170_StadtBILD_September_2017
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Wir sagen DANKE an alle Unterstützer und Sponsoren<br />
des Stadthallengarten Open Airs.<br />
Wir sagen DANKE an Phil Bates und Band für ein<br />
Konzert der Weltklasse. Wir sagen Danke an die<br />
Starfucker aus Berlin um Mike Kilian und natürlich<br />
JENIX aus Zittau.<br />
Wir sagen DANKE an die zahlreichen Besucher<br />
aus Berlin, Dresden, Cottbus, Meißen, Riesa, Krakau,<br />
Leipzig, Hamburg und München. Wir sagen<br />
Danke an Stadtrat Thomas Leder als Personalunion<br />
für Stadtrat, Förderverein und Stiftung der<br />
Stadthalle.<br />
Wir sagen DANKE an WalkoMedia für die gelungenen<br />
300qm Liveprojektion. Wir sagen Danke dem<br />
Restaurant Athos, Eventservice Germany, Hotel<br />
Paul Otto, Hotel Alt Görlitz und der Landskron<br />
Brauerei.<br />
Wenn auch der Wettergott am Freitag so richtig<br />
den Stadthallengarten unter Wasser setzte, tat<br />
das der hervorragenden Stimmung keinen Abbruch.<br />
Krönung des Open Airs war ohne jeden<br />
Zweifel der Auftritt von Phil Bates und Band.<br />
Wenn auch der eine oder andere Görlitzer sich<br />
etwas unwohl bei den vielen auswärtigen Gästen<br />
fand, merkte man an, dass das eine oder andere<br />
Gesicht spürbar vermißt wurde. Uns wurde von<br />
den Görlitzern gesagt, doch bitte nicht „Görlitz<br />
Rockt“ auf die Mehrwegbecher zu schreiben, sondern<br />
„Görlitz schläft“.<br />
Klingt hart, aber an dieser Stelle sollte wirklich die<br />
Frage gestellt werden: Die Sanierung der Stadthalle<br />
ist mehr als unterstützenswert, aber für wen<br />
und für was ?<br />
Bevor die Sanierung auf Hochtouren kommt, wäre<br />
es mehr als sinnvoll, über ein stimmiges Betreiberkonzept<br />
nachzudenken, denn die Stadthalle muß<br />
trotz städtischer Zuschüsse betreibbar sein, und<br />
da sind gefühlte 100 Görlitzer Besucher bei internationalen<br />
Konzerten einfach viel zu wenig. Sich<br />
dann darauf zu verlassen, dass dann Woche um<br />
Woche hunderte auswärtige Besucher erscheinen,<br />
dürfte wohl kein Argument sein. Im kommenden<br />
Jahr gibt es in jedem Fall eine Neuauflage mit hoffentlich<br />
größerer Resonanz der Einheimischen.<br />
Wir sagen DANKE an die vielen Firmen und Institutionen,<br />
die uns bei der Umsetzung eines<br />
Informationskonzeptes am maroden Stadthallengartenzaunes<br />
behilflich waren. Dieser kündet nun<br />
noch bis Anfang Oktober von der Grundsteinlegung<br />
über große Konzerte bis hin zu Aufnahmen,<br />
die uns der Förderverein Stadthalle e.V. für das<br />
Projekt zur Verfügung stellte. Die historischen Ansichten<br />
und Detailaufnahmen wurden liebevoll in<br />
einen Jugendstilrahmen passend zum Haus retuschiert.<br />
Immer wieder halten Touristen, aber auch<br />
Görlitzer an, um sich von der einstigen Schönheit<br />
der Stadthalle zu überzeugen.<br />
Ihr incaming media Team<br />
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Einleitung<br />
3
Achtung Zug!<br />
Zug!<br />
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An<br />
Modell (Maßstab 1:34) der ersten in Schlesien gebauten Lokomotive, 1860, Maschinenbauanstalt G. H. von Ruffer<br />
in Breslau, Modellbauer Johannes Fischer (Foto: SMG)<br />
<strong>2017</strong> ist für die Geschichte der Eisenbahn<br />
in Schlesien ein bedeutsames Jahr, sind<br />
doch gleich mehrere Jubiläen zu feiern:<br />
1842 fuhr die erste Eisenbahn in Schlesien<br />
von Breslau nach Ohlau, 1847 wurde<br />
Görlitz an das sich rasch entwickelnde<br />
Eisenbahnnetz zwischen Schlesien und<br />
Sachsen angeschlossen und 1917 der<br />
heutige große Bahnhof eingeweiht. Aus<br />
diesem Anlass zeigt das Schlesische Museum<br />
zu Görlitz eine Ausstellung, in der<br />
die rasche Entwicklung des Eisenbahnnetzes<br />
in Schlesien und der damit verbundene<br />
Aufschwung in Industrie und<br />
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4<br />
Sonderausstellung
dingungen entstanden. Ihre Bedeutung<br />
für die Industrie, aber auch für den Tourismus,<br />
kann am Beispiel der „Zackenbahn“<br />
von Hirschberg nach Polaun in<br />
Böhmen aufgezeigt werden.<br />
Vor allem werden in der Ausstellung das<br />
<strong>170</strong>. und 100. Jubiläum der Görlitzer<br />
Bahnhofsgebäude gewürdigt. Sie sind<br />
als Architekturmodelle und auf zahlreichen<br />
Fotos gegenwärtig. Darüber hinaus<br />
ist die nach 1847 in Görlitz wachsende<br />
und bis heute wirtschaftlich wichtige<br />
Waggonbauindustrie thematisiert. Hier<br />
wurden zahlreiche technische Innovationen<br />
entwickelt, u.a. in den 1930er<br />
Jahren der Schnelltriebwagen der „Fliegende<br />
Hamburger“. Die Ausstellung<br />
dokumentiert auch den Werdegang<br />
des Waggonbaus in Niesky, der heute<br />
europaweit eine Spitzenposition in der<br />
Güterwagenherstellung einnimmt, oder<br />
des Reichsbahn-Ausbesserungswerkes<br />
Lauban, das noch bis zum Jahr 2000 als<br />
polnisches Unternehmen fortexistierte.<br />
Während der einjährigen Laufzeit der<br />
Ausstellung wird diese durch mehrere<br />
