67_Ausgabe Januar 2009
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
professionelle Schönredner sind kleinlaut<br />
geworden. Das neue Jahr dürfte<br />
nicht gerade beschaulich werden. Wirtschaftliche<br />
und soziale Erschütterungen,<br />
internationale Konflikte mit regionalen<br />
Kriegen, Gewaltkriminalität und Selbstsucht<br />
werden unseren Alltag belasten.<br />
Wir müssen bewährte Bürgertugenden<br />
wiederentdecken: Besonnenheit, Hilfsbereitschaft,<br />
Sparsamkeit, Konzentration<br />
auf Wesentliches. Das gilt für den<br />
Umgang mit Hausnachbarn, Arbeitskollegen<br />
und Mitschülern nicht weniger<br />
als für das Verhältnis von Bürgerschaft<br />
und Stadtpolitikern. Die Zeit der verschwenderischen<br />
Selbstdarsteller und<br />
Phantasten ist vorbei. Der anstehende<br />
Wahlkampf könnte das politische Klima<br />
beeinträchtigen. Möge er bei uns sachbezogen,<br />
anständig, mit Rücksicht auf<br />
die Wählerinteressen geführt werden,<br />
ohne Ehrabschneiderei, Rechthaberei<br />
und journalistische Stimmungsmache.<br />
Im Dezember war es die traditionelle<br />
Aktion “Görlitzer Adventskalender”,<br />
diesmal unter dem Motto “Fremde in<br />
Görlitz”, die uns mit Herz und einfallsreich<br />
Bürgerstolz und Gemeinsinn vorführte.<br />
Zugezogene aus anderen Ländern<br />
und Regionen und Alteingesessene<br />
verschiedener Generationen und Berufe<br />
bewiesen gegenseitiges Verstehen und<br />
Einsatzbereitschaft für die Stadt und deren<br />
Zukunft. Das ist typisch für Görlitz,<br />
schon lange. Berühmte Persönlichkeiten<br />
wie Frauenburg, Haß, Böhme, Demiani,<br />
Jecht, Lüders oder Lemper waren “Zugereiste”,<br />
andere wie Emmerich, Scultetus,<br />
Struve, Jochmann oder Hain hier geboren.<br />
Alle lebten für der Stadt Bestes. In<br />
den ersten Jahren nach 1945 waren wir<br />
Flüchtlinge und Heimatvertriebenen aus<br />
dem Osten etwa 40 Prozent der Bevölkerung;<br />
viele leben nicht mehr, aber ihr<br />
selbstloser, stiller Einsatz beim Neubeginn<br />
bleibt unvergessen. Möge also dieses<br />
Miteinander und Füreinander gerade<br />
in schwierigen Zeiten sich wiederum<br />
bewähren! Mögen Behörden, Parteien<br />
und Medien dieses Bemühen würdigen<br />
und nutzen und nicht das Klima freudig<br />
getragener Mitverantwortung vergiften!<br />
StadtBILD wird durch manchen Blick auf<br />
Geschichte und Gegenwart in Stadt und<br />
Kreis bemüht sein, den Bürgersinn zu<br />
stärken. Dies verspricht Ihr<br />
Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
3
Kaiser Wilhelm<br />
Wilhelm<br />
II. und Görlitz<br />
II.<br />
–<br />
Volkstümliche Darstellung der Kaiserfamilie um 1895,<br />
aus Görlitzer Familienbesitz<br />
Nur wenige Wochen nach der<br />
Novemberrevolution 1918 entschied<br />
sich bei der Wahl zur<br />
Nationalversammlung eine<br />
deutliche Mehrheit in Görlitz<br />
für die republikanischen Parteien.<br />
Der letzte Deutsche Kaiser<br />
und König von Preußen<br />
Wilhelm II. (1859-1941) lebte<br />
fortan im niederländischen Exil<br />
in Doorn. Die Zeit zwischen<br />
1871 und 1918 gilt in der deutschen<br />
Geschichte als “wilhelminisches<br />
Zeitalter”. In Görlitz<br />
ist das Erbe dieser Epoche<br />
unübersehbar. Das Netz von<br />
Wohn- und Geschäftsstraßen<br />
reicht vom Demianiplatz bis<br />
zur Kreuzkirche, vom Klinikum<br />
bis zur früheren Gedenkhalle<br />
östlich der Neiße. Ansehnliche<br />
Stadtplätze stehen dafür (Postplatz,<br />
Wilhelmsplatz, Brautwiesenplatz,<br />
Sechsstädteplatz)<br />
und ausgedehnte Fabrikanlagen<br />
(Waggonbau, Maschinenbau,<br />
Raupach, Meyer-Optik),<br />
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4<br />
Titel |
Zum 150.<br />
150.<br />
Geburtstag<br />
Geburtstag<br />
am 27. <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong><br />
Der erste Aufenthalt des gerade 20jährigen<br />
Prinzen ist als typische Hofnachricht<br />
überliefert, die Alltägliches maßlos überhöht:<br />
“1879, Dienstag, den 23. April,<br />
traf Prinz Wilhelm in Rauscha zur Auerhahn-Jagd<br />
ein.... Am nächsten Morgen<br />
gelang es ihm, unter Führung des Försters<br />
Mende am Rabischwege im Jagen<br />
173 des Reviers Königsberg den ersten<br />
Auerhahn zu schießen. Zum Andenken<br />
daran wurde später an der Schußstelle<br />
ein Gedenkstein, der sogenannten Kaiserstein,<br />
errichtet. Derselbe, ein Findling,<br />
aus Quarz bestehend, trägt die<br />
Inschrift: Wilhelm, Prinz von Preußen,<br />
schoß hier am 23. April 1879 seinen ersten<br />
Auerhahn.”<br />
Beim zweiten Besuch am 14. September<br />
1882 war der Prinz im Gefolge seines 85<br />
Jahre alten Großvaters, Kaiser und König<br />
Wilhelm I., der nach den Kaisermanövern<br />
für einige Stunden Görlitz besuchte<br />
und von der Bevölkerung jubelnd<br />
begrüßt wurde. Prinz Wilhelm suchte die<br />
Nähe der Großeltern mehr als die seiner<br />
Eltern und wollte dem Großvater nacheifern.<br />
In Görlitz erlebte er vor dem alder<br />
Hauptbahnhof und das neue Rathaus,<br />
die Kauf- und Warenhäuser am<br />
Demianiplatz und der Berliner Straße,<br />
die Commerzbank und die Sparkasse,<br />
auch Lutherkirche, Kreuzkirche und<br />
neue Synagoge, die Schulkomplexe Lessingstraße<br />
und Melanchthonstraße. Sie<br />
sind stadtbildprägend und für Touristen<br />
ein außergewöhnliches Erlebnis. Denn<br />
für ihre Zeit waren das Zeugen einer<br />
vorwärtsdrängenden Moderne. Aus dem<br />
Abstand eines Jahrhunderts betrachtet,<br />
will das nicht recht passen zu dem satirischen<br />
Zerrbild, das einst linksliberale<br />
Literaten und sozialistische Ideologen<br />
vom wilhelminischen Deutschland nachträglich<br />
zeichneten – Knechtseligkeit,<br />
Größenwahn, Frömmelei und Säbelrasseln.<br />
Auch die Schrecknisse des I. Weltkrieges<br />
lassen uns nicht vergessen, daß<br />
Deutschland davor in Wissenschaft und<br />
Technik, Kultur und Sozialwesen in der<br />
Welt eine Führungsposition errungen<br />
hatte. Ein Rückblick verträgt weder Verherrlichung<br />
noch Verteufelung.<br />
Wilhelm II. besuchte Görlitz fünfmal,<br />
davon dreimal vor großem Publikum.<br />
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Titel | 5
Kaiser Wilhelm<br />
Wilhelm<br />
II. und Görlitz<br />
II.<br />
–<br />
Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf dem Obermarkt Görlitz, 18.05.1893, der<br />
Kaiser (vorn links) schreitet die Ehrenformation ab.<br />
ten Bahnhof die Begegnung Wilhelms I.<br />
und des Kronprinzen (nachmals Kaiser<br />
Friedrich III.) mit Kriegsveteranen.<br />
Zugegen waren auch Graf Moltke (Ehrenbürger<br />
von Görlitz) und Prinz Friedrich<br />
Karl (durch 1866 mit Görlitz verbunden).<br />
Die Huldigungen durch die<br />
Görlitzer auf der Fahrt zum Ständehaus<br />
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6<br />
Titel |
Zum 150.<br />
150.<br />
Geburtstag<br />
Geburtstag<br />
am 27. <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong><br />
und zurück zum Bahnhof mögen den Enkel,<br />
Prinz Wilhelm, stark beeindruckt haben.<br />
Sicherlich wünschte er sich für seine<br />
eigene Regierungszeit (1888-1918)<br />
eine ähnliche Anerkennung durch weite<br />
Kreise des Volkes.<br />
Parade vor dem Kaiser nach der Denkmaleinweihung, 18.05.1893<br />
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Titel |<br />
7
Kaiser Wilhelm<br />
Wilhelm<br />
II. und Görlitz<br />
II.<br />
–<br />
Der dritte Besuch führte Wilhelm II.<br />
nach Görlitz, als er bereits fünf Jahre in<br />
seinem hohen Amte als Deutscher Kaiser<br />
und König von Preußen war. Anlaß<br />
war die Einweihung des Kaiser-Wilhelm-<br />
Reiterdenkmals auf dem Obermarkt am<br />
18. Mai 1893. Im Beisein des Reichskanzlers,<br />
des preußischen Ministerpräsidenten<br />
und zahlreicher Würdenträger<br />
fuhr er vom Bahnhof zum Obermarkt,<br />
wo ihm am westlichen Platzende eigens<br />
ein Kaiserzelt errichtet worden war. Spaliere<br />
bis dorthin bildeten 4400 Mann aus<br />
79 Militärvereinen der Oberlausitz und<br />
Zehntausende von Görlitzern, darunter<br />
44 Schützengilden, Innungen, Sängervereine<br />
und Betriebsbelegschaften<br />
(Maschinenbau, Waggonbau, Feuerlöschgerätewerk,<br />
Tuchfabriken Krause<br />
und Geißler), dazu Schüler und Lehrer<br />
der Görlitzer Schulen. An die Denkmalenthüllung<br />
schloß sich ein Vorbeimarsch<br />
von Truppen und Vereinen an.<br />
Nach dem Festessen im Kaisersaal des<br />
Wilhelmtheaters hinter der Frauenkirche<br />
besichtigte der Kaiser die Peterskirche<br />
und das 1891 errichtete Prinz-<br />
Friedrich-Karl-Denkmal am Blockhaus.<br />
