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124_Ausgabe November 2013

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

wie kaum ein anderer Monat im Jahreskreis<br />

macht uns der <strong>November</strong> nachdenklich über<br />

das Woher und Wohin, zumal wenn sich bei<br />

einem acht Jahrzehnte Lebenserfahrung<br />

angesammelt haben. Wir begreifen uns als<br />

Glieder in einer langen Kette von Generationen<br />

zwischen den Versunkenen und den<br />

Kommenden. Volkstrauertag und Totensonntag<br />

gehören dem Gedenken an unsere<br />

Vorfahren, die allzu oft von selbstgerechten<br />

Politikern und Journalisten zu Objekten<br />

harscher Kritik herabgewürdigt werden. Sie<br />

hätten uns ein langes Sündenregister hinterlassen,<br />

für das wir auf lange Sicht zu büßen<br />

hätten. Und dann sieht man diese Leute, wie<br />

sie sich bei offiziellen Gedenkterminen zu<br />

den ausgebreiteten Kränzen niederbeugen,<br />

an den Schleifen zupfen, dann schweigend<br />

mit gesenkten Köpfen stehen, die Hände vor<br />

dem Leib übereinander gelegt, um schließlich<br />

zu weiteren Protokollpunkten leichtfüßig<br />

davonzueilen. Haben das unsere Vorfahren<br />

verdient, wenn wir ihrer gedenken? Sie bauten<br />

unsere Städte und Dörfer, ernährten und<br />

kleideten ihre Mitbürger, zogen ihre vielen<br />

Kinder groß und lehrten sie Fleiß, Anstand<br />

und Demut, durchstanden Krankheiten und<br />

Kriege. Unsere Lebenumwelt ist ihr Erbe. Sie<br />

hinterließen es im Vertrauen darauf, dass wir<br />

verantwortungsbewusst damit umgehen. Tun<br />

wir das? Bewahren wir unsere Kultur, unsere<br />

Sprache, unsere Geschichte, unsere Identität<br />

als Volk und Nation, so wie es unsere<br />

Altvorderen taten und wie es andere Völker<br />

heute noch tun? In unserem Umfeld tun sich<br />

genug Fragwürdigkeiten auf. Da regen sich<br />

Presseleute über jemand auf, der die Elisabethstraße<br />

als Allee erhalten möchte, wie es<br />

das Anliegen der Görlitzer vor 150 Jahren<br />

war, eine großzügige Stadt mit einem grünen<br />

Ring rund um die Altstadt. Da duldet man<br />

diesen Aberwitz, dass eine vogtländische Regionalbahn<br />

darüber befinden darf, ob unser<br />

einst großstädtischer Bahnhof völlig veröden<br />

soll, ohne Fahrkartenschalter, ohne Auskunft,<br />

ohne „Service“, marktwirtschaftliche<br />

Lotterwirtschaft statt Staatsunternehmen,<br />

und das in einer Stadt mit weltbekannter<br />

Waggonbautradition! Schulen und Geschäfte<br />

geschlossen, Wohnhäuser leergezogen<br />

und verwahrlost, aber „fun“ und „shopping“<br />

als Lebensinhalte. Schmerzlich auch, wenn<br />

sorgsam und schön restaurierte Bauwerke<br />

unserer Vorfahren durch die undankbaren<br />

Urenkel mutwillig beschmiert und demoliert<br />

werden. Wenn wir an die Gräber unserer<br />

Verstorbenen gehen, möchten wir uns vor<br />

ihnen, den Wegbereitern des Fortschritts,<br />

nicht schämen müssen. Wir haben ihr Erbe<br />

übernommen. Das müssen wir uns und den<br />

Nachfahren bewusst machen, gerade im<br />

Spätherbst, der Zeit des Abschieds und der<br />

Hoffnung. So empfindet es Ihr<br />

Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


100 Jahre<br />

Jahre<br />

Krematorium<br />

Krematorium<br />

–<br />

Innenraum des Krematoriums, um 1913 (Foto: Robert Scholz)<br />

1913 – was für ein Jahr! Görlitz war voller<br />

Ereignisse, die positive Wirkung auf das<br />

städtische Leben und weit darüber hinaus<br />

hatten. Firmen wurden gegründet, das<br />

Jugendstil - Kaufhaus wurde eröffnet, das<br />

Schlesische Musikfest wurde in der Stadthalle<br />

gefeiert, die Sparkasse auf der Berliner<br />

Straße eröffnet … und auch das städtische<br />

Krematorium wurde eingeweiht.<br />

Die Geschichte des nunmehr 100jährigen<br />

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4<br />

Jubiläum


100<br />

Görlitz setzte<br />

Jahre<br />

ein Zeichen<br />

Krematorium<br />

Urnenhain mit Krematorium, Blick auf die Nordseite, um 1915 (Foto: Robert Scholz)<br />

