FINE - Das Festivalmagazin
Magazin zum 26. Rheingau Gourmet & Wein Festival
Magazin zum 26. Rheingau Gourmet & Wein Festival
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Weit geht der Blick von den<br />
Rebzeilen über die hügelige<br />
Landschaft. <strong>Das</strong> Logo des Guts<br />
leitet sich von den geflügelten<br />
Skulpturen im Garten ab<br />
Eigentlich könnte er nach einem langen, intensiven Arbeitsleben entspannt die Beine hochlegen, wie es<br />
die meisten in seinem Alter tun. Der 73-jährige Wolfgang Reitzle ist einer der erfolgreichsten Wirtschaftsmanager<br />
der vergangenen Jahrzehnte, und noch immer geht er, wie er sagt, »zu vielen Jobs nach« – sein<br />
Wissen und seine Fähigkeiten sind gefragt. Daneben hat er in der Toskana, oberhalb der Stadt Lucca, mit<br />
der Villa Santo Stefano ein »Boutique-Weingut« aufgebaut und Loto als den besten Rotwein der dortigen<br />
Colline Lucchesi etabliert. Aber das genügt dem ehrgeizigen Gutsbesitzer nicht. Wolfgang Reitzle ist von<br />
ganz anderem Schlag als jene gelangweilten Reichen und Prominenten, die sich Weingüter als Spielzeuge<br />
zulegen und ihren Überfluss zur Schau stellen, er holt noch mal zum großen Coup aus. In der Maremma<br />
konnte er einen Weinberg in bester Lage erwerben, mit dem er ganz nach oben will: Dort soll die neue<br />
Weltklasse der Toskana entstehen. Reitzles Biografie ist die eines unermüdlichen Perfektionisten, der sich<br />
nie mit Mittelmaß zufriedengibt und auch an sich selbst höchste Ansprüche stellt. Wenn er etwas macht,<br />
»dann richtig, wie immer in meinem Leben. Sonst hat es doch keinen Sinn.«<br />
Wolfgang Reitzle ist eben in der Toskana angekommen,<br />
sechs Wochen lang war er nicht mehr da. Normalerweise<br />
verbringt er mehr Zeit in der Villa Santo<br />
Stefano mit seiner Frau, der bekannten Fernsehmoderatorin<br />
und Autorin Nina Ruge. Aber Reitzle hatte berufliche Verpflichtungen,<br />
und was er zusagt, das hält er auch ein. Er trägt<br />
ein weißes Hemd und weiße Ledersneaker, der Bart ist exakt<br />
getrimmt, er ist schlank und hält den Rücken gerade, obwohl ihm<br />
zuletzt die Bandscheibe zu<br />
schaffen machte. Wolfgang<br />
Reitzle ist ein Macher, den<br />
noch immer eine gehörige<br />
Portion Energie antreibt.<br />
In den Hügeln über<br />
Lucca blickt man von der Villa<br />
auf die fruchtbare Ebene, die<br />
Silhouette der Stadt und die Küstenlinie, am Horizont schimmert<br />
als schmaler Streifen das Tyrrhenische Meer. Reitzle und die<br />
Toskana, das ist eine lange gewachsene und ausgesprochen<br />
innige Verbindung. »Ich liebe diese stolze Kulturlandschaft«,<br />
sagt er, »sie ist der Inbegriff von Lebensgefühl in Verbindung<br />
mit einer einzigartigen Geschichte.« Der Manager schwärmt<br />
auch schon lange von toskanischen Weinikonen wie Sassicaia,<br />
Masseto oder Guado al Tasso. 2001 kam Reitzle in den Norden der<br />
Toskana, der nur für seine ausgezeichneten Olivenöle bekannt<br />
war. »Lucca«, sagt er, »ist weiß Gott nicht berühmt für Wein.«<br />
Jahrelang hatte Reitzle in der Toskana nach einem Ort für den<br />
Rückzug vom hektischen Alltag eines eng getakteten Managerlebens<br />
gesucht. Immer wieder kam er aus London angeflogen, wo<br />
er für den Autokonzern Ford arbeitete, suchte über das Wochenende<br />
nach einem geeigneten Domizil und flog wieder zurück.<br />
Lucca mit seinen mittelalterlichen Palästen und Renaissancevillen<br />
hinter den über 500 Jahre alten kilometerlangen Stadtwällen<br />
hatte es ihm besonders angetan. »Italien«, sagt Reitzle,<br />
»war immer ein Sehnsuchtsort für meine Familie.« Die reiste<br />
an den Gardasee und nach Südtirol, wo Vater und Onkel beim<br />
Törggelen »ordentlich Rotwein getrunken haben«. Später entdeckte<br />
er die Toskana, die ihn gleich mit ihren Reizen einfing.<br />
<strong>Das</strong> schmucke Anwesen hatte unter einem lange<br />
andauernden Familienstreit gelitten. Lage und Architektur<br />
waren zwar außergewöhnlich schön, aber die denkmalgeschützte<br />
Villa, die dem bekannten Olivenölproduzenten<br />
Bertolli gehört hatte, stand seit Jahren leer. <strong>Das</strong> Gelände war<br />
verwahrlost, die Macchia, die typische mediterrane Flora mit<br />
Büschen und Wildpflanzen, hatte die Olivenbäume überwuchert<br />
und sogar »erdrosselt«, wie Reitzle sagt. Trotzdem verliebte sich<br />
das Paar sofort in den Platz, das Gut wurde nach der benachbarten<br />
Kirche umbenannt in Villa Santo Stefano. Nach und nach<br />
erwarb Reitzle weitere Gebäude auf dem Areal, die stil- und<br />
geschmackssicher restauriert wurden. Es ist ein stimmungsvoller<br />
Ort, und wenn morgens die Sonne aufgeht, leuchtet sie<br />
so intensiv orangefarben, »dass es dich vom Hocker haut«.<br />
Den Hauswein »konnte man nicht trinken«.<br />
Wolfgang Reitzles Ehrgeiz war geweckt<br />
Wolfgang Reitzle, im bayrischen Neu-Ulm geboren und im<br />
schwäbischen Ulm aufgewachsen, kann es nur schwer ertragen,<br />
wenn man Möglichkeiten nicht nützt und Ressourcen nicht<br />
ausschöpft. So ging es ihm auch bei seinem neuen Anwesen.<br />
Er wird angetrieben von dem gerade in Schwaben weit verbreiteten<br />
Ethos, etwas schaffen und gestalten zu müssen.<br />
»Fleißig waren wir immer«, sagt er dazu. Zuerst ließ er die<br />
Olivenbäume rekultivieren, dann wurde ein erster Hauswein<br />
für den Eigenverbrauch erzeugt, von einem halben Hektar<br />
Sangiovese-Reben, die um die Villa standen. Aber nach der<br />
ersten Ernte stand für ihn fest, dass er handeln musste, denn<br />
»den konnte man nicht trinken«. Reitzle ließ die Rebstöcke<br />
roden und gab ein ambitioniertes Ziel aus: »Ich wollte den<br />
besten Wein Luccas machen.«<br />
Dafür nahm er einen enormen Aufwand auf sich. Nach<br />
sorgfältigen Bodenanalysen ließ er neue Weinberge anlegen,<br />
wegen der starken Feuchtigkeit mussten Drainagen eingezogen<br />
und gewaltige Erdmassen bewegt werden. Drei Caterpillars,<br />
erzählt Reitzle, seien zwei Jahre lang gefahren. Die insgesamt<br />
sieben Hektar Weinberge wurden außer mit Sangiovese vor<br />
allem mit den aus Bordeaux stammenden Sorten bestockt, die<br />
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