136_Ausgabe November 2014
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Foto: Hochmuth
Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
trotz der von den Medien inszenierten Feierlaune<br />
25 Jahre nach dem Mauerfall beherrschen<br />
seit Monaten erschütternde<br />
Nachrichten und Filmberichte die öffentliche<br />
Wahrnehmung - zerbombte Trümmerwüsten<br />
im Gazastreifen, in Syrien, dem Irak, Afghanistan,<br />
Libyen, in Afrika und anderswo, Seuchen,<br />
Hungersnöte und nun auch Aufrüstung<br />
und militärische Kräftespiele in Europa und<br />
Migrantenströme aus den Krisengebieten.<br />
Selbst vor unserer Haustür entdecken die<br />
Journalisten Drogensucht, Betriebsstilllegungen,<br />
Kinderarmut, Grenzkriminalität, alles mit<br />
steigender Tendenz. Und da haben manche<br />
Mitbürger, wie in der Tagespresse zu lesen<br />
ist, in ihren spontanen facebook-Plappereien<br />
nichts anderes im Sinn als buntbemalte Flächen<br />
an Bauten im Stadtzentrum. Die oft<br />
beschworene „bunte Republik“, nun soll sie<br />
den Jakobstunnel erreichen. 20 Jahre lang<br />
haben sich unsere Bunten nicht über den<br />
Dreck an dieser Stelle (darunter noch heute<br />
lesbare Morddrohungen) aufgeregt. An<br />
der Freitreppe dahinter ist innerhalb weniger<br />
Monate dreimal der großflächige Farbenmüll<br />
entfernt worden, nun ist dort nach Wochen<br />
neuer zu sehen. Für manche selbstgerechten<br />
Zeitgenossen ist eine Stadt erst dann, wie<br />
oben gewünscht, „im Westen angekommen“,<br />
also amerikanisiert, wenn sie mit den fast<br />
weltweit anzutreffenden Schandmalen fernwestlicher<br />
Subkultur ausgestattet ist. Nichts<br />
ist davor sicher, Kirchen, Wohnhäuser, Schulen,<br />
Brücken, Bahnanlagen, Jugendtreffs. Die<br />
Bahnverwaltung ist gegen einen „durchgebunteten“<br />
Jakobstunnel. Gut, aber 20 Jahre<br />
lang hat sie nichts unternommen, die Verunreinigungen<br />
dort und anderswo an Bahnanlagen<br />
zu entfernen. Mehr Farbe soll in die<br />
Wohngebiete. In Weinhübel und Königshufen<br />
haben sich die Wohnungsgesellschaften bei<br />
den Sanierungen mit Erfolg darum bemüht<br />
- freundliche Farbtöne an Fassaden und Balkons,<br />
geschmackvoll (und teuer). In Berlin<br />
am Savignyplatz und in Potsdam neben der<br />
Nikolaikirche sah ich Schaltkästen der Energieunternehmen,<br />
täuschend echt bemalt mit<br />
Sträuchern, aber von Leuten, die das gelernt<br />
haben und können und im Auftrag der Eigentümer<br />
handeln. Wilde Aktionen, als Jugendförderung<br />
ausgegeben, zerstören das<br />
Stadtbild und den Ruf der Stadt als Touristenmagnet.<br />
Verwaltungen, Hauseigentümer<br />
und Ordnungshüter müssen hart bleiben.<br />
Auch Betonflächen, heute oft verbunden mit<br />
Stahl und Glas, sind Gestaltungselemente<br />
der Architektur, also Baukunst, die nicht unbedarften<br />
Farbchaoten ausgeliefert werden<br />
darf. Mit so etwas muss man sich nun herumärgern,<br />
als gäbe es nicht auf der Welt und<br />
hierzulande genug Ängste und Sorgen anderer<br />
Größenordnung. Zwei Weltkriege haben<br />
unsere Bauwerke weitgehend verschont. Man<br />
muss darüber reden, 100 und 75 Jahre nach<br />
den „Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts“.<br />
Das bewegt Ihren Ernst Kretzschmar<br />
anzeige<br />
Einleitung<br />
3
Erinnerungskultur<br />
Die Toten und die Lebenden –<br />
Einweihung des Kriegerehrenmals mit Oberbürgermeister Snay, 1926<br />
Nach mehreren Kriegsjahren war der Siegestaumel<br />
von 1914 auch in Görlitz verflogen.<br />
Viele Familien hatten nun an den<br />
Fronten gefallene Angehörige zu beklagen<br />
(am Ende 2278 Mann). Von Jahr zu Jahr<br />
verschlimmerte sich die Versorgung mit Lebensmitteln<br />
und Brennstoffen. Der „Kohlrübenwinter“<br />
1917 und die Hungerstreiks in<br />
den Großbetrieben 1918 waren deutliche<br />
Warnzeichen. Aber noch mahnten Schullehrer,<br />
darunter nochmals aktivierte Veteranen<br />
von 1870/71, und evangelische Pastoren,<br />
kaisertreue Journalisten und fromme<br />
Krankenschwestern zu Opferbereitschaft,<br />
Zuversicht und Gottvertrauen. Galt doch<br />
für die evangelischen Christen die Verbindung<br />
von Monarchie und Kirche („Thron<br />
und Altar“) als eine zuverlässige Klammer<br />
anzeige<br />
4<br />
Geschichte
Görlitzer Erinnerungskultur nach 1918<br />
Grünanlagen am Ehrenmal, um 1930<br />
der Vorkriegsgesellschaft. Die <strong>November</strong>revolution<br />
1918 und der Raubfriedensvertrag<br />
von Versailles 1919 erschütterten<br />
das gesellschaftliche Gefüge und führten<br />