Hauses begann jedoch bereits 1898, als<br />

sich der Görlitzer Feuerbestattungsverein<br />

gründete. Insbesondere Freidenker und<br />

Menschen, die der Auferstehung ungläubig<br />

gegenüber standen, schlossen sich an<br />

vielen Orten in Deutschland zusammen.<br />

1910 zählte der Feuerbestattungsverein<br />

in Görlitz 121 Mitglieder, ein Jahr später<br />

bereits 256. Die drei vorrangig verfolgten<br />

Ziele waren: die Zulassung der Feuerbe-<br />

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Jubiläum<br />

5


100 Jahre<br />

Jahre<br />

Krematorium<br />

Krematorium<br />

–<br />

Krematorium, Südseite, nach 1920 (Quelle: FHVA, Fotosammlung)<br />

stattung in Preußen, die Erbauung eines<br />

Krematoriums in Görlitz und die Anlage<br />

eines Urnenhaines auf dem Städtischen<br />

Friedhof. Alles wurde erreicht.<br />

Im Gesetz, betreffend die Feuerbestattung,<br />

vom 14. September 1911 heißt es:<br />

„Wir Wilhelm, von Gottes Graden König<br />

von Preußen usw., verordnen, mit Zustimmung<br />

der beiden Häuser des Landtags<br />

der Monarchie, was folgt:<br />

§ 1. Die Feuerbestattung darf nur in landespolizeilich<br />

genehmigten Anlagen erfolgen.<br />

…“<br />

Da bereits im März 1911 erste Baupläne<br />

für ein Krematorium im Magistrat vorlagen,<br />

konnte man nach Inkrafttreten des<br />

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6<br />

Jubiläum


100<br />

Görlitz setzte<br />

Jahre<br />

ein Zeichen<br />

Krematorium<br />

Gesetzes zügig notwendige Genehmigungen<br />

einholen und mit dem Bau beginnen.<br />

Zur feierlichen Einweihung am 27. <strong>November</strong><br />

1913 erschien im Görlitzer Anzeiger<br />

ein Sonderdruck, der ausdrücklich die<br />

Architektur des Hauses lobt und aus der<br />

Rede des damaligen Oberbürgermeisters<br />

Georg Snay zitiert: „Das erste Schlesische<br />

Krematorium steht unmittelbar vor<br />

seiner Inbetriebnahme. Auf dem Ölberge<br />

im Norden der Stadt … erhebt sich der<br />

ernste Bau inmitten einer neu geschaffenen<br />

Parkanlage und grüßt hinunter in die<br />

Stadt mit ihrem Hasten und Jagen, mit<br />

ihren Freuden und Leiden. Gleich einem<br />

gewaltigen memento mori (Gedenke des<br />

Todes) uns daran erinnernd, dass wir alle<br />

einmal den Weg allen Fleisches gehen<br />

müssen …“.<br />

Die erste Feuerbestattung fand wenige<br />

Tage nach der Eröffnung am 3. Dezember<br />

1913 statt. Sie dauerte von 15:52 Uhr bis<br />

17:23 Uhr und wurde mit den damaligen<br />

Mitteln akribisch aufgezeichnet. Bis zum<br />

Jahresende folgten 8 weitere Einäscherungen<br />

… dann jedes Jahr etwa 100. Seit<br />

1913 wird fortlaufend nummeriert, und<br />

heute sind wir bei fast 108.000. Dabei ist<br />

zu berücksichtigen, dass ein Krematorium<br />

eine wichtige Umlandfunktion besitzt<br />

und nicht nur für die Stadt, in der es errichtet<br />

ist, arbeitet.<br />

<strong>2013</strong> nun steht das Haus 100 Jahre.<br />

Grund für ein Jubiläum? Grund für ein<br />

Fest? Ja, auf jeden Fall! Und deshalb<br />

gab und gibt es in diesem Jahre gleich<br />

mehrere Anlässe zur Würdigung. Am 6.<br />

Juli wurde in Kuppel- und Säulenhalle der<br />

Alten Feierhalle eine Ausstellung eröffnet.<br />

Ihr etwas provokanter Titel „Feuer<br />

& Flamme – 100 Jahre Krematorium Görlitz“<br />

lockte bis zum Ende am 25. Oktober<br />

etwa 2000 Menschen zum kurzen oder<br />

längeren Besuch, mancher kam mehrmals.<br />

Und wer schon immer mal hinter<br />

die Kulissen eines Krematoriums schauen<br />

wollte, ohne es betreten zu müssen, hat<br />

hoffentlich Antwort auf mancherlei Fragen<br />

finden können. Von zwei Urnen mit Resten<br />

der Brandbestattung (700 bzw. 600 v.<br />

Chr. – Leihgaben des Kulturhistorischen<br />

Museums) angefangen über historische<br />

Bücher und Dokumente, Leichenhemdchen<br />

(Leihgaben des Bestattungshauses<br />

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Jubiläum<br />

7


100 Jahre<br />

Jahre<br />

Krematorium<br />

Krematorium<br />

–<br />

Ullrich) und Prägemaschinen für Urnendeckel<br />

bis hin zu Informationen über<br />

sehr moderne Bestattungsmöglichkeiten<br />

(Leihgaben des Museums für Sepulkralkultur<br />

Kassel) war der Bogen weit gespannt.<br />

Als Zugabe gewissermaßen war<br />

eine Amtsstube des Friedhofsverwalters<br />

eingerichtet, so wie sie vielleicht von vor<br />

100 Jahren ausgesehen haben könnte.<br />

