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64_Ausgabe Oktober 2008

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

was für ein Zufall! Kürzlich meldete die<br />

Lokalpresse, in der Nacht zum Sonntag<br />

habe man an der Cottbuser Straße in<br />

10 m Länge und 1,5 m Breite eine Hausfassade<br />

besprüht, Schaden 1000 Euro.<br />

Im benachbarten Jugendtreff gab es<br />

gerade ein Festival mit Beachball, Snowboard,<br />

Breakdance-Battle und anderen<br />

Importen aus der fernwestlichen Subkultur,<br />

auch einen Workshop im Bereich<br />

Graffiti für Kinder und Jugendliche. Kaum<br />

ein Kinderfest ohne Graffitiwand. Früher<br />

lehrte man die lieben Kleinen: Narrenhände<br />

beschmieren Tisch und Wände.<br />

An der Mauer der Jakobuskirche und<br />

der Südeinfahrt zum Jakobstunnel nähren<br />

großflächige Schmierereien Zweifel<br />

an der Kulturstadt Görlitz. In Nebenstraßen<br />

der Altstadt wimmelt es von Haßlosungen,<br />

seit Jahren dicht am Rathaus<br />

zu lesen. Touristen sind entsetzt, ältere<br />

Görlitzer fassungslos über die Verwahrlosung.<br />

Nie liest man etwas über Namen<br />

und Strafen gefaßter Sprayerchaoten.<br />

Behörden erklären sich für nicht zuständig.<br />

Dabei weiß jedermann von Blitzeinsätzen<br />

städtischer Bediensteter zum<br />

Abkratzen unerwünschter Plakate im<br />

Stadtzentrum. Man handelt nach zweierlei<br />

Maß. Kriminelle Sachbeschädiger<br />

haben Narrenfreiheit. Seit über einem<br />

Jahr fordert eine Gruppierung schriftlich<br />

und mit Namen im Jakobstunnel:<br />

Bildet Banden, macht sie platt! Jeder<br />

Jurastudent im ersten Semester weiß<br />

um die Straftatbestände: Volksverhetzung<br />

durch öffentliche Aufforderung zu<br />

vorsätzlichen, bandenmäßigen Anschlägen<br />

auf Leib und Leben Andersdenkender.<br />

Die erdrückende Mehrheit in Görlitz<br />

wünscht Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit<br />

und sachlichen Meinungsstreit statt<br />

heimtückischer Anschläge aus den<br />

Schmuddelhöhlen der Chaoten.<br />

In unserem <strong>Oktober</strong>heft ist die Rede<br />

von früheren gemeinschaftsfördernden<br />

Taten und von heutigen Aktivitäten,<br />

etwa im Tierpark, wo der eingefangene<br />

Wolf zu sehen ist. Blicke in die Geschichte<br />

von Deutsch-Ossig, Mengelsdorf und<br />

vom Greiffenstein folgen. Die unendliche<br />

Geschichte von der Görlitzer Straßenbahn<br />

geht weiter. Geistigen Gewinn<br />

und Spaß beim Lesen wünscht<br />

Ihr Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


Kommerzienrat Richard Raupach (1851-1921)<br />

Aus eigener Kraft und bescheidenen<br />

Anfängen schuf Richard Raupach den<br />

zweitgrößten Maschinenbaubetrieb in<br />

Görlitz mit internationalen Geschäftsbe-<br />

Richard Raupach-<br />

Raupach<br />

ziehungen. Es blieb bis 1945<br />

ein Familienunternehmen.<br />

Er legte dafür technisch, finanziell<br />

und moralisch den<br />

Grundstein und wies den<br />

Weg in die Zukunft. Als dritter<br />

von vier Söhnen eines<br />

Eisenbahners und Kleinunternehmers<br />

in Görlitz, Salomonstraße<br />

22, erlebte er<br />

die Kraft und den Zusammenhalt<br />

der Familie. Auch<br />

seine eigenen drei Kinder<br />

bereitete er weitsichtig auf<br />

ihre Aufgaben vor. Er wurde<br />

1851 am 29.9. in Görlitz geboren.<br />

Die Eltern stammten<br />

aus bäuerlichen Familien.<br />

Vater Wilhelm brachte vom<br />

Dienst bei der Garde in Berlin,<br />

die Mutter von ihrer Anstellung<br />

dort Tatkraft und<br />

Bildungsstreben mit. In diesem<br />

Geiste wurden die Söhne erzogen.<br />

Richard war Schüler der Realschule I.<br />

Ordnung, dann Volontär in der Maschinenfabrik<br />

Schiedt. Zweieinhalb Jahre<br />

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4<br />

Geschichte |


Richard<br />

Industriepionier<br />

Raupach<br />

und Mitbürger<br />

Die Firma Raupach entwickelte sich zu<br />

einem der bedeutendsten Unternehmen<br />

in Görlitz. Damit förderte sie den Aufstieg<br />

von Görlitz zur zweitgrößten Stadt<br />

der Provinz Schlesien und zum bedeutenden<br />

wirtschaftlichen, politischen und<br />

kulturellen Zentrum der preußischen<br />

Oberlausitz. Ihre weltweiten Verbindungen<br />

sorgten mit dafür, dass die Stadt<br />

weithin bekannt wurde. Trotz der zwei<br />

Weltkriege, der Wirtschaftskrisen und<br />

wechselnder Eigentumsformen blieb<br />

das Unternehmen über 100 Jahre lang<br />

erfolgreich und strukturbestimmend für<br />

Görlitz. Im Ziegeleimaschinenbau war<br />

es lange führend in Deutschland.<br />

1878 eröffnete Richard Raupach Leipziger<br />

Straße 40 mit 3 Gesellen seinen ersten<br />

Betrieb.<br />

1879 beschäftigte er bereits 30 Mitarbeiter.<br />

Er konzentrierte sich zunächst<br />

auf die Wartung und technische Verbesserung<br />

bereits betriebener Dampfmaschinen.<br />

1880 verkaufte er seine erste selbst hergestellte<br />

Dampfmaschine. Er begann zugleich<br />

mit dem Bau von Ziegeleimaschibesuchte<br />

er die Gewerbeschule und verließ<br />

sie als Ingenieur.<br />

1880 heiratete er Anna Schurig (1852-<br />

1902). Die Söhne Walter und Gerhart<br />

und die Tochter Sophie erhielten ebenfalls<br />

eine solide Ausbildung.<br />

1884 erfolgte der Umzug zum neuen<br />

Werkstandort Zittauer Straße. Die Villa<br />

Fischerstraße 7 war Familienwohnsitz.<br />

1900 kaufte Raupach das Gartengrundstück<br />

des Freiherren von Türcke (zwischen<br />

Goethestraße und Seydewitzstraße,<br />

heute Ossietzkystraße) mit 25<br />

Morgen. Das zerklüftete Gelände wurde<br />

planiert und kultiviert und als Parkanlage<br />

gestaltet.<br />

1905 wurde Richard Raupach zum Königlichen<br />

Kommerzienrat ernannt. Zeitlebens<br />

blieb er ein treuer Anhänger der<br />

Monarchie.<br />

1918 verfasste er für Kinder und Enkel<br />

seine handschriftlich erhaltene Autobiografie<br />

“Mein Werdegang”.<br />

1921 am 24.12. starb der Unternehmer<br />

in Görlitz, wo man auf dem städtischen<br />

Friedhof noch heute die Grabanlage der<br />

Familie findet.<br />

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Geschichte | 5


Richard Raupach-<br />

Raupach<br />

nen , da bei dem enormen Aufschwung<br />

der Bauwirtschaft die handwerkliche<br />

Fertigung von Ziegeln zurückgeblieben<br />

