59_Ausgabe Mai 2008
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
erst kürzlich, am 13. April, erklärte Bundespräsident<br />
Horst Köhler bei der Wiedereröffnung<br />
des Halberstädter Domschatzes:<br />
„Es gibt keine Zukunft ohne<br />
Herkunft.“ Und vor 75 Jahren wandte<br />
sich Reichspräsident Paul von Hindenburg<br />
an die Jugend: „Nur wer Ehrfurcht<br />
vor der Vergangenheit unseres Volkes<br />
hat, kann dessen Zukunft meistern.“<br />
Noch unseren Eltern und Großeltern<br />
war es selbstverständlich, dass wir gegenüber<br />
Vorfahren und Nachgeborenen<br />
Verantwortung tragen. Auch aus der<br />
Geschichte empfingen sie Ansporn und<br />
Kraft, in Familie, Politik und Arbeitswelt<br />
zum Gemeinwohl beizutragen. Vor nun<br />
40 Jahren wollten rebellische Kritiker<br />
„Muff von 1000 Jahren“ in unserer Geschichte<br />
entdecken und machten sich<br />
daran, „die Vergangenheit zu bewältigen“.<br />
Heraus kam ein ideologisch gefärbtes<br />
Zerrbild. Karrierebewusste Akademiker,<br />
selbstgerechte Journalisten und<br />
doktrinäre Parteileute, sogar Polizei und<br />
Justiz unterstützen die angemaßte amtliche<br />
Deutungshoheit über unsere Geschichte.<br />
Namentlich unter der Jugend<br />
bemerkt man eine naive Weltsicht oder<br />
Kenntnislücken. Unvergessen bleibt,<br />
wie unlängst hochdotierte Macher der<br />
Kulturhauptstadtbewerbung als (fremdsprachiges)<br />
Motto einen Satz wählten,<br />
nach dem wir vermutlich 1000 Jahre<br />
in einem selbstverschuldeten Dämmerzustand<br />
in „the middle of nowhere“<br />
dahinvegetiert hätten, um nun - ihnen<br />
sei Dank - zum „heart of Europe“ aufzusteigen.<br />
Dabei hatten wir doch früher,<br />
wohl etwas achtlos, in Goethes „Faust“<br />
schon gelesen: „Was ihr den Geist der<br />
Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren<br />
eigner Geist, in dem die Zeiten sich<br />
bespiegeln. „<br />
Um so notwendiger bleibt es, jede<br />
Möglichkeit für Kenntnisvermittlung zu<br />
nutzen. Unser StadtBILD-Heft für den<br />
Wonnemonat <strong>Mai</strong> erfreut durch Bodenhaftung,<br />
Traditionsverständnis und eine<br />
tatbereite Hinwendung zum Heute und<br />
Morgen. Berichtet wird über bedeutende<br />
Wegbereiter aus Zittau, Ostritz und<br />
Görlitz, über weit zurückliegende Höhepunkte<br />
wie die Verleihung des Görlitzer<br />
Stadtwappens, auch über Kriege und<br />
Katastrophen.<br />
Wir freuen uns auf weitere Beiträge unserer<br />
Leser.<br />
Ihr Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
3
Wappenbrief für Görlitz 1433<br />
Kaiser Sigismund<br />
Am 31. <strong>Mai</strong> 1433,<br />
einem Pfingstsonntag,<br />
krönte Papst Eugen IV.<br />
den Landesherren der<br />
Oberlausitz, König Sigismund,<br />
in Rom zum<br />
Kaiser. Der Görlitzer<br />
Nikolaus Royn wohnte<br />
als Abgesandter der<br />
Stadt den Krönungszeremonien<br />
bei. Mit einem<br />
kaiserlichen Brief in der<br />
Tasche reiste er eilends<br />
nach Görlitz zurück, um<br />
über dieses bedeutsame<br />
Ereignis Bericht zu erstatten.<br />
Freudenfeuer<br />
wurden entzündet, und<br />
die Görlitzer haben mit<br />
Dankgottesdiensten<br />
den neuen Kaiser, ihren<br />
Landesherren, gefeiert.<br />
Darauf sandte der<br />
Rat am 5. Juli 1433<br />
in großer Eile seinen<br />
Stadtschreiber Laurentius<br />
Ehrenberg nach<br />
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4
Wappenbrief<br />
von Kaiser Sigismund<br />
Rom. Dieser hatte den Auftrag, dem<br />
Kaiser die Glückwünsche der Stadt zu<br />
überbringen und, was den Ratsherren<br />
noch wichtiger erschien, die städtischen<br />
Privilegien aufs neue bestätigen zu lassen.<br />
Zudem sollte Laurentius Ehrenberg<br />
die Gunst der Stunde nutzen und weitere<br />
Rechte für die Stadt erbitten. Nun<br />
wollte es das Schicksal aber, dass der<br />
wackere Stadtschreiber, welcher den<br />
beschwerlichen Weg zu Pferde bereiste,<br />
in Perugia erkrankte. Ehrenberg hatte<br />
jedoch Glück im Unglück. Denn Kaiser<br />
Sigismund hielt sich bei seiner Reise von<br />
Rom zum Konzil in Basel zwischen dem<br />
26. und 29. August in Perugia auf. Der<br />
wieder genesene Stadtschreiber erhielt<br />
nun doch noch eine persönliche Audienz<br />
beim Kaiser. Dabei gelang es ihm, über<br />
den Auftrag des Görlitzer Rats hinaus -<br />
der Bestätigung der Privilegien - ein weiteres<br />
wichtiges Privileg zu erhalten. Dabei<br />
handelt es sich um den Wappenbrief,<br />
anders gesagt die Verleihung des heute<br />
noch gebräuchlichen Görlitzer Stadtwappens.<br />
Die Ausstellung dieser wertvollen<br />
Urkunden stellte eine besonders große<br />
Ehre dar. So erfährt man auch aus dem<br />
Urkundentext etwas über die Gründe für<br />
die besondere kaiserliche Gnade. Die<br />
Görlitzer hatten in den Kriegen gegen<br />
die Hussiten sehr große Schäden erlitten.<br />
Die Stadt bildete in dieser Zeit ein<br />
festes und trutziges Bollwerk gegen die<br />
„verdammten Ketzer“.<br />
Nach diesem wichtigen diplomtischen Erfolg<br />
reiste Laurentius Ehrenberg nunmehr<br />
auf ausdrücklichen Rat Kaiser<br />
Sigismunds mit den beiden wichtigen<br />
Urkunden nach Rom, um auch beim<br />
Papst eine Audienz zu erhalten. Auch<br />
bei Eugen IV. war seine Mission erfolgreich.<br />
Er erhielt einen „Ablass zu den<br />
Kirchen zu s. Peter, zu s. Niklaus, zu unser<br />
Frauen, zum Spittel und zu s. Jakob“.<br />
Auch in Rom wurde der Stadtschreiber<br />
einige Tage an das Krankenbett gefesselt.<br />
Am 27. Februar jedoch findet man<br />
den tapferen Laurentius Ehrenberg bereits<br />
wieder beim Kaiser in Basel. Er<br />
erhält weitere bedeutende Privilegien.<br />
So werden die Görlitzer vier Jahre von<br />
Schuldzahlungen in den Ländern Kaiser<br />
Sigismunds befreit. Dazu erhielt man<br />
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5
Wappenbrief für Görlitz 1433<br />
freies Geleit und freien Handel sowie<br />
das Recht, 12 Juden in der Stadt aufzunehmen.<br />
Die finanziellen Belastungen<br />
der Hussitenkriege sollten so gemildert<br />
werden.<br />
Am 20. Januar 1434 erreicht Laurentius<br />
Ehrenberg nach 30-wöchiger Reise Görlitz.<br />
Der Rat erfuhr mit großer Freude<br />
und einigem Stolz von den Ergebnissen<br />
der diplomatischen Mission seines<br />
Stadtschreibers. Allerdings sorgte die<br />
Abrechnung der Reisekosten für gehörige<br />
Aufregung, ja Bestürzung. Insgesamt<br />
beliefen sich nämlich die Kosten<br />
für Reisezehrung, die Kanzleigebühren<br />
für die Ausstellung der Privilegien und<br />
für zahlreiche teure, aber notwendige<br />
„Geschenke“ auf knapp 230 Schock Groschen.<br />
Diese Summe bildete etwa ein<br />
Zehntel des damaligen Görlitzer Haushaltes.<br />
Heute müsste man ca. 25 Mio.<br />
EUR veranschlagen. Der Schrecken des<br />
Rates ob dieser gewaltigen Kosten wird<br />
so plastisch nachvollziehbar. Vom Bürgermeister<br />
Laurentius Arnold sind denn<br />
folgende Sätze anlässlich der Überreichung<br />
des Wappenbriefes durch den<br />
Stadtschreiber überliefert: „Ei, lieber<br />
Stadtschreiber, hättet ihr uns gebracht<br />
einen Esel mit güldenen Hoden, als ein<br />
Backofen gross, der wäre uns viel angenehmer<br />
gewesen denn das Wappen.“<br />
Die ohnehin verschuldete Stadt musste<br />
bedeutende Kredite aufnehmen, um die<br />
Kosten der Reise ihres Stadtschreibers<br />
zu begleichen.<br />
Laurentius Ehrenberg hat die Vorwürfe<br />
im Zusammenhang mit der Reise<br />
durch halb Europa nie verkraftet. Im<br />
Jahre 1436 verließ Ehrenberg Görlitz<br />
und nahm das gleiche Amt in<br />
Schweidnitz an. 1536 änderte Karl V. das<br />
Wappen nochmals. Obwohl Görlitz eine<br />
reformierte Stadt geworden war, genoss<br />
sie besonders als wichtiger und zuverlässiger<br />
Steuerzahler im Kampf gegen<br />