politische und wirtschaftliche Veränderungen<br />
herbei. Die ersten Jahre der jungen<br />
Weimarer Republik waren opferreich und<br />
zeitweise chaotisch. Die Deutschen mußten<br />
Aufstände (Spartakusunruhen 1918 in<br />
Berlin, Bremer und Münchener Räterepublik<br />
1919, Kapp-Putsch 1920, Hitler-Putsch<br />
und Hamburger Aufstand 1923), Reparationslasten,<br />
Ruhrbesetzung und Inflation<br />
verkraften. Erst zwischen 1924 und 1929<br />
gab es eine kurzzeitige Stabilisierung, die<br />
sich auch in der Wahl Paul von Hindenburgs<br />
zum Reichspräsidenten äußerte.<br />
Trotz allem waren Menschen aller Gesell-<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
5
Erinnerungskultur<br />
Die Toten und die Lebenden –<br />
Aula Gymnasium Augustum, Erinnerungstafel, um 1930<br />
schaftsschichten in Stadt und<br />
Land darum bemüht, das<br />
Andenken ihrer an den Fronten<br />
Gefallenen oder in den<br />
Lazaretten Verstorbenen im<br />
öffentlichen Gedächnis getreulich<br />
zu bewahren. Das wurde<br />
auch in Stadt und Kreis Görlitz<br />
überzeugend sichtbar. Moralische<br />
Motive waren christliche<br />
Nächstenliebe, menschlicher<br />
Anstand, aufrichtige Trauer<br />
und auch die Sorge um den<br />
Fortbestand der Familien, der<br />
Heimat und des Vaterlandes.<br />
So unterschiedlich die Auffassungen<br />
über Ursachen und<br />
Nutznießer des Völkermordens<br />
auch sein mochten, gab<br />
es damals im Gegensatz zu<br />
heute keine selbstgerechten<br />
Vergangenheitsbewältiger, die<br />
das Andenken der Gefallenen<br />
aus dem eigenen Volk mit<br />
nachträglichen Schuldzuweisungen<br />
besudeln („Täter sind<br />
keine Opfer“).<br />
anzeige<br />
6<br />
Geschichte
Görlitzer Erinnerungskultur nach 1918<br />
In Görlitz gab es schon 1920<br />
den Plan, in der Stadt ein<br />
würdiges Denkmal für alle im<br />
Kriege gefallenen Mitbürger<br />
zu schaffen. Erste Sammlungen<br />
erbrachten beachtliche<br />
Mittel, die leider der Inflation<br />
zum Opfer fielen. Ein zweiter<br />
Versuch, die Baukosten durch<br />
Spenden aufzubringen, erwies<br />
sich als schwierig; etliche<br />
Leute, Jüngere oder Neureiche,<br />
wollten nicht mehr an<br />
den Krieg erinnert werden<br />
und lieber die kurzlebigen<br />
Vergnügungen der „Goldenen<br />
Zwanziger“ genießen.<br />
Erst 1926, inzwischen war der<br />
Volksbund für Kriegsgräberfürsorge<br />
entstanden, konnten<br />
in kurzen Abständen in Görlitz<br />
und Umgebung etliche Denkmalanlagen<br />
eingeweiht werden.<br />
Am letzten Maisonntag<br />
erlebte das zentrale Denkmal<br />
auf dem Städtischen Friedhof<br />
seine Einweihung bei starker Gefallenentafel im Offiziershaus am Friedrichsplatz, um 1930 7<br />
anzeige<br />
Geschichte
Erinnerungskultur<br />
Die Toten und die Lebenden –<br />
Kleist-Stele Trotzendorfstraße, eingeweiht 1926<br />
Teilnahme der Bevölkerung und der Traditionsverbände.<br />
Das Bauwerk aus einheimischem<br />
Granit entwarfen die Architekten<br />
Kreidel und Pantke, die Ausführung lag<br />
bei den Firmen Maiwald und Däunert. In<br />
Ansprachen würdigten Pastor Horst, Erzpriester<br />
Brückner und Rabbiner Dr. Katten<br />
das Opfer der für das Vaterland Gefallenen.<br />
Oberbürgermeister Snay übernahm<br />
die Anlage in die Obhut der Stadt mit dem<br />
Versprechen, das Andenken der Söhne der<br />
Stadt „zu hegen und zu pflegen, wie es ihrer<br />
und der rechten Liebe zum Vaterland<br />
würdig“ sei. Bald darauf, im September<br />
1926, wurde im Zentrum von Görlitz-West<br />
(Rauschwalde) unter reger Anteilnahme<br />
der Einwohner ein Obelisk mit den Namen<br />
der Gefallenen dieses Ortsteils (1914 noch<br />
anzeige<br />
8<br />
Geschichte
Görlitzer Erinnerungskultur nach 1918<br />
Jüdischer Friedhof, Familiengrab mit Gedenken an den 1916 gefallenen Sohn<br />
Vorort) eingeweiht. Ähnliche Gedenkstätten<br />
wurden auch in den Vororten Moys<br />
und Posottendorf-Leschwitz (später Weinhübel)<br />
in der Nähe der Kirchen geschaffen.<br />
Anfang Juli trafen sich an der Trotzendorfstraße<br />
in der Oststadt gegenüber der<br />
alten Kaserne die Veteranen des früheren<br />
Infanterie-Regiments Nr. 5 „Graf Kleist von<br />
Nollendorf“, ehemals Posen, dessen Tradition<br />
nun von einer Kompanie der hiesigen<br />
Reichswehrgarnison gepflegt wurde. Eine<br />
Stele auf Granitsockel trug vorn eine Texttafel<br />
und auf der Rückseite ein Porträtrelief<br />
Friedrichs des Großen, durch den einst das<br />
Regiment gegründet worden war. (Wenig<br />
später wurden auch Straße und neue Kaserne<br />
in unmittelbarer Nähe nach Kleist benannt.)<br />