war. Der rasch wachsende Bedarf führte<br />

zu mehreren Betriebsvergrößerungen<br />

am Standort Zittauer Straße.<br />

1884 erfolgte der Umzug zum weitläufigen<br />

Gelände Zittauer Straße/ Fischerstraße/<br />

Pomologischer-Garten-Straße.<br />

1885 nahm die Firma erfolgreich an der<br />

Görlitzer Gewerbe- und Industrie-Ausstellung<br />

teil.<br />

1905 gewann die Fabrik wiederum eine<br />

Medaille der Niederschlesischen Gewerbe-<br />

und Industrie-Ausstellung in Görlitz.<br />

Weitere Medaillen wurden bei Ausstellungen<br />

in Schweidnitz, Lemberg, Teplitz,<br />

Leipzig, Frankfurt/ Main, Zittau, Allenstein<br />

und Posen errungen.<br />

1903 hatte die Firma bereits 250 Beschäftigte<br />

und besaß eine Gesamtfläche<br />

von 65 Morgen.<br />

1904 entstand eine GmbH als Familienunternehmen.<br />

1908 wurde ein Zweigwerk in Warnsdorf,<br />

Böhmen, in Betrieb genommen.<br />

1909 trat Sohn Walter nach erfolgreichen<br />

Ingenieurstudien in die Geschäftsführung<br />

ein. 1921 trat ihm Sohn Gerhart<br />

zur Seite.<br />

1912 schenkte Kaiser Wilhelm II. seine<br />

Büste mit Widmung für die Lieferung<br />

von Keramikmaschinen zum Betrieb des<br />

kaiserlichen Keramikwerkes Cadinen.<br />

Als treuer Sohn seiner Heimatstadt Görlitz<br />

übernahm Richard Raupach Mitverantwortung<br />

für das Aufblühen des Gemeinwesens.<br />

Mit kommunalpolitischer<br />

Weitsicht und sozialer Verantwortung<br />

unterstützte er die Beschäftigten seiner<br />

Betriebe und förderte das Wachstum<br />

der Südstadt.<br />

1900 ließ er sich zum Stadtverordneten<br />

wählen und blieb in dem Amt bis 1904.<br />

Er trat aus Protest zurück, weil die Verwaltung<br />

nicht den von ihm vorgeschlagenen<br />

Ausbau des Jakobstunnels unterstützte,<br />

obwohl er die Hälfte der<br />

Bausumme stiften wollte.<br />

1904 errichtete er die Richard Raupach-Stiftung<br />

(15000 Reichsmark) zur<br />

Unterstützung junger Leute aus unbemittelten<br />

Familien beim Besuch von Ge-<br />

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6<br />

Geschichte |


Richard<br />

Industriepionier<br />

Raupach<br />

und Mitbürger<br />

Briefkopf Firma Raupach, 1899<br />

werbeschulen, höheren Schulen und<br />

Hochschulen, wobei Schlesier bevorzugt<br />

werden sollten.<br />

1908 erfolgte die Anna-Raupach-Stiftung,<br />

benannt nach der inzwischen verstorbenen<br />

Frau von Richard Raupach<br />

(30 000 Reichsmark) zur Unterstützung<br />

von Erholungsstätten für Tuberkulosekranke.<br />

1903 begann die Anlage von Schrebergarten-Kolonien<br />

mit fast 400 Kleingärten,<br />

vorzugsweise für Betriebsangehörige;<br />

es entstanden die Kolonien<br />

Sophienaue (benannt nach der Tochter)<br />

in Richtung Reuterstraße und die<br />

Renatenaue (Namen nach der Enkelin)<br />

in Richtung Goethestraße. Im Waldgelände<br />

bei Kunnerwitz ließ Raupach das<br />

Anna-Flora-Heim (benannt nach seiner<br />

Frau) errichten.<br />

Um 1905 spendete Raupach 10 000<br />

Reichsmark für den Bau der evangeli-<br />

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Geschichte |<br />

7


Richard Raupach-<br />

Raupach<br />

schen Kreuzkirche in der Südstadt, für<br />

die er eine Glocke gießen ließ und 1914<br />

übergab.<br />

Als Richard Raupach 1921 starb, hatte<br />

er unmittelbar nach der Revolution von<br />

1918 politisches Chaos und wirtschaftlichen<br />

Niedergang erlebt und beklagt. Er<br />

hinterließ jedoch weitsichtige Vorstellung<br />

zur Umstellung der Werke auf Friedensproduktion,<br />

die beim Aufschwung<br />

in der Mitte der 1920er Jahre zum Tragen<br />

kamen. Zum 50. Jubiläum erlebte<br />

das Unternehmen seine höchste Blüte,<br />

von der es auch nach den Erschütterungen<br />

des 2. Weltkrieges zehren konnte.<br />

1921 wurde das Firmenvermögen zu<br />

drei gleichen Teilen auf die Kinder des<br />

Betriebsgründers aufgeteilt.<br />

1928 hatte das Unternehmen 400 Beschäftigte.<br />

Neben dem Stammwerk<br />

in Görlitz gab es Zweigwerke in der<br />

Tschechoslowakei (Warnsdorf), in Polen<br />

(Kattowitz) und Ungarn (Budapest).<br />

Die Gesamtfläche erreichte 76 Morgen.<br />

Walter Raupach wurde Vorsitzender des<br />

Deutschen Keramischen-Verbandes (bis<br />

1935) und 1942 Vorsitzender des Arbeitsausschusses<br />

Keramikmaschinen.<br />

1914 begann die Umstellung auf die<br />

Rüstungsproduktion, vor allem zur Fertigung<br />

von Granaten.<br />

1939 begann für die gesamte Kriegszeit<br />

die Rüstungsproduktion für die Kriegsmarine,<br />

während die übrige Fertigung<br />

fast völlig eingestellt wurde. Einbezogen<br />

wurden die benachbarten Betriebsanlagen<br />

Rodig, Brüning und Mattke & Sydow.<br />

1944 zählte die Belegschaft etwa 1200<br />

Männer und Frauen, davon 450 Deutsche.<br />

Wegen zunehmender Einberufungen<br />

aus der Stammbelegschaft wurden<br />

zwangsverpflichtete Tschechen und Ostarbeiter<br />

eingesetzt.<br />

1948 wurde die Firma Richard Raupach<br />

verstaatlicht (VEB KEMA). Zu den Resten<br />

der Stammbelegschaft kamen Neubürger<br />

und Beschäftigte der früheren<br />

Keramikmaschinenfabrik Roscher. Der<br />

volkseigene Betrieb wurde innerhalb der<br />

DDR zum führenden Hersteller von Keramikmaschinen.<br />

1951 wurde aus dem früheren Privat-<br />

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8<br />

Geschichte |


Richard<br />

Industriepionier<br />

Raupach<br />

und Mitbürger<br />

der sowjetischen Haftanstalt Bautzen<br />

(1996 rehabilitiert). Die sowjetische Militärverwaltung<br />

übernahm den Görlitzer<br />

Betrieb.<br />

Glocke für die Görlitzer Kreuzkirche, Spende der Firma Raupach, 1914<br />

park eine öffentliche Parkanlage, der<br />

“Park der Werktätigen”.<br />

1957 entstand daraus der beliebte Tierpark<br />

Görlitz, der noch heute das kulturelle<br />

Profil der Stadt mit bestimmt.<br />

1945 wurden die Geschäftsführer Walter<br />

und Gerhart Raupach durch die Besatzungstruppen<br />

verhaftet. Gerhart starb<br />

bereits im Juli 1945 im polnischen Internierungslager<br />

Tost, Walter 1947 in<br />

1990 folgte mit der Reprivatisierung der<br />

Verkauf des Werkes an die Firmengruppe<br />

Eirich. Der Stadt verblieben der Tierpark,<br />

der frühere Rehgarten und die Renatenaue.<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte |<br />

