Zeitung Vinschgerwind 1-23 vom 12.01.2023 Bezirk Vinschgau Südtirol
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48 /NATIONALPARK/Vinschgerwind 1-23 12.01.23
Nationalpark Stilfserjoch
Die Tschenglser Au
Mit den Vogel-Bildern von Eva Grassl Raffeiner
Wolfgang Platter, am Dreikönigstag, 6. Jänner 2023
„Kein anderes Tal Südtirols weist so große
Gegensätzlichkeiten auf wie der Vinschgau.
Gnadenlos brennt die Sonne auf die südexponierten
Steppenhänge der „Vinschgauer Leiten“,
die sich etwa 40 Kilometer lang zwischen
Naturns und Mals auf der orographisch
linken Talseite erstrecken. Hohe Temperaturen
und geringe Niederschläge
(Jahresdurchschnitt von 550 mm) machen
den Vinschgau zur trockensten
Wärmeinsel der Ostalpen. Als Feuchtbiotope
hingegen breiten sich zwischen
Spondinig, Schluderns und
Glurns ausgedehnte Auwälder an
der Etsch aus, die von ungestörten
Flußstellen mit Schlick- und Sandbänken
sowie von Schilfflecken durchsetzt sind. Typische
Auenformationen mit Schwarz- und
Grauerlen (Alnus glutinosa und A. incana)
beobachtet man auch bei Tschengls und
Eyrs in der Gemeinde Laas, die aber – im
Gegensatz zu den Schludernser Auen – wenigstens
bisher nicht als Biotope unter Schutz
gestellt worden sind.“ Diese Zeilen stehen
im Buch „Südtiroler Naturführer“, welches
Peter Ortner und Christoph Mayr als zwei
Pioniere des Südtiroler Landschaftsschutzes
im Sommer 1977 geschrieben und im Athesia
Verlag Bozen publiziert haben.
Mit Dekret des Landeshauptmannes Nr.
141/V/79 vom 20.09.1983 wurden die Auen
von Tschengls und Eyrs dann als Biotope des
Landes Südtirol unter Schutz gestellt.
Georg Wieser, der aus Mals stammende
Forstingenieur hat im Jahr 1987 in seiner Diplomarbeit
an der Universität für Bodenkultur
in Wien die beiden Laubwaldauen von
Eyrs und Tschengls forstwissenschaftlich
untersucht. Der Originaltitel seiner wissenschaftlichen
Arbeit lautet „Waldbauliche Beurteilung
der Auwaldreste im Vintschgau und
Entwicklung eines Pflegeplanes für den Eyrser
Auwald.“
Die Eyrser Au ist eine Überschwemmungs-
Au an den Ufern der Etsch. Die Tschenglser
Au ist eine Schuttfächer-Au am Unterlauf des
Tschenglser Baches. Das Tschenglser Tal ist
ein kurzes Seitental der Etsch und das Gefälle
vom Gipfel der Tschenglser Hochwand bis
zum Einlauf des Baches in die Etsch machen
es zum steilsten Tal der gesamten Ostalpen.
Entsprechend hoch ist sein Erosionspotential.
Die Geschiebekraft des Tschenglser
Baches bildet sich in den Baumarten der
kegelförmigen Au ab. In Bachnähe wächst
Foto: Wolfgang Platter
Kartierung der Tschenglser Au nach
Holzarten von Georg Wieser in seiner
Diplomarbeit an der Universität für
Bodenkultur in Wien (1987)
die Weichholzau mit schnellwüchsigen
Baumarten wie Birke, Pappel
und Weide. Etwas weiter entfernt
wächst die Hartholzau mit Schwarzund
Grauerlen. Die Kartierungen von
Georg Wieser aus dem Jahr 1987 geben
dieses Bild der verschiedenen Holzarten
in der Schuttkegel-Au augenfällig wieder.
Und wenn man die Tschenglser Au von der
Panoramastraße am Sonnenberg zwischen
Tanas und Schluderns im Herbst fotografiert,
kann man die Weich- und die Hartholzau
an den unterschiedlichen Farben der
Herbstblätter leicht unterscheiden: Birken,
Weiden und Pappeln verfärben sich gelb.
Die Schwarz- und Grauerlen bleiben bis zum
Blattabwurf grün gefärbt.
Die Tschenglser Au weist eine Fläche von
34 Hektaren auf. Die Grundparzellen befinden
sich im Privatbesitz.
Neben ihrer Funktion als Hochwasserschutz
für die umliegenden Kulturgründe
ist die Tschenglser Au ein bereicherndes
Landschaftselement und ein wertvoller Lebensraum
für viele wirbellosen Tiere und vor
allem auch Vögel. Jetzt im Winter verlagern
etwa die Erlenzeisige und die Birkenzeisige
ihren Lebensraum vom Bergwald in den Auwald
der Talsohle und tun sich an den Birken-
und Erlensamen gütlich.
Wie die Fotos von Eva Grassl-Raffeiner
vom Futterhäuschen am Wohnhaus ihrer
Familie in der der Tschenglser Wohnbauzone
in der Nähe des Auwaldes zeigen, beherbergt
die Tschenglser Au zum Beispiel auch
fast alle einheimischen Arten der Meisen.
In Zeiten des weltweiten Artenschwundes
sind intakte Lebensräume, auch wenn sie
nur mehr kleinflächig als sogenannte Trittsteine
in der rundum landwirtschaftlich intensiv
genutzten oder verbauten und besiedelten
Landschaft erhalten geblieben sind,
grundlegende und wertvollste Elemente
zum Erhalt der Biodiversität. Es ist schon
lange bestätigt: Es gibt keinen Artenschutz
ohne Lebensraumschutz!