In den Weihereden tauchten einige<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
9
Erinnerungskultur<br />
Die Toten und die Lebenden –<br />
Weltkriegsaustellung 1932<br />
Gedanken immer wieder auf: Achtung vor<br />
dem Opfer der Gefallenen, die Mahnung<br />
zum gemeinsamen Handeln beim Wiederaufbau<br />
Deutschlands ungeachtet parteipolitischer<br />
und sozialer Unterschiede und das<br />
Versprechen, den Kriegsversehrten, den<br />
Witwen und Waisen hilfreich zur Seite zu<br />
stehen.<br />
In vielen Landgemeinden wurden in den<br />
Ortszentren oder auf den Kirchhöfen Gedenksteine<br />
mit den Namen der Gefallenen<br />
aus dem Ort errichtet. Gedenktafeln kamen<br />
in die Aula des Gymnasium Augustum<br />
Klosterplatz, in die Aula des Reform-Realgymnasiums<br />
und der Oberrealschule<br />
Seydewitzstraße/Lessingstraße, in das Rathaus<br />
und in das Offiziershaus am Friedrichsplatz.<br />
Auch in der Synagoge Otto-<br />
Müller-Straße sah man eine Gedenktafel<br />
mit den Namen der gefallenen Gemeindemitglieder.<br />
Auf vielen Familiengrabstätten<br />
wurden die Namen der Gefallenen<br />
genannt und mit einem Hinweis auf den<br />
Todesort auf dem Schlachtfeld oder im<br />
Lazarett versehen. Ein Höhepunkt dieser<br />
vielgestaltigen Erinnerungskultur war die<br />
Umgestaltung der evangelischen Nikolaikirche<br />
zu einer zentralen Gedenkhalle für<br />
die evangelischen Gefallenen. Anstelle der<br />
anzeige<br />
10<br />
Geschichte
Görlitzer Erinnerungskultur nach 1918<br />
Jugendherberge Moys, Otto Engelhardt-Kyffhäuser mit seinem Wandbild „Haltet das Erreichte“, 1939<br />
nun entfernten barocken Holzdecke entstanden<br />
schlanke expressionistische Pfeiler<br />
und künstliche Wölbungen in zeittypischen<br />
Farben (Silbergrau, Rotbraun) nach<br />
Entwürfen von Professor Martin Elsässer,<br />
Frankfurt/Main, Zwei metallene Figuren<br />
(eine trauernde Mutter, ein Krieger mit gesenktem<br />
Schwert) bekrönten die Empore.<br />
An den Seitenwänden und der Empore waren<br />
die Namen und in kleinerer Schrift die<br />
Truppenteile und Dienstgrade der Gefallenen<br />
vermerkt.<br />
Daneben gab es auch einen betont kritischen<br />
Umgang mit dem Erbe des Krieges.<br />
Kommunisten und Pazifisten begingen alljährlich<br />
den 1. August, den Tag des Kriegsbeginns,<br />
als Antikriegstag. Der junge Maler<br />
und Grafiker Johannes Wüsten, Kriegsteil-<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
11
Erinnerungskultur<br />
Die Toten und die Lebenden –<br />
Neunzehner-Stele beim Ständehaus, 1938<br />
nehmer an der West- und Ostfront, verarbeitete<br />
seine Kriegserlebnisse im Gefecht<br />
und im Lazarett als Mitglied der Hamburgischen<br />
Sezession in den ersten Nachkriegsjahren<br />
(vor seiner Rückkehr nach Görlitz) in<br />
anklagenden expressionistischen Bildern,<br />
die auch dort in Ausstellungen zu sehen<br />
waren und nach 1933 als „entartete Kunst“<br />
eingestuft und „entsorgt“ wurden. Der Görlitzer<br />
Rechtsanwalt und Dichter Paul Mühsam<br />
entwarf 1919 in seiner Dichtung „Aus<br />
dem Schicksalsbuch der Menschheit“ ein<br />
wortgewaltiges und bildkräftiges Kriegspanorama,<br />
geeignet und genutzt für große<br />
Antikriegsversammlungen.<br />
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten<br />
wurde propagandistisch<br />
zielgerichtet das Andenken der Kriegstoten<br />
nochmals beschworen.<br />
Der Görlitzer Kunsterzieher, Maler und<br />
Grafiker Otto Engelhardt-Kyffhäuser stellte<br />
1933 seine Skizzen und Gemälde als Frontsoldat<br />
zu der Wanderausstellung „Vorn“ zusammen.<br />
1935 erschien dazu im Görlitzer<br />
Verlag Starke ein Bild-Text-Band mit einer<br />
beigefügten Bildmappe für Raumdekorationen.<br />
1935 wurde unter starker Teilnahme<br />
von Militär und NS-Organisationen in der<br />
„Ruhmeshalle“ eine ständige Ausstellung<br />
anzeige<br />
12<br />
Geschichte
Görlitzer Erinnerungskultur nach 1918<br />
mit vielfältigen Erinnerungsstücken<br />
des ehemaligen Garnison-Regiments<br />
Nr. 19 eröffnet.<br />
Und 1938 folgte schließlich die<br />
Errichtung der Gedenkstele am<br />
Ständehaus anläßlich des 125.<br />
Regimentsjubiläums. Noch<br />
nicht ein Jahr später begann<br />
der II. Weltkrieg. Er endete<br />
mit einer weitaus schrecklicheren<br />
Bilanz als 1918.<br />
Der Toten beider Weltkriege<br />
gedenken wir wie alljährlich<br />
am Volkstrauertag, dem 16.<br />
<strong>November</strong>, 11 Uhr, vor jener<br />
Stele am Ständehaus. Neue<br />
Kriege in verschiedenen Regionen<br />
der Welt machen es<br />
zwingend notwendig, auf die<br />
