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205_StadtBILD_August_2020

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Vorwort<br />

leider mußten wir in diesem Jahr das beliebte<br />

„Stadthallen Görlitz Open Air“ absagen.<br />

Grund dafür, war leider nicht die<br />

Corona-Bestimmungen, denn hierzu hatten<br />

wir bereits ein zweiseitiges Hygienekonzept<br />

der Stadt Görlitz eingereicht.<br />

Die Absage resultiert an bürokratischen<br />

Zwängen und der späten Antwort der<br />

Stadtverwaltung Görlitz auf unsere eingereichte<br />

Bewerbung zur Nutzung des Stadthallengartens<br />

für dieses Kulturevent. Wir<br />

sind darüber sehr traurig!<br />

Dagegen finden wir es großartig, dass das<br />

Sechsstädtebund-Festival „Kommen und<br />

Gehen“ vom 14. - 22. <strong>August</strong> in diesem<br />

Jahr stattfindet und würden Ihnen liebe<br />

Leser gern nahelegen, es trotz Corona<br />

einfach mal zu besuchen, mit Abstand<br />

versteht sich.<br />

In dieser Ausgabe finden sie einen Artikel<br />

vom ehemaligen Stadtrat Wolfgang Stiller,<br />

der einer unserer ehrenamtlichen Autoren<br />

ist. Es geht um die Geschichte der Neißebadstube<br />

bis hin zur Tuchfabrik C.S.<br />

Geißler.<br />

Seit langer Zeit haben wir auch einen<br />

neuen Artikel von unserem Autor Andreas<br />

Riedel aus Wiebaden über den Görlitzer<br />

Stadtverkehr einarbeiten können.<br />

Das Stadtarchiv Löbau hat uns freundlicherweise<br />

für die <strong>August</strong>-Ausgabe einen<br />

Abhandlung von Jens Krüger über Emil<br />

Berndt als Löbauer Chronist zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich<br />

bei unseren vielen Autoren bedanken,<br />

die Monat um Monat dem <strong>StadtBILD</strong>-<br />

Journal ein vielfältiges Gesicht geben und<br />

immer wieder auf´s Neue Geschichten,<br />

Anekdoten, Aufsätze und Überraschungen<br />

über die Geschichte der Stadt Görlitz, Niederschlesiens<br />

und der Oberlausitz offenbaren.<br />

Aber unserer Dank gilt natürlich unseren<br />

Lesern und es ist schon erstaunlich auf<br />

welchen wundersamen Wegen, das Stadt-<br />

BILD durch ganz Deutschland reist. So<br />

bekamen wir vor kurzer Zeit einen Anruf<br />

von Edgar B. Scheller, der das Magazin<br />

aus Görlitz zugeschickt bekam und sich<br />

herzlich über die Zusendung der Chronik<br />

der Landskronbrauerei freute.<br />

Als letztes möchten wir uns bei unseren<br />

treuen Inserenten bedanken, die trotz der<br />

allgemeinen kritischen Lage uns weiterhin<br />

die Treue halten.<br />

In diesem Sinne wünscht ihr <strong>StadtBILD</strong>-<br />

Team mit Abstand einen sonnigen <strong>August</strong>.<br />

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Einleitung<br />

3


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

Bereits seit dem 13. Jahrhundert sind in<br />

Görlitz öffentliche Badestuben bekannt.<br />

Diese dienten nicht nur der Hygiene, sondern<br />

die Bader waren auch Wundärzte<br />

und man konnte sich in diesen Bädern<br />

auch den Bart oder die Haare schneiden<br />

lassen und mitunter sich auch einer<br />

Zahnbehandlung unterziehen. Bekannt<br />

ist unter anderem die Fleischerbadestube<br />

bei den Fleischbänken die schon 1300 genannt<br />

wurde. Als diese Einging wurde auf<br />

der Fischmarktgasse 4 im Jahre 1491 eine<br />

neue Badestube (Neubadestube genannt)<br />

errichtet. In dieser lassen sich Bader und<br />

Chirurgen bis 1817 nachweisen. Durch<br />

zahlreiche Stiftungen „frommer Leute“<br />

war das unentgeltliche Baden für arme<br />

Leute „Seelbad“ genannt kostenfrei. Im<br />

Jahre 1435 zahlte der Rat der Stadt für<br />

ein „Seelbad“ 3 Schillinge für ein viertel<br />

Jahr Badebenutzung für arme Leute.<br />

Wohl die älteste Badestube in Görlitz ist<br />

die Neißebadestube (Nicebadestube) untere<br />

Kahle (Uferstraße 1/2) neben der<br />

Altstadtbrücke die bereits 1300 erwähnt<br />

wurde. Im Jahre 1371 nennt man diese<br />

Badestube „Badestube vor der Stadt“ und<br />

1393 nur Nicestube. Selbige wurde oft<br />

durch Hochwasser der Neiße in arge Mitleidenschaft<br />

gezogen. Daher verkauften<br />

die Vorbesitzer Dominikaner Mönche aus<br />

Bunzlau im Jahre 1461 die Badestube an<br />

den Rat der Stadt. Im Jahre 1587 verkaufte<br />

die Stadt die Badestube für 600 Mark<br />

an Lennhard Rößler. Im Jahre 1813 ist sie<br />

im Besitz des Chirurgen Johann Friedrich<br />

Schwartze.<br />

Im Jahre 1816 gründete Carl Samuel<br />

Geißler in der Kahle Nr. 10-12, jetzt Johannes-Wüsten-Straße,<br />

eine Textilfabrik.<br />

Die Nr. 10 war seine Wohnung. Das ist<br />

aber nicht die alte Bebauung sondern ein<br />

neues Gründerzeithaus. Die ehemaligen<br />

Nummern 11-12 sind z. Zt. unbebaut, und<br />

hier befand sich die Tuchfabrik von C.S.<br />

Geißler.<br />

Im Jahre 1827 kaufte die Neißebadestube<br />

der Tuchmacher Carl Samuel Geißler, die<br />

er in den Jahren 1843 und 1848 zu einem<br />

fabrikmäßigen Betrieb für Tuche einrichtete<br />

und dazu umfangreiche Fabrikgebäude<br />

bis zur Ochsenbastei erbaute. Im Jahre<br />

1862 erbaute er weitere Fabrikgebäude<br />

an der Stadtmauer. Sein Sohn Bruno<br />

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4<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre Blick von der Neißebrücke auf die Neißebadestube und Vierradenmühle um 1860<br />

Geißler erbaute auch die Fabrik Uferstraße<br />

30 im Jahre 1884 (nicht identisch mit<br />

der jetzigen Hausnummer 30 sondern<br />

jetzt vermutlich Uferstraße Nr. 32). Es gab<br />

mehrfache Umbenennungen der Uferstraße<br />

für dieses Objekt in Uferstraße Nr. 30,<br />

32, 33 und 33 a, aber immer unter der<br />

Firma C.S. Geißler ohne den oder die Inhaber<br />

zu benennen.<br />

Im Jahre 1863 kam eine Dampfmaschine<br />

zum Einsatz. Im Übrigen gab es bis in die<br />

1990 Jahre noch 4 öffentliche Wannenund<br />

Brausebäder. Diese befanden sich<br />

im Freisebad, auf der Hugo Keller Straße,<br />

auf der Rauschwalder Straße und auf der<br />

Hospitalstraße.<br />

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Geschichte<br />

5


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

Die gesamte Fabrikanlage von C.S. Geißler erstreckte sich von der Ochsenbastei bis zur Altstadtbrücke, um 1885<br />

Wer war dieser Carl Samuel Geißler?<br />

Carl Samuel Geißler wurde am 28.3.1795<br />

in Consulsdorf (etwa jetziges Gebiet der<br />

Bismark-, Molkte-, Jakobstraße) geboren<br />

und verstarb am 4.12.1878 in Görlitz. Seine<br />

Grabstelle ist auf dem Friedhof in Görlitz<br />

Feld H 19 noch erhalten. Er war Kommerzienrat<br />

Stadtverordneter von 1835-1848<br />

und von 1866-1877, sowie Stadtrat von<br />

1843-1857 also insgesamt über 33 Jahre.<br />

Er war lange Zeit Magistratsmitglied und<br />

Stadtältester. Mitbegründer Mitglied und<br />

Ehrenmitglied des Görlitzer Gewerbevereins.<br />

Vom König wurde er mit dem königlichen<br />

Roten Adler Orden 4. Klasse geehrt.<br />

Der Rote Adler Orden als preußischer Ver-<br />

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6<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre ...............<br />

Tuchfabrik C.S.<br />

Geißler bis Ochsenbastei.<br />

1905/06<br />

abgebrochen.<br />

...............<br />

Verwaltungs- und<br />

Wohngebäude von G.S.<br />

Geißler, Uferstraße 1. 1905<br />

abgebrochen. (ehemals<br />

Neißebadestube)<br />

............................<br />

Ernst Geißler Vierraden<br />

Mühle 1928<br />

abgebrochen.<br />

..............<br />

ehem. Tuchwalke Ernst<br />

Geißler. Jetzt Terrasse<br />

des Restaurants Vierradenmühle.<br />

Tuchfabrik C.S. Geißler, links von der Brücke. Rechts von der Brücke Tuchfabrik des Ernst Geißler, um 1900<br />

dienstorden war neben dem Schwarzen<br />

Adler Orden die zweithöchste Auszeichnung<br />

im Preußischem Staat.<br />

Der Vater von Carl Samuel war der Tuchwalker<br />

und Fischer Johann Samuel Geißler<br />

(20.10.1765-26.6.1841) vermählt in ers-<br />

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<br />

Geschichte<br />

7


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

ter Ehe mit Johanna Rosina Fehr (1766-<br />

1813) und in zweiter Ehe mit Maria Rosina<br />

Thiem geb. Teurich (1776-1858). Aus<br />

dieser Ehe gingen die beiden Söhne C.S.<br />

Geißler (1795-1878) und Ernst Friedrich<br />

Geißler (1801-1874) Inhaber der Vierradenmühle<br />

hervor.<br />

Carl Samuel Geißler vermählte sich am<br />

12.10.1818 mit Amalie Therese geb. Richter<br />

(6.1.1798-15.5.1876). Aus der Ehe<br />

des C.S. Geißler gingen 5 Töchter und 3<br />

Söhne hervor. Seine Firma befand sich<br />

zunächst auf der Kahle 10-12. In diesem<br />

Grundstück betrieb C.S. Geißler seit 1816<br />

eine Tuchfabrik.<br />

Die Passage von der Altstadtbrücke bis zur<br />

Ochsenbastei war nach der Bebauung teilweise<br />

nur 3 Meter breit. Die östliche Bastei<br />

der Ochsenbastei an der Neiße wurde<br />

später abgebrochen und die untere Kahle<br />

ab der jetzigen Johannes. Wüsten-Straße<br />

wurde bis zur Altstadtbrücke die Uferstraße.<br />

In dieser Firma (ehemalige Uferstraße<br />

1/2) waren etwa 110 Personen beschäftigt.<br />

In der Firma waren vorhanden: Mechanische<br />

Spinnereien, Walken, Weberei,<br />

Färbereien und Appretur. Gerade die Firma<br />

C.S. Geißler errang auf Grund sorgfältiger<br />

Facharbeit und mit Hilfe des ihnen<br />

zur Verfügung stehenden für die Färberei<br />

der Textilfabrik so wichtigen „weichen“ d.<br />

h. kalkarmen Wassers einen sehr großen<br />

Ruf. Damit kamen von weit entfernt ge-<br />

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8<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre Bebauung der Tuchfabrik C.S. Geißler bis zur Ochsenbastei um 1900<br />