interessante Sonderpräsentationen ere<br />
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Achtung Zug!<br />
175 Jahre Eisenbahn in Schlesien<br />
Tourismus veranschaulicht werden. Mehr<br />
als 30 Leihgeber tragen dazu bei. Die<br />
Ausstellung lebt von reichem Bildmaterial<br />
und zahlreichen Modellen historischer<br />
Lokomotiven und Waggons in den Maßstäben<br />
von H0 bis 1:10, sie präsentiert<br />
Bauteile und Gerätschaften aus dem Eisenbahnbetrieb,<br />
Uniformstücke aus verschiedenen<br />
Zeiten sowie Film- und Audiodokumente,<br />
Karten und Schriftstücke.<br />
Hauptattraktion der Ausstellung ist ein<br />
18 Meter langes Architekturmodell der<br />
Görlitzer Bahnhofsanlage im Zustand<br />
von 1917, das erstmals in voller Größe<br />
präsentiert wird.<br />
Die Schau führt den Besuchern den raschen<br />
Ausbau des Eisenbahnnetzes innerhalb<br />
Schlesiens vor Augen. Schnell<br />
war die Anbindung an Fernstreckenziele<br />
wie Berlin, Wien und Warschau hergestellt.<br />
Besonders im oberschlesischen<br />
Bergbau- und Hüttenrevier expandierte<br />
der Schienenverkehr. Wichtig waren aber<br />
auch die zahlreichen Nebenstrecken und<br />
Privatbahnen, die insbesondere im Riesengebirge<br />
und in der Grafschaft Glatz<br />
unter schwierigsten topografischen Be-<br />
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Sonderausstellung<br />
5
Achtung Zug!<br />
Zug!<br />
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An<br />
Robert Scholz (1843-1926): Görlitzer Viadukt mit Lokomotive, um 1915 (Foto: Ratsarchiv Görlitz)<br />
gänzt. Die erste beginnt am 15. Oktober<br />
<strong>2017</strong> und zeigt historische Fotografien<br />
vom Bau der Strecke Hirschberg - Löwenberg<br />
in den Jahren 1906 - 1909. Die<br />
Aufnahmen stammen aus der Sammlung<br />
des Partnermuseums in Hirschberg,<br />
des Muzeum Karkonoskie w Jeleniej<br />
Górze.<br />
Das Projekt wird durch Mittel des Europäischen<br />
Fonds für regionale Entwicklung<br />
Interreg Polen-Sachsen gefördert.<br />
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6<br />
Sonderausstellung
e<br />
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Achtung Zug!<br />
175 Jahre Eisenbahn in Schlesien<br />
Robert Scholz: Alter Görlitzer Bahnhof mit Erweiterungsbau, um 1900 (Foto: Ratsarchiv Görlitz)<br />
Im Januar 2018 folgt die Präsentation<br />
einer beeindruckenden Sammlung<br />
von Waggonschildern aus ganz Europa,<br />
die das Muzeum Regionalne w Lubaniu<br />
(Regionalmuseum Lauban) als Leihgabe<br />
zur Verfügung stellt. Im Mai 2018 soll ein<br />
Modell der Zackenbahn, das alle Bahnhöfe<br />
von Niederschreiberhau bis Polaun<br />
darstellt, mit zeitweisem Fahrbetrieb zu<br />
erleben sein.<br />
Die Ausstellung läuft vom 2. Sept.<br />
<strong>2017</strong> bis 2. Sept. 2018.<br />
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Sonderausstellung<br />
7
Achtung Zug!<br />
Zug!<br />
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An<br />
Robert Scholz: Görlitzer Bahnhof, 1928 (Foto: Ratsarchiv Görlitz)<br />
Schlesisches Museum zu Görlitz<br />
Schönhof, Brüderstraße 8, 02826 Görlitz<br />
Tel. +49 (0) 3581 87910<br />
kontakt@schlesisches-museum.de<br />
www.schlesisches-museum.de<br />
geöffnet: Dienstag-Sonntag 10-17 Uhr<br />
(Sonderöffnungszeiten an Feiertagen, während<br />
des Christkindelmarktes und im 1. Quartal)<br />
Sondereintrittspreis für Sonderausstellungen<br />
zur Eisenbahn: 4,00 € / ermäßigt 3,00 €.<br />
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8<br />
Sonderausstellung
e<br />
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Achtung Zug!<br />
175 Jahre Eisenbahn in Schlesien<br />
Modellbauer Ingo Wobst (Foto: René E. Pech)<br />
Architekturmodell der Görlitzer<br />
Bahnhofsanlage von 1917 ist erstmals<br />
vollständig in der Ausstellung<br />
des Schlesischen Museums zu<br />
sehen.<br />
Wie viele Personen braucht es, um ein<br />
18 m langes und 2,5 m breites Architekturmodell<br />
der historischen Görlitzer<br />
Bahnhofsanlage zu bauen? Einen Mann<br />
mit sehr viel Enthusiasmus und sehr viel<br />
Geduld – eine Arbeit von geschätzt über<br />
10.000 Stunden. Ingo Wobst widmet<br />
sich diesem enormen Projekt voller Liebe<br />
zum Detail seit 2003 und ist von den verkehrswissenschaftlichen<br />
Aspekten und<br />
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Sonderausstellung<br />
9
Achtung Zug!<br />
Zug!<br />
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An<br />
Modell des Görlitzer Bahnhofs, Maßstab 1:87 (Foto: SMG)<br />
ihrem historischen Kontext fasziniert.<br />
Es begann mit einem Modell des Neißeviadukts,<br />
das der Auftakt einer Serie<br />
von Bahnviadukten in Schlesien werden<br />
sollte. Bei der ersten öffentlichen Ausstellung<br />
dieses Segmentes 2007 bekam<br />
Herr Wobst nicht nur positive Rückmeldungen<br />
der Besucher, sondern auch den<br />
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10<br />
Sonderausstellung
e<br />
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Achtung Zug!<br />