Und manchmal zu Führungen tauchte<br />

tatsächlich der Friedhofsverwalter (heute<br />

die Friedhofsverwalterin) im Gehrock und<br />

Zylinder mit der historischen Friedhofsglocke<br />

auf. Viele der ausgestellten Gegenstände<br />

und Dokumente sind Eigentum<br />

des Städtischen Friedhofes und vielleicht<br />

in anderem, neuem Zusammenhang später<br />

einmal wieder zu besichtigen.<br />

Der Festakt zum 100jährigen Bestehen<br />

des Krematoriums schließlich fand am<br />

21. September statt. Der Dresdner Motettenchor<br />

unter Leitung von Matthias<br />

Jung, das Görlitzer Ehepaar Stosiek und<br />

der Saxophonist Michael Mönnig sorgten<br />

für festliche Musik. Grußworte wurden<br />

gesprochen, und Professor Dr. Reiner<br />

Sörries, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft<br />

Friedhof und Denkmal und<br />

Direktor des Museums für Sepulkralkultur<br />

Kassel, sprach in seinem Festvortrag<br />

„Von lustigen Gerippen und schrecklichen<br />

Sensenmännern“ – aus gutem Grund.<br />

Denn er bereitetete damit die Gäste auf<br />

das vor, was kommen sollte: eine Totentanzaufführung.<br />

Der Dresdner Motettenchor,<br />

die Tänzerin Katja Erfurth und der<br />

Sprecher Thomas Stecher (beide aus<br />

Dresden) brachten damit ein gewaltiges<br />

Stück Musik und Tanz auf die Bühne, die<br />

in der Feierhalle des Krematoriums nicht<br />

so leicht herzustellen war. Der „Totentanz“<br />

von Hugo Distler (1908 – 1942) ist eine<br />

so eindrucksvolle Beschäftigung mit dem<br />

Thema Tod und Sterben, dass ein Aufführungsort<br />

wie das Krematorium geradezu<br />

wunderbar geeignet ist. Das Haus selbst<br />

zeigte sich dank ideenvoller Beleuchtung<br />

durch das Theater Görlitz von einer ganz<br />

neuen, strahlenden Seite.<br />

Als vor 100 Jahren das Krematorium<br />

eröffnet wurde, war es völlig selbstverständlich,<br />

dass man es von vorn und von<br />

hinten (da gab es damals eine schöne<br />

Treppe in den Urnenhain), von innen<br />

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8<br />

Jubiläum


100<br />

Görlitz setzte<br />

Jahre<br />

ein Zeichen<br />

Krematorium<br />

Postkarte Krematorium (Zeichnung: Andreas Neumann-Nochten)<br />

und außen fotografierte, auf Postkarten<br />

abdruckte – und diese auch verschickte!<br />

Nun, vielleicht nicht gerade zum 80.<br />

Geburtstag der besten Freundin, aber<br />

als Gruß aus der Stadt war es wohl recht<br />

normal. Warum also nicht zum 100. wieder<br />

eine Postkarte? Und weil heute jeder<br />

mit allen möglichen technischen Geräten<br />

irgendwie rumknipsen kann, entschloss<br />

man sich zu einer Kunstpostkarte. Die fer-<br />

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Jubiläum<br />

9


100 Jahre<br />

Jahre<br />

Krematorium<br />

Krematorium<br />

–<br />

Krematorium, Nordseite, um 1914 (Quelle: RAG, Postkartensammlung)<br />

tigte der Görlitzer Zeichner und Grafiker<br />

Andreas Neumann-Nochten, und sie wurde<br />

dank Nummerierung auf der Rückseite<br />

sogar ein Sammlerstück. Kaufen kann<br />

man sie für einen Euro beim Städtischen<br />

Friedhof – für ganz besondere Nummern<br />

muss ein bisschen verhandelt werden.<br />

Und dann kann jeder für sich den Versuch<br />

starten, die Karte zu verschicken<br />

und die Reaktion abzuwarten …<br />

Im <strong>November</strong> 1913 schloss Oberbürgermeister<br />

Georg Snay zur Eröffnung des<br />

Krematoriums seine Rede mit den Worten:<br />

„Möge aus dieser Anlage Segen ersprießen<br />

für unsere Stadt wie für unsere<br />

Mitbürger, möge der Bau des Kremato-<br />

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10<br />

Jubiläum


100<br />

Görlitz setzte<br />

Jahre<br />

ein Zeichen<br />

Krematorium<br />

Festredner Prof. Dr. Reiner Sörries, Kassel<br />

riums und der Urnenhain, wenn wir sie<br />

besichtigen, uns in Erinnerung bringen,<br />

daß auch wir sterben müssen und daß<br />

wir arbeiten müssen, solange wir leben,<br />

für uns und unsere Familien sowie für<br />

das Wohl unseres Gemeinwesens! Lassen<br />

Sie mich schließen mit den Worten:<br />

Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann,<br />

bald kommt die Nacht, da niemand wirken<br />

kann!“<br />

Der letzte Satz ist aus der Bibel – auch<br />

der große Goethe hat ihn verwendet -<br />

und dem ist wohl nichts hinzuzufügen.<br />

Evelin Mühle, Eigenbetrieb<br />