legenen Firmen Aufträge zur Veredlung<br />

von Stoffen in die Firma C.S. Geißler. Hier<br />

seien genannt zwei Sprüche die die Wertschätzung<br />

dieser Zunft besonders charakterisieren:<br />

„Des Webers Geschick, seine<br />

fleißige Hand bringen Segen und Glück<br />

ins deutsche Land“ und „Der Weber dir<br />

bereit, Windel und das Sterbekleid“.<br />

Geißler muss auch die Ochsenbastei erworben<br />

haben und nutzte diese als Lager.<br />

Er hat selbige im Jahre 1862 repariert wie<br />

eine Bautafel am Gebäude Auskunft gibt.<br />

Erst im Adressbuch 1930 ist vermerkt,<br />

dass die Ochsenbastei (Uferstraße 33a)<br />

zur Stadt gehörig zählt. Ein Nachweis über<br />

deren Erwerb ließe sich nicht finden.<br />

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Geschichte<br />

9


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

Das Foto zeigt die enge Bebauung auf der unteren Kahle (Uferstraße 1/2)<br />

Der Turm als Lagergebäude, daneben<br />

das Kontor mit Wohnungen (ehemalige<br />

Neißebadestube), im Anschluss bis zur<br />

Ochsenbastei die Fabrikgebäude. Im Hintergrund<br />

kann man auf der Uferstraße in<br />

Höhe der ersten Etage eine Brücke über<br />

die Straße erkennen die zu der Bebauung<br />

der Tuchfabrik C.S. Geißler an der Stadtmauer<br />

führt.<br />

Im Testament des C.S. Geißler vom<br />

3.12.1873 und seiner Ergänzung vom<br />

1.7.1877 hatte C.S. Geißler seinen Sohn<br />

Carl Bruno (1838-1892) als alleinigen Erben<br />

des kaufmännischen- und Fabrikgeschäftes<br />

bestimmt. Das gesamte Testament<br />

mit seinen Nachträgen im Umfang<br />

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10<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre von 14 Seiten liegt dem Autor vor. In<br />

diesem Testament Nachtrag wurde festgelegt<br />

Auszug: (Schreibweise entspricht<br />

dem Original)<br />

Die andauernde Krankheit meines Sohnes<br />

Carl Julius lässt es als geboten zu erscheinen,<br />

dass der selbe nicht mit den Sorgen<br />

eines Geschäftes belastet wird, sondern<br />

in Ruhe lebt. Deshalb bestimme ich, dass<br />

mein Sohn Carl Bruno allein mein kaufmännisches<br />

und Fabrikgeschäft mit allen<br />

Grundstücken, Vorräthen und Inventarstücken<br />

zu denen auch mein Wagen (mit Einschluss<br />

der Spazierwagen), die Pferde und<br />

sämtliche Geschirre gehören, übernimmt<br />

und dass er das Geschäft unter der alten<br />

Firma C. S. Geißler fortzuführen hat. Der<br />

Annahmepreis für die Fabriken, Grundstücke,<br />

Maschinen, Utensilien, Einrichtungsgegenstrände<br />

und sonstigen Inventarstücken<br />

setze ich hiermit auf 120.000 Mark d.<br />

i. einhundert zwanzig Tausend Mark fest,<br />

die seit der Errichtung meines Testamentes<br />

die Fabrikstücke infolge der andauernden<br />

Geschäftserhöhungen geworden sind.<br />

Zu meinem kaufmännischen Geschäft gehörigen<br />

Warenbeständen, Vorräthe und<br />

Materialien hat mein Sohn Carl Bruno zu<br />

Fabrikations- resp. Selbstkostenpreise zu<br />

übernehmen, er darf jedoch den Preis für<br />

fertige Tuche erst dann zur Vertheilung<br />

unter meine Erben bringen, wenn die selben<br />

verkauft sind, ohne bis dahin Zinsen<br />

von dem ermittelten Annahmepreise zahlen<br />

zu dürfen.<br />

Es folgen weitere Paragraphen. In einer<br />

weiteren Ergänzung vom 27.4.1878<br />

stellt er den Erbteil seines Sohnes Ernst<br />

Geißler unter gerichtliches Curatell.<br />

(Vormundschaft auf sein Vermögen).<br />

Alle seine weiteren Kinder waren durch<br />

Heirat mit Fabrikbesitzern und Kaufleuten<br />

gut versorgt und abgesichert.<br />

Am 4.12.1978 verstarb Carl Samuel Geißler<br />

im Alter von 84 Jahren. Er wurde auf<br />

dem alten Friedhof an der Familiengrabstelle<br />

H 19 mit großer öffentlicher Anteilnahme<br />

beigesetzt. Entsprechend des<br />

Testaments übernahm nun sein Sohn Carl<br />

Bruno als alleiniger Erbe die väterliche<br />

Firma. Bruno Geißler wurde 1838 geboren<br />

und war vermählt mit Elsbeth Lorenz<br />

(1846-1894), sie verstarb bereits im Alter<br />

von 48 Jahren, 3 Monaten und 4 Tagen.<br />

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Geschichte<br />

11


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

Aus der Ehe gingen 2 Töchter (Marie und<br />

Helene) hervor. Als gemeinsame Wohnung<br />

des Kaufmanns Carl Bruno Geißler ist im<br />

Adressbuch 1868 die Elisabethstraße 22<br />

und im Adressbuch 1872 die Elisabethstr<br />

18 angegeben. In der Elisabethstraße 22<br />

befand sich zeitweise eine Tuchfabrik des<br />

Bruders von Bruno, Carl Julius Geißler.<br />

Durch einen Unfall verstarb Bruno Geißler<br />

im Jahre 1892 im Alter von 55 Jahren, 5<br />

Monaten und 8 Tagen, 4 Jahre nach seinem<br />

Vater. Seine Grabstelle befindet sich<br />

gleichermaßen in der elterlichen Grabstelle<br />

Feld H 19.<br />

Im Nachruf der Belegschaft wird besonders<br />

bedauert dass die Arbeiter und Angestellten<br />

nun ihren Brotherren verloren<br />

haben.<br />

Im Adressbuch 1893 sind für die Uferstraße<br />

1/2 eingetragen: Geißlerische Erben;<br />

Geißler Elisabeth Fabrikbesitzer verwitwet<br />

(Ehefrau des Bruno) und Lorenz Rosalie<br />

(Mutter von Elisabeth). Das gleiche galt<br />

für die Uferstraße 30 (nicht identisch mit<br />

der jetzigen Nr. 30). Bruno Geißlerische<br />

Erben. Im Adressbuch unter eingetragene<br />

Handelsfirmen ist verzeichnet: C.S. Geißler,<br />

Inhaber Elisabeth Geißler geb. Lorenz<br />

und deren Kinder. Die Ehefrau des Bruno<br />

Geißler Elisabeth verstarb bereits im Jahre<br />

1894. Ihre Kinder waren noch nicht Majoren,<br />

so dass die Firma durch die Erbengemeinschaft<br />

verkauft wurde.<br />

Bereits im Adressbuch 1896 ist eingetragen<br />

unter Uferstraße 1: Peltzer & Lutze,<br />

Handelsgesellschaft Kontor von C.S. Geißler<br />

u. Peltzer & Lutze. Peltzer, Arthur, Tuchfabrikant,<br />

Lutze, Alfred Kaufmann (beide<br />

Wohnhaft in diesem Grundstück).<br />

Eintrag unter Uferstraße 2: Peltzer & Lutze,<br />

Handelsgesellschaft, Tuchfabrik von<br />

C.S. Geißler. Gleichzeitig wurde auch die<br />

Fabrik Uferstraße 30 (jetzt vermutlich Nr.<br />

32) durch Richard Seener und Peltzer und<br />

Lutze erworben.<br />

Einen Verkaufsbeleg konnte ich jedoch<br />

nicht finden und das Grundbuch war für<br />

mich nicht zugänglich. Herr Peter Seener<br />

(1926-2019; Enkel des Richard Seener)<br />

teilte mir jedoch mit, dass sein Großvater<br />

Richard Seener (1859-1927) die Firma<br />

C.S. Geißler im Jahre 1896/97 gemeinsam<br />

mit Peltzer & Lutze kauften. In den<br />

Adressbüchern und anderen Dokumenten<br />

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12<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre Die Fotos zeigen das Neißehochwasser von 1897 und deren Zerstörung.<br />

taucht immer nur C.S. Geißler, nicht Seener<br />

auf, tatsächlich verbirgt sich dahinter<br />

immer der Inhaber bzw. Mitinhaber Richard<br />

Seener. Trotzdem gibt es hier einige<br />

Ungereimtheiten auf die ich noch beim<br />

Verkauf der Firma an die Stadt eingehen<br />

werde.<br />

Nach dem verehrendem Hochwasser der<br />

Neiße am 30.7.1897 wobei die Tuchfabrik<br />

aber auch die Altstadtbrücke erheblichen<br />

Schaden erlitt und zeitweise gesperrt<br />

werden musste gab es erneut Überlegungen<br />

diese Brücke zu ersetzen. Diese<br />

sollte jedoch um ca. einen Meter höher<br />

gelegt werden als die alte Brücke und<br />

dies ging nur wenn man ihren Startort<br />

nach Westen verlegte. Das hatte auch<br />

den Vorteil, dass die alte Brücke während<br />

dem Bau der neuen Brücke noch genutzt<br />

werden konnte und man keine Notbrücke<br />

errichtet musste. In der Stadtverordnetenversammlung<br />

am 6.3.1901 wurden<br />

die drei Varianten zum Neubau einer<br />

Brücke erörtert und man einigte sich auf<br />

die Variante 3. Das beinhaltete, dass die<br />

Stadt die Fabrikgebäude der Firma C.S.<br />

Geißler erwirbt um selbige später abzubrechen.<br />

Diese Maßnahme war die kostengünstigste,<br />

hatte aber auch weitere<br />

Vorteile.<br />

Geschichte<br />

13


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

1. War die Durchlassfähigkeit zwischen<br />

dem Fabrikgebäude und der Stadtmauer<br />

nur 5-6 Meter breit und an der engsten<br />

Stelle nur 3 Meter. Mit dem Abriss der Gebäude<br />

konnte eine ordentliche Fahrstraße<br />

errichtet werden.<br />

2. War geplant dass auf der Uferstraße ein<br />

neuer Hauptkanal für das Abwasser errichtet<br />

werden sollte. Der bisherige Kanal war<br />

zu gering dimensioniert und lag teilweise<br />

unter dem Grundstück der Tuchfabrik.<br />

In der Verhandlung vom März 1901 zwischen<br />

der Stadtverwaltung und der Handelsgesellschaft<br />

C.S. Geißler wurde nachfolgendes<br />

Vereinbart (Auszüge):<br />

1. Die Handelsgesellschaft verkauft die<br />

Fabrik (Hyph. 707/708 des Grundbuches<br />

in einer Größe von 1200 m²) an die Stadtgemeinde<br />

für 200.000 Mark. Die Auflassung<br />

erfolgt 6 Monate nach Bestätigung<br />

durch die Stadtverordnetenversammlung.<br />

Lasten und Nutzen gehen an die Stadtgemeinde<br />

über.<br />

2. Die Grundstücke des Verkäufers sind<br />

schulden-, lasten- und rentfrei zu übergeben.<br />

Der Kaufpreis wird nach der Auflassung<br />

bezahlt.<br />

3. Vom Tage der Auflassung vermietet<br />

die Stadtgemeinde die erkauften Grundstücke<br />

an die offene Handelsgesellschaft<br />

C.S. Geißler zur weiteren Nutzung. Der<br />

Mietpreis beträgt jährlich 8.000 Mark.<br />

4. Die Mieterin ist berechtigt auch über<br />

den 1.4.1906 den Mietvertrag zu fordern,<br />

falls die Stadtgemeinde die Gebäude nicht<br />

zum Abbruch zwecks Verbreiterung der<br />

Uferstraße nicht benötigt. Der Mietpreis<br />

beträgt dann jährlich 800 Mark.<br />

5. Ab 1. Juli 1903 hat die Mieterin den<br />

an der Neißebrücke stehenden Turm und<br />

das angrenzende Kontor- und Lagerräume<br />

nebst dem Treppenhaus einschließlich<br />

des Teils des Vorlandes völlig geräumt und<br />

frei zum Abbruch der Stadtgemeinde zu<br />

übergeben. Die vorerst nicht zum Abbruch<br />

vorgesehenen Gebäude können durch die<br />

Mieterin weiterhin genutzt werden. Der<br />

Mietpreis wird daher ab dem 1. April 1903<br />

auf 300 Mark jährlich ermäßigt.<br />

6. Spätestens 3 Monate nach Beendigung<br />

des Mietverhältnisses durch die Stadtgemeinde<br />

hat die Mieterin die Fabrikgebäude<br />

völlig zu räumen und der Stadtgemeinde<br />

zum Abbruch zu übergeben. Maschinen,<br />

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14<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre Transmissionen und Rohrleitungen kann<br />

