63_Ausgabe September 2008
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Die Generation der Großeltern ist in die<br />
Kritik geraten. Hochrangige Politiker, allwissende<br />
Meinungsmacher der Medien<br />
und Archivalienverwalter halten den Alten<br />
vor, sie erzählten den Enkeln nicht<br />
die volle Wahrheit über die Schrecken<br />
der alten Zeiten (insbesondere über die<br />
nicht ganz so alten) und versäumten es,<br />
die Vorzüge der Gegenwart zu preisen.<br />
Wir hätten endlich die Spaßgesellschaft,<br />
die Bürgergesellschaft, die Zivilgesellschaft<br />
(nur nicht die kapitalistische,<br />
das hört sich nicht nett genug an). Nun<br />
erinnere ich mich an meine Großmütter,<br />
um 1870 geboren, die noch vor 70<br />
Jahren darauf bestanden, für sie sei die<br />
Kaiserzeit vor 1914 die beste Zeit gewesen<br />
mit Aufschwung, Arbeit, Kinderreichtum,<br />
sauberen und schönen neuen<br />
Wohnvierteln, schlichter Lebensführung,<br />
über 40 Jahren Frieden, Gottesfurcht<br />
und Anstand. Inzwischen hatten schon<br />
zwei andere politische Systeme von<br />
sich behauptet, die besseren Lösungen<br />
zu haben. Nach der Katastrophe von<br />
1945 schwiegen die Mütter und Soldatenwitwen<br />
zu den Anschuldigungen der<br />
Besatzungsmächte und ihrer deutschen<br />
Helfer. Verarmt, hungrig und anspruchslos,<br />
aber zupackend und zuversichtlich<br />
zogen sie die Kinder groß, sorgten sich<br />
um unsere Bildung und befähigten uns,<br />
etwas aus unserem Leben zu machen.<br />
Lebenstüchtigkeit setzt Lebenskenntnis<br />
voraus. Da haben uns Großeltern und<br />
Eltern (und auch gute Lehrer) mehr<br />
geholfen als Zeitungen und Fernsehen,<br />
Parteipropaganda und Verteufelungen,<br />
ohne dass wir uns der “Forderung des<br />
Tages” (Goethe) verwehrt hätten. Denn<br />
Jugend sucht Bewährung, Mut zum Risiko,<br />
Tätigkeit. Dazu brauchen die Enkel<br />
auch die Wahrheit der Großeltern, nicht<br />
nur die der Lehrer und der Medien unter<br />
der Deutungshoheit des Staates.<br />
Unser <strong>September</strong>heft bringt biographische<br />
und familiengeschichtliche Beispiele<br />
aus der örtlichen und regionalen Geschichte,<br />
etwa über die Familie Thorer<br />
oder das Tagebuch 1945 von Justizrat<br />
Heese. Wir danken den älteren Lesern<br />
für ihre Blicke von unten auf die Geschichte.<br />
Auf weitere Zuschriften, gerade<br />
im Interesse der Enkel, freut sich<br />
Ihr Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
3
Ein Eckhaus am Görlitzer Obermarkt –<br />
Könnten Häuser über ihr Leben erzählen, bekäme<br />
man viel zu hören - über Bauherren<br />
im 18. Jahrhundert ihre stolzen Spitzgiebel<br />
einbüßen und die Dachschrägen nach der<br />
Straßenseite<br />
verlegen, Eingänge<br />
überwölben<br />
und Stuckdecken<br />
unter<br />
unter die Balkendecken<br />
ziehen.<br />
Ihre Giebel<br />
verloren auch<br />
das Biblische<br />
Haus Neißstraße<br />
29, das Emerichsche<br />
Haus<br />
Untermarkt 1,<br />
das Salzhaus auf<br />
dem Obermarkt<br />
und das Eckhaus<br />
Obermarkt<br />
6. Zum Glück ist<br />
uns manches an<br />
früheren Zuständen durch die Bilder einheimischer<br />
Künstler überliefert.<br />
Eckhaus Obermarkt / Steinstraße, Zeichnung von Christoph Nathe, 1800<br />
und Bewohner, über Umbauten und Brände,<br />
über große und kleine Begebenheiten auf<br />
den Straßen davor. So mußten manche vornehmen<br />
Bauten der Altstadt nach den strengen<br />
sächsischen Brandschutzbestimmungen<br />
Über das Haus am Obermarkt schreibt Richard<br />
Jecht in seiner “Topographie der Stadt<br />
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4<br />
Geschichte |
Ein<br />
Wandlungen<br />
Eckhaus<br />
und Ereignisse<br />
Görlitz”: “Nr. 6 erbaute in der Gestalt bis 1803<br />
der Verwalter des Heiligen-Geist-Stiftes und<br />
der Besitzer eines<br />
Anteils von<br />
Girbigsdorf Johann<br />
Georg Paulitz<br />
(+ 1681). In<br />
dem Hause befand<br />
sich seit<br />
dem Anfang des<br />
19. Jahrhunderts<br />
bis 1837 die<br />
Post... 1835 verkaufte<br />
das Haus<br />
der Kaufmann<br />
Sigm. Ehregott<br />
Leberecht Dreßler<br />
an den Spitzund<br />
Pudritzkrämer<br />
Lympus,<br />
dieser 1843 an<br />
den Kürschner<br />
Ernst Friedrich Thorer, dieser 1854 an seinen<br />
Sohn Ernst Theodor Thorer, dieser 18<strong>63</strong> an<br />
seinen Schwager, den Kaufmann Ferdinand<br />
Walther.”<br />
1803 verschwanden die zwei Giebelspitzen<br />
und machten dem auch nach vorn abgeschrägten<br />
Mansarddach Platz, doch blieben<br />
Eckhaus Obermarkt / Steinstraße nach dem Umbau 1803, Aquarell um 1830<br />
die acht unteren Giebelfenster erhalten. Erst<br />
1844 ließ dann der neue Eigentümer, Kürschnermeister<br />
Ernst Friedrich Thorer, einen Neubau<br />
errichten, wie es im 19. Jahrhundert<br />
mit allen früheren Renaissancehäusern an<br />
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Geschichte |<br />
5
Ein Eckhaus am Görlitzer Obermarkt –<br />
der Südseite geschah. Dabei entstanden die<br />
noch heute sichtbaren drei Ecktürme als die<br />
Neubau Eckhaus Obermarkt / Steinstraße 1844,<br />
Bauherr Kürschnermeister Ernst Friedrich Thorer<br />
Fassadenbegrenzungen. Der langgestreckte<br />
Gebäudeteil an der Steinstraße zeigt wie die<br />
Vorderfront streng aufgereihte Fensterzeilen<br />
und Fensterachsen. Zierliche Balkons in den<br />
ersten Obergeschossen der Türme waren die<br />
einzigen Schmuckelemente. Ein wenig sieht<br />
man sich an die Jägerkaserne erinnert, die 14<br />
Jahre später fertiggestellt<br />
war,<br />
durch die Breite<br />
Straße sogar im<br />
Blickfeld unseres<br />
Eckhauses. Nur<br />
das Erdgeschoss<br />
wechselte häufig<br />
seine Gewerbemieter,<br />
Eingangsformen,<br />
Schaufenster<br />
und Firmenschilder<br />
und passte<br />
sich wechselnden<br />
Einkaufsgewohnheiten<br />
an.<br />
Ab und zu berührte<br />
der Gang<br />
der großen Geschichte<br />
auch dieses Eckhaus. Friedrich der<br />
Große kam hier vorüber und nahm an der<br />
Ecke Fleischergasse Quartier. Auf der Flucht<br />
aus Russland nach Paris wechselte hier am<br />
13. Dezember 1812 Kaiser Napoleon uner-<br />
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6<br />
Geschichte |
Ein<br />
Wandlungen<br />
Eckhaus<br />
und Ereignisse<br />
kannt die Schlittenpferde und drängte ungeduldig<br />
auf Eile; 1813 logierte er schräg<br />
Eckhaus im Festschmuck beim Besuch Kaiser Wilhelms II. 1893, Fotografie Robert Scholz<br />
gegenüber (Haus 29), Zar Alexander I. und<br />
König Friedrich Wilhelm III., die verbündeten<br />
Monarchen, hielten während der Befreiungskriege<br />
vor eben diesem Haus. 1893 war<br />
das Eckhaus über und über festlich dekoriert,<br />
als Kaiser Wilhelm II. am 18. Mai das Reiterdenkmal<br />
Wilhelms I. einweihte. Hier hielten<br />
1871 und 1940 die Garnisontruppen ihre<br />
Siegesparaden ab. 1935 erlebte das Haus<br />
die Hetzjagd auf den jüdischen Textilwarenhändler<br />
Artur Dresel, der wenig später im<br />
Gerichtsgefängnis Breslau zu Tode kam, und<br />
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Geschichte |<br />
7
Ein Eckhaus am Görlitzer Obermarkt –<br />
Haus Obermarkt 6 mit Demonstranten am 17. Juni 1953, Anonyme Fotografie<br />
im November 1938 wurden die Schaufenster<br />
beim Konfektionshändler Horn (in der Presse<br />
als “jüdischer Ramschbasar” verteufelt) völlig<br />
verwüstet und anschließend sogar noch<br />
für die Rathaussammlung fotografiert. 1945<br />
sah man vor dem Eckhaus endlose Flüchtlingstrecks<br />
aus den preußischen Ostprovinzen,<br />
1946 die erste Maikundgebung nach<br />
Kriegsende. 1953 am 17. Juni versammelten<br />
sich die Demonstranten vor dem Haus zu<br />
Massenkundgebungen. Märkte und Sportereignisse<br />
prägten das Stadtbild, Volksfeste<br />
und Konzerte.<br />
Heute wirkt das Haus, mit dem sich so bedeutende<br />
stadtgeschichtliche Höhepunkte<br />
verbinden, im Vergleich zu den meisten<br />
benachbarten Gebäuden unansehnlich und<br />
vernachlässigt, Wohnetagen wie Gewerberäume<br />
eingeschlossen. Der bescheidene<br />
Lebensmittel-Eckladen ist bei Anwohnern<br />
mit niedrigen Einkommen beliebt und beweist<br />
zugleich, dass es auch in schwierigeren<br />