Städtischer Friedhof Görlitz<br />

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Jubiläum<br />

11


Steinmetzbetrieb Rudolf Reichel –<br />

Firmenansicht Rudolf Reichel, um 1920<br />

Die nachfolgende Veröffentlichung anlässlich<br />

des 100jährigen Jubiläums des Steinmetzbetriebes<br />

Rudolf Reichel widmen wir<br />

unserem Seniorchef Manfred Reichel, der<br />

am 1. Oktober <strong>2013</strong> unerwartet verstarb.<br />

Sein über 40jähriges Wirken für den<br />

Handwerksbetrieb soll damit gewürdigt<br />

werden.<br />

Rudolf Reichel, der Gründer des Steinmetzbetriebes,<br />

wird am 23. Juli 1888 in<br />

Freudenthal in Schlesien geboren und<br />

wächst dort zusammen mit fünf Geschwistern<br />

in bescheidenen Verhältnissen<br />

und unter strenger Obhut von Vater und<br />

Steinmetzmeister Albert Reichel auf.<br />

Nach Beendigung der Bürgerschule mit<br />

guten Ergebnissen bewirbt er sich an der<br />

Landesfachschule für Marmorindustrie in<br />

Saubsdorf, die er 1905 erfolgreich beendet.<br />

Es folgt die damals übliche Wanderschaft,<br />

die ihn über Wien 1907 nach Görlitz<br />

führt, wo er als Gehilfe bei mehreren<br />

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12<br />

Jubiläum


Steinmetz<br />

Qualitätsbegriff Görlitz<br />

Reichel<br />

Familie Rudolf Reichel, um 1926<br />

Meistern tätig ist und sich schließlich zum<br />

Techniker qualifiziert.<br />

Am 1. April 1913 gründet er in Görlitz am<br />

Standort Grüner Graben 17/ Pontestraße<br />

2-4 seine Werkstatt für Steinindustrie und<br />

Bildhauerei. Das Grundstück hat er von<br />

der Firma Bräuer & Zander gepachtet,<br />

und der Betrieb besteht aus einem Lagerplatz<br />

und einer Holzbaracke.<br />

Rudolf Reichel ist inzwischen mit der drei<br />

Jahre jüngeren Klara verheiratet, und die<br />

Kinder Lotte und Waltraud sind geboren.<br />

Mit Ausbruch des 1.Weltkrieges wird der<br />

Firmeninhaber einberufen, kehrt gesund<br />

zurück und führt das Geschäft erfolgreich<br />

weiter. Die Familie vergrößert sich, und<br />

die Kinder Helmut, Dora und Manfred<br />

werden geboren.<br />

In der Firma werden trotz Nachkriegszeit,<br />

Inflation und Wirtschaftskrise neben den<br />

Grabmalarbeiten nun auch Hoch- und<br />

Tiefbauaufträge erfolgreich realisiert.<br />

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Jubiläum<br />

13


Steinmetzbetrieb Rudolf Reichel –<br />

Unfall am Muttertag, 1930<br />

Auf die Familie kommen 1930 harte Schicksalsschläge<br />

zu. Klara Reichel erkrankt an<br />

Krebs. Bei der Autofahrt der Familie nach<br />

Dresden, um die Mutter zu besuchen,<br />

kommt es zu einem tragischen Unfall, bei<br />

dem die 18-jährige Tochter Waltraud ums<br />

Leben kommt. Aber auch die Mutter verliert<br />

den Kampf gegen die Krankheit und<br />

stirbt nur kurze Zeit später.<br />

Zur Erinnerung an Ehefrau Klara und<br />

Tochter Waltraud pflanzt Rudolf Reichel<br />

auf dem Firmengelände zwei Trauerweiden,<br />

die für Jahrzehnte das Aussehen<br />

des Geschäftes prägen werden. Eine<br />

Weide wird einem Blitzschlag zum Opfer<br />

fallen, und die zweite muss aus Sicherheitsgründen<br />

in den 1980er Jahren gefällt<br />

werden. Die tragischen Ereignisse haben<br />

auch den Betrieb in Schwierigkeiten gebracht.<br />

Durch den Verkauf seiner wertvollen<br />

Briefmarkensammlung und harte Arbeit<br />

kann Rudolf Reichel die Firma retten<br />

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14<br />

Jubiläum


Steinmetz<br />

Qualitätsbegriff Görlitz<br />

Reichel<br />

und so den Lebensunterhalt der Familie<br />

sichern. Die große Tochter Lotte indes<br />

kümmert sich lange Zeit aufopfernd um<br />

die kleinen Geschwister und den Haushalt,<br />

bis ihr eine Hauswirtschafterin das<br />

abnehmen kann. Rudolf Reichel führt<br />

den Betrieb weiter auf erfolgreichen Kurs<br />

(1933 Umsetzung des Demianidenkmals).<br />

Die Söhne Helmut und Manfred erlernen<br />

auch den Steinmetz-Beruf und arbeiten in<br />

der Firma mit, ehe sie bei Ausbruch des<br />

2. Weltkrieges zur Wehrmacht einberufen<br />

werden. Nach Verletzung, Lazarettaufenthalt<br />

und Gefangenschaft treffen sich die<br />

Brüder nach dem Krieg in Görlitz wieder.<br />

Der Vater und Firmengründer Rudolf Reichel<br />

wird kurz vor Kriegsende bei einem<br />

Bombenangriff in Tschechien tödlich verletzt.<br />

Jetzt übernehmen Helmut und Manfred<br />

