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2022

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valletta

bari•dubrovnik•zadar•rijeka

triest

2022



Dekadent, aber geil.

Die Kreuzfahrt und ich

3

Große Freiheit

Valletta und das erste Mal ablegen

5

Ein Tag auf See

Überfahrt nach Bari

30

Nike, Nudeln, Nunzia

Bari und ein Überraschungstreffen

38

Nochmal Weltkulturerbe bitte

Dubrovnik, Perle der Adria

68

Offene See

Lesestunde auf dem Weg nach Zadar

98

Wo der Wildbach rauscht

Die Wasserfälle von Krka

106

Love me tender, love me sweet

Der erste und letzte Besuch in Rijeka

130

Trist, trister, Triest

Ende einer Seefahrt

152

Mein Schiff, dein Schiff, unser Schiff

1029 Seemeilen später

162

1



DEKADENT

aber geil

Müsste ich ein Buch über unsere

Kreuzfahrt schreiben und einen Titel

dazu erfinden, diese drei Worte gingen

mir bereits in der ersten Stunde

auf dem Schiff durch den Kopf und

treffen den Nagel genau auf selbigen.

Aber der Reihe nach. Ich auf ein

Kreuzfahrtschiff? Niemals. So hatte

ich bis vor gar nicht allzu langer

Zeit gedacht. Aus fester Überzeugung.

Lebensumstände ändern sich,

Lebensplanungen ändern sich, Urlaubsplanungen

ändern sich auch.

Und irgendwann wurde mir die Frage

gestellt: „Könntest du dir eine gemeinsame

Kreuzfahrt vorstellen? Felix,

Papi, du und ich?“

Und selbst da war ich noch

skeptisch. Nicht wegen einem

gemeinsamen Urlaub, sondern

wegen einem gemeinsamen

Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff.

Tausende von faulen Urlaubern auf

kleinstem Raum. Tausende Urlauber,

die am Hafen ausgeladen werden

und mit Bussen weggekarrt werden,

Das erste Gläschen Schampus

in der X-Lounge.

3


Städte verstopfen und hinter Menschen

mit bunten Schildern herlaufen.

Früh, mittags und abends steht man in

der Schlange am Buffett und überlädt

den Frühstücks-, Mittagsessens-und

Abendessensteller um ein Vielfaches,

nur weil alles „all inclusive“ ist.

Mit einem herzlichen, aber bestimmten

„You joined the family!“,

wurde mir diese Entscheidung dann

telefonisch abgenommen. Peng. Ich

auf ein Kreuzfahrtschiff.

Und schon gingen die Planungen

los. Von Mallorca aus über Gibraltar

und Cadiz auf die Kanaren, oder

vielleicht auch in die Gegenrichtung.

Es gab kein Zurück mehr. Dank Miris

Einsatz war die Route schnell gefunden

und gebucht.

Und nun musste ich versuchen,

meine riesige Vorfreude hinter der

jahrzehntelangen Skepsis zu verstecken.

Dank des bösen „C“ verschob

sich unsere Reise um ganze zwei Jahre,

die Route änderte sich auf „Adria

mit Dubrovnik“, bis es dann am 21.

August 2022 in Valletta auf Malta

hieß:

Leinen los

Mindestens so voll stelle ich mir eine Kreuzfahrt vor. Und das täglich. Und ich mittendrin.

4


GROSSE FREIHEIT

21. August 2022 – Nein, der frühe

Vogel kann mich diesmal nicht mal,

er fliegt. Er fliegt um 6:05 Uhr mit

oder ohne uns von München nach

Valletta. Ein bisschen zurückrechnen,

wegen des anhaltenden Abfertigungschaos

auf deutschen Flughäfen

einen Puffer einbauen, rechtzeitig am

reservierten Parkplatz in einem Freisinger

Gewerbegebiet sein – habe

ich was vergessen? – führt zu einer

Abfahrtszeit von ziemlich genau Mitternacht

in Rothenburg. Prompt hat

am Samstag vorher Volker aus unserer

Gipfelglück-Seilschaft auch noch

zum Sechzigsten eingeladen. Das

können wir uns unmöglich entgehen

lassen. Was für ein Stress.

Und tatsächlich sitzen wir kurz nach

0 Uhr zu dritt mit gepackten Koffern

im Auto und fahren durch die Nacht in

den Süden. Kurz vor München bremst

uns ein Wolkenbruch. Wir verlassen

die Autobahn und verfahren uns

prompt, da das Navi die neu gebauten

Straßen noch nie gesehen oder

befahren hat. Trotz allen Widernissen

schaffen wir es, den stockfinsteren

Parkplatz zu finden. Es regnet. Keine

Unterstellmöglichkeit, kein Bus, der

wartet. Nach einer Weile Fummelei

mit dem QR-Code an der Schranke

öffnet sich diese und – was für ein

Nach endlosen Warteschlangen sitzen wir endlich im Flieger nach Malta.

5


Wunder – gleich ganz vorne ist ein

Parkplatz frei. Der Regen hört auf,

Koffer raus, warten. Es ist drei Uhr, als

der Bus auf die Minute pünktlich aus

der Dunkelheit auftaucht. Inzwischen

sind noch ein paar weitere Reisewillige

dazugestoßen. Einsteigen. Hinsetzen.

Losfahren. Es fahren aber nicht

nur wir, in jeder Kurve fahren auch

unsere Koffer und die der Mitreisenden

quer durch den Bus. Was für ein

Spaß. Und dann begrüßt uns Franz

Josef Strauß (Gott hab ihn selig) oder

zumindest der nach ihm benannte

Flughafen. Wir irren durch die langen

Gänge, es ist noch ruhig, nicht

viel los. Nicht viel los? Nicht so am

Schalter von TUI Fly, den wir irgendwann

finden. Im Zickzack stehen vielleicht

200, vielleicht 300, vielleicht

noch mehr Möchtegern-Urlauber vor

uns in der Schlange. Nichts los ist nur

auf der anderen Seite der Schalter.

Nichts. Keine Anzeige, keine freundliche

Mitarbeiterin, nicht mal eine

griesgrämige, einfach niemand. Inzwischen

sind wir über vier Stunden

unterwegs und noch nicht weit weg

von Zuhause. Die Schlange bewegt

sich doch irgendwann, man begegnet

immer wieder den gleichen Menschen

im Hin und Her, dann stoppt sie

wieder. Ratlose Gesichter hinter den

Schaltern, genervte und müde Gesichter

vor den Schaltern. Softwarepanne.

Wer hätte das gedacht. Als

Lido di Jesolo und Venedig, der Ätna

auf Sizilien und endlich der Weg zum

Schiff.

wir nach knapp fünf Stunden Reisevorbereitung

endlich ganz vorne sind,

haben wir dann auch noch die einzige

Griesgrämige des ganzen TUI

fly-Teams erwischt. Wenn sie nicht

gerade am Flughafen arbeitet, spielt

sie die russische Majorin in James

Bond-Filmen. Akku? Im Koffer? Aufmachen!

Zahlenschloss, keine Brille,

hinter mir der Rest der Schlange. Als

auch noch diese Hürde geschafft ist,

Nicht mein Schiff, Mein Schiff und

meines Schiffes Schwester.

6


die Koffer verschwunden sind, wir die

Bordkarten haben, wartet die nächste

Schlange auf uns. Für viel zu viel

Euros kaufe ich uns trockene Brezen

zum Frühstück, während Doreen in

der Schlange für eine Flasche Mineralwasser

steht.

Der Flug wird aufgerufen! Wir stehen

wo? Genau, wir stehen in der

Schlange vor dem Gate. Vor uns diskutiert

ein Yuppie-Pärchen mit dem

bulligen Angestellten lauthals darüber,

ob die beiden Kinderbuggies

Handgepäck sind oder nicht. Mir

egal. Es geht nichts vorwärts. Ungeduld.

Dann endlich weiter, runter zum

Vorfeld und – warten! Auf den Bus,

der uns quer über den halben Franz-

Josef kutschiert, hin zu unserem Flieger

mit dem netten roten Grinsen auf

dem Leitwerk. Lacht er uns vielleicht

aus?

Wie wir es dann doch schaffen,

auf unsere Plätze im Flieger zu kommen,

ist meiner Erinnerung entfallen.

6:08 Uhr, der Flieger rollt los, wir

starten.

„Wir wünschen Ihnen einen angenehmen

Flug ...“ höre ich noch, der

Rest geht im Geschrei eines Kindes

unter, das ein paar Reihen hinter uns

loslegt. Keine Chance für die Eltern,

keine Chance für alle anderen. Kinder

können tatsächlich mehr als zwei

Stunden am Stück schreien, ohne

heiser zu werden. Und dann keine

AirPods. Felix hat sie in den Ohren

und kaum sind, wir in der Luft, ist er

im Reich der Träume. Doreen auch –

Das erste Selfie an Bord und die Aussicht auf die Bars und Geschäfte am

Grand Harbour, wo die kleinen Yachten der Malteser warten.

ohne AirPods. Ich nicht. Während ich

aus dem Flieger schaue, wo langsam

die Sonne ihr Licht über die Südtiroler

Berge ausgießt, tritt ein Monster unregelmäßig

aber andauernd gegen

meine Rückenlehne. Wo ist der Fallschirm

für mich oder der Schleudersitz

für den? Der Flug ist ein Traum.

Unter uns erahne ich Venedig und

darüber die Lagune, den Leuchtturm

und den Campingplatz, auf dem ich

meine ersten Auslandsurlaubserlebnisse

hatte. Erinnerungen. Wir queren

7


Oben: Sieht aus wie Plattenbau 2.0.

Unten: Gedränge im Hafen von Vallettta;

die Leichtigkeit muss noch ein

bisschen perfektioniert werden; unser

Weg zum Stadtrundgang.

den Stiefel, unter uns Wolken, hinter

mir der Treter und ein paar Reihen

weiter der Schreihals. Der Flug ist ein

Traum. Irgendwann links von uns der

Ätna, danach nur noch Meer, der

Treter, der Schreihals und wir drei.

Irgendwann ertönt dann doch die erlösende

Stimme des Piloten. Wir erreichen

Valletta in wenigen Minuten.

Der Traum hat bald ein Ende.

Mit unseren rollenden Koffern

klappern wir von TUI-Mitarbeiter zu

TUI-Mitarbeiter, Voucher für Voucher

bis zum Bus, der auf uns wartet. Gefühlt

hat es schon jetzt 40°C.

Im ersten Moment erschrickt man

8


schon, wenn der Busfahrer immer auf

der Überholspur fährt. Äh, wo sitzt

der überhaupt? Auf der falschen Seite.

Eines der letzten Überbleibsel der

Kolonialherrschaft ist der Linksverkehr,

für alle anderen Europäer eine

ganz neue ErFAHRung. Die Strecke

führt am Hafen entlang und plötzlich

sehen wir sie. Sie passt gar nicht ins

Busfenster – neben uns liegt die Mein

Schiff 5, unser Zuhause für die kommende

Woche.

Um die Koffer brauchen wir uns

schon nicht mehr zu kümmern, die

werden am späteren Nachmittag auf

unserem „Zimmer“ sein. Nicht mal an

der Schlange fürs Einchecken müssen

wir anstehen, wir genießen die Fast-

Lane. Wo wir sind ist vorne. In einem

riesigen Gewölbe werden wir fotografiert

und erfasst, dann geht es „to

Auf dem Weg zum Aufzug begegnet

man meinem Schiff immer wieder.

Happy wife, happy life

happy Wi-Fi, happy Felix.

9


VALLETTA

Der Grundstein für die heutige Hauptstadt Valletta

wurde im Jahre 1566 gelegt. Der Großmeister

des Malteserordens, Jean Parisot de

la Vallette baute die Grundzüge der Stadt in

Zusammenarbeit mit Geralomo Cassar. Von

Großmeister Vallette leitet sich passenderweise

Valletta, der heutige Name der Stadt ab. Nur

fünf Jahre nach der Grundsteinlegung der Stadt

verlegte der Malterserorden im Jahre 1571 das

Hauptquartier von der vorherigen Hauptstadt

Birgu nach Valletta. In Valletta wurden acht

Herbergen errichtet, die jeweils für die Verteidigung

der Stadt zuständig waren. Dieses System

funktionierte offenbar sehr gut, da Malta nach

dem Aufbau der Stadt Valletta erst viel später

wieder eingenommen wurde, obwohl verschiedene

Angriffe stattfanden.

Napoleon war schließlich im Jahre 1798 erfolgreich

und konnte Malta einnehmen. Nicht

zuletzt, weil der damalige Großmeister des Ordens

sich kampflos ergeben hatte. Erst im Zweiten

Weltkrieg wurde die Stadt und der Hafen als

Stützpunkt der britischen Mittelmeerflotte einem

Dauerbombardement der deutschen Luftwaffe

ausgesetzt und weitgehend zerstört. Nach dem

Krieg wurde sie nach Originalplänen Laparellis

wieder aufgebaut.

Nur ungefähr 5.800 Einwohner beherbergt die

Stadt heute, die damit nicht nur von der Fläche

her, sondern auch in Bezug auf die Einwohnerzahl

die kleinste Hauptstadt Europas darstellt.

Valletta wurde zur Europäischen Kulturhauptstadt

2018 ernannt.

Malta gilt als europäisches Steuerparadies.

Hier ist es so, dass auch deutsche Konzerne in

Malta Millionen Euro von Steuern sparen. Malta

wird als das schwarze Steuerloch bezeichnet

und im Rahmen der europäischen Wirtschaftspolitik

wird auch daran gearbeitet, die schwarzen

Finanzlöcher Maltas zu schließen. Wer sein

Unternehmen nach Malta wegen der Steuer

verlagern will, kann das in der Regel relativ

schnell. Die Voraussetzung ist nur, den Wohnsitz

zu verlagern und nicht mehr als einen Gewinn

von 100.000 € pro Jahr zu haben. Der

Gedanke ist ja auch verlockend. Man kann seine

Geschäfte weiter betreiben, kann nebenbei

noch ein wunderbares Urlaubsziel genießen

und nebenbei noch etliches an Steuern sparen.

10


11


Zum Glück gibt es den Upper Barakka Lift, der uns nach oben bringt. Vor uns waren schon andere schlaue Köpfe hier.

the ship“.

Ein Schritt ins Freie und vor uns

steht eine riesige blaue Wand. Genuss.

Die Dimensionen eines Kreuzfahrtschiffes

sind wirklich schwer zu

beschreiben und passen erstmal gar

nicht auf ein Bild. Meine beiden erfahrenen

Mitkreuzfahrer lässt das ja

kalt. Aber ich komme aus dem Staunen

gar nicht mehr raus. Da sollen

wir jetzt die nächsten Tage wohnen?

Durch ein Loch in der Stahlwand betreten

wir unser Zuhause. Die nächste

Kontrolle. Wie am Flughafen werden

wir abgetastet und durch einen

Körperscanner geschickt. Keine besonderen

Vorkommnisse. Unser Gepäck

ist irgendwo unterwegs und

wird abends auf unserer Kabine sein.

Kabine. Was für eine Untertreibung.

Aber dazu kommen wir später. Mit

großen Augen lasse ich mich durch

die riesigen Treppenhäuser führen,

bis wir auf Deck 12 wieder ans Tageslicht

kommen. Wenigstens ein erstes

Selfie muss doch gehen, ist doch alles

neu für mich. Schnell, schnell, Bild im

Kasten und dann noch ein Deck höher.

Wir sind auf Deck 14 angelangt.

Da geht es heute Abend raus.

12


Keine schlechte Idee, die Aufkleber der Touristen zentral zu sammeln. Leider hatte ich Blech&Schalten nicht dabei.

Von 12 nach 14 nur ein Deck? Ja,

auch die Seefahrer sind anscheinend

abergläubisch.

Gleich sind wir am Ziel. Vorbei

an der Nummer 14007, wo ein Türanhänger

um Geduld bittet, geht es

dem Ziel entgegen. An der Glastür

steht „X-Lounge“. Das ist es also, wovon

sie immer erzählen.

Und schon sitzen wir mit ein paar

Kaviarhäppchen in Rot, Schwarz und

Gelb auf leckeren Blinis und ein paar

anderen Leckereien in den bequemen

Sesseln. Champagner? Champagner,

sehr gerne. Plopp – und vor

uns stehen drei gefüllte Gläser mit

eiskaltem Champagner. Ganz oben

– also fast – und vor uns nur noch

der Bug des Schiffes. Und nach dem

ersten Schluck geht mir als Schiffsnovize

durch den Kopf: Dekadent. Aber

geil!

Der Käpt’n unserer Vierercrew

fliegt momentan noch irgendwo

zwischen Hamburg und München

durch die Wolken und wird erst am

Abend bei uns sein. Wir haben den

ganzen Nachmittag Zeit, Valletta zu

erkunden. Auf geht’s. Ab und zu hört

man in der Ferne ein Knallen und

Donnern, manchmal sieht man auch

Rauchspuren am Himmel. Was das

wohl ist? Ich habe keine Ahnung, ob

Der Namesgeber der Stadt Jean Parisot de la Vallette inmitten moderner Stelen.

13


in Valletta vielleicht auch ein Truppenübungsplatz

ist, aber möglich

scheint es schon. Wo sollen sonst

diese Geräusche herkommen? Später

wird mir ein Taxifahrer, den ich

danach frage, erklären, dass man für

ein großes Feuerwerk übt. Während

bei uns über das Böllern an Silvester

diskutiert wird, lassen es die Malteser

an jedem Wochenende krachen.

Samstag und Sonntag.

Am Cruise Port herrscht ganz

schönes Gedränge. Wer jetzt noch

mit dem Schiff kommen will, der findet

sicher keinen Platz mehr. Neben

uns liegt die Mein Schiff 2, noch ein

bisschen größer als unsere Nummer

5. Dazwischen eingeklemmt, die Logos

Hope, ein Schiff des christlichen

Hilfs- und Missionswerks Operation

Mobilisation (OM). Sie wird als

schwimmendes Konferenz- und Kulturzentrum,

als Büchermarkt und zum

Transport von Hilfsgütern eingesetzt.

Was es nicht alles gibt auf dem Meer.

Zumindest ein angenehmer Ort zum

Konferieren.

Damit wir es auch schön haben

auf unserer Reise, wird nochmal ein

bisschen an der Leichtigkeit nachgebessert.