Am Spätnachmittag reiste er nach Muskau<br />
weiter. Von dem Ereignis fertigte<br />
der Görlitzer Fotograf Robert Scholz mit<br />
seinen Söhnen die erste Bildreportage<br />
von einem stadtgeschichtlichen Ereignis<br />
von mehreren Kamerastandorten aus.<br />
Die Görlitzer Tageszeitungen schilderten<br />
den Ablauf mit vielen Textseiten.<br />
Bereits 1896 folgte der vierte Besuch.<br />
Diesmal fanden die Kaisermanöver zwischen<br />
Görlitz und Bautzen statt. Vom 7.<br />
bis 12. September wohnte der Kaiser im<br />
Ständehaus, dem Gästehaus des Adels<br />
der preußischen Oberlausitz. Dort begrüßte<br />
er auch den russischen Zaren Nikolaus<br />
II. und die Zarin am ersten Manövertag;<br />
Kaiserin Auguste Viktoria hielt<br />
sich zwei Tage dort auf. Bald nach der<br />
Ankunft erlebten die Ehrengäste auf<br />
dem Exerzierplatz bei Moys eine Parade<br />
der Truppen des V. Armeekorps.<br />
Beim Einmarsch in Görlitz ritten Kaiser<br />
und Zar an der Spitze. Am ersten Abend<br />
war Großer Zapfenstreich vor dem Ständehaus.<br />
Die Stadt beherbergte neben<br />
den Ehrengästen aus dem Ausland über<br />
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8<br />
Titel |
Zum 150.<br />
150.<br />
Geburtstag<br />
Geburtstag<br />
am 27. <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong><br />
Kaisermanöver 1896 bei Görlitz, der Kaiser (weiße Uniform) mit dem russischen Zaren<br />
Nikolaus II. nach der Ankunft vor dem Bahnhof Görlitz.<br />
11000 Soldaten und 1586 Pferde und<br />
hatte dafür 50000 Mark zu zahlen.<br />
Anlaß für den letzten Kaiserbesuch am<br />
28. November 1902 war die Einweihung<br />
der Oberlausitzer Gedenkhalle am<br />
Ostufer der Neiße, für die Wilhelm II.<br />
die Schirmherrschaft übernommen hatte.<br />
Wie schon bei den vorangegange-<br />
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Titel |<br />
9
Kaiser Wilhelm<br />
Wilhelm<br />
II. und Görlitz<br />
II.<br />
–<br />
Einweihung der Ruhmeshalle am 28.11.1902, der Kaiser in der ersten Reihe ganz rechts<br />
delsunternehmen (Straßburg, Friedländer,<br />
Bargou) ihre Schaufenster mit<br />
Büsten, Bildern und Pflanzen dekoriert.<br />
Die Tageszeitungen schwelgten in seinen<br />
Kaiserbesuchen waren Straßen und<br />
Häuserfassaden reichlich geschmückt<br />
mit Fahnen, Girlanden, Wappen. Wiederum<br />
hatten insbesondere große Han-<br />
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10<br />
Titel |
Zum 150.<br />
150.<br />
Geburtstag<br />
Geburtstag<br />
am 27. <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong><br />
tenlangen Berichten über den Ablauf,<br />
über Baugeschichte und Gestaltung des<br />
neuen städtischen Museums.<br />
Huldigungsgedichte Görlitzer Poeten<br />
prangten auf Titelseiten. Nach der<br />
Rede von Bürgermeister Heyne und<br />
Rückfahrt des Kaisers zum Bahnhof nach der Einweihung der Ruhmeshalle, 18.11.1902<br />
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Titel |<br />
11
Kaiser Wilhelm<br />
Wilhelm<br />
II. und Görlitz<br />
II.<br />
–<br />
der Begrüßung durch Oberbürgermeister<br />
Büchtemann wünschte der Kaiser in<br />
seiner Ansprache, man möge das Bauwerk<br />
nicht “Ruhmeshalle” nennen, sondern<br />
Gedenkhalle, denn man rühme<br />
sich nicht seiner Taten. In der Wiedergabe<br />
der Niederschlesischen Zeitung<br />
brachte er zum Ausdruck: “ Ihm wolle<br />
es aber scheinen, als ob unsere jetzige<br />
Generation der Verpflichtung, durch Arbeit<br />
das fortzuführen, was Arbeit errungen<br />
habe, nicht mehr entsprechen könne.<br />
Unser Volk in seinen verschiedenen<br />
Klassen und Ständen sei eingeschlafen.<br />
Die großen Aufgaben, die an dasselbe<br />
herantreten, zumal seit seiner Einigung,<br />
würden nicht verstanden...Man stehe<br />
an der Schwelle einer neuen Zeit. Diese<br />
Zeit verlange ein großes Geschlecht,<br />
das sie verstehe. Das neue Jahrhundert<br />
werde eine Welt der Wissenschaft und<br />
Technik gebären. Die höchste Freiheit<br />
und die ausgesprochenste Individualität<br />
der deutschen Stämme sei aber doch<br />
die Unterordnung unter das Ganze...Das<br />
sei die Freiheit, die er dem deutschen<br />
Volke wünsche, aber nicht die Freiheit,<br />
sich selbst schlecht zu regieren...” Nur<br />
16 Jahre später versanken große europäische<br />
Monarchien im Strudel der Revolutionen.<br />
Die Völker machten sich an<br />
den Versuch, sich selbst zu regieren.<br />
Der Rückblick auf diese Versuche gibt<br />
Politikern, Historikern und vielen verantwortungsbewußten<br />
Deutschen Fragen<br />
auf. Für Görlitz ist unbestritten, daß die<br />
Stadt in der wilhelminischen Zeit ihre<br />
höchste Blüte in Wirtschaft, Bauwesen,<br />
Kultur, Einwohnerwachstum und Geburtenzuwachs<br />
erlebte.<br />
1918 drängten sich die Schlaumeier vor,<br />
die schon immer ein solches Ende vorausgesehen<br />
haben wollten. Diese verdächtige<br />
Besserwisserei ehemaliger<br />
Lobhudler und Jubler wiederholte sich<br />
1933, 1945 und 1989, und man wird<br />
ihr auch bei künftigen Umbrüchen begegnen.<br />
Mit einem gewissen zeitlichen<br />
Abstand sind dann wieder Sachkenntnis,<br />
ausgewogenes Urteil und ein Erbeverständnis<br />
in Würde gefragt. Die beste<br />
aller Welten gibt´s hienieden sowieso<br />
nicht, wie ein kurzer Blick in die Zeitung<br />
bestätigt. Für die wilhelminische Epo-<br />
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12<br />
Titel |
Zum 150.<br />
150.<br />
Geburtstag<br />
Geburtstag<br />
am 27. <strong>Januar</strong> <strong>2009</strong><br />
che brauchen wir uns in Görlitz<br />
nicht zu schämen, mögen das<br />
auch die Hinterfrager, Vergangenheitsbewältiger<br />
und Geschichtsaufarbeiter<br />
in Medien,<br />
Parteien und Behörden anders<br />
sehen.<br />
So ist der 150. Geburtstag des<br />
letzten Kaisers zumindest eine<br />
Fußnote zum aktuellen Weltgeschehen<br />
wert. Unsere Großeltern<br />
und Urgroßeltern können<br />
sich nicht mehr als Zeitzeugen<br />
zum Wort melden. Für diese<br />
Kinder und Mitgestalter der<br />
Jahrzehnte vor 1914 blieb das<br />
bis ans Lebensende die „gute<br />
alte Zeit“. Ihr Erbe, mit dem<br />
wir leben, verpflichtet uns.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
Wilhelm II., Gemälde von Arnold Busch, Breslau, 1912,<br />
Geschenk des Kaisers für Museum Görlitz, 1945 verschollen<br />
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Titel |<br />
13
„Moneta Cambio“ Münzen und Wechselkurse –<br />
et Cambio“<br />
Währungsschwankungen, Preissteigerung<br />
und Inflation und ihre<br />
Wirkungen auf die Brieftasche,<br />
die Kaufkraft waren immer leidige<br />
Begleiter der Menschen. Die<br />
Währungsverhältnisse haben bis<br />
und gerade heute einen beträchtlichen<br />
Einfluss auf unsere Lebensqualität,<br />
im Guten wie im Schlechten.<br />
Heute haben Städte keinerlei<br />
Einfluss mehr auf den Geldmarkt<br />
und die Finanzpolitik. Das war im<br />
Mittelalter einmal anders. Die Görlitzer<br />
Münze versorgte die ganze<br />
Oberlausitz mit dringend benötigtem<br />
Geld.<br />
Wohl seit dem frühen 13. Jahrhundert<br />
prägte man in Görlitz<br />
Münzen. Der Rat hatte dieses<br />
einträgliche Geschäft und königliche<br />
Privileg wohl zunächst von<br />
den böhmischen Landesherren<br />
gepachtet. Aber wohl um dessen<br />
politische und wirtschaftliche Bedeutung<br />
wissend, versuchte der<br />
Rat es endgültig zu erhalten. Da<br />
Urkunde 1330 zum Münz- und Wechselrecht in Görlitz<br />
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14<br />
Geschichte |
im Dienste der Görlitzer Handwerker und Kaufleute<br />
„Monteta et Cambio“<br />
Görlitz zu Beginn des 14. Jahrhunderts<br />
prosperierte und die Stadtkasse, anders<br />
als heute, prall gefüllt war, zahlte man<br />
dem Landesherren die Steuer für drei<br />
Jahre im Voraus. Endlich, am 13. April<br />
1330, erhielt Görlitz von dem böhmischen<br />
König Johann das unumschränkte<br />
Recht der Münzprägung und des Wechsels.<br />
Zum einen brachte das Münzrecht<br />
enorme Gewinne für die Stadtkasse,<br />
zum anderen nutzte der Rat besonders<br />
den Wechsel als mächtiges Instrument<br />
kommunaler Wirtschaftspolitik. Viele interessante<br />
Beispiele könnten genannt,<br />
eines soll nur kurz erwähnt werden. Die<br />
Görlitzer Tuchmacherei und der Großhandel<br />
erzielten zu Beginn des 15. Jahrhunderts<br />
gewaltige Gewinne in Ungarn<br />
und Polen. Als die Geschäfte in Ungarn<br />
bedingt durch die Pest bedrohlich stagnierten,<br />
nutzte man das Wechselrecht<br />
sehr egoistisch auch gegen die Interessen<br />