Reichel die Firma und werden sie nach<br />

anfänglichen Schwierigkeiten 40 Jahre<br />

erfolgreich führen.<br />

Bärbel Reichel, Görlitz<br />

(Fortsetzung folgt) Umsetzung Demianidenkmal, 1933<br />

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Jubiläum<br />

15


Johannes<br />

Der Görlitzer Johannes Wüsten –<br />

Kupferstecher Johannes Wüsten und Josef Bankay, um 1930<br />

Alljährlich im <strong>November</strong><br />

begehen wir den Volkstrauertag<br />

und den Totensonntag.<br />

Wir erinnern<br />

uns an unsere Familienangehörigen<br />

und an verdienstvolle<br />

Mitbürger, die<br />

vor uns ihren Lebenskreis<br />

vollendet haben. Runde<br />

Todestage regen zu<br />

besonderem Gedenken<br />

an. Johannes Wüsten<br />

(1896 – 1943), wegen<br />

seiner antifaschistischen<br />

künstlerischen Aktivitäten<br />

im Exil nach seiner<br />

Festnahme in Paris 1941<br />

schließlich durch den<br />

„Volksgerichtshof“ Berlin<br />

wegen „Vorbereitung<br />

zum Hochverrat“ zu 15<br />

Jahren Zuchthaus verurteilt,<br />

starb im Zuchthaus<br />

Brandenburg-Görden an<br />

Tuberkulose. Sein Leben<br />

war durch die Umbrüche<br />

und Katastrophen des<br />

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16<br />

Geschichte


Johannes<br />

Zum 70. Todestag<br />

Wüsten<br />

vorigen Jahrhunderts geprägt.<br />

In Heidelberg geboren<br />

und in Görlitz aufgewachsen,<br />

Sohn eines<br />

strengen Predigers der<br />

freikirchlichen Gemeinde<br />

und einer literarisch gebildeten<br />

Mutter, war er<br />

der Älteste unter sechs<br />

Geschwistern. Einige Jahre<br />

war er am Görlitzer<br />

Gymnasium Augustum<br />

und dann in Dresden in<br />

einer Tischlerlehre. Dann<br />

wurde er in Görlitz durch<br />

Erna von Döbschütz und<br />

in Worpswede durch Otto<br />

Modersohn in der Malerei<br />

unterwiesen. Der I. Weltkrieg<br />

unterbrach seine<br />

Suche nach einem soliden<br />

Weg durchs Leben.<br />

Die Erlebnisse als Soldat<br />

an der West- und Ostfront<br />

und der Lazarettaufenthalt<br />

prägten sein<br />

politisches Weltbild. Nach Johannes im Exil, um 1939<br />

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Geschichte<br />

17


Johannes<br />

Der Görlitzer Johannes Wüsten –<br />

Bildnis Dorothea Wüsten, 1927<br />

Kriegsende erlebte er einige<br />

Jahre in der Neuen<br />

Hamburgischen Sezession<br />

ein expressionistisches<br />

Aufbegehren im Chaos<br />

der Nachkriegskrise. Mit<br />

der Rückkehr nach Görlitz<br />

begannen Jahre des<br />

Suchens und Arbeitens<br />

im Kreise der Görlitzer<br />

Künstler. Er wurde Vorsitzender<br />

der Görlitzer<br />

Künstlerschaft. Inzwischen<br />

hatte er sich durch<br />

die Wiederbelebung des<br />

Kupferstichs einen Namen<br />

weit über Görlitz<br />

hinaus erobert, war in<br />

Ausstellungen im In- und<br />

Ausland vertreten. Seine<br />

Lebenserfahrungen führten<br />

ihn in die Reihen der<br />

politischen Linken und<br />

1933 in den organisierten<br />

Widerstand. Flucht und<br />

Exil in Prag und Paris waren<br />

die Folge. Dort ent-<br />

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18<br />

Geschichte


Johannes<br />

Zum 70. Todestag<br />

Wüsten<br />

standen Pressezeichnungen, Dramen,<br />

Erzählungen und Romane als Auseinandersetzungen<br />

mit den politischen<br />

Zuständen in der Heimat. Es folgten<br />

ein neuer Weltkrieg, schließlich Haft<br />

und Tod.<br />

Die Stadt Görlitz blieb bei alledem seine<br />

Heimat. Im hier weitgehend konservativ<br />

geprägten Geistesleben hatte<br />

er es schwer, erfuhr Unverständnis und<br />

Ablehnung, jedoch auch Sympathie im<br />

liberalen Bürgertum und in der organisierten<br />

Arbeiterschaft. Erst nach 1945<br />

gab es erste zaghafte Versuche einer<br />

Wiederentdeckung. 1948 eröffnete im<br />

Herbst im wieder zugänglichen Kaisertrutz<br />

eine Werkausstellung, ermöglicht<br />

vor allem durch Dorothea Wüsten, die<br />

aus dem englischen Exil zurückgekehrte<br />

Witwe, und durch Geschwister<br />

und Freunde, die Werke von Johannes<br />

Wüsten über die 12 Jahre NS-Herrschaft<br />

gerettet hatten, ähnlich wie der<br />

Weggefährte Oberländer in Frankreich.<br />

Das verbreitete Mißtrauen von Parteiideologen<br />

gegen Vertreter des Exils in<br />

westlichen Ländern und der zeitweilige<br />

dogmatische Bannfluch gegen „formalistische“<br />