Zeiten noch emsiges Leben im Hause gibt.<br />
Dennoch hat das Haus Besseres verdient.<br />
Das finden auch die Stadtführer und Touristengruppen,<br />
die Tag für Tag hier vorüberziehen.<br />
Gut Ding will Weile haben.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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8<br />
Geschichte |
Tagebuch<br />
Ein Görlitzer Tagebuch 1945<br />
Es ist ein Vorzug persönlicher Tagebücher,<br />
dass sie auch geschichtliche Katastrophen<br />
und Umbrüche aus subjektiver<br />
Sicht wiedergegeben. Es sind nur<br />
Ausschnitte und Momente des elementaren<br />
großen Geschehens. Wertungen<br />
sind geprägt durch eigene Herkunft und<br />
Lebenserfahrung. Die aufgeschriebenen<br />
Eindrücke sind aufrichtig und detailgetreu<br />
in den Einzelheiten und Zufälligkeiten<br />
des Erlebens. Erst später, in<br />
der zusammenhängenden Darstellung<br />
durch Lehrbücher, Dokumentationen<br />
und Massenmedien, beginnt das Herausfiltern<br />
und Zurechtbiegen nach parteipolitischen<br />
oder staatlichen ideologischen<br />
Vorgaben, und das von jeher<br />
bis heute. Das führt zu erschreckender<br />
Einseitigkeit und Kenntnislücken, etwa<br />
über die Ursachen des II. Weltkrieges<br />
oder das Kriegsende. Gesamtdarstellungen<br />
und Wertungen durch Fachhistoriker<br />
sind unverzichtbar, auch wenn<br />
die Forscher, Autoren und Verlage in<br />
die gesellschaftlichen Strukturen eingebunden<br />
sind und im Strom der Zeit mitschwimmen<br />
müssen. Um so wertvoller<br />
bleiben daher all die kleinen Beiträge<br />
zum geschichtlichen Gesamtbild, die wir<br />
durch Aufzeichnungen und Bildquellen<br />
aus privaten Nachlässen vermittelt bekommen.<br />
Bereits 2002 erschien in Oldenburg in<br />
Erstauflage das Buch mit dem Tagebuch<br />
1945 des Görlitzer Rechtsanwalts Justizrat<br />
Conrad Heese (1872-1945). Das<br />
starke Interesse namentlich bei Görlitzer<br />
Lesern ermöglichte nun eine zweite<br />
Auflage <strong>2008</strong>. Kürzlich stellten Frau<br />
Ingeburg Heese, geborene Schöhl,<br />
Schwiegertochter des Autors, und deren<br />
Tochter Wiltrud Heese in einer Lesung<br />
an der Brüderstraße die druckfrische<br />
Neuausgabe vor.<br />
Der Verfasser des Tagebuches stammte<br />
aus Stargard in Pommern. Nach dem Jurastudium<br />
war er zunächst in Mülheim/<br />
Ruhr und in Königswinter tätig und eröffnete<br />
1907 in Görlitz eine Rechtsanwaltpraxis.<br />
Als Hauptmann im I.Weltkrieg<br />
wurde er verwundet und mit dem Eisernen<br />
Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Seit<br />
1934 wohnte er in der Görlitzer Oststadt<br />
Jacob-Böhme-Straße 12 (heute in Zgor-<br />
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Geschichte |<br />
9
Tagebuch<br />
Ein Görlitzer Tagebuch 1945<br />
zelec katholisches Pfarramt).<br />
Er erlebte die letzten Kriegswochen<br />
und die Monate danach in<br />
der Oststadt und im Stadtzentrum<br />
westlich der Neiße. Die<br />
Aufzeichnungen, die im Buch<br />
gekürzt wiedergegeben werden,<br />
reichen vom 7. Februar<br />
bis zum 24. November 1945.<br />
Conrad Heese verstarb am 1.<br />
Dezember, krank und von der<br />
Nachkriegsnot gezeichnet.<br />
Geprägt durch seine preußische<br />
Rechtsauffassung, eine<br />
sachliche Wirklichkeitssicht und<br />
seinen kritischen Abstand vom<br />
Nationalsozialismus, schildert<br />
er aus eigenem Erleben die Ereignisse<br />
in der Frontstadt Görlitz<br />
mit Flüchtlingselend, Evakuierung<br />
des Großteils der<br />
Bevölkerung, Tieffliegerangriffen<br />
und Bombardierungen,<br />
schließlich den Einmarsch der<br />
Roten Armee und die selbstherrlichen<br />
Vertreibungen durch<br />
die polnischen Behörden, den<br />
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10<br />
Geschichte |
Tagebuch<br />
Justizrat Heese als Chronist<br />
Durchzug zurückflutender ausländischer<br />
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener.<br />
Ähnliches kennen wir auch aus den Tagebüchern<br />
der evangelischen Pastoren<br />
Langer und Treu, des Stadtdirektors<br />
Giese und vor allem durch das in vier<br />
Auflagen erschienene “Görlitzer Tagebuch<br />
1945/46” von Franz Scholz, Pfarrer<br />
an der katholischen Bonifatiuskirche<br />
in der Oststadt. Mit elementarer Wucht<br />
setzte sich der grausame Alltag über die<br />
gewohnten Normen bürgerlicher Wohlanständigkeit<br />
hinweg, erschütternd und<br />
unbegreiflich für den humanistischen<br />
Chronisten. Deutsche Schuld wird nicht<br />
verdrängt, die maßlose Vergeltung nicht<br />
beschönigt. Schicksale der verzweigten<br />
Familie kommen zur Sprache, zahlreiche<br />
bekannte Görlitzer Persönlichkeiten<br />
tauchen auf, Straßen und Bauwerke<br />
kommen ins Bild. Mit der bisher<br />
gelebten und bewahrten Lebensweise<br />
des Bildungsbürgers erlischt Woche um<br />
Woche auch das Leben des beraubten,<br />
hungernden und frierenden Tagebuchschreibers.<br />
Dennoch findet er bis zum<br />
Schluß die Kraft, Zeugnis abzulegen für<br />
kommende Generationen.<br />
Man wird in dem Buch nicht die oberflächliche<br />
Anekdotengräberei und alberne<br />
Selbstinszenierung finden, die man<br />
heute in verkaufsorientierten Memoirenbüchern<br />
mehr oder weniger bedeutender<br />
Zeitgenossen bis zum Überdruß vorgeführt<br />
bekommt. Den Herausgebern<br />
sei Dank für ihren Entschluss, die Tagebuchaufzeichnungen<br />
zu veröffentlichen.<br />
Die Zeit ist danach. Nicht nur die Jugend<br />
mit ihrem lückenhaften und verzerrten<br />
Geschichtsbild braucht solche Informationen.<br />
Man sollte auch rechtzeitig die<br />
Folgen eines Krieges am Beispiel 1945<br />
bedenken, da sich überall regionale<br />
Kriegsherde auftun und ein veranwortungsloses<br />
militärisches und wirtschaftliches<br />
Machtstreben, begleitet von Propagandakampagnen,<br />
bedrohlich neue<br />
Konfliktherde nach Ost, Südost und<br />
Fernost vorschiebt. Die Erfahrung von<br />
1945 sollte uns reichen.<br />
Das Buch von Conrad Heese bekommt<br />
man in allen Görlitzer Buchhandlungen.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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Geschichte |<br />
11
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
begründete den weltweiten<br />
Rauchwarenhandel in Leipzig mit<br />
der Firma Theodor Thorer, dessen<br />
Wurzeln in Görlitz lagen.<br />
Nicht nur so bekannte Firmengründer<br />
oder Inhaber wie Lüders,<br />
Raupach, Fischer, Körner<br />
und Krause und Söhne prägten<br />
die wirtschaftliche Entwicklung<br />
der Stadt, sondern auch weniger<br />
bekannte Persönlichkeiten<br />
wie Commerzienrat, Stadtrat und<br />
Stadtältester Carl Julius Geißler,<br />
Textilfabrikant, und sein Bruder<br />
Ernst Friedrich Geißler (Vierradenmühle<br />
und Braunkohlengrube<br />
Berzdorf), die Kaufleute<br />
Adolph Webel und Stadtrat Felix<br />
Webel, um nur einige zu nennen,<br />
sollten nicht in Vergessenheit geraten.<br />
Eine solche Familie, die auch in der<br />
Stadt Görlitz Beachtliches geleistet hat,<br />
ist die Kürschnerfamilie Thorer, die ich<br />
hier vorstellen möchte.<br />
Johann Caspar Thorer (Gera)<br />
Die Familie Thorer lässt sich bis 1618<br />
zurückverfolgen. Ihr Ursprung liegt in<br />
Gera.<br />
Ein Sohn von Johann Caspar Thorer,<br />
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12<br />
Titel |
Theodor<br />
deren Wurzeln in<br />
Thorer<br />
Görlitz lagen<br />
Kürschnermeister in Gera (1698 – 1768),<br />
kam im Rahmen seiner Wanderschaft<br />
nach Görlitz. Es war der Kürschnergeselle<br />
Tobias Friedrich<br />
Thorer (21.4.1732–<br />
22.5.1800).<br />
Die Stadt machte auf ihn<br />
einen so wenig günstigen<br />
Eindruck, dass er erklärte,<br />
keine 24 Stunden<br />
bleiben zu wollen.<br />
Er muss aber bald anderer<br />
Ansicht geworden sein,<br />
denn als der Kürschnermeister<br />
Papstlöbe nach<br />
der Herberge um einen<br />
Gesellen schickte, nahm<br />
er nicht nur die Stelle an,<br />
sondern verheiratete sich auch im April<br />
1755 mit dessen Tochter und ließ sich<br />
als Kürschnermeister in Görlitz nieder.<br />
Seine Werkstatt befand sich am Fischmarkt<br />
8.<br />
Fischmarkt 8 bestand ursprünglich aus<br />
zwei Häusern (Hypotheken-Nr. 57 und<br />