der anderen oberlausitzischen Städte,<br />
um Görlitzer Handel und Handwerk<br />
zu fördern. Man gab nämlich für einen<br />
polnischen Groschen sieben Pfennig,<br />
statt wie sonst im Markgraftum üblich<br />
und vereinbart 6 Pfennige. Dadurch gelang<br />
es den Görlitzern, auf den polnischen<br />
Märkten sehr schnell nahezu eine<br />
Monopolstellung einzunehmen. Für polnische<br />
Kaufleute wurde Görlitz ein bevorzugter<br />
Handelsort. Einen Haken hatte<br />
diese Finanzpolitik dann doch. Eigene<br />
Zahlungen mussten, wenn durch den<br />
Kursverlust nicht große Verluste entstehen<br />
sollten, in Görlitzer Münze geleistet<br />
werden. Die Görlitzer Heller und<br />
Pfennige verschwanden aus den Beuteln<br />
der Bürger. Mit polnischen Pfennigen<br />
Schulden zu begleichen, kam teuer.<br />
Görlitzer Produkte wurden aber für<br />
Fremde attraktiv. Im Gegenzug wurden<br />
die Görlitzer Importwaren, wie das Färbemittel<br />
Waid, wie polnische Ochsen<br />
oder Brotgetreide sehr teuer. Als Görlitz<br />
1510 die Hilfe des Sechsstädtebundes<br />
gegen Anklagen des Adels wegen<br />
der eigenmächtigen Gefangenennahme<br />
in fremdem Gerichtsbezirk, der schnellen<br />
Verurteilung und Hinrichtung adliger<br />
Landfriedensbrecher bei König Wladislaus<br />
benötigte, setzte man den Wechselkurs<br />
auf 6 Pfennige für die polnischen<br />
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Geschichte | 15
„Moneta Cambio“ Münzen und Wechselkurse –<br />
et Cambio“<br />
Planwagen eines Kaufmannszuges bei der Einfahrt in<br />
die hölzerne Neißebrücke am Kirchberg in Görlitz um<br />
1500. Zeichnung von Günter Hain 1983.<br />
Groschen fest. Unter großen Mühen versuchte<br />
man die polnischen Pfennige in<br />
Schlesien, wo man 7 Pfennige für den<br />
Groschen gab, zu wechseln. In Schlesien<br />
aber stieg der Münzbedarf enorm, da<br />
man dort neue Münzen prägte.<br />
In Görlitz wie der gesamten<br />
Oberlausitz fehlte es<br />
plötzlich an „Kleingeld“. Der<br />
Görlitzer Münzmeister Baldauf<br />
soll zwischen 1510 und 1515<br />
etwa 42 Millionen Pfennigstücke<br />
geprägt haben. Allerdings<br />
bedingte diese Masse eine<br />
sehr minderwertige, kaum<br />
erkennbare Prägung und eine<br />
dunklere Färbung der Münzen.<br />
In Böhmen, Schlesien<br />
und Braunschweig kam man<br />
deshalb auf die Idee, minderwertigere<br />
Görlitzer Münzen<br />
aus Kupfer und Eisen mit<br />
geringem Silbergehalt zu prägen.<br />
Diese strömten in Massen<br />
nach Görlitz. Auf fremden<br />
Märken nahm man sie nicht<br />
oder nur gegen hohe Aufgelder<br />
in Zahlung. Auswärtige Händler kamen<br />
in Folge massenhaft nach Görlitz<br />
und der Oberlausitz. Sie kauften nahezu<br />
alles. Der Kurs der Görlitzer Münzen<br />
verfiel rasant. Hungersnöte drohten, da<br />
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16<br />
Geschichte |
im Dienste der Görlitzer Handwerker und Kaufleute<br />
„Monteta et Cambio“<br />
Lebensmittel für die meisten<br />
Menschen unbezahlbar<br />
wurden. In der Oberlausitz<br />
war man einer ersten großen<br />
Inflation ausgesetzt. Bis<br />
etwa 1530 sollte es dauern,<br />
bis man durch Prägung besserer<br />
Münzen wieder geordnete<br />
Währungsverhältnisse<br />
schuf. Für die Stadtkasse<br />
und die Masse der Bevölkerung<br />
brachte diese Münzpolitik<br />
enorme Bedrückungen.<br />
Gewaltig profitierten allein<br />
die exportorientierten produzierenden<br />
Handwerker und<br />
Großkaufleute.<br />
Görlitzer Zahlungsmittel. Brakteat mit böhmischer Krone<br />
und Umschrift „Gorliz“, um 1250. Silberpfennig mit<br />
Abkürzung „Gor“ und böhmischem Löwen, um 1455.<br />
Seit 1449 wurden Münzen in größerer Anzahl geprägt,<br />
1468 allein 3,7 Millionen Pfennige.<br />
Die Münze befand sich im Haus Untermarkt 7.<br />
Zahlreich sind die Spuren zu<br />
den Münzverhältnissen in der<br />
Stadt und der Finanzpolitik<br />
des Rates. Besonders aus einem<br />
prächtigen Münzbuch aus den Jahren<br />
1460 bis 1469 kann man erstaunliche<br />
Informationen über das Münzwesen<br />
der Stadt erlangen. So erfährt man,<br />
welche Gewinne das Münz- und Wechselrecht<br />
Münzmeistern und Stadtkasse<br />
brachten, aber auch welche gewaltige<br />
Geldmengen in Görlitz geprägt wurden.<br />
Siegfried Hoche MA, Ratsarchiv Görlitz<br />
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Geschichte |<br />
17
Die Sage<br />
Sage<br />
von Gobius<br />
von Gobius<br />
Görlitzer Nikolaifriedhof, Zeichnung von Günter Hain, 1990<br />
So wie manchen Görlitzer Sagen etwas<br />
Schauerliches eigen ist, erzählt auch<br />
die Geschichte vom Stadtrichter<br />
Gregor Gobius (1588-<br />
1658) von nächtlichen Begebenheiten,<br />
die zartbesaitete<br />
Gemüter so recht das Gruseln<br />
lehren können. Eingeweihte<br />
wollen wissen, daß ab und<br />
zu in mitternächtlicher Stunde<br />
ein schwarzverkleideter Leichenwagen<br />
durch die Görlitzer<br />
Altstadt rumpelt. Er nimmt<br />
seinen geisterhaften Weg von<br />
der Frauenkirche aus durch<br />
die Steinstraße, die Nonnenstraße,<br />
die Brüderstraße und<br />
die Peterstraße bis an das<br />
Haus Peterstraße 13, das Gobius<br />
einst bewohnte, von dort<br />
aus dann durch die Langenstraße,<br />
die Breite Straße, vorüber<br />
am Reichenbacher Turm,<br />
den Grünen Graben entlang<br />
bis zum Nikolaifriedhof, wo<br />
sich die Gobiussche Gruft befindet.<br />
Der Spukwagen soll mit<br />
schwarzen Pferden ohne Kopf bespannt<br />
sein. Schwarz vermummte Männer, die<br />
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18<br />
Geschichte |
Die<br />
und dem<br />
Sage<br />
Leichenwagen<br />
von Gobius<br />
den Kopf unter dem Arme tragen, sollen<br />
ihm stumm zur Seite schreiten. Neugierige,<br />
die sich von dem ungewohnten<br />
Geräusch ans Fenster locken ließen, sahen<br />
bisher immer den Leichenwagen<br />
undeutlich gerade um die Straßenecke<br />
verschwinden. Wem es so ergeht, der<br />
kann noch von Glück sagen. Denn sollte<br />
es einmal jemand genau wissen wollen<br />
und dem Leichenzug nachspüren, der<br />
müßte dann den vorwitzig erhaschten<br />
Anblick noch im gleichen Jahre mit seinem<br />
Leben bezahlen.<br />
Nach einer anderen Lesart kutschiert<br />
der skandalumwitterte Gobius um Mitternacht<br />
selbst durch die Heilig-Grab-<br />
Straße, natürlich in einem schwarzen<br />
Wagen und mit vier schwarzen Pferden,<br />
und seinen Kopf hält er dabei unterm<br />
Arme. Er soll sogar vom Fenster seines<br />
Hauses aus seinem eigenen Leichenbegängnis<br />
zugeschaut haben.<br />
Der Überlieferung nach galt Kopsch,<br />
der seinem Namen die lateinische Fassung<br />
“Gobius” gab, zu Lebzeiten als Alchimist<br />
und trieb selbst chemische Experimente.<br />
Man weiß, es gab seinerzeit<br />
unter diesen Alchimisten ebenso ernsthaft<br />
und erfolgreich forschende Gelehrte<br />
wie auch gerissene Betrüger und<br />
Halsabschneider. Heute läßt sich nicht<br />
mehr sicher herausfinden, ob Gobius<br />
ein eingebildeter oder ein echter Forscher<br />
war und ob ihn vielleicht mit dem<br />
wenig schmeichelhaften Skandalklatsch<br />
Unrecht geschieht. Den Leichnam seiner<br />
Frau soll er geschickt einbalsamiert<br />
haben. Er bevorzugte grellrote Kleidung<br />
und ausladende Perücken. Schon das<br />
mochte ihn dümmlichen Schandmäulern<br />
verdächtig machen.<br />
Es mag lange her sein, da spielten ausgelassene<br />
Jungen auf dem Nikolaifriedhofe.<br />
Einer trieb es besonders arg und<br />
höhnte übermütig am Gitter der Gobius-Gruft:<br />
“Gobsch, Gobsch, komm heraus!”<br />
Von unsichtbarer Hand bekam er<br />
eine klatschende Maulschelle, und die<br />
erschrockene Meute suchte das Weite.<br />
Aber wer hätte das dem Gobius verdenken<br />
können?<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
Aus: Geschichten aus Alt-Görlitz, 1983<br />
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Geschichte |<br />
19
Richard Jecht zum<br />
Jecht<br />
150. Geburtstag<br />
Prof. Jecht, Kupferstich von Johannes Wüsten, 1932<br />
Sein Wirken als Sekretär der<br />
Gesellschaft ist bis heute am<br />
augenscheinlichsten mit der<br />
Herausgabe des Neuen Lausitzischen<br />
Magazins verbunden,<br />
in welchem er seinen<br />
ersten Beitrag bereits im 62.<br />
Band (1886) veröffentlichte.<br />
Die Bände 65 bis 118 tragen<br />
seinen Namen als Herausgeber.<br />
Jecht strebte danach,<br />
das Arbeitsgebiet der<br />
Zeitschrift auf die wissenschaftliche<br />
Erforschung der<br />
Geschichte und Volksart der<br />
Oberlausitz zu beschränken.<br />
Er befürchtete angesichts<br />