schmerzlichen Lehren von zwei<br />
Weltkriegen zu verweisen. Wir<br />
letzten Überlebenden der Erlebnisgeneration,<br />
damals die<br />
Kriegskinder, haben das Recht<br />
und die Pflicht zu sagen: Es ist<br />
nun genug!<br />
Dr. Ernst Kretzschmar Johannes Wüsten: „Invalide“, Gemälde 1919<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
13
Ausstellung<br />
Pfefferkuchen. Eine Reise der Sinne…<br />
Pfefferkuchen – Eine Reise der Sinne<br />
durch Schlesien, die Oberlausitz<br />
und 900 Jahre Esskultur in Mitteleuropa<br />
Pfefferkuchen, Lebkuchen, Honigkuchen<br />
– die süßen, stark gewürzten und<br />
lange haltbaren Gebäcke erfreuen sich<br />
nicht nur zur Weihnachtszeit großer Beliebtheit.<br />
Auch zu anderen Festtagen, zu<br />
Kirmes und Jahrmarkt oder zu feierlichen<br />
Ereignissen im Lebenslauf gehören<br />
sie dazu. In ganz Mitteleuropa sind sie<br />
seit Jahrhunderten in vielen Variationen<br />
bekannt. Das Schlesische Museum zu<br />
Görlitz lädt mit seiner neuen Sonderausstellung<br />
dazu ein, die Geschichte<br />
des köstlichen und einst so bedeutungsvollen<br />
Gebäcks in Schlesien und in der<br />
Oberlausitz kennenzulernen.<br />
Schlesien blickt auf eine fast 900jährige<br />
Tradition des Pfefferküchlerhandwerks<br />
zurück. Die erste schriftliche Erwähnung<br />
eines Lebkuchenbäckers findet man in<br />
Schweidnitz. Auch aus zahlreichen anderen<br />
schlesischen Städten an den alten<br />
Handelsrouten, darunter Breslau,<br />
Oppeln, Jauer oder Ratibor, ist die Pfefferküchlerei<br />
überliefert. Spezialitäten<br />
wie „Liegnitzer Bomben“ und „Neisser<br />
Konfekt“ sind bis heute in aller Munde.<br />
Die ältesten Zeugnisse der Pfefferküchlerei<br />
im heutigen Sachsen stammen aus<br />
Görlitz. Überregional bekannt sind die<br />
Pulsnitzer Pfefferkuchen, die der Stadt<br />
den Beinamen „Pfefferkuchenstadt“<br />
eingebracht haben. Weltweit einmalig,<br />
kann man hier den Beruf des Pfefferküchlers<br />
noch heute als Lehrberuf erlernen.<br />
In Weißenberg bei Bautzen befindet<br />
sich die älteste und einzige in ihrer<br />
ursprünglichen Form erhaltene Pfefferküchlerei<br />
in Europa. Diese wird heute<br />
als Museum betrieben und ermöglicht<br />
den Besuchern einen Einblick in dieses<br />
traditionelle Handwerk.<br />
Aber: Wie kommt der Pfeffer in den Kuchen?<br />
Was unterscheidet den Pfefferküchler<br />
vom Bäcker? Wo genießt man<br />
welche Spezialität? Woher kommen die<br />
Pfeffersäcke? Und wer hat der Hexe<br />
anzeige<br />
14<br />
Ausstellung
Ausstellung im Schlesischen Museum<br />
Pfefferkuchen nach historischen Modeln des Muzeum Regionalne w Jaworze (Regionalmuseum Jauer) aus dem<br />
19. Jahrhundert, ausgeformt von Pfefferküchler Marcin Goetz in Trzcińsko bei Jelenia Góra/Hirschberg <strong>2014</strong>.<br />
Foto: SMG<br />
anzeige<br />
Ausstellung<br />
15
Ausstellung<br />
Pfefferkuchen. Eine Reise der Sinne…<br />
Zweiteiliges klappbares Model für 15 vollplastische menschliche Figuren, 18./19. Jahrhundert; Leihgabe des Muzeum<br />
Etnograficzne we Wrocławiu. Foto: Muzeum Etnograficzne<br />
das Pfefferkuchenhaus gebaut? Diese<br />
und andere Fragen rund um den Pfefferkuchen<br />
möchten die Ausstellung und<br />
mehrere Veranstaltungen beantworten.<br />
Neben der Kulturgeschichte des Pfefferkuchens<br />
stehen besonders die Zutaten<br />
und die Produktion des würzigen Gebäcks<br />
sowie die regionalen Besonderheiten<br />
im Mittelpunkt.<br />
Die vom Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott<br />
erarbeitete Ausstellung<br />
wurde erst durch zahlreiche<br />
Leihgaben des Stadt- und Pfefferkuchenmuseums<br />
Pulsnitz, des Museums „Alte<br />
Pfefferküchlerei“ in Weißenberg und des<br />
Muzeum Etnograficzne we Wrocławiu<br />
(Ethnografisches Museum Breslau) möglich.<br />
Die Präsentation im Schlesischen<br />
Museum zu Görlitz will mit Objekten aus<br />
dem eigenen Bestand den Blick stärker<br />
auf Schlesien richten. So ist erstmals<br />
das Innungsbuch der Bäckerzunft von<br />
Glogau von 1581-1705 zu sehen, worin<br />
1597 der Verkauf von Pfefferkuchen<br />
erwähnt wird. Neben diesem Dokument<br />
anzeige<br />
16<br />
Ausstellung
Ausstellung im Schlesischen Museum<br />
für die handwerkliche Fertigung<br />
von Pfefferkuchen<br />
illustrieren zahlreiche historische<br />
Fotos aus der Honigkuchenfabrik<br />
von Franz<br />
Sobtzick in Ratibor aus dem<br />
Jahr 1899 und andere Objekte<br />
die industrielle Produktion.<br />
Auch heute wird<br />
in Schlesien noch Pfefferkuchen<br />
hergestellt, wie die<br />