die Osmanen die besondere Huld des<br />
Kaisers wie dessen Bruders König Ferdinand<br />
I.. Kurios in der Geschichte der<br />
Görlitzer Stadtwappen ist auch die Tatsache,<br />
dass August der Starke im Jahre<br />
1712 plante, seine <strong>Mai</strong>tresse, die Gräfin<br />
Cosel, in den Reichsfürstenstand zu erhöhen.<br />
Seine Räte erinnerten sich an<br />
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6<br />
Titel |
Wappenbrief<br />
von Kaiser Sigismund<br />
die Existenz des Görlitzer<br />
Herzogtums im<br />
14. Jahrhundert und<br />
wollten es wieder zum<br />
Leben erwecken. Formal<br />
- juristisch, wenn<br />
auch de facto, war es<br />
ja nie von der politischen<br />
Landkarte verschwunden.<br />
Die Cosel<br />
sollte also Görlitzer<br />
Herzogin werden. Man<br />
entwarf sogar ein entsprechendes<br />
Wappen.<br />
Görlitz blieb dies erspart,<br />
denn es hätte<br />
mit Sicherheit die Bürger<br />
nur viel, viel Geld<br />
fürs Coselsche Amüsement<br />
gekostet. Seit<br />
1433 oder 575 Jahren<br />
jedenfalls trägt Görlitz<br />
stolz neben dem<br />
böhmischen Löwen<br />
den doppelköpfigen<br />
Reichsadler im Wappen.<br />
Ein Symbol, was<br />
Gräfin Cosel<br />
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Titel |<br />
7
Wappenbrief für Görlitz 1433<br />
genau genommen der Stadt als königlich<br />
böhmischer Stadt nicht zustand. Denn<br />
eine freie Reichsstadt war Görlitz niemals<br />
in seiner langen Geschichte. Der<br />
Wappenbrief Kaiser Sigismunds vom 29.<br />
August 1433 ist im Ratsarchiv Görlitz nur<br />
in einer Abschrift aus Löwenberg (um<br />
1530) erhalten. Das Original ist Kriegsverlust<br />
(abgebildet 1927 in Ludwig Feyerabend,<br />
Alt-Görlitz einst und jetzt).<br />
Wappenbrief Kaiser Sigismunds<br />
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8<br />
Titel |
Wappenbrief<br />
von Kaiser Sigismund<br />
Kaiser Sigismund veränderte und verbesserte<br />
der Stadt Görlitz das Wappen.<br />
Dieses wertvolle Privileg erhielt<br />
die Stadt, da sie in den Hussitenkriegen<br />
große Schäden erlitten, aber treu zum<br />
heiligen Christenglauben und dem Kaiser<br />
gestanden hatte.<br />
“Wir Sigmund von gotes gnaden Romischer<br />
Keiser zu Allenzeiten Merer des Reichs vnd<br />
zu Hungern zu Behem, Dalmatien,Croatien<br />
etc. Kunig Bekennen vnd tun kund offenbar<br />
mit disem brieff allen den die In sehen<br />
oder horen lesen. Als vormals vnsere lieben<br />
getruen die Ratmanne vnd Stat czu<br />
Görlitz von begnadung vnserr vorfarn in<br />
Irem wapen vnd schilde langeczeit gefürt<br />
haben einen weissen lewen in einem roten<br />
felde mit einem weissen stucke vnden<br />
an dem schilde. Also haben wir angesehen<br />
das Sy von den vordampten Keczern<br />
czu Behemen vil Jar bekriget vnd grösslich<br />
in solcher anfechtunge der Christenheit<br />
von In beschedigt sein vnd sich doch<br />
alleczeit an dem heiligen Cristenglouben<br />
vnd vns bestentlich vnd getruelich haben<br />
gehalden, das wir In insunderheit billich<br />
gnediclich gedenncken, vnd haben dorumb<br />
durch redelichkeit willen Zu ewiger<br />
gedechtenuss von besundern vnsern Keiserlichen<br />
gnaden denselben Rathmannen<br />
vnd Stat czu Görlitz sulche Ire wapen<br />
vorendert vnd gnediclich also gebessert<br />
vnd von newes gegeben Mitnamen das<br />
Sy zu den vorigen Iren wapen in einem<br />
schilde einem swartzen Adeler mit zween<br />
haupten in einem golden ader gelwen felde<br />
furen vnd haben sullen, das der Adeler<br />
in demselben felde off das rechte teil<br />
vnd helfte des schildes steen sal vnd der<br />
weisse lewe mit einem czwefachen czagel<br />
mit einer guldin Cronen off dem haupte<br />
mit einer blauwen czungen vnd gulden<br />
clauwen dorunder am schilde als der lewe<br />
steht ein clein weiss stucke vfft dem andern<br />
teile vnd helfte des schildes, vnd<br />
das do czwischen deme Adeler vnd lewen<br />
eine Keiserliche Crone ouch steen sal<br />
geteilt halb in das guldin ader gelwe feld<br />
vnd halb in das Rote nvd das der Adeler<br />
in dem munde mit dem houpte kein der<br />
Crone dieselbe Crone obene haldin sal<br />
vnd der lewe mit dem rechten fusse mit<br />
synen clauwen vnden doran greiffen vnd<br />
dy halden, mit einer Roten vnd weissen<br />
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Titel | 9
Wappenbrief für Görlitz 1433<br />
helmdecken doruffe czweene Rote flogel<br />
dy mit guldin ader gelwen flettrichin mitsammt<br />
der helmdecken sein besprengt. In<br />
denselben Flogeln auch ein weisser lewe<br />
mit der Crone off dem houpte mit der<br />
czunge vnd clauwen als im Schilde steen<br />
sal. Als denn dieselben wapen vnd Cleynot<br />
in der mitte diss gegenwärtigen vnsers<br />
brieffs gemalet vnd mit varben eygentli-cher<br />
vssgestrichen sind genediclich<br />
gegeben vnd geben. In die von neuwes<br />
von Romischer Keiserlicher vnd Kuniglicher<br />
macht czu Behemen volkomenheit<br />
in crafft diss brieffs vnd meinen setzen<br />
vnd wollen das Sy furbassmer czu ewigen<br />
zeiten in allen sachen zu schumpf vnd zu<br />
ernst in Iren banyeren ingesigeln vnd an<br />
anderen steten furen der gebrauchen vnd<br />
geniessen sallen vnd mogen wo In das<br />
notdurfft vnd gefellig sein wirt Ouch von<br />
sundern vnsern gnaden. So haben wir den<br />
ytzgenanten Ratmannen vnd Stat zu Görlitz<br />
von der egenanten vnser macht gegunnet<br />
vnd erloubert das Sy furbassmer<br />
mit grünem ader gelwen wachs wie In das<br />
gefellig sein wirdet, alle Ihre brieffe vorsiegeln<br />
mogen von allermeniglich vnghindert.<br />
Vnd wir gebieten dorumb allen vnd<br />
yglichen Fursten Geistlichen vnd werntlichen<br />
Grauen Fryen Edeln Rittern Knechten<br />
Hauptluten herolden persevauten<br />
vogten richtern Burgermeistern Reten vnd<br />
gemeinden aller vnd yglicher Stet Merkte<br />
vnd Dorffere vnd sust allen andern vnsern<br />
vnd des heiligen Reichs vnd vnser Cron zu<br />
Behem vndertanen vnd getruen von Keiserlicher<br />
vnd Kuniglicher macht ernstlich<br />
vnd vesticlich mit disem brieff das Sy die<br />
vrogenanten Rathman vnd Stat zu Görlitz<br />
an den vorgenanten wapen vnd vnsern<br />
gnaden nicht hindern oder Irren in dheinweis<br />
Sunder Sy der gerulich gebrauchen<br />
lassen Als lieb In sey vnser vnd des Reichs<br />
swer vngnad czuuermeyden. Mit vrkund<br />
diss brieffs versigelt mit vnsert Keiserlichen<br />
<strong>Mai</strong>estät Gulden Bullen Geben zu Peruss<br />
nach Crists geburd vyrtzehenhundert<br />
Jar vnd dornach in dem Drewunddrissigstem<br />
Jare An sandt Johanns tag Decollationis.”<br />
Siegfried Hoche M.A.<br />
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10<br />
Titel |
Wappenbrief<br />
von Kaiser Sigismund<br />
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Titel | 11
Stadthalleneinsturz<br />
Das Dach stürzte herunter -<br />
Drückende Schwüle lag seit mittags über<br />
dem Stadtpark. Melancholisch flöteten<br />
die Amseln zwischen Portikus und Ständehaus.<br />
Über Nacht war das frische<br />
Laub dicht geworden wie im Sommer.<br />
Sanft knirschte der frische Kies unter den<br />
Schuhsohlen der zwei Männer, die mit<br />
eiligen Schritten zur steinernen Neißebrücke<br />
unterwegs waren. Schlossermeister<br />
Lehmann kam bei diesem Tem-<br />
Stadthallensaal nach dem Einsturz 1908<br />
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12<br />
Geschichte |
Stadthalleneinsturz<br />
Görlitzer Unglückstag 1908<br />
po ins Schwitzen. Sein Bruder Karl aus<br />
Cottbus war heute, am 9. <strong>Mai</strong> 1908, nur<br />
für ein paar Stunden zu Besuch. Da sollte<br />
er wenigstens die neueste Sehenswürdigkeit<br />
kennenlernen - die Musikhalle, in<br />
der man bei den letzten Ausbauarbeiten<br />
war. Schon leuchtete das prächtige<br />