Kunst machten es jedoch<br />

bis in die 1960er Jahre hinein schwer,<br />

das bildkünstlerische und literarische<br />

Erbe Johannes Wüstens den Görlitzern<br />

und den Deutschen überhaupt<br />

in seiner herausragenden Bedeutung<br />

nahezubringen. Hier waren es insbesondere<br />

die Kampfgefährten aus dem<br />

illegalen Widerstand und im Exil, die<br />

endlich Bewegung in die Sache brachten.<br />

Bis nach Berlin und Prag, Wien<br />

und Paris reichten die Verbindungen<br />

zu den Zeitzeugen, darunter Anna<br />

Seghers, Wieland Herzfelde, Lenka<br />

Reinerova und Lotte Schwarz. Bald<br />

nach dem Jubiläum „400 Jahre höhere<br />

Schulbildung in Görlitz“ 1965 entstand<br />

an der Frédéric-Joliot-Curie-Schule<br />

eine Schülerforschungsgruppe der 11.<br />

Klassen, die wertvolle Erinnerungsberichte<br />

von Zeitzeugen zusammentrug<br />

und 1966 veröffentlichte. Im gleichen<br />

Jahr gab es im Kaisertrutz eine Personalausstellung<br />

zum 70. Geburtstag<br />

des Künstlers. Die 900-Jahr-Feier der<br />

Stadt 1971 brachte neben anderen<br />

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Geschichte<br />

19


Johannes<br />

Der Görlitzer Johannes Wüsten –<br />

berühmten Görlitzern auch Wüsten<br />

ins Bewußtsein einer neuen Generation.<br />

Ihren Höhepunkt hatte diese Entwicklung<br />

mit einer wissenschaftlichen<br />

Tagung und der Eröffnung einer ständigen<br />

Ausstellung „Johannes Wüsten“<br />

im Barockhaus Neißstraße 30 rund um<br />

den 80. Geburtstag 1976. Nun hatte<br />

Görlitz eine wissenschaftlich fundierte<br />

und volkspädagogisch aufbereitete,<br />

vom Görlitzer Maler und Grafiker Karl-<br />

Heinz Völker gestaltete Übersicht über<br />

Leben und Werk Johannes Wüsten in<br />

den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen.<br />

Zahlreiche Besuchergruppen<br />

in sachkundigen Führungen bekamen<br />

nun das außergewöhnliche Lebenswerk<br />

eines allzu früh verstorbenen<br />

Görlitzers vorgestellt. In der Folgezeit<br />

sah man in begleitenden Studioausstellungen<br />

Zeugnisse für einzelne<br />

Schaffensbereiche des Künstlers (etwa<br />

Pressezeichnungen im Exil) und über<br />

Kupferstecher in der Nachfolge (darunter<br />

Baldwin Zettl, Leipzig). Der Jugendklub<br />

„Johannes Wüsten“ am Museum<br />

und ein Freundeskreis gleichen<br />

Namens im Kulturbund unter Leitung<br />

des Deutschlehrers Konrad Hanslik<br />

kümmerten sich ideenreich darum, das<br />

vielgestaltige Erbe des Künstlers bekanntzumachen.<br />

Wenig später erhielt<br />

die Schule auf dem Klosterplatz den<br />

Namen des ehemaligen Schülers. Vor<br />

dem Schulgebäude wurde eine Porträtbüste<br />

Johannes Wüstens von dem<br />

Berliner Bildhauer Theo Balden aufgestellt,<br />

deren Erstfassung bereits 1976<br />

in der ständigen Ausstellung Platz<br />

gefunden hatte. Alle diese Vorhaben<br />

wurden durch die Stadtverwaltung<br />

großzügig finanziert. In den späten<br />

1980er Jahren entstand eine ständige<br />

Arbeitsstelle, die mit Forschungen,<br />

Veröffentlichungen und Ausstellungen<br />

weiterhin zum Thema aktiv bleiben<br />

sollte.<br />

Das literarische Werk Johannes Wüstens<br />

war zunächst kaum bekannt.<br />

1951 erschienen im Henschel-Verlag<br />

Berlin die „Malergeschichten“ unter<br />

dem Titel „Aus dem Leben einer Buhlerin“.<br />

Es folgte 1963 im Greifenverlag<br />

Rudolstadt der Rübezahl-Roman, zu-<br />

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20<br />

Geschichte


Johannes<br />

Zum 70. Todestag<br />

Wüsten<br />

nächst unter dem neu erfundenen<br />

Titel „Der Strom<br />

fließt nicht bergauf“, in<br />

der 2. Auflage 1966 jedoch<br />

als „Rübezahl“.<br />

1971 folgte im gleichen<br />

Verlag „Drei Nächte des<br />

Jan Bockelson und anderes<br />

aus dem Erzählwerk“.<br />

Der Gewerkschaftsverlag<br />

Tribüne Berlin folgte mit<br />

dem Buch „Pseudonym<br />

Peter Nikl. Antifaschistische<br />

Texte und Grafiken<br />

aus dem Exil“. Eine bedeutende<br />

verlegerische<br />

Leistung war die dreibändige<br />

Auswahl der literarischen<br />

Werke im Verlag<br />

Volk und Welt Berlin, herausgegeben<br />

durch Heinz<br />

Dieter Tschörtner, mit<br />

den Teilen „Tannenhäuser.<br />

Erzählungen und Geschichten“<br />

(1976), „Die<br />

Verrätergasse. Stücke,<br />

Gedichte, Autobiographi- Bildnis Ratsarchivar Richard Jecht, Kupferstich 1932<br />