9


Naturschutz-Tierpark Görlitz<br />

Schönster Tierpark Deutschlands sammelt<br />

Kröten, baut Ruinen und sorgt für Nachwuchs.<br />

In diesem Jahr flatterten dem Naturschutz-<br />

Tierpark Görlitz unerwartete Lorbeeren ins<br />

Haus. Im April <strong>2008</strong> gewann er die Umfrage<br />

des MDR nach dem schönsten Zoo Mitteldeutschlands,<br />

und im Juni <strong>2008</strong> belegte<br />

er beim großen Zoo-Test der Zeitschrift<br />

„Stern“ den 1. Platz unter den kleinen Zoos<br />

Deutschlands. Aus der Bewertung des äußeren<br />

Eindrucks, des Besucherservices<br />

und der Tierhaltung ergab sich für den<br />

Tierpark die Gesamtnote 2,09. Laut diesem<br />

Test gehört der Naturschutz-Tierpark<br />

Görlitz zu den sehenswertesten Tiergärten<br />

Deutschlands.<br />

Diese Anerkennungen sind sehr erfreulich,<br />

zeigen sie doch, dass die Veränderungen<br />

der letzten Jahre nicht nur von den Görlitzern<br />

positiv wahrgenommen wurden.<br />

Mindestens genauso viel wert wie diese Platzierungen<br />

sind die positiven Anmerkungen,<br />

die die Mitarbeiter des Naturschutz-Tierparks<br />

von den Besuchern bekommen oder<br />

die im Gästebuch des Tierparks stehen.<br />

So zum Beispiel schrieben Viola, Luca und<br />

Joscha, die den Tierpark im Januar <strong>2008</strong><br />

besucht haben, ins Gästebuch: „Ich wohne<br />

mit meinen Söhnen in Portugal und komme<br />

ursprünglich aus Görlitz. Wir kommen<br />

bei jedem Besuch hierher, und wir mögen<br />

den Tierpark so gern. Der Tierpark hat sich<br />

im Laufe der Jahre so toll entwickelt. Liebevoll<br />

und artgerecht und so natürlich. Danke<br />

für diese Arbeit.“<br />

Die Bautzener Tobias, Miriam und Claudia<br />

hielten ebenfalls <strong>2008</strong> im Gästebuch fest:<br />

„Dieser Zoo (Tierpark) ist wirklich mit viel<br />

Liebe gestaltet und entwickelt sich immer<br />

weiter. Wir hoffen für das Team hier, dass<br />

viele Besucher hier ihr Geld lassen und<br />

dass die Tiere gesund bleiben.“<br />

So fallen viele Bemerkungen aus, manches<br />

Mal auch mit kleinen Hinweisen, die<br />

im Tierpark sehr ernst genommen werden.<br />

Es kann wohl kaum eine bessere Motivation<br />

für die tägliche Arbeit geben als die Anerkennung<br />

von denen, für die man diese<br />

Arbeit tut.<br />

Beim Lesen der vielen Eintragungen im<br />

Gästebuch stellen wir immer wieder fest,<br />

dass artgerechte Tierhaltung, Sauberkeit<br />

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10<br />

Titel |


Naturschutz-Tierpark<br />

Schönster Deutschlands<br />

und Vielfältigkeit sehr geschätzt werden.<br />

Viele Kleinigkeiten sind es, die am Ende ein<br />

Gesamtbild formen, und jedes Jahr gibt es<br />

andere, neue Details zu großen Themen<br />

im Tierpark:<br />

Schon im Eingangsbereich wird man in<br />

diesem Jahr auf ein interessantes Thema<br />

aufmerksam gemacht. Eine liebevoll gestaltete<br />

Ausstellung erläutert die Situation<br />

der Amphibien auf der Erde. Vielleicht hat<br />

schon einmal jemand die handgemalten<br />

Insekten auf der Ausstellungstafel gezählt.<br />

Bloß gut, dass es in unserer Region viele<br />

von den kleinen quakenden Insektenfressern<br />

gibt!<br />

Doch weltweit geht die Zeit der Kröten, Frösche<br />

und Salamander wohl zu Ende. Heute<br />

sind 32% der Amphibienarten, das heißt<br />

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Titel | 11


Naturschutz-Tierpark Görlitz<br />

1.856 von 5.800 bekannten Arten, weltweit<br />

bedroht. Eine gesamte Tiergruppe, die es<br />

seit 300 Millionen Jahren auf der Erde gibt<br />

(den Menschen gibt es seit 5 Millionen Jahren),<br />

steht vor dem Aus. Die Situation ist so<br />

alarmierend, dass die Amphibian Spezialist<br />

Group der Weltnaturschutzorganisation<br />

IUCN 2005 einen Amphibian Conservation<br />

Action Plan beschloss, an deren Umsetzung<br />

sich der Welt- und<br />

der Europäische Zooverband<br />

(WAZA - World<br />

Association of Zoos and<br />

Aquariums, EAZA - European<br />

Association of<br />

Zoos and Aquariums)<br />

und ihre Mitglieder beteiligen.<br />

So ein kleiner Tierpark<br />

wie unserer zeigt, dass<br />

wirklich jeder etwas<br />

für die Amphibien tun<br />

kann.<br />

Wir haben Krötenretter<br />

gesucht und 15 gefunden,<br />

die mit den unterschiedlichsten<br />

Aktionen<br />

geholfen haben. Die Ergebnisse dieser Aktionen<br />

sind unglaublich. Allein 3.271,00 €<br />

Spendengelder konnten gesammelt werden,<br />

und 838 Menschen unterschrieben<br />

bisher die Petition zur Rettung der Frösche.<br />

Besucher, die sich für einzelne Artenschutzaktionen<br />

für Amphibien interessieren,<br />

haben mit Sicherheit die entsprechen-<br />

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12<br />

Titel |


Naturschutz-Tierpark<br />

Schönster Deutschlands<br />

den Details im Tierpark<br />

entdeckt: viele grüne<br />

Frösche, auf denen die<br />

Krötenretter benannt<br />

und die Aktion vorgestellt<br />

sind.<br />

Passend zu den Aktionen<br />

um den Schutz<br />

der Amphibien sind im<br />

Naturschutz-Tierpark<br />

Görlitz auch exotische<br />

Amphibien heimisch<br />

geworden, Chinesische<br />

Rotbauchunken<br />

im Terrarium am Rhesusaffengehege<br />

und<br />

Krokodilmolche in einem<br />

neuen Terrarium<br />

im Heimtierraum. Beide Amphibienarten<br />

kommen in und an unterschiedlichen Gewässern<br />

Osttibets vor. Das sind 2 von 45<br />

Amphibienarten Tibets.<br />

Zu den 142 Säugerarten dieser Region<br />

zählt auch das Stachelschwein.<br />

Seit April diesen Jahres findet man es im<br />

Tierpark nicht mehr am alten Standort.<br />

Das alte Gehege wurde den Tieren nicht<br />

gerecht. So zogen sie um, an den Rand<br />

des Tibetischen Dorfes. Ihr Gehege ist<br />

eine neu gebaute Ruine. Dieser Widerspruch<br />

an sich weckt schon die Neugier.<br />

Wer durch das Fenster der Ruine schaut,<br />

findet meist schlafende Stachelschweine.<br />

Am Tag schlafen sie gern, aber wenn es<br />

Futter gibt, sind sie hellwach und sehr aktiv<br />

zu erleben. Neben der Ruine befinden sich<br />

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Titel | 13


Naturschutz-Tierpark Görlitz<br />

2 Tafeln, welche die<br />

Verwandtschaft der<br />

Stachelschweine erläutern<br />

und die Vielfalt<br />

und Funktion der<br />

Stacheln aufzeigen.<br />

Die eine oder andere<br />

Borste der Stachelschweine<br />

wird<br />

sicher das Interesse<br />

so manchen Kindes<br />

wecken.<br />

Die Ruine der Stachelschweine<br />

versteckt<br />

sich hinter<br />

einem Gebetsmühlenschrein.<br />

Jedem<br />

Besucher sei an dieser<br />

Stelle empfohlen,<br />

die Gebetsmühlen<br />

im Urzeigersinn<br />

zu drehen. Dieses<br />

Drehen dient dem<br />

Anhäufen von gutem<br />

Karma. Buddhisten<br />

drehen die<br />

Gebetsmühlen mit<br />

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14<br />

Titel |


Naturschutz-Tierpark<br />

Schönster Deutschlands<br />

dem Wunsch, dass alle in der Gebetsmühle<br />

steckenden Mantras (Gebete) durch die<br />

Drehung zum Wohle der fühlenden Wesen<br />

wirken, deren Leid beseitigen und ihnen<br />

Glück bringen. Auch die Gebetsfahnen tragen<br />

traditionelle Mantras, die für das Heil<br />

aller im Winde wehen.<br />

Ganz offensichtlich wirken sie auch für den<br />

Tierpark, denn die Grundmauern und ersten<br />

Fensterrahmen mit ihren bunten Ziergesimsen<br />

eines weiteren tibetischen Bauernhauses<br />

entstanden sozusagen über<br />

Nacht. Dieses Haus wird die Lebensweise<br />

tibetischer Bauern, ihr Verhältnis zu<br />

den Tieren und ihre Kultur widerspiegeln.<br />

Wenn es fertig ist, hat der Besucher die<br />

Gelegenheit, sich ein wenig in dieses Leben<br />

einzufühlen. Vielleicht kann er Ziegeltee<br />

trinken und sich die wichtigste tibetische<br />

Hauptspeise „Tsampa“ zubereiten.<br />

Im alten Gebäude hinter dieser Baustelle<br />

entwickelt sich im Moment auch ein „tierisches“<br />

Detail, welches das tibetische Dorf<br />

perfektionieren soll, eine neue Schweinerasse.<br />

Die Erstzucht aus Wildschwein und<br />

Maskenschwein hat „Früchte“ getragen.<br />

Die kleinen Ferkel werden vielleicht dem<br />

tibetischen Hausschwein sehr ähnlich sehen.<br />

Genau das ist gewollt. Selbst die Mitarbeiter<br />

schauen diesem schweinischen<br />

Nachwuchs mit Spannung und Spaß beim<br />

Wachsen zu.<br />

Verlässt man bei seinem Tierparkrundgang<br />

das neue Dorf, empfängt den Besucher der<br />

herbstliche Eindruck des Parks, und der ist<br />

mit Steinbock, Fischotter und Storch immer<br />

zu genießen.<br />

Bei dem Gedanken an Störche sollte<br />

schließlich ein Gästebucheintrag ganz besonderer<br />

Art Erwähnung finden, den Anja<br />

und Mario im August 2007 geschrieben<br />

haben: „Mario ist 1973 in Görlitz geboren,<br />

seine Freundin Anja Doreen 1976. Beide<br />

haben sich im Westen kennen und lieben<br />

gelernt. Heute haben wir die vielen Störche<br />

im Tierpark gesehen, und jetzt kommt<br />

uns was neues in den Sinn...“<br />

Da hoffen wir doch, dass dieser „tierische“<br />

Schlüsselreiz auch zum Erfolg geführt hat.<br />

Denn für uns sind die kleinen Besucher ein<br />

großes Thema.<br />

Naturschutz-Tierpark Görlitz e.V.<br />

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Titel | 15


Seidenproduktion<br />

Görlitz - Stadt der Maulbeerbäume<br />

Brief Chiappones an den Rat über die Seidenproduktion 1777<br />

Am 12. Mai 1777 konnte man einen zufrieden<br />

lächelnden Johann Gottlob Modrach,<br />

Görlitzer Bürgermeister seines Zeichens, erleben.<br />

Denn just an diesem Tage unterzeichnete<br />

endlich der vornehme, rhetorisch brillante<br />

und wie es schien vermögende, aus Dresden<br />

stammende Italiener Marcus Antonius Chiappone<br />

einen Pachtvertrag für die Nutzung<br />