Was bereits hier auffällt:

auch die Mitglieder der Mannschaft,

die nicht im direkten Kontakt mit den

Gästen stehen, haben immer ein Lächeln

im Gesicht. Es sieht zumindest

so aus, als wären sie mit Spaß bei der

Sache. Und gegen ein bisschen neue

Leichtigkeit haben wir nichts. Noch

eine kurze Pause vor dem Ausgang

in die Stadt, endlich Free Wi-Fi. Felix

hatte sich schon zuhause Gedanken

gemacht, wie man wohl möglichst

wenig Snapchat-Flames verliert.

Vielleicht sind ja hier noch einige zu

Valletta hat ruhige Ecken ...

retten. Ob wir ihn hier abstellen sollen

und erst auf dem Rückweg wieder

mitnehmen?

Valletta ist die erste, jemals auf

dem Reißbrett geplante Stadt Euro-

Die Aussicht über den Hafen von den Upper Barrakka Gardens. Vor uns die Kanonen der Stadtverteidigung ...

14


... und weniger ruhige Ecken. Ob man die Stadt deshalb gleich hassen oder sogar verlassen muss?

pas. Sie wurde als prächtig gestaltete

Festung konzipiert und auf einem

Felsen oberhalb eines Hafens, dem

„Grand Harbour“, errichtet. Der Felsen

ist auch fast so hoch wie unser

Schiff und glücklicherweise gibt es

einen Aufzug, der uns schnell und

bequem nach oben bringt. Es ist sehr

heiß, da nimmt man solche Aufstiegshilfen

gerne in Anspruch.

Der Upper Barrakka Lift verbindet

seit Dezember 2012 die Lascaris

Wharf am Grand Harbour mit

den Upper Barrakka Gardens und

Vallettas Innenstadt. Er steht an der

... rechts die Mein Schiff 2 in voller Länge.

15


Stelle seines Vorgängers, der 1983

demontiert wurde und hier zwischen

1905 und 1973 betrieben wurde.

Er ist 58 Meter hoch und kann 21

Personen gleichzeitig befördern, also

bis zu 800 Personen pro Stunde. Die

Fahrt dauert nur 25 Sekunden und

ist somit die schnellste Verbindung

zwischen Valletta Waterfront und der

Innenstadt. Und dieser eine Euro pro

Person ist gut investiert.

Oben angekommen hat man

einen tollen Überblick über den

Hafen. Von hier aus schlendern wir

plan- und ziellos durch die Altstadt.

Es ist leicht sich zu orientieren, da die

Häuserblöcke dank Reißbrett immer

die gleichen Größen haben und die

Straßen alle schnurgerade sind. Nur

eben sind sie nicht, es geht ziemlich

bergauf und auch bergab. Shopping

und Sightseeing sind normalerweise

nicht ganz einfach unter einen Hut zu

bringen. Aber es ist Sonntag und es

Mother care kann ganz unterschiedliche

Formen haben.

ist Siesta. Fast alle Läden haben geschlossen,

sehr zum Leidwesen unseres

jüngsten Reiseteilnehmers. In den

Hauptstraßen herrscht dichtes Gedränge,

Menschenmassen schieben

sich an den Häusern entlang, dazwischen

tauchen immer wieder lauffaule

Segwaygruppen auf. Und nur zwei

oder drei Ecken weiter ist man dann

16


Warum hat unser Schiff den Wohnsitz in Valletta?

Malta hat eines der größten Schiffsregister

der Welt. Bei Kreuzfahrtschiffen steht das Land

momentan hinter den Bahamas (69) und Panama

(28) zusammen mit den Bermudas mit 25

registrierten Schiffen auf Platz 3.

Jedes Schiff fährt unter einer bestimmten Flagge

eines bestimmten Landes. Das bedeutet, dass

das Schiff seinen Heimathafen in dem entsprechenden

Land hat und der Schiffseigner dort

seine Steuern für etwaige Einnahmen auf dem

Schiff bezahlt. Das Ausflaggen hat auch immer

zur Folge, dass auf dem Schiff die entsprechenden

Gesetze des Landes gelten, insbesondere

ist dies für Arbeitsverträge interessant, da natürlich

auch das Arbeitsrecht des Landes auf dem

Schiff gilt.

Auch wenn das maltesische Arbeitsrecht sehr

auf Einhaltung der üblichen Arbeitsverhältnisse

Wert legt, gibt es einige Unterschiede zum

Arbeitsrecht in beispielsweise Deutschland. Ein

gerade für große Kreuzfahrtschiffe wichtiger

Punkt ist, dass es in Malta keine Begrenzung an

Nicht-EU-Mitarbeitern gibt. So müssen bei Rekrutierungsprozessen

keine bestimmten Quoten

erfüllt werden.

Ähnlich wie die Steuervergünstigungen für

eine Malta Limited, hat die Regierung Maltas

auch für Schiffsbetreiber ein attraktives Paket

geschnürt. Besonders bei Kreuzfahrtschiffen

(>1000 Tonnagen) ist das Sparpotenzial riesig:

Die „Shipping Organisations“ sind für Erträge

aus dem Schiffverkehr von der Einkommenssteuer

befreit.

17


Die rote Telefonzelle:

Flashback ins Jahr 1982

wieder fast alleine.

Die Vergangenheit im

Commonwealth erkennt

man nicht nur am Linksverkehr, auch

die Telefonzellen und Briefkästen haben

das typische Rot. Mich erinnert

das an ein Foto, gemacht auf unserer

Kollegstufenfahrt nach London

im Herbst 1982. Das muss 40 Jahre

später natürlich wiederholt werden.

Wir machen eine Pause im Pub

„The Pub“, der ein sehr verlockendes

Angebot verspricht. Nachdem

The Pub mit einem ganz besonderen

Angebot. Thirsty? Und wie ...

aber die Geschäfte

geschlossen

haben, bekomme

ich keine Chance,

im Husband

Day Care Center bleiben zu dürfen.

Es geht durch Nebengassen im großen

Bogen zurück in Richtung Hafen.

Und immer wieder finden sich tolle

Ein- und Ausblicke. Vallettas Altstadt

hat mit den zum Teil schon arg

18


19

Die Türgriffe von Valletta, eine

sehenswerte Mischung mit dem

Schwerpunkt auf Fisch.


20


21


Kleine Erfrischung während einer hochspannenden Stadtbesichtigung.

verfallenen Fassaden und den verwitterten

Balkonen, die früher sicher

leuchtende Farbtupfer waren, einen

morbiden Charme, der mich spontan

an Cadiz erinnert. Ich bin sicher, dass

viele der Häuser im Inneren genau

das Gegenteil von morbid und verfallen

sind. Die vielen kunstvoll gestalteten

Türdrücker, die von vielen

Händen auf Hochglanz poliert sind,

zeigen deutlich, dass die Kanzleien,

Praxen und Handelsvertretungen viel

Publikumsverkehr haben. Obwohl in

Malta viele Geschäfte nach wie vor

sehr gerne ohne großes Publikum abgewickelt

werden.

Nach zwei Stunden stehen wir

wieder auf der großen Terrasse neben

den Upper Barrakka Gardens.

Auf den vielen Tafeln zwischen den

Torbögen wird an die zahlreichen

militärischen Aktionen und berühmte

Besucher der Stadt erinnert. Zu denen

gehören wir jetzt auch. Der Expressaufzug

bringt uns wieder auf Meereshöhe.

Als wir ankommen ist unsere

Leichtigkeit noch immer nicht ganz

fertig. Ein bisschen Zeit zum Streichen

bleibt ja noch, bevor wir ablegen.

Neugierig bin ich ja schon, was

uns jetzt hinter der Nummer 14007

erwartet. Sogar Felix und Doreen

können es kaum erwarten. Der Aufzug

bringt uns zum zweiten Mal

nach oben, wir gehen den Gang

entlang, die Spannung steigt. Die

vorläufige Bordkarte ans Schloss

gehalten, ein kurzes Klick, die

Tür geht auf. Wir sind in der

Himmel & Meer-Suite. Himmel

und Meer? Himmel und noch

viel mehr! Ein großes Schlafzimmer,

ein weiteres Doppelbett

und riesige, bodentiefe

Fenster, die den Blick über

Vallettas Hafen freigeben. Ein

Schreibtisch, ein Bad und eine

Treppe nach oben. Es wird

unsere Himmelsleiter. Über

uns ist unsere eigene Dachterrasse,

sind zwei bequeme

Liegen und eine Hängematte.

Nur für uns. Dekadent aber geil!

Das alles kommt mir ziemlich unwirklich

vor. Von unserer Terrasse führt

eine Tür nach draußen. Nur ein paar

Meter weiter ist das Sonnendeck der

X-Lounge. Ganz oben, ganz vorne,

mit freiem Blick über den Bug des

Schiffes. Was für ein Luxus, ich kann

mich eigentlich gar nicht sattsehen.

Weit vorne liegen große Yachten,

Zwei Seefahrer über Valletta. Von

hier aus wurde die Stadt im Zweiten

Weltkrieg verzweifelt verteidigt.

22


Links: Der frühere Regierungschef Joseph Muscat auf der Flucht mit einem Geldkoffer. Rechts: Malta war schon immer

gut fürs Geschäft. Im Orient an der Lampe gerieben und schwupps hat man eine Heizungs- und Beleuchtungsfirma.

Ausflugsdampfer fahren aufs Meer

oder kommen schon wieder zurück.

Gegenüber liegt die MSC Vittoria,

schon ganz schön in die Jahre gekommen

und rostig. Ein Hingucker ist

allerdings die riesige Giraffe neben

ihr. Nein, die Vittoria liegt nicht gleich

neben dem Zoo. Die Giraffe, die wir

von uns aus sehen, ist aufgerichtet sagenhafte

120 Meter hoch.

Der Künstler James Micallef Grimaud

aka Twitch hat den höchsten

Kran im Trockendock von Valletta

auf Malta in eine Giraffe verwandelt.

Das gescheckte Tier aus Stahl

ist seitdem das neue Wahrzeichen

des Hafens mitten im Mittelmeer. Mit

hochgerecktem Hals begrüßt es die

Auf dem Weg nach unten und zurück

zu unserem Schiff.

23


Passagiere der Kreuzfahrtschiffe und

Fähren, fast wie die Freiheitsstatue in

New York.

Kunst braucht Mut. Der Kran ist bei

aufgerichtetem Ausleger 120 Meter

hoch, nicht jeder traut sich so weit hinauf.

Twitch konnte nur nachts arbeiten,

tagsüber wurde der Kran in der

Werft gebraucht. Ganz allein turnte

er im Dunkeln an dem Kran herum,

mit Helm und Stirnlampe, sieben Monate

lang. Er begann mit den Beinen,

immer höher hinauf arbeitete er sich

vor mit seiner Farbe.

Eines Nachts blockierte die Arbeitsplattform

auf gut 30

Metern Höhe. Twitch hatte

die Wahl, bis zum Morgen

auf Hilfe zu warten

oder auf eine andere Plattform

zu springen. Er löste

den Sicherungsgurt und

sprang. Nach dem Vorfall

stellte die Palumbo-Werft

drei Arbeiter für das Giraffenprojekt

frei, ein Spezialkran

aus Neapel wurde

aufgestellt. Die Arbeit an

Kleine Männer, großer Genuss.

Nur die Leichtigkeit ist

immer noch nicht fertig.

Körper und Hals der Giraffe, an Maschinenhaus

und Ausleger also, kam

nun schneller voran.

«Ich wollte etwas Lustiges machen,

etwas, woran die Leute Freude

haben.» Das ist Twitch mit der Giraffe

gelungen. Das merkwürdige Tier,

einerseits funktional, anderseits völlig

fehl am Platz, weckt Verblüffung und

Vergnügen. Seine Idee hatte Twitch

schon lange vorher. Er präsentierte

sie im Kulturministerium. Eigentlich

wollte er vier Kräne in Giraffen verwandeln,

eine kleine Herde schwebte

ihm vor. Doch es wechselte die

Regierung, die Idee geriet in Vergessenheit.

Bis Valletta zur Kulturhauptstadt

Europas des Jahres 2018 befördert

wurde.

Übrigens waren wir Twitch heute

Nachmittag schon einmal begegnet.

Von ihm stammte das Schablonenbild

auf dem Rollladen. Da flüchtet

der frühere Regierungschef Joseph

Muscat mit einem Geldkoffer. Woher,

wohin, niemand weiß es mehr.

Nachdem wir uns alle drei ein

bisschen gefangen und die ersten

Dinge eingeräumt haben, machen

wir uns auf eine kurze Besichtigungstour

über das Schiff. Es gibt so viel zu

sehen, alles geht so schnell, Felix als

24


Das neue Wahrzeichen von Valletta: die Hafengiraffe.

alter, erfahrener Kreuzfahrer kennt

alles längst. Dort die Burger und

die Pommes, hier die Geschäfte am

Wall, da hinten das Theater, dort der

Trimmdichpfad, hier die Teenslounge,

unten das Atlantik, und, und, und. Es

wird

schon ein paar Tage Zeit

brauchen, bis ich hier alleine zurecht

komme. Aber zumindest habe ich ja

immer meinen Anhänger dabei. Falls

jemand den kleinen Stefan auf dem

großen Schiff findet, weiß er ja, wo

er ihn abgeben kann.

Jeder der ungefähr 2200 Passagiere

auf dem Schiff muss gleich

zu Beginn an einer Einweisung zu

den Notfallmaßnahmen teilnehmen.

Immer wieder kommen die Durchsagen

über die Lautsprecheranlage.

Es spricht unser Kreuzfahrtdirektor

Marcus Kummerer. Seinen richtigen

Namen habe ich erst beim Schreiben

25


Dekadent aber geil - zweiter Teil:

Unsere Suite über zwei Etagen mit

herrlicher Aussicht und eigener Dachterrasse,

Liegen und Hängematte.

Über uns nur noch der Ausguck.

So schlimm sind Kreuzfahrten gar

nicht.

dieser Reiseerinnerungen gefunden,

für uns hieß er schon nach ein paar

Durchsagen Herr Kümmerer. Doch

dazu später mehr.

Im Foyer des Theaters treffen wir

uns zur „Übung“. Alle Teilnehmer

werden genauestens registriert, keiner

entgeht der Kontrolle. Nach ein

paar Minuten sind wir auf alle Notfälle

vorbereitet.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch unsere

Hauptperson, dann wären wir

komplett. Sein Flugzeug ist in München

mit Verspätung gestartet, aber

inzwischen sollte er auch auf der

Insel gelandet sein. Und tatsächlich

kommt die lange erwartete Whats-

App-Nachricht. Wir machen uns

auf, hinunter auf Deck 3, wo sich

der Eingang befindet. Nach kurzem

Warten ist es soweit. Eigentlich müsste

jetzt mit der Bootsmannsmaatenpfeife

Seite gepfiffen werden. „Seite

pfeifen“ ist eine Ehrenerweisung bei

den Seestreitkräften verschiedener

Nationen. Für Offiziere und hochrangige

Gäste, die an Bord kommen

oder das Schiff verlassen, wird mit

der Bootsmannsmaatenpfeife Seite

gepfiffen. Den Befehl gibt der Wachhabende

Offizier (WO) in Vertretung

des Kommandanten. Aber der ist

wohl noch mit den Durchsagen zur

Seenotübung beschäftigt. Achtung:

26


Es kommt an Bord Kapitän zur See

Hans Georg Schotte! Unsere Crew

ist komplett.

Nach einer herzlichen Begrüßung

zeigen wir auch ihm, was er für uns

gebucht hat. Schnell ist entschieden,

wer von meinen Mitfahrern welche

Seite des Doppelbettes belegt, danach

ein bisschen Frischmachen und

dann noch einmal vors Theater. Die

Durchsagen des Herrn Direktors sind

ein bisschen drängender geworden.

Vor den Fenstern dämmert es langsam.

Es wird Zeit fürs Abendessen.

Eigentlich sollte man im Atlantik, das

wir für heute Abend ausgesucht haben,

keine kurzen Hosen tragen. Das

ist aber auch schon das Maximum an

Dresscode. Der Kellner am Eingang

versucht es auch, aber Kapitän Schotte

erklärt unsere Ausnahmesituation,

wir wären eben erst angekommen,

völlig am Ende und ein Vierertisch

am Fenster würde uns schon gefallen.

Es funktioniert. Wir sitzen am

Fenster, schauen auf das abendliche

Valletta und genießen ein Viergang-

27


Menü vom Feinsten. Inzwischen hat

der echte Kapitän die Durchsagen

übernommen. Höflich aber sehr bestimmt

macht er den Passagieren klar,

dass das Schiff nicht auslaufen darf,

solange nicht alle bei einer dieser

Übungen waren. Alle! Wäre ich an

seiner Stelle, ich würde Namen und

Kabinennummer der Schlafmützen

nacheinander durchsagen. Soll doch

jeder wissen, auf wen über 2000

Menschen warten müssen.

Irgendwann kommt die erlösende

Nachricht: Alle Mann an Bord,

alle Mann geübt. Alle Frau bestimmt

auch, aber zum Glück ist in der Seefahrt

noch alles altmodisch in Ordnung.

Wir stehen schon auf dem

Pooldeck, direkt an der Reling, jeder

ein Glas Sekt in der Hand. Es wird

dunkel über der Stadt. Tief unter uns

die vollbesetzten Terrassen der Lokale,

gegenüber die historische Altstadt

in toller Beleuchtung. Und dann ist es

soweit. Man muss kein Fan des Grafen

sein, aber als die „Große Freiheit“

von Unheilig erklingt, spüre ich

eine Gänsehaut. Ohne Geräusch,

ohne Zittern bewegt sich plötzlich

der Anleger von uns weg. Nein, das

Schiff legt ab. Ein ganz besonderer

Moment dieser Reise, der Auftakt zu

einem unvergesslichen Urlaub. Große

Freiheit. Wir fahren. Das Schiff

nimmt Fahrt auf, entlang der alten

Festung gleiten wir aufs Meer hinaus.

Und als Krönung dieses Augenblicks

explodieren Feuerwerksraketen und

tausend bunte Sterne verabschieden

uns.

Große Freiheit!

Kein Mannschaftsbild geschafft.

Es bleiben nur Filmschnipsel des

Auslaufens.

„Gutten Tag, liebee Gässtee,

hier spricht Ihr Kreuzfahrtdirektor,

ha, ha, ha ...“,

eine Mischung aus Finanzbeamtem

und Losbudenansager mit ansteckendem

Humor, Witz und Esprit.

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29

Leinen los und volle Kraft voraus.

Ahoi, Valletta!


Ein Tag

Seetag – ein ganzer Tag auf See.