Bauwerk durch das Frühlingsgrün der<br />
Parkbäume. Schlossermeister Lehmann<br />
las seinen ,,Görlitzer Anzeiger’’ bis zur<br />
letzten Zeile. So wußte er ganz gut<br />
Bescheid, welches Hin und Her es um<br />
die neue Stadthalle gegeben hatte. Es<br />
stimmte schon, dieser gräßliche Zirkusschuppen,<br />
den die Görlitzer den ,,Musikstall’’<br />
getauft hatten, war längst zu<br />
ärmlich für die Schlesischen Musikfeste<br />
geworden. Aber das neue Haus mit<br />
seinen zwei Sälen, seiner Gaststätte und<br />
seinem Konzertgarten mochte zu kostspielig<br />
für Görlitzer Verhältnisse sein.<br />
Erst 1906 hatten die Stadtverordneten<br />
die veranschlagten 810000 Mark genehmigt.<br />
Eine Lotterie erbrachte 300000<br />
Mark, Spenden gingen ein. Mittlerweile<br />
wurde alles teurer, man beschleunigte<br />
das Bautempo, und nun waren es nur<br />
noch Wochen bis zur Eröffnung.<br />
Schlossermeister Lehmann drängte<br />
zur Eile und schaute besorgt auf seine<br />
Taschenuhr. Eine Viertelstunde nach drei<br />
war es gerade. Ein sonderbares, kräftiges<br />
Rauschen schreckte die beiden Männer<br />
auf. Sekunden später folgte ein donnerndes<br />
Getöse, als hätte eben ein Blitz<br />
einen Parkbaum getroffen. Ein gewaltiger<br />
graubrauner Staubpilz wuchs aus<br />
dem Gebäude, verfinsterte den Himmel<br />
und umhüllte die Mauern. Mit Schreien<br />
des Entsetzens sprangen Bauarbeiter<br />
aus Türen und Fenstern zu ebener Erde.<br />
Einer jagte zum Feuermelder am Park<br />
und zog den Alarmhebel. Nach wenigen<br />
Minuten war die erste Feuerwehr da.<br />
Langsam senkte sich die Staubwolke.<br />
Fassungslos sahen die zwei Spaziergänger,<br />
daß der obere Teil der Umfassungsmauer<br />
fehlte. Auch die Dachfiguren<br />
waren verschwunden.<br />
Um vier Uhr nachmittags hatte sich eine<br />
aufgeregte Menschenmenge angesammelt.<br />
Was war geschehen? Was tat sich<br />
dort unten in den Trümmern? Weitere<br />
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Geschichte |<br />
13
Stadthalleneinsturz<br />
Das Dach stürzte herunter -<br />
Feuerwehren rückten an- 40 Mann Freiwillige<br />
Feuerwehr, 20 Mann Werkfeuerwehr<br />
und 80 Arbeiter aus der Waggonfabrik.<br />
Später kam noch eine Kompanie<br />
Pioniere. Rettungswagen fuhren durch die<br />
schmale Gasse inmitten der Tausende,<br />
die Stunde um Stunde warteten. Zeitungsreporter<br />
tauchten auf, dann die<br />
Fotografen Scholz und Mader mit ihren<br />
Apparaten. Endlich stieg ein Bauführer<br />
auf einen Feuerwehrwagen und gab<br />
knapp Auskunft, was man bis jetzt wissen<br />
konnte. Stukkateure hatten auf dem<br />
Hochgerüst an der Saaldecke gearbeitet,<br />
als plötzlich das Dach des Mittelbaus<br />
eingestürzt war und die Gerüste<br />
hinabgerissen hatte. Die herabstürzende<br />
Dachkonstruktion hatte den Saalboden<br />
eingedrückt, die Trümmer füllten nun die<br />
Keller. Logen und Ränge waren zerstört,<br />
die Außenmauern eingerissen. Fünf Arbeiter<br />
waren durch den Schutt erschlagen<br />
oder erstickt, acht weitere verletzt<br />
worden. Zum Glück waren einige Beschäftigte<br />
der Dresdner Firma Henseler<br />
schon mit dem Nachmittagszug abgefahren,<br />
um am Wochenende bei ihren<br />
Familien zu sein, sonst hätte die Katastrophe<br />
mehr Menschenleben gefordert.<br />
Architekt und Bauleiter waren in Untersuchungshaft,<br />
hieß es.<br />
Der Abend wurde trübe und regnerisch.<br />
Die Regenströme eines Gewitters schlugen<br />
gegen die einsturzgefährdeten<br />
Wände. Zerborstene Balken, verbogene<br />
Stahlträger und Steinklumpen vermengten<br />
sich zu einer gespenstischen<br />
Kraterlandschaft. Erst am Sonntagabend<br />
wurden die Rettungsarbeiten eingestellt.<br />
Etliche Briefe hatte Schlossermeister<br />
Lehmann noch an seinen Bruder zu<br />
schreiben, der zufällig zum Augenzeugen<br />
geworden war. Aus der Zeitung<br />
wußte er vom Fortgang der Untersuchungen,<br />
vom Prozeß gegen die Verantwortlichen,<br />
der 60000 Mark kostete<br />
und mit Freispruch endete, und von der<br />
um zwei Jahre verspäteten glanzvollen<br />
Eröffnung am 27. Oktober 1910. Hatten<br />
die Stadtväter anfangs mit den Baukosten<br />
geknausert, waren nun am Ende<br />
1140000 Mark zusammengekommen.<br />
Für die Bauarbeiter gab es ein Bankett<br />
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14<br />
Geschichte |
Stadthalleneinsturz<br />
Görlitzer Unglückstag 1908<br />
im großen Saal. Beim Eröffnungskonzert<br />
aber blieben die hohen Herrschaften unter<br />
sich. Verstohlen blickte mancher befrackte<br />
Ehrengast zur Saaldecke hoch.<br />
Daß sie jetzt standhielt, war mit Menschenopfern<br />
erkauft. Schlossermeister<br />
Lehmann jedoch las in seiner Zeitung<br />
Nach dem Einsturz am 9.5.1908<br />
von kostbaren Garderoben und von jubilierendem<br />
Chorgesang.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
(Aus: Geschichten aus Alt-Görlitz, 1983)<br />
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Geschichte |<br />
15
Moser- Denkmal<br />
Denkmal<br />
in Görlitz<br />
Nur 34 Jahre lang<br />
konnten sich die Görlitzer<br />
an einem Denkmal<br />
erfreuen, das vor<br />
nun 100 Jahren, am 11.<br />
<strong>Mai</strong> 1908, eingeweiht<br />
worden war. Schauplatz<br />
waren die Grünanlagen<br />
gegenüber dem Haupteingang<br />
zum Stadttheater<br />
Demianiplatz 2.<br />
Ausführlich berichteten<br />
die vier Görlitzer Tageszeitungen<br />
über das<br />
Ereignis. Es war genau<br />
der 83. Geburtstag<br />
Gustav von Mosers, der<br />
am 23.10.1903 in Görlitz<br />
gestorben war.<br />
Gustav von Moser um 1890<br />
In den “Görlitzer Nachrichten’’<br />
las man: “Die<br />
Enthüllungsfeier fand<br />
bei herrlichstem <strong>Mai</strong>enwetter<br />
heute Nachmittag<br />
3 Uhr statt. Der<br />
Denkmalsplatz war mit<br />
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16<br />
Persönlichkeiten |
Moser<br />
Enthüllung am<br />
Denkmal<br />
11. <strong>Mai</strong> 1908<br />
Flaggen und Orangerie<br />
geschmückt. Ein sehr<br />
zahlreiches Publikum<br />
umsäumte ihn. Vor<br />
dem Denkmal hatte die<br />
Festversammlung Aufstellung<br />
genommen:<br />
Das Denkmalskomitee,<br />
die Söhne des verstorbenen<br />
Lustspieldichters,<br />
Mitglieder des<br />
Magistrats- und Stadtverordneten-<br />
Kollegiums,<br />
an ihrer Spitze<br />
Herr Bürgermeister<br />
Maß und die Stadtverordneten–Vorsteher<br />
Herren Kommerzienrat<br />
Wilhelmy und Oberst<br />
Reimer, der Schöpfer<br />
des Denkmals, Herr<br />
Harro Magnussen,<br />
das Offizierskorps mit<br />
Herrn Oberst von Below<br />
an der Spitze. Unter<br />
den übrigen Herren<br />
waren zu bemerken<br />
Moser-Denkmal Demianiplatz<br />
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Persönlichkeiten |<br />
17
Moser- Denkmal<br />
Denkmal<br />
in Görlitz<br />
Herr Landgerichtsdirektor Koscky und<br />
Herr Erster Direktor der Kommunalständischen<br />
Bank, Landsyndikus Justizrat<br />
Rietzsch.”<br />
Der Berliner Bildhauer Harro Magnussen<br />
(1861-1908) hatte bereits die 1902<br />
in der Görlitzer “Ruhmeshalle’’ aufgestellten<br />
überlebensgroßen Marmorstandbilder<br />
von Bismarck, Moltke und<br />
Roon, Stiftungen des hiesigen Kunstmäzens<br />
Martin Ephraim, für die Stadt<br />
geschaffen. Leider verstarb der angesehene<br />
Künstler bereits ein halbes Jahr<br />
nach der neuerlichen Denkmalweihe in<br />
Görlitz. Einer der 1908 anwesenden Söhne<br />
Mosers bemerkte, Magnussen habe<br />
den Dargestellten zwar nicht gekannt,<br />
aber seinen Vater so lebenswahr abgebildet,<br />
daß dieser gewiß gesagt hätte:<br />
“Mein lieber Magnussen, Sie haben Ihre<br />
Sache ausgezeichnet gemacht.’’(Ähnlich<br />
hatten Zeitzeugen 1862 den Dresdener<br />
Johannes Schilling für sein Görlitzer<br />