175 Jahre Eisenbahn in Schlesien<br />
Gedankenanstoß, statt auf die einzelnen<br />
Viadukte sich auf das Gesamtkonzept<br />
vor seiner Haustür zu konzentrieren: der<br />
gesamten Bahnanlage von Görlitz in der<br />
Zeit um 1915 bis 1920. So erstreckt sich<br />
heute das Architekturmodell vom östlichen<br />
Ende des Neißeviadukts bis westlich<br />
vom Bahnhofsgebäude, wie es bis<br />
heute erhalten ist, vor dem Brautwiesenbogen.<br />
Ingo Wobst plant, das Projekt noch östlich<br />
bis zum heute in Zgorzelec gelegenen<br />
Bahnhof Moys (Ujazd) und westlich<br />
bis zum Rangierbahnhof in Schlauroth<br />
zu erweitern. „Schon damals war klar,<br />
dass dieses Projekt ohne Kompromisse<br />
entstehen sollte“, erzählt der Erbauer<br />
und erklärt, wie das Ensemble nicht<br />
nur maßstabsgetreu 1:87 umgesetzt<br />
wird, sondern er sich eng an originalen<br />
Bauplänen, Lageplänen, Vermessungen<br />
an der vorhandenen Substanz und historischen<br />
Fotos orientiert und Gebäude<br />
innen wie außen rekonstruiert. Selbst<br />
Beleuchtung und Bepflanzung berücksichtigt<br />
er in seiner akribischen Arbeit.<br />
Es ist sein Lebenswerk, das Herrn Wobst<br />
noch viele Jahre begleiten wird und das<br />
er bisher weitestgehend alleine, auch finanziell,<br />
gestemmt hat.<br />
In Anerkennung der Leistungen vergangener<br />
Generationen wünscht er sich<br />
dieses Architekturmodell in Zukunft der<br />
Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sowohl<br />
als erlebbares Stück Vergangenheit<br />
in Klein als auch als verkehrstechnisches<br />
Anschauungsstück. Bevor es jedoch<br />
möglichst bald an einen neuen Standort<br />
zieht, wird das Architekturmodell für ein<br />
Jahr in der Sonderausstellung „Achtung<br />
Zug! 175 Jahre Eisenbahn in Schlesien“<br />
im Schlesischen Museum zu Görlitz<br />
Station machen. Als Herzstück der Ausstellung<br />
vermag es Bewunderung über<br />
die Fülle von Details in einem so großen<br />
Modell hervorzurufen und zugleich auch<br />
Interesse für die großflächige, historisch<br />
bedeutende Verkehrsarchitektur in einem<br />
so kleinen Maßstab zu wecken.<br />
Michalina Cieslicki<br />
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Sonderausstellung<br />
11
Görlitzer<br />
Ferdinand Wilhelm<br />
Bildungswesen<br />
Kaumann (1798 - 1868) –<br />
(Fortsetzung)<br />
Es ehrt Kaumann, daß er sich nachdrücklich<br />
auch für die Mädchenbildung<br />
in einer städtischen Mädchen-Bürgerschule<br />
einsetzte. In seinem Lehrplan für<br />
diese Schule hob er hervor, daß „dem<br />
weiblichen Geschlechte dieselben Ansprüche<br />
auf Aufklärung, Bildung und<br />
Verschönerung des Geistes und Herzens<br />
eingeräumt“ werden sollte, denn<br />
„je sorgfältiger sie selbst erzogen sind,<br />
desto zweckmäßiger werden sie andre<br />
erziehen“. Er meinte zwar: „Das weibliche<br />
Geschlecht soll nicht die Beschäftigungen<br />
des männlichen auf dem öffentlichen<br />
Schauplatze des Lebens teilen,<br />
… es soll nicht für die weite Welt, sondern<br />
für das enge Haus erzogen werden“.<br />
Dennoch verlangte Kaumann für<br />
die Mädchenbildung ein hohes geistiges<br />
Niveau mit „Bestimmtheit, Genauigkeit,<br />
Sicherheit und Ordnung“. „Die sinnliche<br />
Genußsucht wird in der Regel nur dann<br />
vorherrschen, wenn der Geist keine edleren<br />
Genüsse kennt.“Auch mit diesen<br />
Ansprüchen war er auf der Höhe der<br />
Zeit, und die Mädchen-Bürgerschule<br />
setzte Maßstäbe.<br />
Beim Lesen dieser Grundsatzschriften<br />
empfindet man es als wohltuend, daß<br />
keine vordergründige Parteipolitik den<br />
Blick trübt und den Ton verhärtet. Dabei<br />
sind Kaumanns Gedankengänge durchaus<br />
parteilich. Er ergreift Partei für das<br />
fortschreitende Leben in Politik, Wirtschaft<br />
und Kultur und für eine Schule,<br />
die diesem Leben dient. Damit ergreift<br />
er Partei für die junge Generation, die er<br />
bestmöglich auf die Anforderungen des<br />
Lebens vorbereiten möchte. Sein Ziel ist<br />
der sittlich gefestigte, gebildete, frei und<br />
selbstständig entscheidende Staatsbürger,<br />
der in Familie, Beruf und Gemeinwesen<br />
dem Gemeinwohl dient. Diesen<br />
Staatsbürger stellt sich Kaumann nicht<br />
als abstrakten Idealtypen vor, sondern<br />
sehr diesseitig mit den Chancen und<br />
Zwängen um 1850. Welchen Segen bedeutete<br />
es für die Stadt, daß hier jahrzehntelang<br />
in diesem Sinne Schulpolitik<br />
gemacht wurde! Der Umgang mit den<br />
Schulfragen vollzog sich sachlich, phrasenlos<br />
und praxisbezogen, jedoch nicht<br />
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12<br />
Geschichte
und das Görlitzer Bildungswesen im 19. Jhd.<br />
Görlitzer Mädchenbürgerschule 1838<br />
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Geschichte<br />
13
Görlitzer<br />
Ferdinand Wilhelm<br />
Bildungswesen<br />
Kaumann (1798 - 1868) –<br />
ohne Leidenschaft und nicht ohne finanzielle<br />
Großzügigkeit. Was man an Ideen,<br />
Arbeit und Geld einbrachte, sollte sich ja<br />