Irgendwann am Morgen öffnen wir

die Jalousien und sehen das Meer.

Himmel, Meer, sonst nichts. Nur Weite.

Auch, wenn ich auf unsere Dachterrasse

gehe: Himmel, Meer, sonst

nichts. Von Valletta nach Bari sind es

441 nautische Meilen, also knapp

820 Kilometer Seeweg.

Nach und nach wird die kleine

Mannschaft aus 14007 wach. Alle

Mann durch die Nasszelle, was zwar

ein wenig Absprache erfordert, aber

problemlos funktioniert, die eine Frau

Blick über den Bug der Mein Schiff 5.

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auf See

auch, und dann geht es zum ersten

Frühstück. Champagner, Ma‘am?

Champagner – für alle (Erwachsenen).

Dazu ein bisschen Kaviar, frisch

gebratene Omeletts, Leckereien vom

Büffet, einen, einen zweiten und

einen dritten Cappuccino, frisch gepressten

Orangensaft, ein bisschen

Nachschenken beim Champagner.

Und: Pancakes for Felix, mindestens

vier – mit Nutella, viel Nutella. Ja,

so lässt sich der Start in einen Seetag

sehr gut aushalten. Kein Gedränge,

entspannte Hintergrundmusik,

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freundliche Kellner, die einem fast

jeden Wunsch von den Augen ablesen.

Ein bisschen Nachschenken

beim Champagner?

Wir könnten ewig hier sitzen bleiben,

aber es ist an der Zeit, das Schiff

zu entdecken. Obwohl niemand die

Möglichkeit hat von Bord zu gehen,

ist es nirgendwo zu voll. Wir schlendern

durch den Neuen Wall, einer

kleinen Einkaufsstraße, blicken kurz

ins Casino, wo schon die Daddelautomaten

blinken, hier ein Restaurant,

dort ein Buffet. Es gäbe noch viel zu

sehen, aber wir beenden trotzdem

unseren Rundgang. Das Kind muss

in den Pool. Ohne Fotoapparat. Der

Pool ist ein Pool mit vielen Liegen

Ganz vorne, ganz oben, unsere Liegen.

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Das erste Frühstück an Bord, der Blick übers Pooldeck und unser Weg zum Sonnendeck.

außen herum – mehr nicht. Für mich

als „Ich-schwimm-nicht-gern“ ist

das auch kein Problem. Und um die

Liegen müssen wir uns nicht streiten,

unsere stehen auf dem Sonnendeck

bereit.

Und so vergeht der Tag. Ohne besondere

Vorkommnisse, und genau

das ist das Schöne. Sich unterhalten,

ein bisschen weg dösen, ein Buch in

die Hand nehmen und nach ein paar

Seiten die Augen zufallen lassen und

dazwischen mal in die X-Lounge auf

ein Häppchen und ein Gläschen.

Volles Programm.

Am Abend machen wir uns ein

kleines bisschen schick und gehen ins

Atlantic Mediterran, diesmal mit lan-

Abhängen in der Hängematte.

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gen Hosen, zumindest die Männer.

Vier leckere italienische Gänge später

ist es draußen dunkel geworden,

in der Ferne leuchten die Lichter des

italienischen Stiefelabsatzes, an dem

wir ziemlich nah vorbeifahren.

Krönender Abschluss des Tages

ist danach die Crew-Vorstellung im

Theater. Unser Kapitän – also der

richtige für alle 3500 Menschen an

Bord – ist ein Kapitän wie aus dem

Bilderbuch: Andreas Greulich. Groß,

erfahren, grauer Bart, stattlich, mit

klaren Aussagen und einer Prise Humor.

Er stellt sich und die Offiziere

vor. Danach geben die mitreisenden

Artisten noch eine kleine Kostprobe

aus ihren Programmen. Uns wird sicherlich

nicht langweilig werden.

Unser Abend endet in der Lounge,

dem ein oder anderen Cocktail und

mit Spielkarten. Ist schon anstrengend

so ein Seetag. Gute Nacht.

Fertig zum Abendessen im Atlantik. Auf dem Weg

dorthin machen wir eine Pause auf dem Blauen

Balkon auf Deck 14. 37 Meter unter uns das Meer.

Opi und Enkel heute mal mediterran unterwegs.

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Kapitän Greulich und seine Offiziere auf der großen Bühne.

Als Kreuzfahrt-Kapitän kann Andreas Greulich auf eine große Erfahrung

zurückblicken. Seine Ausbildung zum Matrosen begann er

1977, seit 1986 fährt er als Offizier über die Weltmeere. Seit 1996

war er als Kapitän auf verschiedenen großen Tankern auf der Brücke

verantwortlich – bis er 2001 das erste Mal ein Passagierschiff

übernahm. Ab 2003 war er dann Kapitän der MS Deutschland. Ja

wirklich, das ist das Traumschiff! Seit Juli 2015 hat er nun das Kommando

auf der Mein Schiff 5, unserem Traumschiff. Dem können wir

uns anvertrauen.

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Nike,

Nudeln,

Nunzia...

… und Neo. Aber dazu kommen

wir gleich.

Als wir an diesem Morgen die Jalousien

hochfahren, fehlt die Aussicht

aufs weite Meer. Vor uns liegt Bari,

die Hauptstadt der Region Apulien

und gleichzeitig Provinzhauptstadt

der gleichnamigen Provinz. Die Stadt

liegt am adriatischen Meer und wird

dank der langen Handelstradition

auch als das Tor zum Orient bezeichnet.

Der Hafen von Bari ist einer der

großen italienischen Fährhäfen an

der Adria mit regelmäßigen Verbindungen

für Fahrzeuge und Passagiere

nach Dubrovnik, Bar, Durrës,

Patras und Korfu, Igoumenitsa, Kefalonia

und Zakynthos.

Wer das echte italienische Flair

sucht, ist in Bari genau richtig und findet

das dolce vita verbunden mit der

kulinarischen Vielfalt des italienischen

Südens. Die Altstadt von Bari ragt wie

ein Zipfel ins adriatische Meer. In den

engen Gassen herrscht echte italienische

Lebensfreude. In ihr befinden

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sich viele Kirchen, darunter die zwei

wichtigsten, die Basilika San Nicola,

die wir nicht besuchen und die Kathedrale,

in die wir später einen Blick

werfen. Man kann diesen Teil der

Stadt zu Fuß erkunden, sollte aber

auf jeden Fall die Augen offenhalten.

Einerseits liefern sich Jugendliche

halsbrecherische Vesparennen (hört,

hört!), die den sowieso begrenzten

Straßenraum komplett nutzen, andererseits

ist Bari vecchia immer noch

ein Stadtviertel mit hoher Kriminalitätsrate,

wo immer wieder Taschendiebe

auf unachtsame Touristen warten.

Baris Altstadt „Bari Vecchia“ hat

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Oben: Kranballett im Gegenlicht, die

gehisste Gastflagge, Kapitän Schotte

und die Ruhe am Sonnendeck.

Unten: Baris Fährhafen vor der Alstadt.

ein ungeordnetes Straßennetz mit

vielen engen und verwinkelten Gassen.

Man kann Andenken für Touristen

kaufen, aber auch die typischen

Obstverkäufer und die Nonna vor

ihrem Haus beobachten, die mit geschickten

Händen die Pasta-Spezialität

Apuliens, die Orecchiette, formt.

Alles das wollen wir uns nachher ansehen.

Südlich der Altstadt - durch den

Corso Vittorio Emmanulele II abgetrennt

- beginnt das Viertel Murat,

welches im 19. Jh. die erste große

Stadterweiterung Baris darstellte und

von den Einheimischen als „Centro“

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betitelt wird. Mit den Straßen im

Schachbrettmuster ist die Orientierung

sehr einfach – meint man. Hier

liegen die wichtigen Einkaufsstraßen

Via Sparano und Corso Cavour und

in den Querstraßen befinden sich unzählige

Einzelhandelsgeschäfte mit

einer riesigen Auswahl an Mode für

jeden Geldbeutel. In der Via Sparano

haben in den letzten Jahren viele

ortsansässige Geschäfte den großen

Ketten und Luxuslabels Platz gemacht,

so dass sich eine gewisse Uniformität

zu Einkaufsstraßen anderer

Großstädte einstellt. Auch hier wird

man uns später finden.

Unser Kapitän ist bereits wieder in

See gestochen. Nein, nicht der Herr

Greulich, sondern der Herr Schotte.

Während ich einen ersten Ausflug

aufs Sonnendeck mache, um über

das Hafenbecken die Stadt anzuschauen,

zieht er allein im Pool seine

Bahnen. Konsequent, eine nach der

anderen.

Oben: Die tägliche Ration Pancakes

und das Schiff mit den Überraschungsgästen.

Links: Der Kapitän

der Francesca hat viele Einweiser

beim Einparken und schon kommt

mit „Volldampf“ die nächste Fähre.

Über dem Ausguck flattert heute

die italienische Flagge. Die Gastlandflagge

ist eine kleine Nationalflagge

des Landes, in dem sich ein

ausländisches Schiff gerade befindet.

Es ist seemännischer Brauch, im

Ausland auf der Steuerbordseite am

Schiffsmast zu Ehren des Gastlandes

dessen Nationalflagge zu setzen.

Weiterhin soll mit dem Hissen der

Gastlandflagge zum Ausdruck gebracht

werden, dass man sich den

Gesetzen des besuchten Landes unterordnet.

Alte Tradition aber immer

noch aktuell und wichtig.

Auf dem Sonnendeck herrscht

absolute Ruhe, im Becken des Fährhafens

dagegen dichtes Gedränge.

Wie in der Rush-Hour kommt eine

Fähre nach der anderen, sucht eine

Parklücke und parkt rückwärts ein.

Ventouris Ferries, Jadrolinija, Adria

Ferries, anscheinend alles Wikinger,

die aus Kroatien, Albanien und Griechenland

nach Bari kommen. Vor uns

liegt ein riesiges Wohnsilo. Es ist die

MSC Fantasia, die mit über 3200

Passagieren fast eineinhalbmal so

groß ist wie unser Schiffchen. Dass so

ein Ding überhaupt noch schwimmt?

Sie sieht zwar etwas gepflegter aus

als die MSC Vittoria in Valletta, aber

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Wie auf der Modelleisenbahn fahren

unter uns die kleinen Autos hin

und her - und auch der Vater mit dem

Sohnemann.


tauschen möchte ich nicht.

Die Aussicht von Deck 14, ungefähr

40 Meter über dem Boden, ist

gigantisch. Hinter dem Hafenbecken

erstreckt sich die Altstadt, die wir bald

erkunden werden, noch weiter hinten

sehe ich auch mal eine Clatrava-Brücke

in echt, dort liegt das moderne

Bari. Mindestens genauso interessant

wie die Fernsicht, ist der Blick nach

unten. Wie Spielzeugautos verlassen

schwere LKW unter lautem Geklapper

eine Fähre, die ersten Kreuzfahrer

machen sich mit E-Scootern und

Fahrrädern vertraut, mit denen sie

heute wohl die Stadt erkunden. Und

immer wieder sind auch wir die Sehenswürdigkeit.

Plötzlich ein bekanntes Geräusch

zwischen all den Lastern: ZWEI

TAKT! Man kann ihn zwar nicht bis

hier oben riechen, aber man kann

ihn hören. Ein Papa kommt auf einer

Sprint in den Hafen geknattert, der

Sohnemann muss unbedingt ein Bild

von unserem schönen Schiff machen.

Bremsen, absteigen, einen Handy

knips machen, aufsteigen und wieder

weg.

Hier könnte ich den ganzen Vormittag

verbringen. Doch uns ruft das

Frühstück, der Champagner, der

Cappuccino, die Omlettes, der Kaviar

und Felix ganz besonders die

Pancakes.

Und dann klingelt Doreens Telefon.

Ignorieren. Und dann klingelt

Doreens Telefon wieder. Die Schule?

Ein Vorteil einer Kreuzfahrt ist auch,

dass man auf hoher See einfach nicht

erreichbar ist. Sobald man sich der

Küste nähert oder einen Hafen anläuft,

bucht sich der Apparat gleich

wieder ins Netz ein. Doreens Telefon

klingelt – eine unbekannte Nummer.

Vielleicht doch etwas Wichtiges?

„Hallo? Wer? Echt? Nein, das

gibt’s doch nicht. Ihr seid auch hier?“

Das ist die Kurzfassung des Gesprächs.

In Langfassung: auf der

MSC Fantasia schippert derzeit Fe-

Tommy wär soweit, seine freche Mama auch - nur den richtigen Weg durch

die Gänge müssen wir noch finden.

lix Freund Neo mit Familie durch die

Adria. Sie sind nach uns hier eingelaufen.

Neo – das vierte N nach

Nike, Nudeln und Nunzia – hat

sich erinnert, dass Felix von unseren

Urlaubsplänen und der Mein Schiff

erzählt hat. Ein bisschen googeln und

prompt wusste die Familie Lehner, wo

wir sind.

„Ja, klar, wir gehen auch in die

Stadt. Wir telefonieren, wir sehen

uns, bis später.“ Was für ein Zufall.

Und so machen wir uns auf den

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Weg in die Stadt. Also zuerst natürlich

auf den Weg durch das riesige

Schiff. Unser Kapitän, der mit

den meisten Seemeilen im Gepäck,

zeigt mit einer eindeutigen Geste in

die richtige Richtung. In die richtige

Richtung? Naja, zumindest in eine

Richtung. Wir lernen einige der langen

Flure kennen (Innenkabine ohne

Fenster) und auch die Treppenhäuser,

bevor wir am Ausgang sind. Für ein

paar Euros bringt uns ein Shuttle vom

Terminal Crociere, das farblich per-

fekt zu meinem Schiff passt, bis ans

Zentrum der Stadt.

Und wieder bin ich unglaublich

beeindruckt von diesem riesigen

blauen Rumpf, der über uns hinaufwächst.

Schon nach ein paar Minuten

Busfahrt steigen wir nahe dem historischen

Zentrum von Bari aus. Allerdings

wird es dort keine Turnschuhläden

geben. Deshalb macht sich die

Gruppe nach kurzer Diskussion auf

zum Corso Cavour. Hier liegt ein hip-

per Modeladen am andern, alle großen

Marken laufen wir nacheinander

ab, nur dieser eine Schuhladen ist

irgendwie nicht zu finden. Auch die

gute Frau im Zeitungskiosk, die ich

während einer kurzen Wartezeit entdecke,

sieht ziemlich gelangweilt aus

und kann sicher nicht helfen. So viele

Zeitungen? Wer soll das lesen?

Bevor wir uns in den Außenbezirken

verlaufen, kehren wir um. Nach

der Shoppingtour 1, bei der zumindest

endlich einer der schicken

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Selbst heiße und scharfe Sachen lassen die Zeitungsverkäuferin im Kiosk am Corso Cavour völlig kalt.

Anglerhüte den Besitzer wechselt,

machen wir uns auf ins Gewühl der

Altstadtgassen. Es ist wirklich wie im

Reiseführer beschrieben. Selbst in

den engsten Gässchen herrscht reger

Verkehr. Dort, wo man mit dem Auto

Salvador Dali, Superwoman und Bia

de’ Medici auf Papier.

gar nicht mehr durchkommt, klappt

es wenigstens noch mit dem Roller.

Zuhause würde mich das ziemlich

stören, hier in Bari gehört es einfach

zum süditalienischen Leben. An einigen

Stellen der Stadt fallen mir ähnliche

Klebebildchen wie in Valletta

auf. Sie verzieren zahlreiche Türen.

Allerdings tragen die hier abgebildeten

keine Geldkoffer, sondern

Taucherbrillen. Sogar sehr bekannte

Gesichter sind darunter. Es sind Paste-Ups

von Blub, so heißt der Künstler.

Berühmte Gemälde versinken im

Wasser, die Figuren und berühmten

Persönlichkeiten sind mit Tauchermaske

und Schnorchel zu sehen.

Das Motto lautet: L’arte sa nuotare/

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Spontanes Kreuzfahrer- und Klassentreffen in Bari. So klein ist die Welt.

Art knows how to swim! So trifft man

heute mitten in den Straßen von Bari

auf Salvador Dali höchstpersönlich.

Aber auch nicht so berühmte Berühmtheiten

wie Bia de’ Medici von

Agnolo Bronzino (1542) tauchen

unter. Nur Superwoman scheint ohne

Taucherbrille auszukommen. Ist eben

super. Andere Superfrauen lassen

sich mit der alten Vespa, von denen

es hier relativ viele gibt, durch die engen

Gassen kutschieren. Auf unserem

Spaziergang durch die Stadt sehen

wir noch einige italienische Schönheiten

– wohlgemerkt, immer die aus

Blech sind gemeint.

Wir erreichen die Piazza

dell´Odegitria und wollen gerade in

die Basilica Cattedrale Metropolitana

di San Sabino, um etwas für die

Kultur zu tun, da treffen wir auf Felix‘

Schulkameraden. Ey Alder, servus

Digger. Der Besuch des Kircheninneren

verschiebt sich und wir unterhalten

uns eine Weile mit Neos Eltern,

die heute Nacht mit der MSC Fanta-

sia aus Montenegro gekommen sind.

Deren Schiff ist nicht nur mit mehr als

1000 Passagieren mehr als unseres

unterwegs, es geht wohl auch eher

so zu, wie in den engen Gässchen

Baris. Egal ob am Pool oder am

Buffet. Wahrscheinlich ist es genau

so, wie meine Vorstellung von einer

Kreuzfahrt noch vor ein paar Tagen

gewesen ist. Die Jungs tauschen die

neuesten Einkaufstipps und Turnschuhschnäppchen

aus, dann noch

ein Gruppenbild, viel Spaß und gute

Reise weiterhin, bis bald. Das wars.

Durch eines der drei großen Holzportale

treten wir ins Innere der Kathedrale.

Die Krypta beherbergt

zahlreiche Reliquien des Heiligen

Sabinus, dem die Kathedrale auch

gewidmet wurde.

In einem Sarkophag in der Krypta

der Kathedrale von San Sabino in

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Bari liegt eine junge hübsche Frau in

einem Kleid aus besticktem Brokat.

Sie wurde nur 16 Jahre alt und lebte

von 257 bis 273 n. Chr. Es handelt

sich um die heilige Colomba di Sens.

Der Legende nach hatte sie sich geweigert,

den Sohn des römischen Kaisers

Aurelian zu heiraten und ihrem

Die Kathedrale von Bari von außen

und von innen, samt der 1749 Jahre

alten Schönheit.