die Mieterin entfernen und bleiben alsdann<br />

ihr Eigentum.<br />

7. Das vorstehende Protokoll ist vorgelesen,<br />

von dem erschienen genehmigt und<br />

von ihnen eigenhändig, wie folgt Unterschrieben<br />

worden.<br />

gez. Arthur Peltzer; gez. C.S. Geißler<br />

gez. Paul Gladowski Stadtrat; gez. Gustav<br />

Doniges Stadtrat<br />

Verhandelt zu Görlitz am 4. März 1901<br />

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Geschichte<br />

15


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

Teilabruch 1905. Das Turmgebäude ist bereits abgebrochen und das Kontor (ehemalige Neißebadestube)<br />

befindet sich im Abriss. Rechts im Bild Vorbereitungsarbeiten am Widerlager der neuen Brücke<br />

auf der Ostseite.<br />

Hier macht sich eine Erklärung erforderlich.<br />

Wie oben angeführt hat den Vertrag<br />

C.S. Geißler eigenhändig unterschrieben.<br />

C.S. Geißler war aber bereits 1878 verstorben.<br />

Die tatsächliche Unterschrift für C.S.<br />

Geißler leistete aber Richard Seener. Dieses<br />

bestätigte mir der Enkel des Richard<br />

Seener, Peter Seener der spätere Inhaber<br />

der Firma. Wie bereits oben beschrieben.<br />

Dies war nach damaligen Rechtsverhältnissen<br />

möglich, auch deshalb weil laut<br />

Testament die Firma weiterhin unter dem<br />

Namen C.S. Geißler unabhängig von deren<br />

Inhabern fortzuführen sei. Das macht<br />

die ganze Sache etwas verworren, noch<br />

zumal in den späteren Adressbüchern der<br />

Name Seener unter dieser Adresse nicht<br />

vorkommt, denn unter C.S. Geißler ist immer<br />

Richard Seener gemeint.<br />

Im Adressbuch 1902/03 steht bereits unter<br />

der Uferstraße 1: Der Stadt gehörig.<br />

Tuchfabrik von C.S. Geißler und unter der<br />

Uferstraße Nr. 2 der Stadt gehörig, Fabrikgebäude<br />

von C.S. Geißler. Damit kam es<br />

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16<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre Mit Beginn des Baus der Altstadtbrücke am<br />

29.1.1906 wurden auch die restlichen Betriebsgebäude<br />

der Tuchfabrik C.S. Geißler abgebrochen.<br />

Das Foto zeigt bereits den kompletten Abbruch.<br />

Nur der Schornstein an der Ochsenbastei steht<br />

noch. Später erfolgte an deren Stelle die Umwandlung<br />

in eine Grünanlage der Stadt.<br />

Im Zuge der Regulierung des Straßenbaus für die Zufahrt der neuen Brücke machte sich gleichermaßen<br />

der Abriss des Gebäudes Neißestraße 14 erforderlich (linkes Foto). An dieser Stelle, allerdings<br />

zurück gesetzt entstand ein neues Gebäude wie das Foto von 1911 zeigt.<br />

vorerst zwecks der Baufreimachung für die<br />

Altstadtbrücke nur zum Abriss des Turmgebäudes<br />

und des Kontors. Die restlichen<br />

Fabrikanlagen konnten demnach durch<br />

den Mieter bis zur endgültigen Kündigung<br />

durch die Stadt weiter genutzt werden.<br />

(Abb. Seite 35) In Blau zum Abbruch vorgesehene<br />

Gebäude im Jahre 1899 und in<br />

Gelb Abriss um 1906. Die Vierradenmühle<br />

kam aber erst 1928 infolge einer Insolvenz<br />

zum Abriss. Auf der Ostseite betraf<br />

es die Kirche und Spital zum Heiligen Geist<br />

und einige Wohngebäude. Unter anderem<br />

auch das Wohnhaus von Jakob Böhme.<br />

Die schwarze Linie zeigt den neuen Straßenquerschnitt<br />

an. Es entstand auch eine<br />

neue Uferlinie der Neiße.<br />

Wie ging es nun Weiter mit der Firma C.S.<br />

Geißler?<br />

Wie aus den Adressbüchern zu ersehen<br />

ist müssen sich Herr Richard Seener (der<br />

aber immer unter C.S. Geißler auftaucht)<br />

und Peltzer und Lutze getrennt haben. Bereits<br />

im Adressbuch 1906 ist eine Tuchfabrik<br />

Peltzer & Lutze auf der Promenade Nr.<br />

5 aufgeführt. Wie lange die Fabrik Uferstraße<br />

30 (32) durch Seener und Peltzer<br />

Geschichte<br />

17


Von der Neißebadestube zur Tuchfabrik C.S. Geißler –<br />

genutzt wurde ließe sich nicht mit Sicherheit<br />

ermittel, da es dazu Widersprüche in<br />

den Adressbüchern gibt.<br />

Unter der Flurbezeichnung bzw. Hypothek<br />

Brückenstraße 799g bzw. Landung 29<br />

wurde das Gelände westlich der späteren<br />

Furtstraße (jetzt Campus der Hochschule)<br />

ausgewiesen.<br />

Der Name Furtweg (später Furtstraße)<br />

taucht in den Adressbüchern erst ab dem<br />

Jahre 1909 auf. Auf diesem Gelände muss<br />

es schon eine Fabrik gegeben haben wie<br />

eine Bautafel am Campus der Hochschule<br />

(noch vorhanden) aufweist. Erbaut von<br />

den Gebrüdern Weber im Jahre 1853. Im<br />

Neuen Görlitzer Anzeiger vom 8.9.1853<br />

ist vermerkt: Die Gebrüder Weber aus<br />

Cottbus zeigen an, auf dem Grundstück<br />

Landung 29 den Bau einer Dampfmaschine<br />

mit 10 Ps für eine Maschinenweberei<br />

zu errichten. Weitere Angaben zu dieser<br />

Firma ließen sich in den Bauakten nicht<br />

finden. In der Bauakte ist aber unter dem<br />

Flurstück Landung 29 bzw. Hyph. 799g<br />

nachfolgendes vermerkt. Ausgewiesen<br />

sind Gartenanlagen mit Gewächshaus und<br />

deren eingetragenen Eigentümern Kaufmann<br />

Ernst Müller und Kaufmann Richard<br />

Seener. Es folgen Erben des Kommerzienrates<br />

„Müllerische Erben Hyph. 799g“.<br />

1892 erbaut Müller auf diesem Grundstück<br />

eine Fabrik für Tuche und Modestoffe<br />

– Görlitz Schlesien. Kommerzienrat<br />

Müller & Kaufmann errichteten zwischen<br />

1883 und 1889 auf der Uferstraße 5-13<br />

eine neue Fabrikanlage als Spinnerei und<br />

Weberei und erweiterte diese später zu<br />

einer Orleansfabrik (Kondensatorenwerk<br />

und anschließende Freifläche).<br />

Herr Richard Seener muss in Besitz dieser<br />

Fabrik von Müller auf der Furtstraße<br />

gekommen sein. Im Jahre 1905 stellt die<br />

Firma C.S. Geißler einen Antrag zum Bau<br />

einer Dampfmaschine mit einer Leistung<br />

von 10 Ps. Antragsteller ist C.S. Geißler<br />

Tuchfabrik Görlitz, gegr. 1816 Damit ist<br />

belegt, dass die Firma C.S. Geißler unter<br />

dem Inhaber Richard Seener nach dem<br />

Verkauf der Fabrikanlagen auf der Uferstraße<br />

die Firma auf die später genannte<br />

Furtstraße verlegte.<br />

Am 15.1.1906 erfolgten Anbauten und<br />

hier taucht erstmalig der Name Richard<br />

Seener auf. Die Hyph. Brückenstraße<br />

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18<br />

Geschichte


1071 – 950 Jahre Görlitz – 2021<br />

950 Jahre 799g wird umgewandelt in Landung 29.<br />

Im gleichen Jahr 1906 erbaut C.S. Geißler<br />

(Inhaber Richard Seener) an der Brückenstraße<br />

ein Kesselhaus. Weitere Eckdaten<br />

der Firma. 1939 erfolgte der Anschluss<br />

an das städtische Kanalnetz. Und als ppa<br />

(Prokurist) der Firma C.S. Geißler zeichnet<br />

Seener. 1941 erfolgt ein Antrag an die<br />

Stadtverwaltung zum Bau einer Wasserleitung<br />

zum Grundstück. In den folgenden<br />

Jahren ging die Firma auf den Sohn<br />

Hans Seener (1881-1978) und dann auf<br />

den Enkel von Richard, Peter Seener über.<br />

Auf der Heynestraße 9 erbaute die Familie<br />

Seener um 1914 eine Fabrikanten Villa.<br />

Die Firma nennt sich nun C.S. Geißler -<br />

Görlitz; Feintuchfabrik. Bekannt war dieses<br />

Unternehmen auf vielen Märkten durch<br />

seine feinen Manteltuche, die stets auf der<br />

Leipziger Messe präsentiert wurden.<br />

Im Jahre 1949 wird die Firma in eine<br />

Kommanditgesellschaft umgewandelt. Im<br />

Adressbuch der Stadt Görlitz von 1949/50<br />

ist folgendes vermerkt: „C.S. Geißler Furtstraße<br />

BV SLB“ (wobei BV Bestandsveränderung<br />

und SLB staatliche Beteiligung<br />

bedeuten). Das Unternehmen mit der Firmenbezeichnung<br />

C.S. Geißler Görlitz Feintuchfabrik<br />

firmierte unter diesem Namen<br />

bis 1972. Der Inhaber der Firma war Peter<br />

Seener. Im Jahre 1972 wurde die Firma in<br />

das Werk VEB Oberlausitzer Volltuchfabrik<br />

als Werk 6 überführt. Der ehemalige Inhaber<br />

Peter Seener wurde leitender Angestellter<br />

in diesem Werk 6. Damit endet die<br />

156 jährige Geschichte der Tuchfabrik C.S.<br />

Geißler, die im Jahre 1816 seinen Anfang<br />

nahm, im Jahre 1972, wenn auch unter<br />

verschiedenen Inhabern.<br />

Zum großen Bedauern wurde auch nach<br />

der Wende 1990 das Werk Oberlausitzer<br />

Volltuchfabrik (mit seinen 6 Betriebsteilen)<br />

abgewickelt. Damit endet die bewährte<br />

und weit über die Grenzen der Stadt Görlitz<br />

seit dem 15. Jahrhundert bestehende<br />

Tuchproduktion, die der Stadt Ansehen<br />

und Reichtum verschaffte.<br />

Die Tuchfabrik C.S. Geißler an der Furtstraße<br />

wurde ebenfalls abgebrochen und auf<br />

diesem Gelände entstand der Parkplatz<br />

der Hochschule. Nichts erinnert mehr daran<br />

und es gibt auch keine Fotos der Tuchfabrik<br />

auf der Furtstraße – Schade.<br />

Wolfgang Stiller<br />

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Geschichte<br />

19


Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />

Stadtverkehr<br />

1957 gebauter Ikarus 55 kurz vor seiner Indienststellung im Betriebshof Emmerichstraße<br />

