Vol. XIII (2007), no 20 - The International Newsletter of Communist ...
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<strong>The</strong> <strong>International</strong> Newletter <strong>of</strong> <strong>Communist</strong> Studies Online <strong>XIII</strong> (<strong><strong>20</strong>07</strong>), <strong>no</strong> <strong>20</strong> 125<br />
heben“ (S. 135), und den Aspekt des Machtkampfes zwischen Staat und Kirche um das<br />
Mobilisierungsmo<strong>no</strong>pol 189 außer Acht läßt.<br />
Das vielleicht gelungenste Kapitel stellt die Beschäftigung Murphys mit der politischen<br />
Opposition in der Fabrik dar. Es muß als einer der ersten Versuche hervorgehoben werden,<br />
politischen Nonkonformismus der Arbeiterschaft in der frühen Sowjetunion auf<br />
Graswurzelebene zu untersuchen. Anhand der neuen Dokumente wird hierbei deutlich, daß<br />
ausnahmslos alle Oppositionstendenzen in der kommunistischen Partei – Arbeiteroppositon,<br />
Trotzkismus, Vereinigte Oppostion, Gewerkschaftsopposition – keinesfalls als hermetische<br />
Debatten im Politbüro verblieben, sondern genauso auf Basisebene ausgetragen wurden. Auch<br />
wenn sich nur eine Minderheit der Arbeiter aktiv für oppositionelle Belange einsetzte, so<br />
bestand bei der Mehrheit zumindest das aufrichtige Interesse, sich über die verschiedenen<br />
Nuancen kommunistischer Politik eine unabhängige Meinung zu bilden. Einige Tendenzen des<br />
Kampfes der Parteiführung gegen den Dissens, so z.B. die gezielte Schürung von<br />
Antisemitismus durch Stalin und Bucharin gegen die Vereinigte Opposition, erfahren hier eine<br />
empirische Bestätigung auf Basisebene. Auch Mutmaßungen wie die, der Aufstand der Linken<br />
Sozialrevolutionäre 1918 habe zu einem rapiden Popularitätsverlust der SRs geführt, werden<br />
hier einleuchtend widerlegt.<br />
Im letzten Kapitel widmet sich Murphy der stalinistischen „Konterrevolution“ des ersten<br />
Fünf-Jahres-Plans, die gekennzeichnet ist durch eine Verschiebung des Diskurses hin zu einer<br />
„production for production's sake“ (S. 186). Der Autor untersucht die Rezeption der<br />
Produktivitätssteigerungsmechanismen des Staates, wie des „Sozialistischen Wettbewerbs“<br />
und der Stacha<strong>no</strong>v-Bewegung, durch die Arbeiter, sowie die gleichzeitige Entmachtung der<br />
Gesamtheit der Arbeiterinteressen vertretenden Institutionen – so z.B. die Infiltrierung der<br />
Fabrikräte durch Stacha<strong>no</strong>v-Arbeiter. Allerdings wird dabei deutlich, daß sich auch<br />
diejenigen, die zunächst den Produktivitätsimpetus begeistert mittrugen, zuweilen enttäuscht<br />
davon abkehrten. Die Loyalisten des stalinistischen Produktivitätsethos bildeten eine<br />
Minderheit, die jedoch alle Mittel nutzte, um ihre Standpunkte durchzusetzen – durch<br />
Diffamierungskampagnen und das, was der Autor als „kulturelle Konterrevolution“ (S. <strong>20</strong>2)<br />
bezeichnet, die sich der Bürgerkriegsrhetorik bediente, sie aber ausschließlich im Kontext der<br />
Steigerung der Produktion instrumentalisierte. Letzendlich, so stellt Murphy fest, waren<br />
jedoch nicht Terror und Propaganda die wirksamsten Waffen des heranziehenden Stalinismus,<br />
sondern die Kontrolle über die wirtschaftliche Existenz der Arbeiter und die daraus<br />
resultierenden Möglichkeiten, Druck auszuüben.<br />
Murphys Graswurzelstudie stellt einen herausragenden Beitrag zum Leben und Wirken von<br />
Arbeitern in der frühen Sowjetunion dar. Mithilfe einer gründlichen Dokumentenanalyse und<br />
eines lebendigen Duktus wird die Entwicklung von der Revolution über die NÖP zum<br />
Stalinismus fernab totalitarismustheoretischer Dogmen neu nachgezeichnet. Darüber hinaus<br />
werden wichtige Erkenntnisse zur frühsowjetischen Alltags- und Mentalitätsgeschichte<br />
gewonnen. Lediglich der Vorsatz, den Konflikt zwischen Staat und Arbeitern nach 1917 als<br />
189 Siehe dazu v.a.: Valerij A. Alekseev: Šturm nebes otmenjaetsja? Kritičeskie očerki po istorii bor'by s<br />
religiej v SSSR, Moskva 1992; Jonathan W. Daly: „Storming the Last Citadel.“ <strong>The</strong> Bolshevik Assault on<br />
the Church 1922. In: Vladimir N. Brovkin (ed.): <strong>The</strong> Bolsheviks in Russian Society. <strong>The</strong> Revolution and<br />
the Civil Wars, New Haven 1997, S. 235ff.