Beispiele aus verschiedenen<br />
Werkstätten belegen. Und<br />
zum guten Schluss können<br />
die Besucher natürlich auch<br />
schlesischen Pfefferkuchen<br />
mit nach Hause nehmen.<br />
Martin Kügler<br />
Aushängeschild der „Gesellschaft der Pfefferküchler“ in Breslau, 1. Hälfte<br />
19. Jahrhundert, Leihgabe des Muzeum Etnograficzne we Wrocławiu.<br />
Foto: Muzeum Etnograficzne<br />
Ausstellung vom<br />
29.11.<strong>2014</strong> bis 1.3.2015<br />
Schlesisches Museum zu Görlitz<br />
Brüderstraße 8, Schönhof<br />
02826 Görlitz<br />
Öffnungszeiten:<br />
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis<br />
17.00 Uhr,<br />
vom 2.1. bis 29.3.2015 jeweils bis<br />
16.00 Uhr<br />
anzeige<br />
Ausstellung<br />
17
Neu im Görlitzer Stadtzentrum –<br />
Wer im Zentrum der Stadt Görlitz wohnt,<br />
der erlebt dort vornehmlich in den Sommermonaten<br />
Straßenmusikanten, die sich<br />
mit Gesang oder Instrumentalmusik den<br />
Einheimischen und Gästen vorstellen. Sie<br />
kommen aus der näheren Umgebung und<br />
sind mit ihren ewig gleichen Musiktiteln<br />
lange bekannt, werden kaum noch beachtet.<br />
Mitunter hört man Abiturienten,<br />
die für den Abiball sammeln und neben<br />
der Strassburg-Passage mit Schlagzeug<br />
und Gitarre ein Ständchen improvisieren.<br />
Südamerikanische Familien mit Kindern<br />
singen mit kräftigen Stimmen die Lieder<br />
ihrer Heimat. Mitglieder hochrangiger<br />
russischer philharmonischer Orchester<br />
hörte man in höchster Qualität in deren<br />
Sommerpausen unter den Arkaden des<br />
Kaufhauses musizieren. Vor 80 Jahren<br />
und auch noch etwas später waren in den<br />
größeren Städten die „Leierkastenmänner“<br />
unterwegs auf Straßen, Plätzen und<br />
Haushöfen, zwischen Geschäftszentren<br />
und Arme-Leute-Vierteln. Sie spielten beliebte<br />
Melodien aus Operetten, Tonfilmen<br />
oder Kabaretts. Die Anwohner, damals<br />
noch oft ohne eigene Radios und dankbar<br />
Pierre Pilz auf dem Untermarkt, <strong>2014</strong><br />
für die Abwechslung, warfen in Zeitungspapier<br />
eingewickelte Groschen aus ihren<br />
Fenstern hinunter. Die Kinder, die sich in<br />
anzeige<br />
18<br />
Geschichte
Görlitzer<br />
Pierre mit seiner Drehorgel<br />
Stadtzentrum<br />
großer Zahl um den Spieler versammelt<br />
und sogar ein Tänzchen versucht hatten,<br />
halfen nun beim Einsammeln der Spenden.<br />
Manchmal saß ein Äffchen auf dem Kasten,<br />
und das brachte den kleinen Zuhörern<br />
zusätzlich Freude ins alltägliche Einerlei.<br />
Das galt nicht nur für Berlin, wo<br />
Heinrich Zille diese Szenen zeichnete, Kurt<br />
Tucholsky bedichtete und Claire Waldoff<br />
besang. Auch in Görlitz mit seinen damals<br />
fast 100000 Einwohnern kannte und liebte<br />
man das. Ein hiesiger Spieler durfte<br />
sich 1937 sogar im Görlitzer Sender produzieren<br />
und für die Presse fotografieren<br />
lassen. Als die Städtischen Kunstsammlungen<br />
1979 in ihrem Haus Neißstraße<br />
30 eine Sonderausstellung über Görlitz in<br />
den 1920er Jahren zeigten, erklang auf<br />
der museumseigenen Drehorgel sogar<br />
der populäre Mackie-Messer-Song, natürlich<br />
mit Gesang. Beim Muschelminna-Fest<br />
2008 erlebte man das Rentner-Ehepaar<br />
Eichhorn, kurz zuvor aus Hessen zugezogen,<br />
mit ihrem hörens- und sehenswerten<br />
Gerät. Gelegentlich kamen auch Spieler<br />
von auswärts zu kurzen Auftritten.<br />
Seit diesem Jahr nun begegnen wir zwischen<br />
dem Café Central, Berliner Straße,<br />
und der Brüderstraße an den Wochenenden<br />
einem neuen Gesicht und einer funktionstüchtigen<br />
Drehorgel. Bis hinauf zu den<br />
Wohnungsfenstern hörte man vertraute<br />
alte Melodien: „Wenn die Elisabeth nicht<br />
so schöne Beine hätt“, „Ich hab das Frollein<br />
Helen baden sehn…“, „Berliner Luft“<br />
und den „Sportpalastwalzer“, dann auch<br />
Titel aus jüngerer Vergangenheit wie:<br />
„Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling“<br />
oder vom Jubilar Udo Jürgens „Griechischer<br />
Wein“, „Siebzehn Jahr, blondes<br />
Haar“ und „Mit 66 Jahren, da fängt das<br />
Leben an“. Bei manchem miesepetrigen<br />
Passanten rutschen dann die nach unten<br />
gezogenen Mundwinkel kurz nach oben.<br />
Der Spieler mit dem runden Strohhut, früher<br />
Kreissäge genannt, und dem blauen<br />
Anzug mit Weste ist 22 Jahre alt. Pierre Pilz<br />
wurde in Weißwasser geboren und ging<br />
dort zur Schule. Seine Eltern bekamen<br />
dann in und bei Görlitz interessante Arbeitsmöglichkeiten,<br />
der Vater als Keramik-<br />
Ausbilder im „Lebenshof“, die Mutter in<br />