der zunehmenden Spezialisierung<br />
der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen<br />
nicht<br />
zu Unrecht „sonst den Boden<br />
unter den Füßen zu verlieren“.<br />
Jecht forderte streng und<br />
unnachgiebig Qualität von<br />
den Autoren. Trotz zunehmend<br />
strengeren Maßstä-<br />
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20<br />
Persönlichkeit |
Richard Jecht zum<br />
Jecht<br />
150. Geburtstag<br />
ben musste sich Jecht nicht um brauchbare<br />
Beiträge bemühen. Unermüdlich<br />
und in wochenlanger Arbeit redigierte<br />
und korrigierte er die eingesandten Arbeiten<br />
und besprach sich mit den Autoren<br />
in meist sehr kollegialer Art und<br />
Weise. Bereits im Jahre 1901 schrieb<br />
Woldemar Lippert in den Deutschen Geschichtsblättern<br />
III (1901) in diesem Zusammenhang<br />
folgendes: „Dank Jechts<br />
Bestreben, Arbeiten dilettantischer Art<br />
fernzuhalten, darf sich das N.L. Magazin<br />
den besten provinzialgeschichtlichen<br />
Organen Deutschlands beizählen.“ Obwohl<br />
die Gesellschaft über eine solide<br />
finanzielle Basis verfügte, suchte Jecht<br />
beständig nach neuen Geldgebern für<br />
umfangreiche und in schwerer Zeit geschaffene<br />
Veröffentlichungen wie Walter<br />
von Boettichers 1912 bis 1919 erschienene<br />
dreibändige Geschichte des Oberlausitzischen<br />
Adels. Bereits 1923 erhielt<br />
er die Leibnizmedaille von der Akademie<br />
der Wissenschaften verliehen. Es folgten<br />
eine ganze Reihe weiterer Auszeichnungen,<br />
darunter die Goethemedaille für<br />
Kunst und Wissenschaft im Jahre 1943.<br />
Am wichtigsten war ihm aber vermutlich<br />
die anlässlich seines 75. Geburtstages<br />
im Jahre 1933 verliehene Görlitzer<br />
Ehrenbürgerschaft. Den Stolz auf seine<br />
selbst gewählte Heimatstadt spürt man<br />
sehr deutlich in allen seinen Schriften<br />
und Vorträgen. Dies trug ihm nicht zuletzt<br />
die Achtung und Zuneigung der<br />
durchaus zurückhaltenden Görlitzer Bürgerschaft<br />
ein. Gedichte, Bilder und zahlreich<br />
überlieferte Anekdoten belegen die<br />
volkstümliche, ja bis heute fortdauernde<br />
Verehrung des „Professors“. Friedrich<br />
Pietsch, Jechts Nachfolger im Amte des<br />
Ratsarchivars, behauptete sehr sinnfällig,<br />
dass jener es nicht über das Herz<br />
gebracht habe, die Stadtgeschichte<br />
über den Pönfall hinaus fortzuschreiben.<br />
Pietsch selbst erhielt deshalb von Jecht<br />
den Auftrag, sich mit der Geschichte des<br />
Pönfalls auseinanderzusetzen. Denn dieses<br />
Ereignis markierte eine neue Zeit,<br />
die Zeit, in der die politische Eigenständigkeit<br />
der Städte durch die sich entwickelnde<br />
Staatlichkeit zunehmend beschnitten<br />
wurde. Grenzen Jechts lagen<br />
sicherlich auch in der geringen Akzep-<br />
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Persönlichkeit | 21
Richard Jecht zum<br />
Jecht<br />
150. Geburtstag<br />
tanz anderer Wissenschaftsdisziplinen,<br />
insbesondere trifft dies wohl auf die<br />
Volkskunde und die Archäologie zu. Augenfällig<br />
wurde dies in einem Streit mit<br />
dem Bautzner Prähistoriker Walter Frenzel.<br />
Der Streit nährte zudem das Gerücht<br />
von einer Unterbewertung Bautzens<br />
durch Jecht. Beide Forscher hatten sich<br />
„Grenzverletzungen“ erlaubt. Frenzel<br />
schrieb Geschichte, Jecht Vorgeschichte.<br />
Jecht hatte versucht, den Gau Besunzane<br />
der Emmeraner Völkertafel im Gebiet<br />
um das Dorf Biesnitz an der Landeskrone<br />
nachzuweisen. Frenzel forderte die<br />
archäologischen Belege, welche Jecht<br />
als Archivar und Philologe nicht erbringen<br />
konnte. Zudem belehrt Frenzel den<br />
Altmeister durchaus etwas schulmeisterlich<br />
wie folgt: „Die Quellen der Geschichtsforschung,<br />
die nicht in Urkunden<br />
und Chroniken niedergeschrieben<br />
sind, sind nicht nur zu berücksichtigen,<br />
sondern besitzen eine hohe Beweiskraft<br />
aus sich selbst: sie sind selbst Altertum“.<br />
Jecht verzieh ihm bis zum Lebensende<br />
nicht. Er ließ aber, wie kolportiert wurde,<br />
ein anerkennendes Knurren anlässlich<br />
des Erscheinens der Frenzelschen Schrift<br />
„Tausend Jahre Bautzen“ hören.<br />
Im übrigen war er freundschaftlich mit<br />
den Bautznern Arras und Needon, dem<br />
Löbauer Staudinger und dem Zittauer<br />
Seeliger verbunden. Der Hintergrund<br />
für das Misstrauen gegenüber der Archäologie<br />
und besonders der Volkskunde<br />
lag darin begründet, dass für Jecht<br />
schriftliche Quellen die Primärquellen<br />
schlechthin darstellten. Bei aller quellenkritischen<br />
Herangehensweise belegten<br />
sie am sichersten den Verlauf der Geschichte.<br />
Und Jecht beherrschte wie kein<br />
zweiter die Arbeit mit ihnen. Für seine<br />
Forschungen versuchte er sie „erschöpfend“<br />
auszubeuten. Die Einschätzung<br />
der „erschöpfende“ Nutzung der vorhanden<br />
Schriftquellen bildete im Übrigen<br />
auch das höchste Lob für die Arbeit<br />
anderer. Dem von ihm hoch geschätzten<br />
Knothe verübelte er aus diesem Grund<br />
auch, dass er selbst nicht die Archivalien<br />
des Görlitzer Ratsarchivs genutzt hatte.<br />
Ohne den eingangs zitierten Fleiß und<br />
große Gewissenhaftigkeit konnten diese<br />
Anforderungen nicht erfüllt werden. Die<br />
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22<br />
Persönlichkeit |
Richard Jecht zum<br />
Jecht<br />
150. Geburtstag<br />
Bildnis Prof. Dr. Richard Jecht,<br />
Gemälde von Otto Engelhardt-Kyffhäuser, 1924<br />
Spuren seines Schaffens finden sich bis<br />
heute im Görlitzer Ratsarchiv. Unübertroffenes<br />
Findhilfsmittel bleiben auch zukünftig<br />
die berühmten<br />
„Jecht`schen Zettelkästen“.<br />
In 21 Ordnern<br />
finden sich tausende<br />
dicht bekritzelte Zettel<br />
mit Zitaten, Notizen,<br />
Standortangaben aller<br />
Art zur Geschichte von<br />
Görlitz, der Oberlausitz<br />
und zu den Oberlausitzer<br />
Ortschaften.<br />
Jechts Werk ist zeitlos.<br />
Wohl deshalb, weil<br />
er nicht genial konstruierte,<br />
kühn formulierte,<br />
sondern weil<br />
er sich bescheiden an<br />
nichts als an die Tatsachen<br />
aus den überlieferten<br />
Quellen hielt,<br />
wie sehr treffend einer<br />
seiner großen Nachfolger,<br />
der Görlitzer Ratsarchivar<br />
Walter Haupt,<br />
schrieb.<br />
Mit seinem Tode endete<br />
die fruchtbarste Epoche historischer<br />
Grundlagenforschung und erfolgreichster<br />
Geschichtsschreibung und zugleich<br />
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Persönlichkeit |<br />
23
Richard Jecht zum<br />
Jecht<br />
150. Geburtstag<br />
der Oberlausitzischen Gesellschaft<br />
der Wissenschaften.<br />
57 Jahre führte Jecht als<br />
Sekretär ganz wesentlich die<br />
Geschicke unserer Wissenschaftsgesellschaft.<br />
Trotz oft<br />
bedrückender Zeitumstände,<br />
bedingt durch Krieg, Inflation<br />
und nationalsozialistische<br />
Vereinnahmungsversuche,<br />
blieb die Gesellschaft bis zu<br />
ihrem erzwungenen Ende<br />
produktiv und lebendig. Ihre<br />
Geschichte, so bemerkte der<br />
Ehrenpräsident der Oberlausitzischen<br />
Gesellschaft der<br />
Wissenschaften Prof. Ernst<br />
Heinz Lemper sehr treffend,<br />
„ist ab 1889 geradezu<br />
mit der Biographie und Bibliographie<br />
R. Jechts identisch“.<br />
Sein Vermächtnis heißt<br />
schlicht Arbeit. Die wieder<br />
begründete Oberlausitzische<br />
Gesellschaft der Wissenschaften<br />
führt dieses Erbe auch zu-<br />
Richard Jecht in seiner Wohnung, Neißstraße 30<br />
künftig fort.<br />
Siegfried Hoche MA, Ratsarchiv Görlitz<br />
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24<br />
Persönlichkeit |
Aus Geschichte und Gegenwart<br />
Am 22. September 1990 wurde in Görlitz<br />
die Naturforschende Gesellschaft der<br />
Oberlausitz, in der ehren- und hauptamtliche<br />
Naturwissenschaftler bzw. an der Natur<br />
der Oberlausitz interessierte Freizeitforscher<br />
vereinigt sind, (wieder-)gegründet.<br />
Dieses Datum markiert den Wiederbeginn<br />
einer Tradition, die 1945 unterbrochen<br />
werden musste. Bis dahin existierten in<br />
der Oberlausitz mehrere wissenschaftliche<br />
Gesellschaften, z. B. die Naturforschenden<br />
Gesellschaften Isis in Bautzen und Kamenz,<br />
die Humboldtvereine und die als wichtigste<br />
Vorgängerin unserer Gesellschaft aufzufassende<br />
Naturforschende Gesellschaft zu<br />
Görlitz (1811–1945). Schon seit 1827<br />
erschien alljährlich deren Zeitschrift „Abhandlungen<br />
der Naturforschenden Gesellschaft<br />
zu Görlitz“. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