der städtischen Maulbeerbaumplantagen.<br />

Bereits seit dem 17. Jahrhundert begann man<br />

auch in Görlitz Maulbeerbäume anzupflanzen<br />

und Seidenraupen zu züchten. Besonders<br />

der schon erwähnte Modrach beschäftigte<br />

sich seit etwa 17<strong>64</strong> intensiv mit der Seidenraupenzucht.<br />

Nicht in der Hoffnung zu profitieren,<br />

wie er in einer Denkschrift erwähnte,<br />

sondern um die Ehre zu haben „zu einem<br />

dem Publico nutzbaren Seiden – Bau die erste<br />

Hand angelegt zu haben.“<br />

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16<br />

Geschichte |


Seidenproduktion<br />

oder eine sehr italienische Geschichte<br />

Ziel war eine positive Handelsbilanz.<br />

In Görlitz befanden sich zu jener Zeit die<br />

größten Maulbeerplantagen der gesamten<br />

Oberlausitz. Es stellt sich die Frage, weshalb<br />

man auch hierzulande weder hohe Kosten<br />

sparte noch unübersehbare finanzielle Risiken<br />

einging, sich auf einem völlig neuen landwirtschaftlichen<br />

wie zugleich handwerklichen<br />

Terrain zu bewegen. Die Ursachen lagen<br />

wesentlich in dem immens hohen Finanzbedarf<br />

Kursachsens, bedingt durch Kriege<br />

und gewaltige höfische Repräsentationskosten.<br />

Ganz im Sinne merkantilistischer<br />

Wirtschaftspolitik<br />

sollte die Handelsbilanz<br />

aktiv ausfallen, musste somit<br />

das Geld der Untertanen<br />

im Lande bleiben und<br />

nicht etwa für ausländische<br />

Luxuswaren wie die teure<br />

Seide ausgegeben werden.<br />

So versuchten die sächsischen<br />

Kurfürsten mittels<br />

zahlreicher landesherrlicher<br />

Mandate sonderlich die Seidenproduktion<br />

zu befördern.<br />

Man publizierte, etwa<br />

1754, kleine Druckschriften mit Anweisungen<br />

zur „Zucht und Wartung der Seidenwürmer,<br />

der Pflege und Pflanzung der Maulbeerbäume<br />

wie der Seidenproduktion“. Geistliche<br />

und Schullehrer, aber auch Dörfer und Städte<br />

erhielten von Dresden zum Teil kostenfrei<br />

Maulbeerbäume und Seidenraupen. Seide<br />

schien vielversprechenden Gewinn zu bieten.<br />

Denn ob Mann, ob Frau, wer auf sich<br />

hielt, trug ganz à la mode kostbare Seidenstrümpfe.<br />

Herrenstrümpfe aus Görlitzer Seide<br />

und in Dresden gewirkt kosteten 3 Taler. Die<br />

Weinberg Görlitz um 1900<br />

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Geschichte |<br />

17


Seidenproduktion<br />

Görlitz - Stadt der Maulbeerbäume<br />

Wartung der Bäume und die Seidenraupenzucht<br />

erforderten jedoch viel Erfahrung und<br />

Geschick.<br />

Modrach erhielt vom Rat jählich ca. 50 Taler<br />

Zuschuss und pachtete für einige Jahre kostenfrei<br />

die städtischen Plantagen. Die größten<br />

lagen zwischen der Weberstraße (Pforte)<br />

und dem Dicken Turm (Frauentor) sowie in<br />

der Gegend des Vorwerkes „An der weißen<br />

Mauer“. Die Raupenzucht und das Abhaspeln<br />

der Kokons erfolgte im Zucht- und Waisenhaus<br />

(heute dort Annenschule).<br />

Der Erfolg freilich ließ aber auf sich warten.<br />

Im Jahre 1769 sandte Modrach die ersten<br />

vier Pfund Seide an den Kurfürstlichen Hof-<br />

Strumpf-Fabrikanten Audio nach Dresden.<br />

Jener fertigte daraus 12 Paar Manns- und 4<br />

Paar Damenstrümpfe.<br />

Ohne die finanzielle Beihilfe des Rates wäre<br />

dieser Ertrag für Modrach ein schmerzliches<br />

Verlustgeschäft gewesen. Man suchte deshalb<br />

einen erfahrenen, geschäftstüchtigen Pächter,<br />

welcher die Maulbeerbaumplantagen nutzen<br />

und auf eigene Rechnung vergrößern sollte.<br />

Der Rat fand nach langem Suchen und einigen<br />

ärgerlichen personellen Fehlbesetzungen<br />

auf Empfehlung der kursächsischen Ökonomie-Deputation<br />

die bereits oben erwähnte<br />

schillernde Persönlichkeit des Marcus Antonius<br />

Chiappone.<br />

Jener ließ bis zum Jahre 1780 in und um Görlitz<br />

wenigstens 220.000(!) Maulbeerbäume<br />

anpflanzen. Schon im Jahre 1777 erzeugte<br />

Chiappone 89 Pfund Seide. Bei Hofe in Dresden<br />

wusste man diese Leistung zu würdigen.<br />

Chiappone erhielt eine Pension von 200<br />

Talern und die Aufgabe, die Untertanen der<br />

Oberlausitz in der Seidenproduktion zu unterweisen.<br />

Auch ein junges Mädchen, welches<br />

das Abhaspeln der Kokons erlernt hatte, bedachte<br />

man gnädig mit 6 Talern. Allerdings<br />

erhielten die Züchtlinge des Waisenhauses<br />

kein Geld für ihre mühselige Arbeit und die<br />

Tagelöhner in den Plantagen einen Hungerlohn<br />

von manchmal nicht einmal 18 Pfennigen<br />

am Tage.<br />

Der wendige Unternehmer unterhielt zugleich<br />

einen Großhandel mit Raupen und Bäumen.<br />

Völlig unerwartet verschwand Chiappone<br />

1780 aus seiner Herberge in der Börse am<br />

Untermarkt, ohne seine Rechnung zu begleichen.<br />

Aus gesundheitlichen Gründen müsse<br />

er sich zurückziehen, schrieb er später aus<br />

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18<br />

Geschichte |


Seidenproduktion<br />

oder eine sehr italienische Geschichte<br />

Dresden. Es stellte sich heraus, dass er Arbeitskräfte<br />

nicht bezahlt hatte, Pachtrückstände<br />

bestanden, kurz, gewaltige Schulden<br />

auf ihm lasteten.<br />

Angebot von Marcus Antonius Chiappone<br />

Aber das Oberhaupt der Familie Chiappone,<br />

der in Dresden lebende Carl Franz, wusste<br />

Rat. Er ermächtigte den eigens aus Italien<br />

nach Görlitz beorderten jüngsten Bruder mit<br />

dem wohlklingenden Namen Cäsar, die leidige<br />

Angelegenheit zu regeln. Nach Bezahlung<br />

der Schulden übernahm letzterer die Pachtverträge<br />

des Bruders. In den Folgejahren betrieb<br />

man in Görlitz die Seidenproduktion mit<br />

unterschiedlichem Erfolg. Der weiße Maulbeerbaum<br />

wurde jedoch das Görlitzer Gehölz<br />

überhaupt. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

hätte man die Görlitzer Weinberge in „Seidenberge“<br />

umbenennen können. Sie waren fast<br />

völlig mit weißen Maulbeerbäumen bepflanzt.<br />

Siegfried Hoche, Ratsarchiv<br />

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Geschichte |<br />

19


Wolfgang Stock -<br />

Stock<br />

Wolfgang Stock heute<br />

Immer wieder erinnert man sich gern<br />

an Menschen an unserer Seite, die für<br />

Generationen von Görlitzern ein Begriff<br />

waren. So brachte StadtBILD schon<br />

mehrere Beiträge, etwa über Frau Puppendoktor<br />

Zippel oder über die Puppenspielerin<br />

Hauptmann-Lux. Zu ihnen<br />

gehört auch Wolfgang Stock (Artistenname<br />

Wolf Woston), der einen noch<br />

heute in seiner Wohnung an der Biesnitzer<br />

Straße mit seinem unverwechselbaren<br />

freundlichen Lächeln empfängt.<br />

Geboren 1930 in Görlitz-Moys, besuchte<br />

er die Gemeinde-Schule 1 an der Schulstraße.<br />

Er sollte und wollte in einem<br />

Werbeatelier lernen, aber es ging auf<br />

das Kriegsende zu. Er kam an die Marineschule<br />

und sogar noch zum jüngsten<br />

Aufgebot im “Volkssturm” und in britische<br />

Gefangenschaft. Später arbeitete<br />

er im Dewag-Atelier an der Salomonstraße<br />

und 1975 bis 1980 als Gestalter<br />

an den Städtischen Kunstsammlungen,<br />

wo er erfolgreiche stadtgeschichtliche<br />

Sonderausstellungen mit vorbereitete<br />

(vor allem “Als Großvater noch ein kleiner<br />

Junge war”). Die Mutter hatte sein<br />

Talent als Zeichner gefördert. Der Vater<br />

interessierte ihn für die Geschichte<br />

der Artistik. Die Eltern gingen gern<br />

mit ihm zu Varieté-Vorstellungen in den<br />

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20<br />

Geschichte |


Wolfgang<br />

einst Schnellzeichner<br />

Stock<br />

am Trapez<br />

“Zwei Linden” Rauschwalde.<br />

Ein Onkel wirkte in der beliebten<br />

Gruppe “Schwarzenbergsänger”<br />

mit. So zog es<br />

ihn zum Zeichnen und zur<br />

Artistik. Seinen ersten kleinen<br />

Auftritt hatte er 1949<br />

im “Touristenheim”. 1951<br />

war er als Schnellzeichner<br />

nun selbst im Varieté “Zwei<br />

Linden” bei Frau Diener.<br />

Gelegentlich hatte sich der<br />

kleine, schlanke Mann auch<br />

im damals gern gesehenen<br />

Stepptanz versucht. Er<br />

beteiligte sich nun an Veranstaltungen<br />

verschiedener<br />

Kulturgruppen, unter anderem<br />

mit Werner Adoni und<br />

Partnerin an der rotierenden<br />

Leiter. 1956 folgte die berufliche<br />

Anerkennung als Artist<br />

(Schnellzeichner am Trapez)<br />

durch die Konzert- und<br />

Gastspieldirektion. Bei zahlreichen<br />

Filmbühnenschauen<br />

zwischen Kap Arcona und<br />

Schnellzeichner am Trapez, Kulturhaus Karl Marx, 1955<br />

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Geschichte |<br />

21


Wolfgang Stock<br />

Stock<br />

Zeichnen im Zehenhang 1956<br />

Sonneberg war er dabei,<br />

1957 auch im Görlitzer “Capitol”.<br />

1958 erwarb er den<br />

Berufsausweis als Unterhaltungskünstler.<br />

1959 bis 1961<br />

begleitete er in 341 Vorstellungen<br />

die damals beliebte<br />

Sängergruppe “Die 4 Brummers”.<br />

1961 trat er im “Kaberett<br />

Eden” in Leipzig auf,<br />

1962 im Friedrichstadtpalast<br />

Berlin. Es folgten 1962 Tourneen<br />

mit dem berühmten<br />

Conférencier O. F. Weidling<br />

und mit Erika Krause. 1985<br />

bis 1987 war er unter dem<br />

Motto “Wiedersehn macht<br />

Freude” mit DDR-Schlagerstars<br />

und mit den “Jongletts”<br />

aus Görlitz unterwegs.<br />

In den 1990er Jahren folgten<br />

Auftritte in den alten<br />

Bundesländern, in Tschechien<br />

und Polen. Auch heute<br />

noch steht er gelegentlich<br />

vor Publikum. Er freut sich,<br />

wenn ihn frühere Zuschau-<br />

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22<br />

Geschichte |


Wolfgang<br />

einst Schnellzeichner<br />

Stock<br />

am Trapez<br />

Wolfgang Stock (zweiter v. links) auf Tournee mit den Brummers (zwei davon rechts), 1960<br />