der christlichen Jugendarbeit. Pierre sang<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
19
Neu im Görlitzer Stadtzentrum –<br />
Muschelminnafest 2008, Drehorgelspieler Eichhorn<br />
schon als Kind gern. Zugleich interessierte<br />
er sich für technische Geheimnisse, etwa<br />
das Laufwerk alter Uhren und dann eben<br />
auch Drehorgeln. Ein Treffen von Drehorgelspielern<br />
in Berlin begeisterte ihn. Über<br />
den Internethandel ließ sich eine defekte<br />
Drehorgel aus Lübeck günstig erwerben.<br />
In Hirschfelde fand sich ein Orgelbauer,<br />
der die Schäden beheben konnte. In diesem<br />
Jahr nun traute er sich auf die Görlitzer<br />
Straßen, an jedem Standort nur eine<br />
halbe Stunde. Pierre ist als Hilfsarbeiter<br />
in der hiesigen Hochschulbibliothek tätig.<br />
Als Mitglied des Musikschulensembles<br />
„Die Liederlichen“ findet er eine weitere<br />
Gelegenheit zum gemeinsamen Singen.<br />
Das Drehorgelspielen bereitet ihm Spaß,<br />
er sieht es für sich nicht als Gewerbe. Einladungen<br />
zum Vorspielen hatte er schon<br />
zum 160. Jubiläum des Ständehauses,<br />
zur Kaffeestunde in der Seniorenresidenz<br />
Bahnhofstraße, zum Männertag im Altenund<br />
Pflegeheim Krölstraße und zur Ausstellungseröffnung<br />
im Fotomuseum. Für<br />
weitere Gastauftritte böten sich an: Sommerfeste<br />
in Kleingartenkolonien, Familienfeiern<br />
wie Goldene Hochzeiten, Kindergeburtstage,<br />
Geschäftseröffnungen und<br />
regionale Volksfeste. Diese seinerzeit beliebte<br />
Form volkstümlicher Unterhaltung<br />
anzeige<br />
20<br />
Geschichte
Görlitzer<br />
Pierre mit seiner Drehorgel<br />
Stadtzentrum<br />
paßt in diese Stadt mit ihren jahrhundertalten<br />
Bauwerken. Pierre könnte sich<br />
sogar ein Drehorgelfest mit bundesweiter<br />
Beteiligung in Görlitz vorstellen, es fehlen<br />
nur noch Organisatoren und Sponsoren.<br />
Pierres persönliche Leidenschaft für das<br />
Drehorgelspiel war zugleich ein Glücksfall<br />
für das volkstümliche Görlitzer Kulturangebot.<br />
Welch ein Zufall! Dafür verdient er<br />
Dank und Ermutigung. Humorlose Anwohner<br />
und Geschäftsleute wollten ihn schon<br />
wegen Lärmbelästigung verscheuchen.<br />
Typisch Görlitz? Hoffentlich nicht, denn<br />
damit stellen wir unserer Stadt kein gutes<br />
Zeugnis aus. Touristen und auch ehemalige<br />
Görlitzer, die zu Wiedersehenstreffen<br />
hier sind, sehen das sowieso anders. Wie<br />
sang man doch früher? „Lieber Leierkastenmann,<br />
fang noch mal von vorne an!“<br />
Unser neuer und noch junger Straßenmusikant,<br />
der vielleicht einmal zu einem<br />
Görlitzer Original werden könnte, hat<br />
freundlicherweise seine Telefonnummer<br />
verraten; sie lautet 766581.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
Pierres Ständchen für die Muschelminna <strong>2014</strong><br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
21
Ratsarchivar<br />
480 Jahre Archivflügel mit Verweis auf<br />
Der Innenhof des Rathauses<br />
Wohl kaum eine Persönlichkeit findet<br />
im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte<br />
der prächtigen Görlitzer<br />
Frührenaissancearchitektur mehr<br />
und zu Recht Würdigung als der städtische<br />
Werkmeister Wendel Roskopf. Allerdings<br />
umfloren noch zahlreiche Rätsel<br />
seine Vita. Bis heute herrscht unter<br />
Kunsthistorikern große Unsicherheit<br />
darüber, welche Bauten in Böhmen,<br />
Schlesien und selbst an seiner wichtigsten<br />
Wirkungsstätte, im oberlausitzi-<br />
anzeige<br />
22<br />
Geschichte
Ratsarchivar<br />
465. Todestag Wendel Roskopf<br />
Werkmeisterzeichen von Wendel Roskopf<br />
schen Görlitz, tatsächlich von ihm geschaffen<br />
wurden. So ist beispielsweise<br />
quellenkundlich nicht zu belegen, dass<br />
er das wohl prächtigste Görlitzer Renaissancegebäude,<br />
den Schönhof, errichtete.<br />
Selbst der Ort seiner Geburt<br />
ist ungewiss. Rosskopf wurde wohl zwischen<br />
1480 und 1490 geboren. Belegt<br />
ist, dass er in Prag bei dem königlichen<br />
Werkmeister Benedikt Ried sein Handwerk<br />
erlernte und dort die modernen<br />
Architekturformen der Renaissance<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
23
Ratsarchivar<br />
480 Jahre Archivflügel mit Verweis auf<br />
sein Interesse fanden. Erstmals erwähnt<br />
wird er im Jahre 1518 in einer<br />
Urkunde des Annaberger Hüttentages<br />
als „Meister Wencell Roßkopff zu gorlicz<br />
vnnd in der schlesinn.“ Er muss in<br />
jenem Jahre bereits sehr einflussreich<br />
und auch in Görlitz tätig gewesen sein.<br />
Seit 1516 lag der Görlitzer Werkmeister<br />