setzte das Staatliche Museum für<br />
Naturkunde Görlitz die Reihe als „Abhandlungen<br />
und Berichte ...“ fort.<br />
Seit 180 Jahren besteht damit für alle naturkundlichen<br />
Beobachtungen in der Oberlausitz<br />
ein Publikationsorgan, das alle interessierten<br />
Personen in der Oberlausitz wie<br />
auswärtige Wissenschaftler nutzen kön-<br />
nen, da es auch in vielen Bibliotheken der<br />
Welt zu finden ist.<br />
Es muss schon als Besonderheit der Oberlausitz<br />
gesehen werden, dass hier seit<br />
200 Jahren sich immer wieder ein bemerkenswert<br />
hoher Anteil der Bevölkerung als<br />
Freizeitforscher der Natur der Oberlausitz<br />
widmete, obwohl (oder gerade weil) die<br />
nächstgelegenen Universitäten mit ihren<br />
naturwissenschaftlichen Instituten (Berlin,<br />
Leipzig, Breslau, Prag) jeweils über 200<br />
km entfernt waren und damit keine geistigen<br />
Zentren für die Naturerkundung in<br />
der Oberlausitz sein konnten. Die Naturforschenden<br />
Gesellschaften in der Oberlausitz<br />
waren damit in stärkerem Maße geistige<br />
Heimat für die hier wirkenden Forscher.<br />
Dies zeigt sich in der großen Zahl der Mitglieder<br />
in der Vergangenheit und heute.<br />
Die Lausitz gehörte und gehört sicher zu<br />
den am besten durchforschten Gebieten<br />
Deutschlands.<br />
Die Gründung der heutigen Naturforschenden<br />
Gesellschaft der Oberlausitz 1990 geht<br />
in erster Linie auf die Initiative des früheren<br />
Direktors des Staatlichen Museums für<br />
Naturkunde Görlitz, Professor Dr. Wolfram<br />
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Geschichte |<br />
25
Aus Geschichte und Gegenwart<br />
Ehrenvorsitz für Prof. Dr. W. Dunger (links) 2006<br />
Dunger, zurück. Er war von 1990 bis 2005<br />
Vorsitzender und wurde 2006 zum Ehrenvorsitzenden<br />
der Gesellschaft ernannt.<br />
Von (Wieder-)beginn an setzte die Gesellschaft<br />
die naturkundliche Erforschung fort.<br />
Dies spiegelt sich in der Einrichtung von<br />
Fachgruppen zu Geologie und Mineralogie,<br />
Botanik, Ornithologie und Entomologie wider.<br />
Die Ergebnisse ihrer Arbeiten werden<br />
(u.a.) alljährlich in den „Berichten der<br />
Naturforschenden Gesellschaft der<br />
Oberlausitz“ publiziert, die – herausgegeben<br />
von Professor Dunger – seit 1991<br />
jährlich erscheinen.<br />
Schon jetzt laufen die Vorbereitungen für<br />
ein großes Jubiläum: Im Jahre 2011 wird<br />
die Naturforschende Gesellschaft ihren<br />
200. Geburtstag zusammen mit dem<br />
Naturkundemuseum Görlitz feiern, u.a. mit<br />
einer Ausstellung.<br />
Höhepunkte im Leben der Gesellschaft<br />
sind zum einen die jährlich stattfindenden<br />
Sitzungen des Ausschusses, auf denen<br />
sowohl Berichte über die jeweils geleistete<br />
Arbeit gegeben als auch zukünftige<br />
Aufgaben beraten werden, zum anderen<br />
die ebenfalls einmal im Jahr veranstalteten<br />
öffentlichen Tagungen, auf denen in<br />
Vorträgen die Ergebnisse haupt- und ehrenamtlicher<br />
Forschung vorgestellt werden.<br />
Die Tagungen werden meistens unter<br />
eine umfassende Thematik gestellt und<br />
oft in Kooperation mit anderen Institutionen<br />
durchgeführt. So z.B. widmeten sich<br />
die Tagungen 2005 der Muskauer Heide<br />
und 2007 dem Agrarraum der Oberlausitz.<br />
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26<br />
Geschichte |
der Naturforschenden Gesellschaft der Oberlausitz<br />
und Gegenwart<br />
2008 wurde die Tagung gemeinsam mit<br />
der Verwaltung des Biosphärenreservates<br />
Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft<br />
durchgeführt. Mit großer Freude und Genugtuung<br />
ist festzustellen, dass auch in der<br />
Zeit der konsumorientierten Gesellschaft<br />
und der vielfachen Überforderung der Einzelnen<br />
im Berufsleben diese Tagungen<br />
sehr gut besucht sind. Für <strong>2009</strong> steht ein<br />
historisches Ereignis an: zum ersten Mal in<br />
der langjährigen Geschichte beider Gesellschaften<br />
werden die Oberlausitzische<br />
Gesellschaft der Wissenschaften und<br />
die Naturforschende Gesellschaft der<br />
Oberlausitz eine gemeinsame Tagung<br />
durchführen, und zwar vom 17. bis 19. April<br />
<strong>2009</strong> im Humboldthaus des Staatlichen<br />
Museums für Naturkunde Görlitz.<br />
Das Interesse für die Belange unserer Gesellschaft<br />
ist so groß, dass für 2007 erstmals<br />
außer den Exkursionen in die nähere<br />
Umgebung (so auch nach Tschechien)<br />
eine mehrtägige Fernexkursion in den<br />
Schwarzwald und den Kaiserstuhl durchgeführt<br />
wurde. Aufgrund der Begeisterung<br />
an dieser Fahrt wurden schon auf der<br />
Heimfahrt Pläne für kommende Exkursionen<br />
geschmiedet: <strong>2009</strong> und 2010 soll es<br />
für mehrere Tage nach Südschweden zur<br />
Orchideenblüte auf Öland gehen.<br />
Kontakte wie z. B. der mit der Naturforschenden<br />
Gesellschaft des Breisgaues<br />
bestimmen die Zusammenarbeit und<br />
wechselseitige Unterstützung bei Forschungsvorhaben<br />
oder Tagungen; so wurden<br />
u. a. Vereinbarungen mit dem Landesverein<br />
Sächsischer Heimatschutz, der<br />
Verwaltung des Biosphärenreservates<br />
und der Fachhochschule Zittau-Görlitz geschlossen.<br />
Selbstverständlich sind neue Mitglieder und<br />
Interessenten immer willkommen.<br />
Prof. em. Dr. Werner Hempel<br />
Vorsitzender der Naturforschenden Gesellschaft<br />
der Oberlausitz e.V.<br />
Brigitte Westphal<br />
Presse, Redaktion, Vorstand<br />
Foto: Brigitte Westphal<br />
Die Naturforschende Gesellschaft der Oberlausitz<br />
im Internet:<br />
www.naturforschende-gesellschaft-deroberlausitz.de<br />
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Geschichte |<br />
27
Kloster<br />
775 Jahre Zisterzienserinnenabtei<br />
St. Marienthal<br />
Auf einem Gemälde aus dem 18. Jahrhundert<br />
wird die Überreichung der Gründungsurkunde<br />
vom 14.10.1234 durch<br />
Königin Kunigundis von Böhmen an die<br />
„gottgeweihten Nonnen im Tal der Heiligen<br />
Maria“ (Marienthal) dargestellt.<br />
1234 – eine Jahreszahl mit Symbolcharakter<br />
– gründete die Königin Kunigundis von<br />
Böhmen mit ihrem Gemahl Wenzel dem<br />
Einäugigen das Klosterstift<br />
in St. Marienthal.<br />
Die Schenkungsurkunde<br />
von 1234 belegt,<br />
dass das Kloster als<br />
Sühnestiftung errichtet<br />
wurde. Der Grundbesitz<br />
wird den Nonnen<br />
des Zisterzienserordens<br />
geschenkt. 1237 wird<br />
das Kloster in den Orden<br />
der Zisterzienserinnen<br />
aufgenommen und<br />
eingegliedert.<br />
Als zu jener Zeit die<br />
Zisterzienserinnenabtei<br />
St. Marienthal gegründet<br />
wurde, ahnte noch niemand, welche<br />
wechselvolle Geschichte und welche<br />
ungeheuerlichen Schicksale die Zeit mit<br />
sich bringen wird. Kriege und Zerstörungen,<br />
Brände und Hochwasser, politische<br />
und weltliche Veränderungen, Reformation<br />
und Säkularisation . . all das „überlebte“<br />
die Zisterzienserinnenabtei, ohne<br />
daran zu zerbrechen. Dass es sich hierbei<br />
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28<br />
Geschichte |
Klosterstift St.<br />
St.<br />
Marienthal<br />
Marienthal<br />
um das älteste ununterbrochen bestehende<br />
Zisterzienserinnen-Kloster in Deutschland<br />
handelt, ist vielen Menschen noch gar<br />
nicht so bewusst. Und dabei soll auf den<br />
Zusatz „ununterbrochen“ eindringlich hingewiesen<br />
werden, denn der Konvent und<br />
die Schwesternschaft vom Kloster St. Marienthal<br />
können trotz der vielen Stürme<br />
und Katastrophen auf ein ununterbroche-<br />
nes Bestehen seit dem Gründungstag vom<br />
14.10.1234 bis heute verweisen.<br />
Getreu des monastischen Mottos „ora et<br />
labora“ (bete und arbeite) leben und arbeiten<br />
die Schwestern der Zisterzienserinnenabtei<br />
nach den Regeln des heiligen<br />
Benedikts und den Satzungen des<br />
Zisterzienserordens. Unter dem Schutz<br />
der böhmischen Krone<br />
entwickelte sich das<br />
Klosterstift sehr gut. So<br />
unterstützte das Königshaus<br />
das Kloster<br />
durch eine Reihe von<br />
Rechten. Entsprechende<br />
Urkunden geben Aufschluss<br />
über Privilegien,<br />
Zollfreiheiten und<br />
andere Rechte, bis hin<br />
zur Oberen Gerichtsbarkeit.<br />
Glückliche Umstände<br />
verhalfen später<br />
zum verbrieften und<br />
vertraglichen Schutz<br />
des Klosters durch das<br />
sächsische Königshaus.<br />
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Geschichte |<br />
29
Kloster<br />
775 Jahre Zisterzienserinnenabtei<br />
St. Marienthal<br />