erst in der Zukunft auszahlen.<br />
Kaumann und die Görlitzer Lehrer seiner<br />
Generation legten ein solides Fundament<br />
für das örtliche Bildungswesen.<br />
Zwischen 1860 und 1914 entstand eine<br />
Reihe weiterer Schulen mit modernem<br />
architektonischem Zuschnitt und angemessener<br />
Ausstattung, so die Volksschulen<br />
Schulstraße (1869), Jahnstraße<br />
(1871), Cottbuser Straße (1894),<br />
Reichenberger Straße (1887), Melanchthonstraße<br />
(1903) und Fischmarkt<br />
(1897), die Mittelschulen Annengassen<br />
(1901) und Elisabethstraße (1875), die<br />
höheren Schulen Wilhelmsplatz (1873<br />
als Gewerbeschule, 1882 Höhere Mädchenschule),<br />
Lessingstraße und Seydewitzstraße<br />
(1913) und schließlich die<br />
Baugewerkschule und die Maschinenbauschule<br />
am Friedrichsplatz (1898).<br />
Wenn sich Görlitz spätestens um die<br />
Jahrhundertwende zum politischen,<br />
wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum<br />
der preußischen Oberlausitz mit einer<br />
bedeutenden Ausstrahlung entwickelt<br />
hatte, dann nur mit den Menschen, die<br />
ihre Grundkenntnisse, Wertvorstellungen<br />
und Charaktereigenschaften an den<br />
Görlitzer Schulen erworben hatten. Ob<br />
als Unternehmer oder Handwerker, als<br />
Arbeiter oder Kaufmann, als Eisenbahner<br />
oder Beamter, als Künstler oder Offizier,<br />
als Bauleute oder Lehrer – in ihrer<br />
Gesamtheit und Vielfalt gestalten sie das<br />
Leben in der verjüngten Stadt. Was wären<br />
die Großbetriebe mit ihrem Export,<br />
was wären die „Schlesischen Musikfeste,<br />
die Parkanlagen und Sportplätze, die<br />
Theater und Bibliotheken gewesen ohne<br />
die Görlitzer, deren Kenntnisse, Lebensansprüche<br />
und Überzeugungen nach<br />
den Ideen von Demiani und Kaumann<br />
geformt worden waren?<br />
Leider ist auch aus dem Familienleben<br />
Kaumanns wenig bekannt. Er heiratete<br />
seine Jugendliebe, Ottilie von Polenz,<br />
Tochter des Landesältesten von Polenz<br />
auf und zu Altwasser in der Niederlausitz.<br />
Das Ehepaar Kaumann hatte sieben<br />
Kinder, von denen zwei jung starben.<br />
Seine älteste Tochter führte ihm in Al-<br />
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14<br />
Geschichte
und das Görlitzer Bildungswesen im 19. Jhd.<br />
Kaumann um 1855<br />
ter den Haushalt. Sein Sohn Alexander<br />
war städtischer Baurat in Thorn und<br />
Breslau, sein Sohn Julius Baumeister in<br />
Moskau. Die Tochter Thekla heiratete einen<br />
Eisenbahn-Baumeister in Hamburg,<br />
die Tochter Marie einen Kreisgerichtsrat<br />
in Bunzlau. Kaumann hatte neun Enkel.<br />
Es spricht für sich, daß ein beruflich<br />
so beanspruchter Mann die Freuden<br />
und Pflichten des Familienvaters nicht<br />
scheute, weil ihm aus der Geborgenheit<br />
der Familie neue Kraft zuwuchs.<br />
Über die Abiturienten-Entlassungsfeier<br />
der Realschule 1859 lesen wir im Jahresbericht:<br />
„In der Abschiedsstunde bewies<br />
der Direktor (also Kaumann) den Scheidenden,<br />
daß gewissenhafte Tätigkeit<br />
der Schlußstein aller unsrer Glückseeligkeit<br />
sei, ja, daß es kein größeres Unglück<br />
für den Menschen gebe als – nicht<br />
arbeiten zu können und nicht arbeiten<br />
zu dürfen, und legte ihnen ans Herz,<br />
den Ausspruch des größten Fürsten des<br />
18. Jahrhunderts, den Ausspruch unsers<br />
Friedrich, daß ich lebe, ist nicht notwendig,<br />
wohl aber, daß ich tätig bin, zu ihrem<br />
Lebenswort zu machen.“<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
Aus:<br />
Görlitzer Magazin,<br />
14. Jahrgang, 1996,<br />
(gekürzt)<br />
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Geschichte<br />
15
„3-<br />
Fischmarktstraße<br />
Eichen“<br />
Nr. 5 „3 Eichen“ in Görlitz –<br />
Bei aufwändigen Restaurierungsarbeiten<br />
des Eckgrundstückes Fischmarktstr. 5/<br />
Ecke Klosterplatz im Jahre 2016/<strong>2017</strong><br />
stieß man im Rahmen der Entkernung im<br />
Untergeschoß auf gemauerte „verließähnliche“<br />
Räume, versehen mit schweren<br />
massiven Eisentüren. Die gemessene<br />
Bodenfläche betrug 6,20 m 2 , bei einer<br />
Höhe von 3,00 m gerade mal Platz bietend<br />
für 1 Person. Reste einer vergitterten<br />
Fensterluke ließen nur wenig Licht in<br />
den Raum. An der Gewölbedecke fiel ein<br />
an zentraler Stelle fest verankerter Eisenring<br />
ins Auge. Was bisher nur ein vager<br />
Verdacht war, wurde nunmehr Gewissheit.<br />
Es dürfte sich hierbei tatsächlich um<br />
die Reste eines mittelalterlichen Gefängnistraktes<br />
handeln. Vermutet wurde seit<br />
langem, dass sich unmittelbar hinter den<br />
Häusern Fischmarkt 10-14 direkt mit der<br />
alten Stadtmauer verbunden ein Gefängnis,<br />
damals „Büttelei“ oder „Stockhaus“<br />
genannt, befand. Zweifellos ist man auf<br />
die gut erhaltenen Reste des ältesten<br />
Gefängnisses der Stadt, um 1589 erbaut,<br />
gestoßen.<br />
Die enge Verbindung des alten Gefäng-<br />
Kerkerzelle mit Eisenring an der Decke<br />
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16<br />
