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Vol. XIII (2007), no 20 - The International Newsletter of Communist ...

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<strong>The</strong> <strong>International</strong> Newletter <strong>of</strong> <strong>Communist</strong> Studies Online <strong>XIII</strong> (<strong><strong>20</strong>07</strong>), <strong>no</strong> <strong>20</strong> 44<br />

Brüche im „Zeitalter der Extreme“? Was blieb Idee und was wurde Praxis? Was war daran<br />

identitätsgenerierend und was wurde fallen gelassen?<br />

An diesem Punkt setze ich mit meinem Dissertationsprojekt ein. Der Bund hinterließ<br />

aufgrund seiner kulturellen Orientierung eine beträchtliche Zahl Erinnerungsschriften, die im<br />

YIVO (New York) und im IWO (Bue<strong>no</strong>s Aires) zugänglich sind. In Bezug auf die aufgeworfenen<br />

Fragen können Autobiographien als die aussagekräftigsten Quellen betrachtet werden, da sie<br />

sowohl zum Zwecke der Selbstdarstellung als auch der Selbsterkundung verfasst wurden.<br />

Kritisch auf das Verhältnis zwischen individueller Erinnerung, kollektivem Gedächtnis und<br />

erwarteter Leserschaft befragt, bieten sie die Chance, individuelle Selbstentwürfe mit<br />

kollektiven Identitäten zu verknüpfen und somit Ich- und Wir-Bilder vergleichend in Beziehung<br />

zu setzen. So lassen sich Entwürfe hinterfragen, die im Bund eine neue Welt sehen - doch die<br />

neue Freiheit war Interpretationssache und daher vielgestaltig.<br />

Trotz aller inhaltlichen Differenz sind jedoch auch Gemeinsamkeiten erkennbar. Die<br />

auffallenden Bildungsunterschiede zwischen den bundistischen Autobiographen bieten dabei<br />

die Möglichkeit zu einer Typologisierung. Ein dreistufiges Typenmodell dient als<br />

Ausgangspunkt, in dem die Autoren zuerst anhand ihres Bildungsstandes (Arbeiter, yeshiva-<br />

Studenten, Schüler russischer höherer Schulen) und darauf aufbauend in Bezug auf<br />

Schreibeort und -jahr und Geschlecht klassifiziert werden. Von den bislang knapp dreißig<br />

konsultierten, allesamt auf jiddisch verfassten Autobiographien stammten nur sechs aus<br />

Arbeiterhand, die sämtlich nach der Shoa geschrieben wurden. Die höher gebildeten Autoren<br />

teilen sich relativ gleichmäßig auf originär russophone Juden und jiddischsprachige yeshiva-<br />

Studenten auf, die eine Politisierung im Rahmen ihres Studiums erlebten und ab 19<strong>20</strong> zur<br />

Feder griffen. Für die russischsprachig erzogenen Juden, die, wie Abraham Gordon, Tim<strong>of</strong>ei<br />

Kopelson oder Dzshon Mill, gleichsam die Führungsschicht des frühen Bund bildeten,<br />

bedeutete jiddisch zu schreiben eine kulturelle Wendung zum „<strong>Vol</strong>k“, für die originär<br />

jiddischsprachigen hingegen eine Besinnung auf die Heimat, denn fast alle Autobiographien<br />

wurden in der Emigration verfasst. Bildung ist demnach sowohl ein soziales als auch ein<br />

kulturelles Unterscheidungskriterium.<br />

Anhand der Autobiographien ist Mendelsohns Bild einer komplett neuen Welt als nur<br />

teilweise zutreffend zu beurteilen. Vielmehr verbanden die Autoren ihre revolutionären<br />

Ansichten und Praktiken unter Aufrechterhaltung maßgeblicher und vor allem durch<br />

Geschlechterrollen definierter Verhaltensmuster mit der traditionsorientierten jüdischen<br />

Umwelt. Dies war als Bezugspunkt zu den Nichtmitgliedern auch unbedingt <strong>no</strong>twendig. Durch<br />

einen behaupteten Traditionsbruch, aber unter Beibehaltung der lokalen gesellschaftlichen<br />

Grammatik gelang es dem Bund Einfluss auf neue Generationen zu nehmen; er ist daher als<br />

eine im Herkunftsmilieu verankerte, doch gleichzeitig dagegen rebellierende<br />

Jugendbewegung zu verstehen. Darüber hinaus erscheint der Bund in den Erinnerungen<br />

weniger als politische Partei, sondern - unter Berücksichtigung des Schreibeprozesses - als<br />

transatlantisch wirksames politisches, kulturelles und soziales Netzwerk, und erschien nicht<br />

nur Abraham Brumberg als „a hughe mishpokhe [...].“ 91<br />

91 ABRAHAM BRUMBERG From Vilna to San Francisco. Pages from a Diary, in: SŁAWOMIR KAPRALSKI (Hg.) <strong>The</strong><br />

Jews in Poland, Bd. 2, Krakau, 1999, S. 75-84, hier S. 84.

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