Ikarus 66, Wagen Nr. 2721 des VEB Kraftverkehr Bautzen, um 1960<br />

Mehrere Jahre hat man vergeblich auf<br />

weitere Beiträge warten müssen. Den<br />

Anfang macht erst einmal eine traurige<br />

Nachricht: Der Mitbegründer der AG<br />

Görlitzer Straßenbahn e.V. und deren<br />

fast 10 jähriger Leiter Siegmar Jeremias<br />

ist am 30.6.<strong>2020</strong> nach langer schwerer<br />

Krankheit mit nur 63 Jahren verstorben.<br />

Er hat viel zum Gelingen der beliebten<br />

Kalender beigetragen. Wir werden ihn<br />

sehr vermissen.<br />

Noch vor wenigen Jahren unvorstellbar<br />

hat sich in der letzten Zeit ein Phänomen<br />

ergeben, welches wahrscheinlich nur<br />

selten auftritt: der Kult der so oft verfluchten<br />

wie geliebten Ikarus 55 und 66<br />

ist in der Enkelgeneration angekommen<br />

und erlebt eine Wiederbelebung wie nie<br />

zuvor. Da ich gerade mit einem recht<br />

umfangreichen Bildband „Lebenslinien<br />

der frühen Ikarus Omnibusse“ beschäftigt<br />

bin, möchte ich mit diesem Beitrag<br />

an jene Busse im Görlitzer Straßenbild<br />

erinnern. Beim Kraftverkehr Bautzen gab<br />

es im Sommer 1957 den ersten in Görlitz<br />

eingesetzten Ikarus 55. Insgesamt<br />

fuhren in der Neissestadt nicht mehr<br />

wie drei von ihnen. Der letzte ist 1977<br />

abgestellt worden. 1959 fuhr dann zwi-<br />

20<br />

Geschichte


Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />

Stadtverkehr<br />

Ikarus 66 der Görlitzer Straßenbahn, Wagen Nr. 14 von 1962, aufgenommen 1966 am Postplatz<br />

Jungfernfahrt der Görlitzer Stadtwagen Nr. 18 und 19 am 01.06.1966, dokumentiert beim Kloster Marienthal<br />

schen Görlitz und Friedersdorf der erste<br />

Ikarus 66. Er war einer der wenigen<br />

in die DDR gelieferten Ikarus 66 dieses<br />

Baujahres, die nur zwei Einstiegstüren<br />

hatten. Seinen Lebensabend verbrachte<br />

dieses Fahrzeug in Königswartha. Ab<br />

1961 beschaffte die Görlitzer Straßenbahn<br />

bis 1972 insgesamt 19 fabrikneue<br />

und 1 gebrauchten Ikarus 66 Ein Wagen<br />

ist nach nur einjährigem Einsatz gegen<br />

einen Ikarus 630 getauscht worden.<br />

Das letzte Fahrzeug ist erst kurz vor der<br />

Wende beim Kraftverkehr, seit 1982 Betreiber<br />

des Görlitzer Stadtverkehrs, ausgeschieden.<br />

1965 begann der Zulauf von<br />

Ikarus 66 beim VEB Kraftverkehr Görlitz<br />

und hielt bis 1973 an. Auf den Regionalbuslinien<br />

in das Umland sind zuletzt<br />

22<br />

Geschichte


Oldtimerbusse von Ikarus<br />

Stadtverkehr<br />

Ikarus 66 Überlandwagen Nr. 1172702 des VEB Kraftverkehr Görlitz, aufgenommen um 1967<br />

Ikarus 66 Überlandwagen von 1968, aufgenommen 1986 am Betriebshof Emmerichstraße<br />