Geschichte
„3-<br />
einst ältestes<br />
Eichen“<br />
Gefängnis der Stadt<br />
Fischmarktstraße 5 “Brauhaus 3 Eichen”<br />
nistraktes zur mittelalterlichen Stadtmauer,<br />
dem ehemaligen Verteidigungsring<br />
der Stadt, lässt sich an Hand überlieferter<br />
Stadtpläne noch zweifelsfrei nachvollziehen.<br />
lm Jahre 1525 zerstörte ein Großbrand<br />
circa 180 Häuser bis in die Brüderstraße<br />
hinein.<br />
Auf den Grundmauern des alten Hauses<br />
„in civitate“ (innerhalb der Stadtmauer<br />
gelegen) erfolgten 1589 Um- und Ausbauten.<br />
Nach Übernahme der Stadt als<br />
Eigentümer im Jahre 1822 wurden darin<br />
die Amtsräume des „Königlich Preußischen<br />
lnquisitorates“ eingerichtet. Vorübergehend<br />
sollen sich darin auch die<br />
Wohnräume des Scharfrichters befunden<br />
haben. Die Henkertätigkeit entsprach<br />
mitunter einem öffentlichen Spektakel,<br />
einem Volksfest gleich. Als Strafen und<br />
Strafmaß wurde im Mittelalter unterschieden<br />
in: Ehrenstrafen (öffentliche<br />
Demütigungen wie Pranger, Schandkorb,<br />
Schandmal, Halsgeige, Lästerstein, Eselsritt),<br />
Freiheitsstrafen 16. Jahrhundert<br />
(Verbannung, Exil, Kloster), Geldstrafen<br />
(Genugtuung für Geschädigten bei klei-<br />
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Geschichte<br />
17
„3-<br />
Fischmarktstraße<br />
Eichen“<br />
Nr. 5 „3 Eichen“ in Görlitz –<br />
nen Diebstählen z. B. von Brennholz, unbefugtem<br />
Weiden), Todesstrafen (Mord,<br />
Raub, Brandstiftung, Vergewaltigung u.a.<br />
Kapitalverbrechen wie Vergiftung, Ketzerei,<br />
Zauberei), Verstümmelungsstrafen<br />
(Abhauen der Hand, Abschneiden der<br />
Füße, Nase, Ohren, Zunge, Brandmarken,<br />
Rädern). Der Henker betätigte sich<br />
mitunter in Personalunion als Bader, Chirurgicus,<br />
Schlachter und Veterinär. Der<br />
Scharfrichter war zudem eine angesehene<br />
Person, meist wurde untereinander<br />
geheiratet, wodurch ausgesprochene<br />
Familien-Dynastien entstanden. Namen<br />
wie Lorenz oder Straßburger stehen in<br />
Görlitz dafür. Der Ort für die Urteilsverkündigung<br />
war das Rathaus, wobei Görlitz<br />
als eine Stadt galt, wo sehr hart gerichtet<br />
worden sei.<br />
Unsägliches Leid brachte der sogenannte<br />
„Hexenhammer“ (Maleus maleficarum)<br />
des Dominikaners Jakob Sprenger, der<br />
von Papst Inozens VIII. im Jahre 1487 als<br />
Generalinquisitor gegen Ketzer, Zauberer<br />
und Frauen, die dem Teufel Buhlschaft<br />
anbieten, ernannt wurde, mit sich.<br />
Unsägliche Folterungen, Hexenprozesse<br />
“Malefiz-Person”, angekettet<br />
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18<br />
Geschichte
„3-<br />
einst ältestes<br />
Eichen“<br />
Gefängnis der Stadt<br />
und Hinrichtungen von Frauen fanden<br />
statt, die anfällig für Versuchungen des<br />
Teufels gewesen sein sollten. Augenscheinlich<br />
war auch die wirtschaftliche<br />
Seite des Prozesses, da das gesamte<br />
Vermögen der Verbrannten an die lnquisitoren<br />
fiel, die auf diese Weise sehr reich<br />
geworden sind. Ebenso wurden auch<br />
sämtliche Kosten für den Prozess, Holz<br />
des Scheiterhaufens und anschließenden<br />
Schmaus in Rechnung gestellt, was etwa<br />
eine Summe von 420 Gulden, dem Wert<br />
eines Bauernhauses entsprechend, ausmachte.<br />
Erst im Jahre 1755 wurde in Deutschland<br />
die letzte „Hexe“ hingerichtet. In Görlitz<br />
sollen 30 Hexenprozesse stattgefunden<br />
haben, in deren Ergebnis 8 Todesurteile<br />
gefällt, jedoch nicht vollzogen wurden,<br />
da es sich um Betrügerinnen gehandelt<br />
haben sollte.<br />
Um 1400 fanden klassische Zauberer-<br />
Prozesse grundsätzlich als Strafverfahren<br />
statt. Im Jahre 1490 stand Niklas Weller<br />
vor dem Görlitzer Stadtgericht unter<br />
Anklage wegen strafbarer Zauberei, in<br />
dessen Ergebnis als Strafe die „Acht“ verhängt<br />
und sämtliche Güter einbezogen<br />
wurden, obwohl zunächst das Todesurteil<br />
gefällt war.<br />
Mit dem Vogtshof, ehemals „Foteshof“ genannt,<br />
besaß die Stadt eine Schutzburg.<br />
Nach Umbauten in den Jahren 1826-<br />
1830 waren darin die Garnisons-Kaserne<br />
und Strafanstalt bzw. das „Zuchthaus“<br />
untergebracht. Nach unterschiedlicher<br />
Nutzung folgte ab 1975 die<br />
Belegung als Studentenwohnheim der<br />
lngenieurschule Görlitz, Peterstraße 6-7.<br />
Noch viele Jahre danach waren Nummern<br />
über den kleinen Fensteröffnungen<br />
sichtbar und wiesen auf die ehemalige<br />
Nutzung hin. Wer kann schon heute von<br />
sich behaupten, einen großen Teil seiner<br />
Studentenzeit in einem Zuchthaus verbracht<br />
zu haben?<br />
Davon, dass mit der Erweiterung des<br />
Rathauses im „Neuen Rathaus“ zwischen<br />
Jüdenstraße und Helle Gasse im Jahre<br />
1895 auch Gefängnisräume untergebracht<br />
waren, zeugen noch heute mit<br />
dicken Eisenstäben vergitterte Fenster.<br />
Neben der Funktion als Hauptwache der<br />
Garnison diente der Kaisertrutz ab 1850<br />
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Geschichte<br />
19
„3-<br />
