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Der Nudelzoff von Bari

Eine Schar älterer Damen in Italiens Südost-Metropole

Bari lehnt sich gegen die Obrigkeit auf. Die will ihre

handgemachte Pasta verbieten.

Eigentlich sollten die Polizeibeamten nur draußen, vor

dem Restaurant am Corso Vittorio Emanuele, einer der

Prachtstraßen in Bari, prüfen, ob dessen Stühle und Tische

nicht über die amtlich zugebilligten Reviergrenzen

hinausragten. Aber weil sie schon mal da waren, sahen

sich die Uniformträger auch drinnen in der Küche ein

wenig um, so geht es aus einem Bericht der Bari-Lokalausgabe

der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“

hervor. Dabei stießen sie auf eine dicke Tüte mit drei Kilo

Nudeln darin, aber ohne Etikett, mithin ohne Herkunftsnachweis

und ohne all die übrigen Angaben, die heute

auf einer Tüte Pasta zu stehen haben. Man ordnete von

Amts wegen eine Strafe und die Vernichtung der illegalen

Nudeln an.

Die Beamten lösten damit einen Streit aus, der in

ganz Italien diskutiert wird und es unter dem Titel „Call

it a Crime of Pasta“ (deutsch etwa „Nenne es ein Nudel-Verbrechen“)

bis auf die Frontseite der „New York

Times“ brachte. Nun soll ein neues Gesetz die eigentlich

ungesetzliche Nudelproduktion erlauben. Aber so einfach

wird das nicht gehen.

Profis im Rentenalter

Die nicht etikettierte Pasta in der No-Name-Tüte war

natürlich nicht irgendein Nudelprodukt: Es waren Orecchiette,

in Heimarbeit hergestellt von Frauen aus Baris

Altstadt, vor allem aus der früher berüchtigten, heute berühmten

Arco-Basso-Straße. Orecchiette sehen aus wie

kleine Öhrchen, deshalb heißen sie so. Außer denen

stellen die Damen noch Orecchioni her, etwas größere

Pasta-Ohren, und Cavatelli, etwas lang gezogene Ohren.

Aber vor allem die kleinen Orecchiette.

Die werden von den Nudelkünstlerinnen, zumeist im

hohen Rentenalter, in unglaublicher Geschwindigkeit auf

dem bemehlten Küchentisch gezaubert: Aus einem Batzen

Teig wird, Stück für Stück, eine dünne Rolle geformt,

und die wird mit einem kleinen, billigen Küchenmesser

mit Plastikgriff und zwei geschickten Händen zu kleinen

Mini-Ohren geschnitten und gedrückt. Drei Sekunden,

fertig, nächste.

Meist schauen die Nudelmacherinnen nicht einmal

hin, sondern plaudern mit den Nachbarn. Denn bei

schönem Wetter wird der Küchentisch draußen aufgestellt,

vor der Haustür, die gleichzeitig die Pforte zur

Küche ist, dem zentralen Raum der meist winzigen Wohnungen

in den uralten Häusern der Altstadt. Unten sitzen

die Nudelmacherinnen oben darüber, auf Leinen oder

den Balkongittern, flattert die Wäsche. Ein Idyll, Italiens

heile Welt. Oder?

Meckerei im Internet

Nicht alle Italiener finden diese Art, Nudeln zu machen

gut. Immer mal wieder gibt es Aufregung in den

sogenannten „sozialen Netzwerken“: ungesetzlich, unhygienisch,

ungesund - unerträglich. Die Mäkler „müssen

unsere Nudeln doch einfach nicht essen“, sagt eine

der Produzentinnen dem SPIEGEL - und damit hat die

Frau, die ihren Namen nicht genannt wissen will, ja auch

irgendwie recht.

Gleichwohl ist das Wirken der Pasta-Damen, gemessen

an den geltenden Vorschriften, eindeutig rechtswidrig.

Ein paar kleine Beutelchen für die Nachbarn, könnten

vielleicht unter „Eigenbedarf“ rubriziert und somit

geduldet werden. Aber in den Gassen von Bari wird eine

ziemliche Menge Öhrchen gedreht, geschnitten und gedrückt.

Somit geht - so unsinnig die Vorschriften auch sein

mögen - am Verbot eigentlich kein Weg vorbei. Denn

auch wenn die Herstellerinnen bereit wären, auf jedes

Tütchen einen Herkunftsnachweis zu pappen, finge ja

das Problem erst richtig an. Hergestellt auf einem bemehlten

Holzküchentisch? In einer Küche mit Opa, Enkel,

Katze und Hund? Von einer Frau ohne Handschuhe und

Haarschutz? Muss man weiter ins Detail gehen? Etwa

die Steuerfrage stellen?

Andererseits traut sich keiner so recht, den nudelaktiven

Bari-Omas das Handwerk zu legen. Das hat etwas

mit der Geschichte der Stadt und deren sagenhaftem

Aufstieg in der jüngsten Zeit zu tun.

Sylvester Stallone tanzt

mit den Nudeldamen

Noch vor kaum mehr als zwei Jahrzehnten galt das

Viertel als heißes Pflaster: düster und heruntergekommen.

Viele Männer arbeitslos, die Kinder mit dem Messerchen

am Pastatisch, daneben die Mütter, die neben

den Nudeln aus dem Balkan eingeschmuggelte Zigaretten

verkauften. Die Stadt war arm, die Einwohnerzahl

schrumpfte bis Mitte der Neunzigerjahre.

Etwa um die Jahrtausendwende brachten die Stadtregenten

Licht und Farbe in die Problemviertel. Investoren

schufen - mit Blick auf den Hafen - im Umland Arbeits-

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