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christlichen Glauben abzuschwören.

Wütend ließ der knapp 60-jährige

Kaiser sie in ein Bordell in einem Amphitheater

in Sens südöstlich von Paris

sperren, in der auch Raubtiere untergebracht

waren. Als sich ein Mann

dem jungen Mädchen nähern wollte,

wurde er von einer Bärin angegriffen

und zerfleischt. Daraufhin befahl der

Kaiser, die Jungfrau und auch die

Bärin auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.

Ein starker Regenschauer

löschte das Feuer, Colomba wurde

gefasst, gefesselt, mit eisernen Haken

blutig gerissen und zum Schluss wur-

Auf der Suche nach der Nudelstraße.

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Eisessen ist manchmal gar nicht so einfach - auch nicht für einen Profi.

de ihr der Kopf abgeschlagen.

So wurde man damals Märtyrerin.

Anlässlich der Hugenottenkriege

wollte man das Skelett und andere

Reliquien in sichere katholische Gebiete

bringen. Apulien bot sich dabei

an. Teile der Gebeine gelangten

auch nach Rimini.

Papst Pius XI. wollte 1938 alle aufgefundenen

Reliquien der Colomba

di Sens wieder vereinigen und ließ

sie nach Bari in die Krypta der Kathedrale

di San Sabino bringen. 2005

wurden die Gebeine aufwändig

restauriert, zusammengefügt

und mit

Pappmaché

umwickelt,

um der Heiligen

wieder

ein Gesicht

und eine Figur

zu geben.

Nach dieser

knallharten

Geschichte ersparen

wir uns

einen weiteren

Kirchenbesuch.

Die berühmtere

Kirche des Heiligen

Nikolaus

bleibt unbesichtigt.

Und dann war

da noch was mit Nudeln. Inzwischen

müssen wir ziemlich nah an der Arco

Basso, der „Nudelstraße“ sein, über

die ich schon einiges gelesen habe.

Wahrscheinlich haben wir sie schon

richtig eingekreist. Jetzt sind wir auf

Es herrscht nicht immer Harmonie zwischen Fotograf und Model.

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Wenn man beim Fotografieren italienischer Schönheiten erwischt wird ...

Größen rutschen die Teigteilchen von

den Daumen. Tatsächlich treffen wir

in der Arco Basso auch DIE Nudelfrau

schlechthin. Nunzia hat es mit

eigenem Youtube-Kanal und Insta

gram-Account zu Weltruhm gebracht.

Eine Schar von Kindern umringt

sie, wer will, der darf auch mal

selbst mit dem kleinen Messer an die

Teigwurst. Wir kommen ins Gespräch

mit einer gebürtigen Italienerin, die

mit ihrer Familie im Schwarzwald

lebt und zu Besuch in der Heimat ist.

Für sie und ihre Kinder ist es das Allerhöchste,

der Nudelkönigin zuzueinem

guten Weg. Dazwischen liegt

aber noch eine ganz besondere Eisdiele,

die alles Eis mit dunkler Schokolade

überziehen, dort müssen wir

natürlich einen Stopp einlegen. Ein

solches Eis kann eine echte Herausforderung

sein.

Und gleich daneben geht es in

die Nudelstraße von Bari. Sie wird

als die Attraktion in sämtlichen Reiseführern

angepriesen. Hier sitzen

die Nudelfrauen auf der Straße oder

in der Gasse an ihren kleinen Tischchen

und produzieren die typischen

Orecchiette. In allen Farben und

Unterwegs in den Seitenstraßen des Corso Couvir rund um das Teatro Petruzzelli.

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Der Nudelzoff von Bari

Eine Schar älterer Damen in Italiens Südost-Metropole

Bari lehnt sich gegen die Obrigkeit auf. Die will ihre

handgemachte Pasta verbieten.

Eigentlich sollten die Polizeibeamten nur draußen, vor

dem Restaurant am Corso Vittorio Emanuele, einer der

Prachtstraßen in Bari, prüfen, ob dessen Stühle und Tische

nicht über die amtlich zugebilligten Reviergrenzen

hinausragten. Aber weil sie schon mal da waren, sahen

sich die Uniformträger auch drinnen in der Küche ein

wenig um, so geht es aus einem Bericht der Bari-Lokalausgabe

der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“

hervor. Dabei stießen sie auf eine dicke Tüte mit drei Kilo

Nudeln darin, aber ohne Etikett, mithin ohne Herkunftsnachweis

und ohne all die übrigen Angaben, die heute

auf einer Tüte Pasta zu stehen haben. Man ordnete von

Amts wegen eine Strafe und die Vernichtung der illegalen

Nudeln an.

Die Beamten lösten damit einen Streit aus, der in

ganz Italien diskutiert wird und es unter dem Titel „Call

it a Crime of Pasta“ (deutsch etwa „Nenne es ein Nudel-Verbrechen“)

bis auf die Frontseite der „New York

Times“ brachte. Nun soll ein neues Gesetz die eigentlich

ungesetzliche Nudelproduktion erlauben. Aber so einfach

wird das nicht gehen.

Profis im Rentenalter

Die nicht etikettierte Pasta in der No-Name-Tüte war

natürlich nicht irgendein Nudelprodukt: Es waren Orecchiette,

in Heimarbeit hergestellt von Frauen aus Baris

Altstadt, vor allem aus der früher berüchtigten, heute berühmten

Arco-Basso-Straße. Orecchiette sehen aus wie

kleine Öhrchen, deshalb heißen sie so. Außer denen

stellen die Damen noch Orecchioni her, etwas größere

Pasta-Ohren, und Cavatelli, etwas lang gezogene Ohren.

Aber vor allem die kleinen Orecchiette.

Die werden von den Nudelkünstlerinnen, zumeist im

hohen Rentenalter, in unglaublicher Geschwindigkeit auf

dem bemehlten Küchentisch gezaubert: Aus einem Batzen

Teig wird, Stück für Stück, eine dünne Rolle geformt,

und die wird mit einem kleinen, billigen Küchenmesser

mit Plastikgriff und zwei geschickten Händen zu kleinen

Mini-Ohren geschnitten und gedrückt. Drei Sekunden,

fertig, nächste.

Meist schauen die Nudelmacherinnen nicht einmal

hin, sondern plaudern mit den Nachbarn. Denn bei

schönem Wetter wird der Küchentisch draußen aufgestellt,

vor der Haustür, die gleichzeitig die Pforte zur

Küche ist, dem zentralen Raum der meist winzigen Wohnungen

in den uralten Häusern der Altstadt. Unten sitzen

die Nudelmacherinnen oben darüber, auf Leinen oder

den Balkongittern, flattert die Wäsche. Ein Idyll, Italiens

heile Welt. Oder?

Meckerei im Internet

Nicht alle Italiener finden diese Art, Nudeln zu machen

gut. Immer mal wieder gibt es Aufregung in den

sogenannten „sozialen Netzwerken“: ungesetzlich, unhygienisch,

ungesund - unerträglich. Die Mäkler „müssen

unsere Nudeln doch einfach nicht essen“, sagt eine

der Produzentinnen dem SPIEGEL - und damit hat die

Frau, die ihren Namen nicht genannt wissen will, ja auch

irgendwie recht.

Gleichwohl ist das Wirken der Pasta-Damen, gemessen

an den geltenden Vorschriften, eindeutig rechtswidrig.

Ein paar kleine Beutelchen für die Nachbarn, könnten

vielleicht unter „Eigenbedarf“ rubriziert und somit

geduldet werden. Aber in den Gassen von Bari wird eine

ziemliche Menge Öhrchen gedreht, geschnitten und gedrückt.

Somit geht - so unsinnig die Vorschriften auch sein

mögen - am Verbot eigentlich kein Weg vorbei. Denn

auch wenn die Herstellerinnen bereit wären, auf jedes

Tütchen einen Herkunftsnachweis zu pappen, finge ja

das Problem erst richtig an. Hergestellt auf einem bemehlten

Holzküchentisch? In einer Küche mit Opa, Enkel,

Katze und Hund? Von einer Frau ohne Handschuhe und

Haarschutz? Muss man weiter ins Detail gehen? Etwa

die Steuerfrage stellen?

Andererseits traut sich keiner so recht, den nudelaktiven

Bari-Omas das Handwerk zu legen. Das hat etwas

mit der Geschichte der Stadt und deren sagenhaftem

Aufstieg in der jüngsten Zeit zu tun.

Sylvester Stallone tanzt

mit den Nudeldamen

Noch vor kaum mehr als zwei Jahrzehnten galt das

Viertel als heißes Pflaster: düster und heruntergekommen.

Viele Männer arbeitslos, die Kinder mit dem Messerchen

am Pastatisch, daneben die Mütter, die neben

den Nudeln aus dem Balkan eingeschmuggelte Zigaretten

verkauften. Die Stadt war arm, die Einwohnerzahl

schrumpfte bis Mitte der Neunzigerjahre.

Etwa um die Jahrtausendwende brachten die Stadtregenten

Licht und Farbe in die Problemviertel. Investoren

schufen - mit Blick auf den Hafen - im Umland Arbeits-

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plätze. Die Reisenden, die schon immer per Schiff via

Bari nach Griechenland oder auf den Balkan fuhren,

stiegen plötzlich in Bari aus, blieben sogar eine Nacht.

Dann kamen die Kreuzfahrtschiffe. Und heute ist die

Stadt voll. Lonely Planet setzte Bari voriges Jahr auf

die Liste der zehn Top-Tourismus-Ziele in Europa. Ein

Dolce-&-Gabbana-Spot zeigt Sylvester Stallone beim

Tanzen mit den Frauen von Arco Basso und beim Fingerspiel

mit den Orecchiette.

Illegal ja - verbieten nein

Nun ja, sagen Polizei, Justiz und manche rechtschaffene

Bürger: Illegal ist es trotzdem. Man muss es verbieten

oder regeln. Dann, drohen die Nudelköniginnen,

ziehen wir zum Protest vors Rathaus, und die ganze

Welt wird uns helfen. Bürgermeister Antonio Decaro

kapitulierte gleich, ohne Protestmarsch: „Die Nudeln

sind ohne Herkunftsnachweis, aber ich esse sie trotzdem,

sie sind hervorragend“, sagte er bei einem Empfang

zum Jahreswechsel. Nun ist der Bürgermeister zur

Tourismus-Messe in New York gereist, gemeinsam mit

Signora Nunzia, einer der Wortführerinnen der Pastadamen.

Die präsentiert dort - auf Einladung der „New

York Times“ - ihre Öhrchen. Und die sollen daheim verboten

werden?

Nein, sagt Bürgermeister Decaro, nebenbei Präsident

von ANCI, der Vereinigung aller italienischen

Kommunen, und hat schon eine Idee: Seine ANCI soll

dem Parlament in Rom einen Gesetzentwurf vorlegen,

der den Streit „endgültig löst“, sagte seine Sprecherin

Aurelia Vinella dem SPIEGEL. Ein Gesetz mit „stark vereinfachten

Vorschriften“ nicht nur für die Öhrchen-Produktion,

sondern „für alle handgemachten, traditionellen

Lebensmittel in Italien“, vom „hausgemachten Käse,

von Honig, Marmelade und Brot bis zu getrocknetem

oder in Öl eingelegtem Gemüse“. Für die Handarbeit

müsse es andere Regeln geben als für die Fabrikproduktion,

sagt Dottoressa Vinella.

Ein heldenhaftes Vorhaben - leider mit nur geringen

Erfolgsaussichten. Denn einfache Vorschriften

in Italien, das ist ein Widerspruch per se. Das haben

schon viele versprochen. Geklappt hat es nie.

Hans-Jürgen Schlamp, Spiegel online, 26.01.2020

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Impressione di pasta

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sehen. Da drücken wir der Mamma

Nunzia, die es auch bei uns bis in

den Spiegel geschafft hat, doch mal

alle Daumen, dass sie den angezettelten

Nudelkrieg gewinnt.

Wir haben genug genudelt und

verlassen die Arco Basso. Bari – Nudelstraße

– Check. Aber wo sind jetzt

die Turnschuhe mit „N“? Die kleine

Reisegruppe diskutiert ein bisschen,

läuft ein bisschen, sucht ein bisschen.

Aber der Neo hat doch gesagt, er

hat im Footlocker die Neusten gesehen.

Aber wo ist der Footlocker?

Danke Googlemaps wissen wir bald,

dass wir heute früh einfach noch 200

Meter weiter hätten laufen müssen,

um den absoluten In-Laden für Turnschuhe

(wahrscheinlich darf man die

gar nicht so altmodisch bezeichnen

…) zu finden. Zum Glück ist Baris

Neustadt im gleichen rechteckigen

Raster angelegt, wie Valletta. Links,

rechts; links, rechts, geradeaus und

noch ein Stück gelaufen, da ist er.

Der Footlocker. Also alle Mann rein –

bis auf mich. Während dreiviertel der

Crew nach Schuhen sucht, suche ich

ein paar Motive.

Direkt gegenüber ist das Teatro

Petruzzelli, mit knapp 1500 Plätzen

eines der größten Privattheater Italiens.

Die wunderschöne Architektur

und die außerordentliche Akustik machen

das Teatro Petruzzelli zu einem

Juwel unter den Opernhäusern Europas.

Es wurde ab 1898 gebaut, weil

das „Teatro Piccinni“, das erst 1854

eingeweiht wurde, nicht für die Inszenierung

der Oper „Cavalleria

Rusticana“ von Pietro Mascagni ausreichte.

Um dieses Problem zu lösen,

verpflichtete sich der damalige Gemeinderat,

12 XNUMX Lire (wer kann

Das aufwändig wiederaufgebaute Teatro Petruzzelli, leider nur von außen.

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Raffaele Armenise, ist es mit purem

Gold verziert. Leider sehe ich es nur

von außen.

Nach einer langen Glanzzeit erlebte

das Theater in der Nacht zum

27. Oktober 1991 die dunkelste Seite

seiner Geschichte. Bellinis Norma

war gerade im Rampenlicht, als es

durch Brandstiftung zerstört wurde.

Das Feuer hüllte die Bühne vollständig

ein, beschädigte die Tribünen und

brachte die von Armenise mit Fresken

verzierte Kuppel aus gehärtetem Glas

zum Einsturz. Das katastrophale Erdas

lesen?) an das Unternehmen zu

vergeben, welches einen Neubau

wagt.

Die Brüder Onofrio und Antonio

Petruzzelli, zwei Kaufleute und

Reeder aus Triest verwirklichten den

Traum und am 14. Februar 1903 wurde

das Petruzelli mit dem Werk „Gli

Ugonotti“ von Giacomo Meyerbeer

eingeweiht. Das Theater, das imposant

auf dem Corso Cavour steht, hat

eine Fassade im spätliberalen Stil.

Innen mit Fresken des Bari-Malers

eignis war ein schwerer Schlag für

die ganze Stadt und eine echte Tragödie

für die Musik- und Kunstwelt.

Es folgte eine lange Restaurierung,

die im Dezember 2009 endete. Das

Petruzzelli wurde schließlich an die

Stadt Bari zurückgegeben und mit

einem Konzert mit der 9. Sinfonie von

Ludwig van Beethoven wiedereröffnet.

Obwohl der Turnschuhladen nicht

besonders groß ist, bleibt mir genug

Zeit, das Theater und die Straßen

drumherum zu erkunden. Und prompt

Wenn der Turnschuheinkauf fast ins Wasser fällt.

59


Auf dem Rückweg zum Shuttlebus kommt endlich der

Anglerhut zur Geltung.

läuft mir dabei die Familie Lehner wieder über den Weg,

sie machen sich auf zu ihrer Fantasia. Auch Felix und

seine beiden Einkaufsberater kommen wieder ins Freie.

Allerdings mit leeren Händen. Eine kurze Unterhaltung

zwischen dem Alden und dem Diggen bringt dann die Erklärung:

klar gibt es die gesuchten und nicht gefundenen

Schuhe im Footlocker. Aber eben in dem in Kotor in Montenegro,

wo sie gestern waren. Deshalb leider no nikes

today, nur ein paar Socken, mehr kommt nicht in die Tüte..

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Selbst beim Fotografieren der Fischerkähne wird man gestalkt.

Jetzt ist eigentlich alles erledigt.

Ok, wir haben den Nikolaus nicht

besucht, wir waren nicht in der Zitadelle,

wir haben das Theater nur

von außen gesehen und wir haben

nicht mal Nudeln gekauft. Aber Socken.

So schlendern wir entlang der

Uferpromenade zurück in Richtung

Hafen. Nicht zu dem Hafen, in dem

das große blaue Schiff liegt, sondern

zuerst dorthin, wo viele kleine blaue

und rote Schiffchen liegen. Gegenüber

steht ein wunderschönes Ju-

gendstilgebäude, das Museo Teatro

Margherita. Früher war es Kino und

Theater, heute ist es ein Ausstellungsort

für zeitgenössische Kunst. Auch

das könnte man beim nächsten Mal

besuchen. Dass hier wo wir stehen

am Morgen mit Fisch gehandelt wird,

ist deutlich zu riechen. Die Stände in

der langen Halle sind längst leer und

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62

Auf der Abbey Road von Bari


Durch das Terminal Crociere gehts zurück in unser großes, blaues Zuhause.

63


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Lebenslust und Fahrräder: unser Schiff

liegt noch am Terminal, während die

MSC Fantasia schon unterwegs zum

nächsten Hafen ist.

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gereinigt für den nächsten Markttag.

Aber direkt am Wasser sitzen

drei Fischer in der Sonne, vor ihnen

eimerweise kleine Tintenfische. Sie

sortieren und reinigen die Tiere, um

sie herum kreischen die Möwen, die

auf Abfälle warten.

Nur noch ein paar Schritte und

wir sitzen im Bus, der uns zu meinem

Schiff zurückbringt. Bari ist eine besuchenswerte

Stadt und mit mehr Zeit

lohnen sich sicher auch Ausflüge ins

apulische Hinterland. Uns muss der

Schnelldurchlauf genügen, das ist

das Los der Kreuzfahrer.

Bevor wir die Eingangskontrollen

durchlaufen, muss ich natürlich nochmal

am Anleger entlang gehen und

die Größe des Schiffes bewundern.

Zurück an Bord genießen wir die

Ruhe auf der Terrasse der X-Lounge,

bevor wir uns zum Abendessen fertig

machen. Draußen taucht die untergehende

Sonne Bari in herrliches Licht.