Fischmarktstraße<br />
Eichen“<br />
Nr. 5 „3 Eichen“ in Görlitz –<br />
Hinrichtung um 1240<br />
sowohl als Wachlokal als auch Militärgefängnis<br />
mit entsprechenden Arrest-<br />
Zellen. Nachdem der Rat der Stadt als<br />
Eigentümer das Gebäude Fischschmarkt<br />
14 erworben hatte, erfolgte ein Tausch<br />
gegen 2,5 Morgen Land am Postplatz.<br />
lm Zeitraum von 1863-1865 ging in Verbindung<br />
mit der Aufstockung der dort<br />
befindlichen, „Schirrmeisterei“ der Bau<br />
eines Zellentraktes einher. lm Jahre 1909<br />
fand die Einweihung des benachbarten<br />
neuerrichteten Landgerichtes statt. Wäh-<br />
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20<br />
Geschichte
„3-<br />
einst ältestes<br />
Eichen“<br />
Gefängnis der Stadt<br />
Hexenverhör unter Folter<br />
rend der DDR-Zeit diente die Haftanstalt<br />
am Postplatz vorwiegend als Vollzugseinrichtung<br />
für Frauen und Untersuchungsgefangene.<br />
Der Umstand, dass sich das<br />
Görlitzer Gefängnis ausgerechnet am<br />
damaligen „Platz der Befreiung“ befand,<br />
regte nicht nur so manchen Görlitzer zum<br />
Schmunzeln an, war vielleicht eher dem<br />
Zufall geschuldet.<br />
Derzeit befinden sich in der Justitzvollzugsanstalt<br />
Görlitz männliche Gefangene<br />
im Vollzug bis zu 2 Jahren in Untersu-<br />
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Geschichte<br />
21
„3-<br />
Fischmarktstraße<br />
Eichen“<br />
Nr. 5 „3 Eichen“ in Görlitz –<br />
Blick auf den Gefängsnistrakt Postplatz<br />
JVA Görlitz<br />
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22<br />
Geschichte
„3-<br />
einst ältestes<br />
Eichen“<br />
Gefängnis der Stadt<br />
chungshaft sowie mit einer Ersatzfreiheitsstrafe.<br />
Gegernwärtig soll es sich um<br />
Gefangene aus 20 verschiedenen Nationen,<br />
4 Kontinenten handeln, was mit<br />
hohen Anforderungen an das Wach- und<br />
Betreuungspersonal verbunden ist. Die<br />
Unterbringung in den entsprechenden<br />
Verwahrräumen („Zellen“) könnte durchaus<br />
dem Vergleich mit Zimmern einer<br />
einfachen Jugendherberge Stand halten.<br />
Sogar behindertengerechte Hafträume<br />
können bereitgestellt werden.<br />
Wo sich pünktlich zu Ostern <strong>2017</strong> für die<br />
ersten Besucher der Stadt im Gästehaus<br />
die Türen von 6 Ferienwohnungen öffneten,<br />
schlossen sich einst im Mittelalter<br />
die Tore hinter manchem Schwerenöter<br />
für lange Zeit. Mit der Vorstellung, im ältesten<br />
Görlitzer Gefängnis künftig auch<br />
die Rolle eines Gefängnisdirektors zu<br />
übernehmen, in den ehemaligen Zellen,<br />
allerdings mit gehobenem Standard, inklusive<br />
Häftlingskleidung, Blechnapf, gar<br />
Fesselspiele anzubieten, kann sich der<br />
Betreiber jedoch derzeit ganz und gar<br />
nicht vertraut machen.<br />
Dr. Bernhard Wolf “Brauhaus 3 Eichen”, Fischmarktstr. 5<br />
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Geschichte<br />
23
Stadthalle Görlitz<br />
Görlitz<br />
Kein Thema der letzten Jahrzehnte spaltet<br />
die Görlitzer so, wie die Sanierung<br />
der Stadthalle. Für die einen ein Millionengrab,<br />
für die anderen unverzichtbar<br />
in der Kulturstadt Görlitz. Leider wurden<br />
in den zurückliegenden Jahren so viele<br />
Chancen verschenkt, Konzepte ignoriert<br />
und Investoren abgeschreckt. Nun ist es<br />
müßig, darüber zu diskutieren, ob das<br />
Betreiberkonzept der Hannover Leasing<br />
aufgegangen wäre oder nicht, ob sich der<br />
geplante Brückenpark als umsetzbar erweisen<br />
konnte, wenn Görlitz Kulturhauptstadt<br />
2010 gewesen wäre.<br />
Die einfachen Fakten sprechen eine klare<br />
Sprache, die aber häufig, wenn es um<br />
die Sanierung der Stadthalle geht, unter<br />
den Tisch gekehrt werden. Seit der<br />
Schließung der Halle 2004 hat sich die<br />
Musikszene komplett gewandelt. Ging<br />
es vor 13 Jahren noch um CD-Verkäufe,<br />
spielen diese heute nur noch eine untergeordnete<br />
Rolle. Die Künstler finanzieren<br />
sich heute hauptsächlich über Konzerte<br />
und Gagen, die damals undenkbar gewesen<br />
wären. Und das Haus hat inzwischen<br />
auch auf Grund des Fehlens einer großen<br />
Veranstaltungsstätte zahlreiche Konkurrenz<br />
bekommen. Zum Einen wurde die<br />
Landskron Kulturbrauerei aufwändig als<br />
Ort für Konzerte auf- und ausgebaut.<br />
Zum anderen entstand mit der Landesgartenschau<br />
in Löbau der Messepark und<br />
in Zgorzelec die Mehrzweckhalle, die aber<br />
hauptsächlich für Sportveranstaltungen<br />
genutzt wird. Die Kulturbrauerei spricht<br />
dabei die jüngere Zielgruppe an und würde<br />
sich grundsätzlich mit der Stadthalle<br />
nicht ins Gehege kommen, beide könnten<br />
durchaus voneinander bei der richtigen<br />
Abstimmung profitieren. Der Messepark<br />
in Löbau findet sein Publikum hauptsächlich<br />
aus der sehr vorteilhaften Lage zwischen<br />
Görlitz, Bautzen und dem Oberland<br />
und bedient ein Publikum von jung bis<br />
alt. Die Abifeiern und einstigen Bälle der<br />
Tanzschulen haben in den vergangenen<br />
