Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 826 — »Besser? Vielleicht. Bewahre mich nur Gott vor den bösen Träumen, in denen ich mich immer und immer als – Menschenfresser sehe! – Nun, ’s ist ein krankhafter Gedanke.« »Ein Gedanke, der mich frieren macht,« flüsterte Lore dem Gatten zu. »Ein entsetzlicher Scherz!« »So scherzt die Verzweiflung,« sagte Martell trocken und setzte seine Wanderung durch die kälter werdende Stube fort, denn das Reißigfeuer war längst niedergebrannt und die letzte Kohle davon dem Erlöschen nahe. »Morgen ist Christtag,« fuhr der unglückliche Arbeiter fort, und dem Anscheine nach giebt es starken Frost. Unser Holzvorrath ist zu Ende, unser Beutel so leer wie unsere Magen. Erst in acht Tagen haben wir auf einige Pfennige zu hoffen. Bis dahin müssen wir hungern und frieren, wenn wir’s aushalten und nicht etwa darüber sterben, was beiläufig sehr gescheidt von uns wäre. – Was mich nun betrifft, so bekenne ich unverholen, daß ich für diesmal gar keine Stimmung habe, dies hochheilige Fest, das der Welt einen Heiland und Erlöser schenkte, wie die Bibel sagt, hungernd und frierend zu verleben. Mich sehnt wieder einmal nach menschlicher Existenz oder nach schleuniger gänzlicher Auflösung und darum spreche ich mit Festigkeit: Brod oder Tod! Weißt Du Rath, Lore? »Vertraue auf ihn, Martell!«

— 827 — »Auf ihn? Auf den, der oben über den Wolken die Welt beherrscht, lenkt und regiert? – Ich weiß nicht, Lore, ob er mich nicht verstoßen und versäumen wird, wenn ich selbst nicht Kraft genug habe, mich ihm zu nähern! Dazu braucht man Zeit und ich habe keine Zeit zu verlieren.« »Wenn Du beten wolltest, Martell!« »Seit uns der Hans gestorben ist, kann und will ich nicht mehr beten,« versetzte der Arbeiter mit trotzigem Stirnrunzeln. »Ich habe ein Gelübde gethan am Grabe unseres Kindes, das ich halten muß, und dies erfordert blos trotzige Kraft, kein Gebet. Meine Seele schwimmt in einem Meer von Haß, sie lechzt und schreit nach Rache. Habe ich mich gerächt und somit meinen Haß gesühnt, dann will ich Gott um Verzeihung bitten und wieder ein stiller, frommer, demüthiger Mensch zu werden versuchen. Früher aber nicht, bei allen Strafen der Verdammniß!« »Gott hat ihn schon gestraft, überlaß ihm auch die Rache, ihm ganz allein!« »Ich kann nicht!« »So wir vergeben, wird auch uns vergeben werden!« sagte Traugott. »Es mag edel und großmüthig sein, Vater, wenn’s nur auch so recht einfach menschlich wäre!« »Du hast Dein Herz verhärtet, darum fühlst Du nicht mehr rein und lauter. Bete, ach bete, mein Sohn, damit Du nicht in Anfechtung fällst und uns verloren gehst!«

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»Besser? Vielleicht. Bewahre mich nur Gott vor den<br />

bösen Träumen, in denen ich mich immer und immer<br />

als – Menschenfresser sehe! – Nun, ’s ist ein krankhafter<br />

Gedanke.«<br />

»Ein Gedanke, der mich frieren macht,« flüsterte Lore<br />

dem Gatten zu. »Ein entsetzlicher Scherz!«<br />

»So scherzt die Verzweiflung,« sagte Martell trocken<br />

und setzte seine Wanderung durch die kälter werdende<br />

Stube fort, denn das Reißigfeuer war längst niedergebrannt<br />

und die letzte Kohle davon dem Erlöschen<br />

nahe.<br />

»Morgen ist Christtag,« fuhr der unglückliche Arbeiter<br />

fort, und dem Anscheine nach giebt es starken<br />

Frost. Unser Holzvorrath ist zu Ende, unser Beutel so<br />

leer wie unsere Magen. Erst in acht Tagen haben wir<br />

auf einige Pfennige zu hoffen. Bis dahin müssen wir<br />

hungern und frieren, wenn wir’s aushalten und nicht<br />

etwa darüber sterben, was beiläufig sehr gescheidt von<br />

uns wäre. – Was mich nun betrifft, so bekenne ich unverholen,<br />

daß ich für diesmal gar keine Stimmung habe,<br />

dies hochheilige Fest, das der Welt einen Heiland<br />

und Erlöser schenkte, wie die Bibel sagt, hungernd und<br />

frierend zu verleben. Mich sehnt wieder einmal nach<br />

menschlicher Existenz <strong>oder</strong> nach schleuniger gänzlicher<br />

Auflösung und darum spreche ich mit Festigkeit:<br />

Brod <strong>oder</strong> Tod! Weißt Du Rath, Lore?<br />

»Vertraue auf ihn, Martell!«

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