mehr als 20 von ihnen bis zum Ende der<br />

80er Jahre im Einsatz gewesen. Heute<br />

erinnern eine reichliche Hand voll Ikarus<br />

55 und fast doppelt so viele Ikarus 66<br />

als Traditionsfahrzeuge an verschiedenen<br />

Standorten in Deutschland an diese<br />

Zeit. Darüber hinaus sind auch mehrere<br />

Omnibusse beider Typen in Ungarn<br />

und anderen Ländern betriebsfähig. Im<br />

oben beschriebenen Buch werden erstmals<br />

die kompletten Entwicklungsstufen<br />

in ihren wichtigsten Merkmalen dargestellt.<br />

Andreas Riedel, Wiesbaden<br />

Geschichte<br />

23


Emil Berndt als Löbauer Chronist –<br />

Berndt<br />

Wandert man am Löbauer Berg entlang,<br />

stößt man am Schafberg auf einen<br />

Aussichtspunkt, der Berndtblick<br />

heißt. Doch wer war diese Person, dass<br />

man einen Aussichtspunkt auf dem<br />

Stadtberg nach ihm benannte? Welche<br />

Verdienste hat sie sich erworben? In einem<br />

kurzen Abriss soll hier das Leben<br />

und Wirken von Emil Alwin Berndt dargestellt<br />

werden.<br />

Der Unternehmer<br />

Emil Alwin Berndt wurde am 12. <strong>August</strong><br />

1858 als Sohn von Carl Alwin Berndt<br />

und seiner aus Aarhus in Dänemark<br />

stammenden Frau Hansine Wilhelmine<br />

Oline Marie (geb. Ewald) in Löbau<br />

geboren. Aus einer vom ihm verfassten<br />

Kurzbiografie entnehmen wir, dass er<br />

von 1864-1872 in Löbau die Bürgerschule<br />

besuchte. Diese befand sich in<br />

der Johannisstraße, im heutigen Technischen<br />

Rathaus. Bis Ostern 1876 erlernte<br />

er das Konditor-Handwerk. Die<br />

zu früheren Zeiten üblichen Wanderjahre<br />

führten ihn von Sachsen über<br />

Süddeutschland bis in den hohen Norden<br />

nach Hamburg und Lübeck. Nach<br />

seiner Militärzeit in Metz ging Emil<br />

Berndt wieder nach Lübeck. Von 1881<br />

bis 1883 arbeitete er in verschiedenen<br />

Städten Deutschlands und in Wien, bis<br />

er 1884 in das väterliche Geschäft in<br />

Löbau eintrat. Vater Alwin betrieb an<br />

der Äußeren Zittauer Straße 22 eine<br />

Konservenfabrik. 1888 heiratete er die<br />

aus Soculahora bei Bautzen stammende<br />

Amalie Fanny Henne. Aus dieser Ehe<br />

gingen die Kinder Karl Arthur, Marie<br />

Charlotte, Amalie Johanne Elisabeth,<br />

Johanne Marie und Margarethe Elsbeth<br />

hervor. Für den 3. Juni 1892 findet sich<br />

die Eintragung der Anmeldung der Konservenfabrik<br />

auf Emil Alwin Berndt im<br />

Gewerberegister der Stadt Löbau. Die<br />

hergestellten Produkte wurden wegen<br />

ihrer sehr guten Qualität ausgezeichnet.<br />

Im Sächsischen Postillon vom 19.<br />

September 1894, Nr. 218, unter Vermischte<br />

Nachrichten wurde vermerkt:<br />

„Löbau, den 18. September<br />

Auf der Internationalen Ausstellung für<br />

Nahrungsmittel und Volksernährung in<br />

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24<br />

Geschichte


Gründer der 1. Oberlausitzer Konservenfabrik<br />

Emil Berndt<br />

Anzeige aus dem Adressbuch der Stadt Löbau, 1896<br />

Dresden hat Herr Conservenfabrikant<br />

Emil Berndt hier die silberne Medaille<br />

für seine ausgestellten Conserven erhalten.<br />

Die Berndtschen conservirten<br />

Früchte haben schon unter dem Vaters<br />

Vorgänger des Besitzers eine Berühmtheit<br />

wegen ihrer Güte erlangt, doch<br />

hatte die Firma noch nicht sich an Austellungen<br />

betheiligt.“<br />

Im Mai 1897 wurde Emil Berndt der Titel<br />

Hoflieferant seiner Königlichen Hoheit<br />

des Prinzen Georg Herzogs zu Sachsen<br />

verliehen, welcher 1902 in „Königlich<br />

Sächsischer Hoflieferant“ umgewandelt<br />

wurde. 1898 erwarb er das Grundstück<br />

an der Äußeren Zittauer Straße 24 und<br />

erbaute dort die neue Fabrik.<br />

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Geschichte<br />

25


Emil Berndt als Löbauer Chronist –<br />

Berndt<br />

Anzeige aus dem Adressbuch der Stadt Löbau, 1912<br />

Durch die Ereignisse des Ersten Weltkriegs<br />

war die Firma Berndt aufgrund<br />

ihrer Abhängigkeit von Zuckerlieferungen,<br />

welche in dieser Zeit stark<br />

eingeschränkt waren, besonders stark<br />

in Mitleidenschaft gezogen. Mehrfach<br />

wandten er und der Bürgermeister sich<br />

an die zuständige Reichszuckerstelle<br />

und die Kriegsgesellschaft für Obstkonserven<br />

und Marmeladen m.b.H.,<br />

da das Kontingent erschöpft war, Obst<br />

verfaulen musste und die Produktion<br />

zum Erliegen kam. Trotz der Widrigkeiten<br />

wurde die Firma auch über diese<br />

schwierige Zeit hinweg weitergeführt.<br />

Im Sächsischen Postillon erschien unter<br />

Lokales und Sächsisches am 2. Oktober<br />

1924 folgende betrübliche Nachricht:<br />

„Stadtrat Berndt †. Ganz plötzlich ist<br />

im hiesigen Stadtkrankenhause Herr<br />

Stadtrat Berndt gestern abend verstorben.<br />

Noch am Sonntag war der sonst<br />

körperlich rüstige Herr ausgegangen,<br />

fühlte aber später Leibschmerzen und<br />

unterzog sich einer Operation, die er<br />

nicht überleben sollte. Soviel wir erfahren<br />

konnten, handelt es sich um eine<br />

Darmknickung. Herr Stadtrat Berndt litt<br />

schon lange an einem Herzleiden, war<br />

aber äußerlich vollkommen rüstig und<br />

ging noch fast täglich auf den Stadtberg.<br />

Er hat ein Alter von fast 67 Jahren<br />

erreicht. Er war reich an Arbeit und<br />

26<br />

Geschichte


Gründer der 1. Oberlausitzer Konservenfabrik<br />

Emil Berndt<br />

alle, die ihn kannten, mußten seinen<br />

Fleiß bewundern. Was er in seinen vielen<br />

Aemtern und besonders als Gründer<br />

seines bewunderungswürdigen<br />

Museums geleistet hat, ist weit und<br />

breit bekannt und hat ihm ehrenvolle<br />

Anerkennung eingetragen. Es ist tief<br />

bedauerlich, daß Herr Berndt nicht ein<br />

höheres Alter erreicht hat und sich des<br />

Erfolges seiner Arbeit im friedlichen<br />

Ruhestande erfreuen konnte. Tätig bis<br />

in die letzten Stunden, ist er abberufen<br />

worden. Ehre sei seinem Andenken und<br />

Friede seiner Asche!“<br />

Seine Frau Fanny führte bis 1932 die<br />

Firma weiter. Danach erfolgte die Einleitung<br />

des Konkursverfahrens:<br />

„Ueber das Vermögen der Amalie Fanny<br />

verw. Berndt geb. Henne in Löbau,<br />

Alleininhaberin der Firma Emil Alwin<br />

Berndt, Konservenfabrik in Löbau, wird<br />

heute, am 12. Oktober 1932, mittags<br />

12 Uhr, das Konkursverfahren eröffnet.<br />

(…) Das Amtsgericht zu Löbau.“<br />

Der Sammler und Museumsgründer<br />

Emil Berndt hatte stets großen Sammeleifer<br />

an naturkundlichen und kulturgeschichtlichen<br />

Dingen der Lausitz<br />

bewiesen. Im Laufe der Zeit häufte<br />

er eine große Sammlung an. In der 3.<br />

Beilage zum Sächsischen Postillon vom<br />

29. September 1934 schreibt Richard<br />

Plesky anlässlich des 10. Todestages<br />

von Berndt:<br />

„Ein lebendiger Sammel- und Bildungseifer<br />

Nachdem die nötige Bewegungsfreiheit<br />

gegenüber dem bisher sehr strengen<br />

Vater gewonnen war, entwickelte<br />

E. A. Berndt einen ungemein regen<br />

Sammeleifer. Was sich irgend an naturkundlichen<br />

und kulturgeschichtlichen<br />

(volkskundlichen) Dingen der Heimat<br />

sammeln ließ, das versuchte er zusammenzubringen.<br />

Es gab kaum ein Gebiet,<br />

für das er nicht sein Interesse zeigte.<br />

Ohne auf Vollständigkeit der Angaben<br />

Anspruch zu erheben, seien folgende<br />

Sammlungen genannt: Eine Sammlung<br />

von Briefmarken, Münzen, Notgeld, Ka-<br />

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Geschichte<br />

27


Emil Berndt als Löbauer Chronist –<br />

Berndt<br />

lendern, Kriegsnachrichten, Steinen,<br />

Insekten, Schmetterlingen, Vögeln,<br />

Pilzen u.v.m. – Auf kulturgeschichtlichem<br />

und volkskundlichem Gebiete der<br />

Heimat trug er zusammen, was er nur<br />

erreichen konnte: Vorzeitliche Funde,<br />

alte Innungszeichen, Trachten, alte Beleuchtungs-<br />

und Gebrauchsgegenstände,<br />

Waffen, Bilder, Landkarten, eine<br />

oberlausitzer Weberstube und vieles<br />

andere mehr. Ebenso war er bemüht,<br />

eine Sammlung von oberlausitzer<br />

Druckschriften, Chroniken und Handschriften<br />

anzulegen.<br />

Bei seinem Sammelwerke leitete ihn<br />

die Absicht, alle diese für Natur- und<br />

Kulturgeschichte beachtlichen Dinge<br />

vor Nichtbeachtung und Vergessenheit<br />

zu bewahren und durch ihre Sammlung<br />

und Ausstellung auf Heimatsinn und<br />

Heimatliebe weckend und fördernd<br />

ein-zuwirken. Seine Zähigkeit und sein<br />

Sammeleifer scheuten keine Opfer an<br />

Zeit und Geld beim Erwerb dieser Dinge<br />

(…).“<br />

Anhand dieser Schilderung lässt sich die<br />

Größe der Sammlung nur erahnen. Im<br />

Mai 1897 fand im Saal des Rathauses<br />

eine dreiwöchige Ausstellung mit Gegenständen<br />

aus ebendieser Sammlung<br />

statt. Da der Neubau der Firmengebäude<br />

abgeschlossen war, lud Emil Berndt<br />

den Stadtgemeinderat am 5. Oktober<br />

1902 um 11 Uhr zu einer Eröffnungsveranstaltung<br />

und Besichtigung in das<br />

„Lausitzer Museum für Natur- und Kulturgeschichte“<br />

an der Äußeren Zittauer<br />

Straße 24 ein. Der Sächsische Postillon<br />

veröffentlichte am 10. Oktober 1902<br />

in Ausgabe 236 eine Werbeanzeige für<br />

das Museum, welches sonntags von<br />

10.30 Uhr bis 12.30 Uhr geöffnet hatte.<br />

Der Eintritt betrug 20 Pfennige, für Kinder<br />

10 Pfennige. Damit verfügte Löbau<br />

einst über zwei Museen.<br />

Nach dem Tod des Museumsgründers<br />

versuchten die Erben, möglichst die<br />

komplette Sammlung an einen Interessenten<br />

zu veräußern. So trat man<br />

natürlich auch an die Stadt Löbau heran,<br />

um die gesammelten Gegenstände<br />

in der Stadt für die weitere Aufbewahrung<br />

und Nutzung zu halten. Der<br />

Umfang der Sammlung wurde durch<br />

verschiedentlich hinzugezogene Experten<br />

aufgenommen und ihr Wert sollte<br />

ermittelt werden. Leider war es der<br />

Stadt aufgrund der herrschenden Finanzlage<br />

nicht möglich, die Sammlung<br />

sofort zu übernehmen. So kam es zu<br />

langwierigen Verhandlungen, die sich<br />

so lange hinauszögerten, dass es am<br />

15. Juli 1933 zur öffentlichen Versteigerung<br />

des Museumsbestandes kam.<br />

Einige Stücke der Berndtschen Sammlung<br />

sind in Löbau erhalten geblieben.<br />

Im Bestand des Löbauer Stadtmuseums<br />

finden sich u.a. zahlreiche handschriftliche<br />

Aufzeichnungen, darunter<br />

auch mehrere wertvolle Chronikbände,<br />

Ausarbeitungen zur Brandgeschichte<br />

und zum Löschwesen der Stadt sowie<br />

zu Friedrich <strong>August</strong> Bretschneider und<br />

dem Gusseisernen Turm. Im Sächsischen<br />

Postillon erschienen auch einige<br />

seiner Ausarbeitungen. Darauf wird in<br />

einer Fortsetzung in den weiteren Publikationen<br />

des Stadtarchivs genauer<br />

eingegangen.<br />

28<br />

Geschichte


Gründer der 1. Oberlausitzer Konservenfabrik<br />

Emil Berndt<br />

Kurzer Lebenslauf Emil Berndts in seiner Handschrift, Quelle: Gelbe Suppe, S. 15, Stadtarchiv Löbau<br />

Geschichte<br />

29


Emil Berndt als Löbauer Chronist<br />

Berndt<br />

Der Stadtrat<br />

Emil Berndt hatte auch mehrere gesellschaftlich<br />

wichtige Ämter inne. 1895<br />

wurde er zum Amte eines Stadtverordneten<br />

berufen. Er gehörte dem Forst-,<br />

Wahl- und Anlagenausschuss und ab<br />

1898 der Einschätzungs-Kommission<br />

an. Nach dem Tod von Stadtrat Schönbach<br />

wurde Emil Berndt als unbesoldeter<br />

Stadtrat am 21. Januar 1908<br />

mit 13 von 22 abgegebenen Stimmen<br />

zum Nachfolger gewählt. Er hatte den<br />

Vorsitz im Verkehrs-, Wahl-, Armen-,<br />

Hospital- und Rodelbahnausschuss.<br />

Nach Ende der Wahlperiode 1910 wurde<br />

Berndt für weitere sechs Jahre wiedergewählt.<br />

1908 erfolgte die Wahl in<br />

die Königliche Ersatz-Commission der<br />

Aushebungs-Behörde der Amtshauptmannschaft<br />

Löbau. Des Weiteren war<br />

er im Februar 1910 zum Vorsitzenden<br />

der Privilegierten Schützen-Gesellschaft<br />

gewählt worden. In Anerkennung seiner<br />

Verdienste zum Wohle der Stadt<br />

stellte der Stadtrat am 11. Dezember<br />

1919 beim Sächsischen Innenministerium<br />

folgenden Antrag:<br />

„Das Ministerium bitten wir hierdurch<br />

den am 15. November d. J. von ihren<br />

Aemtern geschiedenen Stadträten<br />

Ernst Julius Gärtner, Löbau, geb.<br />

26.2.1830,<br />

Emil Alwin Berndt, Löbau, geb.<br />

12.8.1858,<br />

Oskar Adolf Wagner, Löbau, geb.<br />

24.6.1856,<br />

den Ehrentitel „Stadtrat“ verleihen zu<br />

wollen.<br />

Die Genannten sind der Stadt Löbau in<br />

langen Jahren wertvolle Berater gewesen<br />

und gehörten uneigennützig und<br />

selbstlos lange Jahre den Städt. Körperschaften<br />

als Stadtverordnete und<br />

Stadträte an.<br />

Herr Gärtner war 18 Jahre Stadtverordneter,<br />

11 Jahre Stadtrat,<br />

Herr Berndt war 14 Jahre Stadtverordneter,<br />

12 Jahre Stadtrat,<br />

Herr Wagner war 3 Jahre Stadtverordneter,<br />

16 Jahre Stadtrat.<br />

In dieser Zeit haben sie sich auf fast allen<br />

Gebieten der Stadtverwaltung und<br />

zum Teil als Vorsitzende von städt. Ausschüssen<br />

für die Betriebe und Wohlfahrtseinrichtungen<br />

der Stadt rege betätigt.<br />

An deren Aufschwung auf ihre heutige<br />

Höhe haben sie zum Wohle unserer Bevölkerung<br />

einen grossen Anteil, sodass<br />

auch aus dem aus Neuwahlen vom 9.<br />

Februar d. J. hervorgegangenen Stadtverordneten-Kollegium<br />

in Anerkennung<br />

ihrer Verdienste der einmütige Wunsch<br />

auf Verleihung des erbetenen Ehrentitels<br />

geäußert worden ist.<br />

Wir bitten unser Gesuch berücksichtigen<br />

zu wollen.<br />

Der Stadtrat: Gez. Dr. Schaarschmidt.“<br />

Aus Dresden kam am 31. Dezember<br />

1919 folgende Antwort:<br />

„Das Ministerium des Innern hat gegen<br />

die Weiterführung des Titels ‚Stadtrat‘<br />

seitens der bisherigen unbesoldeten<br />

Stadträte Gärtner, Berndt und Wagner<br />

in Löbau keine Bedenken zu erheben.<br />

Ministerium des Innern.“<br />

Mit dieser Bestätigung wurde den Genannten<br />

seitens der Stadt Löbau der<br />

Ehrentitel „Stadtrat“ verliehen.<br />

30 Geschichte


Emil Berndt als Löbauer Chronist –<br />

Berndt<br />

Festrede zum 50-jährigen Fahnenjubiläum 1898, Quelle: Rep. 17, Nr. 225, S. 1, Stadtarchiv Löbau<br />

