Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 828 — »So Gott mir und den Meinigen Rettung sendet bis zum neuen Jahre, so will ich wieder beten, Vater; wenn nicht, dann fahre dahin, Menschlichkeit, und der Böse rüste mich aus mit der Kraft, die ich bedarf zu meinem Werke!« Martell riß die Pelzmütze von der Wand und zog seine ärmliche, mit zahllosen Flicken besetzte Winterjacke an. »Willst Du noch ausgehen so spät?« sagte Lore, indem sie mit einer Stecknadel den kaum noch glimmenden Docht der Lampe ein wenig ausspreitete und aus einem zerbrochenen Töpfchen die letzten paar Öltropfen darauf träufeln ließ. Heller schoß das Flämmchen empor und beleuchtete die bekümmerten, bestürzten und vergrämten Gesichter der unglücklichen Familie. »Es wird mir zu eng und zu heiß in meinen vier Pfählen,« versetzte Martell mit der fürchterlichen Ironie, die ihm seit seines Knaben Tode zur andern Natur geworden war. »Ihr braucht nicht auf mich zu warten,« fügte er hinzu, »denn wenn mir der heilige Christ in den Weg läuft, wie ich vermuthe, so biet’ ich mich ihm zum Begleiter an, wandere mit ihm von Haus zu Haus und ergetze mich an Anderer Freuden. Darum gute Nacht, ihr Lieben. Auf ein frohes Wiedersehen morgen früh!« Ohne der bittenden Blicke und Worte zu achten, womit Frau und Kinder den verzweifelten Vater zu halten suchten, stürzte Martell aus seiner frostigen öden

— 829 — Behausung, setzte mit großen Schritten durch den hohen Schnee und verlor sich auf der etwas betreteneren Fahrstraße in’s Dorf. Wohin Martell auch seine Blicke richtete, nirgends gewahrte er ein Zeichen fröhlicher Weihnachtszeit. Still und traurig lagen die einzelnen Häuser im Schnee vergraben. Hie und da schimmerte Licht durch die geschlossenen Fensterladen, auch das Klappern einzelner Webstühle ließ sich da und dort vernehmen. Aus den Wohnungen alter Leute schollen dem haßerfüllten Martell Töne kirchlichen Gesanges entgegen. Die Armen in grauem Haar sangen Buß-, Bet- und Weihnachtslieder und vergaßen darüber ihren Kummer, ihre irdischen Leiden. Diese unbedingte Ergebung in ein kaum zu ertragendes Schicksal erbitterte Martell noch mehr. Er fand es feig, unmännlich, charakterlos, ja gemein, für die Qualen des Lebens Dem Dank zu sagen, der anscheinend nichts zu Erleichterung Nothleidender thut. Verwünschungen zwischen den Zähnen murmelnd, schritt der arme Spinner über den knisternden Schnee bis an’s Ende des Dorfes. Hier, wo es die Haide mit schattigem Arm umfing, lag ein Schenkhaus. Der Schein vieler Lichter glänzte Martell schon von weitem aus diesem entgegen, und als er näher kam, konnte er aus dem lebhaften Geräusch auf zahlreichen Besuch schließen.

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»So Gott mir und den Meinigen Rettung sendet bis<br />

zum neuen Jahre, so will ich wieder beten, Vater; wenn<br />

nicht, dann fahre dahin, Menschlichkeit, und der Böse<br />

rüste mich aus mit der Kraft, die ich bedarf zu meinem<br />

Werke!«<br />

Martell riß die Pelzmütze von der Wand und zog<br />

seine ärmliche, mit zahllosen Flicken besetzte Winterjacke<br />

an.<br />

»Willst Du noch ausgehen so spät?« sagte Lore, indem<br />

sie mit einer Stecknadel den kaum noch glimmenden<br />

Docht der Lampe ein wenig ausspreitete und aus<br />

einem zerbrochenen Töpfchen die letzten paar Öltropfen<br />

darauf träufeln ließ. Heller schoß das Flämmchen<br />

empor und beleuchtete die bekümmerten, bestürzten<br />

und vergrämten Gesichter der unglücklichen Familie.<br />

»Es wird mir zu eng und zu heiß in meinen vier Pfählen,«<br />

versetzte Martell mit der fürchterlichen Ironie,<br />

die ihm seit seines Knaben Tode zur andern Natur geworden<br />

war. »Ihr braucht nicht auf mich zu warten,«<br />

fügte er hinzu, »denn wenn mir der heilige Christ in<br />

den Weg läuft, wie ich vermuthe, so biet’ ich mich ihm<br />

zum Begleiter an, wandere mit ihm von Haus zu Haus<br />

und ergetze mich an Anderer Freuden. Darum gute<br />

Nacht, ihr Lieben. Auf ein frohes Wiedersehen morgen<br />

früh!«<br />

Ohne der bittenden Blicke und Worte zu achten, womit<br />

Frau und Kinder den verzweifelten Vater zu halten<br />

suchten, stürzte Martell aus seiner frostigen öden

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