Mit dieser Obhut wurde das Klosterstift vor<br />
der Säkularisation, der staatlich verordneten<br />
Aufhebung, bewahrt.<br />
Die Arbeiten in der Land- und Forstwirtschaft<br />
und in der Viehhaltung bestimmten<br />
über Jahrhunderte das Wirtschaften<br />
in St. Marienthal. Im 19. Jahrhundert wird<br />
im Kloster St. Marienthal ein Waisenhaus<br />
errichtet – und im Anschluss daran eine<br />
Schule, in deren Gebäuden<br />
die Schwestern<br />
selbst unterrichten, eröffnet.<br />
Beides wird 1938<br />
unter dem Naziregime<br />
zwangsweise wieder<br />
aufgelöst.<br />
Während des 2. Weltkrieges<br />
werden große<br />
Teile vom Kloster von<br />
der SS annektiert. Die<br />
Räume dienen einem<br />
KLV-Lager (Kinder-Land-<br />
Verschickungs-Lager)<br />
und einem Lazarett, in<br />
welchem bis zu 400<br />
Soldaten von den Klosterschwestern gepflegt<br />
wurden. Als vor Ende des Krieges<br />
1945 das Kloster St. Marienthal gesprengt<br />
werden sollte, weigerte sich der Konvent<br />
mit seiner Äbtissin, dem Räumungsbefehl<br />
der SS Folge zu leisten, und verhinderte<br />
somit die geplante Zerstörung.<br />
Durch die neue Grenzlinie entlang der Neiße<br />
verlor das Kloster Marienthal auf einen<br />
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30<br />
Geschichte |
Klosterstift St.<br />
St.<br />
Marienthal<br />
Marienthal<br />
Schlag das Eigentum<br />
jenseits der Neiße, was<br />
ungefähr einem Drittel<br />
des Gesamtbesitzes<br />
entsprach. Der Verlust<br />
bezifferte sich u. a. auf<br />
400 ha Grundbesitz,<br />
landwirtschaftliche Gebäude<br />
und die Fischteiche<br />
jenseits der Neiße.<br />
Nach dem Kriegsende<br />
nahm das Kloster<br />
Flüchtlinge aus den Orten<br />
östlich der Neiße<br />
auf.<br />
1952 kam es zu einer<br />
der größten Überraschungen. Der Ministerpräsident<br />
der DDR bestätigte dem Kloster<br />
Marienthal schriftlich, aufgrund des<br />
ununterbrochenen Bestehens, den Status<br />
des öffentlichen Rechts. Dieser Status war<br />
dem Kloster vom NS-Regime aberkannt<br />
worden.<br />
1955 wurde vom Kloster St. Marienthal<br />
das „Caritas-Pflegeheim St. Josef“ für 60<br />
geistig behinderte Frauen und Mädchen<br />
im Kloster gegründet und eröffnet. 1978<br />
folgte dann durch das Kloster die Eröffnung<br />
vom „Pater-Kolbe-Hof“, einem Behindertenwohnheim<br />
für geistig behinderte<br />
Männer auf dem Klostergut in Schlegel.<br />
Die friedliche Wende 1989 in Deutschland<br />
stellte den Konvent vor neue Herausforderungen<br />
und große Veränderungen, de-<br />
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Geschichte |<br />
31
Kloster<br />
775 Jahre Zisterzienserinnenabtei<br />
St. Marienthal<br />
nen sich die Schwestern mit großer Offenheit<br />
stellten. Die landwirtschaftlichen<br />
Nutzflächen, die Milchproduktion und die<br />
Schafzucht wurden 1991 verpachtet – der<br />
Waldbesitz ist in der Eigenbewirtschaftung<br />
geblieben. Das zum Klosterwald gehörende<br />
landschaftlich einmalig schöne und<br />
reizvolle Neißetal wurde Naturschutzgebiet<br />
– die gesamte Klosteranlage wird ein<br />
Flächendenkmal.<br />
1992 gründen die Zisterzienserinnen<br />
von St.<br />
Marienthal die Stiftung<br />
„Internationales Begegnungszentrum<br />
St.<br />
Marienthal“. Zweck der<br />
Stiftung ist die Förderung<br />
der Begegnung<br />
von Menschen ohne<br />
Unterschied des Geschlechts,<br />
des Alters,<br />
des Standes, der nationalen<br />
Herkunft und der<br />
Religion, vorwiegend<br />
aus Deutschland, Polen<br />
und der Tschechischen<br />
Republik, in einer Umgebung des<br />
Glaubens an dem Ort, an dem die Grenzen<br />
dieser drei Länder aufeinander treffen.<br />
Darin sieht die Stiftung ihren Beitrag<br />
zum Frieden, zur Versöhnung der Religionen<br />
und Weltanschauungen und zur Verständigung<br />
der europäischen Völker und<br />
Volksgruppen – ein Begegnen auf unterschiedlichen<br />
Ebenen mit der Bewahrung<br />
des kulturellen Erbes der Heimat und in<br />
der Förderung der Verantwortung für die<br />
anzeige<br />
32<br />
Geschichte |
Klosterstift St.<br />
St.<br />
Marienthal<br />
Marienthal<br />
Schöpfung. Durch die Lage im Dreiländereck<br />
kann in besonderer Weise ein Begegnen<br />
mit Bewahrung der Schöpfung erfolgen.<br />
Für diese Bestimmung wurden die<br />
ehemaligen Wirtschaftsgebäude im Klosterhof<br />
weitergenutzt.<br />
1997 wird die „Kloster St. Marienthal Wirtschaftsverwaltungsgesellschaft<br />
mbH“ als<br />
Verbund aus mehreren ehemaligen Wirtschaftsbereichen<br />
des Klosters St. Marienthal<br />
gegründet. Die Klosterbäckerei, der<br />
Klostermarkt, die Klosterschenke, der Beherbergungs-<br />
und Tourismusbereich, die<br />
Paramentenwerkstatt, die Wäscherei und<br />
die Wasserkraftanlage können dank dieser<br />
Gründung mit Hilfe von weltlichen Angestellten<br />
weitergeführt und betrieben werden.<br />
Viele Menschen besuchen jährlich das<br />
Kloster und erfreuen sich an der beeindruckenden<br />
Anlage der barocken Klostergebäude.<br />
Manche Gäste verweilen kurz,<br />
manche bleiben länger und übernachten<br />
in den Gästezimmern oder nehmen an<br />
den unterschiedlichen Kursen und Seminaren<br />
teil.<br />
Mit dem 14.10.2008 – am Gründungstag<br />
vom Kloster St. Marienthal – beginnt nun<br />
das Jubiläumsjahr „775 Jahre Kloster St.<br />
Marienthal“ mit entsprechenden Festfeiern<br />
und Veranstaltungen. Ein ganzes Jahr<br />
wollen die Schwestern von St. Marienthal<br />
im Rahmen vom Jubiläumsjahr, das vom<br />
14.10.2008 bis zum 14.10.<strong>2009</strong> geht, ihr<br />
Jubiläum „775 Jahre Zisterzienserinnenabtei<br />
Klosterstift St. Marienthal“ feiern.<br />
1999 zogen dann die behinderten Frauen<br />
und Mädchen aus dem „St.-Josef-Pflegeheim“<br />
von St. Marienthal in den „Pater-<br />
Kolbe-Hof“ nach Schlegel um. Im Herbst<br />
des Jahres 1999 folgte dann die Einweihung<br />
und Segnung des neuen Behindertenwohnheims<br />
„Pater-Kolbe-Hof“, der sich<br />
in Trägerschaft vom Kloster St. Marienthal<br />
befindet.<br />
Die Höhepunkte vom Jubiläumsjahr „775<br />
Jahre Kloster St. Marienthal“ und den dazugehörigen<br />
Veranstaltungsplan finden<br />
Sie auf unserer Homepage www.klostermarienthal.de<br />
– auf der Seite „das Jubiläum<br />
775 Jahre“.<br />
Kloster St. Marienthal<br />
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Geschichte |<br />
33
„auf<br />
Mit Robert<br />
Wanderschaft“<br />
Scholz und Holger Stein „auf Wanderschaft“<br />
Zur Erinnerung:<br />
Unsere Ausstellung zeigt Motive von Burg<br />
und Kloster Oybin, die Ende des 19. Jh.<br />
und Ende des 20. Jh. aufgenommen worden<br />
sind.<br />
Ein spannender künstlerischer Dialog der<br />
beiden herausragenden Fotografen Robert<br />
Scholz (geb. 1843 - gest. 1926) aus<br />
Görlitz und Holger Stein (geb.1963) aus<br />
Dresden soll seit 2001<br />
deutsche und internationale<br />
Besucher dazu<br />
verführen, den Spuren<br />
der Bilder zu folgen<br />
und unsere wunderbare<br />
Kulturlandschaft in<br />
der Mitte Europas mit<br />
ihren Naturschönheiten<br />
und ihrer Gastlichkeit<br />
kennen zu lernen.<br />
Diesem Ziel dienen<br />
auch zahlreiche auch<br />
mehrsprachige Informationsmaterialien,<br />
die wir unseren Gästen<br />
während der Ausstellung<br />
mit auf den Weg<br />
geben.<br />
Seit 2001 hatte die Ausstellung mehr als<br />
250.000 Besucher auf 21 Stationen des<br />
In-und Auslandes.<br />
Das Jahr 2008<br />
sollte in mehrfacher Hinsicht ein Jahr der<br />
Überraschungen werden:<br />
Unsere Ausstellung<br />
anzeige<br />
34<br />
Geschichte |
Jahresrückblick 2008<br />
2008<br />
Auf Einladung der „Freunde der neuen<br />
Bundesländer“ war zunächst in der altehrwürdigen<br />
Hauptstadt Niederbayerns die<br />
Glasdachhalle im Klinikum Landshut interessanter<br />
Ausstellungsort. Mehr als 1200<br />
Gäste folgten unserer Einladung zu Entdeckungen<br />
auf den Bildern, und eine Reisegruppe<br />
unter Leitung von Herrn Blum,<br />
unserem rührigen Gastgeber, schloss sich<br />
Vernissage im Klinikum Landshut<br />
im August hier vor Ort an.<br />
Im Sommer waren wir auf Anregung und<br />
mit großzügiger Unterstützung des Kulturbeauftragten<br />
des Generalkonsulates<br />
der BRD in Breslau, Herrn Rainer Sachs,<br />
wiederholt bei unseren polnischen Nachbarn<br />
unterwegs.<br />
In Olesnica (Öls), einer alten Handelsstadt<br />
vor den Toren Breslaus, begrüßten uns<br />
bereits bei der Vernissage<br />
im Kulturzentrum<br />
„mokis“ außer seiner<br />
Leiterin, Frau Szpylik,<br />
und den Gastgebern<br />
von Stadt und Landkreis<br />