Jacob Horn mit den Kirchvätern wegen<br />
der Höhe seines Lohnes für Bauarbeiten<br />
an der Nikolaikirche im Zwist und<br />
quittierte sein Amt. Es spricht viel dafür,<br />
das Roßkopf bereits im Jahre 1517<br />
sein Nachfolger wurde. Zu Beginn des<br />
Jahres 1519 verehelichte er sich mit<br />
der Witwe des bedeutenden und einflussreichen<br />
Görlitzer Baumeisters Albrecht<br />
Stieglitz. Seine Frau brachte<br />
neben wichtigen Kontakten und verwandtschaftlichen<br />
Beziehungen den<br />
Brauhof Rosentraße 5 und zwei noch<br />
unmündige Kinder mit in die Ehe ein.<br />
Im Jahre 1520 erwarb er das Bürgerrecht.<br />
Der Rat erließ ihm aber die fällige<br />
Gebühr, ein sicheres Indiz dafür,<br />
dass er in fest städtischen Diensten<br />
stand. Bereits 1523 fand man ihn unter<br />
den Mitgliedern des Ratskollegiums,<br />
dem er mit kurzen Unterbrechungen<br />
bis zum Jahre 1546 angehörte. In den<br />
Steuerregistern des Jahres 1528 betrug<br />
sein Vermögen 1532 Mark Groschen.<br />
Im Jahre 1533 heiratete er eine Enkelin<br />
Georg Emmerichs. Eine Tochter heiratete<br />
den bedeutenden Formenschneider<br />
Georg Scharffenberg, dem wir die<br />
erste Stadtansicht aus dem Jahre 1565<br />
verdanken. So gehörte er nach relativ<br />
kurzer Zeit zu den vermögendsten und<br />
politisch einflussreichsten Bürgern, zur<br />
verwandtschaftlich eng verbundenen<br />
Oligarchie der Brauhofbesitzer. Als Görlitzer<br />
Werkmeister war er zuständig für<br />
den Bau und Erhalt der Befestigungsanlagen<br />
und städtischen Gebäude. Die<br />
Arbeiten zahlreicher Baumeister, Parliere,<br />
Steinmetzen und Zimmerleute<br />
wurden von ihm angeleitet, beaufsichtigt<br />
und korrigiert. Und Arbeit gab es<br />
mehr als genug. In seiner Zeit schufen<br />
allein fünf verheerende Stadtbrände<br />
mehr als 220 Ruinen. Wendel Roßkopf<br />
genoss einen außerordentlichen Ruf<br />
in Schlesien und Böhmen. Immer wie-<br />
anzeige<br />
24<br />
Geschichte
Ratsarchivar<br />
465. Todestag Wendel Roskopf<br />
Brieftext für Tabor, 1527<br />
der erreichten Briefe von Städten und<br />
Fürsten den Görlitzer Rat, in denen um<br />
seine Hilfe und Dienste gebeten wurde.<br />
Manchmal Tage, manchmal Monate<br />
gewährte der Rat dem Werkmeister<br />
nebst Baumeistern oder Gesellen die<br />
Genehmigung, anderen Ortes zu bauen<br />
oder wohl häufiger beratend zu unterstützen.<br />
So finden sich zahlreiche<br />
Spuren seines Schaffens in Breslau,<br />
Bunzlau, Posen, Frankenstein, an der<br />
Gröditzburg und in Böhmen besonders<br />
in Tabor. Interessant erscheint ein Brief<br />
des Görlitzer Rates aus dem Jahre 1527<br />
an den von Tabor. Darin heißt es, dass<br />
Roskopf mit seinen Gesellen etliches in<br />
Tabor verfertigt habe. Dafür schulde<br />
man ihm noch den bedeutenden Betrag<br />
von 100 Schock (6000) Groschen<br />
Lohn. Dieses Geld solle man in Prag bei<br />
dem königlichen Werkmeister, Meister<br />
Benedito (Benedikt Ried), hinterlegen.<br />
Eines der schönsten Monumente seines<br />
Schaffens und eines der eindrucksvollsten<br />
Zeugnisse der Görlitzer Frührenaissance<br />
entstand im Jahre 1534,<br />
das Kanzlei- und Archivgebäude am<br />
Rathaus. Hier wirkten die bedeutenden<br />
Görlitzer Stadtschreiber wie etwa<br />
Johannes Hass, dessen Ratsannalen<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
25
Ratsarchivar<br />
480 Jahre Archivflügel mit Verweis auf<br />
Briefbuch des Rates der Stadt Görlitz<br />
zu den bedeutendsten chronikalischen<br />
Werken der Frühneuzeit gehörten.<br />
Wendel Roskopf starb am 25. Juni 1549<br />
als geachteter Görlitzer Bürger. Sein<br />
Werk freilich fand erst am Ende des 19.<br />
Jahrhunderts wieder die gebührende<br />
kunstgeschichtliche Beachtung. Dieses<br />
Werk prägte aber seither markant und<br />
italienisch leicht anmutend die Görlitzer<br />
Altstadt.<br />
Siegfried Hoche,<br />
Ratsarchivar Görlitz<br />
anzeige<br />
26<br />
Geschichte
Gedicht<br />
Nasser <strong>November</strong><br />
Erich Kästner:<br />
Nasser <strong>November</strong><br />
Aus: Nachlese<br />
anzeige<br />
Gedicht<br />
27
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr –<br />
Ankunft Landeskrone 1965<br />
Landeskrone 1965<br />
In diesem Monat soll wieder ein Farbbilderbogen<br />
mit Aufnahmen des unvergessenen<br />
Straßenbahnchronisten Wolfgang<br />
Schreiner präsentiert werden. Diesmal<br />
sind die Gotha- Zweiachser das Thema.<br />
Vor 60 Jahren musste die Produktion<br />
von Schienenfahrzeugen aus Werdau<br />
verlagert werden, um Kapazitäten für<br />