Der Turner<br />

Wie schon zuvor sein Vater war auch<br />

Emil Berndt im Turnverein Löbau 1848<br />

sehr aktiv. Zeitweilig war er dort als<br />

Kassierer, Mitglied im Vergnügungsausschuss<br />

oder als Turnrat tätig. Am<br />

4. September 1898 hielt er die Festrede<br />

zum 50-jährigen Fahnenjubiläum.<br />

1908 übernahm er den Vorsitz des Vereins<br />

und verfasste handschriftlich aus<br />

Anlass des 50-jährigen Bestehens zum<br />

Stiftungsfest im Jahre 1909 „Die Geschichte<br />

des Turnvereins zu Löbau i/<br />

Sa. 1848 bis 1852 und 1859 bis 1909“,<br />

eine rund 300 Seiten starke Chronik.<br />

Bis 1922 war er Vereinsvorsitzender. Im<br />

Jahresbericht der Deutschen Turnerschaft,<br />

Turngau Sächsische Oberlausitz<br />

von 1932, wird des Emil Alwin Berndts,<br />

Ehrenvorsitzenden des Turnvereins Löbau<br />

1848, gedacht.<br />

Das Denkmal<br />

Am 11. Oktober 1937 wendet sich der<br />

in Dresden einen Zigarren-Versand betreibende<br />

Ewald Berndt an den Rath<br />

zu Löbau mit der Anregung, dass die<br />

Stadt als Würdigung der Verdienste<br />

seines verstorbenen Bruders einen Gedenkstein<br />

aufstellen könne. Nach Beratungen<br />

im Stadtrat und Stadtforstamt<br />

wurde am Berndtblick ein Dolerit-Block<br />

mit Inschrift aufgestellt. Der Sächsische<br />

Postillon berichtete in der Ausgabe vom<br />

20. Juli 1938 unter der Rubrik „Die Heimat<br />

spricht“:<br />

32<br />

Geschichte


Gründer der 1. Oberlausitzer Konservenfabrik<br />

Emil Berndt<br />

„Löbau. Ein Denkmal für Emil Berndt.<br />

Lenkt man auf unserem Berge seine<br />

Schritte einmal abseits vom üblichen<br />

und breiten Verkehrswege und läßt<br />

man sich von einem Wegweiser hinüber<br />

nach dem Schafberg führen, so kommt<br />

man an ein verstecktes lauschiges<br />

Plätzchen, daß sich ganz plötzlich vor<br />

einem auftut: es ist der Berndt-Blick.<br />

Dieses wenig beachtete Rastfleckchen,<br />

von dem man einen herrlichen Blick hinüber<br />

zu den südlichen Lausitzer Bergen<br />

hat und wo man zur rechten Seite<br />

durch eine tiefe Schlucht hinunter nach<br />

unserer Stadt sehen kann, ist so recht<br />

angetan, ein besinnliches Feierstündchen<br />

in der Natur zu halten. Dieses<br />

romantische Plätzchen ist dem großen<br />

Löbauer Naturfreund und Schöpfer des<br />

Berndt-Museums gewidmet, und wenn<br />

man vor kurzer Zeit Emil Berndt dadurch<br />

besonders geehrt hat, daß man<br />

ihm einen schlichten Doleritstein mit<br />

seiner Namensinschrift widmete, so<br />

hat man damit recht getan und seinen<br />

Namen, der für uns Löbauer sowieso<br />

unvergänglich ist, da oben auf ‚seinem‘<br />

Blick verewigt. Dem stillen Wanderer<br />

aber, der dies Fleckchen nicht kennen<br />

sollte, wird empfohlen, auch einmal<br />

hinaufzusteigen und – abseits vom<br />

Wege – einmal hinzupilgern nach dem<br />

Berndt-Blick. Er wird überrascht sein,<br />

an dieser Stelle, wo man es gar nicht<br />

vermutet, so einen geruhsamen Ausblick<br />

zu finden.“<br />

Leider ist dieser Gedenkstein verschwunden.<br />

Doch es bleibt „sein“ Blick<br />

und die zahlreichen Schriften, über die<br />

weiter berichtet wird.<br />

Jens Krüger: Emil Berndt<br />

als Löbauer Chronist.<br />

In: Ein verdienter Stadtrat und<br />

ein altes Fragment.<br />

Unterwegs in Löbaus Geschichte.<br />

Hg. v. Große Kreisstadt Löbau,<br />

Stadtarchiv. Heft 16 (2018), S. 19-28.<br />

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Geschichte<br />

33


SchuhLounge schließt nach 15 Jahren<br />

Eine Ära geht zu Ende<br />

Eine Ära geht zu Ende<br />

Die Schuh Lounge gründetet sich im April<br />

2005. Mit 50 Jahren sich noch selbstständig<br />

zu machen, war ein gewagtes<br />

Unterfangen. Mit anfänglichen „Bauchschmerzen“,<br />

wird dieses individuelle kleine<br />

Geschäft sich behaupten können zwischen<br />

den vielen Schuhhandelsketten?<br />

Und Ja das hat es. Von Beginn an gab es<br />

Zuspruch, vor allem bei den weiblichen<br />

Kundinnen. Später interessierten sich auch<br />

die männlichen Kunden. Die Damen konnten<br />

ihre Herren überzeugen auch mal in<br />

die Schuh Lounge zum Shopping zu kommen.<br />

Die Kollektionen waren zu dieser Zeit<br />

für Görlitz gewagt frisch, frech und sehr<br />

farbig. Natürlich ohne entsprechendes Verkaufspersonal<br />

funktioniert auch das nicht.<br />

Fachgerechte immer freundliche Beratung<br />

und ein nettes Gespräch nebenbei, führten<br />

folglich zum Aufschwung und festen<br />

Bestandteil in der Handelsmeile Berliner<br />

Straße. Natürlich gab es auch Höhen und<br />

Tiefen in den 15 Jahren.<br />

Als der Aus- und Umbau der Berliner Straße/Salomonstraße<br />

erfolgte, gab es große<br />

Zugangsprobleme zum Geschäft. Da die<br />

Schuh Lounge auch noch von 2 Straßenseiten<br />

normalerweise begehbar war und von<br />

Baubeginn an für 6 Monate nicht mehr der<br />

Zugang ordentlich gewährgeleistet war.<br />

Ein Umzug auf Zeit wurde notwendig. Die<br />

Straßburg Passage war das Ziel. Mit dem<br />

Verwalter (Heid + Partner), Herrn Heid<br />

Senior konnten wir mit großem Entgegenkommen,<br />

wieder verkaufen. Im Anschluss<br />

daran gewann uns Herr Heid als Dauermieter<br />

und so blieb die Schuh Lounge bis<br />

zur Geschäftsaufgabe in der Passage.<br />

Eine gute Entscheidung, zumal sich das<br />

Stadtbild mit der Kundschaft doch veränderte.<br />

Neben unseren inzwischen vielen<br />

Stammkunden kamen auch die Laufkunden<br />

und entdeckten die schöne Schuh<br />

Lounge. Diese besuchten uns Jahr für Jahr<br />

erneut. Das zeigte uns, dass wir richtig lagen<br />

mit unser Auswahl der Schuhe und<br />

Taschen.<br />

Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang<br />

bei der Firma Heid + Partner<br />

für eine immer faire und konstruktive<br />

Zusammenarbeit und Unterstützung.<br />

Großen Dank möchte ich der Firma GWD<br />

(Graphik Werbung Design) der Familie<br />

Oertel sagen. Sie haben mich vom 1.<br />

Schritt an 15 Jahre lang begleitet und unterstützt.<br />

Das Steuerbüro „Aktiva“-JHL ist<br />

auch namentlich zu benennen und Dank<br />

auszusprechen. Dort wurde ich vor Beginn<br />

der Gründung bis zur Schließung meines<br />

Unternehmens sehr gut beraten und in die<br />

Selbstständigkeit geführt.<br />

Um zu dem zu gelangen, was die Schuh<br />

Lounge heute geworden ist, gehören natürlich<br />

die sehr vielen Kunden und Kundinnen.<br />

Für die jahrelange Treue besonderen<br />

Dank. Hiermit verabschiede ich mich in<br />

einen verdienten Ruhestand und wünsche<br />

allen Gesundheit und Wohlergehen.<br />

Ihre Heidi Lange<br />

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35


Kommen und Gehen –<br />

und Gehen<br />

Chor des Rutheneum Gera, Christian Frank und Bernd Hidden Timbre 2018<br />

Das „Kommen und Gehen“ - Das Sechsstädtebundfestival!<br />

lädt auch im Jahr<br />

<strong>2020</strong> in die Oberlausitz: „Dieses Jahr ist<br />

eine Herausforderung – für alle und in<br />

ungeahnter, unvorhergesehener Weise“,<br />

stellt Hans Narva, Initiator des seit 2018<br />

stattfindenden Festivals, fest. Trotzdem<br />

– oder gerade deswegen – wird das<br />

„Kommen und Gehen“ - Das Sechsstädtebundfestival!<br />

<strong>2020</strong> stattfinden. Unter<br />

dem Motto „Klassik on Strom“ erklingt<br />

zwischen dem 14. und dem 22. <strong>August</strong><br />

<strong>2020</strong> Musik „(…) an den Wassern, auf<br />

den Bergen, in den Häusern, entlang<br />

der Straßen.“ Soweit möglich finden die<br />

Veranstaltungen unter freiem Himmel<br />

statt. So soll nicht nur die potentielle<br />

Gefährdung von Gästen, Künstler:innen<br />

und Mitarbeiter:innen minimiert werden,<br />

sondern auch Luft und Raum geschaffen<br />

werden für Gespräche, Austausch und<br />

Kooperationen.<br />

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das Sechsstädtebundfestival geht in die dritte Runde<br />