Wir stehen an der Reling und zum

zweiten Mal erklingt der Graf. Große

Freiheit, Ciao Bari.

Den Abend verbringen wir heute

auf Miris Einladung im Schmankerl.

Man braucht etwas Geduld, aber

das Essen schmeckt dafür sehr, sehr

lecker. Ob ich aber Alpenländische

Spezialitäten, serviert von einem

österreichischen Kellner auf einem

Kreuzfahrtschiff inmitten der Adria

brauche?

Mit vollen Bäuchen lassen wir uns

hinterher wieder an unserem Stammplatz

in der Cocktailbar nieder. Ein

paar Runden Uno gehen doch immer.

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67


nochmal

WELTKULTURERBE

bitte

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69


Am Morgen weht über uns die kroatische Flagge, während im Pool schon das

Wasser schäumt.

Tag 4 unserer Reise beginnt, guten

Morgen. Auch diesmal habe ich nur

irgendwann im Morgengrauen ein

leichtes Vibrieren des Schiffs gespürt,

wahrscheinlich beim Anlegen. Als wir

heute die Jalousien öffnen, liegen wir

im Hafen von Dubrovnik. Über uns

Adria von West nach Ost durchquert.

Nur 110 Seemeilen, also gut 200 Kilometer,

liegen Italien und Kroatien

hier auseinander.

Inzwischen haben sich morgendliche

Rituale eingeschlichen. Felix natürlich

noch im Bett, Doreen im Bad,

flattert die kroatische Flagge, neben

uns fahren unzählige kleine Boote hinaus

aufs Meer oder kommen schon

zurück. In der Nacht haben wir die

Von hier oben hat Kapitän Greulich

den Überblick.

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Most Franjo-Tuđman mit Büscheln und Harfen und das heutige Ausflugsziel der Gruppe 15.

ich ein bisschen auf dem Dach mit

dem Fotoapparat und Käpt’n Schotte

beim Workout im Pool. Da können

sich die anderen im Becken aber

eine Scheibe abschneiden!

Dubrovnik hat insgesamt drei

Häfen. Den berühmten Stadthafen,

heute Alter Hafen genannt, den

Yachthafen ACI und den großen

Handelshafen Gruž, in dem unser

Schiff heute ganz alleine liegt. Hätten

wir durch die schöne Franjo-Tuđman-

Brücke gepasst, die seit 20 Jahren

die Bucht überspannt, dann hätten

wir in der Yacht Marina vorbeischauen

können. Aber sogar 50 Meter

lichte Höhe reichen nicht aus. Man

kann ein solch technisches Meisterwerk

auch fast poetisch beschreiben:

„Die einhüftige

Schrägseilbrücke besteht

aus dem 244 m langen

Hauptfeld, das auf

dem Überbaukragarm

der Spannbetonbrücke

gelagert

ist und dem 80,7 m spannenden

Seitenfeld. Das Hauptfeld wird von

zehn büschelförmig angeordneten

Seilpaaren getragen, drei Seilpaare

tragen das Seitenfeld. Sechs harfenförmig

angeordnete Seilpaare spannen

direkt vom Pylon zum südlichen,

18,8 m langen Widerlager und sind

dort verankert.“ So, so. Gebaut wurde

sie vom deutschen Bauingenieur

Herbert Schambeck, der auch für die

Große Weserbrücke in Bremen verantwortlich

war, nicht weit von der

Schlachte entfernt. Hört, hört. Und

schöne Motive gibt sie auch her.

Wir bereiten uns in der X-Lounge

bei Champagner, Kaviar, Omlettes,

Cappuccino, frisch gepresstem Orangensaft

und natürlich Pancakes auf

den heutigen Landausflug vor.

Diesmal haben wir gebucht.

Aber nur, weil es so einfacher

ist, an die Karten für

die Seilbahnfahrt zu

kommen. Danach

steht eine kurze

Stadtführung

auf dem Programm.

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Oben: Wer hat‘s erfunden? Die Schweizer! Unten: Blick über die Altstadt und die Insel Lokrum.

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Geschichtsunterricht mit verschiedenen Stufen der Motivation am Gipfel des Srd.

Nach freier Zeit für eigene Erkundungen

soll uns der Shuttlebus wieder

zurückbringen.

10:15 Uhr ist für die Abfahrt vorgesehen.

Vor dem Schiff stehen drei

Busse bereit um die Ausflügler aufzunehmen.

Vor dem ersten Bus hat

sich bereits eine Schlange gebildet,

an der wir uns mit anstellen. Und wie

es wohl typisch für deutsche Urlauber

ist, stellen sich die ganz schlauen

nicht hinter uns an, sondern belegen

die vordersten Plätze in einer neuen

Schlange Bus Nummer zwei. Während

wir nach einer Weile in den klimatisierten

Bus können, schlägt bei

den Schlaumeiern die TUI-Ordnung

zu. Schreibt man Schlaumeier eigentlich

mit ai oder mit ay? Sie werden

mit deutlichen Worten auf die letzten

Plätze in unserem Bus verteilt. Ordnung

muss sein.

Zum ersten Mal werden diese

kleinen Kopfhörer mit den Empfangsgeräten

verteilt, die ich in Rothenburg

schon um so viele Touri-Hälse

habe baumeln sehen. Kaum stecken

die Stöpsel in den Ohren, stellt sich

Sandra vor, unsere Gästeführerin an

diesem Tag. Sie wohnt in Dubrovnik

und ist auch hier geboren. Sie hat

die dramatischen Zeiten des Balkankrieges

als Kind erlebt und wird uns

später davon erzählen. Die Fahrt mit

dem Bus dauert nur eine Viertelstunde,

dann haben wir die Talstation der

Seilbahn erreicht.

Hatte ich eigentlich schon gesagt,

dass wir im Land der fehlenden Vokale

zu Besuch sind? Wir fahren gleich

auf den Hausberg Dubrovniks, den

Brdo Srd, mit sagenhaften 412 Metern

Höhe. In knapp 4 Minuten bringt

die große Gondel der Dubrovnik Cable

Car die Besucher nach oben.

Schon beim Warten auf die Gondel

hat man einen schönen Blick über

die Dächer der Altstadt und den alten

Hafen. Außerdem gibt es auch eine

Kuhglocke zu bewundern. Sie hängt

als Erinnerung an die – wer hats erfunden?

– richtig, die Schweizer von

der Graventa AG, die die Seilbahn

2010 neu gebaut haben. Die ersten

Gondeln fuhren bereits seit 1969 den

Berg hinauf und hinunter.

Dank geschicktem Anstellen, erwische

ich einen Platz direkt an der

Scheibe mit Blick auf die Altstadt und

das Meer. Wirklich gute Bilder lassen

sich von hier aus nicht machen,

aber der Ausblick wird mit jedem

Höhenmeter besser. Oben angekommen

versammeln wir uns auf der

Aussichtsplattform, wo uns Sarah ein

bisschen über ihre Heimatstadt er-

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Gipfelszenen - gib mir jetzt meinen

Fotoapparat wieder. Und

schon wieder eine freche Mama.

zählt. Auch über den Krieg, den sie

als Kind miterlebt hat.

Für Dubrovnik war diese „Übersichtlichkeit“

vom Srd nicht immer von

Vorteil. Während des Krieges Anfang

der 1990er-Jahre verschanzten sich

am Berg kroatische Nationalgardisten,

die Dubrovnik belagerten.

Die Seilbahn sowie das Gipfelkreuz

wurden damals völlig zerstört.

Die Angriffe wurden im Juni

1991 durch die Jugoslawische

Volksarmee begonnen und endeten

neun Monate später im Jahr

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1992 nach einer Gegenoffensive. Während der

Belagerung wurden zahlreiche zivile Ziele bombardiert.

Im Stadtgebiet schlugen mehrere tausend Granaten

ein und laut kroatischem Roten Kreuz kamen

dabei insgesamt 114 Zivilisten und 200 Soldaten

ums Leben.

Während unsere Mitgondler als nächstes zur

nächsten Aussichtsplattform auf das Dach der Seilbahnstation

steigen, erkunden wir zuerst die Gegend

um den Gipfel. Landeinwärts sehen wir nichts außer

graubraune, wenig bewachsene Hügel. Man könnte

per Quad in diese Einöde fahren, wir lassen es beim

Gucken. Auch hier wird der Krieg wieder präsent. In

der Ruine des Fort Imperial aus dem frühen 19. Jahrhundert

erzählt eine eindrucksvolle Ausstellung mit

Waffen, Fotografien und Landkarten die Geschichte

des Jugoslawien-Krieges von 1991 bis 1995. Damals

waren wir erschrocken und dachten, so etwas

kann doch nicht ein paar hundert Kilometer von Zuhause

weg stattfinden. Heute hat uns die Wirklichkeit

schon seit einem Dreivierteljahr wieder eingeholt.

Erinnerungen an den Jugoslawienkrieg. Von hier

oben wude Dubrovnik unter Beschuss genommen.

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Das riesige Marmorgipfelkreuz

dient heute ebenfalls als Erinnerungsstätte

und Mahnmal. Es wurde nach

dem Krieg wieder neu aufgebaut,

nachdem das vorherige zerstört war.

Es war ein Geschenk Napoleons,

dem modernen Krieg konnte es allerdings

nicht widerstehen. Kerzen und

immer frische Blumen erinnern an die

Gefallenen von Dubrovnik.

Die Aussicht auf den Stadtkern

und die umgebende Stadtmauer,

weiter draußen die Insel Lokrum, ist

fantastisch! Wir genießen den Berg

und bevor wir uns nach einer Dreiviertelstunde

zur Talfahrt treffen, steigen

auch wir nochmal auf das Dach

hinauf und schauen runter.

Die Uhr tickt, die Gondel kommt,

die Gruppe fährt. Der Srd ist auf jeden

Fall einen Abstecher wert. Sicher

hat man von hier oben auch am

Abend einen tollen Blick. Von den

Fahrtzeiten der Seilbahn ist man unabhängig,

wenn man entweder den

Fußweg benutzt oder mit dem Auto

über die staubige Straße nach oben

kommt. Das müssen wir uns merken.

Das Treppenhaus zur oberen Aussichtsterrasse

war für einen Moment

ganz leer.

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Der alte Hafen mit den kleinen Booten (oben) und ein letzter

Blick auf die Altstadt (unten), bevor die Gondel uns wieder

in die Stadt bringt.

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Unten angekommen machen wir

uns zu Fuß auf in die Altstadt. Durch

einen engen Hohlweg, direkt an der

Stadtmauer entlang, laufen wir zu einem

der drei einzigen Tore, die durch

die Mauer führen. Der Mauerring

gehört zu den am besten erhaltenen

Festungsanlagen in ganz Europa. Er

ist 1940 Meter lang und weist fünf

Festungen und sechzehn Türme und

Bastionen auf. Gut 30.- Euro pro Person

kostet der Eintritt auf die Mauer.

Beim nächsten Mal würde ich den

Eintritt bezahlen, da man von dort

oben sicher einmalige Aus- und Einsichten

auf und in die Stadt hat. Die

Links: die mächtige Mauer und der

schmale Zugang nach oben. Während

Sarah uns ihre Erlebnisse schildert,

holt Felix frisches Wasser aus

dem Onofrio-Brunnen.

Hinter dem Brunnen steht die kleine

Erlöserkapelle. Auf dem Stadtplan

sind die Schäden des Krieges exakt

kartiert.

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Dubrovnik

Die Geschichte Dubrovniks geht bis ins 3. Jahrhundert

v. Chr. zurück. Zu dieser Zeit befand sich auf der kleinen

Insel, welche in der Antike als „Ragusa“ bezeichnet wurde,

eine illyrische Siedlung. Erst mit den Jahren und der

Besiedelung des gegenüberliegenden Festlandes durch

die Slawen entstand eine Freundschaft oder Beziehung

beider Völker. Aufgrund dieser freundschaftlichen Beziehungen

wurde im 12. Jahrhundert der Kanal zwischen der

Inselsiedlung und der slawischen Bevölkerung auf dem

Festland aufgeschüttet. Dieser ehemalige Kanal ist die

heute die berühmte Hauptstraße Dubrovniks, die Stradún.

Im Mittelalter entwickelte sich Dubrovnik (damals Republik

Ragusa) zu einem blühenden Stadtstaat und spielte

eine Vorreiterrolle im Menschenrecht als man 1416 die

Sklaverei abschuf. Durch einen stetig wachsenden Handel

mit den Osmanen stieg Ragusa zu einer Handelsmacht

auf, was einen Zwist mit „Marktführer“ Venedig zu Folge

hatte. Im 17. Jhdt verlor Dubrovnik nicht zuletzt durch

ein verheerendes Erdbeben immer mehr an Einfluss und

Macht. Dennoch machte man 1776 von sich Reden als

man als erster Staat weltweit die Unabhängigkeit der Vereinigten

Staaten von Amerika anerkannte. Von Napoleon

erobert wurde Dubrovnik anschließend zur illyrischen Provinz

degradiert.

Noch zu Zeiten der Habsburgerherrschaft begann sich

der Fremdenverkehr am Anfang des 20. Jahrhunderts zu

entwickeln, eine bis 1970 existierende Straßenbahnlinie

zum Neuen Hafen wurde gebaut, und der Bruder von

Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Ferdinand Maximilian von

Österreich ließ sich auf der vor der Stadt liegenden Insel

eine Sommerresidenz errichten.

Von 1918 bis 1941 gehörte Dubrovnik zum „ersten“

Jugoslawien. Der Tourismus entwickelte sich weiter, zunächst

eher auf exklusiver Basis. Luxusvillen entstanden,

wie z. B. die bis heute existierende, orientalisierende Villa

Šeherezada des estnisch-amerikanischen Hotel- und Casinomillionärs

William D. Zimdin östlich der Altstadt. Im

Rahmen der Umstrukturierung der inneren Landesgrenzen

wurde Dubrovnik 1939 aufgrund historischer Gründe

und der mehrheitlich kroatischen Bevölkerung ein Teil der

Banschaft Kroatien (Banovina Hrvatska). Während des

Zweiten Weltkriegs kam die Stadt zum so genannten Unabhängigen

Staat Kroatien unter Ante Pavelić.

Nach 1945 blieb Dubrovnik Teil der kroatischen Teilrepublik

im zweiten Jugoslawien. Die Stadt wurde in der Zeit

nach dem Zweiten Weltkrieg eines der wichtigsten Ziele

des Adria-Tourismus. Die UNESCO hat schon 1979 die

Altstadt von Dubrovnik auf die Liste des Weltkulturerbes

aufgenommen.

Im Kroatienkrieg wurde die zum Weltkulturerbe gehörende

Stadt belagert und beschossen. Die Angriffe

wurden im Juni 1991 durch die Jugoslawische Volksarmee

(JNA) begonnen und endeten neun Monate später

im Jahr 1992 nach einer Gegenoffensive. Während der

Belagerung wurden zahlreiche zivile Ziele bombardiert.

Laut Kroatischem Roten Kreuz kamen dabei insgesamt 114

Zivilisten ums Leben. Die materiellen Schäden sind mittlerweile

fast vollständig behoben und die Stadt gilt wieder

als das beliebteste Urlaubsziel in der Region. Heutzutage

ist Dubrovnik Hochburg des Adria-Tourismuses und Jetset-

Metropole für die High Society.

Bekanntheit erlangte Dubrovnik unter anderm auch als

Drehort für die beliebte Fernsehserie „Game of Thrones“.

Unter anderem die Festung Lovrijenac, das Pile-Tor und

Teile der Stadtbefestigung wurden in der Serie als Schauplätze

verwendet.

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eineinhalb Stunden, die uns nach der geführten

Tour als Freizeit bleiben, sind dafür

allerdings zu wenig. Dubrovnik ist eine der

kroatischen Städte, die ich durchaus ein zweites

Mal besuchen würde – und das gilt nicht

für alle auf unserer Tour. Direkt hinter dem

Pile-Tor, durch das wir gehen, bleiben wir

an einem großen Stadtplan stehen. Eindringlich

beschreibt Sarah, wie sie als

Kind den Krieg in ihrer Heimatstadt

erlebt hat. Wenn sie während

Feuerpausen zum Wasserholen

geschickt wurde, oder

wie sie mit Nachbarskindern

zwischen zerstörten

Häusern gespielt hat.

Auf der Karte zeigt

sie uns die Zerstörungen

von

damals. Jedes der kleinen schwarzen Dreiecke

steht für ein zerstörtes Dach nach einem Granateinschlag,

heruntergebrannte Gebäude sind rot

markiert, auch Schäden durch Granatsplitter sind

eingezeichnet. Es sind so viele Markierungen,

dass wir eigentlich eine Ruinenstadt erwarten

müssten. Aber die komplette Altstadt wurde

nach Ende des Krieges wieder aufgebaut.

Heute erinnern nur noch wenige

beschädigte Häuser an die schrecklichen

Ereignisse.

Wir halten vor der kleinen Erlöserkapelle,

direkt hinter dem

Tor, an der der Stradún beginnt.

Hier befindet sich

der Onofrio-Brunnen,

dessen Name den

Baumeister des

Aquädukts von

Der Stradún mit seinem glatt polierten

Pflaster und unserer Kreuzfahrergruppe

Nummer 15.

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Enge Gassen, Tore und Treppen - und Wäsche. Typische Motive in Dubrovnik.

Dubrovnik aus dem 15. Jahrhundert

ehrt. Der Aquädukt ist 11,7 km lang

und leitete Wasser aus dem Landesinneren

zur Stadt. Onofrio della

Cava errichtete zwei Brunnen, von

denen sich der kleinere neben dem

Glockenturm von Dubrovnik befindet.

Auch heute kann man sich im Sommer

am Brunnen mit frischem, kühlen

Trinkwasser erfrischen. Zum Glück

haben wir unsere Flaschen schon

leer, sodass Felix alle nacheinander

auffüllen kann. Es ist heiß in der Stadt.

In der nächsten Stunde geht es

kreuz und quer durch die engen

Gässchen. Immer wieder überqueren

wir den Stradún.

Der Stradún ist die lebhafte Hauptstraße

der Altstadt mit vielen Geschäften,

Cafes etc. Einst war hier der

Meereskanal, der die beiden Siedlungen

Dubrava und Ragusa trennte

und den man später zuschüttete. Das

glatte Straßenpflaster wurde 1648

von den Dubrovniker Bürgern verlegt,

nachdem unterhalb der Straße

eine Wasserleitung angelegt worden

war. Es glänzt wie frisch poliert. Zum

Glück ist es heute trocken, bei Nässe

kann man bestimmt barfuß Schlittschuhfahren.