58).<br />
Im östlichen Haus (Hyp.-Nr. 57) wohnte<br />
Friedrich Tobias Thorer.<br />
Durch ausgezeichnetes fachliches Können<br />
wurde er als Oberältester der<br />
Fischmarkt 8<br />
Kürschnermeister in Görlitz gewählt.<br />
Aus seiner Ehe gingen 4 Söhne hervor.<br />
Von diesen waren 3 Kürschnermeister in<br />
Görlitz.<br />
Imanuel Friedrich Thorer (26.4.1772 –<br />
19.3.1813)übernahm das Geschäft seines<br />
Vaters.<br />
Imanuel ehelichte Johanne Christiane<br />
Geißler, die Tochter des Tuch-<br />
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Titel |<br />
13
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
(24.8.1756 – 23.4.1833), verehelicht<br />
mit Sophie Eleonore, geb. Schüssler.<br />
Seine Kürschnerfirma begründete er im<br />
Handwerk 7 (Hypotheken<br />
Nr. 362)<br />
Dieses Geschäft wurde<br />
gemeinsam mit seinem<br />
Sohn Nathanael Heinrich<br />
Thorer (19.5.1801<br />
– 30.8.1849) betrieben.<br />
Handwerk 7<br />
walkermeisters Johann Gottfried Geißler<br />
(1734 – 1808)<br />
(Johann Gottfried Geißler war der Großvater<br />
von dem Tuchfabrikanten Commerzienrat,<br />
Stadtrat und Stadtältesten<br />
Carl Samuel Geißler und dessen Bruder<br />
Ernst Friedrich Geißler, Inhaber der Vierradenmühle<br />
und Braunkohlenwerk Berzdorf).<br />
Ein weiterer Sohn von Tobias war Carl<br />
Heinrich Thorer, Kürschnermeister,<br />
Nathanael war ebenfalls<br />
Ältester der Kürschnermeister<br />
in Görlitz.<br />
Der zweite Sohn von Carl<br />
Heinrich war Samuel<br />
Timotheus Fürchtegott<br />
Thorer (25.4.1785<br />
– 25.6.1846)<br />
Dieser besuchte zunächst das Gymnasium<br />
in Görlitz. Nach dem Abitur begab<br />
er sich 1815 auf die Universität Leipzig<br />
und studierte Medizin. Er nahm auch<br />
Vorlesungen in Botanik, Zoologie, Mineralogie,<br />
Chemie, Physik und Philosophie<br />
wahr.<br />
Um seine praktische Ausbildung zu voll-<br />
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14<br />
Titel |
Theodor<br />
deren Wurzeln in<br />
Thorer<br />
Görlitz lagen<br />
Ernst Friedrich Thorer 1799 - 1878<br />
enden, ging er Ende 1817 nach Berlin und<br />
lernte bei Hufeland, Horn und Liebold.<br />
Das medizinisch-chirurgische Examen<br />
bestand er am 12.5.1918 mit vorzüglichem<br />
Ergebnis, und er erwarb auch im<br />
gleichen Jahr den Doktortitel.<br />
Zurückgekehrt nach Görlitz, ließ<br />
sich Dr. Thorer als praktischer<br />
Arzt, Operateur und Geburtshelfer<br />
nieder.<br />
Er bediente sich auch zunehmend<br />
der homöopathischen Heilmethode,<br />
zu der sich verschiedene Ärzte<br />
Schlesiens und der Oberlausitz<br />
zu einem Verein zusammenschlossen,<br />
dessen Vorsitzender er<br />
wurde und in dieser Eigenschaft<br />
mehrere Bände Fachbücher publizierte.<br />
Er selbst begründete eine Familie<br />
mit Anna Caroline geb. Eichholz.<br />
Aus dieser Ehe gingen 2 Töchter<br />
hervor.<br />
Dr. Thorer wurde 1820 Mitglied<br />
der Oberlausitzischen Gesellschaft<br />
der Wissenschaften zu Görlitz.<br />
Er wurde bald danach Mitglied<br />
des die Verwaltung leitenden Ausschusses<br />
der Gesellschaft.<br />
Im Jahre 1833 wurde Dr. Thorer Direktor<br />
der Gesellschaft. Dieses Amt führte<br />
er durch Wiederwahl bis zum Jahre<br />
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Titel |<br />
15
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
Grundstück Brüderstraße 15<br />
1841 aus. Dr. Thorer gab verschiedene<br />
Fachbeiträge heraus, und es befinden<br />
sich im Neuen Lausitzischen Magazin<br />
(NLM) zahlreiche Veröffentlichungen.<br />
Dr. Thorer verstarb am 25. Juni 1845,<br />
und er wurde am 28. Juni auf dem Nicolai-<br />
Friedhof beigesetzt.<br />
Aus der Ehe von Emanuel Friedrich<br />
Thorer gingen ebenfalls 3 Söhne hervor.<br />
Sein Sohn Ernst Friedrich Thorer<br />
(20.3.1799 – 1.7.1878) erfreute sich einer<br />
günstigen Vermögenslage und genoss<br />
großes Ansehen nicht nur bei den<br />
Mitgliedern der Kürschnerinnung, die<br />
ihn zum Ältesten der Kürschnermeister<br />
ernannten, sondern auch bei der Görlitzer<br />
Bürgerschaft im allgemeinen, da er<br />
als Mitglied des Magistrats der Stadt<br />
an der Verwaltung seiner Heimatstadt<br />
sehr regen Anteil nahm. Seine Verdienste<br />
wurden dann auch durch die Ernennung<br />
zum Stadtältesten anerkannt.<br />
Ernst Friedrich erwarb im Jahre 1825<br />
das Grundstück Brüderstraße 15 mit der<br />
Hypotheken-Nr. 15, und er baute das<br />
ganze Haus um. Im Jahre 1843 kaufte<br />
Ernst Friedrich das Grundstück Obermarkt<br />
6 / Ecke Steinstraße.<br />
Bis 1803 war dieses Gebäude ein eindrucksvoller<br />
Barockbau (erbaut um<br />
1680). 1803 fielen die Giebel.<br />
Im Jahre 1844 wurde dieses Gebäude<br />
von Ernst Friedrich Thorer von Grund<br />
auf neu erbaut, so wie es heute noch<br />
steht.<br />
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16<br />
Titel |
Theodor<br />
deren Wurzeln in<br />
Thorer<br />
Görlitz lagen<br />
Im Jahre 1854 wurde das Grundstück an<br />
seinen Sohn Theodor Ernst Thorer<br />
(26.5.1828 – 30.3.1894) verkauft, und<br />
dieser verkaufte dies<br />
18<strong>63</strong> an seinen Schwager,<br />
den Kaufmann Ferdinand<br />
Walter.<br />
Zugleich waren durch<br />
den Umbau von Obermarkt<br />
6 auch die Grundstücke<br />
Steinstraße 1 und<br />
2 in seinen Besitz gelangt.<br />
Die letzte Wohnung von<br />
Ernst Friedrich befand<br />
sich Grüner Graben 9.<br />
Dabei läßt sich bei Richard<br />
Jecht in seiner Topographie<br />
auf Seite 641 folgende Episode<br />
nachlesen:<br />
„Als im Jahre 1848 die obere Langengasse<br />
durch Abbruch der Stadtmauer<br />
eine Öffnung nach Westen erhielt, da<br />
faßten weitsichtige Männer wie Maurermeister<br />
Kießler, Kürschnermeister<br />
Thorer, Steffelbauer und Ernst<br />
Hermann Bescheerer (Brauereibesit-<br />
Obermarkt 6 / Ecke Steinstraße um 1800<br />
zer Sonnenstraße, jetziges Finanzamt)<br />
den Entschluss, eine nähere Verbindung<br />
nach der Teich- und Brunnenstraße herzustellen,<br />
und ließen beim Bau ihrer<br />
Häuser in den Jahren 1857 – 1862 für<br />
eine regelmäßige Straßenanlage Raum<br />
und wandten sich 1860 an den Magistrat<br />
um Einrichtung einer öffentlichen<br />
Straße (Sonnenstraße).<br />
Der Magistrat erkannte kein öffentliches<br />
Bedürfnis einer Straße und ließ zeitweise<br />
die Straße für den öffentlichen Ver-<br />
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Titel |<br />
17
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
kehr sperren und stellte noch schwerste<br />
Bedingungen an deren Anlieger. Da der<br />
Magistrat eine öffentliche Benennung<br />
für die Grundstücke Grüner Graben Nr.<br />
2 – 9 als Besitzer Thorer/Frenzel angegeben.<br />
Weitere Grundstücke,<br />
wie bereits genannt<br />
Obermarkt 6, Steinstraße<br />
1, Schanze 14 und<br />
Sommergasse 4, waren<br />
im Besitz dieser Familie<br />
(Sommergasse seit 1871<br />
Moltkestraße).<br />
Ecke Steinstraße heute<br />
der Straße verweigerte, wurde diese<br />
durch die Bauherren Privatstraße genannt.<br />
Erst im Jahre 1868 findet man im<br />
Adressbuch den Namen Sonnenstraße.<br />
Damit muss sich die Familie Thorer als<br />
einer der 4 Bauherren an der Errichtung<br />
der Sonnenstraße beteiligt haben.<br />
Folgt man dem Görlitzer Hypothekenverzeichnis<br />
von 1855, so werden auch<br />
Ernst Friedrich Thorer,<br />
noch rüstig in den besten<br />
Mannesjahren, übergab<br />
im Jahre 1853 das<br />
Geschäft seinem Sohn,<br />
dem Kürschnermeister<br />
Theodor Ernst Thorer (26.5.1828<br />
-30.3.1894).<br />
Gründe der Geschäftsübergabe waren<br />
unter anderem die Ansprüche, welche<br />
andere Unternehmungen und seine gemeinnützige<br />
Tätigkeit an seine Person<br />
stellten, und andererseits, dem Verlangen<br />
seines Sohnes entgegenzuwirken,<br />
nach Amerika auszureisen, und ihn so-<br />
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18<br />
Titel |
Theodor<br />
deren Wurzeln in<br />
Thorer<br />
Görlitz lagen<br />
mit an seine Heimat zu fesseln.<br />
Das Kürschnergeschäft war das<br />
bedeutendste in Görlitz, es betrieb<br />
nicht ausschließlich die<br />
Kürschnerei, sondern versorgte<br />
auch die Kürschnermeister<br />
in Görlitz und Umgebung mit<br />