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Geschichte<br />

21


Johannes<br />

Der Görlitzer Johannes Wüsten –<br />

Selbstbildnis, Kupferstich 1932<br />

sches, Briefe“ (1980) und<br />

„Rübezahl“ (1982). Nun<br />

waren Werke Johannes<br />

Wüstens auch in zentralen<br />

Ausstellungen zu sehen,<br />

darunter Personalausstellungen<br />

in Leipzig,<br />

Frankfurt/Oder, Brandenburg/Havel,<br />

Dresden und<br />

Berlin.<br />

Nach 1990 beobachtete<br />

man unwürdige Turbulenzen.<br />

Die ständige Ausstellung<br />

in Görlitz wurde<br />

aufgelöst, das wertvolle<br />

Material magaziniert oder<br />

an Leihgeber zurückgegeben.<br />

Die Schule erhielt<br />

ihren Traditionsnamen<br />

„Gymnasium Augustum“<br />

zurück, die Bronzebüste<br />

auf dem Sockel vor dem<br />

Schulgebäude wurde entwendet<br />

und fand sich in<br />

einem Baum hängend<br />

wieder. Sockel und Büste<br />

bekamen einen unpas-<br />

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22<br />

Geschichte


Johannes<br />

Zum 70. Todestag<br />

Wüsten<br />

senden neuen Standort an einer Hauswand<br />

der Johannes-Wüsten-Straße.<br />

Die Arbeitsstelle bestand zunächst<br />

beim Kulturamt weiter. Dort konnte<br />

Wolfgang Wessig noch einige Sammelbändchen<br />

herausbringen, nämlich<br />

„Heimatliche Miniaturen“ (1991), „...<br />

auf dass ich einige gewänne“ (1991),<br />

„Die Görlitz-Trilogie“ (1993) und „Pan<br />

geht nach Amerika. Sportglossen<br />

(1992). Leider fiel auch dies dem dramatischen<br />

Personalabbau jener Jahre<br />

zum Opfer. Dagegen konnten junge<br />

Kunsthistoriker wie Marius Winzeler<br />

und Kai Wenzel aufschlußreiche neue<br />

Ausstellungen und Veröffentlichungen<br />

gestalten und durch Neuerwerbungen<br />

die beachtlichen Görlitzer Bestände an<br />

Werken Johannes Wüstens vervollständigen.<br />

Viel beachtet wurde 2002 die<br />

Schau „Ein starkes Talent. Johannes<br />

Wüsten als Expressionist und Sezessionist<br />

in Hamburg 1918-1922“. Seit<br />

dem 26. Oktober <strong>2013</strong> ist in der Galerie<br />

Brüderstraße nun die Ausstellung<br />

„Johannes Wüsten/Hubertus Giebe:<br />

Grafik“ zu sehen (bis 2. März 2014),<br />

ein Beitrag der Stadt zum 70. Todestag.<br />

Im Frühjahr 2014 werden wir im<br />

Kaisertrutz bei der Eröffnung der neuen<br />

ständigen Ausstellung „Galerie der<br />

Moderne“ auch Johannes Wüsten und<br />

seine Weggefährten angemessen gewürdigt<br />

finden. Nach den Mißverständnissen<br />

und Verzerrungen der jüngsten<br />

zwei Jahrzehnte, mit denen sich Unerfreuliches<br />

aus den 1920er und frühen<br />

1930er Jahren fortsetzte, wird Johannes<br />

Wüstens Erbe hoffentlich einen<br />

würdigen Platz im Selbstverständnis<br />

und der Ausstrahlungskraft der Stadt<br />

Görlitz wiederfinden. Bei der traditionellen<br />

Friedhofsführung am Vorabend<br />

des Volkstrauertages (Treffpunkt 14<br />

Uhr Krematorium) werden wir an Wüstens<br />

Urnengrab verweilen und uns an<br />

jenen Vierzeiler erinnern, den er uns<br />

hinterließ: „Macht mich der Tod zu<br />

nichts? Wirst du im All gelöst? Man<br />

sagt’s. Doch wie verwest der Strahl<br />

des Lichts?“<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte<br />

23


Sonderausstellung<br />

Die Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn –<br />

Cirillo dell’ Antonio (1876 - 1971)<br />

Doppelbüste Fritz Graf Schaffgotsch und Komtess Sophie von Schaffgotsch, 1926, vermutlich Lindenholz, Foto: René Pech, SMG<br />

Neue Sonderausstellung im Schlesischen<br />

Museum zu Görlitz<br />

Freunde der Holzschnitzkunst erwartet<br />

zum Advent eine Schau mit Werken<br />

von Lehrern und Schülern der Bad<br />

Warmbrunner Holzschnitzschule. Diese<br />

Schule war am 7. <strong>November</strong> 1902 als<br />

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24<br />

Sonderausstellung


Sonderausstellung<br />

gestern und heute<br />

erste staatlich unterstützte Holzschnitzschule<br />

Preußens feierlich eröffnet worden.<br />

Zuvor hatten Gewerbevereine<br />

und kommunale Vertreter jahrzehntelang<br />

darauf hingewiesen, dass eine<br />

kunsthandwerkliche Ausbildungsstätte<br />

in Schlesien dringend notwendig sei,<br />

um das Niveau des heimischen Handwerks<br />

zu heben. Aber erst die großzügige<br />

Privatstiftung des Warmbrunner<br />

Regierungsrats Adolf Adam von Bruce<br />

(1835-1897) konnte die zuständigen<br />

Regierungsstellen zur Förderung einer<br />

Holzschnitzschule bewegen.<br />

Schon wenige Jahre nach ihrer Gründung<br />

beteiligte sich die Schule unter<br />

der Direktion von Christian Hermann<br />

Walde an Ausstellungen. Dort erzielte<br />

sie oftmals Preise, beispielsweise 1905<br />

auf der „Niederschlesischen Gewerbeund<br />

Industrieausstellung“ in Görlitz.<br />

Auch unter Waldes Nachfolger, Richard<br />

Kieser, hielt der Erfolg an, so dass die<br />

Schule Aufträge für Kunsttischlerei und<br />

Schnitzarbeiten verschiedenster Art<br />

erhielt. Sie erarbeitete unter anderem<br />

Oskar Wache (1892 - unbekannt)<br />

Christuskopf, 1924, Holzplastik, Foto: René Pech, SMG<br />

die gesamte Innenausstattung der<br />

1908 eingeweihten Kaiser-Friedrich-<br />

Gedächtniskirche in Liegnitz.<br />

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Sonderausstellung<br />

25


Sonderausstellung<br />

Die Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn –<br />

Das Gebäude der Warmbrunner Holzschnitzschule <strong>2013</strong>, Foto: Aurelia Zduńczyk, SMG<br />