er wiedererkennen und ihm danken für<br />

frohe Stunden in Unterhaltungsveranstaltungen.<br />

Gern denkt er an den guten<br />

kollegialen Zusammenhalt der Tourneemannschaften,<br />

der noch wenig mit<br />

dem heutigen Starrummel zu tun hatte,<br />

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Geschichte |<br />

23


Wolfgang Stock<br />

Stock<br />

auch an die Vielfalt der Programme,<br />

an die gemeinsame<br />

Arbeit mit Werner Adoni,<br />

Hannes Langer, Bimbo, Dieter<br />

Benjowski, Hans-Günter<br />

Köckert, Klaus Szczeszak.<br />

Heute erkennen und beklatschen<br />

vornehmlich Rentner<br />

seine Karikaturen von Egon<br />

Olsen und Eberhard Cohrs.<br />

Für seine 10 Enkel bleibt immer<br />

noch zu wenig Zeit. Der<br />

kleine Mann mit dem schalkhaften<br />

Lächeln hat unser Leben<br />

begleitet und bereichert,<br />

ist einer von uns geblieben.<br />

Danke, Wolf Woston!<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

Schnellzeichnung “Egon Olsen” um 1975<br />

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24<br />

Geschichte |


Schloss Mengelsdorf<br />

Mengelsdorf<br />

-<br />

In den Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

übernahm Major von Tiedemann-<br />

Seeheim das Anwesen. Und bereits 1914<br />

erwarb Rittmeister Güterbock von ihm den<br />

Besitz. Seine Töchter Irmgard und Eva Güterbock<br />

führten nach dem Tod des Rittmeisters<br />

ab 1929 das Erbe als Güterbock´sche<br />

Erbengemeinschaft weiter. Irmgard war mit<br />

Max von Deichmann aus Mehlen im Rheinland<br />

verheiratet, Eva mit einem Obristen<br />

Dr. Walter Danneberg. Beide Ehen wurden<br />

geschieden. Eva wurde aus politischen und<br />

rassistischen Gründen im Konzentrationslager<br />

Ravensbrück inhaftiert, wo sie auch im<br />

Februar 1945 verstorben ist.<br />

In den letzten Kriegsjahren gingen turbulente<br />

Ereignisse mit dem Geschick des<br />

Mengelsdorfer Schlosses einher. Im Rahmen<br />

der “Kinderlandverschickung” wurden<br />

1943 Kinder aus Städten, die von Bombenabwürfen<br />

bedroht waren und evakuiert<br />

wurden, im Schloss untergebracht. Als<br />

die Front 1945 näher rückte, trat an dessen<br />

Stelle ein Lazarett für Kriegsverwundete,<br />

das aber bei Ende des Krieges aufgelöst<br />

wurde. Einige Soldaten sind auf dem<br />

kleinen Friedhof im Schlosspark begraben.<br />

Es gab zwangsläufig auch Auslagerungen<br />

von Mobiliar. Unmittelbar nach Kriegsende<br />

wurde das Schloss als russisches Lazarett<br />

genutzt, anschließend war der Stab<br />

eines sowjetischen Artillerieverbandes im<br />

Schloss untergebracht. Kurz nachdem die<br />

Sowjets das Schloss geräumt hatten, fuhr<br />

polnisches Militär vor. Mit zwei voll Mobiliar<br />

beladenen LKWs ging es dann wieder zurück<br />

über die Neiße.<br />

Im Rahmen der Bodenreform 1945/46 erfolgte<br />

eine entschädigungslose Enteignung<br />

des Besitztums. Die Siedler erhielten im<br />

Schloss Wohnraum und Mobiliar zugeteilt.<br />

Sie nutzten die Halle auch als Getreidespeicher.<br />

Andere Räume wurden als Übungsräume<br />

durch die FDJ genutzt. Horst<br />

Danneberg, dem Sohn einer der letzten<br />

Besitzerinnen, wurde eine der Wohnungen<br />

zugeteilt, die spätere Klausur.<br />

Bürgermeister Blaschke wollte das Schloss<br />

sprengen und das Gehöft in Parzellen aufteilen<br />

lassen, damit nichts mehr an einen<br />

Gutshof erinnern sollte, aber er konnte sich<br />

mit dieser Idee nicht durchsetzen. Statt<br />

dessen wurde 1947 das Schloss vorerst<br />

der Caritas Cottbus für soziale Zwecke zur<br />

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Geschichte | 25


Schloss Mengelsdorf<br />

Mengelsdorf<br />

-<br />

Das idyllisch gelegene Schloss Mengelsdorf heute<br />

Verfügung gestellt.<br />

Am 9. März siedelten drei Franziskanerinnen<br />

aus Münster in das Mengelsdorfer<br />

Schloss über, um es als Unterkunft für ältere<br />

hilfsbedürftige Menschen herzurichten.<br />

So bezogen bereits im März 63 Personen<br />

aus Dresden das Schloss.<br />

Die Franziskanerinnen wurden bald wieder<br />

nach Münster zurück berufen, und am Elisabethtag,<br />

dem 19. November 1947, übernahmen<br />

Borromäerinnen die Sorge um das<br />

Haus und seine Bewohner. Auch ein eigener<br />

Hausgeistlicher, Kaplan Nagler, wurde<br />

im November eingeführt.<br />

Ab 1948 übernahm der Pfarrer von Jauernick,<br />

Carl Hauser, die seelsorgerische Be-<br />

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26<br />

Geschichte |


Schloss<br />

Geschichte und<br />

Mengelsdorf<br />

Gegenwart Teil III<br />

treuung für die Bewohner des Caritasheimes.<br />

Am 17. Dezember 1948 übereignete<br />

die Landesregierung endgültig das Schloss<br />

an die Caritas Cottbus.<br />

Am 1. April 1949 nahm das Caritasheim 17<br />

Kinder aus Lipsa auf, und am 10. <strong>Oktober</strong><br />

wurde auch die Kindererholungsabteilung<br />

eröffnet. Danach erhielt das Heim am 15.<br />

<strong>Oktober</strong> den Namen Hedwigshaus. An diesem<br />

Tag wurde auch das Kreuz im Schlosspark<br />

aufgestellt.<br />

In den folgenden Jahren verließen auch<br />

die letzten Siedlerfamilien das Schloss, und<br />

das Kinderheim wurde 1968 aufgelöst. Die<br />

so frei gewordenen Räume wurden jetzt<br />

als Pflegestation genutzt. Durch Umbau<br />

und andere Veränderungen stellte das Caritasheim<br />

nun 20 Altenheimplätze und 20<br />

Plätze für pflegebedürftige Rentner bereit.<br />

Die Kindererholung wurde endgültig für 24<br />

Kinder eingerichtet.<br />

Ein recht bewegtes Jahr für das “Hedwigshaus”<br />

war dann das Jahr 1991. Im April<br />

diesen Jahres wurden die Borromäerinnen<br />

in ihr Mutterhaus nach Görlitz zurück berufen.<br />

Die umgebaute Klausur wurde nun<br />

von indischen Ordensschwestern vom Heiligsten<br />

Herzen Jesu bezogen. Sie wurden<br />

im pflegerischen Bereich tätig.<br />

1996 verließen die Alten- und Pflegeheimbewohner<br />

und ein Teil des Personals Mengelsdorf.<br />

Am 1. Juli wurde das Caritasheim<br />

„St. Hedwig“ eröffnet. Mit Abschluss der<br />

umfangreichen Bauarbeiten erfolgte am<br />

5. November 1997 die feierliche Einweihung<br />

der Einrichtung in Anwesenheit des<br />

Sächsischen Staatsministers für Soziales,<br />

Gesundheit und Familie Dr. Hans Geisler<br />

durch Bischof Rudolf Müller.<br />

Derzeit haben 34 Bewohner mit psychischer<br />

Beeinträchtigung in der Sozialtherapeutischen<br />

Wohnstätte ihr Zuhause gefunden.<br />

Hier erhalten sie eine individuelle<br />

Förderung und Begleitung entsprechend<br />

ihres Hilfebedarfes.<br />

In der Kapelle des Schlosses finden regelmäßig<br />

Gottesdienste der katholischen<br />

Pfarrgemeinde statt. Ebenso lädt der Park<br />

zu einem Spaziergang für alle ein.<br />

Quelle: Chronik Gut Mengelsdorf, zusammengestellt<br />

von Dr. Ingrid Oertel<br />

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Geschichte | 27


Die Fehde<br />

Fehde<br />

der Stadt Görlitz mit Gotsche Schoff<br />

Görlitz als Hüterin des Friedens und<br />

der Sicherheit des Landes hat mit den<br />

benachbarten Burgherren oftmals mit<br />

Worten, aber auch mit den Waffen in<br />

Streit gelegen. Mit den Schaffgotschen<br />

auf dem Kynast und Greiffenstein ist<br />

unsere Stadt ein einziges Mal ernstlich<br />

zusammengeprallt. Sonst erzählen die<br />

Quellen nur vom friedsamen Zusammenleben<br />

mit dem am Iser- und Riesengebirge<br />

großmächtigen Grafengeschlecht<br />

der Schoff. (Der eigentliche<br />

Familienname ist Schoff oder Schaff.<br />

Noch z.Z. der Fehde unterschied man<br />

Gotsche Schoff auf dem Greifenstein<br />

und seinen Bruder Hans Schoff auf dem<br />

Kynast. Gotsche ist Koseform für Gottfried<br />

oder Gotthard). Besuchte doch der<br />

bekannte Stadtschreiber und politische<br />

Vertreter der Sechsstadt Görlitz Johann<br />

Haß 1541 mit glänzender Gefolgschaft<br />

eine Hochzeit, die Ullrich Schaffgotsch<br />

auf dem Greifensteine ausrichtete.<br />

Der Streit zwischen Gottsche Schoff<br />

und der Stadt Görlitz hatte seine Ursache<br />

in verschiedener Auslegung von<br />

Straßengerechtigkeiten. Die Bedeutung<br />

der Stadt Görlitz gründete sich zum<br />

großen Teil auf die Lage von zwei sich<br />

kreuzenden Straßen. Die eine von Westen<br />

nach Osten, die hohe Landstraße,<br />

brachte durch die Neißestadt den gesamten<br />

Durchgangsverkehr vom Herzen<br />

Deutschlands nach Schlesien und Polen,<br />

die andere von Süd nach Nord war die<br />

natürliche Handelsverbindung zwischen<br />

Böhmen (Prag), der Niederlausitz,<br />

Frankfurt/Oder. Ängstlich wachte nun<br />

die Stadt darüber, daß die festgelegten<br />

Wege auch eingehalten wurden und die<br />

Warenzüge durch ihre Sechsstadt gingen.<br />

In Görlitz wurden die gewöhnlichen<br />

Zölle erhoben. Kein Wunder, daß<br />

man Görlitz zu umgehen suchte. Man<br />

fuhr also von Zittau aus oder auch nach<br />

Zittau gern über Friedland und Seidenberg,<br />

Greiffenberg von und nach Schlesien.<br />

Dem suchte Görlitz durch seine<br />

streifenden Mannschaften zu wehren.<br />

Solange diese in dem großen Görlitzer<br />

Weichbilde auf der Lauer lagen, konnte<br />

niemand Widerspruch erheben.<br />

Jetzt berührten die Mannschaften der<br />

Görlitzer die Gegend um den Greiffen-<br />