Rauchwaren. Zu deren Einkäufen<br />
hatte schon Ernst Friedrich (also<br />
sein Vater) die Leipziger Messe<br />
regelmäßig besucht.<br />
Theodor Ernst hatte seine Ausbildung<br />
nicht nur in der Heimat,<br />
sondern auch in fremden Ländern,<br />
vor allem in Frankreich und<br />
England, genossen.<br />
In einem Brief an seinen Vater<br />
vom 27. Juni 1831 berichtet er<br />
von seinen Erlebnissen auf seinen<br />
Studienreisen, die ihn nach<br />
London, Lyon, Turin und Mailand<br />
sowie über Venedig, Triest und<br />
Wien führten.<br />
Nach der Geschäftsübernahme besuchte<br />
Theodor im Herbst 1853 erstmalig auf<br />
eigene Rechnung die Leipziger Messe.<br />
Theodor Ernst Thorer<br />
Im darauf folgenden Jahre, genau 100<br />
Jahre nachdem sein Urgroßvater Tobias<br />
von Gera nach Görlitz übergesiedelt<br />
war, fuhr er von Görlitz nach Gera, um<br />
Emma Hoffmann als seine Ehefrau<br />
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Titel |<br />
19
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
heimzuführen.<br />
Seine Ehefrau war ebenfalls an der guten<br />
Entwicklung des Geschäfts beteiligt.<br />
Insgesamt gebar sie 8 Kinder, 7 Söhne<br />
und eine Tochter (4 davon in Görlitz<br />
geboren).<br />
An ihrem Lebensabend kam sie in den<br />
Genuss von 7 Enkeln und 5 Urenkeln.<br />
Die Freunde von Theodor Thorer hatten<br />
ihren Weg nach Kanada genommen und<br />
sich in Montreal ansässig gemacht, welches<br />
sich später als Glücksumstand für<br />
Theodor erweisen sollte.<br />
In Montreal gründeten sie die Firma Haeusgen<br />
& Gnaedinger, welche sich mit<br />
der Fabrikation von Pelzwerk im Großbetrieb<br />
befassten. Zur Beschaffung ihres<br />
Bedarfs an europäischen und asiatischen<br />
Fellen wandten sich diese an<br />
ihren Freund Theodor in Görlitz.<br />
Das veranlasste ihn zu weiteren Reisen,<br />
vornehmlich nach Leipzig. Die ständigen<br />
Reisen bereiteten der Führung seines<br />
Geschäfts durch längere Abwesenheit<br />
größere Probleme.<br />
Hinzu kam, ein Kürschnergeschäft zur<br />
damaligen Zeit in einer Provinzstadt zu<br />
führen, stellte nicht die vielseitigen Ansprüche,<br />
zumal Theodor durch seine<br />
vielen Reisen das Flair der Großstädte<br />
Europas mit ihren großzügigen Verhältnissen<br />
genoss.<br />
All das veranlasste ihn, das vom Vater<br />
übernommene Geschäft 1862 an seinen<br />
Werkführer zu übergeben, der es noch<br />
viele Jahre unter der Firma J. Wagner,<br />
Theodor Thorer Nachf. in Görlitz<br />
führte.<br />
Er selbst aber siedelte 1862 mit Frau<br />
und 4 Kindern noch vor der Ostermesse<br />
(die Leipziger Rauchwarenmesse<br />
fand immer zu Ostern statt) nach Leipzig<br />
- Gohlis über und eröffnete in Leipzig<br />
anfänglich in der Rauchwarenhalle die<br />
Rauchwarenfirma Theodor Thorer,<br />
die sich alsbald zu einem weltweiten<br />
Unternehmen entwickelte, wie ich an<br />
späterer Stelle berichten werde.<br />
Die eingangs genannte Freundschaft<br />
nach Kanada entwickelte sich in der Folgezeit<br />
zu engen Geschäftsbeziehungen.<br />
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20<br />
Titel |
Theodor<br />
deren Wurzeln in<br />
Thorer<br />
Görlitz lagen<br />
So erhielt Theodor von seinen Freunden<br />
kanadische Felle in Gegenrechnung, namentlich<br />
Bisam, Biber, Otter, Nerze und<br />
Zobel.<br />
In den kommenden Jahren entwickelte<br />
sich aber vorrangig der Persianerpelzhandel<br />
(Karakul- und Astrachanerschafe<br />
und Breitschwänze) zum Hauptgeschäft.<br />
Der Bedarf dazu wurde auf Messen in<br />
Nischnij-Nowgorod und Moskau, aber<br />
auch direkt aus Buchara, Astrachan und<br />
Afghanistan gedeckt. (Die Hauptzuchtgebiete<br />
liegen in Zentralasien in Usbekistan<br />
– Buchara – Turkmenistan, in Teilen<br />
von Tadschikistan – in Europa aber<br />
auch in der Ukraine und in Moldawien, in<br />
Afghanistan sind die Hauptzuchtgebiete<br />
in den Provinzen Anhoi, Masar-i-Scherif,<br />
Maimene, Schiberghan, Achtscha,<br />
Taschkurghan, Kundus und Herat.) So<br />
betrug die Gesamteinfuhr von Rauchwaren<br />
auf dem Handelsplatz Leipzig<br />
um 1864 160 Millionen Mark, und daran<br />
hatten asiatische Persianerfelle einen<br />
Anteil von 1.100.000 Stück.<br />
Firmensignet Theodor Thorer<br />
In der Folgezeit traten die Söhne von<br />
Theodor in das Geschäft ein.<br />
Zunächst der älteste Ernst Alfred,<br />
1855 in Görlitz geboren und 1910 in<br />
Leipzig - Leutsch verstorben.<br />
1875 hatte sich sein zweitältester<br />
Sohn Kurt Theodor, 1856 in Görlitz<br />
geboren (gest. 14.11.1918), im Geschäft<br />
als Teilhaber betätigt.<br />
Ostern 1876 trat der dritte Sohn Paul<br />
Albert, am 5.3.1858 ebenfalls in<br />
Görlitz geboren, als Teilhaber in die<br />
Firma ein.<br />
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Titel |<br />
21
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
Um seine Geschäfte in Russland ordentlich<br />
führen zu können, erlernte Paul Albert<br />
die russische Sprache und fuhr 1881<br />
zum ersten Male zur Rauchwarenmesse<br />
nach Nischnij-Nowgorod zum Einkauf.<br />
Nachdem seine 3 ältesten Söhne am<br />
1. August 1883 als Teilhaber der Firma<br />
eingetragen wurden, zog sich Theodor<br />
Thorer am 27. Mai 1892 in das Privatleben<br />
zurück.<br />
damit erworben hat, mit Original-Zuchtmaterial<br />
von Karakul-Schafen (Persianer)<br />
aus Buchara in der damaligen<br />
deutschen Kolonie Südwestafrika diese<br />
Rasse einzubürgern und zu züchten.<br />
Dank der guten Beziehungen des deutschen<br />
Kaisers zum russischen Zaren<br />
wurden nach und nach 820 Karakul-<br />
Mutterschafe und Böcke aus Usbekistan<br />
nach Deutsch-Südwestafrika geliefert.<br />
In der Folgezeit zogen sich auch die älteren<br />
Geschwister aus dem Unternehmen<br />
zurück, so dass die gesamte Last<br />
des Geschäfts auf den allein verbliebenen<br />
Paul Albert gefallen ist.<br />
Für seine Verdienste bei der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung im Königreich Sachsen<br />
wurde Paul Albert Thorer vom Sächsischen<br />
König mit dem Titel Königlicher<br />
Kommerzienrat geehrt.<br />
In der Folgezeit entwickelte sich die Firma<br />
zu einem wichtigen Unternehmen<br />
im weltweiten Rauchwarenhandel mit<br />
Niederlassungen in New York und London<br />
und Vertretungen in Berlin, Wien,<br />
London, Paris, Mailand und Brüssel. Erwähnenswert<br />
wäre noch, dass sich die<br />
Firma Theodor Thorer große Verdienste<br />
Nach anfänglichen Rückschlägen entwickelte<br />
sich die Persianerzucht in Südafrika<br />
sehr erfolgreich. Das Exportvolumen<br />
an Fellen betrug bis zu 25% der<br />
Gesamtexportergebnisse des Landes.<br />
Dies war auch für den Leipziger Rauchwarenmarkt<br />
während des und nach dem 1.<br />
Weltkrieg von außerordentlicher Bedeutung,<br />
da von den angestammten Märkten<br />
Russland/Sowjetunion zunächst keine<br />
Wareneinkäufe mehr erfolgen konnten.<br />
Dieses Geschäft begann sich erst Mitte<br />
bis Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts<br />
zu stabilisieren.<br />
Noch heute ist die Karakulzucht und -haltung<br />
ein wichtiger Zweig der Landwirtschaft<br />
von Namibia.<br />
1969 erreichte die namibische Pro-<br />
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22<br />
Titel |
Theodor<br />
deren Wurzeln in<br />
Thorer<br />
Görlitz lagen<br />
In der Folgezeit wurde die Firma<br />
Rauchwarenhandel Theodor Thorer<br />
von den Enkeln, Schwager<br />
und Urenkeln des Firmengründers<br />
Theodor Thorer erfolgreich<br />
weitergeführt.<br />
So schließt sich der Kreis, der<br />
mit Tobias Friedrich Thorer um<br />
die Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
in Görlitz seinen Anfang nahm.<br />
Paul Albert Thorer<br />
Eine Nachbemerkung:<br />
Die Firma Thorer siedelte 1945<br />
von Leipzig nach Offenbach über.<br />
Sie splittete sich nach dem Umzug<br />
in zwei Geschäftszweige um,<br />
eine Rauchwarenzurichterei (Gerberei)<br />
in Offenbach und in einen<br />
Rauchwarenhandel, der in Frankfurt<br />
am Main seinen Sitz hatte.<br />
Dazu gab es zahlreiche Filialen beider<br />
Zweige in Deutschland und im Ausland<br />
(New York, Südafrika u.v.a.m.) und<br />
mehrere Beteiligungen z.B. an der legendären<br />