den Bau mittelschwerer Lastwagen des<br />
Typs S 4000- 1 frei zu bekommen. Diese<br />
wiederum mußten der Aufnahme der<br />
Trabantproduktion in Zwickau weichen,<br />
deren Geschichte bekanntlich ab 1955<br />
ihren Lauf nahm. Straßenbahnen kamen<br />
ab 1955 in großer Zahl aus dem Waggonbau<br />
Gotha. Anfangs waren dies die<br />
in Details überarbeiteten 11,5 m langen<br />
LOWA- Fahrzeuge, nun als ET/EB 54<br />
bezeichnet. Von ihnen fuhren vier Anhänger<br />
von 1955 sowie drei Trieb- und<br />
zwei Beiwagen von 1956 auf Görlitzer<br />
Linien, längstens bis Ende 1980. Auch<br />
die WUMAG- Wagen waren mit Anhängern<br />
dieser Bauart unterwegs. Der<br />
Triebwagen Nr. 3 ist nach einem Unfall<br />
1970 im RAW Berlin Schöneweide neu<br />
aufgebaut worden und unterschied sich<br />
nun recht deutlich von den anderen Wagen.<br />
Ab 1957 folgten die etwas längeren<br />
Zweirichtungswagen der Reihe 57, von<br />
denen die Görlitzer Straßenbahn jeweils<br />
drei Trieb- und Beiwagen bis 1961 fab-<br />
anzeige<br />
28<br />
Geschichte
Görlitzer<br />
Gotha- Zweiachser<br />
Stadtverkehr<br />
Goethestraße 1969<br />
Rauschwalde 1969<br />
Am Depot 1971<br />
Grüner Graben 1971<br />
rikneu erhielt. Weitere neun Trieb- und<br />
acht Beiwagen kamen zwischen 1962<br />
und 1983 gebraucht aus Plauen, Halle/<br />
Saale, Gera und Nordhausen hinzu. Aus<br />
dem Liniendienst schieden die letzten<br />
Vertreter erst 1992 aus. Ab 1962 wurden<br />
auch Einrichtungswagen verschiedener<br />
Bauart als Zweiachser in Gotha<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
29
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Postplatz 1974<br />
produziert, konkret bis 1969, wobei in<br />
den letzten beiden Fertigungsjahren nur<br />
noch Anhänger aus noch vorhandenen<br />
Teilevorräten entstanden. Etwas über<br />
100 zweiachsige Trieb- und fast genauso<br />
viele Beiwagen der Gotha- Bauart<br />
sind zwischen 1966 und 1968 im Tatrawerk<br />
Praha Smichov für die DDR hergestellt<br />
worden. Auch die Einrichtungszüge<br />
waren ab Oktober 1964 im Görlitzer<br />
Straßenbild zu sehen und verblieben<br />
hier bis 1992 im Linieneinsatz. Mit den<br />
gebraucht übernommenen sowie den<br />
nur als Teilespender angeschafften Wagen<br />
verfügte die Görlitzer Straßenbahn<br />
ingesamt über zwölf Trieb- und neun<br />
Rangieren in Weinhübel<br />
Beiwagen in Einrichtungsbauart. Hier<br />
stammten die gebraucht übernommenen<br />
neun Fahrzeuge allesamt aus Halle/<br />
Saale. Auch wenn diese Epoche mittlerweile<br />
seit mehr als 20 Jahren inzwischen<br />
spurlos in Görlitz Geschichte ist, haben<br />
die für einige der damals befahrenen<br />
Strecken scheinbar zu großen Fahrzeuge<br />
viele Jahre quietschend den Görlitzer<br />
Alltag mitgeprägt und waren auch in<br />
vielen anderen ostdeutschen Nahverkehrsbetrieben<br />
nicht selten mehr als 20<br />
Jahre allgegenwärtig.<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
(wird fortgesetzt)<br />
anzeige<br />
30<br />
Impressum:<br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />
incaming media GmbH<br />
Geschäftsführer:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />
02826 Görlitz<br />
Ruf: (03581) 87 87 87<br />
Fax: (03581) 40 13 41<br />
info@stadtbild-verlag.de<br />
www.stadtbild-verlag.de<br />
Geschäftszeiten:<br />
Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Druck:<br />
Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />
Verantw. Redakteur:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
(Mitglied im Deutschen<br />
Fachjournalistenverband)<br />
Redaktion:<br />
Dr. Ernst Kretzschmar,<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />
Dr. Ingrid Oertel<br />
Anzeigen verantw.:<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />
Mobil: 0174 - 31 93 525<br />
Teile der Auflage werden auch kostenlos<br />
verteilt, um eine größere Verbreitungsdichte<br />
zu gewährleisten. Für eingesandte<br />
Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />
keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />
gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die<br />
Auffassung des Herausgebers wider. Anzeigen<br />
und redaktionelle Texte können<br />
nur nach schriftlicher Genehmigung des<br />
Herausgebers verwendet werden<br />
Anzeigenschluss für die <strong>November</strong>-<br />
<strong>Ausgabe</strong>: 15. <strong>November</strong> <strong>2014</strong><br />
Redaktionsschluss: 20. <strong>November</strong><br />
<strong>2014</strong><br />
Wir arbeiten mit<br />
Stadtwerke Görlitz AG<br />
Immer.Näher.Dran<br />
Geschichte
GWZ