Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 772 — ein wenig erhob, so daß der volle Schein der Flamme auf die beiden Fremden fiel, wiederholte sie nochmals mit eigenthümlicher Weichheit des Tones die Frage: »Wer nannte Herta? Wer sucht sie? Hier ist, was von ihr übrig geblieben!« Aurel kehrte ihr das Gesicht zu. Das Unerwartete des vorhergegangenen Auftritts, die neue Unterbrechung, die gewaltige Spannung seines ganzen Wesens, die ihn gefangen hielt, gaben seinen Zügen einen so fest ausgeprägten Charakter, daß die Ähnlichkeit mit seinem Vater schärfer hervortrat, als in der gleichmäßigen Ruhe des alltäglichen Lebens. So traf ihn Hertas Auge. – Das Licht entfiel ihrer Hand, sie selbst drohte umzusinken. Mit kräftigen Arm umfing Gilbert die bebende Frau. »Es ist sein Sohn!« lallte sie ohnmächtig. »Wie er ihm gleicht, dem Entsetzlichen! – –« Wir vermessen uns nicht, die Empfindungen beschreiben zu wollen, die nach dieser Erkennungsscene die Herzen der Betheiligten bestürmten. Herta bedurfte einer geraumen Zeit, ehe sie vollkommen ihre Fassung wieder erlangte. Emma, sonst ihre Zofe, jetzt Wahrsagerin aus Noth, um den mehr als kargen Verdienst, welchen beide gerettete Frauen durch den Fleiß ihrer Hände sich erschwangen, zu mehren, überfiel dem Fremden gegenüber ein Gefühl der Schaam, das sie beängstigte. Aurel war glücklich und betrübt

— 773 — zugleich, glücklich, weil er eine ihm theure Verwandte wiedergefunden hatte und sie einer Lage entziehen konnte, die ihrer Geburt, ihrer geistigen und gesellschaftlichen Bildung unwürdig war; betrübt, weil es ihn schmerzte, dem eignen Vater grollen zu müssen, der so viele und schwere Vergehungen auf sich geladen und seinen Nachkommen einen befleckten mit Verachtung oder Ingrimm genannten Namen hinterlassen hatte. Diese Entdeckung, dies Wiederfinden hatte der kleine goldene Siegelring bewirkt. Aurel konnte nicht mehr von ihm lassen. Er war ihm ein Talisman, ein wunderkräftiges Amulet geworden. Mit dieser Überzeugung saß er jetzt neben Herta und führte wiederholt die zwar magere, aber noch immer schöne Hand seiner Tante an die Lippen. »O könnte ich es ungeschehen machen all’ das Unglück, das man Ihnen zugefügt hat!« rief er bewegt aus. »Könnte ich diesen gebleichten Locken den Glanz der Jugend, diesem schmerz- und ergebungsvoll blickenden Auge den freudigen Strahl wiedergeben, der aus der Tiefe einer ungetrübten Seele blitzt! Daß ich es nicht vermag, theure Tante, das macht mich unglücklich! O mein Vater! Mein Vater!« Herta war in Gesinnung und Wesen fast unverändert geblieben. Milde, Versöhnung, den Glauben an Verallgemeinerung eines sittlichen Fortschrittes im Volk hatte sie festgehalten, selbst in tiefster Erniedrigung. Die

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zugleich, glücklich, weil er eine ihm theure Verwandte<br />

wiedergefunden hatte und sie einer Lage entziehen<br />

konnte, die ihrer Geburt, ihrer geistigen und gesellschaftlichen<br />

Bildung unwürdig war; betrübt, weil es<br />

ihn schmerzte, dem eignen Vater grollen zu müssen,<br />

der so viele und schwere Vergehungen auf sich geladen<br />

und seinen Nachkommen einen befleckten mit Verachtung<br />

<strong>oder</strong> Ingrimm genannten Namen hinterlassen<br />

hatte.<br />

<strong>Die</strong>se Entdeckung, dies Wiederfinden hatte der kleine<br />

goldene Siegelring bewirkt. Aurel konnte nicht<br />

mehr von ihm lassen. Er war ihm ein Talisman, ein<br />

wunderkräftiges Amulet geworden.<br />

Mit dieser Überzeugung saß er jetzt neben Herta und<br />

führte wiederholt die zwar magere, aber noch immer<br />

schöne Hand seiner Tante an die Lippen.<br />

»O könnte ich es ungeschehen machen all’ das Unglück,<br />

das man Ihnen zugefügt hat!« rief er bewegt aus.<br />

»Könnte ich diesen gebleichten Locken den Glanz der<br />

Jugend, diesem schmerz- und ergebungsvoll blickenden<br />

Auge den freudigen Strahl wiedergeben, der aus<br />

der Tiefe einer ungetrübten Seele blitzt! Daß ich es<br />

nicht vermag, theure Tante, das macht mich unglücklich!<br />

O mein Vater! Mein Vater!«<br />

Herta war in Gesinnung und Wesen fast unverändert<br />

geblieben. Milde, Versöhnung, den Glauben an Verallgemeinerung<br />

eines sittlichen Fortschrittes im Volk hatte<br />

sie festgehalten, selbst in tiefster Erniedrigung. <strong>Die</strong>

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