Hundson Bay Company in Kanada.<br />
In den 90er Jahren des 20. Jahrhunduktion<br />
mit 3,5 Millionen Fellen = 40%<br />
der Weltproduktion ihren Höhepunkt. Es<br />
gibt in Namibia etwa 2500 Farmen mit<br />
Karakulschafzucht.<br />
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Titel |<br />
23
Theodor<br />
Eine Görlitzer Kürschnerfamilie<br />
Thorer<br />
derts brach die Pelzhysterie aus, und<br />
kaum eine Frau konnte es sich noch<br />
moralisch leisten, Pelze zu tragen. Damit<br />
brach auch das Pelzgeschäft der Firma<br />
Thorer zusammen, und diese Firma<br />
Thorer & Co wurde nach fast 400 Jahren<br />
ihrer Existenz liquidiert.<br />
Wolfgang Stiller<br />
Kommerzienrat Paul Albert Thorer in Buchara<br />
Quellen: Jecht, Richard: Topographie<br />
von Görlitz<br />
Thorer, „300 Jahre Familie Thorer“ 1912;<br />
„325 Jahre Familie Thorer“ 1937, jeweils<br />
Leipzig Eigenverlag<br />
(<strong>Ausgabe</strong> 1912 in der Oberlausitzischen<br />
Bibliothek der Wissenschaften Görlitz,<br />
<strong>Ausgabe</strong> 1937 bei Axel Thorer, stv. Chefredakteur<br />
der Zeitschrift „BUNTE“)<br />
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24<br />
Titel |
Schloss Mengelsdorf<br />
Mengelsdorf<br />
Herr Asche Claus von Lützau wird am 7.<br />
März mit dem Gut Mengelsdorf belehnt.<br />
Er war kursächsischer Kammerherr und<br />
Obristleutnant der Kavallerie. Er schloss<br />
verschiedene Verträge über den Grenzverlauf<br />
seines Gutes mit der Herrschaft<br />
von Oberreichenbach. Nach seinem<br />
Tod am 17. Dezember 1688 erbt seine<br />
Schwester Frau Dorothee Elisabeth von<br />
Dewitz, geb von Lützau, das Gut Mengelsdorf.<br />
Im folgenden Jahr kauft dann<br />
Wolf Albrecht von Loeben, der bereits<br />
Besitzer von Schönberg, Ober- und Niederhalbendorf,<br />
Küpper, Kirschau und<br />
Geißlitz ist, Mengelsdorf für 19 500 Taler.<br />
Er stirbt am 1. November 1696, übergibt<br />
aber noch zu Lebzeiten Mengelsdorf<br />
seinem Sohn Georg Friedrich d.Ä.<br />
von Loeben. Er studierte in Zittau und<br />
Frankfurt/O. und war viel auf Reisen. Er<br />
besuchte Frankreich, England und die<br />
Niederlande. Nach seinem Tode erbt<br />
sein Sohn Wolf Christian Albrecht I. von<br />
Loeben nach seiner Rückkehr aus Wittenberg<br />
und Halle, wo er studiert hatte,<br />
Mengelsdorf. Er brachte es 1733 bis<br />
zum Landeshauptmann des Markgrafentums<br />
Oberlausitz. Im selben Jahr kauft<br />
er für 10.000 Taler Biesig von den Erben<br />
des Herrn von Rostitz. 1737 brannten<br />
durch einen Wetterstrahl das Vorwerk<br />
und 1741 das Gutsgehöft ab. Das<br />
Vorwerk baute er viel herrlicher als vor<br />
dem Brand etwa einen Kilometer vom<br />
Schloss entfernt mitten im Feld wieder<br />
auf.Weiterhin ließ er eine wunderschöne<br />
Hofrehde bauen, richtete das Gutsgehöft<br />
wieder her und legte einen vortrefflichen<br />
Garten an.<br />
Um 1720 errichtete er eine Schule, deren<br />
Lehrer von der Herrschaft jährlich<br />
12 Taler sowie 2 Scheffel Korn und von<br />
der Gemeinde im Jahr 6 Taler erhielten.<br />
Wolf Christian Albrecht I. starb am 27.<br />
März 1750. Das Hochlöbliche Amt zu<br />
Görlitz teilt am 17. <strong>September</strong> des Jahres<br />
1750 Mengelsdorf unter seinen neun<br />
Kindern auf. Sohn Otto Ferdinand wurde<br />
von der kurfürstlichen Durchlaucht<br />
wegen seiner großen Verdienste in den<br />
Reichsgrafenstand erhoben.<br />
Als ältester Sohn übernimmt Wolf Christian<br />
Albrecht II. von Loeben Mengels-<br />
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Geschichte | 25
Schloss Mengelsdorf<br />
Mengelsdorf<br />
Schloss Mengelsdorf bei Reichenbach<br />
dorf und Biesig. Kurze Zeit später verkaufte<br />
er Biesig an den Hauptmann<br />
Adolph Ferdinand von Runkel.<br />
1778 kauft Andreas Nitsche, kurfürstliche<br />
Durchlaucht und Hofrat, das Gut<br />
dem Kammerherrn von Loeben ab. Seine<br />
Frau Maria, geb.von Soltikoff, übernimmt<br />
nach dem Tod des Hofrates 1795<br />
das Gut und führt das wohltätige Schaffen<br />
ihres Mannes fort. 1801 erwirbt<br />
Ferdinand Traugott von Bucherfeld Gut<br />
Mengelsdorf. Im Jahr der Völkerschlacht<br />
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26<br />
Geschichte |
Schloss<br />
Geschichte und<br />
Mengelsdorf<br />
Gegenwart Teil II<br />
zu Leipzig - 1813- wurden in Mengelsdorf<br />
russische und königlich-preußische<br />
Truppen sowie kaiserlich-französische<br />
Truppen und andere Verbündete einquartiert.<br />
Unter ihnen befanden sich<br />
zwei Generäle und eine Reihe von Stabsoffizieren.<br />
Zar Alexander von Rußland<br />
nahm am 21. April sowie am 20./21. Mai<br />
im Gutsgehöft Quartier.<br />
Im Jahre 1824 erbt Frau Auguste von<br />
Ziegler und Klipphausen, geb.Prenzel<br />
von Bucherfeld, das Gut von ihrem Vater.<br />
Ernst Eduard von Haugwitz, der spätere<br />
königliche Landrat, erwirbt 1841<br />
das Anwesen. Für 200.000 Taler kaufen<br />
1859 Frau Georgine Louise von Kurowski<br />
und der königliche Oberst a.D.<br />
Leuthold von Kurowski das Gut. Die Geheimratswitwe<br />
läßt das Schloß in seiner<br />
jetzigen Form und Schönheit im Tudorstil<br />
errichten (vgl. Stadtbild <strong>Ausgabe</strong> 62,<br />
S.13). Nach ihr ist Herr Louis Hüpeden<br />
der nächste Besitzer. 1889 erwirbt Dr.<br />
jur. Zemke das Schloß für die stattliche<br />
Summe von 1.200.000 Talern. Er verschönte<br />
das Schloß von innen, ließ es<br />
neu einrichten und erweiterte den Park<br />
Zar Nikolaus I. (1777 - 1825)<br />
rund um das Schloß auf 2600 Morgen.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Quelle: Chronik Gut Mengelsdorf, zusammengestellt<br />
von Dr. Ingrid Oertel<br />
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Geschichte |<br />
27
Staatliches Museum für<br />
Museum<br />
Naturkunde<br />
Die Pflanzen- und Pilzkundler des Görlitzer<br />
Naturkundemuseums sind nicht<br />
leicht zu finden. Ihr Reich befindet sich<br />
in einem Hinterhaus am Grünen Graben<br />
28a, welches seit 1977 im Besitz des<br />
Museums ist. Seit 1992 trägt es den Namen<br />
„Reinhard-Peck-Haus“. Der Apotheker<br />
Dr. Felix Georg Reinhard Peck wurde<br />
1823 in Görlitz geboren. 1856 wurde er<br />
Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft<br />
zu Görlitz und übernahm ab 1859<br />
als Kustos der Sammlungen die Verantwortung<br />
für ihren Erhalt und deren Erweiterung.<br />
Von 1885 bis zu seinem Tod<br />
1895 war Reinhard Peck erster hauptamtlicher<br />
Direktor des Museums der<br />
Naturforschenden Gesellschaft. Peck<br />
machte sich besonders um die botanische<br />
und malakologische (Schnecken<br />
und Muscheln) Forschung in der Region<br />
verdient. Für seine Sammlungs- und<br />
Forschungsarbeit erhielt er 1873 die Ehrendoktorwürde<br />
der Universität Breslau.<br />
Die Abteilung Botanik des Museums wird<br />
seit 1989 von Oberkonservator Dr. Siegfried<br />
Bräutigam geleitet. Ihm unterstehen<br />
die botanische Sammlung (das Herbarium)<br />
und Forschung am Museum.<br />
Insgesamt umfasst die Sammlung heute<br />
über 240.400 Objekte von Samen- und<br />
Farnpflanzen, Moosen, Algen, Pilzen und<br />
Flechten.<br />
Sie enthält:<br />
Dr. Reinhard Peck (1823 - 1895)<br />
- das Herbarium der 1945 aufgelösten<br />
Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz<br />
- weitere Sammlungen aus Bautzen,<br />
Görlitz und Zittau<br />
- Ankäufe und Schenkungen von Privatpersonen<br />
- Aufsammlungen eigener Mitarbeiter.<br />
Die Präparation von Pflanzen erfolgt in<br />
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28<br />
Geschichte |
Staatliches<br />
Die Botanischen Sammlungen<br />
Museum<br />
der Regel, indem diese getrocknet, gepresst<br />
und auf Papierbögen fixiert werden.<br />
Auf diesen sogenannten Herbarbögen<br />
vermerken die Konservatoren den<br />
wissenschaftlichen Namen der Pflanze,<br />
ihren Fundort und ihren Sammler. Die<br />
Herbarbögen dienen als Nachweis für<br />
das heutige oder ehemalige Vorkommen<br />
bzw. die Verbreitung von Pflanzenarten.<br />
Botaniker nutzen die Belege, um<br />
ihre Pflanzenbestimmungen am Objekt<br />
zu überprüfen.<br />
Viele Herbarbögen gehen auf das 19.<br />
Jahrhundert zurück. 1824 gehörten<br />
