wird eine
ziemliche Menge Öhrchen gedreht, geschnitten und gedrückt.
Somit geht - so unsinnig die Vorschriften auch sein
mögen - am Verbot eigentlich kein Weg vorbei. Denn
auch wenn die Herstellerinnen bereit wären, auf jedes
Tütchen einen Herkunftsnachweis zu pappen, finge ja
das Problem erst richtig an. Hergestellt auf einem bemehlten
Holzküchentisch? In einer Küche mit Opa, Enkel,
Katze und Hund? Von einer Frau ohne Handschuhe und
Haarschutz? Muss man weiter ins Detail gehen? Etwa
die Steuerfrage stellen?
Andererseits traut sich keiner so recht, den nudelaktiven
Bari-Omas das Handwerk zu legen. Das hat etwas
mit der Geschichte der Stadt und deren sagenhaftem
Aufstieg in der jüngsten Zeit zu tun.
Sylvester Stallone tanzt
mit den Nudeldamen
Noch vor kaum mehr als zwei Jahrzehnten galt das
Viertel als heißes Pflaster: düster und heruntergekommen.
Viele Männer arbeitslos, die Kinder mit dem Messerchen
am Pastatisch, daneben die Mütter, die neben
den Nudeln aus dem Balkan eingeschmuggelte Zigaretten
verkauften. Die Stadt war arm, die Einwohnerzahl
schrumpfte bis Mitte der Neunzigerjahre.
Etwa um die Jahrtausendwende brachten die Stadtregenten
Licht und Farbe in die Problemviertel. Investoren
schufen - mit Blick auf den Hafen - im Umland Arbeits-
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