etwa 200 Besucher.<br />
Weitere 4.468 kamen<br />
in der 4wöchigen<br />
Ausstellungszeit hinzu.<br />
Anschließend hatte<br />
Herr Sachs einen ganz<br />
besonderen Ausstellungsort<br />
bereit:<br />
das größte Eisenbahnmuseum<br />
Schlesiens in<br />
Jaworzyna Slaska (Königszelt),<br />
etwa auf hal-<br />
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Geschichte |<br />
35
„auf<br />
Mit Robert<br />
Wanderschaft“<br />
Scholz und Holger Stein „auf Wanderschaft“<br />
bem Weg zwischen Breslau und Waldenburg.<br />
Es ist ein Privatmuseum (Leiter Herr Dr.<br />
Gerber) und beherbergt nicht nur ca. 50<br />
historische Loks, sondern auch ebenso<br />
viele Eisenbahnwagen aus aller Welt sowie<br />
eine Harley- Sammlung, weitere technische<br />
Raritäten und eine Sammlung von<br />
40.000 historischen Postkarten, davon allein<br />
4000 vom alten Breslau.<br />
Entsprechend ist auch der Besucherzustrom,<br />
und im Sommer kann man auf<br />
Anmeldung sogar in historischen Schlafwagen<br />
übernachten.<br />
Leider ist dieses ungewöhnliche Museum<br />
bei den Eisenbahnfreunden in Deutschland<br />
noch wenig bekannt. Deshalb möchten<br />
wir auch gern als Mittler dienen und<br />
Sie, liebe Leser, einladen, unseren Freunden<br />
in Königszelt mal einen Besuch abzustatten…<br />
Doch nun wieder zurück zu unserer Wanderschaft:<br />
Völlig überraschend teilte mir der Oybiner<br />
Bürgermeister, Herr Hans-Jürgen Goth,<br />
Anfang Oktober mit, dass unsere Ausstellung<br />
Ende des Monats in Italien, in Nizza<br />
Monferrato (Piemont), erwartet wird.<br />
Auf Initiative des Oybiners Uwe Görlich,<br />
Chef der europaweit tätigen Firmengruppe<br />
Görlich, war im Juli der Stadtrat Pietro<br />
Balestrino Gast des Bürgermeisters und<br />
der Gemeinde Oybin.<br />
Die Region, die Gastfreundschaft in Oybin<br />
und insbesondere der Oybin mit Burg<br />
und Kloster faszinierten ihn so sehr, dass<br />
er zu einem hohen Feiertag und Stadtfest<br />
(Fiera di San Carlo) in seine Heimatstadt<br />
Nizza Monferrato einlud, mit dem Ziel der<br />
Unterzeichnung einer „Freundschaftsvereinbarung<br />
über wirtschaftliche, kulturelle<br />
und touristische Zusammenarbeit“.<br />
Am 2.11.08 war es so weit: Im festlich<br />
geschmückten Ratssaal unterzeichneten<br />
beide Bürgermeister dieses zukunftsweisende<br />
Dokument als Beginn einer langfristigen<br />
Kooperation beider Gemeinden…<br />
Die „Fotoimpressionen“ waren ein erster<br />
kultureller Beitrag, der diese Mission begleitete.<br />
Die kürzlich erst sanierte Ausstellungshalle<br />
mitten im Zentrum der Stadt bot einen<br />
wunderbaren Rahmen für unsere Bilder,<br />
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36<br />
Geschichte |
Jahresrückblick 2008<br />
2008<br />
Nizza-Monferrato, Rathaus, nach Unterzeichnung der Vereinbarung<br />
(4.v.l. Stadtrat Pietro Balestrino, 5.v.l. Bürgermeister Maurizio<br />
Carcione, 5.v.r. Bürgermeister Hans-Jürgen Goth, 3.v.r. Herr<br />
Uwe Görlich, 6.v.l. Projektleiterin der Austellung Elke Manke)<br />
und das ganz besonders deshalb, weil zur<br />
Vernissage der bekannten und überregional<br />
geschätzten Malerin Giuseppina Balestrino<br />
gleichzeitig unsere Ausstellung und<br />
unsere Region vorgestellt wurde. Bereits<br />
am Eröffnungstag kamen mehr als 500<br />
Besucher, weitere etwa 1400 kamen an<br />
den 4 Folgetagen.<br />
Auch kulinarisch war<br />
die Oberlausitz durch<br />
einen Marktstand mit<br />
heimatlichen Spezialitäten<br />
überaus gut vertreten.<br />
Bester Botschafter war<br />
unser unübertrefflicher<br />
Gastgeber, Herr Balestrino.<br />
Durch ihn vor<br />
allem begann hier bereits<br />
über Sprachgrenzen<br />
hinweg die erste<br />
Kooperation.<br />
Völlig überwältigt von<br />
der Gastfreundschaft<br />
und dem Interesse,<br />
danken wir all unseren<br />
Partnern und Freunden<br />
unserer Ausstellung sehr herzlich. Wir<br />
hoffen auf ein Wiedersehen in unserer<br />
Heimat.<br />
Elke Manke<br />
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Geschichte |<br />
37
Schloss Krobnitz<br />
Krobnitz<br />
–<br />
Schloss Krobnitz bei Reichenbach- ein Bauwerk des Neoklassizismus<br />
Seit dem Jahr 2005 lädt das sanierte<br />
Schloss Krobnitz bei Reichenbach Besucher<br />
mit einem umfangreichen kulturellen<br />
Programm ein. Anfangs war wohl<br />
die Neugier ein wesentlicher Grund, sich<br />
den einstigen Herrensitz der Familie von<br />
Roon anzusehen. Schon während der<br />
Bauphase lockten die Tage der offenen<br />
Tür hunderte Schaulustige in die alten<br />
Gemäuer. Jetzt, wo längst der Alltag<br />
eingekehrt ist, zeigt sich der Zustrom<br />
der Besucher stabil. Mit einem Mix aus<br />
Ausstellungen, Konzerten, Messen, Vorträgen<br />
und Führungen stoßen die Ange-<br />
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38<br />
Geschichte |
Schloss<br />
Museumsjahr Ausstellung<br />
Krobnitz<br />
<strong>2009</strong><br />
bote immer wieder auf reges<br />
Interesse. Im zurückliegenden<br />
Jahr konnten mehr als<br />
8500 Interessierte begrüßt<br />
werden. Die Ausstellungen<br />
in diesem Jahr sind wieder<br />
dazu geeignet, Publikum mit<br />
den verschiedensten Interessengebieten<br />
nach Krobnitz<br />
zu holen. So gibt es im<br />
Frühjahr eine Ausstellung zu<br />
schlesischen Festungen, die<br />
gemeinsam mit dem Oberschlesischen<br />
Landesmuseum<br />
Ratingen präsentiert wird.<br />
Schon im ersten Quartal findet<br />
die Eröffnung der Exposition<br />
zur Guts- und Besitzergeschichte<br />
statt, die als<br />
Dauerausstellung das Roon-<br />
Kabinett ergänzen wird. Gewissermaßen<br />
als Ausstellungsführer ist dazu bereits<br />
2008 ein lesenswertes Buch erschienen.<br />
Aber auch Künstlern der Oberlausitz soll<br />
wieder ein Forum geboten werden. Die<br />
Galerie in der „Alten Schmiede“ ist dazu<br />
hervorragend geeignet. Die beliebte<br />
In der neuen Ausstellung: Die 1980 abgerissene Grabkapelle<br />
Kammerkonzertreihe mit der Görlitzer<br />
Philharmonie findet ebenso eine Fortsetzung<br />
wie auch die monatlichen Vorträge.<br />
Im Rahmen der Chronistenarbeit<br />
stellen die Referenten spannende Themen<br />
der Regional- und Heimatgeschichte<br />
in den Mittelpunkt ihrer Ausführun-<br />
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Geschichte |<br />
39
Schloss Krobnitz<br />
Krobnitz<br />
–<br />
Die Hochzeitsmesse erlebt ihre dritte Auflage<br />
gen. Gäste sind jederzeit willkommen,<br />
und der Eintritt dazu ist frei.<br />
Zu einem wahren Magnet hat sich das<br />
Schloss für Heiratswillige entwickelt. Mit<br />
insgesamt 34 Trauungen liegt das Rekordjahr<br />
2008 ungeschlagen an der Spitze.<br />
Rund ums Heiraten geht es auch am<br />
17. Mai <strong>2009</strong>, wenn die Hochzeitsmesse<br />
ihre dritte Auflage<br />
erlebt. Dienstleister aus der<br />
Region um Görlitz stellen ihre<br />
Angebote zum schönsten Tag<br />
im Leben in einem wunderschönen<br />
Ambiente vor. Vom<br />
Blumenarrangement über<br />
feinste Goldschmiedekunst<br />
bis hin zur passenden Nobelkarosse<br />
reichen die Angebote.<br />
Eine Ausstellung mit historischen<br />
Brautmoden von<br />
„Anno dazumal“ verspricht<br />
ein exzellenter Höhepunkt zu<br />
werden.<br />
Doch nicht nur das Schloss,<br />
sondern auch das gepflegte<br />
Umfeld tragen zu diesem<br />
Ergebnis wesentlich bei. Ein<br />
ganz großer Zugewinn konnte im Jahr<br />
2008 mit der nahezu vollständigen Instandsetzung<br />
der Parkanlage erreicht<br />
werden. Auf mehr als zwei Dritteln ist<br />
die Schönheit dieser grünen Oase inzwischen<br />
wieder erlebbar. Besonders reizvoll<br />
sind die rekonstruierten Sichtach-<br />
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40<br />
Geschichte |
Schloss<br />
Museumsjahr Ausstellung<br />
Krobnitz<br />
<strong>2009</strong><br />
Kammermusik- Saal in der “Alten Schmiede”<br />
sen, etwa zum Löbauer Berg oder in die<br />
hüglige Landschaft um Weißenberg. In<br />
diesem Jahr soll die Sanierung ihren Abschluss<br />
finden. Wenngleich noch zahlreiche<br />
Aufgaben ihrer Abarbeitung harren,<br />
bieten Schloss und Umfeld schon<br />
jetzt ein Flair der besonderen Art. Lassen<br />
Sie sich von diesem Zauber gefangen<br />
nehmen!<br />
Steffen Menzel<br />
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Geschichte |<br />
41
Die Kirche<br />
Kirche<br />
vor 1715<br />
vor 1715<br />
Die Baumaterialien für die Kirche wurden<br />
aus der Umgebung herbeigeschafft,<br />
die Werkstücke aus dem Langenauer<br />
Bruch, die Bruchstücke aus Pfaffendorf.<br />