Die Häuser an beiden

Straßenseiten baute man nach dem

Erdbeben von 1667 einheitlich wieder

auf.

Diese Straße ist zugleich die kürzeste

Verbindung zwischen dem

westlichen, dem Pile-Tor, durch das

wir gekommen sind, und dem östlichen

Stadttor, dem Ploče-Tor. Wer

braucht schon eine „kürzeste Verbindung“?

Sarah leitet uns durch enge

und engste Gässchen hin und her,

Fotomotive an jeder Ecke, noch mehr

Touristen, so wie wir auch, die sich in

die selbigen drängeln. Solange ich

im Ohr noch Sarahs Stimme höre,

ist alles gut. Aber sobald sie um die

Ecke biegt, während ich die Treppen,

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Und überall flattert Stoff im Wind, mal als Landesflagge, mal frisch aus der Waschmaschine.

die Gässchen und immer wieder die

über die Straße hängende Wäsche

fotografiere, wird es still. Es ist gar

nicht so einfach, den Anschluss nicht

zu verlieren. Auch auf dieser Runde

wird klar, Dubrovnik ist wirklich einen

längeren Besuch wert.

Immer wieder kommen wir an

Game-of-Thrones-Läden vorbei.

Hier in der Stadt, auf Lokrum und

in der Umgebung wurden viele Teile

der Serie gedreht. Hier ist der Treffpunkt

für alle Fans – und ich habe

nicht eine einzige Folge gesehen.

Sollte ich das doch mal ändern?

Nach endlosem Hin und Her entlässt

uns Sarah vor dem Justizpalast

am östlichen Ende des Stradún. Auf

direktem Weg hätten wir vielleicht

gerade mal fünf Minuten gebraucht.

Überall sieht man Gruppen wie unsere,

die bunten Nummerntafeln oder

flatternden Fähnchen hinterherlaufen.

Wir sind nun auch der Typ Besucher,

die bei uns zuhause überall auffallen.

Wenn Rothenburg in manchen Berichten

noch immer mit Overtourism

Vorsicht beim Reiben!

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Kleine Boote im beschaulichen Alten

Hafen und als Kunstwerk an der

Wand (oben). Am östlichen Ende des

Stradún endet auch unser Rundgang

(unten).

in Verbindung gebracht wird, dann

sollten die Journalisten im Anschluss

immer gleich eine Reise nach Du

brovnik buchen. Wenn mehrere

Kreuzfahrtschiffe zeitgleich ihre Passagiere

in die Altstadtgassen entlassen,

dann kann es hier schon unangenehm

voll werden.

Unser 4er-Team ist etwas unschlüssig,

wie es weitergeht. Ein paar

Schritte weiter befindet sich die Bronzestatue

des Ragusan-Renaissance-Dramatikers

Marino Darsa (alias

Marin Drzic), auch bekannt als Shakespare

von Ragusa. Schon auf den

ersten Blick fällt die sehr glänzende

Nase des Dichters auf. Als erfahrene

Bremerstadtmusikantenstreichler

wissen wir natürlich, was es damit

auf sich hat. Angeblich soll es Glück

bringen, an der Nase zu reiben. Angeblich.

Eine andere Sage erzählt,

dass nach dem Reiben die eigene

Nase so groß wird, wie die der Statue.

Der Vergleich zeigt, dass gar

nicht mehr soviel fehlt. Zum Glück

hält er ein Buch in den Händen. Gut,

dass Funchal nicht auf unserer Route

liegt. Dort steht eine lebensgroße

Staue von Ronaldo, die nämlich an

ganz anderer Stelle auf Hochglanz

poliert ist.

Zur Freude unseres Nasenreibers

schauen wir uns danach mal wieder

eine Kirche von innen an.

Direkt gegenüber ist die Kirche

des Heiligen Blasius, der einem hier

auf Schritt und Tritt begegnet.

Außen eigentlich schlicht, innen

ziemlich viel Prunk und knallig-bunte,

moderne Fenster.

In der Kirche befinden sich 370

Reliquien von 250 christlichen

Heiligen.

Unter diesen

sind auch nicht

zerfallene Körper,

welche als

Phänomen betrachtet

werden,

da Wissenschaftler

noch immer nicht

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Hochspannung bei der touristischen

Jugend und die pompöse Innenausstattung

von Blasius‘ Kirche.

entdeckt haben, was deren Zerfall

verhindert hat. Neben den Körpern

wurde auch die Kleidung bewahrt,

in welcher die Heiligen beigesetzt

wurden. Die Mumien befinden sich

in gläsernen Särgen. Schon wieder

Frauenleichen.

Nach dem Kirchenbesuch schlendern

wir am kleinen Alten Hafen

entlang, den wir schon vom Srd aus

gesehen haben, wo die Restaurants

in der Mittagshitze auf Gäste warten

und ungezählte Ausflugsboote auf

Mitfahrer. Kleine Motor- und Ruderboote

dümpeln träge vor sich hin, an

dieser Ecke der Stadt herrscht kein

Gedränge. Sicher ist abends hier

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Die historische Sprechanlage und

andere Eindrücke aus der Kathedrale

von Dubrovnik (links).

Das Franziskanerkloster am Ende

unsers Rundgangs über den Stradún.

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Seeluft, Leichtigkeit, Wohlfühlen, Harmonie und Genuss

liegen gut vertäut im Hafen von Gruz.

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mehr los.

Zur großen Freude von Felix liegt

noch eine zweite Kirche auf dem

Weg, die Kathedrale von Dubrovnik.

Auf der Heimfahrt vom dritten

Kreuzzug durch die Adria hat Richrd

Löwenherz Schiffbruch erlitten und

ist mit knapper Not zur Insel Lokrum

gelangt. Richard hat zum Dank für

die Rettung den Bau der Kathedrale

finanziert, die wir jetzt besichtigen.

Wir haben übrigens mehr Glück als

Richard Löwenherz. Unser Schiff ist

noch ganz, deshalb brauchen wir

wohl auch keine Kirche bauen. Anschauen

reicht. Gleich hinter dem

Eingang ist eine historische Sprechanlage.

Ob man seine Sünden hier

aufsagen muss, bevor man eintreten

darf oder ob man erst wieder rausgelassen

wird, wenn man alles erzählt

hat – wer weiß. Wir haben es nicht

ausprobiert.

Neben der Kirche ist ein kleiner

Markt, auf dem es neben Obst und

Gemüse aus der Umgebung auch diverse

Souvenirs gibt. Nein, wir haben

keines davon für den neuen Philosophenweg

gekauft. Langsam wird es

Zeit, zum Treffpunkt für die Rückfahrt

zu gehen. Auch diesmal nehmen wir

nicht den direkten Weg über den

Stradún, sondern genießen die, inzwischen

nicht mehr so volle Kulturerbestadt,

die nicht nur Mitbringsel für

Game of Throne-Fans in den Schaufenstern

hat.

Durch das Pile-Tor verlassen wir

die ummauerte Stadt auf dem gleichen

Weg, den wir gekommen

sind. Ein Teil unserer Gruppe wartet

schon auf den Bus. Es ist aber noch

genügend Zeit, einen Blick über die

Mauer aufs Meer und auf die geneüberliegende

Festung Lovrjenac zu

werfen. Felix macht derweil ein bisschen

Blödsinn mit unserer 15. Dafür

bekommt er von Sarah gleich den

Job als Schilderhalter aufgebrummt,

für den er dann auch etwas Unterstützung

von mir braucht.


Sonnenuntergänge für den Fotografen,

ein Hündchen für den Kleinen.

Unser Shuttle hält an der Bordsteinkante,

schnell einsteigen, wir

sind ein mehrfach behuptes Verkehrshindernis

an dieser engen Stelle. Es

geht zurück nach Gruz. Und wie in

Bari muss ich mich vor dem Entern

des Schiffes erst wieder an der Hafenanlage

herumtreiben. Der Posten

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der Maritime Police kann heute eine

ruhige Kugel schieben. Außer mir

ist niemand auf dem riesigen Platz.

Immer wieder sehe ich mein Schiff

aus einer anderen Perspektive. Es ist

schon fast anachronistisch, dass solche

hochmodernen Maschinen nach

wie vor an klassisch geknüpften Tauen

festgemacht werden. Es scheint bis

heute nichts Besseres zu geben.

Jetzt ist es dann wieder Zeit für

einen kühlen Drink auf unserer Sonnenterrasse.

Das haben wir uns verdient.

Dubrovnik führt momentan vor

Bari und Valletta die Liste der Städte

an, die auf jeden Fall nochmal einen

Besuch wert sind.

Bevor wir uns zum abendlichen Atlantikbesuch

– Achtung Erdkundler:

unser Atlantik liegt mitten in der Adria

- fertig machen, natürlich im langen

Beinkleid, erleben wir einen weiteren,

grandiosen Sonnenuntergang in

der Bucht von Dubrovnik. Jeder Zentimeter,

den sich die Sonne bewegt,

bringt eine völlig neue Stimmung. Ich

kann gar nicht so viele Bilder einfangen,

wie ich sehe. Die gemachten

Bilder konserviert die Kamera, die

vielen nicht gemachten Bilder bleiben

auf jeden Fall im Kopf.

Der Graf muss diesmal ohne uns

singen, trotzdem klappt das Auslaufen.

Auf Wikinger Gräulich ist Verlass.

Während das Schiff an den unzähligen

Inseln vorbeigleitet, sitzen

wir im Theatersaal. Heute ist Showtime.

Die Akrobaten geben alles. So

wie wir auch, Tag für Tag. Und auch

nach Sonnenuntergang.

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Offene

See

261 nautische Meilen

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So weit ist die Strecke von Dubrovnik,

die wir seit gestern Abend

bis morgen früh zurücklegen müssen.

Dazwischen liegt unser heutiger

zweiter Seetag. Natürlich beginnt

auch der mit einem Frühstück. Champagner,

Cappuccino, Ka …, aber

das ist ja nichts neues mehr. Danach

spazieren wir ein bisschen über das

Schiff, bevor wir uns aufs Sonnendeck

legen. Sonne, ein Buch, etwas

Kühles zu trinken, ein bisschen einnicken

– aber auch das ist ja nicht

mehr neu.

Zur Abwechslung begleite ich

Felix am frühen Nachmittag mal ins

Tag&Nacht-Bistro. Einmal wird ja

auch für mich ein Burger erlaubt sein.

Danach aufs Sonnendeck, ein bisschen

lesen, ein bisschen einnicken,

etwas Kühles zu trinken. Sogar das

passende Buch habe ich im Reisegepäck.

„Offene See“ von Benjamin

Myers. Im Prinzip geht es auch um

eine Reise, die der junge Robert im

Buch macht. Wer jetzt meint, das sei

langweilig, der irrt. Man muss ganz

bewusst das Nichtstun genießen

können, dann sind solche Seetage

ein Traum. Da bleibt auch mal die

Zeit, um sich über Vorratsbeschlüsse

zu unterhalten. Und man kann zwischendurch

ja auch mal in den Pool

hüpfen.

Gegen Abend warten dann noch

zwei besondere Highlights auf uns.

Das erste hat der Kapitän längst per

Durchsage bekannt gegeben: Wir

werden einen Bilderbuchsonnenuntergang

bekommen. Kein Wind,

keine Wellen, keine Wolken. Schon

wieder ein Sonnenuntergang. Das

zweite haben wir unserem Käpt’n bekannt

gegeben. Unsere Einladung ins

Surf&Turf, dem Steakhouse auf dem

Schiff.

Wir haben einen schönen Tisch

reserviert, schmeißen uns ein bisschen

in Schale und genießen bis zum

Essen den Sonnenuntergang exklusiv

von unserer Dachterrasse aus. Nur

wir vier und dieser orange-rote Ball,

der langsam auf den Horizont sinkt,

um danach dahinter zu verschwinden.

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Es ist der perfekte Auftakt zu einem

perfekten Abendessen. Heiße Handtücher,

eine Auswahl individueller

Messer, eine (oder zwei?) gute Flaschen

Rotwein und gegrilltes Fleisch.

Heute unterstreiche ich das „Genießen“

auf dem blauen Schiffsrumpf

ohne zu zögern.

„Aber kein Genuss ist vorübergehend,

denn der Eindruck, den er hinterlässt,

ist bleibend“

Recht hat er, der Johann Wolfgang.

Nach dem Essen treffen wir die anderen

Passagiere auf dem Pooldeck.

Heute ist White Night angesagt. Ein

bisschen Schauen, ein bisschen Tanzen

und den ein oder andern Cocktail.

Dekadent, aber geil. Aber auch

das ist ja längst bekannt.

104


105


106


Teil II

Fortsetzung des Blockbusters

Krka - die Wasserfälle

in den hauptrollen

Doreen, Stefan, Felix und Hans-Georg

als die CREW

107


Nach dem Frühstück wartet das Fotoshooting

in der Arena: good luck, big

bouncer!

Und rauschen wird er heute ziemlich

– der Wildbach. Aber alles der

Reihe nach. Als wir heute die Jalousien

hochfahren, liegen wir im Hafen

von Zadar. Auch heute sind wir

wieder das einzige Kreuzfahrtschiff.

Von einer historischen Stadt sehen

wir nichts, der neu gebaute Cruise

Port liegt ein ganzes Stück außerhalb

der historischen Altstadt, deren Stadtmauer

übrigens auch einen Unesco-

Stempel hat. Nach drei Städten in

Folge haben wir uns heute für einen

Landausflug entschieden. Wir fahren

in den Nationalpark Krka. Gebucht

haben wir die Nachmittagsoption,

sodass wir am Morgen genügend

Zeit für ein ausgedehntes Frühstück

108


haben. Champag…. Achso, ist ja nix

Neues mehr.

Nach dem Frühstück müssen wir

uns allerdings erst auf umfangreiche

Dreharbeiten vorbereiten. Felix ist

per Zufall auf The Big Bounce aufmerksam

gemacht worden. Kennt

ihr nicht? Kannte ich auch nicht. Es

ist eine RTL-Trampolin-Challenge, für

ihn als Dauerhüpfer die optimale Herausforderung.

Die Bewerbung haben

wir zuhause schon auf den Weg

gebracht, allerdings fehlt noch das

Vorstellungsvideo. Welche Location

kann da besser passen, als die Arena

auf Deck 14. Einem anstrengenden

Shooting vor der Profikamera folgt

noch eine Videovorstellung. Ob-

109


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Am Vormittag ist Ruhe auf fast allen

Decks (links). Diese Karte ist

der Hauptpreis der Schiffstombola

(rechts).

wohl offensichtlich viele Passagiere

einen der zahlreichen Landausflüge

gebucht haben, ist es gar nicht so

leicht, ein leeres und stilles Plätzchen

auf diesem riesigen Schiff zu finden.

Klappe, die letzte, und irgendwann

ist das Ding dann doch im Kasten. An

der Vorbereitung von unserer Seite

her kann es nun nicht mehr liegen.

Noch haben wir Zeit zu chillen.

Die Abfahrt ist für 13:15 Uhr geplant.

Wir schlendern durchs Schiff.

Zeit, zumindest mal ein paar Eindrücke

vom Inneren zu bekommen.

Im großen Treppenhaus steht der

Hauptpreis der Tombola, die wohl

bei jeder Reise stattfindet. Eine gemalte

Schiffskarte mit unserer Route,

unterschrieben vom Kapitän höchstpersönlich.

Dass er sie auch selbst

gemalt hat, glaube ich nicht. Diesmal

finden wir den Weg zum Ausgang

ohne Probleme. Gelernt ist gelernt.

Der Zadar Cruise Port ging erst

2019 in Betrieb. Hier hat man nicht

gekleckert, sondern ordentlich geklotzt.

Mit unserer kleinen Gruppe

kommen wir uns ziemlich verloren

vor, als wir uns zwischen den riesigen

Betonsäulen auf den Weg zur Abfer-

Einblicke ins Schiff

111


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Der Zadar Cruise Port ist riesig, neu und ziemlich leer.

113


114


Wir durchqueren die faszinierende Landschaft des

Nationalparks auf wackeligen Stegen.

tigungshalle machen. Auch dort herrscht gähnende

Leere. Nur ein paar Mitfahrer kommen gerade wieder

zurück. Es ist, wen wundert es, schon wieder ziemlich

heiß. Der einzige Bus, der noch auf dem Parkplatz wartet

gehört, uns. Hermann, unser Reiseleiter, nimmt uns in

Empfang. Er ist gebürtiger Salzburger, lebt aber schon

seit 30 Jahren in Zadar, zuerst der Arbeit und dann der

Liebe wegen. Mit ihm haben wir den perfekten Guide.

Er liebt seine Wahlheimat und weiß unheimlich viel darüber

zu erzählen. Fakten, Geschichtchen und eigene

Erlebnisse gibt er mit einer angenehmen Stimme zum

Besten. Die Stimme ist so angenehm, dass schon nach

wenigen Kilometern drei Viertel meiner Crew ins Reich

der Träume entgleiten. Ich kann nicht schlafen, ich muss

ständig aus dem Busfenster schauen, ich will Kroatien

auch neben der Autobahn sehen. Die Fahrt geht über

90 Kilometer parallel zur Küste, allerdings ein Stücken

im Hinterland. Wir streifen Zadars Gewerbegebiete,

sehen kurz den Flughafen und kommen dann auf

eine Autobahn, die wir zuhause auch gerne so hätten.

Neu und leer. Rechts und links wachsen abwechselnd

115


Die kleinen Mühlenhäuschen am Beginn

des Rundgangs (oben) und Ausflugsschiffe,

die über die Krka von

der Adria kommen (Mitte).

Olivenbäume und Weinstöcke, dazwischen

sieht man manchmal ein

paar Ziegen. Auffallend ist, dass es

die Kroaten wohl ziemlich locker mit

der Müllentsorgung halten. Sofas,

Stühle, Kühlschränke, Bauschutt, alles

sicher keine Hinterlassenschaften von

Touristen, liegen am Straßenrand.

Sowas schmeißt man auch nicht beim

Vorbeifahren schnell mal aus dem

Fenster. Sehr schade. Obwohl die

Landschaft eher kahl und langweilig

ist, hat sie trotzdem ihren Reiz.