Jahren auch neue Orte gefunden. Also<br />
hier erneut die Frage, die Stadthalle für<br />
Wen und Was?<br />
Hier sollte man aber beim Bau der Stadthalle<br />
anfangen, die einst für die Schlesischen<br />
Musikfestspiele erbaut worden ist<br />
und durch eine groß angelegte Samm-<br />
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24<br />
Geschichte
Vision<br />
Zukunftsvision<br />
lung unter den Görlitzer Bürgern, Spendern<br />
und Kulturmäzenen überhaupt möglich<br />
geworden war. Sie galt als eine der<br />
größten Veranstaltungshallen neben der<br />
Jahrhunderthalle in Breslau und hatte einen<br />
wunderschönen Garten. Aber Zeiten<br />
ändern sich, und ein Biergarten in dieser<br />
einstigen Dimension wäre für Görlitz nicht<br />
nur vorstellbar, sondern schlicht weg bei<br />
den heutigen Gegebenheiten utopisch.<br />
Der Ansatz von uns, den Stadthallengarten<br />
als Open-Air-Stätte aus seinem Dornrösschenschlaf<br />
zu wecken, hatte zur Folge,<br />
dass das Sommertheater eine neue<br />
Spielstätte erfuhr, die trefflich passt. Aber<br />
wie soll es mit der Halle an sich weitergehen?<br />
Hierzu habe ich mir lange Gedanken gemacht<br />
und bin zu einer Lösung gekommen,<br />
die zwar vielen der Liebhaber der<br />
Stadthalle auf den ersten Blick so gar<br />
nicht zusagen dürfte, aber es gibt ja immer<br />
noch den „Zweiten“.<br />
Ich würde wie beim Landratsamt die<br />
Frontfassade und die Rückfassade zum<br />
Garten stehen lassen und den Mittelteil<br />
abreißen.<br />
Hier wird ein moderner Neubau errichtet,<br />
unter dem eine Tiefgarage für ausreichend<br />
Fahrzeuge genügend Platz findet.<br />
Ich habe den Görlitzer Künstler Andreas<br />
Neumann-Nochten hierzu bereits vor<br />
Jahresfrist gebeten, erste kleinere Skizzen<br />
zu machen, die Sie auf der nächsten<br />
Seite finden. Meine Überlegung geht zur<br />
Errichtung eines „Aquariums“, das es bis<br />
Berlin, bis Breslau und bis Prag nicht gibt.<br />
Eine interessante Lösung für ein modernes<br />
Kongress- und Veranstaltungszentrum<br />
findet sich in Atlanta im Bundesstaat<br />
Georgia in den USA. Hier wurden mit<br />
innovativer Technik versenkbare Bühnen<br />
integriert und mit einem Bestuhlungskonzept<br />
kombiniert, welches das Haus<br />
innerhalb von 20-30 Minuten vom Aquarium<br />
in ein Kongress-Center oder in einen<br />
Konzertraum verwandeln läßt. Mal<br />
ehrlich, welche Tagungsstätte hat schon<br />
ein Aquarium zu bieten und auch welcher<br />
Konzertsaal? Die Betreibervorteile lägen<br />
auf der Hand, täglich wäre das Aquarium<br />
von 10-18 Uhr ein wahrer Tourismusmagnet<br />
für viele deutsche, polnische und<br />
tschechische Familien.<br />
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Geschichte<br />
25
Vision<br />
Zukunftsvision<br />
Görlitz würde neben dem Reiz der wunderschönen<br />
Altstadt endlich einen weiteren<br />
touristischen Leuchtturm erhalten,<br />
der über die Landesgrenzen hinaus<br />
strahlen würde und auch internationale<br />
Besucher in die Neißestadt locken würde.<br />
Ab 20 Uhr könnten Konzerte, Bälle,<br />
Kongresse, aber auch Varieté und Dinnershows<br />
stattfinden. Die Auslastung des<br />
Hauses wäre nicht nur gegeben, sondern<br />
es könnte auch auf die städtische Unterstützung<br />
nahezu verzichtet werden. Ein<br />
weiterer positiver Effekt wäre die Nähe zu<br />
den Forschern des Senkenberg-Museums<br />
und natürlich zum schönsten Tierpark<br />
Deutschlands.<br />
Die Auslastung der Hotels und der Gastronomie<br />
würde weiter steigen, da sich<br />
die Mehrtagestouristen für einen weiteren<br />
Tag in Görlitz entscheiden würden.<br />
Dresden hat seine Frauenkirche und Görlitz<br />
sein Aquarium, wie in Wien oder in<br />
Barcelona.<br />
Im Garten der Stadthalle könnte ein kleines<br />
modernes Wasserpumpkraftwerk<br />
entstehen, das die Versorgung mit ausreichend<br />
Energie für die Halle und eventuell<br />
auch für das angrenzende Parkhotel<br />
liefern würde. Hier wäre auch eine offene<br />
Saunalandschaft im Bereich der Finnhüten<br />
zum Hotel, idyllisch an der Neiße gelegen,<br />
denkbar.<br />
Natürlich würde aber auch die Orgel ihren<br />
Ort im neuen Aquarium finden und beim<br />
Bau auf die Resonanz geachtet werden.<br />
Durch den Neubau könnten all die gewaltigen<br />
Sicherheitsauflagen, die bei der<br />
Sanierung anfallen, von vornherein umgesetzt<br />
werden, an die vor 100 Jahren<br />
niemand im Traum gedacht hätte. Aber<br />
auch zu dieser Zeit gab es Visionäre und<br />
warum soll eine Teilfinanzierung durch<br />
die Görlitzer Bürgerschaft nicht genauso<br />
möglich sein wie vor hundert Jahren,<br />
z. B. in Form einer Volksaktie, die den Aktionären<br />
nicht nur eine Dividende bietet,<br />
sondern auch andere Vergünstigungen?<br />
Dies ist wie gesagt nur eine Vision, die<br />
aber zum Nachdenken anregen soll.<br />
Ich bin gespannt auf das Feedback und<br />
würde Sie bitten, mir Ihre Ansichten zu<br />
diesem Thema an andreas@incaming.de<br />
zu senden.<br />
Ihr Andreas Ch. de Morales Roque<br />