zur Sammlung der Naturforschenden<br />
Gesellschaft zu Görlitz 28 getrocknete<br />
Pflanzen, 1860 gab es bereits 20.000<br />
Herbarbelege.<br />
Die Sammlung der Samen- und Farnpflanzen<br />
ist in eine Regionalsammlung,<br />
das sogenannte „Herbarium Lusaticum“,<br />
und eine Weltsammlung, das „Herbarium<br />
generale“, unterteilt. Das Herbarium<br />
Lusaticum umfasst 48.070 Belege aus<br />
der Oberlausitz sowie den angrenzenden<br />
Gebieten Sachsens, Brandenburgs,<br />
Polens und Tschechiens. Es ist das Ziel<br />
dieser Sammlung, die Pflanzenarten der<br />
Region vollständig als Beleg zu bewahren,<br />
möglichst in mehreren Exemplaren<br />
und von verschiedenen Fundorten, um<br />
Veränderungen der regionalen Flora zu<br />
dokumentieren. So enthält das Herbarium<br />
einige Pflanzenarten, die mittlerweile<br />
in der Oberlausitz verschollen oder<br />
ausgestorben sind. Das Herbarium stellt<br />
sozusagen das botanische Gedächtnis<br />
der Oberlausitz dar. Aber auch die Neuankömmlinge<br />
in Ostsachsen sind vertreten.<br />
Es handelt sich dabei meist um<br />
Pflanzen außereuropäischer Herkunft,<br />
die durch die Aktivität des Menschen<br />
verschleppt wurden und sich hier ausbreiten.<br />
Unter diesen Arten sind solche<br />
von besonderem Interesse, die einheimische<br />
Pflanzenarten verdrängen oder<br />
eine Gesundheitsgefahr für den Menschen<br />
darstellen, wie z.B. der Riesen-Bärenklau<br />
(Heracleum mantegazzianum)<br />
aus dem Kaukasus. Dessen Pflanzensäfte<br />
führen in Verbindung mit Sonnenlicht<br />
zu schweren Hautverletzungen. Mittlerweile<br />
in die Oberlausitz vorgedrungen<br />
ist auch die stark Allergien auslösende<br />
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Geschichte |<br />
29
Staatliches Museum für<br />
Museum<br />
Naturkunde<br />
(SMNG) Ein Herbarbeleg aus dem 19. Jahrhundert<br />
Beifuß-Ambrosie<br />
(Ambrosia artemisiifolia)<br />
aus<br />
Nordamerika.<br />
Die Museumswissenschaftler<br />
sammeln Funde<br />
solcher eingewanderter<br />
Pflanzenarten<br />
und schätzen<br />
deren Auswirkungen<br />
auf das<br />
Ökosystem ein.<br />
Im „Herbarium generale“<br />
befinden<br />
sich 59.900 Belege<br />
aus allen<br />
Erdteilen. Neben<br />
Mittel- und Südeuropa<br />
sind die<br />
Kaukasusländer,<br />
Türkei, Mongolei,<br />
die Kanarischen<br />
Inseln, das südliche<br />
Afrika, das<br />
östliche Nordamerika<br />
und Grön-<br />
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30<br />
Geschichte |
Staatliches<br />
Die Botanischen Sammlungen<br />
Museum<br />
land wesentliche<br />
Herkunftsgebiete.<br />
Besonders umfangreich<br />
ist das<br />
historische Material<br />
aus Schlesien.<br />
Das Moosherbar,<br />
das auf Reinhard<br />
Peck zurückgeht,<br />
umfasst 23.300<br />
Belege aus Europa,<br />
Nord- und<br />
Südamerika sowie<br />
Südafrika.<br />
Die Algensammlung<br />
besteht aus<br />
2.500 Belegen.<br />
Die Pilze und<br />
Flechten werden<br />
in einem späteren<br />
Beitrag behandelt.<br />
Von weltweiter<br />
Bedeutung<br />
sind Belege, anhand<br />
derer eine<br />
Lausitzer Wiese im Naturkundemuseum<br />
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Geschichte |<br />
31
Staatliches Museum für<br />
Museum<br />
Naturkunde<br />
Dr. Alexandra Stoll und Dr. Siegfried Bräutigam sichten historische<br />
Belege aus Südwestafrika.<br />
Pflanzenart erstmals wissenschaftlich<br />
beschrieben wurde. Solche Exemplare<br />
bezeichnet man als „Typen“. Nach derzeitiger<br />
Kenntnis enthält die Pflanzensammlung<br />
98 solcher Typusbelege. An<br />
der Ermittlung eventueller weiterer Typen<br />
aus dem südlichen Afrika wird gegenwärtig<br />
gearbeitet.<br />
Die Sammlungen dienen nicht nur der<br />
dauerhaften Dokumentation der Pflanzenvorkommen,<br />
sondern sind Gegenstand<br />
wissenschaftlicher Untersuchungen<br />
der Görlitzer und auswärtiger<br />
Wissenschaftler. Im<br />
Fokus von Siegfried<br />
Bräutigam stehen<br />
Untersuchungen zu<br />
Verwandtschaftsverhältnissen<br />
innerhalb<br />
der Gattung der Habichtskräuter<br />
(Hieracium).<br />
Sie können<br />
als Modellorganismen<br />
zum Verständnis<br />
der Artbildung<br />
dienen. Hierzu werden<br />
Habichtskräuter<br />
aus verschiedenen<br />
Gebieten gesammelt<br />
und kultiviert. Herbarbelege, auch aus<br />
anderen Sammlungen, werden nach äußeren<br />
Übereinstimmungen und Unterschieden<br />
miteinander verglichen. Zusätzlich<br />
werden in Zusammenarbeit mit<br />
dem Botanischen Institut der Tschechischen<br />
Akademie der Wissenschaften in<br />
Průhonice Verwandtschaftsbeziehungen<br />
mit molekularbiologischen Methoden<br />
überprüft.<br />
Die Rosen (Rosa) sind eine weitere vielgestaltige<br />
Pflanzengattung, auf deren<br />
Erforschung sich die Botanikerin Petra<br />
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32<br />
Geschichte |
Staatliches<br />
Die Botanischen Sammlungen<br />
Museum<br />
Gebauer konzentriert.<br />
Die Forschungsergebnisse<br />
werden auf Tagungen<br />
vorgestellt<br />
und in Fachzeitschriften<br />
veröffentlicht.<br />
Die Expertise der<br />
Botaniker ist außerdem<br />
bei „Großprojekten“<br />
gefragt, wie<br />
der Erstellung des<br />
„Atlasses der Farnund<br />
Samenpflanzen<br />
Sachsens“ oder der<br />
„Flora von Thüringen“<br />
Die Herbarbelege lagern in säurebeständigen Kartons<br />
und bei der Abfassung von Bestim-<br />
mungsbüchern wie der „Exkursionsflora<br />
von Deutschland“.<br />
Für die Öffentlichkeit und Institutionen<br />
stehen die Botaniker beratend zur Verfügung.<br />
Sie unterbreiteten z.B. Vorschläge<br />
für geeignete Arten zur Bepflanzung der<br />
China-Anlagen im NaturschutzTierpark<br />
Görlitz und überprüften die Bepflanzung<br />
im Bibelpflanzengarten des Internationalen<br />
Begegnungszentrums St.<br />
Marienthal. Häufig werden Pflanzen zur<br />
Bestimmung im Museum abgegeben.<br />
Hintergrund für solche Einlieferungen<br />
sind Anfragen zu deren Giftigkeit, Heilwirkung<br />
oder zu Bekämpfungsmöglichkeiten<br />
unerwünschter Pflanzenarten.<br />
Die Sammlungen sind nur im Rahmen<br />
von wissenschaftlichen Spezialführungen<br />
für die Öffentlichkeit zugänglich.<br />
Dr. Christian Düker,<br />
Dr. Siegfried Bräutigam<br />
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Geschichte |<br />
33
Görlitzer Stadtpolitik<br />
Stadtpolitik<br />
nach 1833 -<br />
An der Spitze der städtischen Verwaltung<br />
stand fortan und bis 1846 der<br />
Bürgermeister Demiani. Er war ein<br />
ausgezeichneter Mann von großer Menschenkenntnis,<br />
von reichem organisatorischem<br />
Talent, von dem redlichen<br />
Willen und der besten Einsicht für die<br />
Rathaus am Untermarkt, Lithographie um 1840<br />
Hebung der Stadt, für Enfaltung und<br />
zugleich Konzentrierung ihrer materiellen<br />
Kräfte, für Entwicklung ihres geistigen<br />
Lebens. Dabei war er von der Energie<br />
und Beharrlichkeit wie Bismarck.<br />
Er scheute sich nicht, sich Gegner und<br />
Feinde zu schaffen bei der Verfolgung<br />
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34<br />
Geschichte |
Görlitzer<br />
Ein Oberbürgermeister<br />
Stadtpolitik<br />
erinnert sich<br />
und Durchführung von dem, was er für<br />
gut erkannte. Er legte den Grund für die<br />
Entwicklung und Blüte, zu der sich nun<br />
Görlitz schnell erhob. Görlitz gewann<br />
an Schönheit, an zweckmäßigen Einrichtungen,<br />
an Wohlstand der Einwohner,<br />
an geistigem Leben und durch alles<br />
das an Anziehungskraft, so dass es von<br />
1833 bis 1883 von10000 auf mehr als<br />
50000 Einwohner stieg.<br />
Die in Folge der Einführung der Städteordnung<br />
von der Bürgerschaft gewählte<br />
Stadtverordneten-Versammlung führte<br />
der städtischen Verwaltung eine Menge<br />
neuer Elemente zu, indem die Stadtverordneten<br />
nicht bloß in ihrer regelmäßigen<br />
Versammlung, sondern auch<br />
als Mitglieder der Verwaltungs - Deputationen<br />
für einzelne Zweige der städtischen<br />
Angelegenheiten tätig waren. Es<br />
wurde hierdurch das Interesse der Bürgerschaft<br />
an der städtischen Verwaltung<br />
geweckt, es wurde die Kenntnis derselben<br />
erweitert, die Kritik an den Verwaltungsformen<br />