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28<br />

Geschichte |


Die<br />

auf dem<br />

Fehde<br />

Greiffenstein 1425 und 1426<br />

Görlitz beanspruchten Umweges dem<br />

Gotsche zu. Ende Juni 1425 wurde nun<br />

den Görlitzern hinterbracht, daß man die<br />

Zechende Edelleute, 15 Jhd.<br />

verbotene Straße von oder nach Zittau<br />

befahre. Man schickte deshalb sofort einen<br />

Boten nach Löwenberg und sandte<br />

Truppen in die Hute nach Friedland.<br />

Vielleicht mochten sie das Greiffenberstein,<br />

die dem Gotsche Schoff zustand.<br />

Der Greiffenstein lag auf schlesischem<br />

Gebiet, aber hart an der Grenze. Er beherrschte<br />

nach allen Richtungen das offene<br />

Land, auch nach der Oberlausitz.<br />

Bei den Straßenstreitigkeiten neigten<br />

natürlich die Städte Löwenberg, Goldberg,<br />

Jauer, Schweidnitz wegen des von<br />

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Geschichte |<br />

29


Die Fehde<br />

Fehde<br />

der Stadt Görlitz mit Gotsche Schoff<br />

Edelmann bei Falkenjagd, 15 Jhd.<br />

ger Gebiet durchzogen haben. Gotsche<br />

fühlte sich darüber sehr verletzt und erhob<br />

brieflich und mündlich Vorstellungen,<br />

„er habe in des Königs Namen die<br />

Straße inne“. Die Görlitzer<br />

hörten aber darauf nicht. Da<br />

überfiel er etwa am 3. Juli<br />

1425 die Mannschaft der<br />

Görlitzer, führte sie auf den<br />

Greiffenstein und setzte sie<br />

in die Türme.<br />

Die Kunde davon gelangte<br />

natürlich bald nach der<br />

Sechsstadt und verursachte<br />

die größte Aufregung. Waren<br />

doch eine stattliche Anzahl<br />

der vornehmsten und<br />

reichsten Bürger, die z.T.<br />

dem Ratskollegium angehörten,<br />

beim Schutze der<br />

Gerechtsame der Stadt in<br />

schwere Haft gebracht, aus<br />

der man sie mit Gewalt zunächst<br />

kaum, durch Unterhandlungen<br />

nur schwer und<br />

in nicht absehbarer Zeit befreien<br />

konnte. Sogar der<br />

Görlitzer Hauptmann Hans Volberitz<br />

wurde im Verlauf der Fehde dinghaft gemacht.<br />

Sofort schickte man einen Boten<br />

nach Lauban, wo man vielleicht etwas<br />

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30<br />

Geschichte |


Die<br />

auf dem<br />

Fehde<br />

Greiffenstein 1425 und 1426<br />

Näheres zu erfahren hoffte. Auch berief<br />

man nach Löbau einen Sechsstädtetag,<br />

zu welchem man auch die Ritterschaft<br />

des Landes einlud. So bat denn die Vertretung<br />

der Gesamtoberlausitz dienstlich<br />

um Losgebung der Gefangenen.<br />

Gotsche antwortete gleich am folgenden<br />

Tage, daß er mit seinen Freunden<br />

nicht zu Rate geworden sei, dem Wunsche<br />

nachzukommen, und schlug einen<br />

Tag an der Grenze des Landes vor; er<br />

wäre neugierig, welche Gerechtigkeiten<br />

die Görlitzer wegen der Straße hätten,<br />

die Straße hätte er von des Königs wegen<br />

inne. Am 16. Juli waren die Görlitzer<br />

wieder in Löbau versammelt und schickten<br />

nach dem Greiffenstein, Gotsche<br />

möge die Gefangenen bis Michaelis entlassen.<br />

Die Antwort erfolgte: Land und<br />

Städte möchten ihn gefälligst auf dem<br />

Greiffenstein aufsuchen. So wuchs die<br />

Spannung. In kurzem sandte der aufgebrachte<br />

Schoff nach Görlitz einen förmlichen<br />

Entsagebrief. Und nicht genug,<br />

auch seine Helfer aus dem Schweidnitzer<br />

Weichbilde kündigten die Fehde<br />

an. Jetzt war offener Kriegszustand.<br />

Kein Görlitzer durfte sich im Bereich des<br />

Greiffensteins sehen lassen, der ganze<br />

Handel der Neißestadt stockte. Die unheilvolle<br />

Kunde wurde von Görlitz den<br />

Schwesterstädten mitgeteilt. Wohl oder<br />

übel verstanden sich die Vornehmsten<br />

und Einflußreichsten aus dem Adel<br />

der Oberlausitz dazu, den hartnäckigen<br />

Schoff auf seiner Burg Greiffenstein aufzusuchen.<br />

Sie fanden ihn versöhnlicher<br />

als man erwartete, ja brachte etliche<br />

Gefangene mit, denen Urlaub gegeben<br />

wurde. Zwei Adlige, Nickel von Gersdorff<br />

auf Friedersdorf an der Landeskrone<br />

und Nikel von Gersdorff auf Tauchritz,<br />

ritten nach Tzschocha und verabredeten<br />

dort einen Tag zu Lauban und Bertelsdorf.<br />

Dort erschienen dann die Parteien.<br />

Die Görlitzer hatten den Herzog Hans<br />

von Sagan, der wegen eines Streites um<br />

Priebus ihnen verpflichtet war, mit, damit<br />

er vermittelte.<br />

Der Tag zu Lauban und Bertelsdorf - die<br />

eine Partei lagerte in der Oberlausitz,<br />

die andere in Schlesien - fand am 29.<br />

Juli, einem Sonntag, statt. Das Ergebnis:<br />

Nach vielen Hin- und Her schlug der<br />

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Geschichte |<br />

31


Die Fehde<br />

Fehde<br />

der Stadt Görlitz mit Gotsche Schoff<br />

erzürnte Schoff die Auslieferung der Gefangenen<br />

ab und forderte auch die beurlaubten<br />

Gefangenen schroff zurück.<br />

Die Stimmung in der Stadt wurde immer<br />

aufgeregter und kriegslustiger,<br />

und als gar am 5. August die aus der<br />

Haft entlassenen Männer sich wieder<br />

auf der Feste am Queis stellen mußten,<br />

da war das Maß voll bis zum Überlaufen;<br />

man rüstete zur Heerfahrt, um mit<br />

Gotsche zu kriegen. Man war ja einen<br />

solchen Kriegszustand gewöhnt. War<br />

man doch für den Landesherrn, König<br />

Sigmund, 1420, 1421, 1423 und 1424<br />

an den Kämpfen gegen die aufrührerischen<br />

Hussiten beteiligt. Die Vorratshäuser<br />

waren schon seit längerer Zeit<br />

für den drohenden Anfall der Feinde<br />

gefüllt, Büchsen waren gegossen, die<br />

Mauern verstärkt. Die einzelnen Innungen<br />

und Bürger besaßen Waffen zur Genüge,<br />

auch hatte man zu diesen Zeiten<br />

immer eine Anzahl Truppen zur Verfügung.<br />

Der Adel in und außer des Landes<br />

nahm gern bei der gut zahlenden Stadt<br />

Söldnerdienst.<br />

Als sich nun die Lage zuspitzte, machte<br />

noch die Gesamtoberlausitz, um unheilvollen<br />

Schaden abzuwenden, einen<br />

Vermittlungsversuch. Die Vertreter<br />

der Städte Bautzen, Lauban und Kamenz,<br />

auch der gewaltige Konrad von<br />

Hoberg auf Wilka und Radmeritz, Nikel<br />

von Gersdorff auf Tauchritz, Leuther<br />

von Gersdorff auf Reichenbach und andere<br />

brachten etwa am 12. August im<br />

Schloss Tschocha den trotzigen Schoff<br />

zu einer versöhnlicheren Stimmung.<br />

Gotsche gab den Gefangenen Urlaub<br />

bis zum Michaelistage, die Görlitzer dagegen<br />

verpflichteten sich, die Gefangenen<br />

bei Strafe von 200 Schock Groschen<br />

nicht abzufangen. Darauf entließ man in<br />

Görlitz die Söldner.<br />

Am 30. August verpflichteten sich in der<br />

fernen ungarischen Stadt Ofen, wo der<br />

Landesherr Sigmund weilte, die von Gotsche<br />

und die von Görlitz Abgesandten,<br />

einem Entscheide sich zu fügen, den<br />

Albrecht von Kolditz, Hauptmann von<br />

Schweidnitz, mit sechs oder acht gekorenen<br />

Männern treffen würde. Sigmund<br />

hatte schon vorher kurzerhand verfügt,<br />

die Sache mit Gotsche solle aufgehoben<br />

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32<br />

Geschichte |


Die<br />

auf dem<br />

Fehde<br />

Greiffenstein 1425 und 1426<br />

sein.<br />

Da hatte man denn vier Monate<br />

in der Angelegenheit<br />

Ruhe. Kurz vor Weihnachten,<br />

am 15. Dezember 1425,<br />

schrieb Albrecht von Kolditz,<br />

der seit dem 22. März 1425<br />

zum Landvogt der Oberlausitz<br />

neben seinem Amt<br />

als Landeshauptmann von<br />

Breslau und Schweidnitz-<br />

Jauer ernannt war, einen<br />

Brief an Gotsche, er möchte<br />

bis zum 9. Januar 1426 die<br />

Sache gütlich stehen lassen<br />

und sich am 20. Dezember<br />

nach Schweidnitz bemühen.<br />

Schoff kam damals nicht<br />

nach Schweidnitz, wohl aber<br />

der Görlitzer Geschäftsträger<br />

Hans Ulrichsdorf, der<br />

eben erst aus Ungarn zurückgekehrt<br />

war. Ulrichsdorf<br />

und die anderen Görlitzer Vertreter fanden<br />

sich, wohl bei der Rückkehr, wieder<br />

bei Gotsche ein, erreichten aber nichts.<br />

Zwar bewilligte er den Stillstand bis zum<br />

Edeldamen, 15 Jhd.<br />

9. Januar, hielt aber an dem Termin der<br />

Rücklieferung der Gefangenen fest.<br />

Auch eine neue Bemühung des Landvogtes<br />

von Kolditz nutzte nicht viel.<br />

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Geschichte |<br />

33


Die Fehde<br />

Fehde<br />

der Stadt Görlitz mit Gotsche Schoff<br />

Sache war soweit<br />

vorgetrieben, daß<br />

ein Teil der Gefangenen<br />

der größeren<br />

Sicherheit wegen<br />

auf den festen<br />

Kynast bei Hirschberg<br />

gebracht wurde.<br />

Dann kam man<br />

überein, sich auf einem<br />

zweiten Tage<br />

zu Lauban zu versammeln.<br />

Es wurde<br />

eine überaus zahlreiche<br />

Zusammenkunft.<br />

Die Görlitzer<br />

schickten allein 36<br />

Pferde. Die Vertreter<br />

der anderen fünf<br />

Städte, die beiden<br />

Gebrüder Gotsche<br />

Gewölbe eines Kaufhauses, frühes 16 Jhd.<br />

und Hans Schoff<br />

Gotsche wollte die Gefangenen entlassen,<br />

sie müßten aber durch namhafte hang, sonstige Adlige aus der Greiffen-<br />

mit ihrem zahlreichen schlesischen An-<br />

sichere Leute ausgebürgt werden. Geschähe<br />

dies nicht, so wolle er die Gefan-<br />