Der wachsende Ruhm der Schule und<br />

die Aussicht auf eine hochwertige<br />

kunsthandwerkliche wie künstlerische<br />

Ausbildung zog daher schon bald Schüler<br />

aus ganz Deutschland an, einige<br />

kamen sogar aus dem Ausland. Friedrich<br />

Hüllweck, der 1912 die Leitung der<br />

Schule übernahm, bemühte sich daher<br />

wie seine Vorgänger ständig um eine<br />

Verbesserung des Lehrangebots. Seine<br />

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26<br />

Sonderausstellung


Sonderausstellung<br />

gestern und heute<br />

Arbeit wurde jedoch schon bald durch<br />

den Ausbruch des Ersten Weltkriegs<br />

überschattet.<br />

Inflation und wirtschaftliche Rezession<br />

beeinträchtigten den Schulbetrieb auch<br />

noch in den Nachkriegsjahren so sehr,<br />

dass eine Schließung der Schule unumgänglich<br />

schien. Hüllweck verließ daher<br />

die Schule. Erst sein Nachfolger, der<br />

Südtiroler Bildhauer Cirillo dell’ Antonio,<br />

konnte die Schule ab 1922 erfolgreich<br />

aus der Krise führen. Das Schlesische<br />

Museum besitzt aus dieser Zeit einige<br />

wertvolle Arbeiten, die in den letzten<br />

Jahren angekauft oder dem Museum<br />

geschenkt wurden. Sie sind heute echte<br />

Raritäten.<br />

Dell‘ Antonio hatte sich bereits seit<br />

1903 an der Schule als vielseitiger<br />

Künstler und einfühlsamer Pädagoge<br />

bewährt. Nun zeigte sich sein Talent<br />

bei der Erschließung neuer Auftragsgebiete,<br />

zu denen unter anderem die<br />

Krippenkunst gehörte. Aufgrund seiner<br />

langen Amtszeit bis 1940 prägte<br />

Dell’Antonio die Schule nachhaltig und<br />

festigte ihren Ruf als handwerklich solide<br />

Ausbildungsstätte. Da man hier<br />

künstlerisch eher konservativ orientiert<br />

war, konnte der Schulbetrieb auch nach<br />

1933 weitergeführt werden, natürlich<br />

mit unumgänglichen Anpassungen an<br />

das neue politische Regime. 1935 erhielt<br />

die Schule sogar den ehrenvollen<br />

Titel „Meisterschule für Holzbildhauer<br />

und Tischler“. Erst im Verlauf des Zweiten<br />

Weltkriegs kam der Schulbetrieb<br />

aufgrund der vielen Einberufungen allmählich<br />

zum Erliegen.<br />

Nach Kriegsende musste Ernst Rülke,<br />

der in den 40er Jahren die Leitung<br />

der Schule übernommen hatte, den<br />

gesamten Betrieb mitsamt Inventar<br />

an die polnische Verwaltung übergeben.<br />

In den folgenden Jahrzehnten<br />

versuchte man von polnischer Seite<br />

in Warmbrunn – nun Cieplice –, eine<br />

neue kunsthandwerkliche Ausbildungsstätte<br />

für verschiedene Berufszweige<br />

zu etablieren. Über diese ebenfalls<br />

recht bewegte Institutsgeschichte wird<br />

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Sonderausstellung<br />

27


Sonderausstellung<br />

Die Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn –<br />

L.Bober (Lebensdaten unbekannt)<br />

Die Heiligen Drei Könige, undatiert, Holz, mit Gold gefasst, Foto: René Pech, SMG<br />

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28<br />

Sonderausstellung


Sonderausstellung<br />

gestern und heute<br />

in der Ausstellung mit vielen Fotos berichtet,<br />

die vom heutigen „Stanisław-<br />

Wyspiański-Schulverband für Kunsthandwerk<br />

Jelenia Góra“ zur Verfügung<br />

gestellt wurden.<br />

Wer heute das historische Schulgebäude<br />

besucht, findet dort ein quirliges<br />

Kunstgymnasium mit Werkstätten vor.<br />

Unweit davon befindet sich ein Kunstlyzeum<br />

(ul. Cervi 5), in dem Schüler das<br />

Abitur und zugleich ein Kunstdiplom in<br />

Holzschnitzerei, Glaskunst, Fotografie,<br />

Modedesign oder Textilkunst erwerben<br />

können. In der Aula des alten Gebäudes<br />

wird mit einer kleinen Präsentation<br />

an die lange Tradition der Warmbrunner<br />

Holzschnitzkunst mit Vor- und<br />

Nachkriegsarbeiten erinnert.<br />

In Deutschland dagegen ist die Tradition<br />

der Warmbrunner Holzschnitzschule<br />

heute fast ganz vergessen. Ernst Rülke<br />

hatte zwar in den 50er und 60er Jahren<br />

versucht, seine Arbeit mit einer „Meisterschule<br />

für Holzbildhauer“ in Stuttgart<br />

fortzusetzen. Nach seinem frühen<br />

Paul Mutter (1920- um 1970)<br />

Krippenfiguren, nach 1945, Holz, Foto: René Pech, SMG<br />

Tod 1964 fand die Schule aufgrund<br />

der geringen Schülerzahl jedoch keine<br />

Fortsetzung. Weitergeführt wurden<br />

nur die von ihm initiierten Arbeitskreise<br />

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Sonderausstellung<br />

29


Sonderausstellung<br />

Die Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn<br />

in die westliche Kunstszene helfen. Bis<br />

2001 war noch der Esslinger „Bildhauerkreis<br />

Ernst Rülke“ unter der Leitung<br />

von Rülkes Schülerin Elsbeth Siebenbürger<br />

aktiv. Sie schenkte dem Schlesischen<br />

Museum bereits während seiner<br />

Aufbauphase viele Exponate aus diesem<br />

Kreis.<br />

Was in der Ausstellung an geschnitzten<br />

Krippen, dekorativen Arbeiten sowie<br />

volkstümlichen und religiösen Plastiken<br />

gezeigt wird, zeigt nicht nur den Ideenreichtum<br />

der Künstler, sondern vermittelt<br />

auch die Vielfalt an Möglichkeiten,<br />

die der faszinierende Werkstoff Holz<br />

bis heute für formschöne Gestaltungen<br />

verschiedenster Art bietet.<br />

Dr. Johanna Brade<br />

Paul Mutter (1920- um 1970)<br />

Waldleute, nach 1945, Kiefernholz, Foto: René Pech, SMG<br />

zur Förderung des künstlerischen Austauschs<br />

zwischen den Holzbildhauern.<br />

Sie sollten zuerst vor allem vertriebenen<br />

Künstlern bei ihrer Eingliederung<br />

Ausstellung im Schlesischen<br />

Museum vom 30.11.13 bis<br />

21.4.14, Vernissage am<br />

29.11.13 um 19.00 Uhr.<br />

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Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

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Andreas Ch. de Morales Roque<br />

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Redaktion:<br />

Dr. Ernst Kretzschmar,<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />

Dr. Ingrid Oertel<br />

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<strong>Ausgabe</strong>: 15. Oktober <strong>2013</strong><br />

Redaktionsschluss: 20. Okt. <strong>2013</strong><br />

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30<br />

Sonderausstellung


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