Leseprobe Mark Miller „Uns bleibt immer New York“
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an diesem Morgen wegbrachte, begleitet von Möwengeschrei<br />
und eisigen Windböen.<br />
Léo schwankte auf der Rückbank hin und her, aber er lächelte.<br />
Denn nach drei Jahren Haft im Otis Bantum Correctional Center,<br />
einem der zehn Gefängnisse des Komplexes, konnte er Rikers<br />
Island endlich verlassen. Was er verbrochen hatte? Nun, Léo<br />
verstand es, Gemälde von Pissarro, Renoir, van Gogh, Matisse<br />
genauso gut, wenn nicht besser als die großen Meister selbst zu<br />
malen. Er war ein Fälscher. Oder war jedenfalls einer gewesen.<br />
Nach drei Jahren in der Arrestzelle hatte er beschlossen, den<br />
Pinsel beiseitezulegen.<br />
Mit seiner verwaschenen Jeans, dem schwarzen Rollkragenpulli,<br />
der leichten Wildlederjacke und den etwas zu langen<br />
braunen Haaren ähnelte Léo Van Meegeren eher einem Künstler<br />
– der er ja wirklich war – als einem Ex-Häftling. Er war eins<br />
fünfundachtzig groß und wog achtzig Kilo, sieben mehr als bei<br />
seiner Ankunft auf Rikers. Das zusätzliche Gewicht verdankte<br />
er sportlichen Übungen im Gefängnis. Aber abgesehen von<br />
seinem katzenartigen, leicht nachlässigen Gang, der so langsam<br />
war, dass man es für Berechnung halten konnte, fielen an ihm<br />
vor allem seine riesigen grauen Augen auf, die aufmerksam und<br />
verträumt zugleich wirkten. Sein Blick war der eines Raubtiers<br />
oder der eines Malers, je nachdem.<br />
Die raubtierhafte Seite beruhte vermutlich auf den drei Jahren,<br />
die er auf Rikers verbracht hatte. Aggressionen, Misshandlungen<br />
der Häftlinge durch die Wärter oder durch andere Häft-<br />
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