hier zusammen. Bis auf den vierten Tag<br />

berger und Laubaner Gegend trafen<br />

genen wieder in die Türme setzen. Die verhandelte man. Nach vielem Herum-<br />

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34<br />

Geschichte |


Die<br />

auf dem<br />

Fehde<br />

Greiffenstein 1425 und 1426<br />

streiten, vielen bösen und beschwichtigenden<br />

Worten, einigte man sich dahin,<br />

daß Gotsche die Görlitzer Gefangenen<br />

gegen einen Bürgerschaftsbrief über<br />

800 Mark auf eine bestimmte Zeit (wir<br />

wissen nicht, wie lange) vorläufig entließ.<br />

Also wieder eine Vertagung (!).<br />

Endlich kam der Abschluß auf einem<br />

Tage zu Löwenberg am 4. März 1426 zustande.<br />

Die Versammlung machte eine<br />

Sühne und Richtung des Inhalts: Gotsche<br />

Schoff bleibt bei seinen Briefen,<br />

Privilegien und Handfesten über den<br />

Zoll zu Greiffenberg und auch die Görlitzer<br />

bei ihren Straßengerechtigkeiten;<br />

die Gefangenen sollen mit all ihrer Habe<br />

ledig gelassen, der Brief über 800 Mark<br />

den Görlitzern zurückgegeben werden.<br />

Beide Teile verpflichten sich, gut Freund<br />

zu sein.<br />

Und das Endergebnis? Über die Straßengerechtigkeit,<br />

aus der sich der ganze<br />

Streit herschrieb, ging man mit nichtssagenden<br />

Redensarten, wie so oft bei<br />

wichtigen Prinzipienstreitereien im Mittelalter,<br />

hinweg. Durch die kostenlose<br />

Auslieferung der Gefangenen errang die<br />

Stadt Görlitz einen entscheidenden Sieg.<br />

Freilich hatte die Zwistigkeit ihr viel Sorge,<br />

Mühe und Geldkosten gebracht.<br />

In der Fehde hatte sich der Zusammenhalt<br />

der Oberlausitz, die der Sechsstädtebund<br />

1346 begründet, glänzend bewährt.<br />

Die Führung hatte damals wie<br />

immer das stolze Görlitz. Stark an Bürgersinn,<br />

sich sicher fühlend in ihrem<br />

Waffenkleide und starken trutzigen Mauern,<br />

umfaßte die Stadt eine Einwohnerzahl<br />

von 7800 Köpfen. Das war für das<br />

ausgehende Mittelalter viel. Die Sechsstadt<br />

Görlitz war zwischen Breslau und<br />

Leipzig das volksreichste und mächtigste<br />

Gemeinwesen.<br />

Prof. Dr. Dr. Richard Jecht: Die Fehde<br />

der Stadt Görlitz mit Gotsche Schoff auf<br />

dem Greiffenstein 1425/1426.<br />

Heimatkalender für den Landkreis Görlitz<br />

1941 (gekürzt)<br />

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Geschichte |<br />

35


Die Wunderknolle<br />

Anlegen einer Kartoffelmiete<br />

Viele Geschichten ranken sich um die<br />

Entdeckung und den Anbau der Kartoffel,<br />

eines der in unserer Region beliebtesten<br />

Nahrungsmittel. Vom englischen<br />

Seemann Francis Drake Ende des<br />

16. Jahrhunderts angeblich nach Europa<br />

gebracht und bekannt gemacht, ist<br />

sie erst etwa 200 Jahre später bei uns<br />

anbaufähig geworden. Warum so spät?<br />

Aberglaube und Furcht vor Vergiftung<br />

hielten die Bauern vom Anbau der Kartoffel<br />

ab. Immerhin enthalten ihre Beeren<br />

bekanntlich ein Gift, das Solanin.<br />

Anfang des 18. Jahrhunderts brachte der<br />

Generalleutnant von Milkau Kartoffeln aus<br />

Belgien nach Sachsen. Erstmalig tauchte<br />

hier der Name Erdapfel auf; französisch<br />

pomme de terre; holländisch Ardappel.<br />

1730 wurden die Kanzelredner, die zum Anbau<br />

der Kartoffel mahnten, spöttisch “Knollenprediger“<br />

genannt. Als dann die Regierung<br />

den Anbau zwangsweise durchsetzte,<br />

wurden die Kartoffeln in der Regel nur<br />

als Schweinefutter gebraucht. Das wurde<br />

jedoch anders, als sich Getreidemißernten<br />

einstellten. Da war man gezwungen,<br />

gebackenes Brot aus geschrotetem<br />

Korn vermengt mit zerriebenen<br />

Wurzeln, Rinde und Moos zu essen.<br />

Schlesiens ältester Botaniker war Laurentius<br />

Scholz (1552 -1599). Er war der<br />

Sohn des Breslauer Bürgermeisters. Er<br />

studierte in Wittenberg, Padua und Bologna<br />

Medizin und Botanik, wurde 1585 in<br />

Breslau Arzt und 1595 unter dem Namen<br />

“Scholz von Rosenau“ geadelt. Von<br />

Scholz stammt die älteste Nachricht<br />

von der Kultur der Kartoffel in Europa.<br />

Wann haben nun die Görlitzer erstmalig<br />

Kartoffeln gegessen? Tag und Jahr<br />

können nicht mit Bestimmtheit ange-<br />

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36<br />

Geschichte |


Die<br />

Kulturgeschichtliches<br />

Wunderknolle<br />

über die Kartoffel<br />

geworden. Der bayrische Erbfolgekrieg<br />

1778 - 1779 wurde von den Soldaten<br />

“Kartoffelkrieg“ genannt, weil sie sich,<br />

statt Schlachten zu schlagen, in den böhmischen<br />

Lagern und Quartieren hauptsächlich<br />

nur um die Kartoffeln stritten.<br />

Die “Wunderknolle“ ist nun auf der<br />

ganzen Welt verbreitet und schon<br />

oft zum Retter in der Not geworden.<br />

Ernte im Kleinbetrieb<br />

geben werden, aber es wird einige Jahre<br />

nach dem Siebenjährigen Krieg, also<br />

nach 1763 gewesen sein. Bei den böhmischen<br />

Nachbarn wurde dann 1771<br />

die Kartoffel angebaut. 1770 herrschte<br />

dort eine große Hungersnot, an der<br />

180 000 Menschen starben. In dieser Zeit<br />

wanderten viele nach Schlesien, wo der<br />

Kartoffelanbau von Friedrich dem Großen<br />

zwangsweise angeordnet worden<br />

war. 1770 bürgerte sich der Name<br />

“Erdbirnen“ ein, daraus ist durch Verstümmelung<br />

die volkstümliche Bezeichnung<br />

“Adbarn“ oder auch “Abbarn“<br />

Heimatkalender für den Landkreis Görlitz<br />

1942<br />

Kartoffel-Pflanzlochmaschine<br />

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Geschichte |<br />

37


Bauliche Veränderungen<br />

Veränderung<br />

in Zittau<br />

Die Berichterstattung der Zittauer Presse<br />

zu den wirtschaftlichen Erfolgen in<br />

der ersten fünf Jahren des Hitler-Regimes<br />

setzte sich mit Berichten zum Wohnungs-<br />

und Straßenbau in Zittau fort. So<br />

das waren mehr als doppelt so viel wie<br />

1932. Insgesamt wurden seit 1933 in<br />

Deutschland 1.400.000 Wohnungen geschaffen.<br />

Zittau, Einfamilienhaus (Bauentwurf v. Architekt Schliesser in Zittau)<br />

wurde zunächst berichtet, dass im ganzen<br />

Reich im Jahr 1937 etwa 340.000<br />

Wohnungen neu geschaffen wurden,<br />

Aus der Kreisstadt berichteten die „Zittauer<br />

Nachrichten“: „Ganze Siedlungen<br />

sind seit 1933 entstanden: 65 Wohn-<br />

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38<br />

Geschichte |


Bauliche<br />

in den 1930er Jahren<br />

Veränderung<br />

häuser wurden auf der Reinhold-Wagner-Straße<br />

gebaut, 28 an der Scheerund<br />

Tirpitzstraße bzw. Ankerweg [alle in<br />

Poritsch, heute Porajow/Polen // U.K.],<br />

86 am Poritscher Dammweg und 1937<br />

allein 105 Wohnhäuser in Zittau und 20<br />

im Stadtteil Poritsch. Dazu gesellen sich<br />

noch unser neues Grenzlandtheater,<br />

zahlreiche Kasernen- und Fabrikan- und<br />

umbauten und sonstige Hochbauten,<br />

die allgemeinen und privaten Zwecken<br />

dienen. In der gleichen Zeit wurden im<br />

Bezirk Zittau 110 Kleinsiedlerstellen und<br />

42 Volkswohnungen errichtet, außerdem<br />

mit Hilfe von Darlehen aus Wohnungsbaustockmitteln<br />

97 Eigenheime<br />

mit insgesamt 144 Wohnungen. Ganz<br />

gewaltige Summen wurden für Straßen-,<br />

Regulierungs- und sonstige Tiefbauarbeiten<br />

ausgegeben, die zugleich<br />

das tägliche Brot für viele hundert deutsche<br />

Volksgenossen bedeuten.“<br />

In der Stadt Zittau gehörten zu diesen<br />

Arbeiten u.a. die Eckartsbachregulierung,<br />

Ufer- und Kanalbauten an der<br />

Mandau, an der Herwigsdorfer Straße<br />

und an der Leipziger Straße, Abschachtungsarbeiten<br />

in Großporitsch, Eckartsberg<br />

und im Stadtgebiet Zittau. Kosten<br />

für diese Tiefbauarbeiten insgesamt<br />

rund 382.000 Reichsmark.<br />

Aber auch in den anderen Ortschaften<br />

der Amtshauptmannschaft wurde fleißig<br />

gearbeitet. So wurden für den Ausbau<br />

von Landstraßen rund 716.000 Reichsmark<br />

ausgegeben. Regulierungsarbeiten<br />

fanden in Großschönau, Drausendorf,<br />

Oberseifersdorf und Ostritz statt.<br />

Straßenbauarbeiten wurden in Weigsdorf,<br />

Reichenau und Seifhennersdorf<br />

durchgeführt, weitere Tiefbauarbeiten<br />

in Oberullersdorf und Olbersdorf.<br />

Auch durch die intensive Bautätigkeit im<br />

ganzen Land ging die Zahl der Arbeitslosen<br />

in Deutschland von rund 6,5 Millionen<br />

(1933) auf 470.000 im <strong>Oktober</strong><br />

1937 zurück. Im Landbezirk Zittau sank<br />

die Zahl der Menschen ohne Arbeit von<br />

3.637 (1933) auf 720.<br />

Uwe Kahl, Zittau<br />

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Geschichte |<br />

39


Die Oberlausitz im Dreißigjährigen Krieg<br />

men ein. Gleichzeitig<br />

wurden erste Anordnungen<br />

dahingehend<br />

übermittelt, dem Kaiser<br />

keine Truppen<br />

zu werben und den<br />

Durchzug solcher zu<br />

verhindern. Die Oberlausitz<br />

entschuldigte<br />

sich am 12. Juli damit,<br />

dass nur ein sofort<br />

auszuschreibender<br />

Landtag in dieser<br />

schwierigen Angelegenheit<br />

Prager Fenstersturz (Kupferstich von Matthäus Merian)<br />

zu entschei-<br />

Der Dreißigjährige Krieg begann so, wie<br />

Kriege im allgemeinen zu beginnen pflegen-<br />

mit einem Vorwand. Der Fenstersturz<br />

zu Prag am 23. Mai 1618 war nur<br />