Kommen und Gehen<br />

Das „Kommen und Gehen“ ist ein Klassik-,<br />

aber kein klassisches Musikfestival!<br />

Es ist Tummelplatz für lautes und mächtiges,<br />

virtuoses und rasantes, stilles und<br />

kleines Musizieren. Ob als Bühne oder<br />

Begegnungsraum, Laboratorium oder<br />

Schatzkammer: Das „Kommen und Gehen“<br />

öffnet Ohren neu – nicht nur für<br />

Musik. Begegnungen und schöpferische<br />

Kooperationen zwischen MusikerInnen<br />

unterschiedlicher Stile, kreative Auseinandersetzung<br />

mit dem regionalen kulturellen<br />

Erbe und aktuellen Fragestellungen,<br />

partizipative Workshop-Angebote<br />

im interkulturellen Kontext und Kooperationen<br />

mit Kultur- und Bildungsträgern<br />

der Region bieten mehr als reine<br />

Konzerterlebnisse.<br />

„Wir können viele besondere Programme<br />

realisieren und freuen uns sehr, dass<br />

die Künstler:innen Veranstaltungskonzepte<br />

kreativ und flexibel mit uns neu<br />

gedacht haben,“ sagt Hans Narva.<br />

Highlights sind in diesem Jahr unter anderem<br />

die Schlosskonzerte am 16. <strong>August</strong>,<br />

die das Paranormal String Quartett,<br />

das Ensemble Akrotesque sowie<br />

Konstantin Dupelius und Benedikt ter<br />

Braak mit neuer Kammermusik auf drei<br />

Oberlausitzer Schlösser laden.<br />

Zur Abenddämmerung um 20.30 Uhr<br />

geht es am 18. <strong>August</strong> an den Tagebaubagger<br />

in Hagenwerder: Vor ungewöhnlicher<br />

und imposanter Kulisse entsteht<br />

ein ‚Electric Tango Ballroom‘. Das Paranormal<br />

String Quartet kooperiert dafür<br />

mit dem Oberlausitzer Ensemble Tango<br />

Misterio und der Formation ‚Narvas<br />

Schöne Felder‘.<br />

In Konzerten wie diesem oder der Artistic<br />

Research in der Gedenkstätte Bautzen,<br />

die am 20. <strong>August</strong> als künstlerische<br />

Reflexion über das Leben des Häftlings<br />

Benedykt Szuminskis als Spiegelbild der<br />

politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts<br />

öffentlich präsentiert wird, folgt<br />

das Festival seiner Vision von einem<br />

nachhaltigen, auch gesellschaftsrelevanten<br />

Wirken der Kultur für die Region. Es<br />

denkt die Oberlausitz, Nordböhmen und<br />

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37


Kommen und Gehen –<br />

und Gehen<br />

Niederschlesien als kulturelle und weltoffene<br />

Region. Hier sollen Musik und andere<br />

Künste als Kommunikationsort und<br />

-moment für Menschen verschiedenster<br />

Prägungen erfahrbar werden, in dem<br />

Brücken zwischen Ländern, Kulturen,<br />

Generationen und Kontexten gebaut<br />

werden können.<br />

Die enge Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern<br />

aus Kultur, Bildung und<br />

Gesellschaft im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien<br />

als Mitte Europas<br />

ist das größte strukturelle Anliegen des<br />

Festivals. Denn wo lebendige Städte mit<br />

historischen Altstädten, die sorbische<br />

Kultur, die Via Regia, das Zittauer Gebirge,<br />

die Nähe zum Iser- und Riesengebirge<br />

sowie die Nachbarschaft der Städte<br />

Wroclaw, Prag und Dresden die Region<br />

attraktiv machen, haben struktureller<br />

Abbau und die Folgen des demografischen<br />

Wandels deutliche Spuren hinterlassen.<br />

Wer aber hier wohnt und arbeitet,<br />

der nimmt diese Probleme auch als<br />

Herausforderung wahr, das historische<br />

und moderne Potential der Region für<br />

eine zukunftsweisende Entwicklung ihrer<br />

Heimat zu nutzen. Diese Tendenzen<br />

unterstützt und gestaltet das Festival<br />

mit.<br />

Eine Strandparty zum Abschluss des<br />

„Kommen und Gehen“ am 22. <strong>August</strong><br />

ab 16.00 Uhr lädt daher ALLE, so unterschiedlich<br />

die musikalischen Vorlieben<br />

auch sein mögen, ein. Auf drei<br />

Bühnen präsentieren Künstler:innen<br />

aus Deutschland, Polen und Tschechien<br />

in Deutsch-Ossig am Berzdorfer See<br />

ein abwechslungsreiches Programm: die<br />

sorbische Thereminkünstlerin Carolina<br />

Eyck, der tschechische Autor Jaroslav<br />

Rudiš, das Duo OMG Schubert und weitere<br />

bieten (fast) alles zwischen Klassik<br />

und neuester Musik. Der See lädt darüber<br />

hinaus zum Baden ein und Eis,<br />

Limonade und Bier erfrischen an einem<br />

Konzertnachtmittag und -abend unter<br />

freiem Himmel.<br />

Zu Gast auf dem „Kommen und Gehen“<br />

- Das Sechsstädtebundfestival zwischen<br />

dem 14. und dem 22. <strong>August</strong> sind au-<br />

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38<br />

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das Sechsstädtebundfestival geht in die dritte Runde<br />

Kommen und Gehen<br />

Carolina Eyck und Konstantin Dupelius 2019 auf<br />

Schloss Gröditz.<br />

ßerdem Größen der alternativen Klassikszene<br />

wie SPARK - Die klassische<br />

Band, der Pianist Kai Schumacher, das<br />

Duo Konstantin Dupelius und Benedikt<br />

ter Braak sowie lokale Größen: Tango<br />

Misterio, Soundsystem Schönfisch und<br />

EVAN.<br />

„Dass Frau Barbara Klepsch, sächsische<br />

Staatsministerin für Wissenschaft, Kultur<br />

und Tourismus, in diesem Jahr die<br />

Schirmherrschaft für unser noch recht<br />

junges Festival übernommen hat, gibt<br />

diesem verrückten Jahr eine unverhoffte,<br />

sehr zuversichtlich stimmende<br />

Wendung,“ berichtet Hans Narva einen<br />

Monat vor Beginn des Festivals. „Nicht<br />

nur unsere Förderer – allen voran der<br />

Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien,<br />

die Kulturstiftung des Freistaats Sachsen<br />

sowie die Landesdirektion Sachsen – unterstützen<br />

uns nach Kräften. Ohne Partner<br />

wie dem VIA REGIA Begegnungsraum<br />

Landesverband Sachsen e.V., der<br />

Kreismusikschule Dreiländereck, der<br />

sächsische Musikrat und so vielen Menschen<br />

und Organisationen mehr wäre<br />

ein Festival wie unseres kaum möglich.<br />

Unser Programm ist auch ein Dank an<br />

sie alle.“<br />

Das ausführliche Programm, Informationen<br />

zu den Künstlern und Veranstaltungsorten<br />

sowie allen Unterstützern<br />

und Förderern finden sich unter<br />

www.kommenundgehen.org.<br />

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39


Große Geschichte ganz kurz –<br />

Teil IV<br />

Erfolgsgeschichte<br />

(Fortsetzung)<br />

Konfiskation<br />

Es stellt sich die Frage: Was passierte<br />

eigentlich mit dem Werk in Weinhübel?<br />

Deutschland hatte zwar den Krieg verloren,<br />

der westlich der Neiße gelegene Teil<br />

von Görlitz aber blieb weiterhin deutsch.<br />

Das nutzte Georg Tyczka jedoch gar<br />

nichts. Sowohl das Werk im nunmehr<br />

wieder tschechischen Satalice bei Prag<br />

als auch sämtlicher Firmen- und Privatbesitz<br />

in Weinhübel wurden entschädigungslos<br />

enteignet.<br />

Dabei hatte Tyczka bereits im Spätsommer<br />

1945 versucht, seinen Betrieb zu retten<br />

und wieder mit der Arbeit zu beginnen.<br />

Irgendwann im <strong>August</strong>, September<br />

kehrte er zurück nach Weinhübel, bezog<br />

seine ehemalige Wohnung und begann,<br />

alte Kontakte wieder aufzufrischen. Er<br />

ließ ehemalige Kunden und Lieferanten<br />

wissen, man sei demnächst wieder arbeitsfähig<br />

und würde gerne erneut mit<br />

ihnen ins Geschäft kommen. Doch die<br />

neuen kommunistischen Machthaber<br />

hatten andere Pläne mit dem Werk und<br />

ihrem bisherigen Eigentümer. Irgendwie<br />

erfuhr Georg Tyczka, dass sie ihn suchten<br />

und es angebracht war, sich schleunigst<br />

zu verstecken. Das tat er dann<br />

auch im Görlitzer Krankenhaus, wo er<br />

aufgrund seines chronischen Leidens<br />

gut bekannt war.<br />

Aus dem Krankenhaus konnte er nur<br />

dank der Hilfe seines Bruders fliehen.<br />

Der Jurist Dr. Leonhard Tyczka war zu<br />

der Zeit Landesdirektor der Wirtschaft<br />

im während dieser Wochen noch amerikanisch<br />

besetzten Weimar. Dieser<br />

Posten entsprach dem des heutigen<br />

Wirtschaftsministers. Als er von der<br />

missliebigen Situation seines Bruders<br />

erfuhr, schickte er sofort einen Wagen<br />

mit Chauffeur nach Görlitz und holte ihn<br />

des Nachts in die sichere amerikanische<br />

Zone.<br />

Heute steht fest, dass Georg Tyczka<br />

sonst wohl im Gefängnis Bautzen gelandet<br />

wäre. Hans-Wolfgang Tyczka hat<br />

nachträglich versucht, die Unterlagen<br />

des seinerzeit gegen seinen Vater einge-<br />

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40<br />

Geschichte


Der Beginn einer Erfolgsgeschichte im Unternehmen Tyczka<br />

Tyczka<br />

Werk Görlitz Weinhübel mit Betriebsstätte, Büro und Wohnhaus vom Georgenhof aus gesehen, 1944<br />