Demiani-Denkmal gelobt.) Das Moser-<br />
Denkmal zeigte den Theaterdichter<br />
in aufrechter Haltung im zeittypischen<br />
Gehrock, gestützt auf ein halb umhülltes<br />
Postament mit einer tragischen und<br />
einer komischen Maske, Symbolen der<br />
Schauspielkunst.<br />
Der “Neue Görlitzer Anzeiger’’ erinnerte<br />
am 10. <strong>Mai</strong> 1908 an den Lustspielautor:<br />
“Hofrat Gustav von Moser, der mit dem<br />
Kunstleben unserer Stadt durch viele<br />
Jahrzehnte innig verbunden ist, wurde<br />
zwar mit Spreewasser getauft, und seine<br />
Wiege stand in Spandau, aber trotzdem<br />
dürfen wir ihn mit Fug und Recht den<br />
Unseren nennen. Das hat der Dichter<br />
anläßlich seines 50jährigen Jubiläums<br />
selbst durch die Worte bestätigt: Görlitz<br />
ist meine Heimat geworden, diese<br />
Stadt hat mich zum Dichter gemacht;<br />
denn wenn das Görlitzer Publikum eins<br />
meiner Stücke verwarf, so tat ich das<br />
gleiche. Wenn man von einer Stadt nur<br />
Glückliches erfahren hat, muß man ihr<br />
gut sein. “Die Zeitung fuhr fort:” Im Lauf<br />
der Jahrzehnte hat der liebenswürdige<br />
Dichter über 100 Stücke geschrieben...<br />
Gustav von Moser ist der Schöpfer des<br />
Militärschwanks, er war dazu berufen<br />
wie kein anderer durch seine genaue<br />
Kenntnis des militärischen Lebens... Auf<br />
dem Gebiet der dramatischen Kunst stehen<br />
zwar die Kinder der heiteren Muse<br />
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18<br />
Persönlichkeiten |
Moser<br />
Enthüllung am<br />
Denkmal<br />
11. <strong>Mai</strong> 1908<br />
nicht in so hohem Ansehen. Der sorglose,<br />
heitere Dichter hat aber Millionen<br />
Menschen, die nach des Tages Last und<br />
Mühe sich erfrischen zu wollten, unzählige<br />
frohe Stunden bereitet und sich dadurch<br />
ein großes Verdienst erworben.’’<br />
Moser-Denkmal und Luisenstraße, um 1910<br />
Bereits wenige Tage nach Mosers Tod<br />
entstand in Görlitz die Idee, ihm in<br />
der Stadt ein Denkmal zu errichten.<br />
Durch Spendenmittel wurde die Idee<br />
zur Wirklichkeit, und das in nur knapp 5<br />
Jahren, Den Grundstock legte das Gör-<br />
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Persönlichkeiten |<br />
19
Moser- Denkmal<br />
Denkmal<br />
in Görlitz<br />
litzer Stadttheater mit einer Benefizvorstellung<br />
von Mosers beliebtestem Stück<br />
“Der Veilchenfresser” am 17. November<br />
1903. Der Vorsitzende des Denkmalskomitees,<br />
Generalleutnant Melms,<br />
hob in seiner Weiherede hervor: “An<br />
dem Zustandekommen der Errichtung<br />
des Denkmals haben sich nicht nur der<br />
große Kreis seiner Freunde und Gönner,<br />
sondern auch viele Theater-Direktionen<br />
in Deutschland und auch einige in<br />
Amerika beteiligt, welchen allen Mosersche<br />
Stücke oft volle und ausverkaufte<br />
Häuser, kurz große Einnahmen gebracht<br />
haben.’’ Er verwies darauf, daß auf<br />
Wunsch Kaiser Wilhelms II., der nach<br />
eigenem Bekunden Mosers Stücke<br />
schätzte, die Berliner Hoftheater ebenfalls<br />
eine Spende beisteuerten. Moser<br />
war 1893 in Görlitz dem Kaiser vorgestellt<br />
worden. Als Kadett war er einst<br />
Page bei König Friedrich Wilhelm IV. und<br />
bei Prinz Wilhelm, dem späteren König<br />
und Kaiser Wilhelm I., gewesen.<br />
Die ersten Kränze am Denkmalsockel<br />
stammten von der Stadt Görlitz, vom<br />
Offizierskorps der Garnison mit Oberst<br />
Otto von Below, von der Familie Moser,<br />
vom Stadttheater Görlitz und vom<br />
Hoftheater Meiningen. Für die Stadt<br />
versprach Bürgermeister Maß in seiner<br />
Dankesrede, man werde “das soeben<br />
enthüllte Denkmal allzeit treu in Ehren<br />
halten’’ und es “unter den Schutz und<br />
Schirm der Stadt’’ stellen. Aber im Sommer<br />
1942 verschwand dieses Denkmalwie<br />
fast alle weiteren in Görlitz- in den<br />
Rüstungsschrott, und wenige Jahre darauf<br />
war auch der leere Sockel weg.<br />
Schon Goethe klagte:’’ Manches Herrliche<br />
der Welt ist in Krieg uns Streit zerronnen.’’<br />
Und heute? Dennoch ist es<br />
zeitgemäß, an diese freundliche Geste<br />
bürgerschaftlicher Danbarkeit in Görlitz<br />
vor 100 Jahren zu erinnern.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
(Vom gleichen Autor erschien in unserem<br />
Heft 47, <strong>Mai</strong> 2007, der Beitrag<br />
“Gustav von Moser (1825-1903) - ein<br />
Görlitzer Original”)<br />
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20<br />
Persönlichkeiten |
Kriegskinder in Markersdorf<br />
Von links Erhard Kliemt, Günther, Charlotte Tzschoppe (Lotte genannt) und Udo<br />
In der StadtBILD-<strong>Ausgabe</strong> 57 (März<br />
<strong>2008</strong>) wird von Josefine Schmacht über<br />
die Kinderlandverschickung ausführlich<br />
geschildert, was sich in dem durch die<br />
Nationalsozialisten eingerichteten Kinderlager<br />
im Kloster St. Marienthal zu-<br />
getragen hat. Zu diesem Thema könnte<br />
auch ein Brief von einem Jungen unter<br />
der Anrede „Ihr Lieben alle“ vom 17.Juli<br />
1944 veröffentlicht werden.<br />
So hatten auch die Kliemts, eine kleine<br />
bäuerliche Wirtschaft in Markersdorf<br />
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Leserbriefe |<br />
21
Kriegskinder in Markersdorf<br />
(jetzt Dorfmuseum), 1943 und 1944 aus<br />
Berlin und Sacken (über Oppeln) Kinder<br />
zu Gast. Auf dem Hof lebten sonst keine<br />
Kinder. Der Erbhofbauer (im Alter von<br />
knapp 50) sowie seine Schwester (etwas<br />
darüber an Jahren), beide unverheiratet,<br />
und die seit 1934 angestellte<br />
Charlotte Tzschoppe (30 Jahre) freuten<br />
sich, Kinder in einer so schweren Zeit für<br />
Udo auf dem Pferd Hans<br />
eine Weile beherbergen zu können. Auf<br />
dem Lande sollten sie sich an frischer<br />
Luft erholen. In den letzten Kriegsjahren<br />
wurden vor allem Kinder aus Großstädten<br />
und Ortschaften, die unter Kriegshandlungen<br />
litten, in den Schulferien<br />
aufs Land verschickt. Wegen der Rationierung<br />
von Lebensmitteln war doch die<br />
Versorgung in den Landwirtschaftsbe-<br />
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22<br />
Leserbriefe |
Kriegskinder<br />
Ein Brief aus dem Jahre 1944<br />
trieben reichhaltiger als in den Städten.<br />
Das kam den Kindern zugute. Sie waren<br />
auch beim Einbringen der Ernte eine<br />
starke Hilfe, da es ja kaum noch genug<br />
Arbeitskräfte auf dem Lande gab. Viele<br />
Männer waren zur Wehrmacht eingezogen,<br />
Frauen und Mädchen mussten in<br />
der Rüstungsindustrie arbeiten.<br />
Der Brief, heute im Dorfmuseum<br />
Günther auf dem Pferd<br />
Markersdorf aufbewahrt, lautet:<br />
„Ihr Lieben alle! Habe Euch ja schon<br />
ganz vergessen. Habe bloß wenig Zeit<br />
gehabt. Sind Gottseidank noch alle gesund,<br />
welches wir auch von Euch Lieben<br />
hoffen wollen. Hier regnet es Tag und<br />
Nacht. Mäht ihr schon Roggen? In Sacken<br />
mähen die Leute schon. Wir aber<br />
noch nicht. Jetzt ist die Zeit wohl schon<br />
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Leserbriefe |<br />
23
Kriegskinder in Markersdorf<br />
um, wie ich sie voriges Jahr bei Euch<br />
verlebt habe. Naja, es geht alles vorüber.<br />
Waren bei Euch schon die verdammten<br />
Terrorbomber? Bei uns war Sonntag<br />
zweimal Alarm. In Sacken ist wieder das<br />
HJ-Zeltlager. Die Zelte müssen getarnt<br />
werden. In Oppeln waren die Flugzeuge<br />
schon, sie haben aber nichts angerichtet.<br />
Wenn sie so nach Görlitz kämen und<br />
die schöne Ruhmeshalle zerstörten, das<br />
wäre wirklich schade. Jetzt wär wieder<br />
eine Zeit, auf der Neiße Kahn zu fahren.<br />
Das war wirklich schön. Wenn ich<br />
so manchmal auf die Bilder gucke, da<br />
könnte ich richtig weinen. Naja, so ist<br />
das auf der Welt. Nun will ich schließen.<br />
