Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 856 — »Sondern? Sie verheimlichen mir noch einen Gedanken!« »Wenn ich es thue, so geschieht es aus Schonung und Rücksicht für Ihren Gesundheitszustand, Herr am Stein.« »Dennoch bitte ich Sie, ehrlich mit mir zu verfahren, wie ich es mit Ihnen gethan habe! Was fürchten Sie?« »Den Wahnsinn Martell’s!« »Wahnsinn?« wiederholte Adrian und sein Auge loderte heftiger auf. »Martell ist wahnsinnig? Wahnsinnig über den Tod seines Kindes?« »Man besorgt allgemein, daß seine Vernunft dem namenlosen Seelenschmerz und der grenzenlosen Noth, die in seiner Familie herrscht, ehestens unterliegen wird. Die Folgen eines solchen Unglücks wage ich nicht voraus zu bestimmen.« »Hat Martell die Arbeit eingestellt?« »Immer bis auf den heutigen Tag war er der Erste an der Maschine und der Letzte, welcher den Saal verließ. Er arbeitete stets unverdrossen, aber mit einem Blick, mit einem Lächeln, die das Entsetzliche, das in ihm vorgeht, oder sich vorbereitet, verrathen. Man sagt, er betäube seinen Gram durch Branntwein!« »Ich begreife nicht, was mich an diesem wilden Menschen anzieht,« sagte Adrian nach kurzem Schweigen, »was mich wünschen läßt, daß er in eine bessere Lage versetzt werden möge, ohne daß ich selbst die Hand dazu reichen darf. Ein unerklärliches Etwas, eine

— 857 — dunkle Warnungsstimme hält mich ab, daß ich es nicht thue! Aber verderben, ganz elend, wohl gar wahnsinnig werden aus Mangel an dem Allernothwendigsten mag ich ihn doch nicht sehen! Geben Sie daher Befehl, lieber Herr Vollbrecht, daß morgen früh der rückständige Lohn nebst dem auf die erste Arbeitswoche im neuen Jahr fallenden Martell in’s Haus geschickt werde! Sie werden mir morgen Bericht erstatten, wie der Spinner diese Aufmerksamkeit aufgenommen hat und wie sein geistiges Befinden ist. Gesunde Feiertage!« Vollbrecht verabschiedete sich. »Also doch noch eine Regung von Menschlichkeit?« sagte er im Fortgehen. »Oder wäre es das unerklärliche, geheimnißvolle Band des Blutes, das den herzlosen Egoisten zu einem Schritte des Mitleids zwingt, den er aus freiem Willen niemals gethan hätte? – Wahrlich, mich verlangt zu wissen, mit welchem Blicke Martell das Geld empfangen wird! –« Adrian öffnete jetzt die erhaltenen Briefe. Sie enthielten höflich gefaßte, glatte und süße Glückwünsche zum Fest und nahenden Jahreswechsel, und waren außerdem noch von sehr reichen und kostbaren Geschenken begleitet, die Adalbert nebst Gattin dem lieben, kranken Bruder zum Andenken überschickten. Der Kranke freute sich wirklich einen Augenblick darüber, ließ in einem Anfall kindischer Laune die Geschenke vor sich auf dem Tische ausbreiten, an Ermangelung eines Tannenbaums die goldnen Kronleuchter

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»Sondern? Sie verheimlichen mir noch einen Gedanken!«<br />

»Wenn ich es thue, so geschieht es aus Schonung<br />

und Rücksicht für Ihren Gesundheitszustand, Herr am<br />

Stein.«<br />

»Dennoch bitte ich Sie, ehrlich mit mir zu verfahren,<br />

wie ich es mit Ihnen gethan habe! Was fürchten Sie?«<br />

»Den Wahnsinn Martell’s!«<br />

»Wahnsinn?« wiederholte Adrian und sein Auge l<strong>oder</strong>te<br />

heftiger auf. »Martell ist wahnsinnig? Wahnsinnig<br />

über den Tod seines Kin<strong>des</strong>?«<br />

»Man besorgt allgemein, daß seine Vernunft dem namenlosen<br />

Seelenschmerz und der grenzenlosen Noth,<br />

die in seiner Familie herrscht, ehestens unterliegen<br />

wird. <strong>Die</strong> Folgen eines solchen Unglücks wage ich nicht<br />

voraus zu bestimmen.«<br />

»Hat Martell die Arbeit eingestellt?«<br />

»Immer bis auf den heutigen Tag war er der Erste an<br />

der Maschine und der Letzte, welcher den Saal verließ.<br />

Er arbeitete stets unverdrossen, aber mit einem Blick,<br />

mit einem Lächeln, die das Entsetzliche, das in ihm<br />

vorgeht, <strong>oder</strong> sich vorbereitet, verrathen. Man sagt, er<br />

betäube seinen Gram durch Branntwein!«<br />

»Ich begreife nicht, was mich an diesem wilden Menschen<br />

anzieht,« sagte Adrian nach kurzem Schweigen,<br />

»was mich wünschen läßt, daß er in eine bessere Lage<br />

versetzt werden möge, ohne daß ich selbst die<br />

Hand dazu reichen darf. Ein unerklärliches Etwas, eine

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