leiteten Verfahrens zu beschaffen, nicht<br />

zuletzt, um bei den aktuellen Entschädigungsprozessen<br />

nachweisen zu können,<br />

dass nicht nur materieller Schaden<br />

entstanden, sondern auch die persönliche<br />

Freiheit bedroht worden war. Auch<br />

wenn nicht alles vollständig beschafft<br />

werden konnte, ist den Unterlagen zu<br />

entnehmen, dass sowohl gegen Georg<br />

Tyczka als auch gegen seine Ehefrau<br />

Haftbefehle erlassen worden sind. Man<br />

beschuldigte den Fabrikanten, er habe<br />

im Krieg „wirtschaftliche Vorteile“ erlangt,<br />

so zum Beispiel durch die Ferti-<br />

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Geschichte<br />

41


Große Geschichte ganz kurz –<br />

Teil IV<br />

Erfolgsgeschichte<br />

konfisziert: der Georgenhof<br />

gung von hölzernen Luftschutzbetten<br />

oder Transportkisten einen Beitrag zur<br />

Aufrüstung geleistet.<br />

Tyczka habe 1933 bei Machtübernahme<br />

durch die Nationalsozialisten „einen<br />

kleinen, schlecht gehenden Betrieb in<br />

Görlitz-Weinhübel besessen“. Dann,<br />

so heißt es weiter in einem der amtlichen<br />

Schreiben: „Um diesen Betrieb zu<br />

stärken und auszubauen, ließ er sich<br />

denselben durch einen Teil des Privatvermögens<br />

seiner Ehefrau Johanna Tyczka,<br />

die in Weinhübel Inhaberin des<br />

Gasthauses und Tanzlokals Schweizerhaus<br />

ist, in Höhe von 11.000 Goldmark<br />

investieren. Es steht fest, dass Tyczka<br />

mit Hilfe dieses Kapitals seinen Betrieb<br />

festigte und weiter ausbaute, sodass er<br />

überhaupt erst eine größere Produktion<br />

anfangen konnte. Es kann ihm jedoch<br />

nicht nachgewiesen werden, daß er das<br />

Geld seiner Ehefrau für die Aufrüstung<br />

benutzte.“<br />

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42<br />

Geschichte


Der Beginn einer Erfolgsgeschichte im Unternehmen Tyczka<br />

Tyczka<br />

Dennoch wurde gegen ihn ein Strafverfahren<br />

als „Verbrecher“ eingeleitet mit<br />

der Begründung, er habe das Grundstück<br />

seiner Ehefrau belastet, um Geld<br />

für seinen „Kriegsindustriebetrieb“ zu<br />

erhalten und daraus wirtschaftliche Vorteile<br />

zu ziehen. Johanna Tyczka wurde<br />

ebenfalls als „Verbrecherin“ verfolgt, da<br />

sie ja ihrem Mann das Geld bzw. das<br />

Grundstück zur Verfügung gestellt hatte.<br />

Dem Schreiben ist zu entnehmen,<br />

dass die Anklagen aufgrund von Denunziationen<br />

erfolgt sind.<br />

Die Hetze ging über die behördlichen<br />

Beschuldigungen hinaus. In Zeitungen<br />

etwa des Antifaschistischen Blocks und<br />

des FDGB wurden noch über Jahr hinweg<br />

Schmähartikel gedruckt, Tyczka mit<br />

weitläufigen Beschimpfungen wie Plutokrat<br />

und Kriegstreiber bedacht. Die Polemik<br />

der Artikel springt dem Leser förmlich<br />

entgegen. So wird am 20. <strong>August</strong> 1947<br />

geschrieben, Georg Tyczka habe sich als<br />

„waschechter Preuße“ mit einem „schönen<br />

Beutel Geld in den goldenen Westen<br />

in Sicherheit gebracht“. In „Bajuwarien“<br />

sei er bereits wieder glücklicher Besitzer<br />

einer neuen Fabrik. In einem anderen<br />

Artikel heißt es ebenfalls fälschlich, Georg<br />

Tyczka sei erst 1946 gemeinsam mit<br />

seinem Bruder nach Weinhübel gekommen,<br />

um den Betrieb zurückzuerhalten.<br />

„Natürlich erteilten wir den Herren die<br />

ihnen gebotene Abfuhr und so flohen sie<br />

bei Nacht und Nebel zurück nach Bayern,<br />

woher sie gekommen waren. Sie haben<br />

sich bei uns auch nie wieder blicken lassen.“<br />

Dass die inzwischen Volkseigenen<br />

Betriebe nun natürlich hervorragend laufen,<br />

wird ebenfalls hervorgehoben.<br />

Noch heute ist es für Hans-Wolfgang Tyczka<br />

nicht nachvollziehbar, wie schnell<br />

man zum Verbrecher werden kann,<br />

nur weil man seinen Betrieb erfolgreich<br />

führt. Und ebenso wenig, dass dies<br />

als Begründung für entschädigungslose<br />

Enteignung gelten darf. Zum Glück<br />

hätten seine Eltern nie Konkretes über<br />

die gegen sie erhobenen Vorwürfe und<br />

nichts von den Haftbefehlen gewusst.<br />

Nur dass sie enteignet wurden, war ihnen<br />

bekannt. Nun entstand eine skurrile<br />

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Geschichte<br />

43


Große Geschichte ganz kurz –<br />

Teil IV<br />

Erfolgsgeschichte<br />

Situation. Natürlich waren alle Forderungen<br />

des Görlitzer Betriebes mit enteignet<br />

worden. Für die Verbindlichkeiten sollte<br />

Georg Tyczka jedoch weiterhin gerade<br />

stehen, noch Jahre nach dem Krieg wurde<br />

versucht, diese bei ihm einzutreiben.<br />

Nicht zuletzt aus diesem Grund trat der<br />

neu aufgebaute Betrieb in der Bundesrepublik<br />

ab 1947 unter neuem Namen und<br />

neuer Firmierung auf.<br />

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt:<br />

Nicht nur Firma und persönliches Eigentum<br />

in Görlitz waren 1945 verloren<br />

gegangen. Auch das gesamte Vermögen<br />

des Großvaters in Oberschlesien,<br />

die Sandgrube, Grundstücke, Häuser,<br />

Finanzmittel, war in polnischen Besitz<br />

genommen worden. Bis auf die wenigen<br />

Mittel, die Georg Tyczka vielleicht vor der<br />

Flucht nach Schwarzenfeld transferiert<br />

hatte - viel konnte das nach Ansicht des<br />

Sohnes nicht gewesen sein, da sämtliches<br />

Kapital für den laufenden Betrieb<br />

gebraucht wurde – fingen Georg Tyczka<br />

und die Seinen im Juni 1945 wieder bei<br />

Null an.<br />

„Wir haben jedes Mal bei null angefangen,<br />

wir hatten nichts als einen Pappkarton<br />

und die moralische Verpflichtung,<br />

unseren Mitarbeitern Brot und Arbeit zu<br />

geben.“ Dr. Hans-Wolfgang Tyczka<br />

Nach dem Neuanfang in Schwarzenfeld<br />

in der Oberpfalz folgte 1962/1963 der<br />

Umzug nach Geretsried, wo die Firma<br />

bis heute ihren Hauptsitz hat.<br />

Quelle: Die Familie Tyczka<br />

Hundert Jahre Pioniergeist mit Energie<br />

Am 26. November 2018 folgte Dr. Hans-<br />

Wolfgang Tyczka der Einladung des<br />

Oberbürgermeisters der Stadt Görlitz,<br />

Siegfried Deinege, in das Rathaus von<br />

Görlitz, um sich in feierlichem Rahmen<br />

in das Goldene Buch der Stadt einzutragen.<br />

Anlass für den Eintrag ins Goldene<br />

Buch der Stadt war die Verleihung des<br />

Dr. Tyczka-Energiepreises einen Tag später.<br />

Er wird seit 1994 jährlich vergeben.<br />

Dr. Hans-Wolfgang Tyczka selbst verbrachte<br />

17 Jahre seines Lebens in Gör-<br />

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44<br />

Geschichte


Der Beginn einer Erfolgsgeschichte im Unternehmen Tyczka<br />

Tyczka<br />

Dr. Hans-Wolfgang Tyczka trägt sich in das Goldene Buch der Stadt Görlitz ein<br />

litz und ist der Stadt bis heute tief verbunden.<br />

Tyczka wurde auch bekannt durch die<br />

Olympischen Sommerspiele in München<br />

1972. Er baute und lieferte die drei Stadienfackeln<br />

und auch die Handfackeln<br />

für den Staffellauf zur Eröffnung der<br />

Spiele.<br />

Wir möchten uns an dieser Stelle recht herzlich<br />

für die freundliche und engagierte Unterstützung<br />

bedanken. Hier durften wir auf die Chronik des<br />

Unternehmens Tyczka zurückgreifen, Danke!<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

incaming media GmbH<br />

Geschäftsführer:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Carl-von-Ossietzky-Straße 45<br />

02826 Görlitz<br />

Ruf: (03581) 87 87 87<br />

Fax: (03581) 40 13 41<br />

info@stadtbild-verlag.de<br />

www.stadtbild-verlag.de<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Geschichte<br />

Verantw. Redakteur:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

(Mitglied im Deutschen<br />

Fachjournalistenverband)<br />

Redaktion:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Bertram Oertel<br />

Anzeigen verantw.:<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Mobil: 0174 - 31 93 525<br />

Teile der Auflage werden auch<br />

kostenlos verteilt, um eine größere<br />

Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />

Für eingesandte Texte & Fotos<br />

übernimmt der Herausgeber keine<br />

Haftung. Artikel, die namentlich<br />

gekennzeichnet sind, spiegeln<br />

nicht die Auffassung des Herausgebers<br />

wider. Anzeigen und redaktionelle<br />

Texte können nur nach<br />

schriftlicher Genehmigung des Herausgebers<br />

verwendet werden.<br />

Anzeigenschluss für die September-<br />

Ausgabe: 15. <strong>August</strong> <strong>2020</strong><br />

Redaktionsschluss: 20. <strong>August</strong> <strong>2020</strong><br />

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Die steuerliche Seite der Corona-Finanzhilfen<br />

ETL-Steuerberatung<br />

Zuschüsse, Darlehen und Steuererstattungen haben ihren Preis<br />

Die in der Corona-Krise geschnürten Maßnahmenpakete von Bund und Ländern unterstützen Unternehmen in dieser schwierigen<br />

Zeit. Doch alle Finanzhilfen haben auch eine steuerliche Komponente, die nicht außer Acht gelassen werden sollte.<br />

Staatliche Soforthilfe<br />

Bei den Soforthilfen von Bund und Ländern handelt es sich in der Regel um nicht rückzahlbare Zuschüsse. Diese führen zu<br />

Betriebseinnahmen, die bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind und der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer sowie<br />

der Gewerbesteuer unterliegen. Steuerlich wirken sich die Zuschüsse jedoch erst im Rahmen der Veranlagung für <strong>2020</strong><br />

aus, d. h. frühestens im Jahr 2021. Bei der Ermittlung der voraussichtlichen Einkünfte für die Steuervorauszahlungen sind<br />

die Soforthilfen in der Regel nicht mit zu berücksichtigen. Ob auf die Zuschüsse tatsächlich Steuer anfällt, hängt jedoch davon<br />

ab, ob die verbleibenden Monate des Jahres ausreichen, um das Unternehmen wieder in die Gewinnzone zu bringen.<br />

Die Soforthilfen sind zwar Betriebseinnahmen, aber nicht umsatzsteuerpflichtig, denn sie werden aus volkswirtschaftlichen<br />

und politischen Gründen gezahlt, um die wirtschaftliche Tätigkeit der Unternehmen zu fördern und Insolvenzen zu verhindern.<br />

Sie sind daher kein Entgelt für eine steuerbare Leistung des Unternehmens, sondern ein echter, nicht umsatzsteuerbarer<br />

Zuschuss.<br />

Darlehen von KfW, Haus- und Bürgschaftsbanken<br />

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat eine Reihe von Sonderkreditprogrammen aufgelegt, die Unternehmen liquide<br />

Mittel nicht nur zur kurzfristigen Finanzierung von Betriebsausgaben, sondern auch für weitere Investitionen und zur Finanzierung<br />

von Betriebsmitteln zur Verfügung stellen. Die bei Auszahlung der Kredite dem Unternehmen zufließenden finanziellen<br />

Mittel führen jedoch nicht zu Betriebseinnahmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Unternehmen seinen Gewinn<br />

durch eine einfache Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt oder ob es bilanziert. Steuerlich wirken sich nur die damit<br />

finanzierten Aufwendungen und die Kreditzinsen aus. Diese führen zu Betriebsausgaben, die den Gewinn mindern. Die Zinshöhe<br />

variiert dabei je nach der Laufzeit. Bei den Corona-Krediten liegen die Zinsen aber deutlich unter den sonst üblichen.<br />

Anders als die Soforthilfen müssen die Darlehen zurückgezahlt werden. Bei den meisten Verträgen sind jedoch ein bis zwei<br />

tilgungsfreie Jahre vereinbart, so dass erst ab Mitte 2021 oder in 2022 die ersten Tilgungsraten anfallen. Damit mindern<br />

sie in <strong>2020</strong> bzw. 2021 wieder die Liquidität des Unternehmens. Der Gewinn wird durch die Rückzahlung jedoch nicht beeinflusst.<br />

In einigen Bundesländern erhalten mittelständische Unternehmen mit mehr als 10, aber weniger als 100 Beschäftigten<br />

Tilgungszuschüsse. Das bedeutet, dass sie nach einer Laufzeit von ein bis zwei Jahren einen Teil des Kredites nicht zurückzahlen<br />

müssen. Dieser Tilgungszuschuss ist dann als Betriebseinnahme zu erfassen und erhöht den steuerpflichtigen<br />

Gewinn bzw. mindert einen Verlust.<br />

Herabsetzung von Steuervorauszahlungen<br />

Viele Unternehmen werden in diesem Jahr nur einen geringen Gewinn erwirtschaften oder gar Verluste ausweisen. Die<br />

festgesetzten Steuervorauszahlungen sind daher in der Regel zu hoch. Im Zuge der steuerlichen Erleichterungen können<br />

Unternehmer eine Herabsetzung der Vorauszahlungen (ggf. bis auf null Euro) beantragen, auch rückwirkend für die regelmäßig<br />

bereits getätigten Vorauszahlungen für das 1. Quartal <strong>2020</strong> und sogar pauschal rückwirkend für die Vorauszahlungen<br />

für 2019. Auch die Umsatzsteuersondervorauszahlung für <strong>2020</strong> hat das Finanzamt auf Antrag wieder zurückgezahlt. Diese<br />

Rückzahlungen bzw. die nicht fällig werdenden Vorauszahlungen verbessern die Liquidität. Ob die Steuern später teilweise<br />

doch wieder gezahlt werden müssen, hängt von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und vom Jahresergebnis für<br />

<strong>2020</strong> ab.<br />

Eine Besonderheit müssen Unternehmen beachten, deren Einkommen- oder Körperschaftsteuervorauszahlungen für 2019<br />

auf der Grundlage eines pauschal ermittelten oder prognostizierten Verlustrücktrags herabgesetzt wurden. Da Verluste aus<br />

<strong>2020</strong> normalerweise erst nach Abgabe der Steuererklärung für <strong>2020</strong>, also frühestens im Laufe des Jahres 2021 zurückgetragen<br />

werden können, kommt es bei der Veranlagung für 2019 zunächst zur Festsetzung einer Nachzahlung in Höhe des<br />

wegen der Corona-Krise gewährten Verlustrücktrags. Diese wird allerdings auf Antrag bis einen Monat nach Bekanntgabe<br />

des Steuerbescheides für <strong>2020</strong> zinslos gestundet, wenn für <strong>2020</strong> weiterhin von einem Verlust auszugehen ist.<br />

Herabsetzung von Krankenversicherungsbeiträgen<br />

Freiwillig gesetzlich krankenversicherte Unternehmer zahlen ihre monatlichen Beiträge auf Basis ihres im letzten Einkommensteuerbescheid<br />

ausgewiesenen Einkommens voraus. Sie können eine Beitragsermäßigung aufgrund des coronakrisenbedingten<br />

Gewinneinbruchs beantragen. Auch damit lässt sich die Liquidität verbessern. Zwar vermindern sich dadurch bei<br />

der Einkommensteuerveranlagung für <strong>2020</strong> die als sonstige Vorsorgeaufwendungen abziehbaren Sonderausgaben. Diese<br />

wirken sich jedoch nur steuermindernd aus, wenn das zu versteuernde Einkommen ohne die Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge<br />

noch über dem Grundfreibetrag liegt.<br />

Autor: Ulf Hannemann, Freund & Partner GmbH (Stand: 14.07.<strong>2020</strong>)<br />

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