Seid herzlich gegrüßt von Günther. Bitte<br />
Antwort!“<br />
In einem weiteren Brief vom 13. November<br />
1944 fragt Günther Prokopp<br />
an, ob die Markersdorfer oder Görlitzer<br />
auch schon Fliegerangriffe gehabt haben.<br />
„Hier sind 150 Flugzeuge am Tage,<br />
da haben sie Heydebreck angegriffen.“<br />
Zum Schluss seines Briefes schreibt er<br />
wegen eines Wiedersehens , wohl mit<br />
etwas Galgenhumor: „Erst siegen, dann<br />
reisen!“ (Diese Kriegslosung las man damals<br />
auf Plakaten in den Bahnhöfen und<br />
in den Fahrplanheften der Reichsbahn).<br />
Der aus Berlin stammende Junge, Udo<br />
Phote, der im Vorjahr schon bei Kliemts<br />
gewesen war, ließ in einem von seiner<br />
Mutter geschriebenen Brief 1943 mitteilen,<br />
dass er im nächsten Jahr wieder<br />
zur Erntehilfe kommen wolle. Wie unser<br />
Foto zeigt, ist der Wunsch auch in Erfüllung<br />
gegangen.<br />
Nur wenige Briefzeilen und Amateurfotos<br />
erzählen über diese Kinderschicksale<br />
1943 und 1944 . Zum Alter von Günther<br />
gibt es keine Angaben. Udo ging 1944 in<br />
den Konfirmationsunterricht. Über den<br />
weiteren Lebensweg der Kinder wissen<br />
wir nichts. Ihre Spuren verlieren sich in<br />
der Endzeit des Krieges. Auch sie waren<br />
ein Teil unserer Geschichte.<br />
Hubert Kreisch<br />
Görlitz/Markersdorf<br />
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24<br />
Leserbriefe |
Sternwarte<br />
Görlitz und seine Sternwarte<br />
-Fortsetzung-<br />
In welcher Art und<br />
wie intensiv die Sternwarte<br />
bis zum Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts<br />
genutzt wurde, liegt<br />
leider noch im Dunkeln<br />
der Geschichte. Bekannt<br />
ist auf jeden Fall,<br />
dass ein Abiturient aus<br />
dieser Zeit ein international<br />
anerkannter Astronom<br />
wurde.<br />
Dem Görlitzer Maurermeister<br />
und Architekten<br />
Eduard Küstner<br />
wurde am 22. August<br />
1856 sein Sohn Karl<br />
Friedrich geboren,<br />
knapp acht Wochen<br />
vor Einweihung des<br />
neu gebauten Gymnasium<br />
Augustum. Dort<br />
legte Karl Friedrich<br />
1874 sein Abitur ab<br />
und hatte so mit Sicherheit<br />
auch Unterricht an den Richterschen<br />
Modellen. 1875 studierte er an<br />
Zimmermann 1926<br />
der Berliner Universität zunächst Mathematik<br />
und Astronomie. Nach der Promo-<br />
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Geschichte |<br />
25
Sternwarte<br />
Görlitz und seine Sternwarte<br />
-Fortsetzung-<br />
tion arbeitete er an der Berliner Sternwarte.<br />
1891 wurde er als Professor nach<br />
Bonn berufen. Dort blieb er bis zu seiner<br />
Emeritierung im Jahr 1925. Küstner war<br />
als Vertreter der klassischen Astronomie<br />
ein exzellenter Beobachter. Sein Ziel war<br />
die Erstellung gesicherter Sternpositionen<br />
und -bewegungen. Bei damit verbundenen<br />
Messungen konnte er 1884<br />
als erster die „Polhöhenschwankung“<br />
nachweisen, minimale Verlagerungen<br />
der Erdachse mit fundamentaler Bedeutung<br />
für Astrometrie und Geodäsie. Der<br />
daraufhin von ihm ins Leben gerufene<br />
internationale Breitendienst arbeitet<br />
noch heute. Für seinen 1908 herausgegebenen<br />
Positionskatalog mit 10663<br />
Sternen bekam er die Goldmedaille der<br />
Royal Astronomical Society in London.<br />
Der wortkarge Mann mit seinem trockenen<br />
Humor war ein beliebter Lehrer<br />
und für seine Studenten ein Astronom<br />
der alten Schule, so führte er Uhrenabgleiche<br />
durch freies Fortzählen der<br />
Sekunde im Gehen auf einem etwa 50<br />
Meter langen Weg mit mehreren Türen<br />
und Stufen durch, ohne den Sekundentakt<br />
zu verlieren oder sich zu verzählen.<br />
Am 15. Oktober 1936 erlag er den Folgen<br />
eines Schlaganfalls in Mehlem bei<br />
Bonn. Auch wenn Friedrich Küstner<br />
nicht in Görlitz arbeitete, hielt er die<br />
Verbindung zu seiner Geburtsstadt, die<br />
voller Stolz 1936 einer Straße im heutigen<br />
Zgorzelec seinen Namen verlieh.<br />
Wir wüssten heute kaum etwas über die<br />
Richterschen Modelle und die Frühzeit<br />
der Görlitzer Sternwarte, wenn sie nicht<br />
vor knapp hundert Jahren Dr. Walter<br />
Zimmermann dem Vergessen entrissen<br />
hätte. Er schrieb: „Die Apparate zeigen<br />
längst Spuren des Verfallens ... Weder<br />
Verfertiger noch Herstellungsort ist auf<br />
den Apparaten angegeben, und schon<br />
1909, als ich sie kennenlernte, wußte<br />
niemand mehr über ihre Herkunft irgend<br />
etwas zu sagen. Das war längst in<br />
Vergessenheit geraten.“ Die Blätter zu<br />
den Planetenmodellen musste er 1911<br />
aus altem Bodengerümpel retten. Walter<br />
Zimmermann wurde am 31. August<br />
1876 in Breslau geboren, absolvierte<br />
dort sein Abitur und studierte ab 1895<br />
Astronomie, Mathematik sowie Physik.<br />
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26<br />
Geschichte |
Sternwarte<br />
Astronomie auf dem Klosterplatz<br />
Nach seiner Promotion in Astronomie arbeitete<br />
er von 1900 - 1903 als Assistent<br />
an der Breslauer Universitätssternwarte.<br />
Danach war er Oberlehrer in Freiburg/<br />
Schlesien und übernahm schließlich<br />
1908/09 die freigewordene Stelle eines<br />
Mathematiklehrers am Gymnasium Augustum<br />
in Görlitz. Er wohnte anfangs in<br />
der Hartmannstraße 9 mit seiner Mutter.<br />
Nach deren Tod heiratete er eine<br />
Jugendfreundin aus Breslau und zog in<br />
die Konsulstraße 9. Um 1915 wurde ihm<br />
der Professorentitel verliehen, den er<br />
in seinen Leistungen voll rechtfertigte.<br />
Zimmermann war ein beliebter Lehrer,<br />
dessen Unterricht sehr anspruchsvoll,<br />
aber auch für weniger begabte Schüler<br />
methodisch klar und verständlich aufgebaut<br />
war. Den damals traditionellen Abstand<br />
zwischen Lehrer und Schüler versuchte<br />
er durch persönliche Kontakte<br />
abzubauen. Er richtete den Unterricht<br />
an dem humanistischen Gymnasium neu<br />
aus, um die Schüler auch auf ein naturwissenschaftliches<br />
Studium vorzubereiten.<br />
Dr. Zimmermann erweckte die Sternwarte<br />
aus ihrem Dornröschenschlaf. Die<br />
Stadt hatte Verständnis und war nicht<br />
kleinlich bei der Bewilligung erforderlicher<br />
Mittel. So konnten die vorhandenen<br />
3 und 3,5 Zoll Fernrohre modernisiert,<br />
Mikrometer mit Beleuchtung, eine Riefleruhr<br />
mit Sekundenpendel, ein Theodolit<br />
angeschafft sowie ein vorhandenes<br />
Focaultpendel instand gesetzt werden.<br />
Mit seiner Schülerarbeitsgemeinschaft<br />
beobachtete er systematisch den Kometen<br />
Halley, den Merkurdurchgang,<br />
Finsternisse, veränderliche Sterne, Jupitermonderscheinungen,<br />
Sonne und<br />
mehr. Kurz vor seinem 52. Geburtstag<br />
begann sein sehr aktiver Ruhestand mit<br />
Vorträgen und schriftlichen Arbeiten.<br />
Es entstanden die Biografie über David<br />
Richter und eine erste wissenschaftliche<br />
Abhandlung zu den Sonnenuhren am<br />
Untermarkt. Walter Zimmermann zog<br />
schließlich in den Südharz, wechselte<br />
dort 1945 über die damalige Zonengrenze<br />
nach Bad Sachsa über und verstarb<br />
dort zur Jahreswende 1945/46.<br />
Lutz Pannier<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
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Geschichte |<br />
27
Das Spielzeugmuseum Görlitz<br />
Das Spielzeugmuseum Görlitz feiert dieses<br />
Jahr seine 40. Sonderausstellung<br />
mit Indianergeheul und Trommelwirbel<br />
Diese Idee spukte schon lange vor Eröffnung<br />
des Spielzeugmuseums im Jahr<br />
2000 in den Köpfen der Museumsmacher:<br />
Kinder stellen für Kinder aus. Eine<br />
geniale Idee, die gleich mehrere Fliegen<br />
mit einer Klappe schlägt. Kleine Sammler<br />
bekommen eine eigene Plattform<br />
und können ihre gesammelten Lieblinge<br />
erstmals der<br />
Öffentlichkeit präsentieren.<br />