Besonders sehenswert ist die

Schlucht von Skradin, wo sich die

Krka tief unten einen Weg zum Meer

sucht. Malerisch liegt der Ort, der der

Schlucht den Namen gegeben hat,

an einer Schleife des Flusses. Von

hier aus gelangt man nach Sibenik

an der Küste. Skrradin, Krrka, Schibenik,

Rraslina und Vodidsche klingen

mir noch immer in den Ohren, so

intensiv erzählt uns Hermann davon.

Wir kommen an den Eingang des

Nationalparks und müssen ein bisschen

warten, bis alle Eintrittskarten

gelöst sind. Der Größe des Parplatzareals

nach, sind hier normalerweise

wohl viel mehr Besucher unterwegs

als heute. Zumindest rechnet man mit

viel mehr. Hermann bestätigt die Vermutung.

In den letzten Tagen hat er

auch vormittags Ausflüge begleitet.

Da herrschte auf den Wegen rund um

die Wasserfälle dichtes Gedränge.

Mit gültigen Tickets schraubt sich

unser Bus die vielen engen Serpentinen

nach unten. Die Straße ist immer

nur in einer Richtung befahrbar, zwei

Autos kämen nur schwer aneinander

vorbei, Busse niemals.

Wir haben nur kurz Zeit zum Aussteigen,

der Bus muss gleich wieder

nach oben, Parkplätze sind Mangelware.

Hermann gibt uns noch

zehn Minuten für einen urologischen

Break, danach übernimmt er die Führung,

die ungefähr eineinhalb Stun-

116


Mothercare (oben) und Flora, Fauna,

Besucha und unser kundiger Guide

Hermann (unten).

den dauern wird.

Der Nationalpark Krka umfasst

den größten Teil des Flußverlaufes

und der Uferregion des gleichnamigen

Flusses Krka, von der historischen

Stadt Knin, unweit von seinem

Ursprung, bis hin nach Skradin. In

Skradin verwandelt sich der Flusslauf

der Krka in eine lange und tiefe Meeresbucht.

Der Nationalpark wurde 1955

gegründet. Bereits 1948 wurde das

Gebiet des Parks als seltenes Naturgut

und bedeutendes Gebiet eingestuft.

Zwischen 1985 und 1997 wurde

die Fläche des Nationalparks auf

insgesamt 109 km² erweitert.

Attraktion des Nationalparks sind

die sieben Wasserfälle. Die größ-

117


118


The most instagramable place ist sicher auf der Brücke hinter dem Wasserfall.

119


ten und schönsten

Wasserfälle sind

der Skradinski buk

und Roški slap.

Entlang der Krka

und der Seen findet

man viele alte

Festungsruinen, Mühlen und einige

Klöster. Hervorzuheben ist das Franziskanerkloster

auf der Insel Visovac.

Die ca. 1 ha große Insel wurde teilweise

künstlich aufgeschüttet. Man

erreicht sie mit einem der zahlreichen

Ausflugsboote, die auf dem See verkehren.

Am Ende unserer Runde kommen

wir nur

am Skradinski

buk vorbei.

Aber ich glaube,

von den 860 dokumentierten

Pflanzenarten, 220 Vogelarten und

18 verschiedenen Fischarten sehen

wir fast alle.

Gleich am Beginn des Rundweges

stehen kleine Mühlhäuschen. In

einem von Ihnen wurde bereits der

Prototyp der Wachmaschine genutzt.

Der Skradinski buk, seine Besucher und deren technische

und erfrischende Hilfsmittel.

Sagt Hermann. Hinter den Häusern

geht es ein paar Treppen hinunter

auf einen Rundweg, der zumeist aus

Dielenbrettern besteht. Dazwischen

sind auch immer wieder Abschnitte,

die quer über dickes Wurzelwerk

führen. Der Tipp im Programm, nicht

in Flip Flops hierher zu fahren, war

perfekt. Wir wackeln über die Stege,

immer Hermanns Erläuterungen im

Ohr. Den Namen der Fische habe ich

leider vergessen. Ohne Scheu las-

120


sen sie sich träge

durchs klare Wasser

treiben. Nach

den drei heißen

Stadtausflügen in Valletta, Bari und

Dubrovnik genießen wir das „Wandern“

durchs Grün. Überall begleitet

vom Rauschen der Wasserfälle.

Offenbar ist der Rundweg für

einen von uns vieren nicht wirklich

spannend. Fische? Ja. Schilf? Aha.

Langeweile. Es liegen atmosphärische

Störungen in der Luft. Hier wäre

der Hut – wenn man die bunte Seite

außen trägt – eine

gute Hilfe, um

die Gruppe zusammenzuhalten.

Ein oder mehrere

Hinweise lassen die Situation weiter

eskalieren. Danach ist erstmal Kommunikationspause.

Auch das kommt

vor. Man(n) trägt Schwarz. Aber es

naht auch das Ende der Führung. Wir

werden unterhalb des Skradinski buk

entlassen, dessen Wasser in insgesamt

17 Stufen mit einer Gesamthöhe

von 45,7 nach unten rauscht. Früher

konnte man hier wohl noch baden,

inzwischen ist nahezu

alles verboten.

Erlaubt ist,

den Hörer aus

dem Ohr zu nehmen

und endlich ein kühles Bierchen

zu trinken.

Auf der anderen Seite der Brücke

steht ein ehemaliges Wasserwerk. Es

wurde noch gebaut, bevor die Wasserfälle

zum Nationalpark wurden.

Sein Vorgänger, dessen Ruine wohl

nicht weit von hier noch steht, war

das erste Wasserkraftwerk Europas.

Es wurde am 28. August 1895 in

121


122

Ein bisschen Zeit für die Wasserfallfotografie

mit unterschiedlichen Verschlusszeiten

bleibt.


123


124


Der lange Weg nach oben, die alte

Kraftwerksturbine und der Nationalpark

für blinde Besucher.

Eines der Mühlenhäuschen und sein

Spiegelbild.

Langsam wird die Stimmung wieder

besser ...

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Unser Schiff wartet im Abendlicht auf die Rückkehrer vom anstrengenden Ausflug an den Wasserfall. Für Käptn Schotte

gibts eine kleine Belohnung. Die hat er sich verdient.

Betrieb genommen, nur zwei Tage

nachdem das weltweit erste Wasserkraftwerk

an den Niagarafällen

in Betrieb genommen wurde. Die

Kroaten nennen ihren Wasserfall

deshalb wohl auch liebevoll „Klein-

Niagara“. An Abend dieses 28. August

fand in Kroatien die erste Fernübertragung

von Wechselstrom statt,

und Šibenik war die erste Stadt der

Welt, die Wechselstrom für ihre Anlagen

erhielt. Übrigens war Nikola

Tesla, der berühmte kroatische Physiker,

Erfinder und Namenspatron der

E-Autos eines irren Amis, der Planer

des Kraftwerks.

Ein paar der inzwischen ziemlich

rostigen Turbinen liegen noch an der

Seite, als wir die letzten Stufen zum

Sammelplatz hinaufsteigen. Dort

oben steht unter anderem auch ein

Blindenmodell der Umgebung des

Wasserfalls. Mir ist unbegreiflich,

wie man sich damit eine Übersicht

verschaffen soll. Das Blindenstadtmodell,

so wie wir es von Rothenburg

kennen, ist durch die Formen der

Häuser, Kirchen und Türme irgendwie

„einfacher“. Das ist Hochleistung für

das Gehirn, allen Respekt. Wir sind

pünktlich, ohne lange Wartezeit geht

es zurück in den Bus. Beim Hochfahren

gibt es nochmal ein paar schöne

Blicke auf den Nationalpark zu erhaschen.

Hermann fasst nochmal zusammen,

was wir in den letzten Stunden

gesehen haben. Die Stimme ist so

angenehm, dass schon nach wenigen

Kilometern drei Viertel meiner Crew

ins Reich der Träume entgleiten. Ich

kann nicht schlafen, ich muss ständig

aus dem Busfenster schauen, diesmal

126


Jetzt noch ablegen und dann geht es zum Abendessen.

sehe ich ja die andere Seite. Unter

anderem das malerisch gelegene

Skradin. Hermann erzählt viel über

Land und Leute, über die Sprache

und auch über die fehlenden Vokale.

Über die Unterschiede zwischen Serbisch,

Bosnisch und Kroatisch. Auch

über die Schwierigkeiten, die diese

Volksgruppen auch Jahrzehnte nach

dem Krieg noch miteinander haben.

Er weiß unheimlich viel über „sein“

Land. Wer auch immer mal einen

Ausflug rund um Zadar individuell

organisiert haben möchte, ist bei ihm

an der besten Adresse.

Als wir nach eineinhalb Stunden

wieder durch Zadars Vororte fahren,

drängt die Zeit. Heute ist Ablegen

bereist um 19:00 Uhr und der Kapitän

wird kaum auf uns warten. „Alle

Mann an Bord“ ist ein halbe Stunde

vorher, deshalb haben wir es ganz

schön eilig, durch das Hafengebäude

zurück zum Schiff zu kommen.

Und natürlich sind wir pünktlich. Kurz

darauf hören wir den Grafen, fast unbemerkt

hat sich das Schiff von der

Hafenmole gelöst. Das Sonnendeck

der X-Lounge wird für uns heute zum

Sonnenuntergangsdeck.

Und nach unserem exklusiven

Schlemmerabend gestern, geht es

heute mal wieder „nur“ zum Vier-

Gänge-Menü ins Atlantik. Anschließend

noch den einen oder

anderen Mojito und ein bisschen

Kartenspielen. Schon wieder?

Ja, aber langweilig ist es

nie geworden.

127


128


129


Love my tender,

love me sweet...

...never let me go

(to Rijeka again)...

130


131


Die Tenderboote kreuzen pausenlos

zwischen Hafen und Schiff (o.l.). Der

Aus- bzw. Einstieg ist eine spannende

Angelegenheit (o.r.) und an Bord

arbeitet eine sehr junge 2er-Crew.

Ich hoffe, es hat in Graceland nicht

zu sehr gerumpelt, als sich Elvis umgedreht

hat. Aber Tendern war heute

das schönste Erlebnis des Tages.

Unser letzter Reisetag beginnt mit

einem Ausblick auf Rijeka, im Morgengrauen

sind wir angekommen.

Unsere Suite ist auf der richtigen Seite,

vor uns liegt die ruhige und glatte

See und dahinter im Morgendunst

die Stadt Rijeka.

Google sagt: „Rijeka ist eine kroatische

Hafenstadt an der Kvarner

Bucht an der nördlichen Adria. Sie

gilt als das Tor zu den Inseln Kroatiens.

Die Hauptpromenade Korzo ist

von Gebäuden aus der habsburgischen

Ära gesäumt. Das nahe gelegene

kroatische Nationaltheater Ivan

pl. Zajc stammt aus dem 19. Jahrhundert

und verfügt über Deckengemälde

von Gustav Klimt. Die auf einem

Hügel gelegene Burganlage Trsat, zu

der eine religiöse Stätte gehört, bietet

einen weiten Blick auf die Inseln

der Kvarner Bucht.“ Das hört sich ja

ganz interessant an. Nach dem vielen

Grün und dem lauten Rauschen

gestern, haben wir wieder Lust auf

einen Stadtrundgang bekommen.

Das besondere am heutigen Tag

ist, dass mein Schiff nicht an einer

Hafenmole festgemacht hat, sondern,

dass wir vor dem Hafen Anker

geworfen haben. Wir sind einfach zu

groß. Deshalb werden die Passagiere

per Tenderboot an Land gebracht.

Von unserer Dachterrasse schaue ich

eine Weile zu, wie die kleinen Boote

hin- und herpendeln, welche Seite

des Schiffes sie anfahren und wo es

wohl am schönsten ist, zu fotografieren.

Ein gutes Bild braucht

Vorbereitung.

Rijeka ist

weit drüben,

man

erkennt

einige

Hochhäuser,

die

sich an den

Bergen hochhangeln

und ein Schiff,

das direkt am Hafen liegt. Sieht ja

aus, als wäre es eine Schwester von

uns, hellblau, dunkelblau und weiß

mit einem roten Smiley am Schlot.

Der Kapitän hat wohl meine Ungewissheit

gespürt, denn im gleichen

Moment kommt eine erklärende

Durchsage: es ist die Marella Explorer

II der englischen TUI-Tochter, also

132


eher entfernte Verwandtschaft.

Rechts davon ist ein riesiges Gebäude,

das fast aussieht, wie ein Tüte

des Modediscounters New Yorker.

Welche Stadt lässt ein Haus in diesem

schwarz-weißen Karomuster

anmalen? Rijeka!

Und es ist tatsächlich ein

New Yorker-Laden, der

an dieser Stelle steht,

das sagt zumindest

die längste Brennweite.

Und damit steigt auch

d i e

Motivation

bei

unserem

jüngsten

Crew-Mitglied.

Nach dem

Frühstück – same

procedure as every

day – warten wir aufs Ausschiffen.

Klingt etwas eleganter als Einschiffen,

aber Tendern ist dann eben doch

nochmal eine Steigerung.

Man kann sich vorstellen, dass

es eine aufwändige Organisation

braucht, um alle geordnet aufs Boot-

Ruhiges Fahrwasser zum Tendern

(o.r.), unsere Crew wartet gespannt

(r.) und der Blick nach Rijeka mit Hafen,

Hochhäusern und der Marella

Explorer II (u.). Der rote Kletterer

hängt an unserem Schiff (mitte).

133


Mein Schiff 5

Decks: 15

Geschwindigkeit: 21,7 Knoten

Länge:

295,26 m

Breite:

35,8 m

Höhe (inkl. Tiefgang): 65,95 m

Tiefgang:

max. 8,05 m

Vermessung:

98.785 GT

Generatorleistung: 45.200 kW

(61.455 PS)

Kabinen: 1.267

Passagiere: 2.534

Besatzung: 1.000

Baujahr: 2016

Baukosten: 625 Mio. $

134


19.09.2014

18 .11. 2014

23.06.2015

15.01.2016

20.06.2016

24.06.2016

15.07.2016

16.07.2016

21.08.2022

Bestellung

Offizieller Baubeginn mit dem ersten Stahlschnitt der Baunummer 1389 am

auf der Werft Meyer Turku

Kiellegung

Aufschwimmen

Überführung von Finnland nach Kiel

Indienststellung

Schiffstaufe in der Lübecker Bucht vor Travemünde durch Lena Meyer-Landrut

Jungfernfahrt ab Kiel

Einschiffung der Crew

135


Die Mein Schiff 5 wurde als fünftes

Schiff von TUI Cruises in der finnischen

Werft Meyer Turku gebaut. Am

15. Juli 2016 wurde das Schiff vor Lübeck-Travemünde

von Lena Meyer-

Landrut getauft. Es folgte damit ihren

Schwesterschiffen Mein Schiff 3 und

Mein Schiff 4. Ein weiteres Schwesterschiff,

die Mein Schiff 6, ergänzte

die Flotte im Jahr 2017. Alle Schiffe

der Reederei TUI Cruises fahren unter

der Flagge Maltas.

Rund 90 Prozent der insgesamt

2.500 Passagiere können Meerblick

genießen. Der Diamant, eine

lichtdurchflutete Glasfassade über

zwei Decks am Heck des Schiffes,

war 2014 eine Neuheit. Ebenfalls

136


eindrucksvoll: die 280 Meter lange

Joggingstrecke und der Blaue Balkon,

eine 37 Meter über der Meeresoberfläche

schwebende gläserne

Plattform.

Umfangreiche Umweltschutz-

Features – darunter etwa eine Abgas-Entschwefelungsanlage

und ein

Stickoxid-Katalysator – sorgen auf

den Mein-Schiff-Luxuslinern für eine

deutliche Reduktion der Emissionen.

Die Mein Schiff 5 ist 295 Meter

lang und 36 Meter breit. Eine etwa

1.000 Mitarbeiter starke Besatzung

kümmert sich um das Wohl der bis zu

2.534 Gäste

137


zu bringen. Es gibt alle 15 Minuten

einen Slot, zu dem man sicham Vortag

sich anmelden musste. Und hier

hat TUI eine ganz gute Idee. Man

muss sich weder eine Uhrzeit (es

könnte sich ja ein bisschen verschieben)

noch eine

Startnummer

(man

könnte ja einen kleinen Zahlendreher

haben) merken. Jede Tendergruppe

am heutigen Tag hat einen Ländernamen

bekommen. Wenn der aufgerufen

wird, hat man eine Viertelstunde,

um sich beim Check-In für

den Check-Out zu melden. Wir sind

Indien.

„Indien bitte zum Ausgang!“, ruft

uns urplötzlich Herr Direktor Kümmerer

durch den Lautsprecher zu. Also

los! Wir folgen dem nach oben vorne

gestreckten Zeigefinger unserer

ortskundigen Führung

durch die langen Gänge

bis ganz nach unten

in den Bauch des

Schiffes. Hier

wartet Indien.

Dass Indien

Unser Schiff auf Meereshöhe und die

Einfahrt in den kleinen Hafen.

unter einer Überbevölkerung leidet,

war mir schon klar. Dass aber auch

an Bord Indien eine große Gruppe

ist, überrascht mich doch. Es ist nicht

gerade leicht, aber aktives Anstehen

lässt uns tatsächlich plötzlich ganz

vorne an der Schranke stehen, die

sich hinter unserem Vorgängerland

geschlossen hat. Und dann ist es soweit.

Durch das riesige Loch treten

wir über eine schaukelnde Blechbrücke

auf den Rand des Tenderbootes.

Freie Platzwahl! Backbord, auf der

Bank ganz außen, an der offenen

Luke. Da sitzen mein Fotoapparat

und ich, rechts von mir meine Crewmitglieder.

Besser geht es nicht!

Langsam füllt sich das „kleine“

Boot mit den Inderinnen und Indern.

Klein? 267 Menschen passen insgesamt

auf diese Nussschale! Dicht

neben mir, quasi zum Anfassen, liegt

der blaue Rumpf des Mutterschiffs.

Hier auf Meereshöhe und so nah

sieht man, dass nicht nur die Leichtigkeit

an manchen Stellen einen neuen

Anstrich braucht. Lässig lehnt der

weiß uniformierte Schiffer am Steuerpult,

dann gibt er das Signal zum

Start. Wir gleiten langsam ein Stück

weg vom Ausstieg, dann bewegt sein

Kollege den Hebel nach vorne und

die Fahrt geht los. Und wieder ist es

unglaublich beeindruckend, so nah

an diesen knapp 100.000 Tonnen

138


Boote der unterschiedlichsten Klassen

liegen im Hafen von Rijeka,

schöne und weniger schöne (oben).