und an der Tätigkeit der<br />
Verwaltungsorgane geübt, und wenn<br />
auch die Stadtverordneten-Versammlung<br />
in großen, wichtigen Dingen sehr<br />
selten die Initative ergriffen, so war sie<br />
doch nie müde, ein warmes Interesse<br />
an den städtischen Angelegenheiten an<br />
den Tagen zu legen, an allen Dingen zu<br />
bessern, auch wohl zu mäkeln oder wenigstens<br />
zu nörgeln. War dies auch für<br />
den Magistrat oft sehr lästig und widerwärtig,<br />
so gab es doch fortwährend Anregung<br />
und Antrieb für ihn, sich nie und<br />
nirgends solch unangenehmen Angriffen<br />
auszusetzen, also überall vorwärts<br />
zu streben und sich nichts zuschulden<br />
kommen zu lassen. In einer sehr zahlreichen,<br />
aus allen Kreisen der Bevölkerung<br />
gewählten Versammlung wird es selten<br />
an einzelnen Mitgliedern fehlen, die einer<br />
guten Erziehung entbehren und die<br />
dadurch bei ihren Gesinnungsgenossen<br />
eine Ehre einzulegen suchen, dass sie<br />
den Mut haben, Höhergestellten gegenüber<br />
ihren Tadel recht unverhohlen, ich<br />
will nicht sagen in dem Unterhaltungston<br />
der Schnapskneipe, aber doch recht<br />
plebejisch auszusprechen.<br />
Damals 1833 lag nun die Presse noch<br />
in Ketten. Die öffentliche Meinung konn-<br />
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Geschichte |<br />
35
Görlitzer Stadtpolitik<br />
Stadtpolitik<br />
nach 1833 -<br />
und der energische<br />
und<br />
tatkräftige Demiani<br />
ganz besonders<br />
seine<br />
Opponenten.<br />
Ich habe oft<br />
genug die Klagen<br />
aus seinem<br />
Munde<br />
gehört, denn<br />
als ich 1843<br />
zum Stadtverordneten<br />
gewählt<br />
worden<br />
war, machte<br />
Neubau Gymnasium Augustum um 1870<br />
er sich`s zur<br />
te sich also über die bestehenden Zustände<br />
nicht aussprechen. Alle dunklen an die Stadtverordnetenversammlung<br />
Aufgabe, seine Pläne und seine Anträge<br />
Punkte der Verwaltung blieben in Dunkel mir mitzuteilen und mit mir ausführlich<br />
gehüllt. Die geistige Beleuchtung war so zu besprechen. Ein Vorzug bestand damals;<br />
es gab keine politischen Parteien,<br />
schlecht wie die sparsame Ölbeleuchtung<br />
der Stadt selbst. Um so wichtiger die sich bestrebt hätten, bei den Wahlen<br />
war die legalisierte Kritik der Stadtverordnetenversammlung.<br />
In ihr fand auch verordneten Männer ihrer Farbe und<br />
der Magistratsmitglieder und der Stadt-<br />
in der Tat der Magistrat von Anfang an dadurch das politische Element in die<br />
und fortgesetzt seine Oppositionspartei städtische Verwaltung hineinzutragen.<br />
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36<br />
Geschichte |
Görlitzer<br />
Ein Oberbürgermeister<br />
Stadtpolitik<br />
erinnert sich<br />
Demiani-Denkmal Marienplatz, eingeweiht durch Hugo Sattig 1862<br />
Das entwickelte<br />
sich erst nach<br />
1848.<br />
Als ich1857 das<br />
Amt als Oberbürgermeister<br />
übernahm, bestanden<br />
einige<br />
ernste Streitpunkte<br />
zwischen<br />
Magistrat und<br />
Stadtverordneten.<br />
Ich entschied<br />
mich<br />
meiner Überzeugung<br />
gemäß<br />
in dem einen<br />
Fall für Ersteren, im anderen Fall für<br />
den Letzteren. Da sagte mir ein hervorragendes<br />
Magistratsmitglied, ich spiele<br />
ein unmögliches Spiel, ich müsse Partei<br />
ergreifen entweder für den Magistrat<br />
oder für die Stadtverordneten, so aber<br />
verlöre ich die Gunst beider. Also wieder<br />
die Popularitätsfrage! Ich erklärte ihm,<br />
ich sei eine Partei für mich, ich würde<br />
nach meiner Überzeugung in jedem einzelnen<br />
Falle handeln und abwarten, wer<br />
mit mir ginge. Auf die ohnehin sehr prekäre<br />
Popularität konnte es nicht ankommen,<br />
bin ich doch der Ansicht, dass ein<br />
Bürgermeister, der bis ans Ende populär<br />
bleibt, schwerlich viel geleistet haben<br />
wird.<br />
Hugo Sattig: Erinnerungen aus meinem<br />
Leben (Ausschnitt), 1884<br />
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Geschichte |<br />
37
Shakespeare am Zittauer Gymnasium<br />
Deutsche Erstaufführung<br />
„Der Widerspenstigen Zähmung“<br />
vor 350 Jahren in<br />
Zittau<br />
Das alte Zittauer Gymnasium war<br />
seinerzeit auch für seine Schultheateraufführungen<br />
bekannt<br />
und berühmt, welche vor allem<br />
unter der Leitung des Rektors<br />
Christian Weise am Ende des 18.<br />
Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebten.<br />
Aber auch schon Weises Amtsvorgänger<br />
Christian Keimann und<br />
Christoph Vogel führten mit ihren<br />
Schülern immer wieder Theaterstücke<br />
auf.<br />
Christian Weise<br />
So wurde am 7. März 1658, also<br />
vor genau 350 Jahren, von den Zittauer<br />
Gymnasiasten ein Stück unter dem Titel<br />
„Die wunderbare Heirat Petruvii mit<br />
der bösen Katharine“ aufgeführt. Leider<br />
sind aus dieser Zeit keine Programmschriften<br />
oder Texte erhalten, die uns<br />
Näheres zum Inhalt und zur Aufführung<br />
des Stückes mitteilen. Theodor Gärtner,<br />
Professor am Zittauer Gymnasium und<br />
Leiter der Stadtbibliothek, war sich aber<br />
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38<br />
Geschichte |
Shakespeare am Zittauer Gymnasium<br />
Christian-Weise-Buch<br />
schon 1905 in seinem „Quellenbuch zur<br />
Geschichte des Gymnasiums in Zittau“<br />
absolut sicher: „Die wunderbare Heirat<br />
Petruvii“ ist ohne Zweifel eine Bearbeitung<br />
von Shakespeares Widerspenstigen“.<br />
Diese Ansicht wird auch heute noch in<br />
der Fachwelt geteilt, so heißt es u.a. in<br />
„Kindlers Neues Literaturlexikon“, herausgegeben<br />
von Walter Jens, in Band 15<br />
unter „Shakespeare: The taming of the<br />
shrew, Der Widerspenstigen Zähmung,<br />
Komödie in einem Vorspiel und fünf Akten,<br />
entstanden um 1593, vermutliche<br />
Uraufführung London, 13.6.1594, deutsche<br />
Erstaufführung: Zittau 1658“. Auch<br />
das „Shakespeare-Handbuch“, herausgegeben<br />
von Ina Schabert, gibt an: „In<br />
Deutschland wurde `Der Widerspenstigen<br />
Zähmung` bereits 1658 von Zittauer<br />
Gymnasiasten aufgeführt ...“.<br />
So ist also tatsächlich eines der bedeutendsten<br />
Stücke des großen englischen<br />
Dramatikers vor 350 Jahren in Zittau<br />
erstmals in deutscher Sprache aufgeführt<br />
worden!<br />
Diese deutsche Erstaufführung ist auch<br />
ein Teil der überaus langen und reichen<br />
Zittauer Theatertradition.<br />
Rektor des Gymnasiums und somit Leiter<br />
der Aufführung war damals Christi-<br />
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Geschichte |<br />
39
Shakespeare am Zittauer Gymnasium<br />
Inhalt und Thema des Stückes<br />
William Shakespeare (“Chandos Portrait”)<br />
von Shakespeare haben Christian<br />
Weise offensichtlich sehr interessiert, eine ganz freie und selbständige Bearbeitung<br />
von Shakespeares „Der Wider-<br />
denn in seinen späten Jahren als Rektor<br />
des Zittauer Gymnasiums ist er darauf spenstigen Zähmung“ geschaffen. Dieses<br />
zu Lebzeiten Weises nie gedruckte<br />
zurückgekommen. Mit seiner „Comoedie<br />
von der bösen Catharine“ hat er dann Stück befindet sich heute in zwei Aban<br />
Keimann. Da er als hochgeistiger<br />
Lehrer und begabter Dichter<br />
bekannt ist, wäre ihm die Bearbeitung<br />
des Stückes von Shakespeare<br />
durchaus zuzutrauen.<br />
Zu den Schülern des Gymnasiums<br />
und damit ganz sicher auch<br />
zu den Mitwirkenden bei der Aufführung<br />
gehörte seinerzeit auch<br />
der 16jährige Christian Weise,<br />
welcher erst zwei Jahre später die<br />
Schule beendete und zur Leipziger<br />
Universität wechselte.<br />
Auf Grund der fehlenden Programme<br />
und Unterlagen wissen<br />
wir leider nicht, welche Rolle<br />
Christian Weise in dem Stück<br />
spielte. Gespielt wurde vermutlich<br />
im Saal des Rathauses.<br />
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40<br />
Geschichte |
Shakespeare am Zittauer Gymnasium<br />
Taming of the shrew, Der Widerspenstigen Zähmung (Gemälde von Egg, Augustus Leopold)<br />
schriften im Altbestand der Christian-<br />
Weise-Bibliothek Zittau. Veröffentlicht<br />
wurde dieses Stück von Weise erst Ende<br />
des 19. Jahrhunderts von Ludwig Fulda<br />
in der „Deutschen National-Literatur“,<br />