Die Ziegel kamen aus Radmeritz, der<br />
Kalk von Wiehsa bei Rengersdorf, das<br />
Sparrholz aus dem sogenannten Nonnenwald<br />
bei Bernstadt und das Rüstholz<br />
aus dem Pfarrbusch.<br />
An herausragenden Künstlern und Handwerkern<br />
sind zu nennen: Caspar Gottlob<br />
Rodewitz, Architekt und Bildhauer in<br />
Görlitz, Johann Gottfried Kändler, Kunstmaler<br />
und Staffierer wie auch Bürgermeister<br />
zu Krazau in Böhmen; David<br />
Decker jr., Orgelbauer in Görlitz; Meister<br />
Johan Tobias Rössel, Tischler in Görlitz,<br />
und auch Josef Seidel und Valentin Decker,<br />
Schlosser und Schmied, beide aus<br />
Deutsch-Ossig stammend, sollen hier<br />
genannt sein.<br />
Eingeweiht wurde die Kirche am 17. Juni<br />
1718 durch Christian Ike aus Stralsund<br />
in Pommern. Vom Gottesdienst zur Einweihung<br />
der Kirche sind der Ablauf und<br />
die ausgeschriebene Handlung erhalten.<br />
Denkmal der Güte Gottes, diese Bezeichnung<br />
der neuerbauten Kirche von<br />
Deutsch-Ossig findet sich weitaus häufiger<br />
als ihr eigentlicher Name. Treffender<br />
kann wohl sakrale Kunst und deren<br />
Wesen nicht gewürdigt werden.<br />
Im Verzeichnis der Kunstdenkmäler<br />
Schlesiens erklärt Gottfried Semper die<br />
Kirche folgendermaßen: „Sie ist eine<br />
weiträumige vierjochige Halle mit nach<br />
außen vorspringenden Strebepfeilern,<br />
deren Deckgesims nach Art der Strebepfeiler<br />
der Peterskirche in Görlitz geschweift<br />
ist, eingewölbt mit einer Stichkappentonne.<br />
Den Turm krönt eine<br />
scharf umrissene, einmal durchbrochene<br />
Haube. Das Innere mit seiner gesamten<br />
Ausstattung ..., so insbesondere<br />
die Logen zu Seiten des Altars..., das<br />
Orgelgehäuse und die mehrfarbigen ornamentalen<br />
Deckenmalereien sind einheitlich<br />
in treu durchgeführten Stilformen<br />
des Rococo durchgebildet, wie kein<br />
anderer bekannter Raum (Nieder-Schlesiens)<br />
von erheblichem Umfange.“<br />
Innenarchitektur und die barocke Ausstattung<br />
tragen trotz unterschiedlicher<br />
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42<br />
Geschichte |
Deutsch-Ossig<br />
Entstehungszeiten einheitlichen Charakter<br />
von Hochbarock und Rokoko, dessen<br />
süddeutsch anmutendes Gepräge in der<br />
Oberlausitz keine Parallele findet und für<br />
eine Dorfkirche ganz ungewöhnlich ist.<br />
Alle Teile sind harmonisch aufeinander<br />
abgestimmt. Der Kanzelaltar mit ungewöhnlich<br />
reicher Barockarchitektur und<br />
plastischer Ausstattung ist als Schöpfung<br />
des in Görlitz tätigen Caspar Georg<br />
Rodewitz nachgewiesen, dessen<br />
Hauptwerk der Hochaltar der Görlitzer<br />
Dreifaltigkeitskirche von 1713 ist. Im<br />
Unterschied zu diesem blieb in Deutsch-<br />
Ossig die originale Fassung erhalten und<br />
wurde nur an einigen Stellen 1892 und<br />
1951/53 ergänzt. Die Skulpturen, insbesondere<br />
die fliegenden Putten unterhalb<br />
der Kanzel, gehören zu den besten<br />
deutschen Bildhauerleistungen des<br />
Hochbarocks.<br />
Der Schwebende Taufengel, eine reich<br />
vergoldete, etwas derbe Bildhauerarbeit<br />
provinziellen Charakters, gehört zu den<br />
die Hauptblickachse nach Osten gestaltenden<br />
markanten Ausstattungsstücken<br />
des Innenraumes. Das Werk stellt volkskundlich<br />
eine Rarität dar. Es läßt sich<br />
mittels Zugvorrichtung oberhalb des Gewölbes<br />
nach oben oder unten bewegen.<br />
Zur Aufnahme des Taufbeckens dient<br />
eine in der Rechten des Engels gehaltene,<br />
reich mit Schnitzereien ausgestattete<br />
Krone. Die Linke hält einen Lilienzweig.<br />
Ein Beichtstuhl für das protestantische<br />
Beichtritual ist stilistisch noch dem 17.<br />
Jahrhundert zuzuordnen, wofür u.a. die<br />
vergoldete Akanthusbekrönung spricht.<br />
Die Farbgebung entspricht der des Kanzelaltares.<br />
Beichtstühle dieser Art gehören<br />
längst zu den Seltenheiten in den<br />
evangelisch-lutherischen Kirchenausstattungen.<br />
Vergleichbare Beichtstühle<br />
besitzt die Görlitzer Peterskirche in der<br />
nach dem Brand von 1691 beschafften<br />
Ausstattung.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Dieter Liebig, Volker Richter, zusammengestellt<br />
durch Dr. Ingrid Oertel<br />
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Geschichte |<br />
43
Görlitzer<br />
Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr –<br />
Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr<br />
– Jelcz- Omnibusse - eine kaum mehr<br />
als zehnjährige Episode in unserer Stadt<br />
Vor genau vierzig Jahren gelangte erstmalig<br />
ein Jelcz- Omnibus in den Bestand<br />
der Görlitzer Verkehrsbetriebe.<br />
Der an den von<br />
1957 bis 1974<br />
gebauten tschechischen<br />
Skoda<br />
706 RTO Car angelehnte<br />
Linienbus<br />
verfügte über<br />
hinzu. Bei der Görlitzer Straßenbahn blieben<br />
diese beiden Omnibusse Einzelgänger,<br />
wenngleich die Stadt täglich den Durchzug<br />
von Omnibussen vieler Bauausführungen<br />
dieser Bauart aus dem benachbarten Polen<br />
und der Tschechoslowakei erlebte und<br />
zwei angeschlagene<br />
Türen und<br />
bot Sitzplätze für<br />
43 Fahrgäste. Die<br />
Motorleistung betrug<br />
117,6 kW.<br />
Das beigefarbene<br />
Fahrzeug mit dunkelroten<br />
Streifen Busbahnhof in Zgorzelec mit Jelcz- Fahrzeugen<br />
erhielt zunächst die Betriebsnummer 5 auch von Bussen dieses Typs des VEB<br />
(II). Ein Jahr später kam ein baugleiches Kraftverkehr Zittau und Bautzen – ab 1969<br />
Fahrzeug mit der Betriebsnummer 4 (II) sogar Gelenkfahrzeugen- im Linienverkehr<br />
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44<br />
Geschichte |
Görlitzer<br />
Jelcz- OmnibusseStadtverkehr<br />
angefahren wurde. Im heute polnischen<br />
Ostteil der Stadt gehörten sie hingegen<br />
viele Jahre untrennbar zum Alltagsbild<br />
und dominierten bis in die 70er Jahre die<br />
Busszenerie schlechthin. Die dunkelblau lackierten<br />
Fahrzeuge waren bis zum Schluß<br />
KOM 30 ex.5 (II) als Linie W, 1976<br />
mit bauähnlichen zweiachsigen Personenanhängern<br />
eingesetzt. Jelcz- Omnibusse<br />
auf Basis der Baureihe Skoda 706<br />
RTO sind bereits ab 1960 in Kooperation<br />
mit dem Tschechischen Stammwerk Karosa<br />
(Jablonec) hergestellt worden. Allein in<br />
Warschau standen ohne die größtenteils<br />
von den dortigen Verkehrsbetrieben hergestellten<br />
Gelenkzüge knapp 1.700 Solofahrzeuge<br />
von ihnen<br />
im täglichen<br />
Einsatz, und auch<br />
in der tschechischen<br />
Hauptstadt<br />
Prag befanden<br />
sich unter zeitweilig<br />
annähernd<br />
3000 Skoda 706<br />
RTO ungefähr<br />
siebzig Jelcz- Busse<br />
. Der Vollständigkeit<br />
halber sei<br />
angemerkt, dass<br />
es auch Aufbauten<br />
der tschechischen<br />
Firma SVA<br />
aus Holysow gab.<br />
Die beiden Busse der Görlitzer Straßenbahn<br />
dienten meist im Gelegenheits- und<br />
Werkverkehr. In der letzteren Funktion<br />
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Geschichte |<br />
45
Görlitzer<br />
Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr<br />
begegneten sie<br />
auch ihren polnischen<br />
Brüdern<br />
beim grenzüberschreitenden<br />
Berufsverkehr<br />
(Linie<br />
W). Seit 1974 trugen<br />
sie die Nummern<br />
29 und 30.<br />
Während der Wagen<br />
Nr.30 ex 5(II)<br />
1975 eine GR in<br />
Senftenberg erhalten<br />
hatte, erfolgte<br />
die grundhafte<br />
Aufarbeitung des<br />
anderen Busses<br />
1976-78 in eigener<br />
Werkstatt. Beide Jelcz 043 E – wie die-<br />
KOM 29 ex.4 (II), 1978<br />
se Fahrzeuge offiziell hießen- sind 1978<br />
bzw. 1979 an landwirtschaftliche Unternehmen<br />
außerhalb des Görlitzer Kreisbetriebes<br />
verkauft worden.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
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46<br />
Geschichte |
In Görlitz gibt es immer etwas zu entdecken — als Gast und Einheimischer.<br />
Am besten begeben Sie sich mit einer unserer Stadtführungen auf Entdeckungstour.<br />
Ob Sie sich für geschichtliche Details oder architektonische Kleinode interessieren,<br />
den reichen Schatz an Sagen oder die Braugeschichte der Stadt kennenlernen wollen<br />
— bei unseren wissenswerten und amüsanten Angeboten ist sicher für jeden Geschmack<br />
etwas dabei. Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Görlitz-Information.<br />
Aktuelle Winter-Öffnungszeiten:<br />
Montag - Freitag 09.00 - 18.00 Uhr, Samstag 09.30 - 16.00 Uhr, Sonntag/Feiertag 09.30 - 14.00 Uhr<br />
Obermarkt 32, 02826 Görlitz, Fon: 03581 47 57 0, willkommen@europastadt-goerlitz.de, www.goerlitz.de