Vielfältige<br />
und ganz unterschiedliche<br />
Themen<br />
bereichern das Museumsleben.<br />
Die<br />
Ausstellungen sind<br />
kindgemäß und damit<br />
ganz im Sinne<br />
des Spielzeugmuseums,<br />
das auch<br />
und besonders die<br />
kleinen Besucher<br />
ansprechen will.<br />
Und nicht zuletzt könnten die Ausstellungen<br />
andere Kinder animieren, vielleicht<br />
eine ähnliche Sammlung aufzubauen.<br />
Gesagt, getan! Die Idee wurde zum Programm<br />
des kleinen Museums, das wir ja<br />
bereits im Heft 42 schon einmal näher<br />
vorstellten. „Sonderausstellungen haben<br />
den Vorteil, dass man neue Akzente<br />
in der Museumsarbeit setzen kann,<br />
und“, meint schmunzelnd der Vereins-<br />
Chef Thomas Fiedler, „man bleibt im<br />
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28<br />
Ausblick |
Das<br />
Kinder stellen<br />
Spielzeugmuseum<br />
für Kinder aus<br />
Gespräch“. Für<br />
ihn und sein kleines<br />
Team besonders<br />
wichtig. Denn<br />
das Museum liegt<br />
nicht an einer frequentierten<br />
Touristen-„Laufstrecke“,<br />
sondern eher verborgen<br />
in der Nikolaivorstadt.<br />
Deshalb<br />
ist das Rühren<br />
der Werbetrommel<br />
besonders wichtig.<br />
Die ersten Jahre<br />
bestimmten fast ausnahmslos Kinder<br />
mit ihren Sammlungen das Geschehen.<br />
Ob die „101 Dalmatiner“ von Lisa<br />
Baugstatt (2000), „Katz und Maus“ der<br />
Familie Eckert aus Deutsch-Paulsdorf<br />
(2001), die Schlümpfe von Anne und<br />
Sophie Lukoschek (2002), Feuerwehren<br />
von Marlen Köhler (2003) oder die<br />
Lego-Kreationen von Robert Böhme aus<br />
Olbersdorf (2004) – sie alle zeigten nicht<br />
nur Sammlergeist, sondern auch, wie<br />
man sinnvoll seine Freizeit verbringen<br />
kann. „In der ersten Zeit hatten wir drei<br />
bis vier Kinderausstellungen im Jahr“,<br />
erzählt Thomas Fiedler, „und das Konzept<br />
ging voll auf und hat sich bewährt.<br />
Aber 2005/06 begann dann eine Durststrecke,<br />
wo wir uns zunehmend nach<br />
anderen Themen umschauen mussten“.<br />
Es fanden sich einfach keine sammelnden<br />
Kinder mehr… Immerhin: die Hälfte<br />
aller 40 Sonderschauen bestritten junge<br />
Besucher!<br />
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Ausblick |<br />
29
Das Spielzeugmuseum Görlitz<br />
Kleine Themen ganz groß<br />
Anfang 2001 stellten Sebastian Bruß,<br />
Anne-Marie Bandmann, René Langer,<br />
Gregor Hausmann, Falk und Frank Fiedler<br />
ihre Matchbox-Schätze aus. Ein Sammelsurium<br />
kleiner Flitzer, das schön<br />
anzuschauen war, aber manch herbeigeeiltem<br />
Sammler nur ein müdes Lächeln<br />
abrang. Das brachte Vereins-Chef Thomas<br />
Fiedler auf die Idee, kleine Spielzeug-Themen<br />
umfassend und komplett<br />
zu präsentieren. Nach zwei Jahren, im<br />
Juni 2003, war es so weit: Mit „Matchbox-Oldies“<br />
präsentierte das Museum<br />
eine Sonderschau, die sich wirklich sehen<br />
lassen konnte. 400 Yesteryear-Modelle<br />
zeigten das vollständige Typenprogramm<br />
dieser Matchbox-Reihe. Sammler<br />
aus Dresden, Berlin und Görlitz zeigten<br />
ihre Schätze. Seitdem ist das Thema<br />
Matchbox Tradition. Einmal im Jahr stehen<br />
die kleinen Flitzer im Vordergrund.<br />
Ganz wörtlich übrigens dieses Jahr mit<br />
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30<br />
Ausblick |
Das<br />
Kinder stellen<br />
Spielzeugmuseum<br />
für Kinder aus<br />
Rennautos von einst und jetzt (27. Januar<br />
bis 11. <strong>Mai</strong>). Manch interessante<br />
Schau wird auch mit Schätzen aus dem<br />
reichen Fundus bestritten. Vergangenes<br />
Jahr beispielsweise spielten lustige<br />
Steckfiguren aus Thüringen die Hauptrolle.<br />
Wer kennt sie nicht, die Kultfiguren<br />
Quiek und Quak und Gärtner Tulpe<br />
aus DDR-Zeiten? Übrigens, eine Zeit, die<br />
das Museum gern einmal in einer Sonderausstellung<br />
aufgreift. „Es ist für uns<br />
ein interessanter Geschichtsabschnitt,<br />
überschaubar und – vor allem – abgeschlossen“,<br />
meint Thomas Fiedler, der<br />
Ostalgie als Mittel zum Zweck ansieht.<br />
Er ist sich sicher, eine neue Sandmännchen-Schau<br />
wird wieder viele Besucher<br />
anziehen.<br />
Es weihnachtet schon<br />
Bereits zwei Mal stand der kleine Kerl<br />
im Mittelpunkt. 2001 nahm er die Besucher<br />
mit auf „Sandmännchens Reise“,<br />
2004 hieß es im Spielzeugmuseum<br />
„Sandmännchen im Weihnachtsland“.<br />
Es waren die traditionellen Weihnachtsausstellungen,<br />
die der kleine Kerl aus<br />
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Ausblick | 31
Das Spielzeugmuseum Görlitz<br />
Babelsberg bestritt. Pünktlich am Tag<br />
vor dem ersten Advent öffnen sich die<br />
Türen zur Weihnachtsschau, zu der sich<br />
die Museumsmacher immer wieder etwas<br />
Besonderes einfallen lassen. Ob<br />
Schätze aus Omas Spielzeugkiste, die<br />
berühmten Wendt & Kühn-Figuren aus<br />
Grünhainichen, ob der bärtige Alte oder<br />
„Raachermannel aus dem Arzgebirg“ –<br />
immer ist sie der traditionellen Weihnacht<br />
verpflichtet.<br />
„Wir wollen der<br />
Hektik des Alltags<br />
mit Gemütlichkeit<br />
und Tradition<br />
begegnen“,<br />
umreißt Thomas<br />
Fiedler das Credo<br />
zur Adventszeit.<br />
Dieses Jahr<br />
heißt die Weihnachtsschau<br />
übrigens<br />
„Roter Mantel,<br />
Rauschebart“<br />
und man kann<br />
schon wieder gespannt<br />
sein, welche<br />
Schätze die Museumsleute aus dem<br />
Hut zaubern.<br />
Görlitzer machen mit<br />
Mitmachen ist im Spielzeugmuseum<br />
übrigens Devise. Zu fast jeder Sonderschau<br />
gibt es themenbezogene Mit-<br />
Mach-Angebote, Bastelmöglichkeiten und<br />
Sonderveranstaltungen. Dies ist dem<br />
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32<br />
Ausblick |
Das<br />
Kinder stellen<br />
Spielzeugmuseum<br />
für Kinder aus<br />
Museumsteam besonders<br />
wichtig.<br />
Dank der Firma<br />
Kellner gab<br />
es z.B. voriges<br />
Jahr zur Ausstellung<br />
eine riesige<br />
Steck-Spiel-Spaß-<br />
Kiste, die auch<br />
jetzt noch gern<br />
genutzt wird. Eine<br />
völlig neue Idee<br />
vom Museums-<br />
Chef machte Ende<br />
2007 von sich reden:<br />
Das Museum<br />
bat die Görlitzer<br />
und Oberlausitzer nachzuschauen,<br />
ob auf Böden und in Kellern nicht noch<br />
DDR-Indianer schlummern, die sie dem<br />
Museum zur Verfügung stellen könnten.<br />
Ab 17. <strong>Mai</strong> nämlich stehen die kleinen<br />
beliebten Spielfiguren aus Gummi und<br />
Masse im Museumslicht. Das Echo aus<br />
der Bevölkerung kann sich sehen lassen:<br />
Weit über 30 Familien aus Görlitz,<br />
dem NOL, aus Löbau-Zittau und Bautzen<br />
unterstützten die Aktion des Museums<br />
bisher mit Figuren, aber auch mit<br />
zahlreichem Zubehör wie Häuser, Zelte,<br />
Kanus, Pferde und ganze Landschaften.<br />
Noch brauchen die Museumsmacher<br />
Unterstützung: Von den 133 Figurentypen,<br />
die es gegeben haben soll, haben<br />
sie 118. Noch 15 Typen gilt es zu finden,<br />
die vielleicht in manch altem Schuhkarton<br />
schlummern. Und so heißt es im<br />
Spielzeugmuseum noch bis <strong>Mai</strong> wie auf<br />
einem alten Wild-West-Steckbrief: Wanted!<br />
Rolf Günther<br />
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Ausblick | 33
Frühling im Schmetterlingshaus<br />
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In unseren geographischen Breiten sind<br />
wir an die Jahreszeiten gewöhnt. Ein<br />
Winter mit Schnee, eine Ruhezeit für die<br />
Natur, ein Frühling mit einer erwachenden<br />
Natur, zahlreichen Blüten an Sträuchern<br />
und Bäumen. Die einheimischen<br />
Insekten erwachen aus der Winterruhe.<br />
Im Sommer tanken wir Sonne und Wärme,<br />
und im Herbst ist Erntezeit.<br />
Bei uns im Schmetterlingshaus Jonsdorf<br />