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Geschichte<br />
27
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr –<br />
Voranstellen möchte ich diesem Beitrag<br />
eine traurige Meldung. Zwei der in<br />
meiner Recherchetätigkeit wichtigsten<br />
Zeitzeugen und Wegbereiter sind in den<br />
letzten Wochen und Monaten aus unserer<br />
Mitte herausgerissen worden. Bereits<br />
am 05.04. <strong>2017</strong> verstarb wenige<br />
Wochen nach Vollendung seines 85. Lebensjahres<br />
Herr Hans- Edmund Hähnel,<br />
und am 09.08.<strong>2017</strong> ist auch Herr Karlheinz<br />
Lorenz mit 78 Jahren verstorben.<br />
Beide haben mich in jungen Jahren mit<br />
unzähligen Tipps und Hinweisen sowie<br />
102 ex.34 (1969)<br />
Mit diesem Beitrag möchte ich den Blick<br />
auf eine Fahrzeuggruppe richten, die<br />
meist im Schatten des Betriebsalltages<br />
der Görlitzer Straßenbahn weitgehend<br />
unbemerkt von der Öffentlichkeit oft<br />
viele Jahre treu sich ihr Gnadenbrot<br />
verdienten - die Dienstfahrzeuge.<br />
101 ex.34 (1974)<br />
einer schier endlosen Fülle von Details<br />
maßgebend auf den Weg gebracht, den<br />
ich heute seit bereits vielen Jahren beschreite.<br />
Unvergessen sind hier insbesondere<br />
die nicht selten nächtelangen<br />
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28<br />
Geschichte
Görlitzer<br />
Farbbilderbogen von<br />
Stadtverkehr<br />
den WUMAG-Arbeitwagen<br />
Kräften treu bleiben und denke, dass<br />
auch der vorliegende Bilderbogen beiden<br />
Spaß gemacht hätte.<br />
101 ex.34 (1976)<br />
Gespräche und Diskussionen zu vielen<br />
Alltagsthemen im Verandazimmer des<br />
Luisenstiftes, welche ich seinerzeit mit<br />
Herrn Lorenz führen durfte. Bis heute<br />
möchte ich sie nicht missen. Herr Hähnel<br />
ist einer der letzten Görlitzer, der<br />
den Betriebsalltag unserer Straßenbahn<br />
noch zurück bis in die späten dreissiger<br />
Jahre bewußt erlebt hat und uns glücklicherweise<br />
dieses Wissen mit auf den<br />
Weg gegeben hat. Die Szene in Görlitz<br />
hat damit nun für mich einen wichtigen<br />
Teil ihrer Seele verloren. In beider Sinn<br />
versuche ich ihr auch weiterhin nach<br />
Um durchgängig Farbbilder zeigen zu<br />
können, habe ich mich auf die WUMAG-<br />
Dienstfahrzeuge konzentriert. Da ich<br />
möglichst viele Bilder zeigen möchte,<br />
soll der Text diesmal recht kurz bleiben.<br />
Wie man sieht, waren beileibe nicht<br />
alle Dienstfahrzeuge in Görlitz grün.<br />
Zwischen 1967 und 1988 dienten insgesamt<br />
sieben WUMAG – Wagen innerbetrieblichen<br />
Zwecken, sechs von ihnen<br />
auch mit entsprechendem Gesamtumbau<br />
und Außenanstrich. Als Zug- und<br />
Transportfahrzeuge sah man Nr. 101<br />
ex.34 (1967-76), Nr. 102 ex.33 (1968-<br />
75) und Nr. 102 ex.30 (1975-78), als<br />
Werkstattwagen mit Spezialgerät und<br />
Hubmast Nr. 103 ex.29 (1968-1981),<br />
als Schleif- und Spülwagen Nr. 104<br />
ex.37 (1973-1988). Diese fünf Wagen<br />
waren ursprünglich in einem Grünton<br />
lackiert mit rot- weißen Warnbaken<br />
links und rechts an den Außenseiten<br />
der Frontschürzen. Im Winterdienst<br />
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Geschichte<br />
29
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Oldtimer Nr. 24. Mit dem Schleif- und<br />
Spülwagen Nr. 104 ist 1988 der letzte<br />
WUMAG-Wagen aus dem regulären<br />
Dienst in Görlitz ausgeschieden. Erhalten<br />
geblieben ist bis heute in betriebsfähigem<br />
Zustand der TW.23 von 1928,<br />
während alle Arbeitsfahrzeuge außer<br />
der Nr.105 verschrottet worden sind.<br />
105 ex.24 (1978)<br />
verwendete man 1968-69 TW.38 ohne<br />
Umbau als Schneepflug mit dem Räumgerät<br />
des Vorgängers. Erst 1977 war<br />
ein orangefarbener Salztriebwagen aus<br />
dem TW.24 entstanden (Nr. 105), der<br />
1979 das Laufgestell des verschrotteten<br />
TW.35 erhalten hat und bis 1983<br />
verwendet worden ist (zuletzt nur noch<br />
gezogen). Nach Filmeinsätzen waren<br />
1981 die Atw.104 und 105 umlackiert<br />
worden, der Atw.104 nach einem weiteren<br />
Filmeinsatz 1985 ein weiteres Mal.<br />
Salzwagen 105 ist nach Cottbus abgegeben<br />
worden und fährt dort heute als<br />
104 im letzten Zustand (1985)<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
(wird fortgesetzt)<br />
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30<br />
Impressum:<br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />
incaming media GmbH<br />
Geschäftsführer:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />
02826 Görlitz<br />
Ruf: (03581) 87 87 87<br />
Fax: (03581) 40 13 41<br />
info@stadtbild-verlag.de<br />
www.stadtbild-verlag.de<br />
Geschäftszeiten:<br />
Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
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Verantw. Redakteur:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
(Mitglied im Deutschen<br />
Fachjournalistenverband)<br />
Redaktion:<br />
Dr. Ernst Kretzschmar,<br />
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