der Auslöser für einen wohlüberlegten<br />

Plan, Böhmen nicht der Habsburgischen<br />

Krone zu überlassen. Die Oberlausitz<br />

gehörte als Markgrafentum zu beiden,<br />

zu König und zu Kaiser. Wenn sie also<br />

Partei ergriff, konnte sie sich so oder so<br />

nicht aus dem Krieg heraushalten.<br />

Am 30. Mai traf der Bericht aus Böhden<br />

habe. In Wahrheit aber war bereits<br />

am 21. Juni auf einem Landtage vorbeugend<br />

verhandelt worden. Die Landstände<br />

gaben sich kaisertreu und wollten<br />

Truppen werben. Der eine Woche später<br />

einberaumte Städtetag verwarf diesen<br />

Beschluß. Da nun beide Stände in<br />

der Sache uneins waren, blieb es beim<br />

Abwarten.<br />

Weiteren Zeitgewinn versprach sich die<br />

Oberlausitz durch den Hinweis, dass<br />

die unmittelbaren Länder der Wenzels-<br />

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40<br />

Geschichte |


Deutsch-Ossig<br />

krone, Mähren und<br />

Schlesien, dem Krieg<br />

(noch) nicht beigetreten<br />

wären.<br />

Aber alles Taktieren<br />

nutzte nichts, als die<br />

Oberlausitz kurze Zeit<br />

später zum Aufmarschgebiet<br />

des Kaisers nach<br />

Böhmen wurde. Ende<br />

August wurden den<br />

Oberlausitzern von den<br />

durchziehenden Truppen<br />

„Kisten und Kasten<br />

aufgebrochen,<br />

Geld, Leinwand, Pferde, Rindvieh entwendet<br />

und die erhobenen Requisitionen<br />

nirgends bezahlt.“<br />

Der Eintritt Schlesiens in den Krieg stellte<br />

im <strong>Oktober</strong> die erneute böhmische<br />

Forderung nach Truppenwerbung auf<br />

die Tagesordnung. Die Oberlausitz verwies<br />

nun auf die Verletzung des Majestätsbriefes<br />

gegenüber Schlesien durch<br />

den Kaiser, mit welchem die Unantastbarkeit<br />

in der Union mit Böhmen garantiert<br />

wurde. Sie selbst (die Oberlausitz)<br />

Darstellung von Kriegsgreueln<br />

hätte sich seit 1609 vergeblich um einen<br />

solchen bemüht. Böhmen nahm<br />

dies zum Anlaß, den Majestätsbrief für<br />

die Oberlausitz zu garantieren. Diese<br />

ermannte sich nun endlich, dem Kaiser<br />

ihre Besorgnis mitzuteilen. Den ganzen<br />

Winter über wurde fleißig verhandelt<br />

und gehandelt, um dann den Interpositonstag<br />

in Eger(Böhmen) nicht zu besuchen.<br />

Dazu wäre man nicht aufgefordert<br />

worden.<br />

Am 20. März 1619 starb, schon entmün-<br />

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Geschichte |<br />

41


Die Oberlausitz im Dreißigjährigen Krieg<br />

Friedrich V. von der Pfalz,<br />

Porträt von Gerrit van Honthorst 1634<br />

digt, Kaiser Mathias. Und das hieß unter<br />

seinem Nachfolger Ferdinand Beseitigung<br />

des Protestantismus, um zugleich<br />

die freiheitliche Verfassung aufzulösen.<br />

Das Vorhaben galt auch für die Oberlausitz.<br />

Um dem Krieg weiterhin zu entgehen,<br />

verfuhr man aberwitzig. Mit einer Gesandschaft<br />

wurde in Prag hinterbracht,<br />

dass man sich über den in Aussicht gestellten<br />

Majestätsbrief freue, auch alle<br />

Bedingungen erfüllen wolle, wenn der<br />

König diesen ausstelle. Einen König gab<br />

es aber zu diesem Zeitpunkt nicht!<br />

Am 27. April 1619 mußte die Oberlausitz<br />

durch Gesandtschaft in Prag vorstellig<br />

werden. Den Text des Majestätsbriefes<br />

durften sie gleich selbst aufsetzen. Sie<br />

richteten sich nach Schlesien, was dieses<br />

hocherfreute. In Wahrheit liefen schon<br />

die Verhandlungen mit Friedrich von der<br />

Pfalz. Man war sich im Klaren: stimmte<br />

man bei der Königswahl für Ferdinand,<br />

galt die Stimme nichts und brachte darüber<br />

hinaus nur Ärger mit den Mitstreitern<br />

ein. Für Ferdinand zählten sie so<br />

oder so als Rebellen. Nach weiteren hilflosen<br />

Ausflüchten stimmte nun auch die<br />

Oberlausitz für Friedrich V. von der Pfalz<br />

als neuem König. Am 28. August 1619<br />

wurde Ferdinand zum deutschen König<br />

und römischen Kaiser gewählt.<br />

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42<br />

Geschichte |


Deutsch-Ossig<br />

Johann Georg I. mit Hund,<br />

Portrait von Frans Luycx, 1652<br />

Die Fronten hatten sich so geklärt, dass<br />

nun endlich jeder wußte, wo der Feind<br />

stand. Nur die Oberlausitz suchte noch<br />

nach einem Freund - Und der kam mit<br />

Invasion, Okkupation und Immission.<br />

Es war der Bier-Jörgen (Kurfürst Johann<br />

Georg von Sachsen). Er nannte<br />

sich Pfandinhaber der Oberlausitz. Erst<br />

empfand man die Besetzung als großes<br />

Unrecht, vorbei die Landesherrlichkeit!<br />

Dann aber dankte man ihm inniglich, als<br />

nämlich die anderen Länder der Wenzelskrone<br />

verheert und rekatholisiert<br />

wurden.Mit der Freiheit aber war es allemal<br />

vorbei.<br />

Noch ein anderes Problem stand an.<br />

Das des Jakob Böhme. Hier kommt der<br />

Name des Görlitzer Bürgermeisters, David<br />

Tuchscher(er, ins Spiel.) Er war einer<br />

der Defensoren für die Oberlausitz, um<br />

die Religionsfreiheit zu bewahren. Und<br />

damit zählte er auch zu den erbittertsten<br />

Gegnern Böhmes. Und - ihm gehörte<br />

Deutsch-Ossig.<br />

Jakob Böhme starb 1624, im gleichen<br />

Jahr wie Bürgermeister Tuchscherer.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Dieter Liebig, Volker Richter, Zusammengestellt<br />

durch Dr. Ingrid Oertel<br />

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Geschichte |<br />

43


Görlitzer<br />

Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr<br />

wurde bereits zum Beginn der siebziger<br />

Jahre für die Anforderungen verschiedener<br />

Nahverkehrsunternehmen der DDR<br />

entwickelt. Unter anderem fand man die<br />

Fahrzeuge in Potsdam (auch zwei Prototypen),<br />

Berlin, Leipzig, Erfurt, Plauen,<br />

Gera und Cottbus in größeren Serien.<br />

Das im Juli 1983 an der Rauschwalder<br />

Straße entgegengenommene Fahrzeug<br />

kam per Bahn und war bereits eines<br />

der späteren seines Typs. Es erhielt<br />

in Görlitz die Nummer 001 und war ab<br />

<strong>Oktober</strong> 1983 im Personenverkehr ein-<br />

Wider einmal muß ich<br />

eine Korrektur dem<br />

eigentlichen Beitrag<br />

voranstellen, betreffend<br />

die Augustausgabe<br />

des „Stadtbild”.<br />

Natürlich fuhr die Linie<br />

5 in den 50er Jahren<br />

nicht nur bis zum<br />

Posteck, sondern endete<br />

und begann am<br />

Demianiplatz. Doch<br />

nun zum heutigen<br />

Thema: Im <strong>Oktober</strong><br />

des Jahres 1983, also vor nunmehr exakt<br />

25 Jahren, konnte man in Görlitz<br />

erstmals einem vierachsigen Straßenbahnwagen<br />

im Linienverkehr begegnen.<br />

Nicht nur die Bauart, sondern mehr<br />

noch die Außenlackierung waren für unsere<br />

Stadt ungewöhnlich. Rot- beige lackierte<br />

Straßenbahnfahrzeuge hatte es<br />

hier bis dahin noch nie gegeben, auch<br />

wenn uns kolorierte Ansichtskarten aus<br />

dem beginnenden 20. Jahrhundert etwas<br />

anderes zeigen sollten. Der in Prag<br />

hergestellte Kurzgelenkwagen KT4D<br />

Ankunft im Juli 1983<br />

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44<br />

Geschichte |


Görlitzer<br />

25 Jahre KT4D auf<br />

Stadtverkehr<br />

Görlitzer Gleisen<br />

gesetzt. Hierzu mussten vorher größere<br />

Änderungen in der Stromversorgung<br />

und am Gleisnetz vorgenommen werden.<br />

Da der Triebwagen vorerst der einzige<br />

seiner Art in Görlitz blieb, gestaltete<br />

sich sein Einsatz zusammen mit den<br />

Gothawagen im Alltagsbetrieb schwierig.<br />

Wohl auch deshalb war er in den<br />

Demianiplatz im <strong>Oktober</strong> 1983<br />

ersten Jahren eher wenig zu sehen. Erst<br />

1987 kam Verstärkung in Gestalt weiterer<br />

sechs Triebwagen, denen Ende 1990<br />

noch vier fabrikneue Wagen folgten. Zu<br />

diesen nunmehr elf Fahrzeugen gesellten<br />

sich 1992 fünf gebrauchte Triebwagen<br />

aus Erfurt und 1998 drei gebrauchte<br />

KT4D aus Cottbus- letztere bereits<br />

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Geschichte |<br />

45


Görlitzer<br />

Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr<br />

aus dem Jahre 1978 stammend.<br />

Heute bilden die<br />

19 – inzwischen alle modernisierten<br />

KT4D den<br />

ausschließlichen Einsatzbestand<br />

im Linienverkehr<br />

der Görlitzer Straßenbahn.<br />

Die rot- beigefarbene Außenlackierung<br />

ist ebenso<br />

seit mehreren Jahren Geschichte<br />

wie die roten und<br />

grauen PUR – Sitzschalen<br />

im Innenraum. Dennoch<br />

erscheinen uns die Wagen (denen noch<br />

weitere Folgen zu verschiedenen Themen<br />

gewidmet sein sollen) im Alltag<br />

kunterbunt, was aber an der verschiedenen<br />

und oft wechselnden Vollreklame<br />

liegt. Triebwagen ohne Reklame waren<br />

einige Jahre gelb und sind heute mit<br />

blau/ lichtgrauem Außenanstrich anzutreffen.<br />

Seit 2001 tragen die KT4D die<br />

Ankunft Landeskrone im November 1983<br />

Betriebsnummern 301 bis 319. Genau<br />

genommen sind sie heute bereits auch<br />

schon wieder technisch veraltet und<br />

werden wohl früher oder später ersetzt<br />

werden müssen.<br />

Andreas Riedel, Wiesbaden<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

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46<br />

Geschichte |

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