sind diese Jahreszeiten in dieser Form<br />
nicht so sehr spürbar. Durch eine umweltschonende<br />
Heizungsanlage, welche<br />
mit erneuerbarer Energie betrieben wird,<br />
sind in der Flughalle der Schmetterlinge<br />
auch im Winter tropische Temperaturen.<br />
Ausschließlich tropische Schmetterlinge<br />
fühlen sich bei uns das gesamte Jahr<br />
recht wohl.<br />
Wegen der kurzen Tageslänge in den<br />
kalten Jahreszeiten legen auch die tropischen<br />
Pflanzen eine Pause in ihrem<br />
Wachstum ein. Mit zunehmender Tageslänge<br />
setzen die Pflanzen frisches Grün<br />
an und treiben so richtig durch. Ein Idealzustand<br />
für die Raupen der Schmetterlinge.<br />
An vielen Pflanzen kann der<br />
Besucher jetzt die Eier der Tag- und<br />
Nachtfalter finden, und an den Blättern<br />
sieht er vermehrt die Fraßspuren gefräßiger<br />
Raupen. Bis 15 cm können solche<br />
Raupen erreichen. Eindrucksvoll sieht<br />
man, wie diese Tiere kontinuierlich und<br />
scheinbar nimmersatt ihrer Leidenschaft<br />
nachgehen – dem Fressen.<br />
Gut getarnt hängen dann an den Pflanzen<br />
die Puppen der Schmetterlinge.<br />
Nach der Metamorphose, der Umwandlung<br />
der Raupe, schlüpft nach wenigen<br />
Wochen wieder ein Falter, und der Zyklus<br />
beginnt von neuem.<br />
Ein Besuch im Jonsdorfer Schmetterlingshaus<br />
lohnt sich das gesamte Jahr.<br />
Schmetterlingshaus Jonsdorf<br />
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34<br />
Ausblick |
Schmetterlingshaus<br />
Ein Besuch lohnt sich das gesamte Jahr<br />
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Ausblick |<br />
35
Christian<br />
Zum 300. Todestag<br />
Weise<br />
von Christian Weise<br />
Große Verdienste erwarb sich Christian<br />
Weise auch als Leiter der Zittauer<br />
Ratsbibliothek. Systematisch erweiterte<br />
er die Ratsbibliothek zu einer barocken<br />
Universalbibliothek, wobei er die<br />
Zittau 1716<br />
Unterstützung durch den Rat und die<br />
wohlhabenden Rats- und Handelsherren<br />
Zittaus hatte. In allen europäischen<br />
Buchhandelszentren, von Leipzig über<br />
Prag und Wien, bis Amsterdam und Pa-<br />
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36<br />
Jubiläum |
Christian<br />
30.April 1642 - 21.<br />
Weise<br />
Oktober 1708 -Fortsetzung-<br />
ris, erwarben Zittauer Agenten wichtige<br />
und wertvolle Neuerscheinungen.<br />
Aber auch seine Werke und die seiner<br />
Kollegen bewahrte Weise in der Ratsbibliothek,<br />
übernahm Schenkungen,<br />
Stiftungen und Nachlässe bedeutender<br />
Zittauer.<br />
Auf Weises Anregung geht auch die Einrichtung<br />
des barocken Bibliothekssaales<br />
im Obergeschoss des Heffterbaues<br />
zurück; dessen Einweihung im Herbst<br />
1709 erlebte er aber leider nicht mehr.<br />
Anfang des Jahres 1708 spürte Weise<br />
seine Kräfte immer mehr schwinden<br />
und bat den Rat um Emeritierung und<br />
Regelung der Nachfolge. Es gelang ihm,<br />
seinen ehemaligen Schüler und seinerzeitigen<br />
Rektor des Gymnasiums in Lauban<br />
Gottfried Hoffmann als Nachfolger<br />
nach Zittau zu holen. Hoffmann setzte<br />
Weises Arbeit hier fort, leider war ihm<br />
keine lange Wirkungszeit in Zittau gegönnt,<br />
er starb bereits 1712.<br />
Christian Weise hingegen hatte dreißig<br />
Jahre lang in Zittau wirken können.<br />
Es war für ihn, aber vor allem für die<br />
Stadt Zittau, das Gymnasium, die Bibliothek<br />
und die Menschen hier ein Segen<br />
gewesen. Über 50 Theaterstücke und<br />
zahlreiche andere Bücher hat Weise geschrieben.<br />
Die Zahl der Klein- und Gelegenheitsdrucke<br />
zu Taufen, Hochzeiten,<br />
Amtsübernahmen und Todesfällen, die<br />
Schul- und Schultheaterschriften umfassen<br />
hunderte Drucke.<br />
Am Sonntagmorgen des 21. Oktober<br />
1708 starb Christian Weise in seiner Heimatstadt<br />
Zittau. Vier Tage lang wurden<br />
morgens 9 Uhr die Glocken zu seinem<br />
Gedächtnis geläutet. Am Mittwoch, 24.<br />
Oktober 1708, mittags 12 Uhr wurde<br />
Christian Weise mit den größten städtischen<br />
Ehren und barockem Gepränge<br />
in der alten St. Johanniskirche bestattet.<br />
Laut Zittauer Totenregister wurde Weise<br />
„in des seel. H. M. Keymanns gewesenen<br />
Rectori Grab gelegt“.<br />
Knapp fünfzig Jahre später, am 23 Juli<br />
1757, wurde die Stadt Zittau von den<br />
Österreichern während des Siebenjährigen<br />
Krieges in Schutt und Asche gelegt.<br />
Zwei Drittel der Stadt wurden dabei zer-<br />
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Jubiläum |<br />
37
Christian Weise<br />
Zum 300. Todestag von Christian Weise<br />
Buchtitel<br />
stört, auch das Rathaus mit dem Ratsarchiv<br />
und die St. Johanneskirche mit<br />
der Silbermannorgel und dem Grabmal<br />
Christian Weises. Zu den wenigen verschont<br />
gebliebenen Gebäuden gehörte<br />
glücklicherweise der Heffterbau mit der<br />
Ratsbibliothek und dem literarischen<br />
Nachlass Christian Weises.<br />
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38<br />
Jubiläum |
Christian<br />
30.April 1642 - 21.<br />
Weise<br />
Oktober 1708 -Fortsetzung-<br />
Heute lebt Weises<br />
Vermächtnis<br />
in Zittau vor<br />
allem durch die<br />
Christian-Weise-<br />
Bibliothek, welche<br />
die Nachfolgerin<br />
der einstigen<br />
Ratsbibliothek ist,<br />
seit über 50 Jahren<br />
den Ehrennamen<br />
trägt und<br />
in ihrem wissenschaftlichen<br />
und<br />
heimatgeschichtlichen<br />
Altbestand<br />
auch den Nachlass<br />
Christian<br />
Weises bewahrt.<br />
Aber auch das<br />
Zittauer Gymnasium trägt seit einigen<br />
Jahren den Namen Christian Weises.<br />
Ferner gibt es in Zittau eine Christian-<br />
Weise-Straße und ein Denkmal für Weise<br />
in den Grünanlagen zwischen Fleischerbastei<br />
und Kreuzkirche.<br />
Wenn sich im Oktober diesen Jahres<br />
Alte Johanniskirche<br />
Weises Todestag zum 300. Mal jährt, soll<br />
das Gedenken an den größten Sohn der<br />
Stadt Zittau in verschiedenen Veranstaltungen<br />
erneuert und bewahrt werden<br />
Uwe Kahl, Zittau<br />
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Jubiläum |<br />
39
Professor Edmund Kretschmer<br />
Erinnerungsblatt 1914<br />
Ostritz hat nicht nur<br />
eine große Anzahl Lehrer<br />
und Pfarrer hervorgebracht,<br />
sondern auch<br />
einen Bischof und einen<br />
beliebten Komponisten.<br />
Edmund Kretschmer erreichte<br />
in seiner Laufbahn<br />
hohe Anerkennung<br />
und erhielt mehrere<br />
Ehrentitel. Doch wurde<br />
er in bescheidenen<br />
Verhältnissen am 31.<br />
August 1830 im damaligen<br />
Schulhaus Ostritz<br />
geboren. Sein Vater<br />
Franz Xaver Kretschmer<br />
war hier Schulleiter,<br />
Organist, Chordirigent<br />
und Förderer der<br />
Hausmusik. Von seiner<br />
Mutter wissen wir nicht<br />
mehr, als die Grabtafel<br />
der katholischen<br />
Pfarrkirche auch heute<br />
noch verrät: Theresia<br />
Kretschmer, geborene<br />
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40<br />
Persönlichkeiten |
Edmund<br />
Ehrenbürger von<br />
Kretschmer<br />
Ostritz<br />
Strauß, starb im Alter<br />
von 67 Jahren.<br />
Edmund Kretschmer war<br />
von klein auf an das<br />
Musizieren gewöhnt. Er<br />
sang schon als Knabe<br />
im Kirchenchor. Als 16-<br />
jähriger durfte er die<br />
einst berühmte Sängerin<br />
Henriette Sontag<br />
und ihre Schwester, die<br />
Ordensfrau Juliane, bei<br />
einem Duett auf dem<br />
Flügel begleiten. Dass<br />
er dabei vom Blatt weg<br />
spielen konnte, hat ihn<br />
ein Leben lang stolz<br />
gemacht.<br />
Gerne hätte der begabte<br />
Edmund ein Musikstudium<br />
auf dem<br />
Konservatorium begonnen.<br />
Doch dazu reichten<br />
die finanziellen Mittel<br />
seiner Eltern nicht.<br />
Daher besuchte er ab<br />
1846 das Lehrersemi-<br />
Ehrenbürgerurkunde 1900<br />
