136_Ausgabe November 2014
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
trotz der von den Medien inszenierten Feierlaune<br />
25 Jahre nach dem Mauerfall beherrschen<br />
seit Monaten erschütternde<br />
Nachrichten und Filmberichte die öffentliche<br />
Wahrnehmung - zerbombte Trümmerwüsten<br />
im Gazastreifen, in Syrien, dem Irak, Afghanistan,<br />
Libyen, in Afrika und anderswo, Seuchen,<br />
Hungersnöte und nun auch Aufrüstung<br />
und militärische Kräftespiele in Europa und<br />
Migrantenströme aus den Krisengebieten.<br />
Selbst vor unserer Haustür entdecken die<br />
Journalisten Drogensucht, Betriebsstilllegungen,<br />
Kinderarmut, Grenzkriminalität, alles mit<br />
steigender Tendenz. Und da haben manche<br />
Mitbürger, wie in der Tagespresse zu lesen<br />
ist, in ihren spontanen facebook-Plappereien<br />
nichts anderes im Sinn als buntbemalte Flächen<br />
an Bauten im Stadtzentrum. Die oft<br />
beschworene „bunte Republik“, nun soll sie<br />
den Jakobstunnel erreichen. 20 Jahre lang<br />
haben sich unsere Bunten nicht über den<br />
Dreck an dieser Stelle (darunter noch heute<br />
lesbare Morddrohungen) aufgeregt. An<br />
der Freitreppe dahinter ist innerhalb weniger<br />
Monate dreimal der großflächige Farbenmüll<br />
entfernt worden, nun ist dort nach Wochen<br />
neuer zu sehen. Für manche selbstgerechten<br />
Zeitgenossen ist eine Stadt erst dann, wie<br />
oben gewünscht, „im Westen angekommen“,<br />
also amerikanisiert, wenn sie mit den fast<br />
weltweit anzutreffenden Schandmalen fernwestlicher<br />
Subkultur ausgestattet ist. Nichts<br />
ist davor sicher, Kirchen, Wohnhäuser, Schulen,<br />
Brücken, Bahnanlagen, Jugendtreffs. Die<br />
Bahnverwaltung ist gegen einen „durchgebunteten“<br />
Jakobstunnel. Gut, aber 20 Jahre<br />
lang hat sie nichts unternommen, die Verunreinigungen<br />
dort und anderswo an Bahnanlagen<br />
zu entfernen. Mehr Farbe soll in die<br />
Wohngebiete. In Weinhübel und Königshufen<br />
haben sich die Wohnungsgesellschaften bei<br />
den Sanierungen mit Erfolg darum bemüht<br />
- freundliche Farbtöne an Fassaden und Balkons,<br />
geschmackvoll (und teuer). In Berlin<br />
am Savignyplatz und in Potsdam neben der<br />
Nikolaikirche sah ich Schaltkästen der Energieunternehmen,<br />
täuschend echt bemalt mit<br />
Sträuchern, aber von Leuten, die das gelernt<br />
haben und können und im Auftrag der Eigentümer<br />
handeln. Wilde Aktionen, als Jugendförderung<br />
ausgegeben, zerstören das<br />
Stadtbild und den Ruf der Stadt als Touristenmagnet.<br />
Verwaltungen, Hauseigentümer<br />
und Ordnungshüter müssen hart bleiben.<br />
Auch Betonflächen, heute oft verbunden mit<br />
Stahl und Glas, sind Gestaltungselemente<br />
der Architektur, also Baukunst, die nicht unbedarften<br />
Farbchaoten ausgeliefert werden<br />
darf. Mit so etwas muss man sich nun herumärgern,<br />
als gäbe es nicht auf der Welt und<br />
hierzulande genug Ängste und Sorgen anderer<br />
Größenordnung. Zwei Weltkriege haben<br />
unsere Bauwerke weitgehend verschont. Man<br />
muss darüber reden, 100 und 75 Jahre nach<br />
den „Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts“.<br />
Das bewegt Ihren Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
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