Band 39. Heute ist es in Band 16 der<br />
„Sämtlichen Werke“ von Weise enthalten<br />
(de Gruyter, 2002).<br />
Ob und wann dieses Stück von Weise<br />
mit seinen Schülern auch aufgeführt<br />
wurde, ist leider nicht bekannt, da bisher<br />
keine Belege dafür aufgefunden<br />
werden konnten.<br />
Uwe Kahl, Zittau<br />
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Geschichte |<br />
41
Die ersten<br />
Ortschronik<br />
Herrschaften von Deutsch-Ossig<br />
Von den honorigen und berühmten Leuten,<br />
die von Zeit zu Zeit die anderen Güter<br />
besaßen, nehmen sich die Besitzer<br />
des Gutes Nieder-Deutsch-Ossig noch<br />
in besonderer Art und Weise aus. David<br />
Thile hatte den Hof erst zu bauen begonnen.<br />
Als 1609 seine Tochter Corona<br />
David Tuchscher(er) heiratete, kam dieser<br />
so in den Besitz des Niedergutes. Im<br />
Deutsch-Ossiger Herrschaftsverzeichnis<br />
wird David Tuchsche(er) als frommer,<br />
aufrichtiger und untadeliger Mann<br />
und Bürgermeister von Görlitz genannt.<br />
Diese Attribute sollten schon stutzig<br />
machen(!). In zweiter Ehe verheiratete<br />
sich ebendieser Tuchscher(er) mit Anna,<br />
geb. Cranz. Von daher erklärt sich auch<br />
das spätere Auftreten des Namens Cranz<br />
in Mittel-Deutsch-Ossig. Tuchscher(er)<br />
baute sich ein neues Wohnhaus, den<br />
hinteren Keller und steinerne Scheunen.<br />
So ist es nicht verwunderlich, dass er<br />
nach seinem Tode am 15. April 1624<br />
in Deutsch-Ossig beerdigt wurde. Noch<br />
im selben Jahr kaufte seine Witwe für<br />
12.000 Taler baren Geldes und damit<br />
„über die Maaßen theuer“ das Gut von<br />
den Erben.<br />
Sie heiratete 1625 den kurfürstlich<br />
brandenburgischen Amtskammerrat Niklas<br />
Schubert. Mit ihm finden sich auch<br />
Nachrichten über den 30jährigen Krieg<br />
in Deutsch-Ossig. Schubert war kraft<br />
seines Amtes und der Zugehörigkeit<br />
zum brandenburgischen Kurfürsten ein<br />
Gegner des Kaisers Ferdinand II.. Deshalb<br />
wurde auch in Deutsch-Ossig erstmals<br />
1<strong>63</strong>2 sein Besitz geplündert und<br />
das Vermögen konfisziert. Er selbst saß<br />
mehrmals im Gefängnis und wurde am<br />
5. Oktober 1<strong>63</strong>2 von den kaiserlichen<br />
Soldaten nach Zittau geführt. Dort saß<br />
Schubert sieben Wochen in Haft und<br />
wurde nur gegen eine Kaution von 1000<br />
Talern entlassen. Er starb am 13. Februar<br />
1646, hat also im Widerstand und<br />
für die freie Verfassung des Reiches die<br />
meiste Zeit über das Schicksal Deutsch-<br />
Ossigs bestimmt und geteilt.<br />
1654 kaufte das Gut nach vorheriger<br />
Pacht Tobias Heinrich Schubert, jüngster<br />
Sohn Niklas Schuberts, für 5.400 Taler<br />
und 60 Taler Schlüsselgeld von seinen<br />
Geschwistern. Obwohl die Äcker,<br />
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42<br />
Geschichte |
Die<br />
nach der<br />
Ortschronik<br />
Teilung der Güter<br />
Teil III<br />
Durchfahrt eines Reisewagens 17. Jhd.<br />
Wiesen und Teiche einen<br />
öden und wüsten<br />
Eindruck machten,<br />
hat er die Gebäude<br />
ausgebessert und den<br />
Hof erweitert. 1666<br />
ist das Bauerngut<br />
von Dittmann abgebrannt,<br />
und er wollte<br />
es, da er keine Kinder<br />
zu Erben hatte,<br />
nicht mehr aufbauen.<br />
Schubert hat es ihm<br />
daraufhin abgekauft<br />
und für Dittmann und<br />
seine Frau ein lebenslanges<br />
Gedinge ausgesetzt.<br />
1680 starb<br />
Schubert. Das Gut blieb im Erbe seiner<br />
sieben Kinder.<br />
1694 ging es dann an Christian Ranisch<br />
aus Leschwitz. Er heiratete Eva Rosina<br />
Schubert und kaufte das Gut von den<br />
anderen Erben. Schon 1702 stieß er es<br />
wieder ab, und Tobias Trautner, Kaufmann<br />
in Görlitz, erwarb das Niedergut.<br />
1712 starb er, und seine vier unmündigen<br />
Kinder standen noch zur Zeit des<br />
Kirchenneubaues unter Vormundschaft.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Dieter Liebig, Volker Richter, zusammengestellt<br />
durch Dr. Ingrid Oertel<br />
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Geschichte |<br />
43
Görlitzer<br />
Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr -<br />
In diesem Jahr wären<br />
die in Görlitz besonders<br />
in ihrem letzten<br />
Bauzustand legendären<br />
Hoerde- Anhänger<br />
110 Jahre alt geworden.<br />
Sie gehörten<br />
zur 30 Triebwagen<br />
umfassenden Erstausstattung<br />
der später<br />
zur Dortmunder Straßenbahn<br />
übergegangenen<br />
Hoerder Kreisbahn<br />
und wurden bei<br />
der Firma Herbrand in<br />
Köln hergestellt. Jugendstilhaft<br />
Beiwagen 55, Endstation Rauschwalde 1953<br />
wirken die sechs seitlichen<br />
Rundbogenfenster (es gab auch Ausführungen<br />
dieses AEG- Einheitstyps mit<br />
vier, fünf und sieben Seitenfenstern je<br />
nach Achsabstand und Länge des Wagenkastens).<br />
sem Zweck wurde eine größere Anzahl<br />
von Trieb- und Beiwagen aus verschiedenen<br />
Aloka- Unternehmen (zu denen<br />
damals auch die Görlitzer Straßenbahn<br />
gehörte) angemietet, unter ihnen die<br />
Im Zusammenhang mit Wagen Nr. 24 bis 30 der o.g. Serie der<br />
der Niederschlesischen Gewerbe- und<br />
Industrieausstellung am rechten Neißeufer<br />
im Jahre 1905 mußte die Görlitzer<br />
Straßenbahn ein deutlich höheres<br />
Verkehrsaufkommen bewältigen. Zu die-<br />
Hoerder Kreisbahn, welche während der<br />
Ausstellung noch als Triebwagen mit ihren<br />
Originalnummern im Einsatz waren.<br />
Spätestens Ende 1908 tauchen diese<br />
Fahrzeuge in den Bestandsunterlagen<br />
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44<br />
Geschichte |
Görlitzer<br />
zum 110. Geburtstag<br />
Stadtverkehr<br />
der Hoerde-Anhänger<br />
Einstiegen. Dabei vergrößerte<br />
man deren<br />
Gesamtlänge um weit<br />
über einen Meter von<br />
8.200 auf 9.450 mm.<br />
Möglicherweise geht<br />
auch die Veränderung<br />
der Seitenfenster am<br />
Wagen 59 (welcher<br />
fortan die Nummer<br />
54II trug) und auch<br />
an BW. 58 bereits<br />
auf diese Zeit zurück.<br />
Das relativ schwere<br />
Beiwagen 58 abgestellt am ESW in Rauschwalde 1956<br />
Laufgestell mit ei-<br />
nem Achsabstand von<br />
der Görlitzer Straßenbahn auf. Wann<br />
genau der Eigentumswechsel erfolgt ist,<br />
wissen wir heute leider nicht mehr. Über<br />
die Triebwagen 24 und 25 wird in einer<br />
späteren Folge zu berichten sein. Die<br />
übrigen Fahrzeuge dienten fortan als<br />
Görlitzer Beiwagen mit den Nummern<br />
55 bis 59. Ab 1940 erhielten sie in eigener<br />
Werkstatt die für sie charakteristischen<br />
Kastenperrons mit vollständiger<br />
Verglasung und Schiebetüren an den<br />
1800 mm blieb bei allen Wagen unverändert<br />
und erinnerte bis zum Schluß an<br />
den ehemaligen Einsatz als Triebwagen.<br />
Im Innenraum waren 20 Sitz- und 18<br />
Stehplätze vorgesehen. Mit dem Zulauf<br />
der ersten LOWA- und Gotha- Einheitsfahrzeuge<br />
erhielten die Wagen Nr. 54II<br />
bis 56 für den Rest ihres aktiven Einsatzes<br />
ein A hinter die Betriebsnummer<br />
gestellt. Mit Wirkung vom 31.08.1960<br />
schieden alle fünf Anhänger aus dem<br />
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Geschichte |<br />
45
Görlitzer<br />
Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr -<br />
Bestand aus. Ihre<br />
Aufbauten dienten<br />
noch viele Jahre als<br />
Lagerschuppen und<br />
Hühnerställe bei landwirtschaftlichen<br />
Unternehmen.<br />
Hervorhebenswert<br />
sind zwei<br />
Details. Zum einen<br />
sah man an ihren Dächern<br />
bis Ende 1957<br />
vereinzelt noch die<br />
alten, vor 1938 verwendeten<br />
Seitenschilder<br />
mit Landskronbier<br />
Reklame, des weiteren<br />
Beiwagen 54IIA ex. 59 mit alter Landskron Reklame 1956<br />
waren auch diese markanten Fahr-<br />
zeuge, in denen es in den letzten Jahren<br />
aufgrund undichter bzw. verzogener<br />
hölzerner Fenstereinfassungen entsetzlich<br />
zog, mit in den wenigen Dreiwagenzügen<br />
eingesetzt, welche ja bekanntlich<br />
nur 1956 bis 1957 zum Betriebsalltag<br />
bei der Görlitzer Tram gehörten und denen<br />
eine spätere Folge gewidmet sein<br />
soll.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
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46<br />
Geschichte |