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Persönlichkeiten |<br />
41
Professor Edmund Kretschmer<br />
unter anderem auch das Spiel auf der<br />
Silbermannorgel üben durfte.<br />
Allmählich wurde Kretschmer in der<br />
Dresdner Kunstwelt bekannt. Ab 1857<br />
leitete er den Chor des Dresdner Künstlervereins.<br />
Dazu gehörten auch Maler,<br />
Architekten und Bildhauer, durch die<br />
Kretschmer neue Gedanken und Umgangsformen<br />
kennenlernte. Als Chorleiter<br />
bewies er viel Geschick. 18<strong>59</strong> schon<br />
wurde er Leiter des Gemischten Chorgesangsvereins<br />
Euterpe. Anlässlich eines<br />
deutschen Sängerfestes beteiligte<br />
er sich an der Ausschreibung mit einer<br />
Komposition für Männerchor und Orchester.<br />
Kretschmer erhielt dafür nicht<br />
nur den ersten Preis, er durfte die Aufführung<br />
auch selbst leiten. Am 23. Juli<br />
1865 dirigierte er 16000 Sänger und ein<br />
200 Mann starkes Orchester.<br />
Zuvor schon war Edmund Kretschmer<br />
Zweiter Hoforganist geworden. Seine<br />
Besoldung ermöglichte ihm nun endlich,<br />
einen eigenen Hausstand zu gründen.<br />
Mit seiner Frau Jenny Schröter hatte<br />
er später die Kinder Franz und Elsa.<br />
Kretschmers weiteres Schaffen war genar<br />
in Dresden- Friedrichstadt. Nebenbei<br />
erteilte er Klavierunterricht an Privatschüler.<br />
Damit finanzierte er mühsam<br />
seine eigene Fortbildung im Violin- und<br />
Orgelspiel.<br />
Förderung erhielt Edmund Kretschmer<br />
in Dresden durch den Bariton Anton Mitterwurzer,<br />
dessen Sohn er unterrichtete.<br />
Hier erhielt Kretschmer Zugang zur Musik<br />
von Richard Wagner und die Ermunterung,<br />
doch selbst ein Lied zu komponieren,<br />
das Mitterwurzer in einem<br />
Konzert in Dresden vortrug.<br />
Kretschmers erste Anstellung als Gesang-<br />
und Schreiblehrer an der Katholischen<br />
Hauptschule in Dresden war<br />
schlecht besoldet. Durch Privatstunden<br />
ersparte er sich die Mittel für seine<br />
Ausbildung in Harmonielehre und in<br />
Kontrapunkt bei Julius Otto. Nachdem<br />
er zum Hilfsorganisten an der katholischen<br />
Hofkirche berufen worden war,<br />
komponierte er fünf Figuralmessen. Der<br />
Oberlausitzer Johann Gottlob Schneider<br />
war Hoforganist an der evangelischen<br />
Hof- oder Sophienkirche. Er wurde für<br />
Kretschmer der beste Lehrer, bei dem er<br />
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42<br />
Persönlichkeiten |
Edmund<br />
Ehrenbürger von<br />
Kretschmer<br />
Ostritz<br />
prägt von enormem Fleiß, aber<br />
auch Erfolg. Darüber ließe sich<br />
ein langer Bericht schreiben.<br />
Seine Opern wurden in Europa<br />
aufgeführt. Er komponierte<br />
aber auch weiter Chorwerke<br />
und Kirchenmusik. 1892<br />
erhielt er von der Technischen<br />
Hochschule Dresden den Professorentitel<br />
zuerkannt, 1894<br />
wurde er Königlicher Kapellmeister,<br />
und aus Anlass seines<br />
70. Geburtstags wurde<br />
er zum Hofrat ernannt. Seine<br />
Heimatstadt Ostritz verlieh<br />
ihm die Ehrenbürgerwürde.<br />
Edmund Kretschmer starb<br />
am 13. September 1908. Zu<br />
seinem 100. Todestag soll<br />
an diesen vorbildlichen Menschen<br />
und sein Werk erinnert<br />
werden.<br />
Josefine Schmacht , Ostritz<br />
Porträtfoto Edmund Kretschmer<br />
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Persönlichkeiten |<br />
43
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Der erste Gothazug, 1958<br />
Zum 50. Jubiläum der Inbetriebnahme<br />
des ersten Gothazuges der Bauart T 57/<br />
B 57 in Görlitz<br />
Wer die Stadtbildreihe aufmerksam verfolgt,<br />
dem kann nicht entgangen sein,<br />
dass die interessanten Hefte immer wieder<br />
auch von großen und kleinen Jubiläen<br />
aus alter und jüngerer Zeit zu berichten<br />
wissen – eben wie unser Alltag<br />
immer wieder von ihnen geprägt wird.<br />
Am 24.April diesen Jahres<br />
gab es mal wieder<br />
eines im innerstädtischen<br />
Personenverkehr,<br />
das niemand feierte<br />
und kaum jemand zur<br />
Kenntnis nahm: einer<br />
der wohl prägnantesten<br />
ostdeutschen Straßenbahntypen<br />
wurde<br />
vor genau fünfzig Jahren<br />
in unserer schönen<br />
Stadt erstmals zum Einsatz<br />
gebracht: der Gotha-<br />
Zweirichtungswagen<br />
der Bauart T bzw.<br />
B 57 . Mit den Nummern 4 (III) und<br />
56 (II) konnte man den Zug zunächst<br />
auf der Linie 2 erleben. Später wurden<br />
Fahrzeuge dieser zweiachsigen Einheitsbauart<br />
auf allen Linien außer jener zur<br />
Stadthalle- wo sie nachgewiesenerweise<br />
nur selten als Gast wenige Runden<br />
drehten - allgegenwärtig und blieben es<br />
bis zum 07.08.1992. Diese formschönen<br />
Fahrzeuge mit 10.9 m Gesamtlänge boten<br />
über 80 Fahrgästen Platz und wa-<br />
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44<br />
Geschichte |
Görlitzer<br />
Gothazug 1958 in<br />
Stadtverkehr<br />
Görlitz<br />
ren eine konsequente<br />
Weiterentwicklung des<br />
zweiachsigen Einheitstyps<br />
der späten dreißiger<br />
Jahre. Neu waren im<br />
Vergleich zum wenige<br />
Jahre vorher indienstgestellten<br />
LOWA- Typ<br />
(dessen Görlitzer Wagen<br />
übrigens der verbesserten<br />
Ausführung ET/EB<br />
54 aus Gotha entsprachen<br />
und welcher eine<br />
vom Einheitstyp abweichende<br />
eigenständige<br />
Entwicklung darstellte)<br />
die automatischen Mittelpufferkupplungen<br />
der Bauart Scharfenberg. Mit 3,20<br />
m Achsabstand brachten sie allerdings<br />
nicht nur Freude in die verwinkelten<br />
Straßen und Gassen mit teils sehr engen<br />
Gleisradien, deren Verlauf sie häufig<br />
kaum folgen konnten – an bestimmten<br />
Stellen vernahm man folglich immer<br />
wieder ohrenbetäubendes Kurvenquietschen,<br />
das man hier bis zum Ende ihres<br />
Betriebseinsatzes nicht dauerhaft in<br />
BW 56II im Februar 19<strong>59</strong><br />
den Griff bekam. Mit zwölf Trieb- und<br />
elf Beiwagen wurde im Januar 1985 der<br />
höchste Bestand an Zweirichtungswagen<br />
dieser Bauart in Görlitz erreicht, von<br />
denen allerdings lediglich drei Züge fabrikneu<br />
aus Gotha kamen. Die übrigen<br />
übernahm das Unternehmen gebraucht<br />
aus anderen Städten. Über diese und<br />
die wesentlich jüngeren artverwandten<br />
Einrichtungswagen wird in späteren<br />
Beiträgen zu berichten sein. Wer genau<br />
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Geschichte |<br />
45
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
TW (1). 4III am Krankenhaus 1961<br />
hinschaute, erkannte im Innenraum bereits<br />
im Fabrikzustand kleine Unterschiede.<br />
Waren die Holzleisten des ersten Zuges<br />
(Bj.1957 bzw.1958) mahagonifarbig<br />
gebeizt, so fand man in den anderen<br />
beiden Zügen von 1961 eine Innenausstattung<br />
in eichenfarbenem Dekor<br />
und etwas veränderte Klappfenster in<br />
den Seitenwänden. Die Kunstledersitze<br />
präsentierten sich stets in grün,<br />
und die Fahrschalter verfügten<br />
über eine Kurbel wie bei den Altbaufahrzeugen.<br />
Leider ist kein<br />
Vertreter in Görlitz erhalten geblieben.<br />
Wohl aber gibt es Traditionsfahrzeuge,<br />
die einst in Görlitz<br />
ihre Runden drehten, so in Naumburg<br />
und Klagenfurt. Im Alltagsbild<br />
unserer Stadt waren Gotha-<br />
Zweirichtungswagen mehr als<br />
30 Jahre so prägend, dass man<br />
sie wohl eher hörte als bewusst<br />
wahrnahm. Sie waren eigentlich überall,<br />
wo es Straßenbahnschienen gab, irgendwie<br />
dabei. Ich erinnere mich gerne<br />
an sie und ihre Zeit zurück, auch wenn<br />
man ihren Fahrkomfort keineswegs mit<br />
dem heutigen Stand vergleichen kann,<br />
wirklich in keinerlei Beziehung.<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
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46<br />
Geschichte |