Angelspaß vor futuristischer Kulisse

(rechts).

Gewicht, die da neben uns schwimmen,

vorbeizuschippern.

Als wir dem Hafen näherkommen

– und das New Yorker-Logo immer

größer und deutlicher wird – und wir

die Marella Explorer hinter uns gelassen

haben, zeigt uns Rijeka seine

Schokoladenseite. Klassizistische

Fassaden an riesigen Häusern, davor

Yachten und Ausflugsschiffe, links

und rechts die beiden Leuchtfeuer,

so stellt man sich den Hafen einer

(Groß-)stadt doch vor. Das zweite

Tenderboot hat gerade abgelegt und

kommt uns entgegen, unser junger

Kapitän macht eine schnelle Kehre

und legt schwungvoll an der Hafenmauer

an. Los geht’s zum Stadtbummel.

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Schön oder nicht schön, das ist hier die Frage. Eindrücke aus Rijeka.

140


141


... und nur noch kurz die Welt retten!

Unsere kleine, einfache, orange-weiße

Nussschale sieht ziemlich

mickrig aus, im Vergleich mit den

Booten mit denen andere Besucher

gekommen sind. Da ist die Wicked

Play, die man für 30.000 Euro mal

ein paar Tage chartern könnte, die

Seagull MRD, 50 Meter Schiff, die

vor zwei Jahren gerade mal 30 Millionen

Dollar gekostet haben und

als Krönung der Hässlichkeit die PA-

NAM, die aussieht, als wäre sie gerade

aus einem Marinehafen geklaut

worden. Übrigens auch gut 40 Millionen,

dafür aber nur 40 Meter. Die

Preise pro Yachtmeter fallen ziemlich

unterschiedlich aus. Und wer sich so

ein Schiffchen leistet, den werden die

zwei bis vier Millionen pro Jahr wenig

jucken, die so ein Ding verschlingt. In

Rijeka liegt Geld also nicht auf der

Straße, sondern im Wasser.

Die beiden Kinder, die ihre Angeln

ins Hafenbecken halten, um ein paar

Fische anzulocken, sehen auf dem

Bild aus, als wäre es eine Fotomontage.

Unser Weg führt uns direkt in die

Haupteinkaufsstraße der Stadt. Links

und rechts die üblichen Modeketten

(Rijeka = Bari = Würzburg = überall),

nur ein Laden hält für unseren mitgereisten

Pancake-Friedhof etwas Besonderes

bereit. Tja, und wo enden

wir? Richtig, im New Yorker. Den Rest

des Stadtrundgangs laufen wir also

Reklame mit der großen karierten

Tüte. Und sonst so? In der Fußgängerzone

herrscht geschäftiges Treiben,

viele kleine Stände bieten regionale

Produkte an. Seife, Gebäck, Honig,

Schnaps und Beerenwein. Eine Kapelle

gibt kroatische Volksmusik zum

Besten, alles sieht aus wie eine Touristeninszenierung.

Als gute Touristen

kaufen wir tatsächlich nach einer

kleinen Verkostung auch ein bisschen

Beerenwein als Mitbringsel.

Endlich wieder eine Tüte!

142


„Korzo, so wie die Hauptpromenade

in Rijeka genannt wird, schlängelt

sich durch die Stadt und eröffnet

den Besuchern ihr wahres Gesicht in

all seiner Pracht. Die Promenade gehört

zu jenen Sehenswürdigkeiten,

die wohl jeder Rijeka-Urlauber ge-

Uhrenturm, Torbögen, Kirchen, Knast

und Wäsche. Sonst nichts.

143


sehen haben

muss.“,

schreibt ein Reiseführer.

Haben wir

jetzt gesehen, machen

wir einen Haken dran.

Durch den barocken Uhrenturm

verlassen wir die Flaniermeile

um 12:22 Uhr. Und jetzt? Fast

ein bisschen orientierungslos gehen

wir weiter, hier ist es ruhig, besonders

schön sieht es nicht aus. Auch

hier sehen wir die Klebewandtatoos,

die wir schon kennen. Ob es sich

dabei vielleicht um den netten Bankberater

handelt? Gleich daneben, an

einer Dachrinne, Werbung für deutsche

Kultur. Es handelt sich tatsächlich

um Musik. „Sobald die Songs

loslegen, bleibt kein Wackeldackel

still. Polytron ballern uns queerfeministische

Texte kratzig ins Mikro, die

bei aller Verspieltheit immer auch mit

der bittersüßen Note einer Dystopie

gewürzt sind. Die Performance von

vier schamlos singenden Frauen und

zwei musikalisch hochbegabten Boys

erinnert an Lucy Lectric, wobei der

Feminismus von Polytron um einiges

zeitgemäßer ist. *zwinkersmiley* Es

geht um Liebe, Geld, Nazis und Hormone.“

Au weia. Hoffentlich denken

die Kroaten nicht, wir würden das

hören. Wir kommen vor die St.-Vitus-

Kathedrale, rein kommen wir nicht.

Geschlossen. Zwischen gesichtslosen

Häuserrückseiten

steht

die runde Kirche

etwas verloren

da. Gleich daneben,

laut Google Maps

ebenfalls geschlossen, ist

das städtische Gefängnis. Idyllisch.

Keiner von uns hat einen Plan.

Ob wir tatsächlich zu dieser Festung

fahren sollen, von der wir gelesen

haben? Kapitän Schotte bringt eine

kurze Taxifahrt in die Diskussion ein,

aber wir treffen keine Entscheidung.

Jeder läuft dem anderen hinterher, in

der Hoffnung, dass dieser weiß, wo

es lang geht. Beim schiefen Turm von

Rijeka, der Kirche der Himmelfahrt

der Jungfrau Maria, die wohl eher

bekannt ist, weil der daneben freistehende

Glockenturm so schief ist, machen

wir fast gleichzeitig und ganz

vorsichtig den gleichen Vorschlag:

„ … und wenn wir einfach

zum Hafen gehen und zu unserem

Schiff zurücktendern?“ Es ist fast wie

eine Erlösung. Wir haben ein Ziel.

Keine Taxifahrt, eine kleine Bootsfahrt

werden wir machen. Der Rückweg

führt an den historischen Markthallen

vorbei. Das wäre ein besuchenswertes

Ziel gewesen! Leider sind wir

aber dafür viel zu

144


Farbige Tristesse im Hinterhof, schon

wieder eine Kirche, die wir leider

nicht besichtigen können.

Ein Selfie, damit wir wissen, wo wir

sind, der Bankdirektor und Der Hinweis

aufs deutsche Kulturangebot.

145


146


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spät. Innen riecht es nur noch nach

Fisch, die Marktstände sind leer und

der Boden wird mit Hochdruck (von

Kärcher) vom Treiben des Morgens

gereinigt. Auf der Straße zwischen

den beiden Hallen stehen noch ein

paar Bauern, die Obst und Gemüse

aus der Umgebung anbieten. Und

Knoblauch. Viel Knoblauch. Vor einem

Vampir ist man hier in jedem Fall

sicher. Dieser Markt ist völlig anders,

als der auf dem Korzo. Nicht nur die

Die kleine Meerjungfrau, unser

abendlicher Pilot und die rote Laterne

(oben). Nicht nur ich habe das Schiff

als Motiv (links)

Früchte, auch das Standpersonal ist

authentisch.

Das war Rijeka. Das erste Urteil

ist: einmal Sehen reicht. Vielleicht tun

wir der Stadt auch Unrecht, vielleicht

haben wir nur die falschen Ecken

besucht, vielleicht haben wir die falsche

Zeit gewählt. Wobei unsere

Wahlmöglichkeiten als Kreuzfahrer

beschränkt sind. Nach kurzem Warten

kommt unsere Yacht und legt an.

Der kurze Rückweg führt uns noch

einmal ganz dicht am Schiff vorbei,

das seit einer Woche unser Zuhause

ist, diesmal achtern, wie wir Seebären

sagen. Die zweite Attraktion

148


der Fahrt sitzt uns gegenüber. Eine

junge Frau mit schickem Hut, tiefem

Dekolletée, Hilfiger von oben bis

unten, große Dolce&Gabbana-Sonnenbrille,

Louis Vuitton-Handtasche

und Stöckelschuhen. Ich habe natürlich

nur Augen für den Schiffskörper,

aber meine Mitreisenden klären mich

später auf, dass dies der junge Mann

mit den Piercings und den langen Fingernägeln

ist, den wir an einem der

vergangenen Tage schon am Pool

Ein schöner Rücken kann auch entzücken

- unser Schiff von allen Seiten.

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gesehen haben. Jeder, wie er mag.

Ein Matrose im weißen Overall fängt

unser Tau und zieht uns an die Luke.

Indien kommt zurück an Bord.

Zum letzten Mal besuchen wir die

X-Lounge für einen Nachmittagssnack,

zum letzten Mal tauchen wir

in den Pool (meine Anzahl der Poolgänge

bleibt überschaubar, eine

Hand genügt), zum letzten Mal machen

wir uns fertig für den Abend und

zum letzten Mal verabschieden sich

Felix und sein Opi in ihr Aquarium.

Auf Wiedersehen Kroatien.

Leinen los, große Freiheit.

Die Ankunft am Schiff, der letzte

Snack und ein Blick ins Aquarium.

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Triest.

trist, trister,

Ende einer Seefahrt.

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Natürlich tut der Titel der Stadt an

der Adria Unrecht. Allerdings ist unsere

Stimmung heute tatsächlich etwas

gedrückt. Wir sind in den frühen

Morgenstunden in Triest angekommen,

unsere letzte Station. Das Ende

einer Seefahrt - frei nach Heinrich

Böll. Als wir heute die Jalousien öffnen,

erwartet uns ein trüber Tag. Zum

ersten Mal hat es wohl über Nacht

geregnet. Es nieselt noch immer. Im

Morgengrauen herrscht über dem

Hafen der Stadt ein ganz besonderes

Licht und (noch) eine ganz besondere

Ruhe. Heute hat unser Wecker

geklingelt. Heute haben wir verbindliche

Termine. Um 8:45 Uhr wird der

Bus den ersten Teil der Reisegruppe

zum Flughafen bringen.

Vor dem Frühstück verbringe ich

noch einige Zeit auf unserer Dachterrasse.

Es ist eine ganz seltsame

Stimmung, im Nieselregen fahren

Ruderer in ihren kleinen Sportgeräten

hinaus aufs Meer.

Vor dem Hafen liegen Frachtschiffe,

dazwischen ein sehr eigenartiges

Schiff. Grau, fensterlos, aber

mit Masten. Ein Segler? Ein Segler!

Es ist die A, die Segelyacht A. Sie

ist mit 142,81 m Länge und 24,88

m Breite die größte Segelyacht der

Welt. Die von Philippe Stark für den

Der Hafen von Triest am frühen Morgen

mit dem fast 200 Jahre alten

Leuchtturm „La Lanterna Di Trieste.“

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Hier liegen zwei Schiffchen für eine

knappe halbe Milliarde Euros für

für zusammen 50 Leute. Draußen

kommt die Costa Luminosa, auf die

fürs gleiche Geld 3500 Menschen

passen. Finde den Fehler.

russischen Milliardär Andrej Melnitchenko

und seine Frau Aleksandra,

ein ehemaliges serbokroatisches

Model und Popsängerin in Belgrad,

entworfene Riesensegelyacht, ist die

zweite unter dem Namen A. 2004

ließ der Oligarch eine 119 Meter

lange Motoryacht im Wert von

240 Millionen Pfund (278 Millionen

Euro) bauen, die er bereits auf den

Morgensport im Nieselregen

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Der letzte Blick auf den alten Hafen, bevor sich 300 Meter Kreuzfahrtschiff dazwischen schieben.

Namen „A“ getauft hatte. Diesmal

wollte er es noch größer machen,

wollte aber den ersten Buchstaben

des Alphabets für den Namen seines

Bootes beibehalten. Wenn man

glauben könnte, dass er es als Tribut

an seine Frau getan hat, dann ist es

nicht so. Es wäre nur eine Frage des

Egos, denn der Buchstabe A würde

ihm erlauben, als erster in den Seeschiffsregistern

zu erscheinen. Wenn

man gleichzeitig 417 Millionen Euro

ausgibt, um die größte Segel-Superyacht

zu kaufen, kann man sich jede

Laune leisten. Drinnen wie draußen

ist es exzessiv: die höchsten Masten

der Welt, die in 100 m Höhe gipfeln,

ein 18m² großer Unterwasser-Beobachtungsraum

mit drei technischen

Glaswänden, eine Segelfläche von

mehr als 3700 m², die Inneneinrichtung

aus Mahagoni, Baccaratkristall,

Rochen- oder Alligatorenhaut. Nur

fahren kann man damit nicht. Am 11.

März 2022 wurde die Segelyacht

im italienischen Hafen Triest vom italienischen

Staat, aufgrund der verhängten

Sanktionen gegen russische

Oligarchen, beschlagnahmt. 30.000

Euro soll das Schiff Unterhalt verschlingen,

wohlgemerkt pro Tag!

Triest scheint ein Treffpunkt für

Menschen mit etwas größeren Geldbeuteln

zu sein. Unterhalb unseres

Schiffes liegt eine große Motoryacht.

Es ist die 70 Meter lange Spectre,

mit geschätzten 70 Millionen Euro

– also eine Million pro Meter – geradezu

ein Schnäppchen. Sie ge-

Der letzte Blick auf das Frühstück, bevor sich mindestens vier Pancakes dazwischen schieben.

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hört James Bond-Fans aus den USA:

Jeanette und John Staluppi haben

nach „Quantum of Solace“ und

„Diamonds Are Forever“ auch ihre

dritte Custom-Benetti nach einem

Filmtitel getauft. Auch ihre neun vorigen

Yachten hatten entsprechende

Namen. Bleiben den Sammlern

ja noch 13 weitere Schifflein übrig.

Ausgesprochener Wunsch des Italo-

Amerikaners war der Pizzaofen auf

dem Brückendeck. Man gönnt sich ja

sonst nichts. Bei mir hat es bis jetzt nur

zu zwei Vespas und einigen Eierbechern

gereicht, da ist noch Platz nach

oben.

Noch kann man auf den alten

Hafen von Triest schauen, in den die

ersten Ruderer schon wieder zurückkehren.

Aber dieser schöne Blick wird

bald verstellt sein. Weiter draußen

müht sich der Taur ab, die riesige

Costa Luminosa hereinzubugsieren,

die direkt neben uns einparkt. Bug

nach vorne, der Käptn ist wohl kein

Wikinger.

Der Sonntag ist nicht nur letzter

Tag der Reise, hier in Triest trennen

sich auch die Wege unserer kleinen

Mannschaft. Peter und Caro sind

Familienzusammenführung am Hafen.

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bereits unterwegs, sie kommen aus

Slowenien um Felix für eine weitere

Woche Urlaub abzuholen. Doreen

und ich haben einen Landetermin in

München und Hans-Georgs Flieger

geht gegen Mittag nach Hamburg.

Ein letztes gemeinsames Frühstück,

bei Felix mit einer Extra-Portion Pancakes,

es wird Zeit für den Abschied.

Als wir die Koffer aus unserer Suite

rollen, stehen Peter, Caro, Max und

Anna bereits unten auf dem Parkplatz

und winken. Noch einmal mit dem

Aufzug nach unten und zum letzten

Mal durch die große Luke nach draußen.

Oben auf Deck 14 winkt Käptn

Schotte. Abschied ist ein A...och!

Nach acht wunderbaren Tagen

auf See, von Malta über Italien und

Kroatien zurück nach Italien, verlassen

wir die Mein Schiff 5, die für ein

paar Tage unser Schiff gewesen ist.

Familienzusammenführung auf dem

Parkplatz, Koffersuchen, die ersten

Passagiere kommen uns schon wieder

entgegen. Und dann sitzen wir

im Bus.

Viel sehen wir nicht von Triest, als

wir hinaus zum Flughafen fahren.

Aber was wir sehen, macht auf jeden

Käptn Schottes letzer Gruß.

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Vom Schiff in den Flieger. Auf Wiedersehen, mein Schiff.

Fall Lust, diese Stadt mal für ein paar

Tage zu besuchen. Der Flughafen

von Triest liegt knapp 40 Kilometer

außerhalb. Als wir ankommen, reihen

wir uns in eine große Schlange

ein, die nach uns stetig wächst. Irgendwann

können wir einchecken,

danach heißt es warten zwischen

Duty-Free und Cappuccino-Bar.

Beim Gang über das Rollfeld beginnt

es leicht zu nieseln, ein paar Minuten

später schüttet es wie aus Eimern.

Wir sitzen im Trockenen. Der Flug von

Triest nach München dauert nicht mal

eine Stunde. Kaum ist man auf Flughöhe

und abgeschnallt, macht sich

alles schon zur Landung bereit. Fast

doppelt so lange dauert das Warten

auf unsere Koffer bei Franz-Josef.

Und als Krönung sehen wir dann dem

Zubringerbus zum Parkplatz gerade

noch so von hinten beim Davonfahren

zu. Die nächste Wartezeit. Neben

uns steht das Pärchen, das auch

schon vor einer Woche im Dunkeln

mit uns gewartet hat. Unsere einzige

Urlaubsbekanntschaft.

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Mein Schiff

Dein Schiff

Unser Schiff

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„Könntest du dir eine gemeinsame

Kreuzfahrt vorstellen? Felix, Papi, du

und ich?“

Mit dieser Frage hat alles angefangen.

Ich konnte es mir damals

schon „vorstellen“, trotz aller Vorurteile

gegenüber Kreuzfahrten. Nach

den 1029 Seemeilen von Valletta

nach Triest weiß ich, was sich hinter

einer Kreuzfahrt verbirgt.

In einer Innenkabine ohne Bullauge,

das Meer nur auf dem Display

und mit 4000 anderen Passagieren,

sicher nicht. Unsere „Unterkunft“ war

dann doch etwas anders.

Ja, ich kann es mir sogar wieder

vorstellen. Es war ein rundherum toller,

einmaliger Urlaub. Wir haben

viel gesehen, wir haben viel gefaulenzt,

wir haben viel Zeit miteinander

verbracht. Vielleicht waren wir nicht

die typischen Kreuzfahrer, die ich in

meinen Befürchtungen oft gesehen

habe. Aber wir waren die richtigen

Kreuzfahrer. Die perfekte Mannschaft.

Danke für diese unvergessliche

gemeinsame Zeit!


valletta

bari•dubrovnik•zadar•rijeka

triest

2022

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